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Nur einmal.

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Etlich schlimme Gesellen waren es, welche nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges das Land unsicher machten und allgemein nur die »Harten« genannt wurden, einmal weil sie so hießen und zweitens weil sie bei ihren Räubereien und sonstigen Übelthaten keine Schonung kannten. Es waren mit einem Wort hartgesottene Sünder. Ihre Namen waren: Grimmhart, Braunhart, Krummhart, Schlamphart, Bockhart u. s. w. Sie pflegten wöchentlich einmal in einer am Walde gelegenen Schenke zusammenzukommen, um ihre Meinungen und auch ihre Beutestücke gegenseitig auszutauschen, je nach Neigung und Bedürfnis. Die Herberge hieß zum roten Krug.

Es war in einer stürmischen Nacht zu Ende Oktobers, als sie sich hier wieder einmal zusammenfanden. Jeder hatte sein Rößlein an die Krippe gebunden, ihm Heu 4 vorgesteckt und war dann mit klirrendem Sporn und Schwert in die niedrige, rauchige Wirtsstube getreten. Sie setzten sich an den langen braunen Tisch, in welchem eine Menge Namen, Sprüche und Verse eingeschnitten waren. Bald hatte jeder seinen Humpen vor sich.

Auf dem dreibeinigen Stuhle sich schaukelnd, begann Grimmhart die Unterhaltung: »Habt ihr denn auch bemerkt,« rief er mit heiserer Stimme, »daß einer, als wir angeritten kamen, sich schleunigst aus dem Staube machte? Es war der Klostervogt vom Stift, der hat mir auf einen guten Gedanken verholfen: der Wein ist heuer geraten, wie wär's, wenn wir uns einen nächtlichen Ritt zum See hinab nicht gereuen ließen? Die Schwestern haben am Gelände dort einen Keller, der mit manch schönem Stückfaß verziert ist. Ich wäre dafür, einmal daselbst einzukehren und ein wenig Umschau zu halten. Wenn wir unterwegs ein Bauernpferd und einen Karren mitnehmen, so können wir auch ein Fäßlein aufladen, das leeren wir dann bei dir, Braunhart, auf deiner edlen Veste Rauhenau, was meinst du dazu?«

»Schäme dich,« erwiderte trocken der Angeredete, »schäme dich, die frommen Stiftsfräulein aus ihrer 5 gesegneten Ruhe zu stören. Ich bin nicht dabei.«

Grimmhart flüsterte seinem Nachbar Krummhart etwas ins Ohr, worauf dieser zustimmend nickte und ausrief: »Ja, ja, dann begreif ich's wohl!«

»Nun, was lachst du, alter Stiefelknecht,« schrie Braunhart.

»Er sagte,« nahm Schlamphart lachend das Wort und lehnte sich mit dem Oberkörper auf seinem Stuhle soweit zurück, daß er mit dem Fuß an die Tischecke stieß und die Humpen erklirren machte, »er sagte, und viele andere sagen es auch, du habest deine guten Gründe, warum du den Klosterfrauen nichts anhaben willst.«

Braunhart sah ihn finster an und biß sich auf die Lippen.

»O,« rief spöttisch Grimmhart und drehte seinen roten Kinnbart, »glaube nur ja nicht, daß wir so unmenschlich sind und deine Gefühle nicht zu würdigen wissen. Nein bewahre, bleib du nur hier und bet indes einen Rosenkranz, bis wir wieder kommen. Man sagt nämlich – aber wenn du,« unterbrach er sich, »einen Gruß an die Äbtissin zu bestellen hast, den wollen wir schon ausrichten.«

Alle lachten.

Zornrot sprang Braunhart auf und rief: »Was sagt man? Red, oder ich renn dir den Flammberg durch die Rippen!«

6 Da stand Krummhart auf und sprach: »Nun, man sagt, die Äbtissin habe, noch ehe sie den Schleier nahm, in ihrer holden Jugend auch einmal der Minne gehuldigt mit einem schönen jungen Ritter. Der habe sie schnöde verlassen und sei an den Hof des französischen Königs gezogen; ehe sie aber die Schwelle des Klosters betrat, habe das Ereignis stattgefunden, dem du das Leben dankst. Jetzt weißt du alles.«

Braunharts Gesicht verfinsterte sich bei diesen Worten, er starrte ihn an, als höre er eine schreckliche und unglaubliche Nachricht. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem höhnischen Lächeln, dann kam es wie ein unsagbar düsterer Ernst über seine Stirn, und gleich darauf erhellte sich sein jugendfrohes Gesicht wieder und blickte so lustig und unbefangen in den Kreis der Zecher wie vorher.

»Wohlan,« rief er aus, »erzähle nur weiter, ich sehe mich schon größer werden, wer weiß, was noch aus mir wird!«

Krummhart fuhr fort: »Man gab dich den ehrwürdigen Vätern im Kloster Zwiefalten zur Erziehung, denn du solltest ein geistlicher Herr werden, man sagte dir, deine Eltern wären im Kriege umgekommen, und du habest nichts mehr auf Erden als die Aussicht, dich zu einer Zierde der Kirche 7 aufzuschwingen, als ein zweiter Augustinus oder Athanasius dereinst zu glänzen; dich lockte jedoch mehr der Ruf eines Tilly und Wallenstein, und so sprangst du eines Tages aus und kamst zu uns. Leider, da der Krieg ein Ende nahm, saßen wir bald auf dem Trocknen und mußten unsere Zuflucht zu diesem Rittertum vom Stegreif nehmen, zu dieser fröhlichen Weglagerei, zur Fortsetzung des Ordens vom heiligen Crispinus und des Wandels unter deinem herrlichen Gestirne, Kriegsgott Mars!«

Abermals veränderten sich die Gesichtszüge des jungen Mannes; mit gezierter Würde stand er auf, nahm den Hut ab, daß die Feder sich bis auf den Boden senkte, und sprach mit kaltem Ernste zu dem Gefährten:

»Was du da erzählt hast, Krummhart, mag wahr oder erfunden sein, mir ist es gleichgültig; damit ihr aber seht, daß es nichts auf Erden giebt, was mich abhalten kann, einen Streich auszuführen, so werde ich das beabsichtigte Abenteuer mit euch bestehen. Wenn die Äbtissin wirklich meine Mutter ist, so hat sie es lang genug anstehen lassen, sich um mich zu bekümmern, und hab' ich dann nicht um so mehr ein Recht auf Mitgenuß an ihrem Weinkeller? Weil indessen der 8 Mond noch am Himmel steht und zuweilen durch die Wolken bricht und wir die halbe Stunde, bis er hinunter ist, noch warten müssen, und weil wir überhaupt einmal bei den Lebensgeschichten stehen, von denen ihr die meine gehört habt, so bestehe ich darauf, daß auch ihr andern drei eure Lebenswege zum besten gebt. Also Krummhart voran!«

»Ich habe nichts dagegen,« erwiderte dieser, »es ist aber nicht viel von mir zu sagen. Ich bin der Sohn eines reichen Kaufmanns aus einer vornehmen Stadt und sollte nach dem Willen meines Vaters ins Ausland, in die neue Welt, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen. Als ich aber in die Seestadt kam, lernte ich ein Frauenzimmer kennen, die mir meinen wohlgefüllten Mantelsack leeren half und, als sie mich völlig abgeblättert hatte, sich an einen andern hing. Als reuiger Sohn kehrte ich in meine Vaterstadt zurück, kaum noch erkennbar, so hatten mich zuerst das flotte Leben und dann Elend und Entbehrung heruntergebracht. In der Heimat angekommen, fand ich meine Eltern nicht mehr. Sie waren aus übergroßer Sehnsucht nach mir – denkt euch nur – mir nachgereist und mußten bereits in der neuen Welt angekommen sein, wo sie mich nun 9 freilich nicht finden konnten. Allerdings hatten sie sich in der Seestadt nach mir erkundigt, aber der Handelsherr, an den ich beglaubigt war, wähnte ebenfalls, ich sei schon längst abgereist. Sie werden mich drüben wohl als einen auf dem Meere Umgekommenen beweint haben. Ich erfuhr nie mehr was von ihnen. Nachdem ich den Staub von meinen Füßen geschüttelt, verließ ich unbemerkt und ungekannt die Stadt, in der ich geboren war, und begab mich zu den Fahnen Banniers, der damals in der hiesigen Gegend sich mit den Kaiserlichen herumschlug. Da fand ich denn auch euch, das Übrige wißt ihr.«

»Meine Geschichte,« begann hierauf Schlamphart, »ist nicht so merkwürdig: Ich hatte in früher Jugend Dienste bei einem Chronikenschreiber genommen und lernte da, Handschriften nachzuahmen. Wie ich nun darin eine große Fertigkeit erlangt hatte, so verfiel ich darauf, Zeugnisse und was man sonst noch wollte, unter falschem Namen auszustellen, und sintemal ich Wein und einen guten Bissen trockenem Brot und Wasser vorzog, so betrieb ich mein Geschäft so fleißig, daß ich mir ein schönes Stück Geld damit verdiente. Das ging eine Zeitlang ganz 10 gut, man kam mir aber auf die Sprünge, und ich mußte das Weite suchen. Wie ich nun so in den Landen herumzog, hatte ich einmal einen Reisegefährten, der kein anderer war als der Tod selbst, Hans Mors oder Freund Hain genannt. Der bewog mich …«

Braunhart, der schon während der ersten Geschichte öfter aufgestanden war, einen Laden geöffnet und hinausgesehen hatte, unterbrach jetzt den Erzähler.

