Meinrad Lienert
Der Pfeiferkönig
Meinrad Lienert

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Elftes Kapitel.

Der Pfeiferkönig.

Am andern Morgen trugen nach dem Ütliberg ausgesandte Ausspäher die Kunde in die Stadt, die Eidgenossen zögen in großen Heerhaufen dem Albisberge entlang und hätten es offenbar auf die Stadt abgesehen.

Das war nun aber den handlichen Zünftern zuviel. Und obwohl ihnen die Botschaft heimlich für ihre Stadt bange machte, verdroß sie die Keckheit der Eidgenossen, die sich gleich hinter die feste und gut bewehrte Stadt machen wollten, so gewaltig, daß sie alles andere darüber vergaßen.

Sie beschlossen daher, ohne den Stellvertreter des Königs, den Markgrafen Wilhelm von Hochberg oder ihren österreichischen ersten Feldhauptmann Thüring von Hallwil im mindesten zu beraten oder zu fragen, vor die Mauern und über die Sihl zu gehen, um dort die Eidgenossen im freien Felde, hinter dem Grünhag mannlich zu erwarten. »Heijo, da sollen sie uns kommen!« meinte Heini Schwend zu seinen Schwertlern. »Im offenen Felde werden wir die Hirtenknaben gehörig verhauen.«

Also zogen sie gegen Mittag in hellen Scharen mit der Stadt blauweißem Banner durch das Rennwegtor aus dem Mauerring und über die Sihlbrücke.

Jenseits des untiefen, fast ausgetrockneten Flusses, lagerten sie sich in der Nähe der Kapelle des Sondersichenhauses zu St. Jakob dem mindern.

Und wie sie vernahmen, die Eidgenossen hätten bei dem Dorfe Rieden ob dem See Halt gemacht, als getrauten sie sich doch nicht so recht in die Stadtnähe, wuchs ihnen der Mut gar sehr. Sie wurden so sorglos, daß sich jede rechte Ordnung löste, nicht einmal Wachen oder Späher schickten sie aus. Und da die heiße Sonne des ausgehenden Heumonats auf ihre Blechhauben und Harnische niederbrannte, machten sie sichs bequem, schnürten die schweren Blechhauben, Arm- und Beinschienen ab, streckten sich unter den Linden und hinter dem Grünhag und alsbald hob ein gewaltiges Zechen und lärmendes Treiben an. Sie schienen die Eidgenossen vergessen zu haben oder ihren Zug auf die Stadt für leere Drohung zu halten.

In Tansen, Tragfäßchen, Gelten und Zubern aller Art mußten ihnen die nur allzu willigen Stadtknechte Tranksame zutragen. Zwar floß der klare Bergfluß, die Sihl, ganz nahe an ihnen vorbei, aber als einige Durstige darnach zu laufen begannen, lärmte ein rotnasiger Haubenschmied: »Schämt ihr euch denn nicht, ihr zweibeinigen Kröten, von dem elenden Gesöff zu lappen, das aus dem Schwyzerbiet herläuft, wo wir doch alle Keller voll Königswein in der Stadt haben!« Da ließen sie das feindliche Gewässer ruhig um die Steine quirlen und sparten ihre schönen Dürste für den prozessionsweise anrückenden Königswein.

Nämlich, als im vorigen Herbste König Friedrich in Zürich zu Besuch war, geriet der Wein besonders gut. Da nannte man ihn dem König zu Ehren, der ihn süß aus der Stande getrunken, Königswein. So hatte man gleich auch eine zünftige Ausrede für ein unablässiges Becherlupfen und Zustupfen; denn, weil es nur einen Jahrgang Königswein gab, mußte man in ihm doch alles hochleben lassen, was einem mehr oder minder am Herzen lag.

Allemal rauschte ein gewaltiges Gelächter den Grünhag entlang, wenn wieder ein paar Stadtknechte mit Tansen auf den Rücken, oder Holzgelten auf den Köpfen, betrunken über die lange, schmale Sihlbrücke wackelten und fackelten.

Aus dem kriegerischen Auszug war ein Fest im Grünen geworden.

