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2.

Die Kunde von der Ermordung Baldwins und Birds erregte große Aufregung in der kleinen Kolonie von Yokohama. Die beiden Unglücklichen waren zwar nicht die ersten Opfer japanischen Fremdenhasses: der edle Heusken, die Holländer Voß und Decker, Lennox Richardson und viele andere waren vor ihnen gefallen; aber die Ermordung der englischen Offiziere erschien deswegen besonders gehässig und geeignet, selbst die ruhigsten Leute in Besorgnis zu versetzen, weil den Getöteten auch nicht der geringste Fehler, der die Schändlichkeit des Verbrechens einigermaßen hätte mildern können, zur Last gelegt werden konnte.

Baldwin und Bird waren erst vor kurzem in Japan angelangt, beide waren als ruhige, besonnene, freundliche Leute bekannt. Daß sie in ehrlichem Kampfe gefallen seien, war ganz unwahrscheinlich; ihre Eigenschaft als Nicht-Japaner mußte allein die Ursache ihres Todes gewesen sein. Verhielten sich die Dinge in Wahrheit so, wie man annehmen mußte, dann war kein Fremder in Japan seines Lebens mehr sicher, und jeder verteidigte seine persönlichen Interessen, wenn er laut und mit Nachdruck auf Ergreifung ernster Maßregeln zur Entdeckung der Missetäter drang.

Unter dem Einfluß der öffentlichen Entrüstung schritten die englischen Behörden auf das energischste ein. Sir Rutherfort Alcock begab sich sofort nach Yeddo, um dort mit den höchsten Behörden verhandeln zu können, und erzwang von diesen das Versprechen, es solle nichts versäumt werden, um die Mörder zu entdecken und zu bestrafen. Das Verhör der japanischen Zeugen fand in Gegenwart des englischen Konsuls und Dolmetschers statt. Die Umstände, unter denen Baldwin und Bird erschlagen worden waren, wurden dadurch bald allgemein und genau bekannt.

Beato, ein Italiener, und die bereits genannten Herren Wirgman und de Bonnay waren die letzten Fremden gewesen, die Baldwin und Bird lebend gesehen hatten. Diese fünf hatten sich in der Nähe des Tempels von Daibuts getroffen und dort zusammen gefrühstückt. – Baldwin und Bird hatten ihre Absicht zu erkennen gegeben, vom Daibuts über Kamakura und Kanasawa nach Yokohama zurückzukehren, während Beato, Wirgman und de Bonnay übereingekommen waren, den Weg nach Yokohama über Fusisawa einzuschlagen. Die letzteren waren am Abend dort angelangt. In der Nacht hatte sie ein Betto geweckt und ihnen gesagt, daß zwei Fremde auf dem Wege zwischen dem Daibuts und Kamakura ermordet worden seien; aber keiner der Fremden hatte diesem Gerüchte Glauben schenken wollen, und sie waren am anderen Morgen ruhig und unbelästigt nach Yokohama zurückgereist.

Ein junger Bursche von zwölf Jahren, der Sohn eines japanischen Tagelöhners, war der wichtigste Zeuge. Um seine Aussage verständlich zu machen, ist es notwendig, einige Worte über den Schauplatz der tragischen Handlung zu sagen.

Der Boden zwischen Kamakura und dem Daibuts ist flach. Wenn man von Kamakura kommt, führt der Weg zunächst durch eine schöne, breite Allee, die auf beiden Seiten mit alten, hohen Bäumen bepflanzt ist. Am Ende dieser Allee befindet sich ein kleines Teehaus. Links von dem Teehause ist ein Brunnen, rechts ein mächtiger Baum, dessen Stamm eine kleine Ruhebank birgt, die auf der, dem Wege entgegengesetzten Seite des Baumes angebracht ist. Zwischen dem Teehause und dem Baume biegt der Weg scharf nach rechts ab, verengt sich zum Fußsteig und schlängelt sich durch unbewaldetes Ackerfeld bis zum Dorfe, in dessen Nähe der Tempel von Daibuts gelegen ist. Ein auf der Ruhebank Sitzender kann diese Ebene und den Acker übersehen und sich den Blicken der von der einen oder anderen Seite Kommenden leicht entziehen. – In gerader Fortsetzung der Allee führt eine dritte Straße zum Meeresufer. Auf beiden Seiten derselben erheben sich künstliche Erdwälle, die ungefähr vier Fuß hoch und wahrscheinlich als ein Schutz gegen hohe Fluten errichtet worden sind. Hinter diesen Erdwällen befindet sich dichtes, mannshohes Gesträuch. Man kann auch von dort aus die Allee, die nach Kamakura, und den Weg, der nach dem Daibuts führt, überblicken. Hier und da, in der Ebene und in der Nähe der drei bezeichneten Straßen, liegen vereinzelte Häuser und Hütten, die von Feldarbeitern und Fischern bewohnt werden.

Der japanische Knabe, von dem ich oben gesprochen habe, sagte nun aus, daß er, am Tage der Ermordung Baldwins und Birds, von seinem Vater, der in der Nähe des am Ende der Allee gelegenen Teehauses wohnte, ausgeschickt worden sei, um Öl zu kaufen. Auf dem Wege nach dem Daibuts war er zwei japanischen Offizieren begegnet, die ihn gefragt hatten, wie lange man zu gehen habe, um nach Kamakura, nach dem Daibuts und nach dem Meere zu gelangen. Der Bursche hatte die verlangte Auskunft gegeben und war seines Weges gegangen. Auf dem Rückweg waren ihm dieselben Leute wieder aufgefallen. Sie hatten sich auf der Ruhebank niedergelassen, und es war ihm nicht entgangen, daß sie jetzt die weiten Ärmel ihrer Gewänder aufgeschürzt hatten, wie die Japaner es zu tun pflegen, wenn sie sich zum Kampfe, zum Laufen oder zu einer heftigen Bewegung vorbereiten wollen. Einer der beiden Offiziere hatte ihm barsch zugerufen, er solle sich fortmachen oder es werde ihm Arges geschehen.