»Die Wolken,« rief er, »hängen so schwarz über den Mond herein, daß wir unsern Ritt wohl beginnen dürfen.«

»Auf!« riefen die Harten wie aus einem Munde und eilten zu ihren Pferden.

Der Wirt, der sich aus Furcht bisher nicht hatte sehen lassen, kam jetzt unter die Thüre und verbeugte sich zum Abschiede vor seinen Gästen. Diese sprengten durchs Hofthor in die Nacht hinaus und waren bald verschwunden.

Ein paar Minuten lang hörte man noch den Hufschlag der Pferde, dann war alles wieder in Stille und Dunkelheit begraben.

Braunhart, der vorausritt, befand sich in einer sonderbaren Stimmung. Früher hatte ihn bei der 11gleichen Raubstücken ein gewisses Schamgefühl, ein leises Rühren des Gewissens angewandelt, heute nicht mehr. Es kam ihm vor, als habe er ein vollkommenes Recht auf die Beraubung des Klosterkellers.

»Er gehört ja zum Besitztum meiner Mutter,« murmelte er boshaft in sich hinein. »Die also, die mich unter ihrem Herzen getragen hat, die ist jetzt so fromm geworden, daß sie nichts mehr davon weiß, noch wissen will. Sie hat es wohl ganz vergessen, daß ein Sohn von ihr noch lebt, oder wenn sie es nicht vergessen hat, so muß sie es doch vor der Welt verleugnen, in deren Augen sie als eine Heilige dastehen soll. Ich will übrigens der Sache genau nachspüren, und wenn ich die sichern Belege dafür habe, daß ich ihr Kind bin, dann will ich vor sie hintreten und sagen: ›Gottloses Weib du.‹«

In diesem Augenblicke fuhr ein heftiger Windstoß in die Tannenwipfel, der Reiter blickte auf und lachte vor sich hin.

»Ja wohl, weshalb solch großartige Redensart, wird es nicht besser sein, ich sage gleich zu ihr: Gebt mir Gold, hochheilige Äbtissin, findet Euch ab, damit ich ein einträglicheres Gut kaufen kann als dieses Rauhenau, das mir der Krieg in die Hände gespielt hat, dieses leere Nest, dann 12 will ich Euch in Ruhe lassen fürderhin und keine Seele soll es erfahren, was Ihr mir seid.«

Mittlerweile waren die Spießgesellen in der Nähe des Klösterleins angelangt. Es war ein Gebäude neben der Straße und von ihr durch eine ziemlich hohe Mauer getrennt und lag auf der Höhe eines Abhanges, der sich, mit Reben und Obstbäumen bepflanzt, bis an den See hinabzog. Über die Mauer beugten große Nußbäume sich herüber, und dichter Epheu hatte das Thor umzogen. Das ganze Anwesen, nur von einigen Schwestern und Dienstboten bewohnt, gehörte zum Stifte und hatte ein mehr ökonomisches als kirchliches Aussehen, was auch seiner Bestimmung entsprach. Hier wurden die Gemüse, das Obst, der Wein für den Bedarf der Stiftsfrauen in der Stadt gezogen, hier sammelte man in den Gärten die Nüsse, hier lieferte eine Anzahl Kühe die Milch und die Biene den Honig. Eine mehrere Tagwerke große Wiese gehörte zu dem Gütlein, wie das Anwesen genannt wurde. Auch an Geflügel aller Art fehlte es nicht, Garn wurde gebleicht, und ein Teil des Grundstückes trug Roggen und Gerste.

Nun hatte allerdings die Kriegszeit viel Übles gebracht, viel Schaden war ange 13richtet worden, aber man hatte es sich angelegen sein lassen, durch Fleiß, Sparsamkeit und Beihilfe der frommgesinnten Nachbarn die Verluste gut zu machen und einen ziemlichen Wohlstand wieder herzustellen. Zuweilen an Sonn- und Feiertagen fuhren die Frauen in schwerfälligen Kutschen heraus und besichtigten die Fortschritte ihrer Ökonomie. Eindringliche Lehren und Ermahnungen an den Verwalter und die Knechte flossen dann in Fülle. Die Frauen des Stiftes waren größtenteils Töchter adeliger Häuser und wußten wohl Bescheid über Pflege der Güter und Bodenkultur.

Auch ein kleiner Wald gehörte zu dem Besitz, und dieser Wald war es, an dessen Ausgang sich jetzt die vier Harten berieten, auf welche Weise sie am besten das Gütchen überfallen wollten.

Die Mauer war hoch, das Thor gut verriegelt, drinnen befanden sich Wolfshunde und handfeste Knechte. Durch eine Lüge sich Eintritt zu verschaffen, erschien nicht glaublich. Schlamphart meinte, bei den Kapuzinern im nahen Kloster wollte er schon leichter Einlaß bekommen; er sei gewohnt, um diese Zeit seine Beichte abzulegen, die Brüder würden ihn gewiß einlassen. Dann, wisse er, könnte 14 man durch den unterirdischen Gang, der ins Frauenkloster führe, in dieses gelangen.

Ein allgemeines Hohngelächter war die Antwort auf diesen Ratschlag, – »da sieht man's wieder,« hieß es, »Schlamphart will immer auf unterirdischen Wegen zum Ziele gelangen, indem er überirdische Zwecke vorgiebt. Aber daraus wird diesmal nichts, alter Schleicher, diesmal mußt du mit ins Zeug, und geht's drunter und drüber – mitgegangen, mitgehangen.«

Jetzt zog Grimmhart unter seinem Mantel etwas an einer Schnur, die ihm über die Schulter hing, hervor und zeigte es Braunhart, der freudig erstaunt ausrief: »Das ist ja eine Heertrompete.«

»Ja,« antwortete jener, »die hab' ich mir mitgenommen, als es zu Ende und ich davon ging. Alle Signale der kaiserlichen Armee habe ich los, vor manchem Schloß, vor manchem Städtlein hab' ich mit diesem Stück zur Übergabe geblasen, und so mein' ich, wir sollten vor das Klösterlein reiten und im Namen des Landeshauptmannes, des Grafen Wolfeck, Einlaß und Quartier begehren. Wir seien ein Fähnlein Reiter, ausgeschickt, um die Gegend von Räubern und Zigeunern zu säubern, und wollten vom langen Ritt hier Rast halten, die 15 Pferde könnten nicht mehr weiter. Glaubt nur, ich weiß meine Worte schon zu stellen, daß es Art hat und man uns Glauben schenkt. Sobald das Thor aufgeht, galoppieren wir hinein, jeder sein Pistol und das Schwert in der Hand, und hauen alles nieder, was sich widersetzen könnte.«

»Das ist ein Anschlag, der sich hören läßt,« rief Braunhart, welcher sich stets als der Anführer gebärdete und auch von den andern als solcher betrachtet wurde. »Grimmhart, du bist ein ganzer Kerl, und somit Kraut auf die Pfanne und vorwärts!«

Rasch ritten sie dahin und alles ging so, wie sie es vorbedacht und vorausbestimmt hatten. Der Knecht am Thor, ein alter Mann, der zeitlebens auf dem Hof dienstbar gewesen und völlig unerfahren in Listen und Ränken war, öffnete gutwillig und erhielt sogleich einen Schlag auf den Kopf von Grimmhart mit der Trompete, daß er schwerbetäubt niedersank. Das Pferdegetrappel weckte auch die übrige Dienerschaft aus dem Schlafes alles rannte in Verwirrung umher, wer über die Schwelle trat, dem wurden die Pistolen auf die Brust gesetzt und die Hände gebunden. Sobald man alle beisammen 16 hatte, wurden die Gefangenen in eine Kammer geschleppt und die Thüren hinter ihnen abgeschlossen. Den schreienden Nonnen und Mägden bedeutete man, daß sie schweigen sollten, wenn ihnen ihr Leben lieb sei.

Hierauf ging das Zechen los, alle Fässer wurden angestochen und die Weine darin versucht; welcher den Freibeutern nicht schmeckte, der wurde unter Lachen und Höhnen weggegossen, vom besten wurde ein kleineres Faß gefüllt und dasselbe zum Mitnehmen bestimmt und aufgeladen; Wagen und Gaul fanden sich im Kloster.

Braunhart, den dies wüste Treiben anwiderte, schritt über die Treppe einen Korridor entlang, er suchte und wußte nicht was. Ein Lichtschimmer zog ihn an, eine Ampel beleuchtete ein großes in Holz geschnitztes Muttergottesbildnis, schön bemalt, ein edles Kunstwerk aus früherer Zeit. Das leichtgesenkte, leidende Antlitz der Madonna übte eine eigene Macht aus über den Mann, der seit seinen Kinderjahren wohl schwerlich mehr das Innere einer Kirche betreten hatte.

Sein Annähern schien indes als unerhörter Frevel angesehen zu werden. Eine Greisengestalt trat ihm entgegen, eine Matrone, mit ängstlich drohender Ge 17bärde; sie streckte abwehrend die Hände ihm entgegen und rief: »Wenigstens vor heiliger Schwelle solltest du, ruchloser Räuber, zurückschrecken!«

»Seid Ihr die Äbtissin des Stiftes,« erwiderte Braunhart, »dann habe ich mit Euch ein paar Worte zu reden. Was der Kirche gehört, davon wird nichts angerührt. Setzt Euch auf diesen Betschemel und stehet mir Rede. Seid Ihr die Äbtissin?«

»Nein,« ward ihm zur Antwort, »nur ihre Schwester seht Ihr vor Euch.«

»Gut, dann seid Ihr ja meine Muhme.«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Nun, so will ich mich Euch rundweg erklären, und selbst diese heiligen Mauern sollen nichts davon vernehmen. Er beugte sich zu ihr nieder und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr. Sie schwieg.