Als nun der Zürcher oberste Feldhauptmann, der österreichische Graf von Hallwil mit Hans von Rechberg, dem von Busnang und einigen andern zugewandten Edelleuten mit ihren Reisigen, eilig über die Sihl geritten kam, schauten die Zechenden schier verwundert auf die nahenden Reiter und ward ihnen allmählich wieder durch den aus dem Königswein aufsteigenden Nebel ersichtlich, weshalb sie zu Felde lagen.

Hallwil aber, schon erbost durch den ohne sein Zutun bewerkstelligten Auszug, erschrak mit seinen Edlen, als er sah, in welch sorgloser Unordnung die Zürcher, zechend oder ein Mittagsschläfchen verübend, herumlagerten.

Zornrot ritt er unter sie und fragte heftig, für was man ihn denn zum Feldhauptmann ernannt habe, wenn man sich um ihn nicht mehr kümmere, als um einen abgehauenen Katzenschwanz. Er sei aber doch der Feldhauptmann, dem sie zugeschworen hätten, und so befehle er ihnen im Namen des verbündeten Königs, hinter die Sihl und in die Stadtmauern zurückzukehren. Die Eidgenossen seien ihnen der Zahl nach übermächtig und die Zürcher mit ihren österreichischen Helfern hätten genug zu tun, die Stadt zu halten.

Aber die Zürcher, die der österreichischen Kriegsgefährten längst überdrüssig waren, ließen den Feldhauptmann reden und der angeheiterte Zunftmeister Hans Keller rief ihm gar zu: »Herr Graf, schnallt den Panzer ab und setzt Euch zu uns ins Grüne, so wollen wir im Wams einen Wettlupf in Königswein zusammen wagen, die Ofenwinkel in der Stadt laufen Euch nicht davon. Ihr mögt Euch darnach mit Euern Freunden noch früh genug dorthin verkriechen.«

Da ward Herr Hallwil wild.

»Ei, ihr wohlgemuten Leute,« rief er aus, »ist's so gemeint? Kommt, laßt uns absteigen, ihr Herren! Obwohl es uns bei dieser Sauordnung bös geraten mag, soll uns doch niemand hinter den Öfen suchen müssen.«

Sogleich stieg ein Teil der Edelleute mit ihren Knechten ab. Die andern machten sich, vorsichtiger, zum Markgrafen von Hochberg in die sichere Stadt zurück.

Unterdessen war der Rat in der Stadt in ständiger Sitzung beisammen, bereit, bei der ersten Kunde vom wirklichen Anrücken der Eidgenossen, ebenfalls mit den letzten Mannschaften über die Sihl zu eilen.

Eine Anzahl Herren des Rates hatte es nicht übel verschnupft, daß Bürgermeister Stüssi, übernommen von seiner unbesonnenen Heftigkeit und Prahlsucht und gestachelt von Kampfbegierde, die Zürcher aus der Stadt und gar über die Sihl ausziehen ließ. Doch wagten sie nicht, außer einem bedeutungsvollen Schweigen, sich etwas merken zu lassen.

Bürgermeister Rudolf Stüssi war seit Ritter Meißens Tod wunderlich und gereizt und ertrug den Widerspruch nur noch wild fauchend, wie eine Wildkatze, die einen Vogel zu rupfen anfängt, den Blick des Menschen. Er fühlte sich nicht mehr so fest im Sattel seit es sich gezeigt, daß trotz dem verheißungsvollen Bündnis mit Österreich die Eidgenossen nicht nur nicht erdrückt werden konnten, sondern sich an der vermehrten Gefahr erst recht aufrichteten. Daß sie ihm aber gar seine Feste, in der er als König saß, zu bedrohen wagten, erfüllte ihn mit einer namenlosen Wut. Statt die Eidgenossen sich an den Mauern die Köpfe einrennen zu lassen, spielte er seine letzten Trümpfe aus und hetzte in wildem Übermut die Zünfte dem mächtigen Feinde ins freie Feld entgegen, trotz allen Abmahnungen seiner österreichischen Verbündeten.

