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Fünfzehntes Kapitel

27. Oktober.

Das Leben macht mir keine Freude mehr, es ist mir gründlich entleidet. Heute behauptete Judit spöttisch, ich hätte überhaupt noch nie gelebt, und ich konnte nicht anders, als ihr recht geben, indem ich mit bitterem Herzeleid der guten alten Zeiten gedachte. Wenn das leben heißt, wenn einem der Verstand über den Haufen geworfen und mit Füßen getreten wird, daß die Glut einer törichten Leidenschaft einem das Herz verzehrt, daß die Seele von Gewissensbissen gefoltert wird – ja, dann lebe ich wahr und wahrhaftig – aber dann würde ich viel lieber tot sein und die leichteren Qualen des Fegfeuers erdulden.

Anders geartete Menschen gewöhnen sich daran, wie der Aal ans Geschundenwerden. Sie sagen mea culpa – verflucht – oder »Kismet«, je nach ihren verschiedenen Ansichten, und gehen getröstet ihrer täglichen Hantierung nach. Wie sehr beneide ich sie! Ich habe diese raffiniert ausgestattete Folterkammer, die man Leben nennt, jetzt betreten; aber beim ersten Anziehen der Daumenschrauben schreie ich laut auf, und sobald die eiserne Jungfrau Miene macht, mich zu umarmen, falle ich in Ohnmacht.

Wahrhaftig, ich könnte einen Schurken wie Cäsar Borgia beneiden! An einem einzigen schönen Sommernachmittag konnte dieser Mensch einen Freund ermorden, dessen Witwe verführen, die Waisen um ihr Erbe bringen, dann befriedigt zum Abendessen nach Hause gehen, und nachdem er sich an Musik etwas erlabt hatte, so fest schlafen, wie jemand, der seine Ruhe wohl verdient hat. Was für Geschöpfe sind doch die andern Menschen? Für mich sind sie jedenfalls ein unergründliches Geheimnis. Und ich schreibe – oder vielmehr habe geschrieben – eine sittengeschichtliche Abhandlung über die verschlagenste Generation der Menschheit, die je existiert hat! Ein eitler Narr bin ich, jawohl, der absolut nichts versteht. So wenig ich feststellen kann, ob zuerst die Henne oder das Ei da war, ebenso wenig kann ich den friedlichen Schlummer dieses unerhörten Schurken von fünfundzwanzig Jahren erklären. Ich habe weder einen Mord, noch eine Verführung, noch einen Raub auf dem Gewissen, und doch konnte ich letzte Nacht nicht schlafen und bezweifle, ob ich heute nacht schlafen werde. Es ist mir zu Mut, als müßte ich jahrhundertelang wach bleiben, während eine Ratte immerfort an meinem Eingeweide nagt.

Wie unglücklich sah Judit aus, als ich sie heute vormittag besuchte! So unglücklich, wie ich noch nie ein weibliches Wesen gesehen habe! Weg war die sorgfältige Koketterie von gestern, weg die ruhige Schelmerei der vergangenen Jahre, weg war die Judit, die ich gekannt habe, und an ihrer Stelle stand eine hohläugige Frau, die an Türen rüttelte, die für alle Zeiten versperrt sind.

»Ich habe mir gedacht, daß Sie heute morgen kommen würden. Dieses Restchen Vertrauen hatte ich noch in Sie.«

»Ihr Gesicht hat mich die ganze Nacht hindurch verfolgt,« sagte ich. »Ich mußte kommen.«

»So, das ist also das Ende vom Lied?« sagte sie hart.

»Nein, es bezeichnet nur den Übergang von einem unklaren Verhältnis zu einer so treuen und warmen Freundschaft, als sie nur je ein Mann einer Frau angeboten hat.«

Mit einem verächtlichen Achselzucken wandte sich Judit ab und rief: »O sprechen Sie nicht so! Ich kann Ihnen kein Brot geben, aber hier ist ein hübscher runder geschliffener Stein! Freundschaft! Was soll eine Frau wie ich mit Freundschaft?«

»Habe ich Ihnen je viel mehr gegeben?«

»Gott weiß, was Sie mir gegeben haben!« rief sie bitter und starrte zum Fenster hinaus in das trübe Wetter, auf die schmutzige Straße. Ich trat zu ihr und legte meine Hand auf die ihrige.

