Meinrad Lienert
Der König von Euland
Meinrad Lienert

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III.

Von den Erlen der stillen Sihl und des Eubachs lösten sich zögernd die Morgennebelchen. Es war als ob es aus dem Obereuthal, gegen die Runsen und Schluchten der Krummfluh hinauf, goldig rauchte, als hätte der Goldstaub aus den unterirdischen Werkstätten der Erdmännchen einen Ausweg gefunden. Aber über den Steinköpfen vor der Wildegg kreiste miaulend ein Adler und aus den Urwäldern um den Heitligeer kam das Heulen der Wölfe.

Ein wundervoller Frühlingsmorgen. In den Hanf-, Gersten- und Haberländern, wie man die Äcker hieß, die unweit des Hauses, auf der Sonnenhalde lagen, werkten die Hacken, um den Boden aufzutun und für die späte Saat willig zu machen.

Um das große, tiefbraune Holzhaus, mit den zwei schweren, unter dem breiten Dach hängenden Seitenlauben, schoßen die Schwalben und jauchzten dem sonnigen Tag. Sonst war's still; nur der Brunnen vor dem überdachten Stiegenbrücklein plauderte immer zu und stäubte zuweilen unversehens seine quellfrischen Wasser nach den Schwalben, wenn sie über den lautern Spiegel seines Troges hinpfeilten.

61 Irgendwo in der Welt mußte doch ein Lachen sein. Von den Äckern, am sanften Hang drüben, wo man die Erde umgrub, kam's nicht. Es ging ja wohl im Hause um. Ja, ja im Hause war's. Das ganze Gebälk und Gewände schien davon erfüllt, wie der Wald etwa vom Gelächter eines Eichelhähers oder vom Hohn einer Lachdrossel.

Aber jetzt gellte ein zorniger Aufschrei ins tolle Lachen.

Ein Fauchen, Schnäuzen und Miaulen und da schoß auch schon aus der offenen Haustüre und übers Stiegenbrücklein, kreischend vor Wut und Angst, die große graue Katze. Am Schwanz hing ihr eine Pfanne, die nun polternd, aufschlagend, hinter ihr her über eines der Vorstieglein herunterrasselte. Im Hui war das ganze ungewöhnliche Fuhrwerk hinterm Hause verschwunden.

Jetzt sprang über die Schwelle der Haustüre das Bethli und rief in den Gang zurück, in dem ein großes Lärmen war: »Gigi, gigi, Lunn! Ei, so fang nun die Hexe! Da ich ja eine Haghexe und ein Neckteufel bin, wie du immer sagst, so hast du jetzt deine Pfanne gesehen. So magst du denn künftig das Essen in der Schürze kochen, denn unsere Katze soll die Pfanne in die Ahornweid hinüberverschleppen, wo die drei weißen Frauen sitzen oder gar zu den Wildmännern im Duliwald. Lunn, Lunn, Brummhummel!«

Gar laut lachte das Bethli auf und machte in den Gang hinein mit dem losen Spiel ihrer Finger eine lange Nase.

62 Schlürfende, tappige Schritte waren im Flur. Das Mädchen stob das Vorstieglein hinunter. Und wie nun oben die ungelenke, breitschultrige Magd, die Lunn, mit zornigen Augen und hochrotem Gesicht, sich im halbrunden Ausguck des Stiegenbrückleins zeigte, hockte das Bethli schon auf dem Brunnentrog und lachte sie erst recht aus.

»Wart nur, Lachbeth, du Wildling!« lärmte die Magd in den Morgen hinaus, »gnad dir Gott, wenn ich dich erwische! Bist dann alt genug.«

»Ja, wenn du mich erwischest«, höhnte das Bethli. »Und zudem, es fürchtet mir vor dir nicht eben viel.«

Die schwerfällige Magd trampte, bebend vor Empörung, so eilig sie's vermochte, übers Vorstieglein hinab.

Wie sie aber, mit hochgeschwungener Schöpfkelle, watschelnd und linkshäldig, auf den Brunnen losrückte, wurde sie von einem kalten Windregen überfludert, sodaß sie zurückwich. Auf dem Brunnenrand, an der Holzröhre, stand das Bethli und verwandelte mit kundigen Fingern das herausschießende Wasser in einen Springbrunnen von regenbogenfarbigen Wirbeln und klatschenden Fächern, die der Lunn den Atem benehmen wollten und sie im Hui triefendtropfendnaß machten.