In der Ratsstube herrschte eine seltsame Schwüle und fühlbare Bedrücktheit, denn jeder Augenblick konnte wie ein Blitz die Meldung vom Herannahen der Eidgenossen ins Haus werfen.

Eben erhob sich Rudolf Stüssi, vollständig geharnischt, einen Arm auf eine gewaltige Streitaxt stützend, von seinem Thronstuhl und trug unter Totenstille an, es sei nun an der Zeit, den ärgsten Feind im Innern, Anna von Hewen, die Äbtissin am Fraumünster, zur Verantwortung zu ziehen und so rasch als tunlich unschädlich zu machen. Unter grimmigem Lächeln sagte er: »Es ist nun nicht mehr zu frühe, die heimlichen Sünden der schönen Frau an der Abtei einmal beichtzuhören. Sollten die Eidgenossen in die Stadt gelangen, was Gott und unsere Mordäxte verhüten mögen, so dürfte es leicht zu spät sein. Die Fürstin von Zürich täte dann uns andern für die allerletzten Beichtväter sorgen.« Dann aber machte er finster: »Lange genug haben wir das Zwischenspiel und die bösen Ränke dieser hochfahrenden Pfäffin im seidenen Unterrock ertragen. Viel zu lange durfte sie ungebüßt die Schwyzer und alle Welt gegen uns hetzen. Die ganze Stadt weiß, was für eine Rolle ihr frecher, durchtriebener Hofpfeifer spielte. Dieser Fetzelkönig wagte es sogar, die ehrlichen Söhne der Stadt anzugreifen, er, der hochverräterische Kundschafter. Und es ist leider wahr, sie war mit ihm königlich versehen, denn es gelang uns nie, ihn zu erwischen. Doch was wollen wir länger auf Beweise fahnden, um das heillose Weib einziehen zu können? Jedermann konnte sie bei unsern Erfolgen traurig, bei den Siegen unserer Feinde hochwohlauf sehen.

Als die Eidgenossen vor kurzem das Kloster Rüti plünderten und die Leichen der Adeligen, ja sogar des Grafen Friedrich von Toggenburg, ihres Freundes, aus den Särgen leerten und sich mit den Gebeinen des Grafen von Thierstein, wie Schulbuben mit Schneeballen bewarfen, soll die schöne Frau kurz aufgelacht haben, wie sie's vernahm. Dann soll sie gesagt haben, mit Stüssis hartem Schädel werden die Eidgenossen eines schönen Tages vor der Abtei nach dem dürren Gebein des Stadtschreibers kegelschieben. Und es möchte das wohl werden, kämen sie in die Stadt, denn die Eidgenossen würfen dem Herrgott die blauen Scheiben ein, wäre er ihnen nicht allzeit zu willen und fürchteten sie den Teufel nicht.«

Er horchte einen Augenblick auf. Draußen ward es mit einemmale ungewöhnlich laut mit Rufen und Lärmen. Dann fuhr er fort: »Doch genug, das Maß ist voll. Die eitle Frau, der wir doch zur Regierung verhalfen, will über unsere Rücken nach dem wurmstichigen Thronstuhl der alten Fürstinnen von Zürich schreiten. Soll sie dies Ziel jemals erreichen? Nein!« donnerte er plötzlich in wild aufsteigendem Grimm. »Nein! Sie soll nicht einmal mehr darnach blinzeln dürfen. Wir wollen ihr die goldenen Schnüre aus den Haaren reißen und den weißen Hals für den . . .«

»Hilfio, hilfio! Die Eidgenossen!« lärmte es in die Ratsstube.

Hans Asper, der oberste Ratsknecht stand schweißbedeckt in der Türe.

Auf schnellten die Räte, wie Vesperbrot haltende Bauern, ob denen der Blitz in den Baum fährt.

Bürgermeister Stüssi sprang, seine Streitaxt in die Faust krampfend, vom Thronstuhl und ergriff das dreieckige Rennfähnlein, das ihm ein Ratsknecht überreichte.

Über Kopf und Hals fuhr alles zur Ratsstube hinaus.

