Meinrad Lienert
Der Pfeiferkönig
Meinrad Lienert

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Neuntes Kapitel.

Das Kindlein.

Es schneite, aber langsam und spärlich. Es war, als ständen im Himmel die neugierigen Englein an den Fenstern und täten die Eisblumen abkratzen.

Nur hin und wieder hing sich dem Büblein, das auf dem Geländer der obern Brücke hockte, ein zierliches weißes Sternchen in die Fuchspelzkappe oder auf die gelüstig nach den glitzernden Federchen schnellende Zunge.

Und doch war die Stadt Zürich voll Schnee. Alle Türme und Dächer trugen weiße Sturmhauben. Selbst König Carolus auf dem Wendelstein der Probstei hatte eine weiße Zipfelkappe über die Krone gezogen.

Jetzt flog ein Schneesternchen dem Büblein sogar auf die Augenwimper. Es zuckte ein wenig mit den Augen, guckte aber seelenvergnügt, nun an einem gewaltigen Eiszapfen lutschend, einer Knabenschar zu, die einen stattlichen, auf's vornehmste herausgeputzten Schneemann umtollte. Der trug auf dem Kopfe einen umgekehrten Wassereimer, auf dem die Eiszapfen, wie bei der Kristallkrone des Berggeistes, bolzgrad aufstanden. Als Szepter hielt er im Arme eine Ofenkrücke und als Reichsapfel einen mit Schnee gefüllten rostigen Helm.

Nun warfen sich die Knaben vor dem Schneemann in die Knie und lärmten: »Lang lebe König Friedrich III. von Österreich, unser guter Freund! Nieder mit den Eidgenossen!«

Eben kam Ulmann, der Pfeiferkönig, aus der Vorhalle der Wasserkirche über die Brücke, nicht ohne Verwunderung auf die ungewöhnlichen Ausrufe der Knaben hörend.

Eine Schar wildblickender, vom Wein geröteter Schwertler, Schildner zum Schneggen, schritt ihm entgegen.

»Seht!« machte einer ganz laut, »da kommt Meißens Stellvertreter und Lückenbüßer bei unserer gnädigen Frau.«

Ein Gelächter schallte Ulmann entgegen. Und wie die Schildner an ihm vorbeigingen, bekam er einen Stoß, daß er ans Brückengeländer taumelte, und brüllte ihn einer an: »Nun geh' und sage deiner Frau, ich lasse sie und ihr Büblein grüßen!«

Ulmann ging, auf's höchste überrascht, gesenkten Hauptes nach der Abtei. Er konnte sich das plötzliche, überkecke Gebahren der Stüssischen Partei nicht erklären. Sie war sonst sehr kleinlaut geworden und hatte auch ihn ziemlich unbehelligt in der Stadt umgehen lassen. Und nun auf einmal dieser wilde Trotz, dieses herausfordernde Drauflosgehen. Was mochte wohl geschehen sein, daß man ihm sogar das elende Stadtmärlein von einem Kinde der Äbtissin wieder ins Gesicht zu schreien wagte? O, wie ihn dies Gerücht, das er nie und nimmermehr glauben wollte, so oft mit bösen Träumen aus dem Schlafe schreckte! Doch er ermannte sich, fuhr sich über die Stirne, die trüben Gedanken wegzuscheuchen und hob den Kopf hoch.

Bald betrat er ruhig die Abtei.

Neben der Türe der Torstube saß auf einem Bänklein, an der Mauer lehnend, der alte Torwart und schnarchte.

In der Torstube selber schien es hoch herzugehen, denn es lärmte, sang und johlte darin.

Verwundert machte der Spielmann die Türe auf und schaute hinein.

»Juhee, unser König! Willkommen, Gott willkommen!« lärmte es ihm entgegen.

Am mächtigen Kachelofen, um den vierschrötigen Tisch hockten die drei Spielleute von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein.

»Herein mit dir, trink uns Bescheid!« lärmte der Lumpenhütlein. »Gott meint es gut mit dir, Meister. Er hat sich deinen Weg wohl gemerkt und dich zur rechten Stunde hiehergeleitet. Juhuu! Wir haben gute Zeiten, Herrenzeiten!«

Drei Krüglein fuhren Ulmann entgegen.

»Unserm König Heil, Heil!«

»Euch bring' ich's, liebe Gesellen!« machte Ulmann und trank aus jedem Krüglein Bescheid. »Wo kommt ihr aber im tiefsten Winter her? Doch nicht aus dem Finsterwald.«

»Wir kommen geradewegs von den Augustinern auf dem Zürichberg,« antwortete der Glückhütlein. »Wir spielten einem alten frommen Küchenbruder, der uns zu seinen Lebzeiten gar oft gastlich bewirtete, ein Requiem an seinem frischen kalten Grabe.«

Der Schalk kam in Ulmanns Augen.

»Und der Küchenbruder ist nicht wieder lebendig geworden?«

Da hob der Lumpenhütlein drohend den Zeigfinger: »König, König!« sagte er fistelnd, »du verhöhnst die Kunst.«

Auch die zwei andern schielten ihn, sonderbar lächelnd, seitlings an.