»Um Gottes willen, Judit, sagen Sie mir, was ich tun kann!«

»Was geschehen ist, ist geschehen!« murmelte sie durch die Zähne. »Wann haben Sie sie geheiratet?«

Mit kurzen Worten erklärte ich ihr die Sachlage. Hierauf sah sie mich lange und durchdringend an, starrte dann wieder zum Fenster hinaus und hörte kaum auf das, was ich sagte.

»Meine Absicht war, Ihnen die ganze Geschichte zu erklären,« fügte ich hinzu. »Deshalb bin ich so früh hergekommen.«

Sie schwieg. Ich ging in dem wohlbekannten Zimmer, das mit so vielen lieben Erinnerungen an vergangene Jahre erfüllt ist, ein paarmal auf und ab. Das Klavier dort haben wir zusammen ausgewählt. Das Bild hier – die gekrönte Madonna von Botticelli aus den Uffizien – habe ich ihr in Florenz geschenkt. Miteinander haben wir ganz London durchstöbert, bis wir endlich den Chippendale Bücherschrank fanden, auf dessen Brettern Bücher stehen, die ein Band zwischen uns gebildet haben, desgleichen auch alte Zeitschriften, die kurze Beiträge von mir enthalten. Ein unechter japanischer Drache aus Fayence, ein unkünstlerisches, aber ihrem Herzen teures Ungeheuer, wegen dessen ich sie oft geneckt hatte, grinste mich vom Kaminsims verzeihend an. Noch nie ist es mir so deutlich zum Bewußtsein gekommen, wie eng dieses Wohnzimmer mit all meinen Gewohnheiten verbunden ist. Wieder blieb ich neben Judit stehen.

»Ich kann Sie nicht ganz verlassen, liebe Judit,« sagte ich sanft. »Ein Teil von mir ist mit diesem Zimmer unzertrennbar verknüpft.«

Ein unglückliches Lachen entrang sich ihren Lippen.

»Ein Teil!« rief sie, indem sie sich mir plötzlich voll zuwandte. »Sind Sie einfach dumm oder entsetzlich grausam?«

»Ich bin dumm,« antwortete ich. »Warum schlagen Sie meine Freundschaft aus? Was uns verbunden hat, ist doch kaum mehr gewesen; unser Innerstes hat es nie berührt, und das hatten wir uns ja von Anfang an vorgenommen. Die Worte ›Ich liebe dich‹ sind nie zwischen uns gefallen! Wir haben unsern Vertrag treu gehalten. Und jetzt, wo die Liebe in mein Leben tritt – und Gott weiß, wie sehr ich dagegen gekämpft habe – was verlangen Sie von mir?«

»Und was verlangen Sie von mir?« fragte Judit tonlos.

»Verzeihen Sie mir, daß ich das alte Band löse, und trauen Sie mir zu, daß ich auch das neue zu einem angenehmen für Sie machen werde.«

Sie gab keine Antwort, sondern starrte nur immer wie versteinert zum Fenster hinaus. Plötzlich schauderte sie zusammen und ging zum Kamin hin, vor dem sie sich auf einen Schemel niedersetzte. Ängstlich, verwirrt, bedrückt blieb ich am Fenster stehen.

»Markus!« rief sie schließlich leise, und ich folgte ihrem Ruf. Sie deutete auf einen Stuhl, und ohne mich anzusehen, begann sie zu sprechen.

»Sie sagten vorhin, ein Teil von Ihnen sei mit diesem Zimmer verknüpft. Aber für mich ist es nicht ein Teil, nein, ganz sind Sie in diesem Zimmer. Wo ich gehe und stehe, sind Sie bei mir. Für mich sind Sie der Anfang und das Ende des Lebens, ich liebe Sie mit verzehrender Leidenschaft. Ich bin erregbar und habe Schiffbruch erlitten, weil ich mir einbildete, einen Mann geliebt zu haben. Aber, Gott ist mein Zeuge, Markus, Sie sind der einzige Mann, den ich je geliebt habe! Wie ein Hauch vom hohen Himmel herab kamen Sie zu mir ins Fegfeuer, und von der Zeit an sind Sie der Himmel für mich gewesen. Für Sie war es nur ein Spiel – für mich aber –«

Ich fiel neben ihr auf die Kniee nieder. Jedes ihrer leisen halbgeflüsterten Worte durchdrang mich wie ein glühendes Eisen. Gestern abend hatte ich die Botschaft, die mir ihr bleiches Gesicht enthüllt hatte, ungläubig aufgenommen. Ich hatte unser vergangenes Leben an meiner Seele vorüberziehen lassen, und die Botschaft erschien mir unberechtigt – sie konnte nicht aus dem tiefsten Innern kommen; es kam mir ganz und gar unmöglich vor – und jetzt – jetzt war das Unmögliche zur unleugbaren Tatsache geworden!

