Meinrad Lienert
Der Pfeiferkönig
Meinrad Lienert

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Siebentes Kapitel.

Die Nachtseefahrt.

Etwas spät nach der Vesper, – denn die Kammerfrauen mußten sich lange mühen, bis sie die überquellenden goldenen Haare ihrer Herrin entwirrt und in blinkende Goldfäden geflochten hatten, – bestieg Anna von Hewen, im überreich mit Reiherfedern gezierten Jagdhute, in ein wahrhaft fürstliches Gewand gehüllt, das Herrenschiff der Abtei im Kratz.

Eine Schar Kinder umstand den von seinen zwei Rüden umtollten Ammann Edlibach, der seiner hohen Frau eben gute Reise wünschte und sie bat, die Frau von Toggenburg auch von ihm grüßen zu wollen. Vor der Pfisterei im goldenen Winkel standen des Gotteshauses Bäckerknechte, samt dem Untervogt im Kratz und dem Kratzschreiber. Gafften alle neugierig nach dem abstoßenden Herrenschiff.

Jetzt winkte die Äbtissin mit ihrer behandschuhten Hand, ihren geistlichen Herren und ihren Frauen, die ihr aus der Abtei Kußhände zuwarfen, zu und da trieb der schwere Nauen schon um den mitten im Fluß stehende Wellenbergturm und gegen die Grendel hinauf.

Die Kinder am Ufer aber staunten dem abziehenden Schiffe mit ehrfurchtsvollen Augen nach.

»Die gnädige Frau ist aber eine reiche,« sagte ein barfüßiges Büblein. »Ihre Haare sind von lauter lötigem Gold, ich sah es ganz deutlich glitzern.«

»He, ich sah es auch, so gut wie du,« machte ein Mägdlein. »Und einen großen Hut mit vielen, vielen Federn hatte sie auf und lange spitze Schuhe wie Storchenschnäbel. Das ist aber schon eine stolze!«

»Ja,« meinte ein anderes Büblein, »und geduftet hat es um sie herum, wie am Morgen früh in unserm Vorgärtlein. Und im Vorbeigehen hat sie mich über den Kopf gestreichelt und gesagt: »Büblein, du bist ein Rotznäschen!«

»Ja, das ist eine reiche!« – »Ja, und eine stolze!« – »Ja, und eine schöne!« redeten die Kinder durcheinander.

Als das Schiff gegen die Grendel kam, schaute die Äbtissin, die sich mit ihren Kammerfrauen mitten im Nauen auf einer mit Kissen bedeckten Bank niedergelassen hatte, verstohlen nach dem Kratzturm hinüber.

Dort lag hinter den Grendelpfeilern ein riesiger Nauen, auf dem Zimmerleute eine Hütte aufzurichten im Begriffe standen. Es war ein Kriegsschiff der Schiffleute.

Anna von Hewen verwandte kein Auge davon. Es fielen ihr die Herrenleute, die eben der Zimmerer Werk beaugenscheinigten, besonders auf. Sie erkannte sie alle sofort. Gleichwohl fragte sie eine ihrer Frauen, was dort für Herren ständen.

Der größte, mit dem wilden Bart und der starken Nase, der neben der Feldschlange stehe, sei Herr Rudolf Stüssi, der Bürgermeister, beschied die ältere Kammerfrau. Der andere, mit dem grimmigen, langen Gesicht sei Joggi Schwarzmurer, der Ratsherr, und der dritte der lange Heini Schwend.

Jetzt mußten die Herren beim Kratzturm die Ruderschläge vernommen haben, denn sie wandten die Köpfe und sahen verwundert nach dem Nauen der Äbtissin. Als sie das Schiff und die Herrin darin erkannten, verbeugten sich Schwend und Schwarzmurer gemessen. Bürgermeister Stüssi aber hatte sich wieder den Zimmerleuten zugewandt und tat keinen Ruck.

Anna von Hewen biß sich in die Unterlippe, und dann ging ein spöttisches, etwas schadenfreudiges Lächeln über ihr weißes Gesicht und machte es für einen Augenblick unschön, wie ein Kaminrauch eine sonnenbeleuchtete Landschaft. »Es kränkt dich, Bauer, daß ich dein flegelhaftes Söhnlein in die Schranken wies. Gedulde dich! So Gott und die Heiligen der Abtei mir helfen, werde ich auch dich dahin weisen, wo du herkommst, in die Bauernstube.«

Das Schiff fuhr durch den offenen Grendel. Hier erst fielen der Äbtissin die vielen Schiffleute auf, die außerhalb der Grendelpfeiler sich ehrlich abmühten, einen sogenannten scharfen Igel aus spitzen Pfählen herzustellen. Hans Asper, der oberste Ratsknecht, führte die Aufsicht. Er sah wohl die Frau von der Abtei und ihr Schiff, tat aber, als wäre beides für ihn Luft.

»Nun seh' einer den groben Lümmel, grüßt mich nicht einmal,« murmelte Anna von Hewen bei sich. »Aber natürlich. Wie der Herr, so der Knecht.« Und laut sagte sie, daß es der Ratsknecht hören mußte: »Es ist gerade, als ständen wir vor einem Kriege, also wird hier im See drauflosgewerkt. Ich tät wohl gerne wissen, wem es vermeint ist.«

Dann sah sie gradaus, blinzelte aber mißmutig nach rechts und links und redete kein Wort bis der Nauen nach langem um das Weiden- und Erlengestäude des Zürichhorns strich.

Jetzt weitete sich der See und in der Abendsonne träumten die weinbekränzten Hügel von Zollikon und die tannenbekränzten Höhenzüge vor dem Albis. Und weit hinten leuchteten zwischen Wölklein, die immer goldiger wurden, die ewigen Schneeberge.

Da hellte sich der Äbtissin Stirne. Sie rief ihrem Spielmann, der mit Itelschalk, dem Gugelpfeifer, vorne auf dem Schiffsschnabel hockte, zu: »Auf, mein lieber Pfeiferkönig, gib uns ein Spielchen zum besten!«

Rasch erhob sich der Gugelpfeifer und machte sich daran, einen Ruderknecht abzulösen.

Ulmann aber nahm sogleich sein Spielzeug, das er unter der Bank verborgen hatte, zur Hand und jetzt säuselte, erst wie das Singen eines erwachenden Rotkehlchens im aufgehenden Tag, ein unbestimmtes, zitterndes Zwitschern über den See und dann ward daraus ein inbrünstiges Liebeslied.