»Euer Schweigen nehme ich als Bejahung,« sprach er, »Eure Schwester war heimlich vermählt mit einem italienischen Edelmann, in der That mit einem Abenteurer, der sie verließ, nachdem sie einem Knaben das Leben gegeben hatte.«

Die alte Dame sah ihn groß und starr an. Ein wilder Zorn, dessen Ausbruch sie kaum zu unterdrücken vermochte, blitzte aus ihren grauen Augen. 18 Von solchem Mund, von einem Räuber das zu hören, und was diese Worte noch verbargen! Diese Frage, das sagte ihr eine innere Stimme, diese Frage konnte nur jemand thun, der das schrecklichste Geheimnis ihrer Familie wußte und zu verraten beabsichtigte.

Sie hatte nicht den Mut, diesem Manne entgegenzutreten und ihm zu sagen: du lügst; noch weniger wagte sie den Versuch eines Anerbietens, ihm Schweigen abzukaufen. Sie verfiel in eine Angst, die all ihr Denken in Verwirrung brachte; sprachlos vor Schrecken starrte sie noch immer den Fremdling an, ihre Hand suchte nach einer Stütze, um sich aufzurichten.

Braunhart, der dies bemerkte, ergriff ihren Arm und sprach sanft: »Euer Schweigen ist beredter als alle Worte, Matrone, ich bin Euer Neffe; daß Eure Schwester mein Dasein verleugnete, meine zarte Jugend fremden Händen überließ, ist schuld an allem. Ja, ich bin ein Freibeuter, ein gefürchteter Nachzügler des großen Krieges – aber noch ist es Zeit zur Umkehr – was ich von dir verlange, ja mir erbitte, ist dieses: Vermittle eine Unterredung zwischen mir und meiner Mutter, eine geheime Zusammenkunft, denn auf mich wird dort gefahndet, wo sie lebt; vor ihrer Welt 19 und Umgebung bin ich ein Ausgestoßener, und sie soll nicht der Nachrede ausgesetzt sein, daß sie mit einem Geächteten gesprochen habe.«

Kaum hatte Braunhart dies gesagt, als aus dem Hofe herauf Schüsse krachten, Lärm und Waffengeklirr ertönten. Er blickte nach dem Gange zurück, sprang an ein Fenster und dann nochmals zu der Matrone.

»Wollt Ihr, wollt Ihr? rasch, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren! Die Äbtissin hat nichts zu befürchten, sie ist mir heilig und ehrwürdig, aber sehen und sprechen muß ich sie.«

Die Alte sah noch einmal prüfend in das Antlitz des Mannes, der vor ihr stand. Etwas in seinen Zügen schien überzeugende Kraft für sie zu haben, sie nickte mit dem Haupte und sprach: »Ich will den Auftrag besorgen, es soll geschehen.«

»Gut, wehe Euch, wenn Ihr nicht Wort haltet!«

Damit ließ er ihre Hand los und stürmte den Korridor entlang, die Treppen hinab nach dem Hofe. Hier bot sich ihm das Schauspiel eines hartnäckigen und blutigen Kampfes. Seine Genossen waren von einer Anzahl städtischer Reiter angegriffen und verteidigten sich gegen die Überzahl mit äußerster Anstrengung. Sie suchten sich wenigstens 20 zur Flucht noch Gelegenheit zu bahnen, aber, wie es schien, vergeblich.

Das Trompetensignal war an ihnen zum Verräter geworden. Der Stiftsvogt, der bei ihrer Ankunft in der Schenke weggeritten, hatte bei der Thorwache des Städtchens die Anzeige gemacht, daß die vier »Harten« in der Schenke zum roten Kruge säßen und wahrscheinlich einen Anschlag planten. Darauf hatte man sogleich eine Streife ausgeschickt, die jedoch die Schenke leer fand. Als sich die Reiter bereits wieder auf dem Heimwege befanden, hörten sie die Trompete. Was muß das sein? sagten sie, und der Kommandierende befahl, sogleich nach der Richtung, woher der Schall kam, zu reiten. Es wurde ihnen bald klar, daß er nirgend anders herkommen könnte als vom Klostergütchen. Eiligst schwenkten sie dahin ab.

Grimmhart, der die Wache hatte, nahm die Städtischen erst dann wahr, als sie schon ganz nahe herantrabten. Kaum hatte er Zeit, seine Gefährten zu alarmieren, die noch rasch ihre Pistolen luden und nach ihren Pferden rannten, um sich davonzumachen. Es war zu spät, sie mußten sich zur Wehre setzen und waren eben nahe daran, zu unterliegen, als Braunhart auf dem Kampfplatz erschien.

Die Sache 21 nahm sogleich eine andere Wendung; im Nu hatte er einen der Reiter vom Pferde geschossen und einen seiner Freunde von zwei andern befreit. Die Landreiter, die so plötzlich einen neuen Feind vor sich sahen und noch mehrere hinter ihm vermuteten, stutzten und wichen zurück, was Braunhart Zeit gab, zu seinem Pferde zu kommen und sich hinauf zu schwingen. Er schlug mit verzweifeltem Mut um sich, aber trotzdem nahm der Kampf einen unglücklichen Ausgang für die armen Stegreifritter.

Braunhart sah einen nach dem andern unter den Hieben der Gegner niedersinken, er merkte wohl, daß ihm nichts mehr übrig bleibe als zu fliehen, somit setzte er seinem Pferd die Sporen ein, schlug den nieder, der ihm den Weg versperren wollte, und gelangte glücklich durch das Thor ins Freie.

Die Reiter ließen die Verwundeten liegen, die sie für tot oder doch wenigstens für unschädlich gemacht halten mochten, und erachteten es für das Wichtigste, den Anführer, als welchen sie Braunhart erkannt hatten, zu verfolgen. Dieser schlug die Richtung nach seinem Schlößchen Rauhenau ein, und da die Verfolger mehr vom Kampf ermüdet waren als er, so gelang es ihm, einen Vorsprung 22 und glücklich das Schlößchen zu erreichen.

Auf seinen Kopf war ein Preis gesetzt, und die Verfolger wollten, auch als sie ihn nach Rauhenau hineinkommen sahen, es dennoch nicht aufgeben, ihn einzufangen. Das Schlößchen lag in einem Waldthal, von einem breiten Sumpf umgeben, der es sehr gefährlich machte, sich ihm zu nähern. Eben jetzt nach mehreren herbstlichen Regentagen war es geradezu unmöglich, durchzudringen. Ein auf Pallisaden durch das Moor gebauter Steg bot nur für einen Reitenden oder Gehenden Platz.

Als Braunhart über diesen Steg weggeritten war, sah er sich um und bemerkte, daß die Verfolger noch ziemlich weit hinter ihm waren. Der Sumpf endigte sich in einen breiten und tiefen Graben, über den eine Zugbrücke nach dem Schloßhof führte. Der Burgwart, ein alter, durch den Krieg verarmter Bauer, der das Herannahen des Herrn bemerkt hatte, ließ die Zugbrücke nieder und dieser ritt ein. Hiermit war die ganze Besatzung beisammen.

Braunhart gab seinem Diener den Befehl, die Brücke schleunigst wieder aufzuziehen und, was an Gewehren vorrätig sei, herbeizubringen. Da nur immer ein Mann über den Steg vordringen und sohin leicht nieder 23geschossen werden konnte, so war eine Verteidigung der Rauhenau auf eine längere Dauer möglich.

Dies sahen die Landreiter auch ein, als sie am Rande des Sumpfes angekommen waren; sie schickten nach der Stadt um Verstärkung und um Geschütze. Es sollte eine förmliche Belagerung angestellt werden, denn diesmal durfte Braunhart nicht mehr durchschlüpfen, diesmal hatte man die Beweise eines Raubanfalles in Händen, und er sollte mit diesem für alle andern Übelthaten büßen.

Solches kümmerte indes vorläufig den Eingeschlossenen wenig. Totmüde und verwundet warf er sich auf sein Lager und sank, nachdem ihn sein Insasse verbunden hatte, in einen tiefen Schlaf. Als er wieder erwachte, war seine erste Frage, ob nichts Neues sich ereignet habe.

»Nein,« war die Antwort, »es zeigten sich wohl einige Reiter am Waldrande, sie kamen bis an das Moor, stiegen ab und schickten uns aus Arkebusen etlich unschädliche Kugeln herüber, dann machten sie wieder Kehrt.«

»Maushart!« – denn auch der Diener war ein Harter – rief jetzt der Schloßherr, »ich fühl' unbändigen Hunger, hast du was?«

»O Herr, wir haben genug Hirsch- und Reh 24wildpret im Keller, ich hab' Euch bereits ein ordentlich Stück gebraten und dazu eine Polenta gebacken, wie ich es von Italienern gelernt, die einmal über den Splügenpaß herüberkamen. Laßt's Euch schmecken und mög' es Euch stärken, Herr, nehmt auch einen guten Schluck Wein dazu, wir werden Arbeit genug bekommen, es sieht nicht aus, als wolle man uns in Ruhe lassen.«

»Zwanzig auf einen,« erwiderte Braunhart, »und doch soll ihnen die Lust vergehen. An Pulver und Blei haben wir, hoff' ich, keinen Mangel.«

»Daran nicht, aber wenn die Städter einmal was vorhaben, so sind sie hartnäckig,« erwiderte Maushart, »würde es nur über Nacht gefrieren, dann riet' ich Euch, über den Sumpf nach der andern Seite hin zu flüchten.«

»Oho! daß ich darin stecken blieb' und, wenn ich nicht erstickte, herausgezogen würde wie ein Frosch; nein, Alter, das geht nicht, lieber verhungere ich hier oder lasse mir das Schlößchen über dem Kopfe zusammenschießen und mich mit.«

Das kecke Wort schien in der That nicht unberechtigt. Kaum hatten sich Herr und Knecht zum gemeinsamen Mahle niedergesetzt, wobei sie nebenzu 25 fortwährend Spähe hielten, als mit einemmal die Ziegel auf dem Dache klirrten und über ihnen ein Teil der Zimmerdecke einstürzte, als hätte der Blitz ins Haus geschlagen.