Jetzt begann das Glöcklein im Chortürmchen der Probstei zu läuten, dann fiel die Feuerglocke der Abtei ein, dann das Primlegel und die große Glocke und nun hub auch das Glöcklein zu St. Verena zu wehklagen an, mit einemmale überrauscht von den großen Glocken des großen Münsters und zu St. Peter.

Vor dem Rathause auf Plätzen und Gassen war ein heilloser Wirrwarr. »Feindio, hilfio!« schrieen die aufgeschreckten Weiber und Kinder.

Von ihrer Trinkstube zum goldenen Horn her, die Marktgasse herunter, kamen dröhnenden Schrittes, mit wirbelnder Trommel, ein Trüpplein von der Schmiedezunft. Sie schlossen sich Bürgermeister Stüssi an, der eben, das Rennfähnlein in der Faust, an der Spitze einer in der Stadt verbliebenen Schar Schwertler und Bogenschützen, über die niedere Brücke stürmte.

Diesen nach rannte noch die zuletzt aufgebotene Metzgerzunft. Wie sie über die niedere Brücke polterte, donnerte vom Hof herab ein Lärmschuß. Da schwang der Metzger Zunftmeister seine Mordaxt drohend gegen die Abtei hinauf und brüllte: »Heut deinen Freunden, morgen dir! Hie allweg Zürich!«

Und fort rasten sie wie das heilige Donnerwetter.

Allmählich ward es stiller in der Stadt, nur die Glocken heulten fort und vom Zürichberg kam nun der Widerhall ferner lärmender Geschütze.

Es ging gegen Abend.

In ihrer Erkerstube stand Anna von Hewen, die Äbtissin im offenen Fenster und um sie drängten sich ihre Frauen, doch war von den Tischtöchtern nur Anna von Thengen unter ihnen.

Vor ihr auf dem Fenstergesimse lag, aufgeschlagen, ihr mit Samt eingebundenes, in prächtiger Handschrift und schönfarbigen Initialen geschriebenes Gebetbüchlein.

Aber jetzt las sie nicht darin. Mit brennenden Augen, bebend vor Aufregung, schaute sie nach dem trotz der beginnenden Dämmerung immer röter werdenden Himmel und dann in die Gassen der Stadt hinunter.

Dort war ein wilder Lärm, ein Rufen und Schreien und ein tolles Durcheinander fliehender Leute.

»Sie kommen, sie kommen!« kreischten die Weiber und Kinder. »Die Eidgenossen kommen!« – – – »Mordio, mordio!« brüllten einige aus dem Münsterhof nach der Brücke flüchtende Stadtknechte. »Sie sind schon in der mindern Stadt, hart auf uns!« – »Retta Österreich!« lärmte eine Schar österreichischer Troßbuben. »Man will Österreich den Eidgenossen ausliefern, Verrat, Verrat!« – »Hilfio, feindio, mordio!« schrie es aus allen Gassen. Suchte alles über die Brücken in die mehrere Stadt hinüberzukommen, was besonders auf der niedern Brücke ein arges Drängen absetzte, denn dort und bis um den Schneggen, hielt eine in gleißendem Eisen starrende Reiterschar österreichischer Edelleute mit ihren Reisigen, an ihrer Spitze der Markgraf von Hochberg.

Da sie die Eidgenossen schon in der mindern Stadt glaubten und sich von den Zürchern an sie verraten wähnten, hatten sie sich, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen, flink beritten gemacht und bei der niedern Brücke aufgestellt.

Anna von Hewen sah die wilde Flucht ihrer Feinde, hörte aus ihrem Hilfegeschrei den Sieg ihrer Freunde und Helfer heraus. Sie vermochte ihre Freude nicht zu verbergen und schrie auf: »Lauft, lauft, ihr da unten! Ich will zu Gott beten, daß ihr alle erstochen werdet. Zwei Klafter springe ich jetzt hinter Schwyz und lasse Österreich auf ewig fahren, denn werden die Eidgenossen Meister, so ist das mein größtes Glück. Behüte Gott, die ich segne!«

Und als die Frauen hinter ihr bei dem zunehmenden Lärm in den Gassen aufschrieen, wandte sie sich mit strahlenden Augen um und sagte schier unwillig: »Fürchtet ihr euch? Ei, da hat es keine Not, denn euch geschieht nichts Böses von meinen Freunden, den Eidgenossen.«

Kaum schaute sie wieder zum Fenster hinaus, lachte sie laut auf.

