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XVIII.
Zur großen Caldera.

. Bald nach fünf Uhr in der Frühe ritten wir ab, der rüstige Siebenziger voran im Feiertagsrock und auf seinem besten Roß. Ein Knecht mit zwei Ledersäcken voll Lebensmitteln und einem Fäßchen Wein folgte, gerade als zögen wir aus zu irgend einer Wüstenei. In seiner Herzensfreude rief Don José Miguel den Nachbarn, die vor die Hausthür kamen, zu: »Ich mache den Practico (Führer) für den Herrn, es geht zur Caldera!« Und dann riefen sie ihm allerlei Freundliches zurück, worüber er herzlich lachte. Offenbar genoß er ebensoviel Liebe als Ansehen. Er sagte mir: er werde jedesmal ein besserer Mensch, wenn er Morgens in Wald und Flur hinauskomme. Nun war ich so thöricht zu fragen: ob er denn bei seinen 73 Jahren noch immer besser werden wolle? Da sah er mich eine Weile an und sagte: »Geld und Gut habe ich genug, aber ich strebe danach, daß ich dem gerechten Richter da oben gefallen möge, und – schloß er lächelnd, indem er sein Pferd umwarf – nach irgend etwas muß der Mensch streben, sonst hat er keine Lust und Freude auf Erden mehr.« Wie doch der Alte die menschliche Natur kannte! Der eine strebt an Wissen, der andere an Reichthum, der dritte an Ehren reicher zu werden, und das demüthigste Nönnchen im Kloster will immer noch frömmer und andächtiger werden. Die größten Narren sind diejenigen, welche von Neid und Haß verzehrt danach streben, andern wehe zu thun: denn sie haben einmal gewiß am wenigsten Vergnügen auf der Welt.

Unter solchen moralischen Gesprächen kamen wir rasch vorwärts. Die feuchte frische Morgenluft wehte uns aus der Waldung entgegen. Noch zog sich ein weißer Wolkengürtel um die Mitte der Berge, deren Kuppen und Spitzen bleichgrau hervorragten. In ihren oberen Lagen wurden die Wolkenmassen röthlich von der Sonne angeschienen, und es sah aus, als wäre um die Berge ein weicher weißer Hermelinmantel geschlagen, auf dem hin und wieder Goldstreifen funkelten.

Dann kamen wir in ein finsteres Waldthal und ritten an der rechts stehenden Berghalde steilauf, wohl ein paar tausend Fuß hoch. Hier war Alles mit Fichten bestanden: aber so nahe und so weit auch die Blicke streiften, überall trafen sie auf gräßliche Verwüstung. Um ein Stückchen Land mehr zu gewinnen, hieb man die schönen Stämme ringsum ein wenig an und ließ sie dann elendig absterben. Sind sie dürr geworden, haut man erst die untern dann die obern Aeste ab, und wartet, bis der Wintersturm den morschen Stamm vollends umwirft.

Das Waldthal führte zu einer tiefen Einsattelung des Gebirgsrückens, der quer vor uns hinlief. Die Einsattelung heißt die Cumbre cita d. h. Bergeinschnitt, und da sieht man in die Caldera hinein. Sie ist ein ungeheurer halbrunder Kessel, umstarrt von senkrechten, mehrere tausend Fuß hohen Felswänden, aus denen sich nackte Berghäupter bis in die Wolken erheben, während tief unten auf dem Boden des Kessels scharfe Riffe vorspringen und weiter laufen, um kraus und wild den Grund zu durchsetzen, hier nacktfelsig, dort bewaldet und auf anderen Stellen wieder voll grünen Angers. Dazwischen öffnen sich tiefe Schlünde, die noch in Dunkel begraben lagen, während die Sonne schon die senkrechten Abstürze gegenüber erhellte. Prachtvolle Schatten fielen deckend über die grüne Wildniß da unten, dazwischen spannten sich, als die Sonne höher stieg, breite Lichtstreifen über das mächtig weite Tiefbecken, die immer mehr eindrangen, bis auch die letzten Schlünde, vom Sonnenglanz erfüllt, weißschäumende Bäche auf ihrem Grund erkennen ließen.