Mäusleinstill lauschte das ganze Schiff und um der Fürstin Mund war ein beständiges Lächeln.

Als er zu spielen aufhörte und sie schon gegen Küsnacht schwammen, leuchteten einige rote Wolken aus dem See und der Himmel über dem warmen, mit fast zärtlicher Freundlichkeit niederschauenden Schneegebirge, hatte einen blaßroten Schein wie die Stirne eines errötenden Mägdleins.

Aber auf einmal war die ganze rosenfarbene Herrlichkeit verschwunden. Es begann zu dämmern und ein Schattenschleier nach dem andern sank leise und langsam wie schwarze Schneeflocken ins Seetal. Bald war es Nacht geworden.

Erst ging noch ein lebhaftes Plaudern um im Schiff und mancher verstohlene, begehrliche Blick tastete von den Rudern weg nach der immer schattenhafter werdenden Äbtissin, die dergleichen Fahrten nicht das erstemal machte. Aber allmählich ward es stille und wie ein ziemlich ausgiebiger Nachtwind von der Stadt her wehte, zogen die Ruderknechte das Segel auf, legten sich hin und ließen den Liebgott das Schiff seeaufwärts treiben. Am Steuer saß jetzt Itelschalk, der Gugelpfeifer und hielt scharfen Auslug.

Auch die zwei Kammerfrauen in der Schiffsmitte waren nach und nach halbwegs eingenickt. Und träumte die ältere mit Heimweh von vergangenen Sünden, so träumte die jüngere mit stiller Sehnsucht von zukünftigen, denn sie beide waren im Gedanken an die Sünden der Äbtissin eingeschlummert. Diese aber war so wach, wie am heitern Vormittag und dachte an ganz andere Dinge, als sich ihre zwei Kammerweiber träumen ließen.

Schier düster vor sich hinblickend, sann sie angestrengt nach, wie sie Bürgermeister Stüssi und seine immer selbstbewußter und zuversichtlicher auftretenden Zünfte zurückhalten, ja erniedrigen, aber das schwindende Ansehen und die absterbende Macht der Geschlechter und dann endlich die unbedingte Oberherrlichkeit der Fürstin von Zürich, wieder herstellen könnte. Alle Parteiung, aller Unfriede sollte verschwinden und die Stadt sollte glücklicher als sie's je war, unter ihrem Krummstab werden. Und sie gelobte in ihrem Herzen, falls ihr das gelänge, in ihr Münster eine große neue Orgel bauen lassen, die ein Kunstwerk über jedes in der Eidgenossenschaft werden müßte.

So durfte diese alles zersetzende, friedlose Volksherrschaft nicht weiter zunehmen. Jetzt schien es ihr möglich, ihr so lange schon ins Auge gefaßte Ziel zu erreichen, jetzt oder nie wieder. Sie gedachte all ihre Frauenlist bei der derzeit noch zu Zürich neigenden Gräfin von Toggenburg spielen zu lassen und vor allem auch wollte sie die der Stadt abholden übrigen Verwandten aufstacheln. Kurzum, sie wollte alles tun, um zu bewirken, daß Stüssi und seine Zünfte schließlich mit leeren Händen heimkehren müßten. Mit den mächtigsten und entschlossensten Gegnern des Bürgermeisters wollte sie sich jetzt in Verbindung setzen, mit den tatkräftigen Schwyzern und sie gegen den Demagogen hetzen. Durch Bauern sollten die Bauern gebodigt werden.

Ein böses Lächeln ging um ihren Mund.

Und niemand durfte vorzeitig merken, daß ihre kleine Frauenhand im Spiele war. Sie mochten sie für alles, für mannstoll, für vergnügungswahnwitzig wie ihre Vorgängerin halten, es sollte sie nicht rühren. Wenn es ihr nur gelang, ihre Absichten durchzuführen. Meiß, das Haupt der alten Geschlechter, den sie ja herzlich liebte, mußte ihr ein geschärfteres, widerstandsfähigeres Werkzeug werden. Er war zu sanft, zu vornehm, diesen emporgekommenen Rohlingen gegenüber. Er bewunderte ja geradezu Rudolf Stüssis Tatkraft. Ihr Angesicht überflog ein Schatten, als sie murmelte: »Ich habe dir viel geopfert, Meiß, mehr als alle andern Mütter opfern müssen, denn ich darf mich von meinem Kinde nie Mutter nennen lassen.«

Dann aber lachte sie halblaut auf. Es ist noch nicht aller Tage Abend, dachte sie, das wird sich später finden. Was mir jetzt dringend not tut, ist ein kluger treuer Kundschafter, ein Mensch, der sich eher das Herz aus dem Leibe reißen läßt, als daß er mich verrät. Ich muß über Einsiedeln in Verbindung mit den mächtigsten Herren des Rates zu Schwyz zu kommen suchen. Mein zeitweiliger Verkehr mit dem Vetter der Elsbethen, dem Abte im finstern Wald, wird eine gute Ausrede sein für meine Botschaften nach Schwyz. Warum sollte ich nicht alles wagen? Es ist nur mein heiliges Recht, was ich anstrebe. Und sollte es nicht gelingen, wird man mich doch nicht fassen können. Diesen fahrenden Spielmann, der mich mit so verliebten Augen ansieht, möchte ich zugerne zu meinem Kundschafter machen. Sie lächelte. Er hat Eigenschaften, die ich über alles liebe. Er ist schön wie ein Geliebter im Traum und treu wie eine Weiberkrankheit.

Sie lachte so laut auf, daß ihre Kammerfrauen schier erschrocken aufschauten und sich rasch den langen Schlaf aus den Augen rieben.

»Wo sind wir?«

Jetzt war ein gespenstiges Flimmern um das Schiff, als umflögen es ungeheure Schwärme kleiner weißflügliger Mücken.

Verwundert schaute Anna von Hewen nach dem Höhenzug, aus dem ein Feuer hervorzuckte. Nun stammte es in einer Tanne auf und auf einmal stand der Vollmond auf dem Berge.

Und dann schwamm er auch im See wie ein gewellter silberner Riesenschild. Und ein Heiligenschein war um ihn und ein Flimmern und Schimmern, als trügen plauderhafte, kichernde Nixlein den blitzenden Schild auf ihren weißen Schultern im See herum.

