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IX.
Guia

. Hinunter von der Bergkette, welche das sogenannte Palmenthal von der Südseite Teneriffas scheidet, ging es wie in eine andere Welt. Der Wald hörte auf, immer spärlicher wurde das Gebüsch, die widerwärtigen bleigrünen Euphorbien ließen sich wieder blicken, und weit und breit war nur der trostlose nackte Rücklaß von vulkanischen Auswürfen. Der Steg aber zog sich ein paar tausend Fuß ziemlich steil hinunter, das müde Pferd konnte öfter keinen Halt finden und rutschte in dem losen Lavageröll ein paar Schritte abwärts. Zur Linken prangten ausgebrannte Bergkegel einer neben dem andern in allen Farben der Unterwelt, schwarz und bleich, grau und gelb. Endlich schimmerte in der Tiefe und Ferne eine kleine graue Ortschaft mit ganz wenig Grün. Ich bekam eine Vorstellung von der Südseite der Insel, in welche ich hinabstieg: überall fahle und braune Berge und Schluchten, dazwischen in breiten Vertiefungen, wo sich Wasser sammelt und ein wenig Grün entwickelt, Gehöfte und Städtchen mit Orangen Feigen und Bananen, aber jedes dieser größeren oder kleineren Wohngebiete bleibt wie eine Oase umgeben von vulkanisch grauen Bergwüsten.

Unten kam mir eine Jagdgesellschaft entgegen mit Hunden und Frettchen. Sie wollten auf Kaninchen jagen, – wem's Freude macht, die einzige Jägerei, die sich auf Teneriffa lohnt; denn der wilden Kaninchen gibt es überall eine Menge. Die Herren ließen mich die Frettchen in ihren kleinen Kästen sehen. Jedes hatte sein Glöckchen an, um durch Klingeln anzuzeigen, auf welcher Stelle im Bau es sich befinde und das Wild springen werde. Ich meinte, die Kaninchen würden drüben auf der andern Seite wohl fetter werden, weil sie dort mehr Grün und Nahrung hätten, und einer der Herren war so gefällig, mir halb und halb zuzustimmen. Da schwoll einem Andern die Stirnader, und er wandte sich zu Diesem: »Wie, Señor, könnt Ihr das sagen? Ihr seid doch geboren und erzogen hier und nicht drüben. Hier hat ein Kaninchen die beste Luft und Freiheit und muß stärker werden als drüben. Also meine ich.« Ich merkte, daß ich auf der Südseite war, wo man sich hüten muß, Kaninchen schlechter zu finden, als die Bewohner der andern Seite sie haben.

Von dem Gleiten und Rutschen auf den halsbrecherischen Stegen war mein Pferd nachgerade ermüdet, und ich mußte in Valle San Jago eine Weile rasten. Die Ortschaft heißt noch eine Stadt, obwohl nicht tausend Leute darin wohnen, und diese müssen sehr genügsam sein. Es wurde mir zum erstenmal in Teneriffa schwer, etwas Gutes für Pferd und Menschen aufzutreiben. Die paar Häuser steckten mitten zwischen häßlichen Lavafeldern, und es gehört viel Entsagung oder auch bittere Noth dazu, hier auszudauern.

Der letzte Theil des Weges wurde etwas angreifend. Das Ab- und Aufsteigen in den schwarzen Schluchten wollte kein Ende nehmen, und der Diener brauchte, um das Pferd anzuregen, eifriger die beiden Namen, mit welchen der Canarier in der Anrede an sein Reitthier abwechselt. Ist er zufrieden mit ihm, so heißt es »Pferdchen«; stürzt es aber oder wird müde, ruft er zornig »Pferd!« Da ist ein Slave oder Magyar doch viel sinnreicher in der Namengebung, und während jene Oestlichen sich mit ihren Hausthieren Stunden lang unterhalten können, als wären es Brüder und Schwestern, wird der Romane gegen Pferd und Hund immer wortkarger, je weiter er gegen Westen hin wohnt.

Endlich in Guia, und zwar noch bei guter Tageszeit angekommen, suchte ich erst die eine, dann die andere Kaffeeschenke auf, wo man Herberge finden sollte; denn ich war müde und wäre den Abend gern stille für mich gewesen. Aber da hieß es: sie beherbergten bloß geringe Leute, ich sollte zu dem oder jenem Vornehmen gehen. Ich ritt also die Hauptstraße zurück und hielt vor dem stattlichsten Hause, fragte nach dem Namen des Eigenthümers, und der Empfehlungsbrief an ihn fehlte nicht in meiner Sammlung. Der Hausherr fand sich alsbald ein, stellte mich freundlichst den Seinigen vor, und fragte, ob wir nicht ein Gläschen Wein auf seiner Dach-Terrasse trinken wollten, um dabei das Schauspiel des Sonnenuntergangs zu genießen? Es wäre Schade gewesen, wäre ich nur um eine Sekunde zu spät auf die Azotea gekommen. Der Feuerball tauchte fern im Ozean unter, über die weiten Gewässer zuckten glühend die rothen Blitze, und die Felsränder des gewaltigen Berges von Gomera flammten wie im gelblichen Lichte. Da der Horizont bis in seine äußersten Tiefen sich erhellte, so stieg hinter Gomera auch Hierro auf, die Meridian-Insel Ferro unserer Karten. Auf der Landseite aber glimmte und funkelte es in bläulichen und violetten Lichtern auf allen Höhen, und als es dunkler wurde, zögerte, wo das Gebirge mehrere tausend Fuß steil empor stieg, noch auf seinen obersten Rändern ein blasser Widerschein.