»Kann ich jetzt hexen, Lunn?« schrie das Bethli. »Sagst ja immer, ich sei eine Hexe, eine Haghexe, eine Waldhexe, eine Wetterhexe. Siehst du, nun bin ich gar auch noch eine Brunnenhexe!«

Wie ein Springbrunnen voll silberner Kügelchen 63 trillerte Bethlis Lachen himmelan. Und bevor die Magd recht zu sich kam, war es vom Brunnen weg, an ihr vorbei und übers Stiegenbrücklein hinauf, ins Haus hineingewischt.

Tätsch! schlug die Haustüre zu.

Die Magd war nun völlig wild, recht unglücklich war sie. »So macht sie's einem immer!« lärmte sie in die Äcker hinüber. »Und ich hab sie doch nur Haghexe geheißen. Ist sie denn etwa keine? So ein Fegnest, so eine Hornisse! Den ganzen Tag ist man bei ihr herum, wie in einer Hexendrille. Mehr kommt ihr in den Sinn als hundert heikelnäschigen Ziegen und toller tut sie, wenn sie abkommt, als ein Hochwasser. Und doch staunt sie dann Handkehrum wieder in irgend einen Winkel hinein und macht Augen an einen hin, daß es einem schier fürchtet. Es ist zum Verwilden, zum Davonlaufen ist's! Und nun hat sie mir gar die Pfanne von der Katze verschleppen lassen, bloß weil ich ihr Haghexe und Staudenhexe zugerufen habe. Und ich hab's doch bloß getan, weil sie mir in der letzten Nacht einen ganzen Knäuel glitschiger, eiskalter Frösche auf den Laubsack, unter die Bettdecke versteckt hat. Hu!« kreischte sie auf, »ich darf nicht dran denken, wie's war, als ich mich hineingelegt habe! So eine Hexe, ja, eine Hexe!« lärmte sie wütend. »Aber ich sag's ihrem Vater schon, dem Sebimaria, sobald er von der Sattelalp heruntersteigt. Ich komme immer weniger aus ihr. Sie kann doch sonst so lieb, so gut zu einem 64 sein, wie man's nicht bester wünschen möchte. Aber nun wird sie immer launischer und geht oft mit einem um, wie der Föhnwind mit einem Laubhaufen. Wenn ich schon nur eine Magd und ein dummer Totsch bin«, sie bekam eine weinerliche Stimme, »so lasse ich mich von dem Lachbethli doch nicht alleweil necken. Ich . . .«

Nun bekam sie's völlig mit der Trübsal. Aber als sie sich, tieftrauernd, auf den Brunnentrog niederließ, höckte sie sich grad dorthin, wo er überfloß. Also fuhr sie, fuchsteufelswild und wätschnaß, wieder auf und die Kelle schwingend, schrie sie: »Ich muß die Pfanne wieder haben, die Pfanne muß ich haben, sonst kann ich die Froschschenkel nicht übertun und kochen, die mir der Sebeli und der Bäneli gestern zugetragen haben. O Herrgott doch auch! Die Pfanne will ich, die Pfanne!«

Sie watschelte hurtig davon und machte sich, der Katze nach, hinters Haus.

Drüben in den Äckern hatte man wenig auf Bethlis Lachen und das Geschrei und aufgeregte Getue der Magd gehört. Es waren diese Neckereien auf der Sonnenhalde nichts ungewohntes. Diese ewige Unruhe, das Bethli, wird eben der alternden und immer unwirscher werdenden Lunn wieder einmal einen Streich gespielt haben.