Vorn im Nauen, auf dem Schiffsschnabel, saß Ulmann, der Lützelpfeifer, die Geige im Schoß.

Von Zeit zu Zeit hatte er verstohlen nach der in ihre ehrsüchtigen Träume versunkenen Äbtissin, dann wieder in die Nacht hinein gestaunt. Und wie nun der Mond in das Seetal dämmerte, war ihm, er sei ein verwunschener Prinz und fahre in seinem glückhaften Schiff nach einem verzauberten Eilande. War alles wie im Märchen: Die geheimnisvollen Ufer, der wunderbergende See und darüber die Sterne, die dufteten wie Blumen. O daß diese Fahrt nie enden möchte!

Da schrak er zusammen. Eine leichte Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt. Anna von Hewen, die Äbtissin, stand bei ihm, lächelte ihn freundlich an und sagte halblaut: »Was träumt mein lieber Spielmann? Denn das ist ja wohl eine Nacht, in der sich mit offenen Augen träumen läßt. Nimm deine Fidel und spiel' mir ein fröhlich Liedlein vor! Zwischen meinen spinnenden Kammerkatzen wird's mir allmählich zu langweilig.«

Flugs hatte er das Geiglein an der Brust und spielte ein lüpfiges Tänzchen, so lüpfig, daß der zwei erwachten Kammerfrauen winzige Schnabelschuhglöckchen leise dazu zu klingeln anfingen. Dann aber ward sein Spiel immer heimlicher und heimlicher und zuletzt war es so voll schwermütigen Sehnens, wie die Klagen der Wasserfrauen unter dem Eise nach der verblichenen Hochsommersonne.

Anna von Hewen hatte sich neben ihm niedergelassen.

»Welch eine Lust, deinem Spiel zu lauschen!« machte sie und sah ihn groß an. »Deine Fidel ist doch wohl ein Schlüssel für alle Törlein, seien sie nun an den Stuben oder an den Herzen. Mir ist, ich könnte dir bis am Morgen zuhören. Bist du müde?«

»Wie sollte ich müde werden, Euch zu spielen.«

Er lächelte verlegen und legte die Geige über die Kniee.

Jetzt streifte sie wie zufällig mit weicher Hand über seinen Arm.

»Du hast es in der Hand und im Kopf, du bist ein Hexenmeister.«

Mit dunkelrotem Gesicht saß er da und wagte sie nicht anzusehen.

»Gefällt es dir in meinem Dienste?«

Jetzt hob er die leuchtenden Augen zu ihr auf.

»Möchtest du mir immer dienen?«

»Ja, wenn Ihr mich haben wollt.«

Nun fuhr sie wie liebkosend über die Saiten seiner Geige.

»Man sagt, die Spielleute hätten das Herz in der Fidel und könnten darum nur ihr die Treue halten. Und wenn sie ihnen genommen würde und sie darauf nie mehr ihre süßen Lieder und frohen Tänze spielen dürften, könne sie zeitlebens nichts mehr glücklich machen.«

Sie sah ihn seltsam an.

»Nein, Herrin, glaubt das nicht,« antwortete er mit bebender Stimme.

»Mein Freund, Herr Bürgermeister Meiß hat es gesagt.«

Ein flinker Griff, des Pfeifers Arm wirbelte auf, die Geige pfiff durch die Luft und klatschte weit weg ins Wasser.

Mit durchdringendem Blick schaute die Äbtissin auf den bebenden Burschen.

»Verzeiht, verzeiht, Euer Frauen Gnad!« machte er jetzt leise, in dumpfer Beschämung und fiel vor ihr auf's Knie. »Es übernahm mich also, denn es tat mir weh, daß Ihr dieses dumme Lügenmärlein auch glauben solltet.«

Jetzt lächelte sie ihn an, wie der Schutzengel eine arme Seele, die eben aus dem Fegfeuer im Himmel ankömmt. Mit leiser Hand streichelte sie ihm ein paarmal über sein Braungelock.

»Steh' auf!«

Er setzte sich gesenkten Hauptes wieder zu ihr.

Die Äbtissin aber sah ein Weilchen der leise im Mondschein treibenden Geige nach, dann sprach sie: »Ich werde dir eine neue Fidel anschaffen; du sollst mir noch oft mit deiner Kunst Freude machen und keine Blustfahrt will ich machen ohne dich, selbst wenn du dein Spielzeug nimmer anrührtest, denn höre!« machte sie flüsternd und ihm so nahe rückend, daß ihm einige Löckchen, welche die goldenen Schnüre nicht zu halten vermochten, die Wange wie mit Falterfüßchen betasteten. »Höre, du sollst mir mehr sein als nur der Hofspielmann. Ich will dich zu meinem Vertrauten und Freund erheben, wenn du verschwiegen sein kannst wie der Meineid und treu bis in den Tod.« Und nun kam ihr Mund seinem Ohre also nahe, daß er dessen warmen Hauch zitternd verspürte, und raunte ihm zu: »Willst du mein Kundschafter werden?«

Er nickte stumm.

»Würdest du dich für mich wie ein Räuber und Mörder von Wildnis zu Wildnis jagen, foltern und töten lassen, ohne mich mit einem Blicke zu verraten, selbst wenn ich dich verriete?«

»Ja.«

Jetzt umspannten ihre weichen, warmen Finger sein Handgelenk mit leisem Druck und sich flüchtig umschauend, machte sie: »So vernimm denn, mein lieber Freund, was ich dir anvertrauen will. Wir müssen aber leise sein wie ein Nebelregen. Komm', rück' näher und neige dein Haupt zu mir!«

Nun begann im vordern Schiffsende ein Lispeln wie ein Windsäuseln im Farenkraut, also, daß die zwei Kammerfrauen mit dem besten Willen, den sie doch hatten, kein Wörtlein mehr zu erschnappen vermochten. Das wurmte sie nicht wenig.

