Detlev von Liliencron
Kriegsnovellen
Detlev von Liliencron

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Adjutantenritte

(Aus einer Januarschlacht)

Zu spät

Der Oberbefehlshaber hatte um Mitternacht den um ihn versammelten Generalstabsoffizieren und von allen Seiten zum Befehlsempfang herbeigeeilten Adjutanten die Dispositionen zur Schlacht für den folgenden Tag selbst diktiert. Klar und ruhig sprach er jedes Wort, den Rücken gegen den Kamin kehrend und sich die Hände wärmend. Ohne ein einziges Mal zu stocken, vollendete er den Armeebefehl.

Es war drei Uhr morgens, als wir Adjutanten, uns die Hände zum Abschiede reichend, zu unseren Truppenteilen zurückritten. Ich konnte erst in drei bis vier Stunden bei meinem General sein. Es war eine naßkalte, windige Winternacht mit spärlichem Monde. Meine beiden mich begleitenden Husaren und ich kamen ohne Abenteuer im Quartier an. Ich traf den General »fix und fertig.« Er hatte sich unausgekleidet aufs Bett gelegt und nur von seinen Mänteln zudecken lassen.

Als ich den Befehl zum Vormarsch verlesen, erhielt ich von ihm die Weisung, ungesäumt nach dem rechten Flügel zu reiten, um dorthin eine wichtige Meldung zu bringen. Ich hätte gerne einen heißen Schluck gehabt, aber der Kaffee war noch nicht fertig; so nahm ich, was ich grade fand. Es wurde rasch eine Flasche Sekt geleert, die der General so liebenswürdig war mit mir zu teilen. Wir tranken ihn aus Tassen. Roher Schinken schmeckte nicht übel dazu.

Dann ritt ich ab. Der Frühmorgen zeigte ein mürrisches Gesicht; nur der Wind hatte sich gelegt. Dumpf und still und grämlich lags auf der Gegend. Die stark verregnete Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend, mir von Patrouillen Auskunft geben lassend, trabte ich meinem Ziele zu.

Noch wars nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts zu sehn. Bei den Doppelposten fielen einzelne Schüsse. Als ich in ein Thälchen einlenkte, entschwanden auch unsere Truppen. Das Thal engte sich, und bald bemerkte ich ein Brückchen, das sich über ein träges, schmutzig gelbes Wasser bog. Halt – was ist das? Da lag ein Mensch und sperrte mir den schmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die Sporen und war im Nu an seiner Seite. Es war ein toter Garde mobile, platt auf dem Gesicht liegend. Die Beine und Arme lagen ausgespreizt gleich Mühlenflügeln. Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob sich mit letzter Kraftanstrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer saß und den Schwerverwundeten mit schiefem Kopfe sehnsüchtiglich betrachtete, flog mürrisch ins Weite.

Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte weg. Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein südfranzösisch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen Augen gruben sich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott! Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausstreckend gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd, ein altes Mütterchen und rief: »Halt! Halt! Gib meinem Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf.«

Schon lockerte ich im strohumwickelten Bügel den Fuß, um abzuspringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen. Rechts vom Geländer stand ein langes, schmales Weib, im weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig, doch auch nicht fröhlich sah sie mich an. Ihre Züge blieben gleichmäßig ernst und streng. Die Dame Pflicht rief mich, und ich gehorchte.

Als ich auf dem Rückweg an dieselbe Brücke kam, lag noch immer der Garde mobile da. Ich sprang vom Pferde, und mir den Trensenzügel über die Schulter hängend, kniete ich nieder, um ihm aufzuhelfen. Doch zu spät; aus seinen Augen lachte mich der Tod an, und die Urmutter Erde sog gierig sein Blut. Der Tag ward heller, wenn er auch trübe blieb. Der Himmel zeigte dem Schlachttage ein widerwärtiges, heimatforderndes Graueinerlei. Schwach klang vom linken Flügel Gewehrfeuer her. Ich nahm den Krimstecher. Doch kaum hielt ich ihn vor den Augen, als mich ein heftiges Knattern schnell zum Umsehn zwang. Vor einem durchsichtigen, nahen Wäldchen lagen graue Wölkchen im Ringeltanze. Da knallte es wieder. Wetter! Das galt mir. Klipp, klapp, schlugs um mich ein in die nackten Zweige einer Eiche. Ich schoß wie die Schwalbe davon, nach rückwärts, zum Wäldchen, Abschiedshandkußgrüße sendend . . .