Ich stieg unterdessen, während die Andern bei der Cumbre cita absattelten, links davon auf dem Bergrücken hin, der die Caldera von dieser Seite umzog, und kam bis zur äußersten Spitze. Zu beiden Seiten fiel der Blick in schauerliche Abgründe, die halb mit Nadelholz begrünt waren, stellenweise auch mit einer Art wilden Salbeis, der große rothe Blüthen trug. Von unten herauf hörte ich das langentbehrte Wasserrauschen und kletterte – es hat dies für geübte Bergsteiger keine sonderliche Gefahr – eine Strecke weit hinab. Hier stürzte sich der Bach in eine furchtbar tiefe Schlucht, welche aus der Caldera ihr Gewässer nach Argual und ins Meer führt. Da ist alles großartigste Naturwildniß, in welcher ein malerischer Anblick den andern drängt. Der Ringkamm, welcher den weiten Kessel umzieht, ist in seinen unteren Felswandungen überall eingefurcht und zerrissen, und zeigt bald graue, bald grünliche, bald röthliche Flächen. Mir gerade gegenüber hob der Pico de los Muchachos sein Haupt bis zu nahe 8500 Fuß Höhe, daneben ist der de la Cruz nur um zweihundert Fuß niedriger, während der dritte Pik, der von der Caldera aufsteigt, del Cedro genannt, noch über 7000 Fuß hat.

Außer Geiern und Raben erblickte ich nichts Lebendiges, und nur der Wald und die Wasserstürze rauschten durch die Einsamkeit. Nach einer Weile aber schallte aus den tiefen Schlünden Gebell herauf: wahrscheinlich jagten Hunde dort Kaninchen. Auch Wildziegen schweifen an den Abhängen: man jagt sie aber selten, weil sie wahrscheinlich noch schlechter schmecken, als eine alte Gemse, die zu bekommen man sich öfter Kniee und Hände verschunden hat.

Als ich wieder herauf und zum Gastfreunde kam, schien er ein wenig unwirsch: das lange Ausbleiben hatte ihm Unruhe gemacht. Aber die Heiterkeit, die seiner Seele Grund erfüllte, gewann bald wieder die Oberhand, als wir mitsammen anstießen. Wir saßen in einem Häuschen, das neben der Cumbre cita aufgemauert war und zur Wasserleitung gehörte, die auf gleicher Höhe über diesen Bergeinschnitt geführt ist und zur Rechten rund um einen Theil der Caldera ihre weiße Linie durch den Wald zieht. Der große Felsenkessel ist der Wohlthäter der Insel, ohne welchen ein bedeutender Theil ihrer Bevölkerung gar nicht bestehen könnte. Denn in diesem weiten Becken sammelt sich die rings von den Wolken und den Felsbergen abrinnende Feuchtigkeit, stets ist eine Fülle frischen Wassers da, und sorgfältig führt man es in langen Leitungen über den ganzen Süden von Palma, die trockene Banda zu erquicken. Auf diesen Inseln hängt Alles vom Wasser ab. Wo zu Meereshauch und Sonnenwärme nur ein paar Tropfen Wasser hinkommen, kennt die Fruchtbarkeit keine Gränzen: fehlt das Wasser, bleibt nur sandige felsige starrende Wüste. Der Alte hatte die Steinhütte öffnen lassen, denn es näherte sich der Mittag, und trotz unserer 5000 Fuß Höhe über dem Meer wurde die Sonnengluth draußen unleidlich. Auch der Ziegenhirt, der mit der Heerde in einer Höhle der Nachbarschaft zu nächtigen pflegte, war herbeigekommen und durfte am Frühstück seines Herrn theilnehmen. Er freute sich über die vielen Schwalben, die ihre Fluglinie über die Abgründe hin und her zogen. Sie waren schon Mitte März gekommen – das bedeutete ein gutes Jahr.

Um die Caldera nach einer andern Seite zu überblicken, erbat ich mir Erlaubniß, noch bis zum Ursprung der Wasserleitung zu gehen. Da wollte der Alte durchaus mit, »die paar Steinbrocken am Wege fürchte er noch nicht.« Als sie ihm aber doch gar zu hoch und unmanierlich wurden, fing er plötzlich im Aerger so heidenmäßig zu fluchen an, so gut es nur jemals ein alter Wandsche verstanden hat. Plötzlich besann er sich, schwieg und drehte um. Nun hätte ich mögen den ganzen Tag in der köstlichen Waldkühle verweilen. Das blinkende Wasser rauschte und schäumte hier und dort über die Leitung und benetzte riesiges Farrenkraut, das in der Sonne glänzte, wo sie durch die Bäume brach. An dem Punkte, wo die äußersten Quellen gefaßt waren, befand ich mich gerade der dunkeln Thalschlucht von Argual gegenüber, welche die Gewässer abführt, und sah, wie sich von dorther ein wenig Kornfeld und anderer Anbau in die Caldera hineinwagt.