Eben rannte um die Gäden am Fraumünster, flott ausgreifend wie ein frischgehaberter Gaul vor der Trompete, die Lanze wie einen Ellenstecken unterm Arm tragend, meiner Frauen Leibschneider und flink, wie ein Schulbube mit gestohlenen Äpfeln, verschwand er durch das Kilchtor in der Abtei.

Hinter ihm drein gegen den Kratzturm aber eilte der Untervogt im Kratz mit einigen Stadtknechten und ihnen folgte in flottem Galopp, aber ohne Sturmhaube und Waffen, mit jämmerlichem Gesicht, der Kratzschreiber. Sein Haar war übel zerzaust und sein Wams hinten von oben bis unten zerrissen, wie der Vorhang im Tempel zu Jerusalem, als hätte es der hl. Martin mit dem Schwert geteilt. Er schien mit knapper Not den wilden Griffen irgend eines handsamen Eidgenossen entronnen zu sein. »Jesus Gott, Jesus Gott, sie kommen!« lärmte er erbärmlich. »Hilfio, mordio, mordio!«

Der Lärm in der Stadt nahm immer mehr zu und jetzt hörte man den fernen Donner eines großen Geschützes. Der zudunkelnde Himmel aber war brandrot geworden und warf auf das Gesicht der immer noch im Fenster liegenden Äbtissin einen blutroten Schein.

Plötzlich wurde die Türe aufgerissen.

Die Frauen der Äbtissin kreischten entsetzt auf und auch Anna von Hewen wandte sich rasch um.

Ihr Bruder, Freiherr Friedrich von Hewen, trat flinken Schrittes in die Stube.

»Ha, du bist's, Bruder! Wie steht's, wie steht's?!« rief die Äbtissin, auf ihn zueilend. »Kommen sie wirklich, die Eidgenossen, oder ist es nur ein leeres, schreckhaftes Geschrei? Rede, rede!«

Der Freiherr ließ sich auf einen Stuhl fallen, strich mit der Hand über die schweißtriefende Stirne und sagte: »Kommen sie heut nicht, so kommen sie morgen. Eins ist gewiß: Die Zürcher wurden heute schwer auf's Haupt geschlagen.«

Er atmete lange auf. Aber Anna von Hewen faßte ihn, hochrot vor gewaltiger Aufregung, am Ärmel und ihn kräftig schüttelnd, rief sie fast aufschreiend: »So bericht' doch, so erzähl', erzähl'! Siehst du denn nicht, daß ich sterbe, wenn du noch lange wartest!«

»Ei, so lass' mich doch ein bißchen verschnaufen,« brummte er.

»Licht! Bringt Licht!« schrie die Äbtissin.

»Ich ritt also, wie du mir auftrugest, aus der Stadt, um nach dem Gang der Schlacht zu sehen. Und siehe da, ich kam eben zur rechten Zeit.

Wie ich an der Kirche zu St. Stephan vorbei gegen die Sihlbrücke ritt, hörte ich das dumpfe Brüllen des Stiers von Uri, das Tüten der Harsthörner von Unterwalden und eben brachen die Fähnlein von Schwyz und Glarus in wildem Anlauf durch den Grünhag in den schießenden, nur wenig geordneten Haufen der Zürcher hinein.