»Nun sieh' einmal, wie sie's treibt!« flüsterte die jüngere Kammerfrau der ältern zu. »O Babeli, das ist eine! Gott behüte meine Zunge vor böser Nachrede, aber ich lasse mich auf der niedern Brücke zu Zürich auf den steinernen Esel höcken, wenn sie dem lausigen Pfeifer nicht soeben den Kopfputz streichelte, als wäre er ihr weißes Kützchen. Nun weiß man doch, weswegen sie ihn zu ihrem Hoffidler machte. Ei, so was! Ist ja freilich ein gradgewachsener Bursche, aber am Ende doch nur ein unehrlicher fahrender Pfeifer. Und sie ist doch sonst so hochfahrend, daß sie sogar den Bürgermeister Stüssi einen Bauern nennt und ist ihr niemand gut genug, der seinen Wappenschild nicht gleich am Apfelbaume des Paradieses aufhängen kann.«

»O Agnes, du Einfalt vom Zürichberg! In Liebessachen hängt sie sich und ihren Adel lieber an einen warmen, schlankaufgeschossenen Menschen, als an einen kalten, krüppeligen Stammbaum. Hierin haben es alle gleich.«

»Ach, ihr lieben Heiligen der Abtei, hast du jemals so was gesehen! So treibt's also meiner Frauen Gnad!«

»Ei, du Närrchen,« machte die Ältere, »hätte ich überall genauer hinsehen wollen, ich würde mir die Augen wohl längst aus dem Kopf geschaut haben. Doch ich gewöhnte mir beizeiten das Blindsein an und bin bei solchen Sachen taubstumm wie ein roter Ackerstein, obwohl die wüsten Klatschweiber der Zünfter sagen, ich hätte mir den Schnabel glatt abgeschwätzt, er sei früher länger gewesen als eine Brunnenröhre.«

Die andere lachte halbwegs auf.

»Sei doch still und lach nicht so einfältig, sonst glaubt die Gnädige gar, wir reden über sie.«

»Ach was,« gab die Jüngere zurück. »Schau doch hin; sie hört nichts und sieht nichts, so hängt sie dem Pfeifer am Ohr, als wär' er ihr Beichtvater.«

»Sie wird ihm wohl auch artige Dinge erzählen,« machte die Alte. »Aber gottlob, ich brauche sie nicht zu wissen, ich weiß, Gott sei Dank, sonst genug. Die Papiermühle von Basel würde Tag und Nacht gehen müssen, wollte ich aufschreiben lassen, was ich alles noch unter der heikelnäschigen Anastasia und jetzt wieder unter diesem bubensüchtigen und doch so hochnäsigen Wyler Fräulein, das einst auf seinem ärmlichen Burgstall kaum zu essen hatte, erlebte. Die Fische möchten zu reden anfangen und wehe, wehe! rufen, wüßten sie alles was ich weiß. Zuletzt geht es bei uns noch zu wie auf der schwäbischen Alb.«

»Wie ist's denn dort zugegangen?« wunderte die Jüngere.

»Gelt, das wüßtest gern. Du mußt aber die Beichtväter auf der schwäbischen Alb fragen, ich hab's vergessen.«

»Ach mein! So sag's doch, Babeli! Ich sag's keinem Menschen wieder.«

»Meister, oho!«

Laut kam der Ruf vom Steuer her, also daß die beiden Kammerfrauen aufschnellten, wie zwei Katzen, die vom Dach gefallen.

»Jesus, Gott und Heiland!« machte die Ältere. »Was gibt's denn?!«

Jetzt reckten und dehnten sich einige verschlafene Ruderknechte und fahrende Pfeifer und mit einemmale war alles lebendig im Nauen.

Itelschalk, der Gugelpfeifer, kam gegen den Schiffsschnabel geschritten. Auch Ulmann hatte sich rasch erhoben. Aber die Äbtissin blieb ruhig sitzen und schaute fragend nach ihrem ungewohnten Steuermann.

»Meister schau, es brennt ein Licht auf der Lützelau!«

»Ein Licht?«

Ulmann blickte nach seiner kleinen Insel, die langsam näher kam.

Hinter den hohen Weidenbäumen, in der Gegend des zerfallenden Schwesternhauses, war ein Feuer.

»Schaut, schaut, wie's aufgeht!« sagte Itelschalk.

Ulmann wechselte einen raschen, verständnisvollen Blick mit der Äbtissin.

»Gewiß geht es um bei der Ruine,« meinte ein Ruderknecht.

Die Ruderer und Pfeifer bekreuzten sich.

»Laßt uns landen!« sagte jetzt der Pfeiferkönig. »Ich habe dort meine Heimstätte und will wissen, was los ist. An die Ruder, Gesellen, zieht das Segel ein! Seid doch vorsichtig und haut nicht wie toll ins Wasser! Man sieht kaum die eigene Hand vor dem Mund seit der Mond weg ist. Hurtig, hurtig, liebe Gesellen!« Und leise raunte er der Äbtissin im Vorbeigehen zu: »Sie werden wohl schon dort sein, die Ihr erwartet.«

»Doch war es unvorsichtig von ihnen, solch ein Feuer aufgehen zu lassen,« gab sie flüsternd zurück.

Itelschalk stellte sich auf den Schiffsschnabel und bald strich der schwere Nauen durch's Schilf und fuhr in die kleine, von ehrwürdigen Baumältesten überwölbte Bucht des Eilandes.

Schon knirschte der Ufersand unter dem anstoßenden Schiff und Itelschalk sprang, gefolgt von einigen Pfeifern, ans Bord. Jetzt wollten auch des Klosters Ruderknechte ans Ufer setzen.

»Halt, Gesellen!« gebot Anna von Hewen. »Ihr bleibt hier und tut einen währschaften Trunk bis ich zurückkehre. Ich möchte der Inselschwestern Ruine einen kurzen Besuch machen. Meine Frauen werden euch unterdessen aufwarten. Babeli, Agnes! Ihr findet Speise und Tranksame im Fischkasten.«

Aber die ältere Kammerfrau verlegte sich auf's Bitten; es gelüstete sie auch ans Ufer zu gehen.

»Nehmt uns doch mit, gnädige Frau! Es fürchtet mir so allein auf dem Nauen bei den vielen Männern.

»He wohl,« sagte ein rotköpfiger Ruderknecht, »bleibt ihr nur ruhig da, wir sind ja keine Kindleinfresser. Und wenn wir auch welche wären, Ihr brauchtet Euch trotzdem nicht zu fürchten, denn, will's Gott, Ihr seid ja kein Kindlein mehr.«

Ein nur schlecht unterdrücktes Lachen ging im Schiff um.

»Nehmt mich mit, gnädige Frau!«

Doch diese achtete ihrer nicht mehr. Sie stand auf dem Schiffsschnabel und schaute, mit bedenklich messenden Augen, ins dunkle Wasser, das zwischen Nauen und Ufer quirlend wellte.