»Da sind sie schon,« rief Braunhart, »beim Teufel, sie haben Haubitzen herbeigebracht! Schnell in den Keller und fülle Säcke mit Sand, daß wir wenigstens für unsern Schießstand eine Deckung haben! Wenn sie aber Bresche schießen und des Nachts dann herankriechen, kann es uns trotzdem übel ergehen.«

»Darum, alter Mann, rette du dich,« rief Braunhart aus, »ich habe schon so viel Schlimmes verübt, daß es außer Gott nur ein Wesen giebt, das mir verzeihen dürfte, und dieses ist die Äbtissin im Stift. Wenn heute nacht, wie vorauszusehen, das Moor festgefriert, so rette dich hinüber, und wenn du hörst, daß ich lebend in ihre Hände gefallen bin, so gehe zu dieser Frau und gieb ihr dies Blatt Papier, es stehen nur ein paar Worte darauf, aber es wird genug sein für mich und sie.«

Der Bauer versprach es und stellte sich mit seinem Feuerrohr an die Schießscharte. Braunhart, vom Wundfieber durchschauert, sank wieder auf sein Lager, wilde Phantasien zogen durch seinen Sinn, 26 und wie sehr er sich auch dagegen wehrte, er verfiel abermals in einen tiefen Schlaf, der anfangs einer Betäubung glich, dann allmählich sich in Träume verlor.

Er sah seine Mutter ihm entgegenkommen so mild und schön wie die, zu der er in seiner Kindheit gebetet. Anfangs schien sie ihm zuzulächeln, dann verdüsterten sich ihre Züge, wurden härter und härter und waren endlich die der Greisin, die ihm auf dem Klostergut entgegengetreten war. Jetzt schien sie sich über ihn zu beugen, ihr Gesicht wurde ganz steinern, sie legte das Haupt auf seine Brust, es war schwer, so schwer, daß er glaubte ersticken zu müssen.

Dann flog es wie ein grelles Licht über ihn, und als er nun stöhnend die Augen aufschlug, da war es nicht das Haupt seiner Mutter, was ihm so schwer dünkte, es waren die Fäuste seiner Feinde, die hereingedrungen waren und ihn knebelten. Sie rissen ihn vom Lager auf und schleppten ihn nach der Thür.

Mit grimmigem Schmerz sah er die Leiche seines Dieners am Boden liegen. Der war also nicht von ihm gewichen, sondern war bei der Verteidigung seines Herrn erschlagen worden. Der Zettel, den er ihm gegeben hatte, lag neben ihm auf dem 27 Boden; hinstarrend las Braunhart seine eigenen Worte: Rette Dein Kind!

Als sie ihn aus dem Schlößchen ins Freie brachten, erkannte er wohl die Ursache des gelungenen Überfalles; es war wirklich starker Frost eingetreten, und was ihm Mittel zur Flucht hätte werden sollen, hatte den Angreifern die Einnahme des Schlößchens erleichtert.

Er wurde auf einen mit Strohbündeln gefüllten Karren gelegt, und so ging es über die holprigen Waldwege der Stadt zu. Die Erschütterung verursachte ihm heftige Schmerzen und überströmte zuweilen sein leichenblasses Gesicht mit Blut. Halb bewußtlos daliegend schlug er hier und da die Augen auf, dann sah er die Stadtreiter mit gezückten Schwertern neben dem Wagen und darüber hinaus die entlaubten Äste der Bäume wie Gespenster ihn angrinsen.

Es war am Allerseelentag noch früh am Morgen, als sie sich dem Weichbilde der Stadt näherten; vor dem Thore auf einer Anhöhe lag der Kirchhof, rings mit hohen Mauern umgeben, als gälte es, die Toten gegen die Lebenden zu verteidigen. Aus diesen Mauern bewegte sich eine Prozession. Ein langer Zug von Frauen in schwarzer 28 Gewandung und weißen Schleiern, jede eine Wachskerze in der Hand, trat seinen Rückweg nach der Kirche vom Orte der Gräber an. Sie sangen eine Litanei und blickten in regungsloser Andacht vor sich nieder, es war der übliche Bittgang der Klosterfrauen des Stiftes nach einer Messe für die armen Seelen; inmitten der Nonnen schritt die Äbtissin, eine hohe Gestalt, durchaus edel und majestätisch, die vollendete Vertreterin der kirchlichen Würde, die sie bekleidete.

Plötzlich wurde sie aufgehalten, und gerade vor ihr an einer Abzweigung der Heerstraße wurde der Zug unterbrochen, sie sah auf, und welch ein Anblick! Auf einem schmutzigen Fuhrwerk, auf Stroh gebettet, lag ein Jüngling von Staub und Blut bedeckt mit zerrissenen Kleidern, totenblaß. Er sah sie nicht, seine Augen waren geschlossen, sie aber hatte ihn nicht nur gesehen, ein furchtbares Aufblitzen alter Erinnerung fuhr wie ein Dolchstich durch ihre Brust, sie zitterte am ganzen Leibe und mußte von den nächsten der sie begleitenden Frauen gehalten werden, daß sie nicht zu Boden sank. Man schrieb es dem unerwarteten Anblick zu, der auf jedes Menschenherz einen entsetzlichen Eindruck machen mußte, der vor 29hergegangenen Nachtwache, der herbstlichen Frühkälte.

»Was ist da geschehen, wer ist dieser Unglückliche?« fragte sie kaum hörbar.

Einer der Reiter mochte wohl erraten, was die Frau wissen wollte, er rief von seinem Pferd herunter: »Es ist der, auf den wir schon lange fahnden, der seinem elenden Lebensende diesmal nicht entgehen wird. Verzeiht, hochwürdigste Frau, daß wir Euren frommen Weg durchkreuzten.«

Damit verneigte er sich und ritt seinem Zuge nach.

Was die Äbtissin Dominika geahnt hatte, sollte ihr bald zur Gewißheit werden. An einem der folgenden Tage erschien die Schwester vor ihr und berichtete von dem Überfalle jener Nacht. Sie schien weniger ungehalten als tief, aufs tiefste betrübt zu sein.

»Aber wie ich soeben sah und hörte,« sprach die Äbtissin mit erzwungener Ruhe, »sind die Räuber eingefangen und hierher gebracht worden.«

»Du sahst sie« – rief erschrocken die Schwester, »du sahst auch ihn?«

Die Äbtissin erblaßte, sie sank in ihren Stuhl.

»Es ist nicht möglich – o Agnes, sage mir, es ist nicht möglich, er war es nicht.«

Es lag ein so 30 qualvoller Ausdruck von Seelenangst auf diesem Gesichte, daß Agnes nicht wagte, ihr sogleich jeden Zweifel zu benehmen, daß Braunhart, der Anführer der Stegreifritter, ihr Sohn sei.

Sie sprach: »Ich will nicht leugnen, daß die Anzeichen alle, die dafür sprechen, trüglich sind und falsch kein können, er selbst jedoch glaubt es.«

»Er selbst! Du hast also mit ihm gesprochen?«

»Ja – und seine Gesichtszüge, der Ton seiner Stimme gaben ihm nur allzusehr recht.« –

Die Unglückliche verbarg ihr Gesicht in ihrer Hand und rief: »O es ist allzu schrecklich – Gott, wie furchtbar strafst du! – Aber ist es denn meine Schuld, daß es so kam – ließ ich ihn nicht für die Kirche erziehen, weihte ich nicht Gott seine Seele, wollte ich nicht, that ich nicht alles, daß der Friede seines Innern nie von den Kämpfen und Übeln dieser Welt befleckt würde! Und nun mußte es so kommen! Wie war es nur möglich! Hast du nichts von ihm erfahren können?«

»Von ihm selbst nicht,« entgegnete Agnes, »als er aber von den Reitern hart bedrängt hinweg gesprengt war und alle ihm nachsetzten, blieben seine Gefährten verwundet in unserm Hofe zurück. Ich 31 ließ sie verbinden und pflegen, obwohl sie Räuber und Verbrecher sind, teils aus christlicher Pflicht und Nächstenliebe, teils auch von dem Vertrauen bewegt, etwas aus ihrem Munde über deinen Sohn zu erfahren.«

Die Äbtissin seufzte und heftete in fieberhafter Spannung ihren Blick auf die Lippen der Schwester. Diese fuhr fort:

»Ich erfuhr also, daß Bernhard, oder wie sie ihn jetzt heißen, Braunhart sehr bald, nachdem er von seinen bisherigen Pflegeeltern ins Kloster gebracht war, große Fähigkeiten, aber auch eine unbezähmbare Wildheit an den Tag legte, ein trotziges und hochfahrendes Wesen, das die frommen Väter vergeblich mit Mahnungen und Bestrafungen zu bändigen suchten. Es wuchs immer mehr und mehr mit ihm auf. Eines Tages zog eine Abteilung von der schwedischen Armee an Zwiefalten vorbei, sie machten Halt, schlugen ein Lager auf und brandschatzten das Kloster. Am folgenden Morgen war ein Zögling mit den Soldaten weggezogen und kehrte nicht mehr zurück.«

»Und mir verschwieg man das!« rief die Äbtissin entrüstet aus.