»Es war nicht böse gemeint, liebe Gesellen.«

»Du bist vielleicht noch einmal froh,« brummte der Lamphütlein, »wenn wir dir ins himmlische Jerusalem heimgeigen.«

Jetzt lachte Ulmann laut auf.

»Ja, wollt ihr denn, wie die Patriarchen des alten Testaments und der ewige Jude, alle Welt überleben?«

»Wer weiß,« machte der Lamphütlein. »Der Noah ist seinerzeit auch allein übrig geblieben, da er, wie wir, den Wein liebte und sich beizeiten vor dem vielen Wasser in die Arche verzog?«

»Und sagt, ihr alten Bursche, wohin geht morgen euer Weg?«

»Morgen? Wir müssen noch heute durch's Wollishofertürlein,« beschied der Glückhütlein, »denn morgen früh sollten wir einem gemästeten Bauern auf Kilchberg zur Hochzeit aufspielen.«

»Da müssen wir noch vor der Nachglocke aufbrechen,« meinte der Lumpenhütlein, »denn es ist mit dieser Stadt nach Nachglockenzeit wie mit der Hölle: Hinein kommt man wohl, aber hinaus nicht mehr.«

»So gehabt euch wohl derweil! Ich seh' nochmals nach euch,« sagte Ulmann. »Muß mich doch vorerst in der Küche bei dem dicken Meister Brun nach einem Imbis umsehen.«

»Ist doch ein schmucker Knabe, unser Meister,« sagte der Lumpenhütlein, als der Pfeiferkönig fort war.

»Freilich,« machte der Glückhütlein, »der bringt's noch weit; dem sein Stern ist nicht von Hexengold. Dem können wir noch einmal mit einem adeligen Schätzlein heimgeigen.«

»Das glaub' der Gauch,« meinte der Lumpenhütlein.

»Was frag' ich dem darnach, ob adelig oder nicht,« sagte mit weinschwerer Zunge der Lamphütlein. »Und wenn der Adel von unseres Königs einstiger Gesponsin älter wäre als der aller andern abstammungssüchtigen Hochmutsnarren der ganzen Welt, gibt ihr unter den fahrenden Leuten doch niemand einen roten Heller darum. Denn, läuft sie mit unsern Weibern barfuß, wird ihr kein Hofhund den Adel von der Wade lesen, wenn er ihr darnach fährt.«

»Adel hin, Adel her,« lärmte der Lumpenhütlein, »ich pfeif' auf die Weiber! heißt das,« fügte er rasch bei, »wenn andere sie haben. Juhuu! Heut' haben wir gute Zeiten, Herrenzeiten haben wir. Der Wein läuft uns wie den Juden, die der Teufel und seine Stubenhitzer holen mögen! – das Quellwasser, als Moses an die Felsen klopfte. Wäre er gescheit gewesen, hätte er die wassersüchtigen Felsen bleiben lassen und an ein rechtes Weinfaß geklopft. Gott segne und erhalte unsere Frauen Gnad, die Fürstin an der Abtei!« schrie er und hob sein Krüglein hoch. »Sperrangelweit hat sie uns den Schenkhof der Probstei auftun lassen, wie sie's uns auf der Lützelau weissagte. Welch eine Frau! Ich wollte, sie wäre wieder Königin in Zürich. Hei, wie tät ich ihr hofen! Mit meinen Küssen wollt' ich ihr allmorgentlich als ihr getreuer Stubenknecht die kleinen Schnabelschuhe putzen, tausendmal lieber als der verwunschenen Anastasia um alle Schätze der Welt den quakenden Mund küssen. Ich schmisse, wie unser Meister, der Lützelpfeifer, die Posaune in den See und tät' ihr mit dem Maul was vorflöten, denn gilt es dem Weibervolk zu pfeifen, so weiß ich den Schnabel zu spitzen so gut als einer. Hoch lebe unsere Frau! Ei, wie will sie uns wohl. Dort hängt ja noch ein volles Fäßchen und draußen vor der Türe schnarcht steinhagelvoll der Stubenmeister, unseres Anrufes gewärtig. Das sind Zeiten! Kommt, liebe Gesellen, wir wollen unsere Weinkännel ein bißchen ausblasen und eins singen, bevor wir wieder aus dieser verschlafenen Stadt fahren, in der die Leute die Augendeckel und die Fällladen ihrer Häuser den ganzen Tag nie recht aufbringen. Da sind wir Waldleute doch beigott aus anderm Holz, als diese ewigen Nachtkappen, denen man ein Halbjahr aufgeigen muß, bis es sie ab dem Gestühl lupft, wo unsere sündigen Seelen schon einen Gestobenen tanzen, sobald sie irgendwo eine Fidel wittern. Juhuu! Singt, Brüder, fingt!«

Und er begann mit kreischender Fistelstimme zu singen und die andern fielen mannlich ein:

Gesellen, hebt den Becher hoch!
Den Wein will ich lobpreisen.
Er taut uns auf, heijuppedihee!
Und wären wir von Eisen.