Der Knabe hatte den Weg, der zum Meere führt, eingeschlagen, war über einen der Erdwälle geklettert und hatte sich im Gesträuch versteckt. Von dort aus hatte er zwei fremde Reiter gesehen, die langsam durch die Ebene vom Daibuts dahergezogen kamen. Sie ritten einer hinter dem andern: Baldwin war der Beschreibung nach der erste gewesen, ihm war Bird in einer Entfernung von ungefähr zehn Schritten gefolgt. – Als sie sich der Bank genähert hatten, waren die Offiziere aufgestanden, und in demselben Augenblicke, als Baldwins Pferd an dem Baum vorüberging, hatten sie den Reiter angefallen und ihm mehrere Schwerthiebe versetzt. Dies hatte nur einige Sekunden gedauert. Das Pferd hatte einen Sprung gemacht, und Baldwin war zu Boden gefallen. Die Japaner hatten sich für den Augenblick nicht weiter um ihn bekümmert, sondern waren auf Bird eingedrungen, der inzwischen ebenfalls den verhängnisvollen Baum, der ihm den Mord Baldwins verborgen, erreicht hatte. – Der Knabe hatte einen schrecklichen Schrei vernommen und gleich darauf auch Bird am Boden liegen, und ein reiterloses Pferd davon sprengen sehen. Der erst Gefallene, Baldwin, hatte sich aufgerichtet: sein Gesicht und seine Kleider waren voll Blut gewesen; in der einen Hand den Revolver, hatte er sich taumelnd nach dem Wall geschleppt, hinter dem das Kind verborgen war, und dort, in einer fremden Sprache, die der junge Japaner nicht verstanden, etwas gerufen. Es waren nur wenige, und immer dieselben Worte gewesen. Er hatte versucht, über den Wall zu klimmen, als die japanischen Offiziere wiederum auf ihn losgestürzt waren. Dann hatte das Kind einen zweiten furchtbaren Schrei gehört – und darauf war alles totenstill geworden. Der eine Japaner hatte eine Hand voll Blätter aufgerafft und damit sein Schwert abgewischt. Gleich darauf waren beide Leute verschwunden.

Der Knabe hatte sich vor Angst während einiger Minuten nicht von der Stelle gerührt. Als er einen letzten Blick auf das blutige Schauspiel geworfen, hatte er gesehen, wie der große Mann mit dunklem Haar, Baldwin, auf allen vieren nach dem Brunnen zu kriechen versucht hatte, wo Bird lag. Das Kind war darauf nach Hause gelaufen und hatte seinem Vater von dem Morde erzählt.

Die Aussagen dieses Hauptzeugen trugen den Stempel vollkommener Wahrheit. Sie wurden übrigens auch im Laufe des Verhörs durch andere Aussagen bestätigt und bekräftigt. Ein Punkt nur blieb unaufgeklärt. Die Japaner, die Baldwin und Bird bald nach der Mordtat gesehen hatten, erklärten einstimmig, daß die beiden Verwundeten noch einige Zeit gelebt und miteinander gesprochen hatten. Das vom englischen Doktor Woodworth vorgenommene post mortem examen nach dem Tode vorgenommene Untersuchung. schloß aber ganz bestimmt dahin, daß Bird keine Sekunde mehr gelebt haben konnte, nachdem er eine Wunde erhalten, die den Kopf teilweise vom Rumpfe getrennt hatte. Man nahm demnach allgemein an, daß die Leute, die den Unglücklichen gefunden, Bird im Laufe des Abends kalten Blutes abgeschlachtet hatten, um in ihm einen Zeugen der Mordtat aus dem Wege zu räumen: denn Bird, obgleich seine Arme und Beine schrecklich zerhackt waren, hatte nur eine tödliche Wunde – die am Nacken.

Dieser Widerspruch zwischen den Zeugenaussagen und dem vom Dr. Woodworth gegebenen Gutachten ist nicht aufgeklärt worden.

Baldwin hatte sein junges Leben aus einer Wunde ausgehaucht, die ihm wahrscheinlich beigebracht worden war, als er, seinen Feinden den Rücken kehrend, über den Erdwall zu klimmen versucht hatte. Ein Hieb, der an zwei Fuß lang war und von der linken Schulter zur rechten Hüfte reichte, mußte ihn in kurzer Zeit getötet haben.

Die Beerdigung von Baldwin und Bird fand in Yokohama statt. Die ganze Fremdengemeinde, das 20. Regiment und viele japanische Beamte begleiteten die Leichen nach dem Friedhofe. Oberst Brown, Kommandant des Regiments, dem Baldwin und Bird angehört hatten, sprach einige Worte, welche den Augen der Anwesenden Tränen entlockten. Sir Rutherford Alcock gelobte angesichts der offenen Gräber, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, um den schändlichen Mord zu rächen. Drei Salven wurden abgefeuert, und die Leidtragenden zogen sich ernst und still zurück.


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