32 »Es geschah wohl aus Schonung für dich und in der Voraussetzung, dein Sohn würde bald wieder zurückkehren. Bei seiner stürmischen und widersetzlichen Art ließ sich annehmen, daß ihm soldatische Zucht und Ordnung nicht auf die Dauer gefallen würde. Aber er kam nicht wieder; ja seltsamer Weise zog es ihn nach dem Friedensschlusse in diese Gegend zurück, er kaufte mit der erworbenen Kriegsbeute, die er zu Geld gemacht hatte, ein elendes Schlößchen, Rauhenau genannt, zu dem ein paar Äcker und ein Jagdbezirk gehörten, hier lebte er anfangs wie der wilde Jäger, verließ nur bei Nacht sein Schloß und streifte über Wald und Felder. Bald lernte er einige seiner Nachbarn, Gleichgesinnte kennen, es kamen ehemalige Kriegskameraden zu ihm, lungerten auf seinem Gute herum, und als die allerdringendste Lebensnot an sie herantrat, verbanden sie sich gegenseitig zu allerlei Abenteuern, die anfangs als tolle Streiche gelten konnten, bald aber zu verbrecherischen Thaten wurden; sie raubten und – mordeten.«

Mit einem Schrei fuhr die Äbtissin auf, sie hielt sich zitternd an die Lehne ihres Stuhles.

»Und jetzt,« sagte sie endlich und nickte mehrmals schwer 33mütig vor sich hin, »jetzt ist das Gericht Gottes über ihn gekommen, und nicht nur dies, auch der weltliche Arm der Gerechtigkeit trifft ihn, und er trifft uns mit. Gott ist barmherzig, die Menschen sind es nicht. Ich kann ihn nicht auf elende und schmähliche Weise umkommen lassen, ich muß ihn retten – aber wie? Ach, mein Gefühl drängt mich dazu, ein Rest mütterlichen Gefühles; aber die Furcht vor der entsetzlichen Schande, wenn es bekannt wird, wer er ist, lähmt mir jeden Entschluß, bindet mir die hilfebereiten Hände. Agnes, rate mir, verlasse mich nicht in dieser jammervollen Lage! Was soll ich thun?«

»Einstweilen glaube ich,« riet Agnes, »hast du abzuwarten, was diejenigen mit ihm vorhaben, die jetzt seine Richter sind, die Räte dieser Stadt, die er schon mehrfach geschädigt hat.«

»Meinst du, mit Lösegeld könnte ich seine Befreiung bewirken? – sie könnten ihn dann verbannen, in die Acht erklären, was sie wollten, er müßte ihnen Urfehde schwören.«

»Das alles würde nur Verdacht gegen dich erwecken und ihm nichts nützen, es würde vergeblich sein. Ihr Haß ist zu groß, zuviel Übles hat er 34 ihnen angethan, sie wollen sein Leben und sie wollen es auf eine schmähliche Weise beendet sehen.«

»Du glaubst doch nicht …?«

»Wenn du aus jenem Fenster nach Osten blickst, so gewahrst du nicht weit im See eine kleine Insel, dort – –«

»Ach« – rief die unglückliche Frau – »jetzt weiß ich alles, aber das Äußerste mahnt mich an das Letzte, was ich zu seiner Rettung thun kann. Mir, der gefürsteten Äbtissin, steht das Begnadigungsrecht eines zum Tode Verurteilten zu. Wenn der arme Sünder auf dem Wege zum Richtplatz ist, habe ich das Recht, an ihn hinzutreten und mit jener goldnen Schere, die du dort siehst, den Strick zu durchschneiden. Gott, mein Herr und höchster Richter, ich werde dieses Recht nun an dem ausüben, dem meine Schuld das Leben gab, den meine Thorheit, nein, eine Sünde, größer noch als die erste, mein irdischer Hochmut, zum Verbrecher machte; an dem, der Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut ist, der mir ein teurer, liebevoller Sohn sein könnte, eine Stütze, eine Freude meines Alters! O hilfreiche Mutter im Himmel, sieh meinen Schmerz und habe Gnade mit mir!«

35 »Sie wird dich nicht verlassen,« sagte mit dumpfer Stimme die Schwester, »vor allem wirst du bis zu jenem Tage dich mit Geduld und Ergebung waffnen müssen. Unsägliche Leiden stehen dir bevor.«

»Was ist aus den andern geworden?« fragte die Äbtissin nach längerem Stillschweigen.

»Wohl erwartend, daß ihre Auslieferung von uns verlangt würde, ließ ich sie sobald wie möglich frei,« gab Agnes zur Antwort.

»Wenn die denn kühn sind sie genug, ihn befreien würden? Mit Geld und allem wollt' ich zu Hilfe sein.«

»Sie leiden wohl noch an ihren Wunden und halten sich in Verstecken auf, auch ist derjenige, der ihr Anführer war, zu wohl bewacht, als daß eine Befreiung möglich wäre. Diese Hoffnung gieb auf!«

»Schicke wenigstens jemanden zu ihnen, der sie von allem, was vorgeht, benachrichtigt!«

»Das werde ich auf jeden Fall thun, und nun behüte dich der Himmel, bis wir uns wiedersehen. Sei stark, sei mutig und vertraue auf Gott!«

Die Schwestern trennten sich unter Umarmung und Thränen.

Dominika trat ans Fenster und 36 öffnete es. Der Klang von Kirchenglocken hallte vom anderen Ufer des Sees herüber und zugleich zogen die Nebel, die bisher über der Wasserfläche gelagert hatten, sich allmählich in die Höhe und ließen die milde Herbstsonne und den blauen Himmel hervorleuchten.

In Erinnerung versunken, blickte sie hinaus. Dort drüben, hinter jenen waldigen Vorbergen lag das Schloß ihrer Eltern, ein hochgegiebeltes Gebäude mit Türmen und einem großen Hof und Garten. Dort hatte sie ihre schöne Jugendzeit verlebt. Sie glaubte die weißen Mauern herüberschimmern zu sehen. An den Abhängen des Berges, auf dem das Schloß stand, rankten die Reben in gelbrötlichem Blätterschmucke, die Trauben waren langst gekeltert.

Welch schöne Tage, welch reizende Feste hatte sie dort gesehen! Von Nah und Fern waren die Edelleute mit ihren Familien zur Weinlese gekommen, da wurde fröhlich gesungen, gescherzt und bei Fackelschein getanzt.

Zu einem dieser Feste hatten einst Anverwandte einen Mailänder Herrn mitgebracht, einen schwarzbärtigen Lombarden. Wie stachen gegen die Pracht seiner Kleidung, gegen sein feines Benehmen und seine feine melodische Sprache die einfachen alt 37väterischen Sitten und Trachten des einheimischen Adels ab, wie bezaubernd war seine Rede, wie einnehmend sein Blick, wie mächtig seine Haltung und seine Gestalt! Er wußte in dem Herzen des jungen Mädchens eine Liebe zu entzünden, die sie ganz in seine Gewalt gab.

Einstens hatte er eine Reise zu Pferd in die höheren Alpenpässe vorgeschlagen, er würde seiner Geliebten eine Fernsicht in die lombardischen Gebiete zeigen, und er blieb an diesem Tage und dem folgenden ihr steter Begleiter. Abends, als man sich, wie vorausbestimmt war, in dem Hospiz zusammenfinden sollte, fehlten der Fremde und die Tochter des Hauses.

Welche Tage des Jammers kamen jetzt über die Unglückliche! Sie wagte nicht mehr, die Erinnerung daran heraufzubeschwören. – Nach vielem Elend ward ihr endlich von den Ihrigen verziehen unter der Bedingung, daß sie den Schleier nehme. Sie that es. Das Kind wurde ins Nachbarland zur Pflege gegeben.

Alles das stand jetzt wieder lebhaft vor ihrem Gedächtnisse, jahrelang war es darin wie eingeschlafen, wie ausgelöscht gewesen, jetzt tauchten diese Bilder ihrer Vergangenheit wieder vor ihr auf und mit all den Wunden und Schmerzen, die 38 sie jemals erlitten hatte. Nun wohnte niemand mehr da drüben in ihrem Heimatschlosse von all den Ihrigen; eine Seitenlinie des alten Geschlechtes hatte Besitz davon genommen, nur die Schwester war ihr in die Einsamkeit des Klosterlebens gefolgt.

Die hellen Mittagsglocken verstummten, ein rascher Nordwestwind trieb neuerdings Nebelwolken über den See und hüllte das jenseitige Ufer mit seinen Bergen in düsteres Grau.

Die Äbtissin erhob sich: es galt zu handeln, nicht länger mehr zu träumen. Sie schrieb einen Brief an den hohen und ehrsamen Rat der Stadt, zunächst an den Bürgermeister gerichtet. Sie überwand sich und wünschte Glück zu der Einbringung eines so gefährlichen Feindes wie dieser Braunhart; dann stellte sie die Frage, ob der Gefangene nicht etwa ihres Bekenntnisses sei, in diesem Falle gebiete es ihr die Pflicht, zu erinnern, daß man einen Geistlichen seines Glaubens zu ihm lasse, der sein verstocktes Gemüt für Reue und Buße empfänglich machen würde.

