Detlev von Liliencron
Kriegsnovellen
Detlev von Liliencron

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Verloren

I.

Die erste Schlacht war geschlagen. Der Sieger lagerte auf dem Gefechtsfelde. Der Rauch zahlreicher Biwakfeuer stieg zum wolkenlosen Frühlingsnachthimmel empor. In der Ferne, bei den Feldwachen und Patrouillen, fielen einzelne Schüsse.

Abseits der eigentlichen Wahlstatt dunkelte, in helles Mondlicht getaucht, ein Wäldchen. In seiner Mitte stand ein einstöckiges, jagdschloßartiges Haus. Vor diesem breitete sich ein großer Rasenplatz, von zwei Kieswegen umarmt. Am anderen Ende des freien Raumes, grade der Front des Gebäudes gegenüber, trat, wie eben aus dem Walde kommend, die Diana von Versailles, auf breitem Sandsteinsockel, hervor.

Hier hatte ein heißer Kampf stattgefunden. Thür und Fenster waren zertrümmert; Kugelspuren an den Wänden. Gefallene Grenadiere, Schmerz und Wut noch auf den Gesichtern, hatten mit ihrem Blut den Rasen gefärbt. Einer lehnte am Sockel der Diana. Sein Nacken war zurückgebogen; die halb offnen Augen sahn zu ihr auf. Die altitalische Göttin hatte dem deutschen Krieger den Weg zur Walhalla gezeigt.

Einige Schritte vor seinen Soldaten, kurz vor der eingeschlagnen Thür, lag ausgestreckt ein junger Offizier. Das blasse Gesicht war zur Seite geneigt. Unter dem Helm hervor drängte sich zwischen die gebrochnen Augen eine dichte schwarze Locke. Seine Rechte hielt noch, wie im Leben, den Degen umfaßt. Die Linke lag auf dem Herzen. Nur ein einziger Blutstropfen war ihm aus der Wunde auf die Hand geträufelt, im Sternenlicht glänzend, als wäre er ein Rubin, der zu dem kleinen, den vierten Finger umschließenden Goldreifen gehöre.

Frühlingsfriede. Es war so still wie Stein auf Gräbern ruht. Ab und zu nur rauschte ein Windhauch durch die Zweige, klagend und gleichgiltig zugleich: er rauschte das ewige Lied des Todes – der Entsagung.

II.

Dieselbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld, auf Stadt und Dorf im Norden unsers Vaterlandes. In dem kleinen Orte war Alles schon zur Ruhe gegangen. Auch in dem großen, schloßartigen Hause des Amtmanns schien Alles still. Hinter den Fenstern waren die weißen Rouleaux heruntergelassen. Nur nach der Gartenseite im Erdgeschoß waren zwei Fenster weit geöffnet. Ein persischer Teppich bedeckte den Fußboden des Zimmers. Auf dem runden Tisch vor dem Sofa stand eine Lampe, die den Raum hell erleuchtete. Den Fenstern gegenüber war ein Bechstein hingeschoben. In die Nacht hinaus klang das Impromptu Asdur, Opus 142, Nummer 2 von Franz Schubert. Der Zwischensatz wurde zu schnell, zu leidenschaftlich gespielt; es lag wie Angst und Unruhe darin. Bald waren auch die letzten Akkorde des vornehmen kleinen Stückes verhallt.

In weiter Ferne hörte man Gesang. Bald deutlicher, bald schwächer. Es waren Soldaten, die auf dem Wege zur Grenze marschierten, wo der Krieg in diesen Tagen ausgebrochen war.

Jetzt klang es klar zu ihr herüber:

»Kein schwer Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen,
Auf grüner Haid, im freien Feld,
Darf nicht hörn groß Wehklagen.

Im engen Bett nur Einr allein
Muß an den Todesreihen:
Hier findet er Gesellschaft sein,
Falln mit wie Kräuter im Maien.«

Sie horchte atemlos. Der Mund öffnete sich ein wenig. Die Augen wurden größer. Auf dem holden Gesicht prägte sich Angst und Sorge aus.

»Mit Trommelklang und Pfeifngetön
Manch frommer Held war begraben,
Auf grüner Haid gefallen schön,
Unsterblichen Ruhm thut er haben!«

klang es, schwächer und schwächer werdend.

»Auf grüner Haid gefallen schön,
Unsterblichen Ruhm thut er haben!

hörte sie noch einmal deutlich.

Die Stirn tief gebeugt, die Augen geschlossen, so hatte sie die letzten Töne vernommen. Nun war es still und einsam um sie her. Langsam ging sie zum Flügel:

»Kein schönrer Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen . . .«

Sie spielte und sang das alte schöne Soldatenlied. Als sie geendet hatte, lag noch lange die rechte Hand auf den Tasten. Wie oft hatte er es ihr gesungen, mit seiner klaren, ruhigen Stimme. Sie hatte ihn begleitet. Begeistert hatte er dann von den Volks- und Soldatenliedern erzählt. Wie sich die Soldaten selbst ihre Melodieen zurechtlegen, zuerst durch kleine Abänderungen von alten Kirchen- und Volksweisen. Wie die Grundstimmung fast in allen ihren Gesängen eine weiche, ernste sei; wie durch alle das Heimweh ziehe, oft unbewußt.

Ein Nachtfalter flatterte um die Lichter. Sie erhob sich und ging ans Fenster. Die obere Fläche der linken Hand legte sie an die Seitenwand und stützte die Stirn hinein. Aus den großen, grauen Augen brachen Thränen, unaufhaltsam.

Ab und zu rauschte ein Windhauch durch die Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauschte das ewige Lied der Entsagung – des Todes.


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