Dieses ungeheure Halbrund ist das größte Prachtstück wildromantischer Landschaft. Auf seinem Grunde drängt sich die Dattelpalme und der Drachenbaum unter die uralten canarischen Fichten, und dieser Boden des Kessels ist durchsetzt von grünen Bergrücken Felsengewirr uraltem Gehölz und Schluchtendunkel, voll blinkenden Wassers und stürzender Bäche – umstarrt von einem steinernen Ringwall, der in senkrechter Tiefe ein paar tausend Fuß mißt, dessen Wände in allen Farben leuchten, – überragt von grauen Berghäuptern bis zu sieben- und achttausend Fuß Höhe, – das Ganze umflossen von einer lichtfunkelnden Luft, deren Durchsichtigkeit so groß ist, daß sie wie helle Fluth eindringt in jede Furche hoch am Felsenkopf und unter die niedrigen Blätter jeder Pflanze am Boden, alles mit märchenhaftem Schimmer erfüllend.

Ein Krater aber, wie man diesen Bergkessel nennt, ein Krater so wie er sich auf anderen Vulkanen darstellt, ist er nie gewesen. Von meinem Standpunkte sah ich deutlich, wie diese Caldera ein Gebirgsthal ist, welches Furche für Furche die Wasserstürze in das ringsum ragende Gebirge immer tiefer eingerissen und eingegraben. Der Sage nach standen viele wilde Palmen hier, welche das Gewässer schon in altersgrauer Zeit entwurzelt habe. In unseren Alpen gibt es auch solche Gebirgskessel, und wenn am Königsee bei Berchtesgaden eine Schlucht sich öffnete, die sein Gewässer entführte, so würden wir, wenn sein Bett nach einiger Zeit überwaldet wäre, einen ganz ähnlichen Anblick haben.

Don Jose Miguel begleitete mich bis wo unsere Wege sich schieden. Da nahm er herzlich Abschied, und sagte: »Er begreife ganz gut, weshalb ich so weite Reisen mache. Wäre er noch jünger, so wollte er auch gehen, um Gottes Herrlichkeit auf Erden zu schauen. Es werde ihm ohnehin hier zu voll von Menschen, und er müsse machen, daß er dort oben noch ein Plätzchen finde. Nun wünsche er, daß ich die Meinigen in Gesundheit wieder antreffe, und ich solle ihnen seinen Gruß und Respekt vermelden.« Nach dieser wohlgesetzten Rede gab er dem Pferde die Sporen, und ich sah ihm lange nach, denn ich hatte den Alten lieb gewonnen. Hätte er deutsch statt spanisch geredet, so konnte man ihn, wie er da saß breit und stattlich auf seinem braunen Roß, ohne weiteres für einen westfälischen Großbauer halten.

Es ging jetzt wieder den Waldweg zur Cumbre hinauf, wo ich Abends vorher herabgekommen. An jeder lichten Stelle, als wir höher kletterten, mußte ich zurückblicken, denn die Aussicht war gar zu gewaltig. Ueber all die braunen Hügel und grünen Thalgefilde schaute man weg aufs tiefblaue leuchtende Meer, und dieses stieg wachsend im ungeheuren Halbkreis empor, gleich als wäre die Insel nur ein kleiner Felsblock in seiner Tiefe.

Sobald ich aber die Schneide des Gebirgszugs erreichte, trieb ein scharfer Wind wieder die Wolken entgegen, und war alles wieder voll grauen Nebelgewirbels und nicht das Geringste mehr zu erblicken. Nur der Pik drüben auf Teneriffa grüßte aus seiner Aetherhöhe über den Wolken herüber in schneeweißer Reinheit: ich bekam, als ich ihn plötzlich gewahrte, fast einen kleinen Schrecken vor der unsäglichen Hoheit dieser Bergmajestät.

