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VIII.
Buenavista.

. Es war noch in dunkler Frühe, als ich unter den guten Wünschen des ganzen edlen Hauses mit neuem Pferd und Diener abritt; denn ich hatte einen langen Weg vor mir. Meinen armen Juan mußte ich zurücklassen, er sollte des kranken Thieres warten und es, sobald es anging, nach Orotava zurückbringen. Schon stand er am Wege und reichte weinend die Hand zum Abschied. Der Weg lief oben an der Küste hin. Unten schlug das rollende Meer ans Ufer, und brüllte wie ein Ungeheuer durch die Nacht hin, und in kurzen scharfen Stößen blies der Wind über die Gewässer. Ich dachte mit Grausen daran, wenn jetzt ein armes Schiff steuerlos diesem Gestade zutriebe, wie müßte es ganz zerschellen in diesem Dunkel und diesem Wüthen der Brandung. Und auf einmal, gleich als stürzte jähe Lichtfluth von Himmelshöhen und an den Bergen hernieder und vertriebe das flüchtende Dunkel bis zum äußersten Meereshorizont, so plötzlich stand der helle lichte Tag da wie ein strahlender Jüngling, der den blitzenden Nachtthau aus den Locken schüttelt.

Nun hob und dehnte sich das Gestade in allen Formen. In der Ferne schlich es in ausgeschweiften Bogen oder spitzen Landzungen ins Meer, zur Seite stieg es felsstarrend bis in die Wolken. Hatte ich nicht etwas Ähnliches gesehen am Strande von Amalfi oder an der sizilischen Nordküste? Aber hier wiegten sich hoch in blauen Lüften Palmen und Drachenbäume, standen auf allen Rainen rothblühende Pfirsiche, hingen und prangten an allen Felsen und Abhängen in hundert Farben zahllose Blumensterne Riesenkelche Orchideen und Schlinggewächse. Das war ja ein Frühling, welcher die Mutter Erde tausendfältig lachend und schwellend bekränzte. Italien erschien gering dagegen, etwa wie das Mittelmeer gegen den Ozean. Und hatten mich einst Italiens kosende ziehende Lüfte entzückt, in welchen die seligen Gestade wie in Verklärung standen, welcher feine Aether, welches paradiesisch Liebliche athmete erst in dieser Luft auf Teneriffa! So süß und weich und schmeichelnd, so wohlriechend, so lichtstrahlend und jede Fiber erregend dringt sie Einem in alle Poren. Man fühlt gleichsam jedes Blutströpfchen in den Adern sonnig durchhellt, jedes Fünkchen in der Seele spielend in blitzenden Ideen.

Allmählich ging es hinauf zur Höhe von la Cruz, und oben stand ein alter Edelhof. Diese altersgrauen Landsitze nehmen sich vortrefflich aus, es umwittert sie etwas Patriarchalisches. Gewöhnlich sind ein paar Häuser und Häuschen eng ineinander gedrängt: das größte hat Altane nach der Straße, und Fenster und Gallerie nach dem Hofe. Darüber erhebt sich ein Thurm oder erhöhter Söller, und hochragende Palmen und Cypressen stehen regungslos in den Lüften. Selten fehlt ein Garten, in welchem man etwas von der buntfarbigen Blüthenfülle, die über diese Inseln ausgeschüttet ist, zu Sträußen und Gewinden verknüpfte.