»Kein Spiel, Judit –«

Sie streckte die Hand aus, um mir Schweigen zu gebieten – die Worte erstarrten mir auf den Lippen. Was hätte ich sagen können?

»Ja, für Sie war es ein angenehmes Gefühl, wenn Sie so wollen, für mich der bitterste Ernst. O, auch ich war eine Närrin. Sie haben mir allerdings nie gesagt, daß Sie mich liebten, aber ich hatte es doch geglaubt. Sie waren nicht wie andre Männer; die große Welt der Frauen, die Leidenschaften, alles war Ihnen fremd – Sie waren ein Mann von geistigen Interessen, waren zurückhaltend – Sie sahen alles in einem Ihnen eigenen besonderen Lichte an. Ich war mir bewußt, daß schon die kleinste Fessel Sie gedrückt hätte, deshalb ließ ich Ihnen vollständige Freiheit – auch wenn mein Herz noch so heiß nach Ihnen verlangte. Ich stellte keine Forderungen, und Ihren philosophischen Analysen unsres Verhältnisses stimmte ich willig bei. Sie haben eine wunderliche Art, über alles und jedes zu moralisieren – es ist, als wären Sie ein von allem losgelöster, außerhalb des Weltalls stehender Geist – aber ich machte mir nichts daraus. Ich lachte über Sie – o nein, nicht unfreundlich, sondern liebevoll, glücklich, siegessicher. Ja, ich war eine Närrin. Aber welche liebende Frau ist das nicht? Es war mir, als sei ich für Sie alles, was Sie brauchten, und war zufrieden, sicher. Die kleinsten Liebesbeweise wurden groß in meinen Augen. Wenn Sie nur mein Ohr berührten, so war mir das mehr, als mir die Umarmung eines andern Mannes je hätte sein können. Von einem einzigen Kuß zehrte ich wochenlang – Ihnen war dieser Kuß nicht mehr wert als eine Zigarette. Ach, ach,« flüsterte sie leise, »wäre ich doch tot!«

Mit entstellten Zügen und fortgesetzt ins Feuer starrend, hatte sie dies alles leise und eintönig gesprochen, während ich neben ihr am Boden kniete. Ich murmelte nichtssagende Entschuldigungen, wurde mir aber dabei schmerzlich bewußt, daß jegliche Redensart, mag sie lauten, wie sie will, absolut wertlos ist, wenn man ein Herz gebrochen hat.

»Haben Sie denn nie gemerkt, daß ich Sie liebe?« fuhr Judit in demselben leisen, bittern Ton fort. »Für was für eine Frau hielten Sie mich eigentlich? Ich habe Ihre Unterstützung angenommen, um in dieser Wohnung leben zu können. Meinen Sie denn, das wäre mir möglich gewesen, wenn ich Sie nicht geliebt hätte? O, ich sollte meinen, es wäre an tausenderlei Dingen zu merken gewesen.«

Da das Feuer allmählich niedergebrannt war, griff Judit nach der Kohlenschaufel; mechanisch nahm ich sie ihr aus der Hand und legte wie sonst immer, Kohlen nach. Ein langes Schweigen entstand. Judit blieb vor dem Feuer sitzen, ich aber trat ans Fenster. Es hatte zu regnen angefangen; drunten auf der Straße leierte eine Drehorgel einen schrecklichen Gassenhauer herunter, und jeder einzelne von diesen schrillen Tönen ging mir durch Mark und Bein. Als mich die Frau des Orgelmannes, eine schlumpige Italienerin, am Fenster entdeckte, grinste sie zu mir herauf und machte die landesübliche leichtverständliche bettelnde Handbewegung. Sie hatte ein blaues Mal am Auge, das wahrscheinlich von dem kakophonischen Teufel herrührte, aber sie lachte wie ein fröhliches Naturkind. Bei Männern meines Standes sind die Augen der Frauen freilich vor blauen Mälern sicher, doch das ist nur eine Frage der Sitten. Bin ich deshalb vielleicht ein weniger roher Mensch, als der sauertöpfische Kerl dort unten an der Orgel?