Sie schloß den Brief und siegelte. Eine dicke schwarze Fliege hatte sich während dessen auf den Tisch vor sie hingesetzt, flog abwechselnd wieder auf und summte ihr ums Ohr; 39 sie erschrak. Sie dachte an die Qualen der Verdammten, an die unauslöschlichen Folgen der Sünde, an die Flammen in der Hölle.

»Und das wäre noch nicht das Ärgste, wenn ich dort büßen müßte für meine Sünden, aber der Gedanke, daß auch er verloren sein soll, ewig verloren! – und durch meine Schuld verloren! – –

Vielleicht ist er jetzt schon tot und verdammt, oder – wenn er noch lebt, flucht er mir – oder hofft auf Rettung von mir?« –

Sie sprang auf, klingelte und empfahl ihrem Diener, der den Brief zu überbringen hatte, die größte Eile. Sie hoffte damit viel gethan zu haben, ihr bedrücktes Herz fühlte sich erleichtert.


Der Bürgermeister der freien Reichsstadt war eben aus dem ersten Verhöre, das mit Braunhart angestellt worden, in das Ratszimmer zurückgekehrt, als ihm das Schreiben der Äbtissin gebracht wurde. Er las und lächelte.

»Die guten Frauen sind doch sogleich sehr besorgt um das Seelenheil eines Verbrechers! – Sie beglückwünscht mich zur Gefangennahme des gefährlichen Menschen, und draußen auf ihrem Gütchen ließ man seine Spießgesellen frei. 40 Darin scheint doch einiger Widerspruch. Aber was kann ich thun? Ich muß ihrem Ansinnen willfahren, hieße es doch sonst, ich hätte dem Elenden den Trost seiner Religion verweigert, und ein Lärm würde davon in alle Lande gemacht werden, daß es bis zu den Ohren des Kaisers dränge. Man sagte mir übrigens, er soll aus einem vornehmen Hause sein, nun, sein hochfahrendes Wesen, der Trotz, mit dem er im Verhöre sich uns gegenüber verhielt, sprechen schon dafür. Aber wie dem sei, darauf haben wir nicht zu achten, ich suche den Prozeß so schnell wie möglich zu beenden, dem Galgen soll sein Futter nicht länger vorenthalten bleiben.« –

Nach diesen Worten wiegte der Gewaltige das Haupt mit den langen, um die Schulter wallenden Locken, wie der olympische Jupiter. Er war auch wirklich ein stattlicher Mann von ungewöhnlicher Größe und Stärke, mit vollem, gebräuntem Antlitz, hervorragender und gebogener Nase, ein echter Römerkopf. In seiner Amtskleidung, in schwarzem Mantel, hoher Krause, die goldne Kette um den Hals und den Haudegen an der Seite bot er eine mächtige und Vertrauen erweckende Erscheinung. In die Sitzungen folgten ihm stets 41 eine Schar von Bürgern und die Ratsdiener, bei feierlichen Anlässen schritt eine Wache vor ihm her mit Hellebarden und Hüten mit wallender Feder; wenn er vierspännig ausfuhr, rannten zwei Läufer in grün und weißer Livree vor seiner Staatskutsche.

Mit den Frauen des Stiftes stand er auf bestem Fuße, die konfessionellen Angelegenheiten zwischen dem katholischen Stift und der evangelischen Stadtgemeinde waren seit dem westfälischen Frieden in feste Normen geregelt, und der Bürgermeister war bedacht, diesen Frieden auch in die Gemüter überzutragen und ein gegenseitiges friedliches Auskommen zu begründen und fest zu halten. Das gelang ihm denn auch. Einzelne Häkeleien abgerechnet, lebten die Bürger mit den Beamten des Stiftes in bestem Einvernehmen. Die Mauer, welche beider Gebiet trennte, schien gar nicht nötig.

Indessen befand sich der Gefangene in dumpfer Gleichgültigkeit, nachdem die ersten Ausbrüche der Raserei und Verzweiflung vorüber waren. Er lag in einer engen niederen Stube des ersten Stockwerkes im sogenannten Diebsturm. Wenn er sich an das schmale, eisenvergitterte Fenster aufschwang, sah er die weite Fläche des Sees, der bis nah an 42 den Fuß des Turmes reichte, bei stürmischem Wetter oft seine Wellen über die Stadtmauer schleuderte.

»Grimmhart,« dachte er, »könnte schon da herauf, und wenn er noch lebt, so findet er sicherlich eine List aus, um mich zu retten.«

Der Arme hoffte nur von seinen Genossen Befreiung, an seine Mutter dachte er nicht. Ja, er dachte wohl an sie, aber er erwartete nichts von ihr. Im ersten Verhöre war einmal der Gedanke in ihm aufgestiegen, seine Abkunft geltend zu machen, doch er verwarf diesen Ausweg sogleich als nichtig: würde man ihm glauben? nein! und wenn – würde das hinreichen, ihm Straflosigkeit oder auch nur eine gelindere Strafe eintragen? Schwerlich.

So schwieg er denn über diesen Punkt und begnügte sich, allen Fragen des Richters mit handgreiflichen Lügen und mit Worten eines empörenden Hohnes zu begegnen, er wußte, daß er damit seine Sache nicht verschlimmern, vielleicht aber deren Ausgang verzögern könne. Er ließ sich Andeutungen scheinbar unwillkürlich entschlüpfen, die auf eine größere Verschwörung der adeligen und geistlichen Reichsunmittelbaren gegen die freien Städte hinwiesen. Er rechnete darauf, daß man infolgedessen mehr von ihm zu 43 erfahren wünschen, und daß sich auf diese Weise der Prozeß in die Länge ziehen würde.

Seine Absicht schien auch Erfolg zu haben. Die Aufregung in der Stadt war eine ungeheure, die verschiedensten Gerüchte gingen umher, und die Besorgnisse nahmen immer größere Ausdehnung an.

Es war selbstverständlich, daß auch auf dem Lande über das Ereignis gesprochen wurde, und daß die Genossen Braunharts, die überall fleißig hinhorchten, Kundschaft bekamen. Krummhart, dessen Wunde nicht ganz geheilt war, und der deshalb seinen Namen mit vollem Rechte trug, hinkte mehrmals als Bettler verkleidet – übrigens war er auch einer – zur Klosterschwelle und wurde denn auch eines Tages vor die Verwalterin des Gutes, vor Agnes, geführt. Sie erkannte ihn sogleich und gab ihm Nachricht von seinem Gefährten. Durch den Beichtvater, den man diesem gegeben hatte, war eine Vermittelung möglich gewesen, wer hätte auch vermuten können, daß die ehrwürdigen Frauen des Stiftes heimlichen Verkehr mit dem angeklagten Verbrecher unterhielten?

Krummhart erfuhr, daß der Gefangene von ihm und den beiden andern Harten Befreiung hoffe, 44 und Agnes sprach es geradezu aus, daß auch sie die gleiche Erwartung hege. Krummhart schüttelte den Kopf.

»Unmöglich«, beteuerte er, »das geht ganz und gar nicht, wie sollten wir was ausrichten können, wir paar Leute gegen eine ganze Stadt, die jetzt doppelt auf ihrer Hut ist; sagt nur, wie Ihr Euch so was vorstellt? Habt Ihr etwa einen Plan?«

»Nun, ich meine so! Wenn der Gefangene vom Turm ins Verhör geführt wird, ist er nur von zwei Scharwächtern begleitet, die könntet Ihr überfallen und bewältigen. Das Thor, das vom Stift aus in die Stadt führt, soll um diese Zeit offen stehen, das könnt Ihr leicht erreichen, und seid Ihr einmal drinnen, so habt Ihr Zuflucht und seid in Sicherheit.«

»Das alles müßte am hellen Tag geschehen,« meinte Krummhart, »und solches sind wir nicht gewöhnt; wir können hübsche Thaten ausführen, aber die Nacht brauchen wir dazu. Übrigens will ich es Grimmhart und Schlamphart zu wissen thun, wir wollen darüber raten.«

»Wo haltet ihr euch auf?«

Krummhart zögerte mit der Antwort – als ob er doch nicht ganz traue, aber Agnes fuhr ihn 45 heftig an: »Wie, Ihr werdet doch keinen Argwohn haben? Wie soll da etwas zustande kommen, wenn Ihr uns nicht vertraut?«

»Kennt Ihr das Boenreuter Tobel,« versetzte Krummhart, – »nun, dort ist im Wald eine Höhle, und es heißt, daß Euer Vorgänger hier, der verstorbene Verwalter, nach seinem Tode in diese Höhle gebannt ist. Er hat dem Kloster manch schönes Silbergeschirr entwendet, zur Strafe dafür sitzt sein Geist in jenem Felsloche, und viele Leute haben ihn schon gesehen, wie er an heiteren Tagen, wenn die Sonne recht lieblich scheint, unter dem Eingang sitzt und das gestohlene Silber putzt. Deswegen ist der Ort gemieden, und deswegen sind Eure unterthänigsten Freunde daselbst sicher.«

Krummhart machte nach diesen Worten eine Verbeugung und wandte sich zu gehen.

Die Matrone reichte ihm, als wäre er wirklich ein Bettler, ein Almosen und ging ins Kloster zurück.