Die meisten dieser Edelhöfe werden sich wohl nach und nach in Wohnungen für kleine Grundbesitzer zertheilen: ihre Zeit ist dahin, und mit ihnen schwindet eine besondere Eigenthümlichkeit der canarischen Inseln. Der Philosoph Locke hatte einmal für Virginien die allerschönste Lehnsverfassung ausgedacht, mit Herzogen und Grafen und Versammlungen anderer Pairs. Auf dem jungfräulichen Boden Amerikas zerrann wie Schaum diese feudale Herrlichkeit: die canarischen Inseln sahen sie ins Leben treten im vollen Glanz altspanischer Würde. Die vielen kleinen Königreiche der Wandschen und die Abgeschlossenheit der Gebiete, in welche der Boden von Natur zerfiel, boten die Unterlage. Beinahe das gesammte Land wurde ab- und aufgetheilt in Herrschaften, 25 Marquisate und Grafschaften wurden errichtet. Der hohe Adel allein war Grundeigenthümer, fast jede Familie ihm grundhörig. Im Schatten der großen Adelsbäume erwuchs eine ganze Menge kleiner, und die canarischen Inseln wurden das adelsreichste Gebiet auf Erden. Nun kam die Gegenwart, und Handel und Industrie wurden Mächte, die, was ihnen entgegensteht, bezwingen, niederreißen, kein Erbarmen kennen. Städte und größere Gemeinden entwickelten sich zu Wohlstand und Freiheit, und ihre Bewohner haben, freilich erst in den letzten Jahren und begünstigt durch andere glückliche Umstände, es dahin gebracht, daß man die Axt an die Wurzel jener Erzherrschaften legte.

Die Erblichkeit ist aufgehoben. Die Majorate werden frei, entweder vollkommen in der zweiten Generation, oder zur Hälfte schon jetzt, oder auch sofort wenn der älteste Sohn und Erbe stirbt. Es folgt daher mehr und mehr Vertheilung des Grundes und Bodens unter freie Eigenthümer, und in dreißig bis höchstens fünfzig Jahren wird es auf diesen Inseln keine großen Grundherrschaften mehr geben. Noch lange aber wird eine jede ihre angestammten Adelsgeschlechter behalten, der gemeine Mann mit Vornehmen nur mit der Mütze in der Hand sprechen und die Magd ihre Rede verzieren mit dem endlosen »Eurer Herrlichkeit zu dienen.«

Noch länger aber und viel unglückseliger wird eine andere Einrichtung auf dem Land und seinem Gewerbe lasten: das Medianero-System. Wer Land hat, das er nicht selbst bebauen kann, oder noch öfter nicht will, gibt es an Pächter, die nicht etwa einen billigen Zins, noch weniger als hörige Bauern einen kleinen Theil der Erträgnisse, sondern die volle Hälfte entrichten. Die Medianeros sehen sich, wenn Mißwachs, Krankheit oder sonst ein Unglück sie trifft, gleich in Noth und Kummer versetzt, eine kleine Schuldenlast wird unablösbar, steigert sich und drückt ihren Muth darnieder. Keiner von ihnen denkt daran, seine Kinder zur Schule zu schicken. Nicht in der Uebervölkerung des Landes, sondern daß es so schwer ist, eigenen kleinen Grundbesitz zu gewinnen und sich von seinem Erträgniß etwas zu sparen, darin liegt die Hauptursache, daß auf den glückseligen Inseln die nackte Armuth so verbreitet ist. Verzehrten die Allerreichsten des Adels ihre Einkünfte hier und nicht in Europa, so möchte davon ihrem Stammlande vieles zu gute kommen.

In festtäglichen Kleidern sah ich Frauen und Mädchen des Weges kommen. Sie waren nach dem späten Abendgottesdienst bei Freunden in Garachico geblieben. Leichten schwebenden Ganges vertheilten sie sich links und rechts in die Felder, und auf einmal sah ich keine mehr. Es hatten sie die Erdlöcher aufgenommen, die man hier Häuser nennt: das nothdürftige Rohrdach, das sie überdeckt, fällt kaum ins Auge; man glaubt, es sei eine Vorrichtung um Ackergeschirr oder vorläufig etwas von der Ernte darunter zu bergen. Eine menschliche Wohnung hätte man nicht vermuthet. Das Hausgeräth ist so gering und ärmlich, wie die Hütte selbst, der Pflug ein einfacher Haken, der den Erdboden ein wenig aufreißt. Etwas aber ist sicher darin: ein festtäglicher Anzug für Frau und Schwester und Tochter, der von einer zur andern wandert an den großen Kirchenfesten, an welchen aller Gold- und Silberschmuck, der auf zwei Meilen in der Runde zu finden ist, zusammengesucht wird. Wenigstens doch einen Feststaat zu besitzen, darauf richtet sich der Frau ernstlichstes Bemühen: ohne ihn würde sie sich wie ausgestoßen von der menschlichen Gesellschaft dünken.