Zwar stellten sich diese mannhaft, aber, ich weiß nicht weshalb, plötzlich lärmten die hintersten ›Verrat, Verrat!‹ und fingen an auszureißen. Und als dann auch die übrigen Banner der Eidgenossen in die verwirrte Herde der Zürcher und ihrer österreichischen Edlen drückten und den heillosen Knäuel unter dem Schirm ihrer Schützen, auseinanderzuhauen anfingen, löste er sich mit einemmale auf und der ganze Brei wälzte sich in unaufhaltsamer Flucht über die Sihlbrücke, hinter ihnen her jauchzend und brüllend die Eidgenossen. Es war mir, ich sehe Uli von Lommos Federbusch im Gedränge untergehen.«

Eine Kammerfrau brachte zwei Kerzenleuchter in die Stube. Anna von Thengen entnahm dem einen eine brennende Kerze und zündete damit, auf einen Stuhl stehend, auch den großen Leuchter an, der als ein Zwölfendergeweih mit behaubtem Frauenköpfchen, von der getäferten Decke hing.

»Aber bei der Sihlbrücke,« fuhr der Freiherr fort, »gelang es Rudolf Stüssi, ich erkannte seine hohe Gestalt aus allen heraus, – eine Schar der Flüchtenden zu stellen und die allzusiegesgewissen Verfolger zurückzudrängen.

Da geschah etwas merkwürdiges. Ein flinker braunhaariger Bursche, ich meinte in ihm deinen Spielmann zu erkennen, – stellte sich vor das Fähnlein der vordersten, zurückgeworfenen Schwyzer und Glarner. Flugs hatte er sein Schwegelpfeiflein am Mund und es spielend, schritt er todesmutig gegen die Zürcher.

Jetzt ermannten sich die Schwyzer und Glarner. ›Haarus, haarus!‹ brüllten sie und wie eine Schlaglawine fuhren ihre Fähnlein auf die Sihlbrücke los. Die Zürcher flohen wieder, nach kurzem erbittertem Widerstande. Noch sah ich aber den bäumigen Bürgermeister Stüssi, allein auf der Brücke stehend, mit wirbelnder Streitaxt, den ganzen Ansturm als ein gewaltiger Held aufhalten.

Aber plötzlich sank er und ich wurde von der Lawine der Flüchtenden erfaßt und mitgerissen.

Mit Not kam ich durch das Rennwegtor in die Stadt, um mich und hinter mir flüchtende Zürcher und österreichische Reisige, aber auch schon vereinzelte mordgierige Eidgenossen. Ich sprang vom Pferd und machte mich hurtig auf die Ringmauer, wo man eben in aller Hast die große Büchse lud.

Da sah ich es schon auflodern in der Vorstadt, und eben fuhren aus dem Kirchendache zu St. Stephan die Flammen wie feurige Ruten himmelan.

Über den Graben aber, vor der Mauer, jagten immer noch, schreckensbleich, gehetzte Zürcher. Unter ihnen der Stadtschreiber Stäbler, der Graf. Hart vor dem Tore wandte sich einer der Flüchtenden, – es schien mir ein Bauer zu sein – und rannte dem aufkreischenden Schreiber fluchend seine Lanze durch den Leib.

Jetzt sah ich des Torwächters entschlossenes Weib aus einer Turmlucke einen Kalchkopf auf ein paar hereinstürmende Feinde werfen und gleich darnach rasselte der Fallgatter nieder.

Nun zogen sich die Eidgenossen, denen die Stadt heute schon bei einem Haar geworden wäre, langsam zurück, denn jetzt hagelten aus der großen Büchse, ab Armbrüsten und aus Handbüchsen Kugeln und Pfeile auf sie herab.

Schnell machte ich mich fort, dir die Schlacht zu melden. Als ich mich an der Mauer in den Sattel schwang, sah ich eben noch, wie einer der eingedrungenen und nun gefangenen Eidgenossen das eroberte zürcherische Stadtfähnlein durch den herabgelassenen Fallgatter einigen kecken vor dem Tore stehenden Eidgenossen zustreckte und dann von den ihn umdrängenden Zürchern zusammengehauen wurde.

Lebhaft ritt ich zu. Als ich aber in die Strehlgasse kam, erblickte ich zu meinem Erstaunen deinen Spielmann, den Pfeiferkönig, in den Händen eines tobenden Haufens grimmiger Blutharscher. Er war blutüberloffen und ein wilder Kerl brüllte ihn, sinnlos vor Wut, an: »Bekenn', du Hund, bekenn'! Du warst es, der den Bürgermeister meuchlings von der Brücke stach, du bist es, der dem verfluchten Weib an der Abtei den Zwischenträger gemacht hat. Bekenne, daß sie eine Hochverräterin ist, bekenne es vor diesen allen!«

Wie sie ihn auch schlugen, der Spielmann blieb stumm.