Als Krummhart zu seinen Freunden in die Höhle kam, legte er ihnen den Plan, wie Braunhart zu befreien wäre, vor und war erstaunt, wie gut der Vorschlag aufgenommen wurde. Besonders 46 Schlamphart war es, der ihn sehr billigte, er gedachte sich jedenfalls, es möge nun kommen, wie es wolle, durch das offene Thor ins Stift zu flüchten. War' er einmal drin, dann würd' es ihm schon gut gehen, das sah er voraus, und er kostete jetzt schon im Geiste die vortrefflichen Bissen der Klosterküche.

Um so weniger Vertrauen schenkte dem Unternehmen, als sie davon hörte, die Äbtissin; es war ihr unangenehm, mit diesen Menschen überhaupt in Gemeinschaft treten zu sollen, von deren Mut und Treue sie die allergeringste Meinung hatte. Ihre Zuversicht war einzig das ihr zustehende Begnadigungsrecht, und sie traute sich Standhaftigkeit genug zu, es anzuwenden.

Wenn sie sich freilich vorstellte, welcher Anblick es für sie sein würde, ihren Sohn in der Verbrecherkleidung, mit dem Strick um den Hals, gebunden, zwischen Henkersknechten herankommen zu sehen, in seine Augen zu schauen, in sein von der Todesangst entfärbtes Gesicht, – o, da schwindelte ihr bei dem bloßen Gedanken; aber sie besaß Geistesstärke genug, sich diesen Gedanken oft und immer wieder zu vergegenwärtigen, sich allmählich mit ihm vertraut zu 47 machen, sich förmlich für den Augenblick in ihre Lage und für alles, was sie dabei zu thun hatte, wie in eine Rolle, die zu spielen war, einzuüben.

Bald schauderte sie nicht mehr, wenn sie daran dachte; sie hatte das heftige Pochen ihres Herzens unterdrücken gelernt, sie hatte sich geprüft, und ihre Hand zitterte nicht mehr, wenn sie die verhängnisvolle Schere zur Hand nahm, die für Einen nun die entgegengesetzte Bestimmung von jener der Parze haben sollte.

Der Tag des letzten Verhörs, der Tag, an dem das Urteil gesprochen werden sollte, rückte heran.

Das Frauenstift mit der Kirche und einem geräumigen Garten bildete ein für sich bestehendes Ganzes, das rings von Mauern umschlossen war. Nur gegen die Seeseite hin nach der Brücke befand sich ein Thor und eines gegen den anderen Stadtteil, der von der protestantischen Bürgerschaft bewohnt war. An das Seethor konnte man auch mittels eines Bootes gelangen.

Auf einem solchen landeten in der Nacht vor dem Tage, der über Braunharts Schicksal entscheiden sollte, die Gefährten Krummhart, Grimmhart und Schlamphart. Sie wurden auf ihr leises Klopfen sogleich einge 48lassen und gelangten durch das andere Thor in die Stadt, die noch in tiefstem Morgenschlummer lag. Sie waren mit Dolchen bewaffnet und wußten sich bis zum Tagesanbruch in bekannten Schlupfwinkeln zu verbergen.

Als um 9 Uhr morgens Braunhart aus dem Turm abgeholt und nach dem Rathause, in dem sich der Verhörsaal befand, geführt wurde, entstand in einem nahe gelegenen Hause ein Brand, der die Aufmerksamkeit der Menge, welche sonst den Gerichtsgang begleitete, plötzlich abzog. Alles rannte nach dem Hause zu, aus dessen Schornstein dicker Rauch emporwirbelte.

In diesem Augenblicke stürzten sich die drei Harten auf Braunhart und seine Wache; an dem ersteren wurden sogleich die Bande, die seine Hände gefesselt hielten, durchschnitten und zugleich die beiden Schergen an seiner Seite niedergestoßen.

»Ins Stift!« raunten sie dem Befreiten zu, »schnell, schnell, man läßt uns das Thor offen!«

Braunhart drückte den Freunden die Hand und brach in fröhliches Lachen aus. Er entriß dem einen der im Blute daliegenden Scharwächter die Hellebarde und folgte den Kameraden, die ihn rasch mit sich fortzogen, denn er selbst war wie ein 49 Trunkener, wie einer, der aus tiefem Schlaf erwacht, stehen geblieben und hatte dann einer ungezügelten Freude sorglos sich hingegeben.

»Fort, fort!« riefen sie ihm zu, »nachher springe und jauchze, nur jetzt nimm dich zusammen und eile!«

Er folgte, indem er die Faust drohend gegen die an den Fenstern sich zeigenden Leute hob, und schon bogen sie in den Weg ein, der auf das rettende Thor mündete, als aus einer Nebengasse eine andere Abteilung der Scharwache hervorkam und ihnen den Weg abschnitt. Sie hatte die Bestimmung, denjenigen, welche den Gefangenen aus dem Turm brachten, vom Rathaus her auf halbem Wege entgegenzukommen und ihn in Empfang zu nehmen und in die Verhörstube zu bringen. Nun waren sie heute wegen des Feuers und des Zulaufes der Menge genötigt gewesen, einen anderen Weg zu nehmen.

Braunhart, der sie wohl kannte, stürzte sich mit seiner Waffe sogleich gegen den ersten, und Grimmhart warf sich mit seinem Dolch auf den zweiten, während Krummhart und Schlamphart die Flucht ergriffen. Sie entschlüpften, gedeckt durch den Angriff der beiden andern, und brachten ins Stift die Meldung von dem verunglückten Be 50freiungsversuche; sie hatten nämlich gesehen, wie sich immer mehr Wachen und Bürger zusammenscharten.

Grimmhart starb mutig kämpfend an Braunharts Seite, dieser selbst, auf dessen Inhaftnahme es hauptsächlich abgesehen war, und den man deshalb schonte, ward umzingelt, rücklings gepackt, niedergeworfen und abermals gefesselt. So, kaum noch der Rettung nahe und ihr so bald wieder entrissen, ward er ins Verhör geschleppt und das Todesurteil über ihn ausgesprochen.

Er hörte es schweigend an, und nur ein Seufzer: »O warum konnten die Schufte nicht auch mich wie den Grimmhart töten!« entrang sich seiner Brust.

Dann ward er wieder in den Kerker zurückgebracht. Der Urteilsspruch wurde noch in derselben Stunde der Äbtissin in einem amtlichen Schreiben bekannt gegeben und in der Stadt öffentlich ausgerufen.

Es war gegen Mittag, als eine Sänfte durch die Straße nach dem Rathause getragen wurde, umgeben von glänzender Dienerschaft. Hier angelangt, öffnete ein Trabant, und es trat die Äbtissin des Stiftes in vollem Ornat ihrer Würde heraus und stieg die Treppe hinan. Oben kam ihr der Bürgermeister entgegen. Mit zeremoniösem Anstand 51 geleitete er sie in sein Sprechzimmer. Ein großer und prächtiger Lehnstuhl wurde ihr herangerückt und sie zum Sitzen eingeladen. Sie verneinte stumm und begann sogleich stehend ihre Anrede.

»Hochgebietender Herr,« hub sie an, »mit Schmerz und Betrübnis haben wir erfahren, daß der hohe Rat sich genötigt sah, ein Todesurteil auszusprechen. Die Ruchlosigkeit jener bösen Gesellen ist uns bekannt, und wir haben oft im Gebet zu Gott um Befreiung von dem Übel dieser gefährlichen Menschen gefleht; dieses inständige Bitten ist erhört worden.«

Sie hielt ein wenig inne, wie von einer mühsam verhaltenen Gemütsbewegung erschöpft.

Der Bürgermeister verneigte sich und sprach:

»Leider ist es nur einer, der bisher in die Hände der Gerechtigkeit überliefert wurde, dieser aber wird der verdienten Strafe nicht entgehen, sein Leben ist verwirkt.«

Die Äbtissin errötete leichthin, es war offenbar, daß sie allen Mut zusammennehmen mußte, um nun zu erwidern:

»Wir haben in Anbetracht der Bußfertigkeit des Sünders, im Hinblick auf seine Jugend und in der Hoffnung, Gott werde ihm 52 noch auf Erden eine Frist zu seiner Besserung geben – wir haben beschlossen, von unserem Rechte Gebrauch zu machen, den armen Sünder auf seinem Wege zur Richtstätte mit eigener Hand zu begnadigen. An welchem Tage soll die Prozedur stattfinden?«

»Am dritten Tage von heute an, wir gewähren die gesetzliche Frist; Euch aber möchten wir bitten: erspart Euch den Weg und den traurigen Anblick, es würde fruchtlos sein.«

»Wie,« rief die Äbtissin aus, »fruchtlos?«

»Zu groß ist die Erbitterung der Bürger,« ward ihr entgegnet, »besonders seit dem Vorgange von heute morgen, zu schwer und empörend sind die Verbrechen, hier darf keine Gnade walten.«

Die Äbtissin erhob langsam ihre Hand, faßte das große goldene Kreuz, das vor ihrer Brust hing, und drückte es gegen sich, als wolle sie damit die Bewegung in ihrem Innern niederdrücken; dann sprach sie: »Das Begnadigungsrecht steht mir zu, ist uns verbrieft und heilig.«

»Entschuldigt, durchlauchtigste Frau,« nahm der Bürgermeister wieder das Wort, »dieses Recht ist Euch allerdings eingeräumt, und Ihr habt es be 53reits einmal ausgeübt, wir aber sind, es anzuerkennen, nur einmal verpflichtet. Nur einmal während ihrer Amtsführung hat jede Äbtissin das Recht der Begnadigung. Sollte Euch das unbekannt geblieben sein, oder hattet Ihr es vergessen?«

»Nur einmal,« wiederholte Dominika fast tonlos, »ja, ich hatte es vergessen, nur einmal.«

Jetzt schien ein harter Kampf in ihrem Inneren vorzugehen, sie fühlte, daß sie nicht mehr als Gleichberechtigte vor dem Bürgermeister der freien Reichsstadt dastand, nicht mehr mit ihm wie eine Behörde mit der anderen verkehrte, sondern daß sie jetzt sich zur Bittstellerin erniedrigen mußte. Aller Stolz in ihr sträubte sich entgegen, der Stolz ihrer Abkunft, der Stolz der Äbtissin; aber die Liebe blieb siegreich, die Liebe der Mutter – sie bat.