Bald hinter la Cruz begannen die Palmen sich häufiger zu erheben, und als ich in die Nähe von los Silos kam, hatte ich einen auf Teneriffa ganz ungewöhnlichen Anblick, eine Art Ebene, die mit Getreidefeldern bedeckt war. Sie stieg leise an, und auf ihrer Höhe sah ich fern im Ozean etwas wie einen großen Bergring: es war die Insel Palma, die allmählich sich ganz abklärte. Unter mir lief eine ebene Landzunge ins Meer, die Punta de Buenavista, auf welcher ein prächtiger ganz vereinzelt stehender Bergkegel und eine saubere kleine Ortschaft sich abhoben. Jenseits schnitt eine hohe Kette alle fernere Aussicht ab, ihre scharf gezackte Linie schob sich weit in die stahlblauen Gewässer vor, Punta de Teno genannt, die äußerste Westspitze von Teneriffa. Zur Linken aber verheißungsvoll öffnete sich das Thal des Palmenwaldes, dessen Schönheit mir hoch gerühmt war.

In Buenavista besuchte ich das größte Landgut, auf welchem auch Kamele arbeiteten. Mit dem Besitzer, der mir freundlich die ganze Anlage und Bewirthschaftung erklärte, bestieg ich den Thurm, und da breitete sich eine Rundsicht aus so groß und herrlich und farbenprangend, daß es ganz natürlich erschien, wenn, wie die Sage berichtet, die Conquistadoren (die spanischen Eroberer), als sie von der Südseite durch das Thal des Palmenwaldes herüber kamen, ausriefen: »O welch' schöne Aussicht!« ( Buena vista!) Ringsum dehnte sich die Unendlichkeit des wogenden und blitzenden Ozeans. Auf seiner schimmernden Bläue erschien die Insel Palma als ein hohes Berghaupt, umzogen im Halbkreise von einer Hügelkette, die sich schön ausgestreift und gefältelt dem Haupte anschmiegte. Drüben gerade vor uns streckte sich die lang ausgezackte Punta de Teno, an welcher die Brandung kirchenhoch die weiße Fluth emporschleuderte, und trug auf der hohen Kette selbst noch einen seltsamen Gesellen, einen Berg wie ein Mönch gestaltet, daher el Frayle geheißen. Dann auf der ebenen Landzunge die einsam aufragende Vulkanhöhe, die Montaña de Taco, nach Silos hin ein rundgewaltiger Vorberg, dem Meer gegenüber die breitgrüne Oeffnung des hochansteigenden Thales el Palmar, in alles aber hineinschauend, gleichsam aus vertraulicher Nähe, das schneebedeckte Haupt des Teyde. Von solch einer Rundsicht zu scheiden wurde schwer.

Jenseits der Punta de Teno ist eine wüste Gegend am Meer, wo die Lavafelder übereinander lagern und das Gestade Bündel von Basaltsteinen bilden, in welche die Meeresfluth Brüche und Höhlungen eingerissen hat. Wenn Sturm ist und die Wellen eindringen, so fährt die Luft mit gewaltigem Gebrause aus den oberen Oeffnungen der Höhlen, und das Gewässer donnert keuchend nach in Wassersäulen von hundert Fuß Höhe. Man nennt daher diese Stelle die Schnauber, Bufaderos.

Mir war der Umweg dorthin zu weit, und ich ritt daher das große Thal des Palmenwaldes hinauf, vor dessen Mündung Buenavista liegt. In langen Windungen zieht es sich hoch empor und ist reichlich bebaut: von Palmen aber habe ich auch nicht eine Spur mehr getroffen. Selbst alle andern Hochstämme sind schon niedergehauen, und man war wacker daran, auch die letzten Wurzelstöcke auszuroden und wegzubrennen. Was dann werden soll, wenn nur noch elendes Gestrüppe da ist und die winterliche Kälte einmal schärfer in die Hütten beißt, darüber wußte Niemand Trost zu geben. Die Reste des großen Fichtenwaldes stehen anderthalb Stunden von hier, und diese Gegend hat kein Recht mehr daran.