Auf diesen Äckern nun, auf denen in sonnigen Sommern etwas Hanf, Hafer und Gerste geriet, arbeitete schon seit dem frühen Morgen Vitus Wiler, der Bauernsohn aus dem St. Galler Tiefland, und zwar hackte er 65 den Boden um. Es halfen ihm dabei zwei ältere Tagner aus dem Weiler des Euthals; nötige Hühnerbäuerlein, deren paar Geißen auf der Allmeind herumzufahren und zu weiden pflegten. Der eine, der Langresl, ein langaufgeschossener, ausgetrockneter Dörrling, hatte einen so umfänglichen dreizerteilten Kropf, daß es die Leute immer bedünken wollte, er stoffle mit drei Sentenschellen am Hals daher. Der König von Euland hatte ihn zu seinem Haushofmeister und Ceremoniar ernannt, woran die Leute, zum Verdrusse ihres ärmlichen, beinmagern Talgenossen, viel Freude hatten. Noch mehr kränkte sich über den König der andere Tagner, der Gängeli, ein gar geringes, fast häßliches Männchen, mit einem starken Buckel. Von ihm sagte der Alte auf der Sonnenhalde, dieser Gangulf oder Gängeli sei sein Reiteroberst und seine ungewöhnlich krummen Beine, auf denen er wie eine Wiege herumwackle, habe er vom vielen Reiten. Obwohl nun diese armen Teufel diese ihre Titel schon lange hätten gewohnt sein dürfen, erbosten sie sich doch immer wieder darüber.

Im Schweiße ihres Angsichts hackten nun die drei Mannsleute drauflos, denn der Boden war recht steinig.

Sie waren aber nicht allein in den Pflanzländern. Heute machte sich, ziemlich gebückt, auch Zachris, der König von Euland, hinter ihnen her. Er las Steine von der umgebrochenen Erde auf, sie in einen Handkorb, einen Kratten, den er mit sich trug, sammelnd. Immer wieder einmal blieb er stehen, um aufatmend, den Kratten für 66 eine Weile abzustellen und dem Marieli, das ihm mit einem Zainlein folgte, einen warmen Blick zu geben oder seine zwei Enkelbüblein, den Sebeli und den Bäneli, die ihm eine Gelte nachschleppten, ein wenig zu loben.

Nämlich, von Zeit zu Zeit pflegte sich der Greis auf die Goldsuche zu begeben. Er behauptete, sein Königreich Euland sei durch und durch goldhaltig. Man müsse freilich die Augen dafür haben, um die Steine herauszufinden und zu erkennen, in denen sich das Gold verberge. Ihm seien sie durch seinen Talisman geworden. Also fand er's bald in Bächen, bald in verlorenen Runsen, ja auf der Gasse. Heute aber suchte er's in den Steinen der aufgebrochenen dampfenden Ackererde. Er schien es auch zu finden, denn sein Kratten war schon schwer von Steinen. Auch Marielis Zainlein und sogar die Holzgelte der beiden Knaben begannen von all dem Gestein und Geschiefer, das der Alte ab und zu dreinwarf, anzuziehen. Wenn er glaubte, einen außergewöhnlichen Fund getan zu haben, rief er alle zu sich. Alsdann erklärte er ihnen an irgend einem Stein, wie er von Goldstreifen durchzogen sei oder wie das Gold von innerhalb durchschimmere. Immer beeilten sich alle, das was er gesehen haben wollte, mit seinen Augen zu sehen und es höchlich zu bewundern. Das Marieli in heiligem Glauben, die Büblein, weil sie sich bei alledem nichts dachten, Vitus, der Knecht, aber, um ihm nicht wehzutun. Die zwei Tagner jedoch, weil sie seinen Zorn fürchteten; denn als der Gängeli, der einmal auf 67 seinen Sichelbeinen auf der Sonnenhalde in einer Runs eine Sperre errichten half, dem steinesammelnden Alten in seinem Unmut keck sagte, er sehe am vorgezeigten Schieferstück nichts als Dreck, schlug er ihm den Hirtenstab über den Buckel und drohte, ihn als Reiteroberst abzusetzen, denn durch einen blinden Esel könne er seine Reiterei nicht zu Krieg führen lassen. Seither erblickte auch der Gängeli in den Steinen, was der König von Euland gern haben wollte.