»Ist es möglich,« sprach sie, »so gestattet diesmal eine Ausnahme, auch haben wir gehört, der Verbrecher sei aus gutem Hause.«

»Um so mehr ist er strafbar,« entgegnete der Bürgermeister.

»Nein, nein,« rief die Äbtissin, »können wir wissen, welch unheilbringende Mächte, welch böse Gewalten, als vernachlässigte Erziehung, Verfüh 54rung, Leidenschaft ihn in diese entsetzliche Lage gebracht!«

»Ihr nehmt mehr Anteil an ihm, als er verdient, mehr Anteil, möcht' ich fast sagen, als sich ziemt,« war des Bürgermeisters hartnäckige Antwort.

Sie schien ihn nicht zu hören.

Der Mund des Mannes verzog sich zu einem überlegenen Lächeln. Er schüttelte das Haupt.

Die bleiche Frau sah dieses Lächeln, es durchfuhr sie wie ein Dolchstich.

»Bedenkt,« rief sie dann, »ich verlange ja nichts von Euch, als dasjenige, was nur durch einen Zufall vereitelt ist. Würde ich nicht mehr leben, so müßtet Ihr Gnade geben. Nicht ein Gesetz sollt Ihr ändern, nur einen usus. Heißt es nicht: der Buchstabe tötet?«

»Die Stadt,« entgegnete der Bürgermeister hierauf, »liegt im Prozesse mit dem Stift wegen einer Waldparzelle, wolltet Ihr nicht den bestrittenen Grund uns abtreten?«

»Ach,« rief sie, »ich bin nicht das Stift, ich kann nichts abtreten.«

»Nun seht, hochedle Frau, das ist auch mein Fall, ich darf nichts ändern an Gesetz oder usus.«

»Ihr dürft christliche Milde walten lassen! ich aber bin nur eine schwache und hilflose Frau hier, 55 ich bin nur gekommen, um zu bitten, flehentlich zu bitten, gebt Gnade!«

»Nein,« erwiderte der stolze Herr ihr gegenüber, »ich darf nicht.«

»Nicht,« wiederholte sie, »also wirklich nur einmal!«

Die letzte Silbe kam wie ein Hauch über ihre Lippen, und diese Lippen verzogen sich so bitter, so schmerzlich hart, und wurden so bleich, als wären es die einer Sterbenden. Ihr Haupt sank zurück, ihre Kniee brachen, und sie wäre zu Boden gestürzt, wenn der Mann, der vor ihr stand, sie nicht gehalten hätte.

Er klingelte und legte sie in die Arme der herbeieilenden Diener.

Totenblässe bedeckte ihr Antlitz, und ihre Augen waren geschlossen, als man sie in der Sänfte nach Hause brachte. Der herbeigerufene Arzt brachte sie ins Leben zurück und verschrieb die nötigen, stärkenden Mittel. Sie erholte sich, und das erste, was sie that, war, daß sie bis zum Abendläuten all ihre Frauen an ihr Krankenlager bestellte.

»Drei Tage noch,« sagte sie zu sich – »es wird möglich sein, ihn zu retten, aber nur durch meinen Tod kann es geschehen. Es giebt keinen andern Ausweg. Wenn 56 ich während dieser Frist sterbe, so geht das Begnadigungsrecht an meine Nachfolgerin über, und weil es das erste Mal sein wird, daß sie davon Gebrauch macht, so muß es anerkannt werden. Es ist nötig, daß ich sterbe, und ich werde es können.«

Als abends die Nonnen bei ihr eintraten, erschien sie vollkommen gefaßt, sie ernannte nach vorhergegangener Wahl ihre Nachfolgerin und sandte zugleich einen Boten an den Kurfürsten von Mainz, seine Bestätigung einzuholen.

Von ihrer Nachfolgerin, als welche sie eine der jüngeren Frauen, eine, die sich besonders durch Güte und Barmherzigkeit auszeichnete, empfohlen hatte, ließ sie sich das Handgelübde geben, den Verurteilten zu begnadigen. Diese kniete am Bette nieder und gab ihr das erbetene Versprechen, darauf brachte die Äbtissin ihren Mund an das Ohr der Knieenden und legte ein Bekenntnis ihrer Sünden ab.

Noch vor Tagesanbruch verkündeten die Glocken ihren Hingang. Auf offener Bahre wurde sie von den Schwestern zur Gruft der Stiftskirche getragen. Krummhart und Schlamphart, die noch nicht die geheiligte Zufluchtsstätte zu verlassen gewagt hatten, waren Zeugen der feierlichen Bestattung und folgten 57 in heuchlerischer Bußfertigkeit dem Kondukte. Sie hatten nicht außer acht gelassen, daß die Äbtissin mit ihrem goldenen Kreuze und einem kostbaren Fingerring in die Gruft gebracht ward. Die beiden Bösewichte sahen sich verständnisvoll an.

Die Kunde vom Tode der Äbtissin gab in der Stadt zu den seltsamsten Gerüchten Anlaß. Bald hieß es, der heftige Unwille über die ihr widerfahrene Kränkung und darüber, daß ihr Begnadigungsrecht nicht geachtet worden sei, habe der Herzkrankheit, an welcher sie schon lange gelitten, ein rasches Ende bereitet; man sagte aber auch, sie habe sich, damit im Zusammenhang, aus Reue über einen früheren Fehltritt, freiwillig den Tod gegeben. Wie viel an der einen oder der andern Sage Wahres sein mochte, oder wie es sich wirklich verhielt, darüber konnte nie etwas Bestimmtes in Erfahrung gebracht werden.

Als am Tage nach ihrem Tode Braunhart zur Hinrichtung geführt wurde, als er schon am Ufer stand, von wo aus er das verhängnisvolle Boot besteigen sollte, erblickte er eiligen Schrittes eine Schar Klosterfrauen herankommen. Sein fahles Antlitz belebte sich, in den Augen blitzte ein Hoffnungs 58strahl; sie kommt, sie wird ihn retten, er wird sie sehen, die mütterliche Liebe hat gesiegt!

Jetzt trat aus der Mitte der Nonnen eine zarte Gestalt hervor, sie schlug den Schleier zurück und zeigte ein engelgleiches Gesicht voll Erbarmen und Güte. Sie sah ihn fremd und ruhig an, hieß ihn niederknieen und schnitt mit der goldenen Schere, die ihr von einer der begleitenden Frauen gereicht wurde, den Strick an seinem Halse durch. Ebenso rasch wie sie gekommen war, entfernte sie sich wieder.

Niemand hatte gegen ihre Handlung Einsprache gethan. Es mochte sein, daß die Richter eine Ahnung von all dem hatten, was sich hier Geheimnisvolles und Schicksalsreiches zugetragen; sie erhoben keinen Widerspruch und begnügten sich, den Verurteilten für ewige Zeiten des Landes zu verweisen.

Er soll in den Türkenkrieg gezogen und dort gefallen sein.

Bevor er aber sich entfernte, erhielt er noch die Gewährung einer Bitte: es ward ihm gestattet, die Gruft, in welcher die Äbtissin beigesetzt war, zu betreten.

Er näherte sich dem Sarge, er hob den Schleier von dem Antlitz der Ver 59storbenen, seiner Mutter, die er in diesem Augenblick zum erstenmal in seinem Leben sah, als Tote sah und nie wiedersehen sollte. Es war nicht Schmerz, nicht Trauer, was ihn erfaßte, auch nicht Reue – es war ein größeres und erhabneres Gefühl, das seine Seele jetzt ganz ausfüllte und ihn über sich und sein Schicksal hinwegtrug. Er preßte die Stirne an die metallne Wand des Sarges und schloß die Augen, als wollte er ebenso von aller Welt jetzt wie diese Tote abgezogen und von allein Irdischen los sein. Und siehe, da war es ihm, als richte sich die Leiche langsam auf und sehe ihn gütig an und voll unendlicher Liebe und neige sich über ihn. Jetzt erst empfand er den unendlichen Verlust, er hatte nun, und nur dies eine Mal die beseligende Macht der Liebe verstanden.

Tief aufseufzend sprang er empor, die Tote lag reglos in ihrem Sarge, aber darüber her blitzten ihm die schielenden Augen Schlampharts entgegen, und hinter ihm tauchte der struppige Kopf des andern auf. Sie hatten sich ihm nachgeschlichen, um einen Diebstahl zu begehen; ein furchtbarer Blick von ihm scheuchte sie hinweg, er folgte ihnen, bis sie die Schwelle der Gruft verlassen hatten, dann 60 wandte er sich nochmals zurück und preßte die Lippen auf die bleiche, starre Hand seiner Mutter. Es war eine feierliche, für ewig weihende Versöhnung. Als er die Stätte des Friedens verließ, hallte die Glocke mit mächtigen Schlägen durch das Gebäude, und mit dem letzten schloß sich die Gruft von selbst, wie von Geisterhand bewegt.


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