»Es ist recht dunkel,« machte sie verlegen.

Da war Ulmann neben ihr.

»Gebt mir die Hand!« bat er hastig. »Ihr möchtet sonst leicht zu kurz springen und ins Wasser fallen.«

Da fühlte sie ihre zarte Hand fest und warm umschlossen und armschwingend wie ein Büblein, das mit seinem Schwesterchen bachspringen will, zählte er: »Eins, zwei, drei!« Ein kecker Sprung – da lagen sie schon weich gebettet im Farenkraut der Lützelau und ein duftendes Haargelock wellte für einen Augenblick über des Pfeiferkönigs Gesicht.

Ein Kichern im Schiff.

Aber blitzgeschwind waren sie aufgesprungen. Und lächelnd, mit ruhiger Hand ihr aufgegangenes Blondhaar in die goldenen Fäden flechtend, sprach Anna von Hewen: »Siehst du, man kommt nicht so leicht in's Pfeiferkönigreich.«

»Verzeiht!« bat Ulmann, »ich tat gar zu ungeschickt.«

Sie sah ihn mit warmen Augen an und sagte: »Nun komm' und laß uns flink nach deinem verhexten Schlosse gehen!«

»Da siehst du nun,« brummte die ältere Kammerfrau im Schiff, »was ihr alles einfällt. Jetzt spielt sie gar mit diesem Landfahrerherzog Versteckens auf dieser verhexten Insel.«

»Und läßt Euch nicht einmal zusehen, geschweige mitspielen,« sagte der rotköpfige Ruderknecht.

Laut lachten des Klosters Knechte auf und die jüngere Kammerfrau lachte, den Fischkastendeckel aufklappend, aus vollem Halse mit.

Bevor aber die Äbtissin das Schiff verlassen hatte, war Itelschalk, der Gugelpfeifer, mit seinen Burschen schon unter den Bäumen verschwunden und in den Busch untergetaucht. Eine Weile schlüpften sie durch den blühenden Wirrwarr stark duftender Gesträuche. Da fiel ein Lichtschein in die Stauden.

»Halt!« gebot Itelschalk. Dann bog er mit beiden Händen das Gestäude zurück und nun wunderten alle in die erleuchtete Lichtung. Da machten sie große Augen. Im mauerlosen Höflein einer Ruine kauerten um ein schwaches Feuer drei unheimliche Gestalten. Ein kleiner buckeliger Kobold mit einer mächtigen Infula auf dem Kopf, streute unter unverständlichem Murmeln ein gelbes Pulver in die Glut. Ein dickes, bauchiges Ungetüm und eine lange rotnasige Mumie kauerten dabei und stierten mit gierigen, sprungfertigen Augen ins Feuer.

Von Gespensterfurcht gepackt, wollten die Gesellen die Haselzweige fahren lassen und sich auf und davon machen.

»Die Schatzgräber!« machte erstaunt der Gugelpfeifer.

Da wurden auf einmal aus den unheimlichen Spukgeistern die drei Spielleute von Einsiedeln: der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein.

Ein schallendes Gelächter ging in die verrauchende Nacht.

Aber Itelschalk brach mit seinen Gesellen aus dem Busch und plötzlich, im vollen Feuerscheine stehend, rief er: »Was hext ihr denn da, ihr alten Narren?«

Wie niedergedonnert glotzten die drei Schatzgräber auf die fahrenden Leute. Da waren sie von ihnen schon umringt.

»Ihr habt gewiß des Pfeiferkönigs Schatz heben wollen,« sagte lachend der Gugelpfeifer, »aber ihr kommt zu spät, liebe Nachteulen, er hat ihn eben aus dem Schiff gehoben. Und meine Sackpfeife wette ich, es dauert kein Vaterunser lang, so kommt unseres Königs Reichsschatz auf zwei Beinen hiehergelaufen.«

Aber jetzt hatte sich der Glückhütlein von seinem anfänglichen Entsetzen erholt. Wie eine Katze, die fauchend einen Buckel stellt, fuhr er den Gugelpfeifer an: »O du verbrannte Gugelhaube, jetzt hast du den Zauber gebrochen!«

Ein gewaltiges Gelächter umrauschte die drei Gesellen.

Da packte es aber den Glückhütlein. Auf sprang er und tanzte um sich selber wie ein gesträubter Igel, dem die Stechfliege am unrechten Ort sitzt.

»Potz Blut, potz Blut!« kreischte er wütend, »das bringt auch bloß ein Gugelpfeifer fertig, einem grad dann einen Stein ins Wasser zu werfen, wenn die Goldfische zugweise ins Netz wimmeln wollen. O du Elsternaug, du Hasenfratz, du Schelm und Spielverderber!«

Erbost wie ein heiratslustiger Witwer, dem die Enkel im Tanzhaus Großvater rufen, hockte er sich wieder ans Feuer nieder und packte seine Mistelstäudlein, Agnus Dei, den Gegenzauber und das sämtliche Zauberwerkzeug zusammen, ohne die wie toll lachenden Gesellen weiter eines Blickes zu würdigen.

»Jetzt kann ich wieder Wasser schlucken,« machte verdrossen, durch seine Posaune nach den Sternen guckend, der Lumpenhütlein. »Und ich sah doch meinen Stern nie heller glänzen als heute Nacht. Des Teufels Schüttsteingesell muß ihn mir zum Possen mit Torfasche geputzt haben. Nichts zu trinken, Bruder?« wandte er sich an einen der Zunächststehenden.

Der Lamphütlein aber äugelte schwermütig nach seinem Nasentröpflein, wie ein Huhn nach dem Schnabel und brummte seufzend: »Es ist halt wie im Traum, wenns am kurzweiligsten werden will, erwacht man.«

Damit streckte er sich am Feuer ins Gras, legte den Kopf auf seine Baßgeige, tat ein paar trockene Schlucker und schloß die weinroten Augen.

»Ihr hext, bis man euch irgendwo den Rauch unter die Nase setzt,« machte der Gugelpfeifer, »aber . . .«

Er verstummte. Im nahen Busch war ein Knacken und Rascheln. Der Pfeiferkönig kam bedächtig, gefolgt von Anna von Hewen, aus dem Gestäude.