Dann, im ruhigen, englischen Trabe weiter reitend, stieß ich plötzlich auf einen Zug Husaren, der um die Ecke eines Häuschens bog. Voran mein Freund, ein junger Offizier mit schiefer Pelzmütze. Ihm gehörte schon seit Jahren mein Herz; wir hatten uns manchen Tag und manche Nacht zusammengefunden. Wie immer war er a quatre epingles. Im rechten Auge glitzerte die Scherbe, von der ich behauptete, daß er sie auch nachts nicht ablege. »Wo willst du hin?« »Und du?« Er deutete auf das Wäldchen, das sich mir eben so freundschaftlich gezeigt hatte, und berichtete, daß er auf Kundschaft ausgesandt sei: man habe das Schießen gehört. Zugleich solle er erforschen, ob sich Kolonnen hinter dem Walde gesammelt hätten.

Ich bot mich an, ihm den Weg zu zeigen. Wir schlichen, Indianern gleich, hinter Knick und Wall, jede Terrainfalte sorgsam benutzend. Voran wir zwei, nach allen Seiten spähend. Neben uns blieb der bärtige Trompeter, die unzertrennliche Begleitung des Leutnants. Dann folgten zwanzig bartlose, frische, blonde, blauäugige Bauernburschen.

Wir hatten uns allmählich dem Ziele genähert. Halt . . . Dreihundert Schritte kaum lag das Wäldchen vor uns, bestanden mit wenigen Bäumen, durch deren dünne Stämme der Lichtstreifen des Horizontes freigelegt ward. Die vorliegende Wiese war wie zur Attacke gemacht.

Nun zogen wir Husaren dicht heran. Ein Klingenblitz und Vorwärts, vorwärts.

Die Attacke

            Platz da, und Zieten aus dem Busch,
Mit Hurrah drauf in Flusch und Husch,
Und vorgebeugten Leibes rasen
In einem Strich die Pferdenasen,
Wir zwei weit voran den Husaren,
So sind wir in den Feind gefahren.
Die roten Jungen hinterher
In todesbringender Carriere,
Daß wild die Spitzen der Chabracken
Den Grashalm fegen wie der Wind.
Und hussah, ho, die bunten Jacken,
Sind wir am Waldesrand geschwind.
Geknatter, dann ein tolles Laufen,
Wir konnten kaum mit ihnen raufen,
So rissen die Gascogner aus
Vor unserm Säbelschnittgesaus.
Doch hinter einer schmalen Erle
Stand einer dieser kleinen Kerle
Und macht auf mich recht schlechte Witze,
Und schoß mir ab die Helmturmspitze.
Ei, du verfluchter gelber Lümmel,
Ich treffe gleich dich im Getümmel.
Und »Hieb zur Erde tief«, saß ihm
Im Schädel eine forsche Prim.
Kolonnen rückten nun heran,
Der Auftrag war erfüllt, gethan.
Der Leutnant sammelte den Zug,
Und als er durch die Säbel frug,
Ob keiner wegblieb, keiner fehle,
Da schnürt es ihm die junge Kehle.
Denn der Trompeterschimmel bäumte,
Den Sattel frei, und schnob und schäumte.
Wir fanden seinen Leiter bald
An Brombeersträuchern, tot, im Wald.
Ein blaurot Fleckchen zeigte nur
Den Schuß ins Herz, der Kugel Spur.
Bei meinem Freund zum ersten Mal
Sah ich die Scherbe niederschnippen,
Und Thränen fielen ohne Zahl
Dem Toten auf die bleichen Lippen.

O schäm dich nicht, wenn dies du liest,
Daß dir so leicht die Thräne fließt.
Im Sterben trägst du noch die Scherbe,
Ich sei, stirbst früher du, der Erbe,
Dann denk ich an den treusten Freund,
Den je die Sonne hat gebräunt.

In der Mittagsstunde

Zwischen zwölf und ein Uhr stand die Schlacht. Auf einem Hügel, neben einem einsamen, brennenden Hause, aus dem die Bewohner geflohen waren, hielt der Oberbefehlshaber, die Hände kreuzweise übereinander auf dem Sattelknopf haltend, regungslos seit einer halben Stunde.