Laßt uns aus vollem Weinkrüglein
Frau Venus Geister klopfen!
Ein Hexlein ist, heijuppedihee!
Versteckt in jedem Tropfen.

Wir wollen heut wie der Prophet, –
Stoßt an, glükhafte Narren!
Wir wollen heut, heijuppedihee!
Dreispännig himmelfahren.

Liegt ja im Wein das Schlüsselein
Für alle Himmelstüren.
Einziehen wir, heijuppedihee!
Nektar zu pokulieren.

Es ging in der Torstube immer lärmender zu.

Ulmann hatte sich zu einem kurzen Abendbrot in die Küche verzogen. Darnach aber stieg er bedächtig über die lange Treppe zu den Gemächern der Äbtissin empor.

Er war müde. In der vergangenen Nacht hatte er eine Botschaft nach Schwyz getragen und nun war er schon wieder zurück, obwohl ihm seine Herrin strenge befahl, sich gehörig Rast zu gönnen und ja nicht vor drei Tagen in die Stadt zurückzukehren. Dem Wächter am Wollishofertürlein hatte er eine Mahnfahrt um einen ausstehenden Zehnten vorgetäuscht.

Als er gegen die Erkerstube der Äbtissin schritt, vernahm er schon vor der Türe ein herzhaftes Auflachen und ein liebkosendes Getue.

Weil er der Frauen Tischtöchter im Gemach vermutete, öffnete er die Türe nur ganz wenig, obschon er Befehl hatte, stets unangemeldet in diese Lieblingsstube der gnädigen Frau einzutreten. Er wollte, falls Besuch drin wäre, sich unbemerkt zurückziehen können.

Jetzt schaute er in die Stube und schrak zusammen.

Im großen Lehnstuhl saß Anna von Hewen, ließ ein Kind auf den Knieen reiten und sagte dazu das Sprüchlein: »Reite, reite Rößlein, zu Baden steht ein Schlößlein, zu Baden steht ein großes Haus . . .«

Und als das Kindlein vor Vergnügen mit dem ganzen Gesicht lächelte und mit Armen und Beinen strampelte, schluchzte sie auf vor Freude, drückte es stürmisch an ihre Brust und dann wiegte sie's im Schoß, tippte ihm mit einem Finger das stammelnde Mäulchen und sagte: »Aber nein, wie doch mein Vögelchen schön singen kann! Chrrr, grrr – ei, ei, es tönt noch viel feiner als meines Spielmanns Zauberfidel. Plappere nur zu, liebes Schnäbelchen, mein junges Meislein! Jetzt kommen gute Zeiten. Und bin ich erst wieder Fürstin in Zürich, will ich dich allen zünftigen Hauben zum Trotz zu mir nehmen. Dann muß ich dich nicht wieder bei Nacht und Nebel kommen und verschwinden lassen. Dann mache ich einen Prinzen aus dir und einen so edlen, guten Mann, wie dein Vater es ist. O mein Kind, mein Kind!«

Und wieder und wieder preßte sie das Kind an sich und küßte es also stürmisch ab, daß es aufschrie.

»Babeli!« rief sie dann. »Komm', bring' das Büblein wieder zur Amme! Es ist ermüdet und schläf'rig, die Äuglein wollen ihm zufallen. Fass' es doch nicht so plump an!« sagte sie aufgeregt zu ihrer ältern Kammerfrau, die ihr das Kind etwas rasch abnehmen wollte. »Du tust ihm ja weh.«

Die Kammerfrau wollte etwas entgegnen.

»Pst, pst!« warnte die Äbtissin. »Siehst du denn nicht, die Äuglein sind ihm schon zugefallen. Nun geh', aber leiser, leiser, nicht wie in Holzschuhen, hörst du?«

Die Amme ging mit dem Kinde sachte auf eine Seitentüre zu, verfolgt von den ängstlichen Augen der Äbtissin.

Ulmann, der die Türe der Erkerstube schon vor dem Erscheinen der Kammerfrau lautlos zugemacht hatte, war wie ein Nachtwandler die lange Stiege hinuntergestiegen.

Jetzt lehnte er zuunterst im Gang hinter dem Haustore an der Wand, die klopfende Stirne in den Händen.

Das Tor ächzte und öffnete sich knarrend.

Der Pfeiferkönig fuhr auf.

Bürgermeister Meiß schritt hastig, in schlecht verborgener Aufregung an ihm vorbei, ihn flüchtig anblickend.

Schier feindselig starrte Ulmann dem hochgewachsenen Manne nach.

Rudolf Meiß aber trat bald, den Gruß vergessend, mit schnellen Schritten in der Äbtissin Erkerstube.

Erstaunt schaute ihm Anna von Hewen, die in ihrem Lehnstuhl sinnend an einem Fenster saß, entgegen.