Plötzlich hörte ich ein Schluchzen; ich wandte mich um und sah Judit, bitterlich weinend, das Gesicht in den Händen vergraben, auf ihrem Stuhle sitzen.

»Judit –«

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals.

»Ich kann dich nicht lassen, ich kann nicht, ich kann nicht!« rief sie leidenschaftlich.

Und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich Zeuge davon gewesen, wie eine Frau, die vollständige Beute ihrer Leidenschaft, in lautes ungezügeltes Weinen ausbrach; es klang schrecklich – wie der Schrei eines zum Tode verwundeten Tieres.

Schwerbedrückt von Schuldbewußtsein, wagte ich sie kaum anzusehen, als ich mich verabschiedete. Sie hatte ihre Fassung wieder erlangt.

»Versprich mir eins, Markus, tu mir einen einzigen Gefallen,« sagte sie mit bebenden Lippen und ließ ihre kalte Hand in meiner ruhen. »Bleib heute weg von ihr. Nach allem, was ich heute morgen gesagt habe, wäre es mir unerträglich, wenn ich euch beide glücklich und zärtlich beisammen wissen müßte. Scham und Qual würden mich umbringen. Darum laß heute mich allein in deinen Gedanken sein; traure ein wenig um die Tote. Das ist alles, was ich von dir verlange.«

»Das hätte ich auch ohne deine Bitte getan,« erwiderte ich. Damit küßte ich ihr die Hand und verließ sie.

Als ich in tiefe Gedanken versunken aufs Geratewohl eine kleine Strecke gegangen war, wurde ich mir plötzlich bewußt, daß ich Pasquale gegenüberstand, der mit mir redete.

»Kommen Sie von Mrs. Mainwaring? Da will ich eben hin, um ihr ihr Opernglas zurückzubringen, mit dem ich gestern nacht durchgegangen bin. Welches ist ihre Nummer? Ich habe sie vergessen. Ich wollte mich eben im Vorbeigehen in Lingfield-Terrace danach erkundigen, hörte aber, daß Sie schon ausgegangen seien.«

»Nummer siebzehn,« antwortete ich mechanisch.

»Sie sehen nicht gut aus, lieber Freund,« sagte er. »Ach, Sie werden sich doch wegen gestern abend keine Sorgen machen? Der edle Hamdi wollte uns ja nur ins Bockshorn jagen.«

»Das glaube ich auch,« stimmte ich bei.

»Sie haben es ihm aber auch heimgegeben! Offen gestanden, ich hätte Ihrer Einbildungskraft das gar nicht zugetraut! Hamdi war einfach vernichtet! Er konnte nicht mehr!«

»Allerdings – er konnte nicht mehr!«

»Geschieht ihm recht,« sagte Pasquale. »Er ist der ärgste Spitzbube und gehört schon lange an den Galgen.«

»Ganz recht,« sagte ich, »er gehört schon lange an den Galgen.«

Pasquale packte mich am Arm.

»Sind Sie ein Mensch oder ein Phonograph? Was ist denn eigentlich mit Ihnen los?«

Ich glaube, es stieg etwas wie Neid in meinem Herzen auf, Neid auf das fröhliche Lachen in Pasquales hübschem dunklem Gesicht und auf die sorglose Grazie des jungen Mannes, der unter seinem triefenden Regenschirm, ohne Überzieher – der meinige war bis ans Kinn zugeknöpft – in einem tadellos sitzenden blauen Sergeanzug und in fleckenlosen weißen schwedischen Handschuhen wie ein junger Prinz vor mir stand.

»Was ist denn los?« fragte er noch einmal lustig.

»Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, mein Frühstück hat mir nicht geschmeckt, und jetzt regnet es abscheulich.«

Während ich noch sprach, ließ er mich stehen und schoß wie ein Pfeil über die Straße. Verwundert sah ich ihm einen Augenblick nach und ging dann langsam auch auf die andre Seite der Straße. Er sprach mit einer abgezehrten, schlecht gekleideten Frau, die ein riesiges Bündel, ungefähr dreimal so groß und breit als sie selbst, neben sich auf dem schmutzigen Pflaster stehen hatte und ihre eine Hand auf ihre keuchende Brust drückte.

»Das wollen Sie den ganzen Weg nach South Kensington tragen?« hörte ich ihn beim Näherkommen rufen.

»Jawohl, Herr,« antwortete die Frau.

»Das darf nicht sein, ich erlaube es nicht! Da! Nehmen Sie!«

Unwillkürlich, damit er ihr nicht an den Kopf flog, griff die Frau nach Pasquales Regenschirm, den dieser ihr zuwarf. Aber die Verwunderung, mit der sie seine Worte angehört hatte, verwandelte sich in wirkliche Bestürzung, als sie ihn nun das ungeheure Bündel aufheben und damit die Straße entlang schreiten sah. Erschreckt sah sie mich an.

»Es ist Wäsche darin,« sagte sie.

Pasquale hielt an, sah sich um und machte ihr ein Zeichen, daß sie ihm nachkommen solle. Den Regenschirm mit silbernem Griff fest in der Hand haltend, folgte sie ihm stumm, und ich bildete die Nachhut. Die ganze Szene hatte sich so schnell abgespielt, daß auch ich ganz verwirrt war. Die wenigen Leute, die bei dem Regen unterwegs waren, starrten uns mit offenem Munde nach. Ein krummbeiniger Mensch in Manchesterbeinkleidern machte einen unzüchtigen Witz. Da setzte Pasquale sein Bündel nieder.

»Soll ich Euch eins hinter die Ohren geben, daß Ihr die Engel im Himmel singen hört?« fragte er.

»Nein,« knurrte der Mann und machte sich davon.

»Das freut mich,« bemerkte Pasquale, indem er das Bündel wieder aufnahm; und unser Zug setzte sich aufs neue in Bewegung.

Zum Glück fuhr jetzt eben eine Droschke vorbei. Pasquale rief sie an, stopfte das Bündel hinein und hielt dann die Tür für die zögernde und verwirrte Frau offen, als ob sie jene echte Herzogin von Ealing wäre.

»Sie sagten, Ordeyne,« bemerkte Pasquale, als der Kutscher mit drei Schilling und seiner merkwürdigen Fracht davongefahren war. »Sie sagten, Ihr Frühstück habe Ihnen nicht geschmeckt?«

Trotzdem mir das Herz so schwer war, mußte ich jetzt lachen und den Mann liebhaben. Seine Handlungsweise hatte etwas phantastisch Ritterliches gehabt, etwas geradezu Erhabenes durch die Verachtung des Althergebrachten, etwas Launenhaftes, Abenteuerliches, Unvermutetes; ja etwas Göttliches lag in seinem grimmigen Mitleid und etwas Unwiderstehliches in der Art, wie er mich dann angeredet hatte. Während des ganzen langen traurigen Tages ist dieser Auftritt der einzige Lichtblick gewesen.

Ich habe mein Versprechen gehalten, habe im Klub zu Mittag gegessen und versucht, im Lesezimmer die langen Stunden totzuschlagen. Es war meine Absicht gewesen, heute morgen die nötigen Vorbereitungen für meine Heirat zu treffen, aber nach der Unterredung mit Judit hatte ich nicht das Herz dazu; so verschob ich es auf morgen. Der heutige Tag sollte ein Tag der Trauer sein, und ich habe ihn in Sack und Asche verbracht; für den von mir begangenen schweren Fehler habe ich schwer Buße getan. Carlotta ist zu Bett und schläft. Antoinette sagte, sie habe sich sehr früh niedergelegt, weil sie heftiges Kopfweh gehabt habe. Kein Wunder – armes Kind!

Vorhin fühlte ich ein heißes Verlangen, in ihr Zimmer hineinzugucken, um mich zu überzeugen, daß sie nicht krank sei – Kopfweh ist der Vorläufer von so vielen Krankheiten. Aber ich gedachte meines Versprechens und hielt mich zurück. Ihre süße Stimme hätte mich an ihre Seite gerufen, ihre Arme hätten sich um meinen Hals geschlungen und ich – hätte Judit vergessen!


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