Da die Straße äußerst unwegsam war und ich den Diener mit dem Pferde voran gehen ließ, so trat ich in ein paar Hütten ein. Nun, ich habe schon in schlechtern Indianerhütten geschlafen, aber viel besser waren diese auch nicht. Aus der Ferne erscheinen sie ganz wie kleine dunkelgraue Erdhaufen. Es ist unbegreiflich, wie das Volk darin noch so frisch und aufgeweckt aussehen, so viel heiteres Gemüth, so viel natürliche Anmuth bewahren kann. Suchte ich in Amerika bei Wilden Obdach, so empfing mich düsteres Schweigen der Bewohner, auch wohl Aufschrei und Flucht der entsetzten Kinder: hier kam man stets voll Freundlichkeit entgegen und fragte artig nach dem Begehren. Es sind einfache unverderbte Menschen, denen man gut werden muß. In einer Hütte wollte ich dem Hausherrn, der mir Wasser gereicht hatte, etwas Geld geben. Er aber wies es beleidigt mit den Worten zurück: »Wasser bezahlt man nicht.« Die Frau nahm heimlich die Münze, indem sie mit einem rührenden Blick auf den Säugling sagte: »Für das Kleine.«

Hinter diesen kindlichen Menschen steht gleichsam immer der Naturzustand, um sie wieder in seine weichen Arme aufzunehmen. Ließe man sie außer Zucht und Arbeit, gewiß sie würden zu sanften Halbwilden herabsinken, ihre Weiber aber fürs Erste sich wieder tief verschleiern. Es fiel mir öfter auf, wie diese es in der Gewohnheit hatten, sich das Gesicht etwas zu verhüllen, besonders gern die untere Hälfte, als hätten sie sich von einer Sitte, wie sie drüben an der afrikanischen Küste herrscht, noch nicht vollständig losgelöst. An jungen Indianerinnen und Negerinnen habe ich wohl folgende Bemerkung gemacht. Solange ihnen Geist und Seele noch in der lieben Naturwildniß befangen war, kümmerten sie sich um ihre Gewänder eigentlich so wenig wie ein schöner Vogel um seine Federn. Allein so fein und edel ist die Natur des Weibes und voll so heiliger Scham, daß, vom ersten Hauch der Bildung kaum berührt, sobald es nur anfängt zu ahnen und sich zu besinnen, es sich über und über verhüllen möchte. Erst wenn christliche höhere Bildung eindringt, tritt das edle Antlitz mit den glänzenden Augen und Wangen, mit bewußtem Frauenstolz aus den Schleiern hervor, weil dann auf einer innern Gewissensseite eine Schrift leserlich geworden, wie in Wallensteins Lager des Jägers Reim von schön Gesicht und Sonnenlicht sie ausdrücken möchte.

Auf den höheren Thalhängen winkte mir von weitem ein grüner Wald: in der Nähe konnte ich nur noch die schwächliche Erica und den Lorbeerbaum finden, alles stärkere Holz war habgierig weggeholt und noch viel ärger hier gewirthschaftet, als in dem grünen Waldstreifen über Orotava. Dann hob sich die Thalwindung aus Wald und Wildniß empor, noch einmal mußte das Pferd scharf ausgreifen, und damit war ich auf dem nackten Bergrücken, der fortlaufend sich zu der Kette fortsetzt, die unten an der Punta de Teno endigte. Hier aber auf der freien Höhe – ich mochte etwa sechstausend Fuß über dem Meere sein – faßte mich sofort ein alter Bekannter vom Gipfel des Teyde: das sauste und pfiff und stürmte wieder, daß man seiner Sinne kaum mächtig wurde. Ich sprang ab und suchte eilends einen gedeckten Platz. Denn die Aussicht war hier unbeschreiblich groß und prachtvoll, höchst eigenthümlich in all ihren Wundern. Ob wohl jemals ein europäischer Reisender auf diese Stelle hinter den Pik von Teneriffa gekommen? Außer einem Hirten, der eine verlaufene Gais sucht, versteigt sich ja kein Eingeborener bis zur Höhe dieser Bergeinsamkeit. Allgemach legte sich der Wind, die Sonne glänzte, und ich wurde nun der furchtbaren und doch theilweise so anmuthigen Schönheit inne, die mich umringte.