»War nicht eben dein Spielmann hier? Was hattest du mit dem Burschen? Wie ich ins Haus trat, stand er totenbleich, die Stirne an die Wand gedrückt, im Gang. Hast du ihn fortgejagt?« hastete der Bürgermeister heraus.

»Ei, du mein Gott, was ist's denn mit dir?!« sprach schier erschreckt die Äbtissin und ging ihm entgegen. »Du fährst mir ja in die Stube wie ein Windstoß. Wer, sagst du, soll eben hier gewesen sein, Ulmann, mein Hofmusikant? Nein, da irrst du, den hab' ich heute mit keinem Auge gesehen. Du mußt dich getäuscht haben, er ist schon seit gestern nicht mehr in der Stadt. Aber lass' ihn. Du scheinst mir kränker zu sein als jeder andere. Du selbst, mein Lieber, siehst ja ganz blaß und niedergedrückt aus. Was hat's denn gegeben? Sag', sag'!«

Da ergriff Herr Meiß der Äbtissin Hand, führte sie zu ihrem Lehnstuhl und sprach schier leise: »Setze dich, Anna, und erschrick mir nicht, ich kann dir heute kein willkommener Bote sein. Aber ich wollte selber kommen, bevor dir einer mit der schlimmen Botschaft ins Haus platschte.«

Mit verwunderten, bange werdenden Augen schaute sie ihn an. »Um Gottes willen, was ist denn los, rede, rede!«

»Du weißt, daß wir seit dem Frieden, den Zürich nach der Flucht von Pfäffikon, mit den Eidgenossen notgedrungen einging, ruhigere Zeiten hatten. Leider mußte ich bald merken, daß sie dir viel zu ruhig waren, daß dir die Demütigung Stüssis und der Stadt nicht genügten, denn – unterbrich mich nicht! – du trachtetest wohl nach Verwirklichung deiner allzu kühnen, aber nicht ungefährlichen Träume. Und man hält mich für deinen Mitschuldigen, Anna. Mit welchem Unrecht, weißt du. Aber ich wäre trotz alledem wieder zu einem ruhigen Schlaf gekommen, denn die meistens gemäßigten, eidgenössisch gesinnten alten Geschlechter kamen allmählich wieder zur Geltung in öffentlichen Dingen. Und obwohl auch mir die Gewalt der Volksmänner noch zu groß schien, da sie damit übel hausen – so war mir doch der Friede und die freie Entfaltung unserer Stadt auch viel wert. Doch ich traute dem Landfrieden nie so recht. Stüssi und sein Anhang waren erbittert und konnten den Verlust der Toggenburger Erbschaft und zahlreicher eigener Höfe nicht verwinden. Das schlimmste aber war, daß die Schwyzer sich dem Frieden der Eidgenossen mit Zürich nicht aufrichtig angeschlossen hatten. In der Stadt hörte man damals munkeln, eine gewisse herrschsüchtige Äbtissin sei es gewesen, durch ihres kühnen Kundschafters Mund, die Schwyz vom gemeinsamen Frieden der Eidgenossen, nicht ohne Erfolg, denn sie hielten ihn nie recht, abzuhalten suchte. Man sagt, sie habe den hitzigen Stüssi, wie einen draufgängerischen Stier, wieder mit dem roten Fähnlein der Schwyzer zum Kampfe reizen wollen.

Meine Liebe, ich mag dich nicht fragen, was an dem Gerüchte wahr ist, denn ich fürchte die Antwort. Aber wahr ist, daß Rudolf Stüssi und seine Mitregenten den Frieden auch nicht sonderlich achteten und sich durch das Haupt der Schwyzer, den zielbewußten, gewandten Ital Reding auf's Eis locken ließen. Tag und Nacht sannen sie daran herum, wie sie mit mehr Erfolg nocheinmal gegen die Schwyzer und ihre Eidgenossen ausziehen, die Niederlage rächen und das verlorene Land, mit anderm dazu, wieder gewinnen könnten.

Das glimmende Feuer bei Stüssi war also wieder angefacht. Sein unholder Geist, dieser Stäbler, der Tintengraf aus dem Schwabenlande, der unser Verhältnis zu den Eidgenossen nie voll erfaßte, blies auch mit vollen Backen drein und so mußt du dich nicht wundern, Anna, daß das Feuer heute plötzlich in wilden Flammen ausbrach. Aber nicht so wie du vielleicht wünschest: Zürich allein gegen Schwyz und die Eidgenossen. Meine Liebe, was ich schon lange heimlich fürchtete, ist heute wahr geworden. Soeben hat unser Rat beschlossen, eine Gesandtschaft zum neuen König Friedrich III. abzuordnen, die ihm ein Bündnis unserer Stadt mit dem Hause Österreich, dem Erbfeinde der Eidgenossen, anzutragen hat. Der Bürgermeister Heini Schwend und der Stadtschreiber Graf sollen übermorgen schon zu ihm nach Salzburg reisen.«

Anna von Hewen hatte sich erhoben. Sie war totenbleich und vermochte einen Augenblick kein Wort herauszubringen. Jetzt aber sagte sie kaum hörbar:

»Es kann nicht sein, Rudolf.«

»Ach, meine Liebe, es ist nur zu wahr.«

Da schoß sie auf. Ihr Antlitz glühte.