»Ei der Gockel,« brummte der Glückhütlein. »Es war mir doch wie vor, da seien Weibsleute im Spiel. Den wollte ich aber sehen, der mit allen Gegenzaubern der Welt wider diese Hexen aufkömmt. Haben kein Haar im Schopf und keinen Faden am Unterrock, der nicht hexen kann. Den größten Zauberdoktor mit dem dicksten Buche überhext das kleinste Mägdlein mit dem dünnsten Augenhärchen. Was sollte da unsereins gegen diese Weltshexen vermögen. O ihr heillosen Nachthauben!«

Jetzt stand der Pfeiferkönig mit der Äbtissin bei den Fahrenden.

Verwundert staunten sie die drei alten Gesellen von Einsiedeln an, denn diese hatten sie nicht am Feuer vermutet. Dann aber verstand Ulmann. »Sie haben hier gewiß nach Schätzen gesucht,« sagte er zu seiner Begleiterin.

Sie lachte kurz auf und sagte freundlich: »Und nun seid ihr schon wieder durch die Frau von der Abtei zu Zürich gestört worden. Tröstet euch, liebe Gesellen! Kommt ihr wieder einmal in mein Haus, werde ich euch auf meine Kosten einen ganzen Abend aus dem Schenkhof der Probstei bewirten lassen.«

»Euer Frauen Gnad,« machte, sich von seiner Baßgeige halbwegs aufrichtend, der Lamphütlein, »Euer Wort in Ehren. Beim heiligen Meinrad und seinen zwei Raben, wir werden es nicht vergessen.«

Sprach's und legte sich ruhig auf die andere Seite nieder.

Hurtige Ruderschläge ließen sich vernehmen.

Blitzgeschwind trat Ulmann das Feuer aus, daß es wirbelnd aufqualmte und gebot streng: »Gesellen, merkt wohl auf: Keiner bewege sich von der Stelle wo er steht oder liegt, bis ich euch anrufe. Itelschalk!« raunte er dann seinem Marschalk zu, »Geh' ans Wasser und führ die Leute in meinen Schlupf. Dann mach' dich davon und halte gute Wacht um meine Behausung.«

Totenstill war es geworden, nur die Ruderschläge kamen näher, und im Gestäude war der rasche Schritt des Gugelpfeifers hörbar.

»Wollt Ihr mir nun folgen, gnädige Frau?«

Ohne weiteres faßte sie fest seine Hand und behutsam führte er sie durch die Ruine.

»Welch eine wunderliche Nacht!« machte sie leise. »Es ist alles wie im Märchen. Ein verwunschenes Eiland, eine sternbeglänzte Klosterruine und eine Äbtissin, die lebendigen Leibes mit einem wirklichen warmblütigen König darin herumspukt.« Ein Auflachen, munter wie ein Glockenspiel im Welschland, ging durch die Ruine. »Nun, ich werde diese Nacht nicht vergessen und wenn ich hundert Jahre alt werde. Und du, mein lieber Gesell?«

Und wärmer faßte sie seine zitternde Hand.

»Hier sind wir,« machte er gedrückt.

Ihm war, er müsse sich den brausenden Kopf einrennen an den kalten Mauern. Langausatmend ließ er die Äbtissin los und tastete an einer Wand herum. Mit einemmale ward es hell, eine rote Ampel flackerte in einer Mauernische.

»Hier ist mein Heim.«

Sie standen im Gewölbe der kleinen Klosterkapelle.

Er wies auf einen hohen, gepolsterten Lehnstuhl.

»Wenn Ihr Euch setzen wollt! Es ist mein bestes Stück. Der Spichwart zu Pfäffikon schenkte mir den alten Prunkstuhl um meiner guten Dienste willen. Nun will ich rasch Itelschalk entgegen.«

Wie er fort war, schaute sich Anna von Hewen neugierig in dem seltsamen Gemache um. Ob dem zerbröckelnden Altar des kleinen Chores hing ein gekreuzigter Heiland. Zu seinen Füßen kniete Maria Magdalena mit dürstendem, halboffenem Munde und weitausgebreiteter Schürze, als wollte sie das Blut aufsaugen, das dunkelrot aus der Seitenwunde Christi zu tröpfeln schien. Um ihr aufgelöstes vergoldetes Haar war ein geisterhaftes Flimmern. Ihre bloßen Füße bedeckte fast ganz ein Strauß von Steinlilien und wilden Rosen. War davon noch ein wundersamer Duft in der Kapelle, wie ein gottwohlgefälliger Gedanke in einem guten Herzen.

Etwas schläfrig ließ sich die Äbtissin auf den Polsterstuhl nieder. Doch kaum wollte sie müde die Hände in den Schoß legen, kamen Schritte gegen die Kapelle.

Sie sprang auf und stand bolzgrad, erwartungsvoll da, eine Fürstin vom blonden Scheitel bis zum kleinen roten Schnabelschuh.

Hastig trat Ulmann ein und stellte sich neben der Türe auf. »Meiner Frauen Freunde!« meldete er kurz.

Aber als jetzt unter dem Spitzbogen der Türe eine hochgewachsene kriegerische Gestalt und hinter dieser noch ein wildbärtiges Gesicht sich zeigten, flog um die scharfgeschnittene Adlernase der Äbtissin ein bezauberndes Lächeln und in ihren Augen war das blaue Leuchten des Zürichsees im Morgensonnenschein.

Leise machte sich Ulmann davon.

Im Vorhöflein der klösterlichen Ruine waren unterdessen die drei Spielleute von Einsiedeln wieder munter geworden, während die andern fahrenden Pfeifer im Busche um sie herum schliefen. Hie und da guckte der Vollmond aus dem Gewölke.

Der Glückhütlein hockte in einem fußlosen Taufsteine wie in einer Pfanne und trug noch immer die Infula auf dem Kopf.