›Zerbrecht ihm Arme und Beine,‹ lärmte einer, ›martert ihn bis er bekennt!‹

Sie drückten ihn nieder und ich sprengte davon, dir Botschaft zu bringen. Es war ein böser Tag für die Stadt, denn ihre Bürger liegen haufenweise erschlagen vor den Mauern, die Eidgenossen aber stehen, wie eine Wolke voll frischer Donnerwetter, vor dem Tore. Was hast du, Schwester, was bist du auf einmal so bleich?«

Anna von Hewen war in ihren Lehnstuhl gesunken.

»Laßt mich, laßt mich!« gebot sie den Frauen, die sich an sie heranmachten, »es ist nichts.«

Unterdessen war es finstere Nacht geworden, nur ein feuerfarbener Nebel war noch draußen am Himmel.

Mit geschlossenen Augen lag die Äbtissin im Lehnstuhl. Ihr war, sie komme um den Verstand. Welche Nachrichten! Rudolf Stüssi und Stadtschreiber Graf, ihre ärgsten Widersacher, ihre Todfeinde, erschlagen. Wie es ihr Bruder erzählte, hatte ihr Blut zu sieden angefangen, doch war es ihr gelungen, den kalten Schweiß auf der Stirne, ein wildes Aufjauchzen hinunterzuwürgen. Es war ja eine Kunde über alle ihre Hoffnungen. Meiß war gerächt, und sie selbst sah sich ihrem Ziele, dem Thron von Zürich, ganz nahe. War auch die Stadt noch nicht in der Eidgenossen Gewalt, so standen sie doch sieghaft vor den Toren und hatten der österreichischen Partei den Todesstoß gegeben. Die Stadt wird zu Kreuze kriechen und alle, alle Bedingungen für den Frieden eingehen müssen. Sie jubelte innerlich vor Wonne. Dann aber war die Unglücksbotschaft vom Pfeiferkönig, ihrem Kundschafter gekommen. Wie, wenn sie ihn zu einem Bekenntnis zu zwingen vermöchten, bevor die Stadt fiel? Würde man sie nicht noch hastig und mit teuflischer Rachelust wegen endlich erwiesenem Hochverrat unter das Beil zu bringen suchen? So konnte sie noch elend zu Fall kommen an der Stufe ihres fürstlichen Thrones! Das alles ging ihr wie der Wind durch den Sinn. Sie wagte es nicht auszudenken. Doch er wird treu sein und standhalten. Aber wenn ihn die Pein doch zum reden brächte und ihr heutiger Rachetag sich in eine blutige Nacht für sie verwandeln würde? Wenn den Ärmsten die Qual doch zum reden brächte! –

Jetzt glühte ihr Kopf und ihre Ohren waren schon voll von den Klängen des Armsünderglöckleins.

Sie sah, wie ihr die rohen Blutknechte die goldenen Schnüre vor den Augen Hans Stüssis aus den Zöpfen rissen, sie gierig mit ihren mordgewohnten Fleischerhänden anpackten. Nein, nein, nein! schrie es wie wahnsinnig auf in ihr. Ulmann mußte heute noch um jeden Preis aus den Griffen seiner Peiniger befreit werden. Er war ihres Gotteshauses Mann und jetzt nach dieser schmachvollen Niederlage würde es niemand wagen, ihr in den Arm zu fallen. Und wenn auch, sie mußte ihn heute so oder anders befreien und morgen kommen die Eidgenossen.

Erschrocken stoben die Frauen auseinander. Die Äbtissin, über die sich eben ihr Bruder besorgt beugen wollte, war aufgefahren.