Noch einmal sah ich auf die Fichtenwaldung zurück, welche weithin mit schimmerndem Grün Thal und Höhen nach der Caldera zu bekleidete. Wenige Jahre wird es dauern, dann haben auch in diesem uralten heiligen Walde Feuer und Axt ihr verzehrendes Werk gethan. Jeder einzelne Baum könnte einem leid thun, denn die canarische Fichte ist ein so schöner und werthvoller, ein wahrer Prachtbaum. Obgleich zum Nadelholz gehörig, gibt doch sein fußlanges Laub dichten Schatten, und von weitem scheint es ein sanftes, aber helles Saftgrün in leisem Glanz wie grüner Damast. Dabei ist fast jeder alte Baumriese eine Persönlichkeit für sich, die ihren eigenen Gang und Sinn hat. Bald strecken sie sich fast wagrecht ein paar Ellen hoch über den Boden hin, bald haben sie sich zu runden Thürmen verknorrt mit Erkerfenstern, bald steigen sie schlank in die Höhe hundert und mehr Fuß. Nur in halbversteckten Gebirgsthälern auf Lesbos oder Sizilien habe ich unter alten Oelbäumen so viele wunderliche Gestalten gesehen. Und welch ein unversiegliches Keimen und Leben steckt in solch einer Fichte! Es ist fast nicht zu tödten. Wenn der Stumpf bis in die Erde hinein ausgebrannt ist, sprossen zur Seite die jungen Triebe wieder lustig empor. Haut man aber ringsum alle Zweige ab, so bricht unmittelbar aus der Rinde das schöne frische Nadelgrün heraus, und der riesige Schaft steht im Walde wie eine grünumwundene festliche Säule. Unsere Bäume wagen sich nicht gern über 3000 Fuß Meereshöhe, die canarische Fichte aber steigt doppelt so hoch. Ihre langen Aeste in die Seebrandung zu tauchen verschmäht sie: noch bei 1500 Fuß über Meer bleibt sie niedrig und wölbt sich eine breite Krone, als wollte sie sich darunter verstecken. Aber an den hohen Bergwänden reckt sie sich und steigt öfter kerzengerad ihre anderthalbhundert Fuß in die Lüfte, während sie zu gleicher Zeit breitschattige Aeste tief zur Erde senkt.

Das Holz aber ist vortrefflich zu allem Werk und Bau, und man liebt es, trotz seiner Schwere, auch auf Schiffswerften. Ob es an der Luft vierzig oder vierhundert Jahre dauern soll, ist ganz gleich. Es gibt auf den canarischen Inseln noch Häuser aus der Zeit der ersten spanischen Eroberung, und ihr Fichtenholz scheint noch so fest als wäre über den Bau kein Menschenalter vergangen. An den Berghängen und in den tiefen Schluchten stehen noch viele andere edle Bäume der verschiedensten Art, an denen man seine rechte Freude haben kann. Die Canarier aber besitzen zum Schiffbau entschieden Geschick und Neigung, ihre Inseln liegen den Seefahrern recht auf dem Wege: sie könnten die lebhaftest besuchten Schiffswerften haben. Nur müßten sie ihre Waldungen besser hegen, namentlich auf den trockenen Bergrücken, wo doch nichts anderes fortkommt. Wohl gibt es strenge Gesetze gegen die frevelhafte Waldverwüstung. Doch unbekümmert brennt jeder Hirtenbub den schönsten Baum an, wenn er sich ein hübsches Feuer machen will, und Niemand wehrt ihm. Jedermann, wenn man ihm die Folgen des Wälderverderbs vorstellt, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und sagt: »Ja wohl, ja wohl! Was sollen wir machen ohne Holz und Kohlen?« Aber die Edlen lassen sich haufenweise die jungen Stämme zuführen, die im Walde vor allem sollten geschont werden.

Das Gesetz steht in Spanien gar leicht auf dem Papier: um es aber auszuführen braucht es Strenge und Wachsamkeit der Behörden, und vor allem gesetzlichen Sinn im Volke. Wo aber wäre jetzt Beides zu finden, soweit spanische Art und Sitte reicht? Der Spanier kommt mir immer vor wie ein edler Jüngling, der im wilden Unmuth unter die Räuber gegangen. Ob er wohl jemals aus freien Stücken zu den schönen reinlichen Hallen des Elternhauses zurückkehren wird?


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