Der Stab stand gedeckt hinter dem Hause. Von allen Seiten, in rascher Aufeinanderfolge, kamen und ritten ab auf triefenden Pferden Adjutanten, Ordonnanzoffiziere und Ordonnanzen, um zu melden. Den Ordonnanzen war die Meldung schriftlich mit Blei gegeben. Der General schob die kleinen vierkantigen Zettel in die Satteltasche, ohne einen der hinter ihm haltenden Offiziere heranzuwinken. Noch immer hielt er regungslos; nur zuweilen den Krimstecher gebrauchend oder in die Karte blickend. Sein großer Dunkelbrauner kaute unaufhörlich den linken Trensenzügel, ab und zu mit dem Kopfe nickend. Eine Granate krepierte zwischen uns und riß einen Hauptmann vom Stabe in Stücke. Sein Pferd bäumte hoch auf, schlug mit den Vorderhufen in die Luft, und brach dann, gräßlich zerschmettert, zusammen. Wir waren alle unwillkürlich auf einen Augenblick auseinandergesprengt. Ein Offizier eilte zum General, um ihm den Tod des von ihm sehr hoch gehaltenen Hauptmanns zu melden. Der General blieb regungslos; nur klopfte er seinem, durch den furchtbaren Knall unruhig gewordnen Pferde den Hals, und ritt einmal eine liegende Acht.

Die Suite stand wieder auf demselben Fleck. Auf die entsetzlich verstümmelte Leiche breitete eine Stabsordonnanz ein vor dem brennenden Gebäude liegendes buntes Bettlaken. Um das Bettlaken herum waren hingeworfen eine Kaffeemühle, ein Bauer mit einem Kanarienvogel, der piepte und lustig, selbst in der schiefen Lage, sein halb verstreutes Futter nahm. Vor dem Hause lagen ferner Bücher, Tassen, eine Frauenmütze, zerbrochne Vasen, Bilder, Kissen, eine Cigarrentasche mit einer Stickerei, ein Kamm, eine Zuckerdose und tausenderlei sonstige Hausgeräte und nützliche und nichtnützliche Gegenstände.

Verwundet war sonst keiner von uns. Die Granate mußte auf dem Sattelknopf des Pferdes des Hauptmanns zerplatzt sein. Ab und zu schwirrte eine verlorne Gewehrkugel mit pfeifendem Tone über unsre Köpfe. Eine schlug in den Gartenzaun ein. Klapp! klang es leicht. Wie ein Spechtschnabelhieb.

Der General hielt regungslos. Sein ernstes, durchgeistigtes, feines Gesicht war blaß. Je mehr es in ihm arbeitete, je mehr beherrschte er sich äußerlich. Wir Offiziere sahn fortwährend durch unsre Gläser und tauschten Bemerkungen.

Verwundete hinkten bei uns vorüber oder wurden vorbeigetragen.

Der Tag war trüb und grau, doch die Übersicht nur zuweilen durch den sich schwer verziehenden Pulverdampf behindert. Wir konnten deutlich vor uns und rechts und links die gegenseitigen Schützenlinien und die Kolonnen, die sich, wenn sie ins Granatfeuer kamen, teilten, sehen.

Auf drei Infanterie-Bataillone westlich von uns richtete sich plötzlich unsre ganze Aufmerksamkeit. Sie zogen neben einander in einer engen Mulde, wie ratlos, hin und her, ohne sich entwickeln zu können. Wie uns schien, marschierten sie in aufgeschlossener Kolonne nach der Mitte; Kompagnie-Kolonnen zu formieren, hinderten die steilen Wände des Einschnitts. Ein Füllhorn von Granaten schüttete sich über sie aus. Auch der General bemerkte es. Er wandte den Kopf zu uns und rief meinen Namen. Ich war mit einem einzigen Sprunge von der Stelle an seiner Seite.: »Excellenz?« »Sehen Sie die kleine Kuppe halb rechts vor uns?« Er deutete, den Krimstecher in der Hand behaltend, auf diese. »Es steht dort ein einzelner Baum; sehen Sie ihn?« »Zu Befehl, Excellenz.« Ich hatte zu thun, mein lebhaft drängendes Pferd zu beruhigen. »Reiten Sie zur 97. leichten Batterie; sie soll unverzüglich dort Stellung nehmen und feuern. Haben wir uns verstanden?« »Zu Befehl, Excellenz.« »Reiten Sie selbst mit der Batterie auf den Hügel und klären Sie dem Batterie-Chef die Situation auf.« »Zu Befehl, Excellenz.«