»Und ihr habt das geduldet?!«

»Wir mußten es wohl dulden,« machte er bedrückt, sich auf einen Stuhl niederlassend. »Ich erhob flammenden Protest dagegen und mit mir Herr Ulmann Trinkler, Meister Effinger und andere meiner Partei. Aber Rudolf Stüssi und Schwarzmurer, der lange Schwend und der kurzgebundene Haus Keller fuhren über uns her, wie neue Birkenbesen und brüllten uns nieder. Sie hatten gut brüllen; das Volk vor der Ratsstube jauchzte ihnen zu, denn man hatte das Gerücht von dem Bündnis lange vor der Ratssitzung unter den kleinen Leuten verbreiten lassen, damit sie auf die Stimmung in der Ratsstube drücken hülfen.

Und es half. Die Räte waren nun der großen Mehrheit nach Teig; Stüssi konnte sie sich zurechtkneten wie er wollte. Seltsam lächelte der Stadtschreiber, als ich die Ratsstube verließ. Draußen hoben die Leute die Fäuste gegen mich auf und schrie einer, ein pockennarbiger Brotfeiler, aus dem Haufen: »Meißlein, Meißlein, nun steckst du bald im Vogelhäuslein!«

Jetzt werden Bürgermeister Stüssi und seine Gesellen gewaltig aufgehen. Diese neue österreichische Partei wird zuerst uns unschädlich machen und dann mit den fremden Helfern über die Miteidgenossen herfallen wollen, alles um des verstorbenen Toggenburgers Zweideutigkeit willen.«

»Und das wollt ihr nun gehen lassen?« warf sie spöttisch ein.

Hochrot, zornbebend fuhr er auf. Der Äbtissin Augen glänzten, so hatte sie ihren sonst so bedachten Herrn noch nie gesehen.

»Nein, o nein, nie und nimmermehr werden wir das stillschweigend gehen lassen,« sagte er heftig. »Ich bin leider, leider Stüssis wahnwitzigem Ehrgeiz zu wenig entgegengetreten, heute sehe ich's ein. Er würde mit diesem Bündnis erst die Eidgenossen und dann, wider Willen, unsere Stadt wieder an Österreichs Pfauenschwanz anbinden. Er ist, ohne es zu erfassen, zum Hochverräter geworden und wird nun in blinder Leidenschaft gegen uns und seine Miteidgenossen rasen.«

Erschöpft ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen.

»Ja, hättest du nur früher, als es noch Zeit war, diesen Glarner und seinen bösen Geist von Stockach erkannt, es wäre nie so weit gekommen. Nun aber ist's auch höchste Zeit. Raffe dich auf! Bleibe fest und lasse dich nicht wieder durch dein allzu vornehmes Denken und dein gutes Herz wankend und zurückhaltend machen. Steh' auf, mein Freund! Vereinige deine Leute zu einer eidgenössisch gesinnten Partei und trete diesen Wütrichen mannhaft entgegen.«

Er schwor ihr zu, nun alles zu tun, um dieses gefährliche Volksregiment hintanzuhalten und Rudolf Stüssi zu Fall zu bringen, da sonst das Land zu keinem erträglichen Frieden komme. Aus ihren Augen wolle er die Kraft zum Kampfe schöpfen; das Wohl der Stadt und der Eidgenossenschaft sollen ihm alles, sein Leben nichts gelten.

»Und nun behüt' dich Gott!« machte er, sich hastig erhebend. »Du wirst bald von mir hören.«

Anna von Hewen hielt ihn zurück.

»Rudolf!«

Erstaunt blieb er stehen und sah sie an; so zärtlich hatte sie ihn nur in den ersten Zeiten ihrer Liebe angerufen.

»Was hast du, Liebste? Ich werde bald wieder kommen, jetzt tut Eile not. Laß mich fort zu meinen Freunden.«

Da umhalste sie ihn und raunte ihm ins Ohr: »Willst du dein Söhnchen sehen?«

Verständnislos schaute er sie einen Augenblick an, dann hochrot, freudig: »Unser Ruodeli? Ja wie, du hast ihn gar hier? Wo ist er?!«

»Pst! Ruhig, ruhig! Ich ließ mir das Kind gestern Nacht von Frauenfeld bringen und in der morgigen Nacht bringt es meine Amme, unter treuer Bedeckung, wieder dorthin zurück bis, ach bis . . .«

Die Stimme versagte ihr. Sie nahm Meiß an der Hand, zog ihn mit und trat, eine Seitentüre öffnend, in eine weite düstere Nebenstube. Ein Himmelbett stand darin und daneben, auf einem Tischchen, ein brennender Kerzenleuchter. Sachte, mit bebender Hand, zog sie den Umhang zurück.