Ueber die Wellenlinien der Bergketten leuchtete auf beiden Seiten das Meer herüber. Drüben im Ozean schwamm Palma, eine feine schöne Linie wie in der Luft gezeichnet. Hier auf der andern Seite, dicht vor mir, hatte sich eine neue Größe erhoben, die Insel Gomera, eine ungeheure gründunkle Pyramide von mehr als fünftausend Fuß Höhe. Ganz deutlich zackten sich die Riffe längs ihres Höhenzuges. Die Inseln und Gestade aber umfaßte in lichtfunkelnder Bläue der Ozean mit seinen gewaltigen und unermeßlichen Wogen, und zu Füßen fielen die Blicke weit hinab in eine grüne Schlucht, in deren Tiefen die Meerfluth blitzte wie ein Sternenhimmel von Smaragden, während sie die felsigen Ecken und braunen kleinen Steininseln mit blüthenweißem Schaum umkränzte. Wendete ich mich aber um, so hatte der Teyde da nicht mehr sein gefälliges Aussehen. Auf drohenden rothen und gelben und schwarzbraunen Vulkanen hatte er sich seinen höchsten Sitz erbaut, d. h. auf Bergkegeln von acht- bis neuntausend Fuß, er selbst noch ein Drittel höher. Man stelle sich nur ungefähr die furchtbare Majestät dieses Berganblickes vor neben dem weitschimmernden Meer da unten mit all seinen wundersamen Inseln und Küsten.

Vergebens suchte ich in meinen Erinnerungen nach einer ähnlichen Stelle in Europa, wo so große Linien der Landschaft vielfältig zusammen wirken. Ich wußte, es gab keinen Punkt wo ein Vulkan wie der Teyde, ein Inselberg wie Gomera aus der See aufsteigen, und doch war mir immer, als hätte ich etwas nahe Verwandtes schon gesehen. Endlich fiel es mir ein, es war bei Taormina auf Sizilien, freilich der unvergleichlich schönsten Stelle in ganz Italien. Um des Gegensatzes willen in Natur und Menschen sei mir erlaubt eine frühere Aufzeichnung über Taorminas Umgebung herzusetzen, uralt berühmtes Kulturland gegenüber der einsam erhabenen Wildniß.

»Ich war in Morgensfrühe von Giardini den langen Zickzackweg, der nach Taormina führt, hinangestiegen und machte auf der Höhe angelangt mir den Tagesplan, und suchte über Landschaft und Wege klar zu werden. Mein Standpunkt war ein nackter Berg, der in's Meer hineinsetzte, gegenüber stand ein anderes schroffes Vorgebirge, auf dessen Rücken die berühmten Theaterruinen. Von dort zog sich in weitem Bogen herüber ganz unten in der Tiefe die Strandlinie und hier oben ein breiter ebener Rand, bedeckt mit Gärten in deren Mitte sich das jetzige Taormina aufbaut. Das Städtchen ist umkränzt von Mauerzinnen und überragt von seiner Burghöhe mit gebrochenem Kastell. Hoch darüber erhebt sich ein zweiter Bergkegel, gekrönt mit den stattlichen Ruinen eines Sarazenenschlosses. Und nochmal hoch darüber schaut von senkrecht starrem Felsenberg das Städtchen Mola nieder, wie ein Geiernest aus den Wolken, einst von Abu Cassem gegründet, nachdem er Taormina, die letzte heldenhaft vertheidigte Christenfestung, grausam zerstört hatte. Das Alles ist eingefaßt vom weiten Kranz der seltsamsten Kuppen und Zacken eines Hochgebirges.