. . . und ich war schon unterwegs zu der nur wenige Minuten hinter uns haltenden, vom Oberbefehlshaber zu seiner speziellen Verfügung gestellten Batterie. Es war ein schauderhafter Weg. Gräben und Wälle mußten übersprungen werden.. Bald schwamm, bald kletterte mein kleiner Husarengaul, den ich für meinen alten Trakehner Hengst, dem denn doch endlich der Pust ausgegangen war, vertauscht hatte. Vorwärts, vorwärts. Was sind Gräben, noch so breite, was überhaupt Hindernisse im Gefecht. Endlich sah ich die Batterie. Ich winkte schon aus der Ferne mit dem Taschentuch. Der Batterie-Chef verstand es. Er gab Befehle; ich merkte es an der wimmelnden Bewegung, die an den Geschützen entstand. Dann raste er auf mich zu, den Trompeter an der Seite. Wir trafen uns; sein Gesicht glühte, als ich ihm den Befehl zum Vorrücken überbrachte. Der Trompeter war schon in Carriere zur Batterie unterwegs, um vom Hauptmann dem ältesten Offizier die Ordre zu übermitteln, die Batterie »Zu Einem« so rasch wie möglich vorzuführen. Der Hauptmann und ich setzten uns dann in Trab, doch so, daß wir mit der Batterie, die zahlreiche Terrainschwierigkeiten zu überwinden hatte, Fühlung behielten. Ich kannte den Weg aus den Frühstunden. Wir mußten durch eine enge, kurze, schluchtartige Vertiefung, die just so breit war, daß nur ein Geschütz dem andern folgen konnte. In Zügen hier zu fahren verbot die Enge. Links dieser schmalen Einsenkung war, auch nachdem das felsige Terrain hinter uns lag, durch Sumpf und nasse Wiesen ein Vorgehen von Kavallerie und Artillerie unmöglich; rechts hätten wir große Umwege machen müssen und dadurch viel Zeit verloren. Die Bataillone, die Bataillone! lagen mir im Sinn; dutzendweise wurden dort die Leute gemäht. Hatte unsre Batterie erst Stellung genommen, dann mußte sich die französische Artillerie gegen diese wenden.

Der Hügel war lang genug, um weite Räume zwischen den einzelnen Geschützen zu erlauben. Die Verluste gingen geringer. Wo ist die Schlucht, die Schlucht? Um uns sah es wild und wüst auf. Aber vorwärts, vorwärts! Der Hauptmann und ich, nachdem der Batterie ein Zeichen gegeben war, zu folgen, jagten vor, um rasch durchzupreschen und die günstigste Stellung für die Batterie auf dem Hügel vor ihrem Eintreffen auszusuchen.

»Um Gott!« rief der keineswegs zartbesaitete Hauptmann, als wir einbogen: »Bei Gott! da durch zu kommen, ist ja unmöglich! Das liegt ja alles voll von Verwundeten.«

Ein grausenhafter Anblick bot sich uns: auf einander geschichtet lagen in der Schlucht Tote und Verwundete, wenn auch in geringer Zahl. Die Verwundeten hatten unsere Batterie heranrasseln hören und waren mit größester Anstrengung an die Seiten gekrochen, um dem Rädertode zu entgehen. Es mußte hier vor wenigen Stunden ein verzweifelter Kampf gewesen sein.

Unmöglich! Hier war nicht durchzukommen. Aber die Bataillone, die Bataillone! Der Hauptmann und ich hielten einige Sekunden ratlos; die Batterie arbeitete mit keuchenden, dampfenden Pferden näher und näher heran.

Unmöglich! Da raste auf nassem Pferde ein junger Generalstabsoffizier des Oberbefehlshabers auf uns zu. Um seine Stirn war ein weißes Tuch geknotet; auf den Haaren saß die Feldmütze irgend eines Musketiers. Er lenkte sein Pferd mit der Rechten; mit der linken Hand wischte er fort und fort das unter dem Tuche hervorquellende Blut aus den Augen. Er konnte kaum mehr sehen. Von weitem schon schrie er mit ganz heiserer Stimme: »Die Batterie, die Batterie soll vor! Wo bleibt die Batterie? Excellenz ist . .« Ich schoß auf ihn zu, um ihn aufzufangen; er lag, fast ohnmächtig, auf der Mähne des nun nicht mehr von ihm geführten Pferdes; die Arme hingen schlaff um den Hals des Tieres. Ich hatte keine Zeit, Verwundeten zu helfen, und wärs mein Bruder gewesen. So rief ich einen im Graben sitzenden Leichtverwundeten, der damit beschäftigt war, seine Hand zu verbinden, indem er das eine Ende des Tuches mit den Zähnen festhielt. Er legte mit mir den Hauptmann vom Generalstabe sanft nieder. Noch einmal sah ich in das blasse, blutüberströmte Gesicht; in halber Ohnmacht schon, bebten noch die Lippen: »Batbatbatbatbat . . .« Er wollte sagen: Batterie vor! . . O du treuer, o du lieber Mensch!