»Sieh Rudolf, hier liegt dein Büblein!«

In den weichen Kissen des weiten Himmelbettes lag ein schlummerndes Kind mit kugelrundem Köpfchen und roten Wänglein. Es guckte den großen Mann mit verwunderten blauen Augen an und verzog sein Mäulchen zu einem stillen Lächeln.

Lange, in glückliche Träume versunken, staunte der Bürgermeister auf das Kind. Aber allmählich umschatteten sich seine Augen mit Schwermut und leise, kaum vernehmbar, redete er: »Büblein, Büblein, was soll aus dir werden?«

»Ein lieber, ein einziger Mann, wie sein Vater soll er werden,« machte jetzt die Äbtissin, seine Hand krampfhaft drückend. »Nun steh' auf, Meiß, und zeige, daß du sie alle wie Saul sein Volk, um Haupteslänge überragst. Bereite deinem Knaben einen Weg zu meinem Haus und zu deinem Herzen! Sind wir mächtig, brauchen wir auch unser Kind nicht mehr wie ein gestohlenes Kleinod in der Nacht zu verbergen.« Und auf schrie sie mit einemmale: »Wehre dich, Mann!«

Er schaute sie schier erschrocken an, und ihre Augen kamen ihm einen Augenblick vor wie ein dunkelblauer, unheimlicher Weiher im Schnee. Doch zwei glänzende Sternlein tauchten jetzt aus dem abgründigen Blau und leuchteten ihm freundlich entgegen.

»Mein Lieber, du bist heute so sonderbar. Bist du krank?«

Ein Rascheln im Zimmer. Die Amme war leise eingetreten.

Noch einen langen Blick tat Herr Meiß auf das Kind, das mit den winzigen Fingerchen die Pelzverbrämung seines Mantels ins Mündchen zu stopfen versuchte, dann zog die Äbtissin den Umhang zu.

Jetzt verließ der Bürgermeister, ihr mit flüchtigem Lächeln zunickend, raschen Schrittes das Schlafgemach.

Stumm hatte ihm Anna von Hewen nachgeschaut. Es war ihr, es sei nicht ihr aufrechter, stolzer Geliebter gewesen, der eben gesenkten Hauptes aus dem Zimmer ging, sondern irgend ein fremder, alter Mann.

Seufzend schlug sie die Vorhänge des Himmelbettes wieder zurück, setzte sich müde auf das Bett und staunte trübselig das Kind an.

Wie ging mir der Tag so schnell vorüber, dachte sie. Wo ich auch hinsehen mochte, fand ich ein Nest voll Hoffnungen auszunehmen. Und nun diese Botschaft von dem drohenden Bündnis mit Österreich. Kommt es zustande, so haben Stüssi und seine Leute wieder Oberwasser und alle die Schlösser, die ich für mich und mein Kind in stillen Nächten baute, sind in die Luft gestellt. All das mühselige gefahrvolle Spiel mit dem ich Stüssi niederrang, war vielleicht vergeblich. Österreichs Herzog, der neue König, wird für Zürich ein starker Bundesgenosse. Die Eidgenossen werden entweder einen Frieden eingehen müssen, der ihnen alles nimmt und mir nichts gibt, oder den gefährlichen Kampf aufzunehmen haben. Nun, wie ich die Schwyzer und ihre Eidgenossen kenne, werden sie den Kampf jedem schmählichen Frieden vorziehen. Und wer weiß, ob sie nicht auch dasmal siegen. Sie haben Österreich schon zweimal aus dem Sattel gestochen. Aber es wird ein gewaltiges Ringen geben. Gott weiß, wie's enden könnte. Meiß muß alles daran setzen, das Bündnis zu verunmöglichen und wird es doch abgeschlossen, muß er's in der Stadt als Verrat an der Eidgenossenschaft brandmarken, kurzum, es auf jede Weise wieder zu lösen suchen. Was er für die rechtmäßige Fürstin von Zürich nie täte, wird er nun mit aller Kraft für die Stadt und für den Bund der Eidgenossen wagen.

»Nein,« machte sie jetzt, sich erhebend, fast laut, »es ist noch nicht alles verloren. Ich habe auch noch meinen treuen Kundschafter, der mir ein ganzes Heer wert ist. Wenn er nur bald zurückkommt. Er muß mir gleich wieder nach Schwyz aufbrechen.«

Dann sah sie trübe vor sich hin. Es wird mir heute eine lange Nacht werden, dachte sie, denn nun heißt es neue Netze spinnen. Auch muß ich gegen Jene Waffen ins Feuer zu bringen suchen, die doch im Herzen diese gerstenmusbauchigen Bauernherren und rauhhändigen Grempler und Ledergerber der Städte nicht ausstehen mögen, – gegen den österreichischen Adel. Nun denn, es sei. Für mein heiliges Recht gegen alle Welt!

Rasch beugte sie sich über ihr Kind und raunte ihm ins rote Öhrchen: »Schlaf, Ruodeli, schlaf, du sollst doch ein Fürstenkind werden!«

Unterdessen war Ulmann, der Pfeiferkönig, wie im Schlafwandel aus dem Gebäude der Äbtissin durch die Höfe nach der Torstube zurückgegangen.