Zuerst stieg ich nach Mola hinauf, und brachte auf dem Wege wohl zwei Stunden zu. Oefter hielt mich die Betrachtung des Völkchens auf, das jetzt Leben in die Landschaft brachte. Burschen und Mädchen zogen vorbei, mehr hübsch als schlank, und wenn auch in Kleidung sparsam, doch sittig in ihrem Wesen. Sie eilten die Felsensteige hinunter zur Arbeit in Giardini. Die Mütterchen und Kinder trieben Ziegenheerden aus, und die Männer begaben sich mit dem Ackergeräth in die Gärten. Alles Volk war schon am frühen Morgen rege und arbeitsam. Je höher ich stieg und je mehr ich von Bergen und Burgen unter mich bekam, desto kleiner und übersichtlicher rückte Alles zusammen. Endlich war ich oben und es wehte mich an wie Alpenluft und Alpenduft. Wer sollte in dieser Höhe eine ebenso liebliche, als erhabene Landschaft vermuthen? Grüne Thäler gab es und kleine Ebenen zwischen den Berggipfeln, geschmückt mit Fruchtbäumen Weingärten und weidendem Vieh. Die Buben bliesen auf einer Art Schallmeien lustig in die Berge hinein.

Die Leute in Mola waren sehr freundlich, als freuten sie sich, daß ein Fremder auch einmal zu ihnen herauf kam. Einer näherte sich am Thorweg und sagte im schönsten Italienisch: er würde sich geschmeichelt fühlen, wenn ich bei ihm frühstücken wollte, er habe Milch und Kaffee und Eier, und seine liebe Frau sei auch schön. Das war sie wirklich, und während sie in einer Unzahl von Töpfchen mein Frühstück ans Feuer setzte, sah ich mir das Hauswesen an. Ein Haupterwerb bestand in Seidenzucht, wie sie über die ganze Insel verbreitet ist. Jede Familie hat eine Stube voll Seidenwürmer, welche auf Rohrhürden über einander die Maulbeerblätter verzehren, die man ihnen täglich dreimal aufschüttet. Wenn sie nach sechs Wochen ihre Cocons gesponnen, wirft man diese in ein siedend Wasser, um den Wurm darin zu tödten. Dann kommen die Händler von Catania herauf, und kaufen die Cocons nach Farbe und Gewicht. Eine Haushaltung kann sich dabei wohl fünfzig Piaster im Jahr verdienen. Mein Herr Wirth, der mir dies und anderes im Häuschen und Höfchen zeigte, brachte nach vielen Fragen glücklich meinen Namen Stand und Wohnort heraus, und nun wußte er nicht lieblich genug ein über das andere Mal zu wiederholen, welche wonnige Ehre für sein Haus meine »allerwürdigste Persönlichkeit« zu bewirthen. Als ich bezahlen wollte, wehrte er es ab mit der Anmuth eines großen Herrn und sagte endlich, ich möge seinem Knaben etwas zum Andenken geben. Nun bekam dieser statt der gehofften Piaster nur Taris: sofort änderte sich die Szene, ernst wurden die Mienen, verduftet war meine hohe Würde, nur die Hoffnung schimmerte noch durch, daß ich mehr geben könne. So sind diese feinen Sizilianer. Dem Manne war es wirklich Ehre und Freude, mich da oben gut zu bewirthen, er schien auch ein ebenso redlicher, als artiger Mann: Geld aber liegt dem Sizilianer hier und dort, wohin auch seine Gedanken wandern, als Stein des Anstoßes, über welchen er nicht hinweg kann.