Ich hatte gehört, daß von der Küste bei Guia ein Boot nach der gegenüberliegenden Insel Gomera nur zwei bis drei Stunden bedürfe; denn es sind bis dahin noch nicht fünf spanische Meilen. Dies wurde mir für den Fall guten Windes bestätigt: gleichwohl konnte ich nicht hinüber, wenn ich nicht acht Tage auf das Postschiff warten wollte. Die Stadt Guia lag auf dem Hochgestade über dem Meer, besaß aber nicht ein einziges Schiff, nicht ein einziges Boot. Wenn Jemand nach Gomera will, so wird am Strand ein großes Feuer angezündet, dann kommen nach einigen Stunden Leute von jener Insel herüber, wenn sie nämlich gerade Zeit und Laune haben. Da es aber in diesen Tagen stark vom Meere her wehete, hätte ich vielleicht mein Feuer anzünden können vom Morgen bis zum Abend, das Rufzeichen wäre doch nicht erhört worden. Seit einem halben Jahr war kein Mensch aus Guia drüben gewesen, und die Bewohner von Gomera besuchen diesen Strand nur aus zwei Ursachen: im Winter, wenn sie Cochenille für die erste junge Brut holen, und außerdem, wenn Jemand bei ihnen nicht sterben mag, ohne zuvor einen Arzt zu fragen. Da man auf Gomera aber gewöhnlich in derber Gesundheit hohes Alter erreicht, so denken sie selten an einen Arzt, es sei denn, es bräche Einer Arm oder Bein und kein Schmied oder Schäfer könne mehr helfen. Es war inzwischen der Stadtdoktor zu uns aufs Dach gekommen, und erzählte, daß er erst einmal nach Gomera geholt worden sei, und das war vor zwei Jahren gewesen.

Daß eine Insel, die dicht vor Einem liegt und mit gewöhnlicher Barke in zwei Stunden zu erreichen ist, so unnahbar, hätte ich mir nicht träumen lassen. Gar zu gern wäre ich zu Gomeras Bergzinnen und zu ihren dunklen Urwäldern hinauf gestiegen; denn gehen auch beide nicht über fünfthalbtausend Fuß in die Höhe und ist auch Teneriffa fünfthalbmal so groß als Gomera, so hat diese Insel doch ihre ganz eigenthümlichen Reize. Ich hatte viel davon gehört. Sie ragt aus dem Meer wie ein einziger ungeheurer Felsblock, dessen Hochseiten noch ganz behangen sind von grünem wehenden Walde. Dort stürzen noch überall rauschende schäumende Bäche durch Wildniß und Wäldernacht, dort gibt es noch tiefdunkle Schluchten, deren Inneres vom wuchernden Grün der Schlinggewächse überdeckt wird. Noch immer ruht etwas von der hehren Naturfeier des ersten Schöpfungsmorgens auf den Höhen dieser ächten Wildinsel.

Ihre untern Ränder aber, namentlich da wo die Schluchten zum Meere ausmünden, sollen gut bebaut sein, und dort der Träger der Cocosnuß hoch über die Dattelpalmen emporsteigen. Die Bewohner selbst wurden mir als ein ehrliches biederes Bauernvolk geschildert, das aber in der Abgeschlossenheit seiner Insel sich auch der Bildung verschließe. Sie müssen deshalb zu vielen Spottgeschichten herhalten. Und wie heißen bei ihnen die Teneriffa-Leute? Babilones – blinde Babylonier, die in Saus und Braus leben und ihr nahes Verderben nicht erkennen.

Mit meinem Gastfreunde mußte ich am Abend ins Kasino, das bereits vollgedrängt war von wohlgekleideten Herren, denen man den Frohsinn ansah und wohl auch das müßige Leben. Vor vierzig Jahren gab es erst wenige Häuser in Guia: seit aber die Cochenillezucht in Aufnahme kam, wuchs das Städtchen rasch bis zu 3000 Einwohnern und mehr. Einer meinte, es wären schon viertausend. Die Frage blieb dunkel, warum sollte man auch zählen? Wohl aber wußte man, daß von Hundert der ärmeren Klasse jährlich einer oder zwei nach Caracas oder der Habana auswanderten, weil der Verdienst im Lande wieder abgenommen; denn das Pfund Cochenille kostet nicht mehr 5, sondern 2½ Franken. Ueber dieses Unglück hatte ich schon wiederholt auf meinem Wege seufzen gehört. Man wollte nun auch wieder etwas von den Zuständen und Einrichtungen im neuen Deutschen Reich wissen, und nicht Wenigen schien es zu dämmern, als wäre Deutschland doch nicht ganz mit England zusammen gewachsen.