»Kinder«, hob jetzt der Greis zu den Umstehenden, unter denen die beiden Knaben recht gelangweilt aussahen, zu reden an, »wißt, nun habe ich bald meine Kammer, den Dachboden und die Seitenlauben des Hauses voll von diesen kostbaren Steinen. Alsdann fülle ich noch den Schopf und das Tenn der Scheune an. Würde ich nicht zu müde, stiege ich auch auf unsere Sattelalp, wo's eine Wasserrunse gibt, die Goldbächlein heißt. Mit dem vielen Gold, das es gewiß enthält, würde ich die Alphütte voll machen. Vielleicht steige ich eines Tages noch hinauf. Immerhin, was meinst, Marieli, nun haben wir doch schon einen schönen Haufen lauterlötiges Goldgestein beisammen. Sobald meine Geliebte, Frau Katharina, aus dem Frankenland angekommen ist, werde ich auf der Hagelfluh das Schloß mit den hundert Sälen bauen lassen. Darunter aber im Felsen soll man mir eine Schatzkammer aushöhlen, für meine Enkelin, fürs Bethli, das einst nach uns die Krone meines Alpenreiches tragen soll. 68 Sie hat das Zeug dazu. Denn das sage ich euch«, redete er ernst, »der Lachvogel, das Neckkoboldchen ist in meiner großen Enkelin nicht das letzte. Hinter dem allem her gespenstert noch ganzanderes, ernsthaftestes. Das weiß ich. Die Funken, die ihr jetzt so lustig aus den Augen springen, kommen aus einer abgründigen Glut. Und aus dem Rauch und Nebel, den sie uns etwa macht, tritt eines Tags der feinste Stern heraus. Aber dann, fürchte ich, ist's auch Nacht, denn«, setzte er sinnend bei, »was ein rechter Stern ist, zeigt sich im Dunkel; je tiefer die Nacht, desto heller der Stern. Ihr muß eine Schatzkammer unters Schloß gebaut werden. Wenn sie ihren königlichen Großvater auch ab und zu ein wenig am Bart zupft, hat er sie dennoch lieb.« Er lächelte. »Sie hat es ja doch von mir«, machte er schalkhaft. »So ungefähr war ich auch: Ein Lachvogel, aber in einem finstern Wald; denn du mußt wissen, Marieli«, wandte er sich geheimnisvoll, die Hand am Mund, an seine aufhorchende kleine Enkelin, »die Königssöhne der ganzen Welt sollen sich im Schloß auf der Hagelfluh nach und nach zeigen, wenn wir, ich und meine erlauchte Frau Katharina, des Regierens müde sind. Wundern werden sie sich über seine Schätze. Alsdann mag sich das Bethli den würdigsten und schönsten Prinzen aus ihnen auslesen.«

»Ja, Herr König, aber was darf ich dann werden?« fragte schüchtern, halblaut das Marieli.

»Du?« Er sann nach. »Es ist mir, ich hätte dir schon 69 irgend einmal ein Amt gegeben. Aber, ja, ich will es noch bedenken; du könntest vielleicht . . . Du gutes Kind, ja, ich will's überlegen. Was meinst, vielleicht könntest du die goldene Wiege treten, wenn man deiner königlichen Schwester alsdann eines Tags ein Kindlein bringt. Oder du . . .«

»O ja, Großvater, das will ich gerne tun!« rief das Marieli aus. »Den ganzen Tag möchte ich nichts anderes tun und die Nacht hindurch als Kindlein wiegen. Aber«, machte sie mit ernsten Augen, »versäumt es ja nicht, das dem Bethli anzudingen, sonst vergißt sie's sicher und heilig.«

»Und was müssen denn wir machen, wenn wir groß sind?« wunderte jetzt auch der Sebeli, angesteckt von seinem Schwesterlein.