»Gott und Sankt Wolfgang mögen wissen,« machte er, »was in unsere schöne Frau von Zürich gefahren ist; sie treibt's immer dicker. Da spielt sie nun mit unserm Pfeiferkönig ›Büblein, fang' mich!‹ im Gewinkel dieser unfruchtbaren Ruine herum, als wäre sie mit ihm in den Flitterwochen. Obwohl er zwar nur ein Bettlerkönig ist und wir seine Hofmusikanten, so ist er doch glückhafter als der Erzkönig Salomon unter all seinen Weibern, denn es war wohl nicht eine darunter, die nicht lieber mit seinen jungen Pagen, als mit dem alten König ›Fang mich!‹ gespielt hätte. Glück hat er wie ein Herrenkind am Nikolausentag.«

»Du kannst ja des Pfeiferkönigs Hofnarr werden,« machte mit seiner hohen Fistelstimme der Lumpenhütlein, »den Buckel hast du bereits und eine Narrenkappe trägst du Sommer und Winter, auch wenn keine Schellen dran hängen. Ich meinerseits zöge vor, beim Probst am großen Münster zu Zürich Schenkhofer zu werden.«

»Spar' deinen Witz, mein Lieber!« sagte der Glückhütlein. »Ich bin, mit Lob, ein gedienter Hofnarr. Bei meinem gnädigen Herrn von Einsiedeln tat ich drei volle Monate Hofnarrendienste und es war mir dabei wohl wie einem Maikäfer im frischen Laub. Aber da lieh mich mein Herr dem Grafen von Monsax, weil der seinen Hansnarren dem Grafen von Brandis verschenkt hatte. Als sich die erlauchte Gräfin jedoch an meinem allzuschwer bepackten Buckel stieß – denn sie erwartete den Klapperstorch – tauschte mich der Herr von Sax gegen den Hansnarren des Toggenburgers aus. So kam ich von einer Burg auf die andere bis nach Feldkirch. Wie mich aber die Schloßknechte auf der Schattenburg immer plagten, wenn sie besoffen waren – und sie waren es immer – und wie mich gar die Frauen der Gräfin in den Garten stellten, als Vogelscheuche gegen die kirschenfressenden Rinderstare, machte ich mich aus diesem langweiligen Leih- und Tauschhandel davon.«

»Darum hast du also den Beruf verfehlt und bist ein Spielmann worden,« lachte der Lumpenhütlein.

»Oho!« machte der Glückhütlein. »Ich sage dir: wenn der Pfeiferkönig es vermöchte, die große Frau von Zürich, dieses schlohweiße, vollbusige Weib zu seiner heimlichen Königin zu machen, ich sattelte wieder um, stände bei der Fürstin ein und zöge die Schellenkappe über die Ohren als ein ordentlicher Narr unter all den unordentlichen und außerordentlichen Erznarren dieser Welt. Heijuppedihee! Es sollte mir keine große Kunst sein, ihre zwanzigjährigen Tischtöchterlein, ohne Guckeguckelöffeleinspiel auf den Knieen, zum Lachen zu bringen. Das junge Weibervolk lacht ja inwendig noch, wenn es auswendig von Tränen tropft. Halt wie bei einem Wirtshaus, wo auswendig alle Dachtraufen gehen und inwendig alles tanzt.«

»Man merkt wohl, daß du ein Hansnarr bist,« sagte der Lumpenhütlein. »Wie sollte dieses stolze Weib, das aufzieht, als hätte sie ein Szepter im Rücken und einen Reichsapfel im Kopf, einen armmütigen Lützelpfeifer zu ihrem lustigen Friedel machen. Er kann ihr höchstens heimgeigen bis vor's stille Kämmerlein, dort aber heißt's: Das Riegelein vür, bleib vor der Tür und wiege deine Liese!«

»Das weiß der Gauch,« machte der Glückhütlein, »bei den Weibern und den Äpfeln weiß man nie genau, wenn sie fallen, wohin sie fallen. Der Mensch kann da Wunder erleben, selbst wenn er mit den Heiden in die Schule gegangen ist. Schau ihr einmal in die Augen. Da steht drin geschrieben: Es hat gottlob genug der Knaben, der mir gefällt, den will ich haben. Die weiß was sie will und will was sie weiß. Glaubst du, ich habe die vornehmen Weiber zur Zeit meiner glorreichen Narretei nicht kennen gelernt? Mein guter Posaunenengel, ich sage dir, diese Weiber stellten die Narren um sich herum auf wie Kegel. Und diese Weibernarren waren mir armem Berufsnarren weit über.«

»Ei, die ist nicht halb so angriffig, wie ihr Bogennäschen dergleichen tut,« warf der Lumpenhütlein ein. »Die ist gewiß von einer kühlen, bedächtigen Rasse, hat mir zu flachsheitere Haare und zu blaue Augen.«

»Was?!« sagte schier beleidigt der Glückhütlein. »Geh' mir mit deinem Flachskopf und deinen blauen Augen. Ich sage dir, diese Art ist die gefährlichste, wie ja auch das Wetter am bösesten umschlägt, wenn wir das sanfte Alpenglühen und eine sternenheit're Föhnnacht haben. Ich sah heute, wie das schöne Weib ein paar Augen machte, als sie mit dem Lützelpfeifer aus dem Gestäude in den Schein des Feuers trat. Sie glänzten dir wie der Widerschein eines im See liegenden Schatzes, der gerne gehoben sein möchte. Wäre ich noch jung, ich wollte ihn dem blöden Lützelpfeifer vor der Nase herauszaubern, denn Gott weiß, was diese Weiber für Gelüstlein haben. Sowieso! Ich wollte ich hätte meinen Hafen voll Goldgulden wieder . . . .«

»Vierundzwanzig Silberlinge waren es und vierzig Heller.«

»Silber oder Gold, es ist verputzt bei Butz und Stiel. Ich wollte, ich hätte das schöne Geld noch und säße damit in Sicherheit bei dem gastlichen Doggen von Gersau.«

»Und ich wollt', ich wäre nie zur Herberge heraus,« sagte, immer wieder trocken schluckend, der Lamphütlein, »oder ich müßte in des Klosters Keller zu Pfäffikon spucken. Ich habe aus dieser verfluchten Insel nun seit heute morgen so viel Wasser gelappt, daß mir wassersüchtiger zu Mute ist, als einer rot- und grüngesprenkelten Laubkröte auf einer heißen Steinplatte. Könnte ich nur dieses heillose Gewäsch wie ein alter Hecht, zum Maul herein und zu beiden Ohren herauslassen. Es ist eine verwässerte, miserable Wirtschaft auf dieser Welt. Mein einziger Trost ist jetzt unsere schöne Frau von Zürich. Zwar nicht um ihres schneetaubenweißen Halses willen, aber weil sie uns einmal im Schenkhof der Abtei nach Tranksame schatzgraben lassen will. Bei den zwei Raben unseres Landespatrons, wir werden es nicht vergessen und müßten wir noch im Fegfeuer die Zungen darnach herausstrecken.«

»Still, ihr alten Toren!«

Itelschalk, der Gugelpfeifer, war in das Höflein getreten.