An der Mauer vor der Stube schnarchte immer noch der alte Torwart. Er mußte einen recht ausgiebigen Schlaftrunk zu sich genommen haben.

Sachte öffnete Ulmann die Türe und schlich sich, unbeachtet von den festenden Spielleuten von Einsiedeln, in den Ofenwinkel, wo er sich, finster blickend, auf den Ofentritt niederließ.

Die drei betrunkenen Schatzgräber aber leckten die runden Löffel, womit sie eben ein vom Küchenmeister ihnen zugeschicktes Gerstenmus ausgelöffelt hatten, fein säuberlich ab und legten sie neben die hölzerne Musgelte.

»So, jetzt wäre ich satt bis an die Grenze aller Weisheit, bis an die Stirnhaare hinauf,« machte rülpsend der Lumpenhütlein, »satter kann kein Herzog werden, selbst wenn er, wie die hochselige Äbtissin Anastasia, lauter Forellenzünglein zu Mittag äße. Hab' einen heißen Tropfen und einen Gerstenbrei, zäher als eine pergamentene Bibel, im Leib. So darf ich mich wohl wieder in die Winternacht hinaus wagen, obwohl ich's noch lange als Stubenhitzer meiner lieben Frau am Münster aushalten täte.«

»Ja,« sagte der Glückhütlein, »sie hat uns die Schatzkammer des Schenkhofes aufgetan. In diesem Kloster könnte ich's bis am jüngsten Tag aushalten.«

»Denn wo mein Schatz ist, da ist auch mein Herz,« machte der Lamphütlein. »Ich tät gerne das Schatzgraben aufstecken, eine Kutte über den Kopf ziehen und um die erledigte Klause des Einsiedlers am Limmatspitz beim Rate dieser weinliebenden Stadt anhalten, trüge man mir allzeit wie heute die Tranksame kübelweis zu.«

»Behüt mich der Herrgott!« lachte der Lumpenhütlein. »Da ließe ich mich doch lieber mit der schönen Äbtissin am Fraumünster zusammen in der Klose zu St. Stephan einmauern. Zur Gesundheit, Brüder!« lärmte er und hob sein Krüglein. »Gott helf' uns weiter!« Stoßt an! Lang lebe unser Frauen Gnad!«

Die Krüglein fuhren klirrend zusammen und dann begannen sie ein Schlucken und Glucken wie die Dachkennel im Gewitter.

Da knarrte die Türe, und wie sie halbwegs aufging, streckte der Kratzschreiber den Kopf herein und beaugenscheinigte neidisch die fröhlichen Zecher.

»Eine saubere Bruderschaft,« krähte er. »Vor der Türe hockt meiner Frauen ungetreuer Stubenmeister, voller als eine Haselnuß mit Zwillingskernen und da drin vertun sich die drei Kolkraben von Einsiedeln und saufen die Abtei zu armen Tagen, bevor sie selber alle drei in der Elenden Herberge ihr Landfahrerleben auf einem überjährigen faulen Laubsack abbüßen.« Jetzt setzte er ein wichtiges Gesicht auf: »Hört ihr's, ihr siechen Leiber mit den vertrunkenen Seelen! Der Meister Kratzvogt läßt euch durch mich ansagen, ihr sollt euch so bald als menschenmöglich aus der Stadt machen. Es habe außer euch noch genug faulenzendes Gesindel hier und wenn er euere Musikkünste auch nicht zu hören bekomme, so wolle er sich deswegen nicht hintersinnen und sich gerne mit dem Hornung vertrösten, wo Gott Amor auf den Katzen spiele. Sowieso, sagte der Vogt, sollte man alle Fahrenden, besonders die alten, übelzeitigen, auf ewig ausweisen, da sie die gleichen Schelme seien, wie die Juden, nur daß sie kein Geld hätten. So, jetzt wißt ihr's!«

Mit wachsendem Erstaunen, regungslos, hatten die Schatzgräber dem Kratzschreiber zugehört. Aber jetzt kam Leben in sie.

»Ei, du ausgebrannter Wachskerzenstock!« zischte ihn der Lumpenhütlein an, »du Brosamenfink am Tische meiner Herren von Zürich! Was kümmert uns denn dein Kratzvogt?! Und wenn du uns noch seine und deine Kratzvögtin auf Birkenbesen herschickst, brechen wir doch nicht auf, bevor das letzte Meilener Rebengold aus unsern Krügen vertröpfelt ist, du Nebelkopf! Und obwohl du noch nicht einmal lateinisch redest, bist du doch schon besoffen und der letzte, der berufen ist, uns zu predigen und die Spielleutenbruderschaft und uns mit deinem Abzugskännel für mißratenen Holzäpfelmost zu beleidigen, du wehklagende Gänsefeder!«

»Wart!« machte der Lamphütlein und tat, als wollte er sich auf den Schreiber stürzen. »Wart, du kommst mir wie vom Gutwetterwind hereingeblasen. Wir harrten schon lange mit Sehnsucht auf dich. Komm', komm' schnell, wir wollen den Römerschatz aus der Brunnenstube des Kreuzgärtleins heben! Es ist jetzt schön kühl im Eimer zu sitzen. Hurtig, hurtig!«

Aber da hatte der Kratzschreiber die Türe schon hinter sich zugeschlagen und sich schleunigst davongemacht, noch bevor ihm des Glückhütleins Löffel nachgeflogen kam.