»Ihr Buben?« Er lachte auf, wobei die Goldkügelchen, die an seinen Ohren hingen, zitternd, gleißend mitzukichern schienen. »Ja, meine Kleinen, wie könnt ihr nur fragen. Sobald ihr groß seid, habt ihr ein Schwert in der Faust, so fest als wär's mit ihr verwachsen. Alsdann werdet ihr eben wie euere Ahnen Handgeld nehmen und in fremde Länder zu Krieg ziehen und schauen, wie ihr euch durch den Krüppelwald der Welt durchhaut. Vielleicht bringt ihr's auch zu einem Hochsitz. Was ein ganzer Mann ist, verläßt sich nicht aufs erben, sondern aufs erwerben. Oha«, rief er aus, den vor ihm her hackenden Männern nachgehend, »dort liegt wieder ein großer Stein, 70 dem ichs von weitem ansehe, daß man aus ihm eine Kappe voll Sonnenkronen münzen könnte. Kommt, Kinder, kommt! Fleißen wir uns! Das ist eine gesegnete Zeit. Nicht alle Leute treffen es so gut, wie wir, daß ihnen das Gold also vor den Füßen wartet. Eilen wir, sputen wir uns, sammeln wir! Denn, das sage ich euch: Hast du das Gold, ist dir alles hold.« Er richtete sich völlig auf. »Hört, Kinder, hört, ihr Leute«, redete er, erst zu Tal und dann gen die Krummfluh und die Wildegg hinaufschauend, »ihr müßt wissen, daß vor alten Zeiten hierlands noch keine Menschenseele etwas von Gold wußte. Das war damals, als unsere Ahnen, als eine geringe versprengte Horde durchs Wäggital, am großen und kleinen Äubrig vorbei, in die Wildnis des Euthals gelangten und sich da einnisteten. So abseitig war's da, daß sie glaubten, noch keines Menschen Fuß sei da umgegangen.

Wie sie nun aber eine Zeitlang sich in diesem Engtal eingelebt und der Sonne, als ihrer Gottheit, die einzig mit ihnen durch dick und dünn gegangen war, soweit nachgeholfen hatten, daß sie ihnen über die gefällten Tannen auf ihre Hütten scheinen konnte, merkten sie bald, daß sie nicht die einzigen Wesen in der rauhen Bergwelt seien. Wenn sie den Bären hetzten, den Wölfen wehrten und gar den Hirschen Fallgruben machten, stießen sie zuweilen auf drei Wildmannen, die gar unheimlich aussahen. Sie waren haarig, ja pelzig wie wilde Tiere, und so stark und behend, daß sie den Luchsen mit den Händen zu erwürgen 71 und den Hirschen im Lauf zu überholen vermochten. So geschah es denn, daß die drei Wildmannen einst unversehens vor der Hütte unserer Urahnen auf der Sonnenhalde standen. Erschrocken traten diese zu ihnen heraus und jetzt erst wurde es ihnen so recht augenfällig, was für ein erschreckendes Aussehen die drei Wildlinge hatten und wie sie einander so ähnlich waren, als wären sie Drillinge. Aber wie erschracken sie erst, als diese Riesen von ihnen verlangten, daß Werdi, ihre schönste Tochter, die weißeste Jungfrau im Lande, einem von ihnen in die Wildnis folgen müsse, und zwar jenem, dessen Gabe ihr am meisten gefalle. Drei Jahre hindurch dürfe sie ihre Geschenke prüfen, darnach aber müsse sie sich entscheiden. Des einen Wildmanns Gabe aber war ein Steinnäpflein voll glühender Kohlen. Der andere stellte einen Kratten voll Roggenkörner vor des Mägdleins Füße und der dritte machte vor ihr eine hohle Hand und in dieser lagen, wie in einem Vogelnest, zwei kleine Kugeln, die aus lauter Sonne geworden schienen, solch einen Glanz gaben sie. Sie hingen mit Kettchen, die so fein waren wie Rauhreiffädlinge, an zwei goldenen Ohrenringen.

Kaum waren die Wildleute weg, hatte Werdi das goldene Gehänge mit den blitzenden Kügelchen schon an den Ohren. Und obwohl nun ihre Eltern und das Tal tausendmal lieber das Feuer, das sie noch nicht gekannt hatten, behalten hätten, oder doch den Roggen, der ihnen schon nach einem Jahr das Brot aus der harten Erde 72 gezogen hatte, so wollte Werdi doch nicht auf die goldenen Ohrenglänggelein mit ihren glitzerigen Kugeln verzichten. Allundeintag besah sie sich in allen Wassern und Wässerlein und schwur hoch und heilig, sie werde diesen Schmuck nie mehr von sich abtun. Mit den Wildmannen aber, meinte sie, komme sie schon zu einem für alle gedeihlichen Ende.