»Auf und macht euch jetzt schleunigst davon! Es tagt bald und ihr braucht euere Nasen nicht in alles zu stecken. Wie kommt ihr denn hieher? Wo habt ihr euer Fahrzeug?«

»He, hinten an der Insel liegt es im Schilf. Es ist der Fischerkahn eines Seebauern von Ürikon,« antwortete der Lumpenhütlein. »Wir versprachen ihm einen Goldgulden, wenn er uns seinen wurmstichigen Seeholzschuh leihe.«

»Ihr einen Goldgulden?« machte Itelschalk mit großen Augen.

»Ei, diesmal bekommt er ihn freilich noch nicht,« sagte der Lumpenhütlein, »denn wir konnten ja den Schatz nicht heben. So muß er sich gedulden bis wir ihn ein andermal, falls uns nicht wieder diese heillosen Weiber ins Gras laufen, herauszaubern können.«

»Dieser Bauer von Ürikon kann alt werden, bis er zu seinem Goldgulden kommt,« lachte der Gugelpfeifer kurz auf.

Dann horchte er gespannt. »Auf, auf und trollt euch zum Kuckuck! Die gnädige Frau kommt.«

Brummend und halblaut schimpfend, erhoben sich die drei Spielleute und krochen ins Gestäude.

Ging nicht lange, stieß ihr Kahn von der Insel ab und verschwand in der Dunkelheit langsam in der Richtung des Hofes Ürikon.

Bald nachher stiegen Itelschalk und seine Gesellen wieder in der Abtei großen Nauen, worin die Ruderknechte satt und faul herumlagerten. Gleich darnach kam auch Anna von Hewen, die Äbtissin, mit dem Pfeiferkönig zum Schiff. Ihr Angesicht war gerötet und ihre blauen Augen glänzten wie ein stiller Weier im Gewitter.

»Morgen Abend hoffe ich dich mit Botschaft aus dem Tal von Schwyz wieder bei mir,« rannte sie Ulmann zu. »Spute dich, mein Lieber! Es ist noch viel zu tun. Schirm' dich Gott!«

Flüchtig, mit durchdringendem Auge sah sie ihn an. Das Sternlein darin glänzte kühl wie der Morgenstern im Novemberhimmel, aber um ihren Mund spielte ein verführerisches Lächeln.

»Helft mir ins Schiff!« rief sie jetzt.

Nun zog sie der zuvorderst im Nauen bereitstehende Gugelpfeifer sorgsam ins Fahrzeug und da saß sie wieder zwischen ihren zwei Kammerfrauen, die sie und ihren Kopfputz heimlich mit Sperberaugen anschielten.

Anna von Hewen hob den Arm hoch, dem Pfeiferkönig rasch zuwinkend.

»Stoßt ab!« gebot Itelschalk vom Steuer aus.

Und nun rutschte der schwerfällige Nauen knirschend ab dem Sand und glitt schwappelnd durch das Schilf in den offenen See hinaus.

Eine Weile sah ihm der Lützelpfeifer stumm nach. Doch dann eilte er, schwer aufatmend, durch das auseinanderschnellende Gestäude nach dem entgegengesetzten Ufer des Eilandes.

Auch dort hatte eben ein aufrechtstehender Fischer des Hofes Pfäffikon seinen Kahn, in dem zwei dunkle Gestalten saßen, von der Insel abgestoßen und ruderte nun rasch in der Richtung des Speichers von Pfäffikon davon.

»Gott geleit' euch!« rief ihnen Ulmann nach.

»Vergiß nicht, uns gegen Mittag nachzufahren,« rief eine Stimme aus dem Kahn zurück, »denn wir müssen zeitig verreiten, wollen wir vor Nacht durch die Wälder kommen.«

Bald verschwand das Fahrzeug hinter dem Hurdener Steg nach der Insel Ufenau. Noch eine Weile kamen seine Ruderschläge über den See, dann ward es stille.

In schweres Sinnen versunken, ging der Pfeiferkönig nach der weidenüberschatteten Landzunge seiner Insel. Es begann zu tagen.

Dort warf er sich in das Heidekraut und schaute mit träumenden Augen in die Auferstehung des Tages.

Es heiterte immer mehr. In der Ferne, dem burggekrönten Städtlein Rapperswil zu, sah er den klösterlichen Nauen fahren. Er schaute ihm nach, sehnsüchtiger als Noah der Taube, die er aus der Arche nach Land aussandte. Und seine Gedanken liefen dem Schiff auf leisen Spinnenbeinchen nach, unablässig, wie ein Bettlerkind den ausreitenden Herrenleuten.

Jetzt war gegen die Hurdener Schilffelder hinauf im Morgenwind ein Fliehen geisterhafter Nebelhorden. Ihnen nach schwamm es wie mit tausend schneeweißen Armen, als suchten aufgeschreckte Wasserfrauen sich eilig vor dem alles enthüllenden Tag im Schilfe zu verstecken. Wie an einem feuerspeienden Berg hing am Speer ein dräuhender brandroter Rauch. Nun legte sich davon ein Schein auf den See bis an das Eiland als ein feuerfarbener Teppich für den Einzug der nahenden Sonnenherrlichkeit. Im Schilf aber war ein geheimnisvolles Plätschern.

»Ach,« machte Ulmann seufzend, »ich bin wie ein dummes Büblein, das nach dem Stern auf dem Berge läuft und dann mit leeren Händen, blutigen Füßen und weinendem Herzen heimkommt.«

Nun standen die Berge im heitern Tag. Der Speer aber spie nun Feuer aus. Eine glühende Lohe fuhr aus seinem Gipfel und da ward aus ihr mit einem Zauberschlage die strahlende Morgensonne.

Ein Aufflattern im Schilf. Ein Zug Wildenten schwang sich auf und flog gen Rapperswil, das mit seinen Mauern und Türmen eben aus verträumter Dämmerung tauchte. Mit einemmale wandte sich der Zug und flog über den obern Hurdener Steg, durch dessen Pfeiler der hellblaue Obersee schimmerte. Der einschlummernde Pfeiferkönig aber hielt diese Pfeiler für den ersehnten Gatter, der in die blaue, glückselige Ewigkeit hineinführt.


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