Doch ich ließ es mich wenig kümmern, und als ich aus den Winkeln und Eckchen des Städtchens, zwischen denen es noch ziemlich arabisch aussah, mich herausgezogen, erblickte ich über mir die grauen Trümmer des Kastells von Mola. Es gelang, über einige Gartenmauern hinauf zu kommen, und da war ich nun recht auf der Höhe aller Herrlichkeiten. Wenige Reisende gelangen bis hierher. Die Namen, welche ich in dem Fremdenbuche bei dem Frühstückswirthe las, gehörten größtentheils Landsleuten. Denn die Deutschen, diese Allerweltsnaturen haben bei ihrer vielen Fassungsfähigkeit auch den unruhigen Trieb, überall hinzuklimmen und zu forschen. Diese Stunde auf dem Molaschloß war mir eine der allerschönsten, die ich in Italien erlebte. Man hat auch in dieser Höhe über sich noch Berg- und Burggrößen, doch man wende ihnen den Rücken und schaue zum Meere hin. Wie wild wogen und werfen sich da die zackigen Sturmwellen des Gebirgs hinunter in die hellblaue Fluth! Dazwischen gähnen dunkle Schluchten, lachen grünende Thäler, schäumt tief unten die Brandung weiß um gewaltige Felsblöcke im Meere. Und hier und dort und allerwärts hängen und starren die malerischen Häuser und Burgtrümmer im goldenen Sonnenschein. Blicken wir links nach Messina zu, so steigen dort schroffe dunkle Bergkämme einer hinter dem andern, hoch darüber Kuppen Dome Zinnen, und noch in grauer Ferne glänzen Ortschaften und Kapellen auf den Gipfeln. Ziehen wir dagegen unsere Blicke über die lichte Meeresweite hinüber nach rechts hin, so steigt da in einer einzigen erhabenen Linie der schneeige Aetna empor, und gleichsam scheu zurückweichend vor seiner Hoheit dehnt sich unabsehlich die tiefe schimmernde häuserbesetzte Ebene. Diese Landschaftsbilder umfassen Alles, was groß und herrlich ist, Meer und Bergwildniß und Aetna, unten Palmen, oben glänzende Schneefelder, dazwischen Rauchwolken des Vulkans, und die Mannigfaltigkeit der Thürme und Zinnen des Mittelalters. Und hinter all den normannischen und sarazenischen Burgzacken, o wie lieblich winkt da noch die schöne griechische Zeit, gleichsam tief im Hintergrunde der Zeiten noch ein mildes heiteres Aetherblau.

Eine gute Stunde mochte ich auf dem luftigen einsamen Kastell geruht und geschaut haben, da erspähte mich der Ortspfarrer und wandelte heran. Er kam, um des Platzes Ehren zu vertreten, auf die historischen Punkte aufmerksam zu machen, mich in sein Haus einzuladen. Ich mußte aber dem würdigen Manne entgegeneilen und für Alles danken, mich lockten noch die große Sarazenenburg tiefer unten, und das alte griechische Theater. In weniger als einer halben Stunde war ich hinunter und am Fuße des Schloßkegels. Einen Steg hinauf gibt es nicht anders, als wenn man ihn mühsam klimmend sucht zwischen Gestein und Gebüsch. Oben fand ich die weiten Ringmauern die Gewölbe und die feste Steinpyramide der Hochwarte noch gut erhalten. Gelagert zwischen duftigen wilden Blumen, niederschauend von der freien Hochwarte, genoß ich die dritte himmlische Ruhestunde in dieser einzig köstlichen Landschaft. Hier sah ich nicht, wie von Mola, von oben hinein in den weiten Kranz von Prachtgebilden, sondern war gerade in ihrem Mittelpunkte. Auch änderte sich jetzt die Beleuchtung. Die Messinaberge färbten sich dunkel unter den Wolkenballen, welche sich in ungeheuern Heeren dort ansammelten, als sollte ein Wetter losbrechen. Von Kalabrien war nichts mehr zu sehen. Auch der Aetna hatte sich tief in Wolken gehüllt. Das Meer aber strahlte jetzt in wunderbarster Bläue. Sein weiter Glanz war so hell und gewaltig, daß mich beinahe Etwas wie Schwindel faßte, wenn ich niederschaute in dies blaue Lichtmeer, als hätte ich die unermeßliche blaue Himmelstiefe unter mir. Da zitterte es wie leises dumpfes Rollen durch die Luft. Es kam vom Aetna her, ich lauschte, noch zweimal schallte von dorther das dumpfe Donnern. Eine unheimliche Mahnung in dieser still leuchtenden Fülle von Schönheit.«


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