Wie nun das dritte Jahr um war und eines Tages richtig die drei scheusäligen Wildmannen auf der Sonnenhalde vor der Hütte standen, trat Werdi, mit ihrer ganzen, schwerbekümmerten Sippe zu ihnen heraus und redete sie herzhaft also an: »Nun will ich dem folgen«, sagte sie, »der mir vor drei Jahren das goldene Ohrgehänge mit den kleinen Kugeln geschenkt hat. Und jetzt redet, welcher von euch ist's? Denn da ihr euch alle drei so gleichseht, wie ein Ei dem andern, so vermag ich's nicht zu sagen, wer von euch mir die Ohrenringe gegeben hat.« – »Ich bin's!« lärmte einer so toll vor Freude heraus, daß das Echo an der Krummfluh erschrocken aufschrie. Aber wie er in glühender Gier nach der Maid greifen wollte, hingen sich die beiden andern an sein zottiges Fell und in sein Haar, denn sie mochten sich unterdem gar rasch besonnen haben. »Nein, ich bin's, ich bin's!« brüllten sie heraus. Und als nun der erste die Werdi anschrie: »Glaub's nicht, glaub's nicht, ich bin's!« lachte sie laut auf und sagte: »Ja, meine lieben Wildmannen, so kann ich euch nicht helfen, denn allen dreien habe ich mich nicht versprochen. Kehrt jetzt nur wieder in euere Wälder 73 zurück. Sobald ihr dann wißt, wer unter euch der ist, der mir die Ohrenringe gegeben hat, so mag er kommen und sie samt meiner holen.« Da fuhren die drei Waldteufel in rasender Wut gegeneinander, ab und noch lange hörten sie die Hirten auf der Sonnenhalde und im ganzen Land die Wälder durchheulen; und noch lange darnach lebte alles ihretwegen in Ängsten. Nur Werdi blieb frohgemut und sagte immer wieder: »Fürchtet euch nicht, diese drei Wildlinge kommen nie mehr.« Und als sich nun die Euthaler eines Morgens doch wieder in die Wälder wagten, um einen Bären zu stellen, der ihnen die Schafe schlug, sahen sie mit Grauen die drei Wildmannen, völlig ineinander verknäuelt und verbissen, in den Krummfluhtobeln liegen. Sie hatten sich wohl im grimmigen Kampf um Werdi selber in den Abgrund heruntergezerrt. Aber wenn nun nachher die Leute auf der Sonnenhalde in den Hochwinternächten die Wölfe um ihre Hütte schleichen und heulen hörten, glaubten sie die Stimmen der Wildmannen aus dem Geheul zu erkennen. Da waren sie dann fast sicher, daß sich ihre Seelen in Wölfe verwandelt hatten und nun also nach Werdi trachteten, um sie zu zerreißen. Die aber lag wohlgeborgen in ihrem Laubbett und lachte sie aus.

So kam's, daß unsere Ahnen in grauer Vorzeit, Feuer und Brot, die listige Werdi aber auch die goldenen Ohrenringe mit den kleinen Kugeln behalten konnte. Und bald darnach, als sie sich eines Tages im Eubach beschaute 74 und sich an den glitzerigen Goldkügelchen an ihren Ohrenläppchen endlich satt gesehen hatte, und nun aus lauter Langeweile nach Forellen zu suchen begann, behutsam Stein um Stein ein wenig aufhebend, sah sie, zu ihrem Erstaunen, hie und da einen Stein goldig glänzen. So hatte sie denn bald heraus, daß sie goldsichtig geworden war. Wo immer sich Gold verbarg, vermochte sie's zu sehen, aber freilich nur, wenn sie ihre Ohrenringe trug. Von Geschlecht zu Geschlecht vererbten sich dann diese kleinen Goldkugeln, bis hinab auf unsere Tage. Allein unsere Ahnen müssen alsdann nach und nach ihre Zauberkraft vergessen oder die Ohrenringe nicht mehr getragen haben. Vielleicht auch achteten sie des Goldes nicht mehr so besonders als sie sich zu den Herren unseres Berglandes gemacht hatten. So war es denn mir vergönnt, eines Tages, als ich eifrig nach Gold trachtete, da ich den großen Palast auf der Hagelfluh im Sinn hatte, den Zauber der Ohrenringe zu merken.