Ich aber warf eine Frage auf, die mir selbst nicht wenig am Herzen lag: wie man nämlich übers Gebirge nach Orotava komme? Der erste Diener, den ich mit dem Pferd in Garachico zurückgelassen, hatte mir versichert: er habe den Weg als Ziegenbub schon einmal gemacht. Allein da hieß es im Chor, vom Einen: solchen Weg gebe es gar nicht, – vom Andern: es sei unmöglich, ihn zu Pferde zu machen, – vom Dritten: ich brauche zwei bis drei Tage dazu, – vom Vierten: da müsse ich erst nach Adeje oder Chasna. Endlich entschied mein Hausherr: er habe auf seinem Gut im Gebirg einen alten Ziegenhirten, wenn der keinen Weg wisse, so wisse ihn Niemand. Dieser Mann solle mir auch das kräftigste Maulthier mitbringen, weil ein solches Mühen und Entbehrungen besser ertrage, als ein Pferd. Auf meine Bitte wurde sofort ein Bote abgefertigt, den Alten mit dem Maulthier zu holen.

Der Doktor wurde, so jung er war, mit großem Respekt behandelt; denn, so flüsterte mir Einer zu: der sei ein Gelehrter und könne fünf Sprachen. Er war aber aus Cadiz und lebte hier, ich weiß nicht mehr weshalb, in einer Art Verbannung. Mit ihm wanderte ich noch eine Weile umher. Die Luft war himmlisch, voll milder Frische und lieblichsten Wohlgeruchs, und die Sterne funkelten mit unsäglicher Gewalt. Ich lernte dabei Sternbilder kennen, die man in Europa nicht sieht, oder nicht beachtet. Auch führte mich der Doktor zu seiner Bibliothek von Klassikern verschiedener Völker, und äußerte klagend, daß auf so vielen Meilen in die Runde wir Zwei die einzigen seien, die von diesen Büchern etwas verständen.

Nach dem Abendessen kamen, wie es Brauch ist, die Onkeln und Vettern des Hauses, den Gast zu begrüßen, und ich glaube, die halbe Stadt gehörte zur Verwandtschaft. Da lernte ich wieder Manches über die Canarischen Inseln, und die Ansicht wurde allgemein getheilt: die hohe Cumbre – so heißt überall das hinter den Städten und Ortschaften, die sämmtlich aufs Meer schauen, aufsteigende Gebirge, – sauge die Wolken auf, die vom Norden herüber wollten, und deshalb sei die Südseite so trocken. Gebe es mehr Wald da oben, so würde man auch hier Wasser genug haben. Nun tragen jedenfalls die auf der Nordseite keine Schuld an dem Naturübel, allein die Stimmung in Guia schien mir derartig, als wenn wirklich das Gegentheil der Fall sein könne. O welche Thorheit! Auf dieser kleinen Insel von 41? Quadratmeilen und nahezu hunderttausend Menschen besteht ein so scharfer Zwiespalt zwischen Nord- und Südleuten. Sieht man auf der Landkarte das langgestreckte Teneriffa, so denkt man eher an eine östliche und westliche Abtheilung, als an den scharfen Unterschied zwischen Nord und Süd. Dieser ist indessen hier wirklich noch tausendmal mehr in der Natur begründet, als in Deutschland, dessen Volk, obgleich es das große Herzland eines in die Länge gestreckten und gegliederten Welttheils einnimmt, doch für sich selbst ein Viereck bildet, in welchem sich bloß Berg- und Tiefland scheiden. An den Seiten und Ecken haben freilich Uebergangsvölker genug sich angehängt.

Unter derlei Gesprächen war es ziemlich spät geworden, da meldete sich der alte Ziegenhirt, der mit dem Maulthier vom Gebirge gekommen war. In seinem Zottelumhang von Ziegenfell und mit stark behaarter Brust stand Hans Stiefel – so lautete sein spanischer Name in Uebersetzung – auf seinen halbnackten Beinen da wie ein Mann, und blitzte unter den buschigen Augenbrauen hervor wie ein alter Gemsbock. Nur zu, dachte ich, mit diesem Führer kommst du schon durch. Die Tafelrunde aber beschloß: wir müßten für Thier und Menschen Lebensmittel mitnehmen auf zwei Tage, dazu eine Decke für die Nacht, wenn ich im Innern des alten Kraters stecken bliebe.


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