Mit schier wahnwitzig funkelnden Augen stand sie da und schrie: »Eilt, eilt, ihr Frauen! Ruft mir das ganze Haus zusammen. Aber hurtig, hurtig! Alle meine Geistlichen, Chorherren und Kapläne, Dienste und Knechte, alle bis auf den letzten Pfisterjungen, sollen in meinen Hof eilen, denn ich will in die Strehlgasse ziehen, meinen Eigenmann, den Pfeiferkönig, zu befreien. Fort, packt euch! Komm, Bruder!«

Sie drängte die aufgeschreckten Frauen vor sich her und bald war in der Abtei herum ein polterndes Laufen und Lärmen.

Nun eilten mit entsetzten Gesichtern die beiden Elsbeth von Wißenburg, die sich auf dem Estrich versteckt hatten, herein.

»Frau Mutter, Frau Mutter, was ist das für ein Lärm in der Abtei?! Sind die Eidgenossen schon eingebrochen?!«

»Nein,« machte die Äbtissin kurz, fast wild.

Als sie in den Gang hinaustrat, stand auch Verena von Monsax bleich, aber gefaßt vor der Türe.

Die Äbtissin wies weder sie noch die andern Tischtöchter zurück, als sie ihr die lange Stiege hinunter nachkamen.

Babeli, die ältere und Agnes, die jüngere Kammerfrau, trugen ihnen die Kerzenleuchter voran.

Bald gelangten sie ans Tor. Die Äbtissin wollte es aufreißen, aber es ging nicht auf. Rasend vor Ungeduld zerrte sie an der Klinke und als es sich doch nicht öffnen wollte, half ihr Bruder mit einem gewaltigen Rucke nach. Jetzt ging das Tor ächzend auf und an die Hand der Äbtissin schlug ein feuchtes Haupt.

»Die Lichter hoch!« schrie sie auf.

An der Türfalle hing der leblose Körper eines Menschen.

Die Äbtissin griff mutig in sein blutverkleistertes Haargelock: Die toten Augen des Pfeiferkönigs starrten sie an.

»Heilige Muttergottes!«

Entsetzt wich die Äbtissin zurück.

Aber Verena von Monsax machte sich aufschreiend über den Toten her, löste ihn mit zitternden Fingern von der Türklinke und ließ sich, wild aufschluchzend, mit dem Toten auf das Stieglein vor der Türe nieder, sein zerschundenes Haupt sorglich in ihren Schoß bettend.

Regungslos hatte ihr die Äbtissin zugeschaut. Er hat mich nicht verraten, das war ihr erster Gedanke.

Aber als jetzt der Freiherr sagte: »So haben sie den tapfern Burschen doch noch erschlagen,« erwachte sie und mit Tränen in den Augen rief sie: »Ei, ich danke euch von Herzen, ihr mordgewohnten Blutharscher, daß ihr mir meinen lieben Spielmann zugetragen habt. Es soll euch nicht vergessen werden. Er ist mir hochwillkommen, denn er war getreu bis in den Tod. Hört!« rief sie dann ihrem herbeieilenden Schaffner und Zoller mit schier rauher Stimme zu: »Tragt mir meinen Hofspielmann sogleich ins neue Bad! Darnach sollen ihn meine Frauen bekleiden wie einen Fürsten und in m. L. Frauen Kapelle vor den zwei steinernen Särgen meiner seligen Vorläuferinnen, der Königstöchter Hildegard und Bertha, aufbahren wie einen König von Gottes Gnaden. Er wird dort in guter Gesellschaft sein. Und sollen auch den Schild nicht vergessen, der in seiner Dachkammer hängt. Tummelt euch!«

Dann trat sie zu Verena von Monsax.

»Und du, Vrenlein, komm jetzt mit uns!«

Der Hof füllte sich mit Leuten. »Ist der Spielmann aufgebahrt, magst du zu ihm hinabsteigen, um für ihn zu beten. Jetzt komm!«

Als Verena von Monsax unbeweglich blieb und sie schier feindselig anblickte, löste sie ihr die Hände ruhig vom blutigen Haupte des Toten, hob sie auf und verschwand mit der Schluchzenden, gefolgt von ihrem Bruder und den Frauen im düstern Aufgange ihres Hauses.

Der Widerhall eines letzten donnernden Schusses kam durch die Nacht.


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