Kinder, Kinder«, rief er aus, »seid guten Muts! Ich will noch das ganze Land reich und glückhaft machen, also, daß die Freuden und Freudlein, wie das Gras um Mitte Mai so dick, zu unserm Boden herauswachsen sollen.«

Der Alte blinzelte dem Marieli und den Kindern freundlich, fast schalkhaft, zu. Darnach machte er sich wieder hinter den Hackerleuten her und begann aufs neue mit prüfenden Augen die bloßgelegten Steine zu besehen und ab und zu einen in seinen Kratten zu sammeln oder in 75 Marielis Zainlein und in die Gelte der zwei kleinen Enkel zu werfen.

Der König von Euland hatte aber heute ein recht unkönigliches Gewand an. Er hatte die Krone und das Zeichen seiner Gewalt, den vergoldeten Hirtenstab, sowie auch den weinroten Mantel, das zerschlissene Wams und die hirschledernen Bundschuhe, zu Hause gelassen. Nur wenn er sich, mittags gewöhnlich, auf den obern Ofenumgang setzte, pflegte er in vollem Königsornat zu prangen und Sonnabends, wenn er seinen Zug nach der Hagelfluh, der Königin Katharina entgegen, unternahm. Werktags jedoch, fast solange es Tag war, gab er sich als schlichter Bergbauer und suchte sich noch so nützlich zu machen als er konnte. Denn, sagte er, auf Vorhalte, die Arbeit sei Werktags das schönste Königsgewand. Der aber sei von vornehmstem Adel, der sich durch seine Tatkraft jeden Tag selber zum Ritter schlage. Ein nichtswertiger Tropf sei, wer im Schatten seines Vaters müßig sitze, auch wenn seine goldenen Ohrenringe bis auf den Boden herablampten. Eine Biene, die sich umtue und sammle, gehe über tausend Drohnen, die im Stock schlafen. Es könne einer ein hundertarmiger Leuchter sein und aus eitel Gold und doch der Welt im Dunkeln nichts bedeuten gegen einen brennenden Spahn. Ein Leuchter sei noch kein Licht.

So trug er denn jetzt nur seine rauhe, kurze Hose aus Wildleder, die auch ein lederner Gürtel hielt. Sonst 76 war er nackt und braungebrannt vom Kopfe bis zu den bloßen Füßen. Aber sein schneeweißes, vom Wind etwas zerzaustes Haupthaar hing ihm fast auf die Schultern herab und unter dem breiten Bart hervor baumelte sein Holzkreuzlein.

Also fuhr er denn angelegentlich fort Steine in den Äckern aufzulesen. Er griff aber nach keinem, der ihm nicht goldhaltig schien. Und bevor er ihn in den Kratten oder sonstwie versorgte, reinigte er ihn so gut er's vermochte und beaugenscheinigte ihn dann aufs einläßlichste. Als er aber, müde vom ewigen Bücken, ein wenig ausruhte, waren Kratten, Körblein und Holzgelte ziemlich steinbeschwert und die Knäblein, der Sebeli und der Bäneli, sperberten offen und verstohlen immer gegen das Sonnenhaldenhaus hinüber, ob denn nicht das Lachbethli bald einmal mit dem Neunuhrimbiß anrücke.

»Ja, ja«, machte der Greis, seine Schätze überblickend, »heute haben wir wieder reich geerntet. Nun liegt das Gold schon haufenweise in meiner Kammer und im ganzen Gehöft der Sonnenhalde herum. Man vermöchte draus eine Kette von hier nach der Schrähhöhe, ja, übers ganze Tal der Minster und der Sihl bis an den Roggenstock zu schmieden, wo die Spielhähne drauf tanzen könnten. Schau die Leute an, Marieli!« raunte er dem immer noch arbeitswilligen Großkind zu, »schau die zwei Tagner an, die da vor uns mit dem fremden Burschen, mit Vitus, diesem Knecht, der einer Königstochter nachzuhalten wagt, 77 ihr strenges Tagwerk tun. Wer denn könnte sich's denken, der's nicht weiß, daß sie zur Auslese meines Hofes gehören; daß der eine, jener kurze buckelige Wicht, der krummbeinige Gängeli, ein gar gewaltiger Kriegsmann und einer der sattelgerechtesten Reiter der Welt ist und daß der dreikropfige Langresl bei Hof den galanten Lecker spielt, der als mein Haushofmeister mit den schönen Damen schäkert. Denk dir, Maiteli, wie das großartig aussehen wird, wenn dieser Gängeli eines Tages hoch zu Roß sitzt!«