Keine Sekunde Zeit war mehr zu verlieren. Ich flog zurück zum Hauptmann. Auch er war entschlossen nun. Also vorwärts.

»Nicht umsehn! Nicht umsehn!« schrie der Hauptmann. Wir zwei kletterten, so rasch es ging, voran. Nur einmal wandte ich den Kopf: Bald hoch, in der Luft, bald niedrig kreisende kreischende Räder, schräg und schief liegende Rohre und Achsen, sich unter dem Rade drehende Tote und Verwundete, der Kantschu in fortwährender Bewegung auf den Pferderücken, Wut, Verzweiflung, Fluchen, Singen, Schreien . . .

Nun fuhr die Batterie auf dem Hügel auf, Haare, Gehirn, Blut, Eingeweide, Uniformstücke in den Speichen. In wundervoller Präcision fuhr sie auf. Abgeprotzt. Geladen. Richten. Und: »Erstes Geschütz – Feuer!« Der Qualm legte sich dicht vor die Lafetten, wir konnten die Wirkung nicht beobachten. Doch schon beim zweiten Schuß pfiff eine feindliche Granate über uns weg. Sie galt der Batterie. Die Bataillone waren degagiert. Ich ritt, mich vom Hauptmann verabschiedend, zurück zum General, das Schreckensthal vermeidend. Als ich mich zurückgemeldet, sagte mir der Oberbefehlshaber ein gütiges Wort. Dann schloß ich mich wieder der Suite an.

Und regungslos hielt der General.

Hinter uns klang häufig das Kavallerie-Signal Trab. Wir konnten die Schwadronen nicht sehen. Aber es war mir, als hörte ich das Stapfen, Schnaufen, Klirren. Kommandorufe drangen an mein Ohr: Ha–hlt . . . Ha–hlt . . . und immer schwächer und schwächer werdend: Ha–hlt . . . Ha–hlt. Alles das klang her, was die Bewegungen eines Reiterregiments so poetisch macht; erst recht, wenn man »drin steckt.« Ich hörte das Alles deutlich, und doch war um uns ein einziger Donnerton. Dazwischen klangen schrill die Schüsse der Batterie, die ich eben herangeholt hatte. Sie stand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkreise plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täuschend wie die Blasen in einem riesigen kochenden Kessel.

Ledige Pferde mit schleifenden Zügeln, zuweilen mit den Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Langsam trottete ein Maulesel heran und begann, vor dem General stillstehend, auf der Erde nach Gras zu suchen. Auf seinem Rücken waren zwei Tragstühle befestigt. In jedem von ihnen saß ein gestorbener Franzose. Festgeschnallt, saßen sie Rücken an Rücken, doch so, daß die Gesichter (die Köpfe hingen hintenüber) sich ansahen. Die Oberlippen waren zurückgezogen. Sie schienen sich anzulachen.

Und regungslos hielt der General.

Da kam vom rechten Flügel her, wohin er sich zur genaueren Berichterstattung begeben hatte, der Chef des Stabes an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit Schmutz bespritzt. Der Oberst mußte in flottester Gangart geritten sein. Das Pferd dampfte; am Halse, unter den Deckenrändern, zwischen den Hinterbacken stand weißer Schaum. Die Flanken flogen; es schien auf der Hinterhand zusammenbrechen zu wollen.