Ein tolles Gelächter ging durch die Torstube.

Jetzt gewahrte der Lumpenhütlein den im Ofenwinkel kauernden, trübselig vor sich hinstarrenden Pfeiferkönig.

»Potz Blitz!« lärmte er. »Wo bist du denn hereingeschlüpft, Meister? Kannst du dich unsichtbar machen? Da wollt' ich dich doch bitten, mir für kurze Zeit deine Tarnkappe zu leihen. Ich täte dann in den Häusern der Menschen einen Rundgang antreten. Ei, da könnte ich einmal erfahren, wie die Seelen der lieben, meist so großhansigen Mitchristen ausschauen, denn im stillen Kämmerlein werden sie sichtbar, splitterfaselnackt, wie sie der Teufel und seine Gesellen dereinst aus den Gräbern an den Haaren vor das letzte Gericht zerren. Nein, behalte deine Tarnkappe lieber, meine Neugier möchte übel belohnt werden. Aber, Bursch, Meister, was machst denn du für ein Gesicht, als hättest du eine Matte voll Sauerampfern abgeweidet? Bist du bei unserer Frau in Ungnade gefallen oder hat dich ein Mägdlein nicht hereingelassen? Das kann ich nicht glauben, wenn ich dich ansehe. In deinem Alter kann einer die artigen Mägdlein um sich herum aufreihen, wie die Buben die Fröschenschenkel an den Weidenruten. Auf dein Wohl, Meister! Dir bring' ich's und deinem Schatz, sei's eine weiße Maus oder eine graue Katz!«

Ulmann verhielt sich still in seinem Winkel, schaute nicht einmal auf.

»Laßt ihn!« sagte der Glückhütlein. »Er wird im Spiel seinen letzten Kupferhaufen verwürfelt haben.«

»Nein,« meinte der Lumpenhütlein, »deswegen läßt ein junger Hupfauf den Kopf noch lange nicht hängen, eher wenn's ihm beim Weibervolk schief geht; obwohl es jungen Kerlen in der Liebe geht wie abstürzenden Katzen, sie fallen alleweil wieder auf die Füße.«

»Dummes Zeug,« brummte der Lamphütlein. »Was wollt ihr denn da lange ratsamen und im Nebel herumfahren, statt einfach und schlicht da auf den Busch zu klopfen, wo wir auch etwa zu finden sind. Der Meister wird sich halt in Bruns Küchenwein übernommen haben und hat nun das trunkene Elend.«

Ulmann war aufgestanden und wollte sich still davonmachen.

»He, Meister, wohin des Wegs?!« riefen die Schatzgräber.

»Aus der Stadt, in die Nacht hinaus.«

»Heijo, Bruder, da sind wir auch dabei!« lärmte der Lumpenhütlein, »denn sonst kann unser gemästete Bauer auf Kilchberg morgen nicht Hochzeit halten. Hochzeit ohne Tanz und Spiel, gilt mir keinen Birnenstiel. Auf, Gesellen! Unser König soll mit vornehmem Gefolge abziehen. Dir bringen wir's, Meister, zum guten End! Lang lebe unser König!«

Ein Schlucken und Glucken und drei leere Weinkrüglein standen köpflings auf dem Tisch.

Jetzt schritt Ulmann aus der Torstube, gefolgt von den drei alten Schatzgräbern, die einer um den andern, als hätten sie's einander zugeschworen, über die Türschwelle in den verschneiten Hof hinauspurzelten.

Als der Torwart bald nachher gähnend, mit katerschwerem Haupt, vor seiner Stube erwachte, denn es schneite ihm auf den Kopf, – fand er die Torstubentüre sperroffen und über den frischen Schnee im Hof geisterte der unruhige Schein des erlöschenden Öllämpchens.

Erstaunt wischte er sich die schlafenden Augen aus. Vor ihm, bei der Türe im Schnee waren wunderliche Abdrücke von Händen mit gespreizten Fingern und von Füßen, ja von ganzen Menschenleibern und gar von einer Baßgeige. Und um eine gerade Wegspur nach dem Hoftore wand sich, in allerhand verschnörkelten Bogen und Guirlanden, ein unentwirrbares Rankenwerk.

»Aha, die bodenlosen Schlemmer sind abgezogen!« brummte der Alte und machte sich, eine neue Ranke um die gerade Wegspur stapfend, nach dem Tore.

Wie er's halbwegs öffnete, fluderte ihm eine eben aufwirbelnde Schneehose ins Gesicht. Schimpfend und gähnend warf er das Tor wieder zu und schob den schweren Nachtriegel.


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