Wir beobachteten gespannt den Oberst, als er neben dem General hielt. Es mußte gut stehen, das konnten wir merken. Während er noch mit dem Oberbefehlshaber sprach, bald auf der Karte suchend und findend, bald mit dem Finger in die Schlacht zeigend, sauste vom linken Flügel ein Meldender heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht mehr den Hügel nehmen und brach unten mit seinem Reiter zusammen. Beide überkugelten sich. Aber sofort erhob sich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier mit einem hübschen schwarzen Schnurrbärtchen, braunen gewellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den Purzelbaum eingetriebnen Tschako. Er stürmte bei uns vorbei, uns lachend zurufend: »Es geht gut, es geht gut.« Auf seinem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar schneeweiße Handschuhe hervorgezogen und war bemüht, diese noch an den Fingern zu haben, ehe er oben war. Aber nur der linke hatte seinen Platz erobert. Ebenso lächelnd, wie er bei uns vorbeigekommen, meldete er dem Oberbefehlshaber, der ihm freundlich die Hand reichte. Dann bestieg er ein ihm von einer Ordonnanz eingefangenes kleines Berberroß und ritt, das letzte Stück von einem kalten Huhn, das in unserm Besitz war, annehmend, lustig wieder von dannen, unterwegs kauend und mit der rechten Faust die Beulen seines abgenommenen, entstellten Tschakos in Ordnung zu bringen suchend. Es schien ihm Alles ungeheures Vergnügen zu machen. Grüß Dich Gott, alter Kerl, wenn Dir dies vor Augen kommen sollte. Zwar liest Du selten Gedichte (ich auch), aber es ist immerhin doch möglich.

Der General ritt zu uns hinter das rauchende Gebäude, dessen Dach und Sparren eben prasselnd zusammengebrochen waren, und fragte: »Hat einer der Herren noch eine nicht letzte Cigarre?« Sie wurde ihm präsentiert.

Dann bildeten wir einen Kreis um ihn. Der Oberbefehlshaber gab einigen von uns persönlich Befehle. Als wir abritten, um die »mit aller Macht auf die Stadt vorzugehn« Befehle zu überbringen, setzte er sich in kurzen Galopp, um, weiter vorwärts, einen neuen Beobachtungsposten einzunehmen. Eine Ordonnanz blieb bei der Brandstätte zurück: sie hatte den Auftrag, den Meldenden von dem neugewählten Aufstellungspunkt des Generals Mitteilung zu machen.

Der Zauber der Mittagstunde war gebrochen.

Es lebe der Kaiser

                      Es war die Zeit um Sonnenuntergang,
    Ich kam vom linken Flügel hergejagt.
    Granaten heulten, heiß im Mörderdrang,
    Hol euch die Pest, wohin ihr immer schlagt.
    Ich flog indessen, das war nichts gewagt,
    Unter sich kreuzendem Geschoß in Mitten.
    Rechts reden unsre Rohre, ungefragt,
    Links wollen feindliche sich das verbitten.
Gezänk und Anspuken, ich bin hindurchgeritten.

    Plötzlich erkenn ich einen Johanniter
    Am roten Kreuz auf seiner weißen Binde.
    Wo kommst du her, du schneidiger Samariter,
    Was trieb dich, daß ich hier im Kampf dich finde?
    Er aber riß vom Haupt den Hut geschwinde,
    Und schwang ihn viel, den seltnen Lüftekreiser,
    Und schwang ihn hoch im schwachen Abendwinde,
    Und rief, vom Reiten angestrengt und heiser,
Gestern ward unser greiser großer König Kaiser.

    Und zum Salute donnern die Batterien
    Den Kaisergruß, wie niemals er gebracht.
    Zweihundertfünfzig heiße Munde schrieen
    Den Gruß hinaus mit aller Atemmacht.
    Scheu schielt aus gelbgesäumter Wolkennacht
    Zum ersten Mal die weiße Wintersonne,
    Und schwefelfarben leuchtete die Schlacht
    Bis auf die fernst marschierende Kolonne,
Daß hoch mein jung Soldatenherze schlug in Wonne.

    Tot lag vor mir ein Garde mobile du Nord,
    Es scharrt mein Fuchs und blies ihm in die Haare.
    Da klang ein Ton herüber an mein Ohr,
    Den Höllenlärm durchstieß der Ton, der klare.
    Nüchtern, nicht wie die schmetternde Fanfare,
    Klang her das Horn von jenen Musketieren,
    Daß dir, mein Vaterland, es Gott bewahre,
    Das Infanterie-Signal zum Avancieren.
Dann bist du sicher vor Franzosen und Baschkiren.

    Zum Sturm, zum Sturm! Die Hörner schreien! Drauf!
    Es sprang mein Degen zischend aus dem Gatter.
    Und rechts und links, wo nur ein Flintenlauf,
    Ich riß ihn mit ins feindliche Geknatter.
    Lerman, Lerman! Durch Blut, Gewehrgeschnatter,
    Durch Schutt und Qualm.. Schon fliehn die Kugelspritzen.
    Der Wolf brach ein, und matter wird und matter
    Der Widerstand, wo seine Zähne blitzen.
Und Siegesband umflattert unsre Fahnenspitzen.


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