Das Marieli schaute auf den abgewerkten, ausgesafteten, vom Leben, wie die Tätschhäuschen des Landes, völlig dunkelgebeizten Tagner Gängeli, der in seinen Lumpen mühselig draufloshackte. Es vermochte sich, obwohl es das krummbeinige Männchen aufs eingehendste betrachtete, kein befriedigendes Bild von ihm, als eines strahlenden Reiters, zu machen. So folgte es denn geduldig seinem Großvater, der wieder Steine aufzuheben begonnen hatte. Seine klagmarterisch werdenden Brüderlein aber suchte es mit halblautem, tröstendem Zuspruch zu geschweigen und hinzuhalten. Es wollte jedoch nicht viel helfen; sie verlangten immer vernehmlicher nach dem Imbiß. Auch die Tagner, der Langresl und der Gängeli schielten immer häufiger nach dem Sonnenhaldenhaus hinüber, während Vitus Wiler unentwegt, den Blick auf der Scholle, weiterwerkte. Nur einmal hob er jetzt den Kopf und stützte sich, ein wenig ausruhend, auf seine Hacke, als aus der 78 Sonnenhaldenstube ein Auflachen dem andern nach, in den Frühlingstag herausflatterte.

Jetzt kam ein frischer, etwas rauher Wind, von Sonnenaufgang, am kleinen Äubrig vorbei, über das ganze Weidland und es war, als wehe er das blaue Zelttuch des Himmels mit über die Euthalberge herein.

Das Marieli fröstelte und dem Alten flog das weiße Haar ums Haupt. Eben hatte er dem Kind wieder einen Stein ins Zainlein gelegt. »Hast du kalt, Marieli?« fragte er. »Siehst, Kind, du darfst dem Wind nie böse sein, auch nicht, wenn er, wie heute, kaltlüftig daherkommt. Wie der rauwollige Bauer die willigen Äcker bereitet, so segnet der morgenfrische Wind sie und die ganze Erde mit Fruchtbarkeit. Das ist, weil es, wie alles was wohltut, von Sonnenaufgang herkommt. Drum heißt man ihn auch Gutwetterwind. Ich will dir aber etwas sagen, Maiteli. Es gibt einen Wind, von dem alle Lüfte ausgehen. Er heißt Allweg, der Wind. Und er ist's, der die Veilchen über Land schickt und die Schlüsselblumen und den leichten Atem. Er ist's aber auch, der die Urtannen von den Bergfirsten wirft und gar die Dächer unserer Hütten verträgt. Und nun komm, Kind! Ich sehe, du bist noch müder als ich und auch der Sebeli und der Bäneli warten sehnsüchtig aufs Neunuhrbrot. Komm, wir höcken uns da eine Weile aufs Ackerbord in die zittrigen Geißglockenblumen bis uns das Bethli kommt.«

79 Und als sie nun im Frühgras saßen, das bürstendick hervorquoll und die Buben, auf dem Grabenrand hockend, ihre Barfüße im Wasser herumfludern ließen, sagte der Greis, der das Marieli im Schoß hatte: »Also, Kind, daß du's mir behaltest: Der Vater und Herr aller Winde heißt Allweg. Er ist nirgends und überall und weiß kein Mensch, wo er zu Hause ist. Man sagt, er falle vom Himmel, aber ich glaube es nicht. Fährt er doch etwa wie ein Geier aus den Bergwäldern herab auf uns los und haut uns die heißen Flügel um die Ohren. Oder er jagt, eiskalt und scharf wie eine Sense, aus dem sumpfigen Hochmoor und der kahlen Heide der stillen Sihl herauf und versengt uns das Frühgras. Und einmal«, er raunte es Marieli ins Ohr, »denk dir, einmal ist er mir gar aus zwei Augen ins Gesicht gesprungen und hat mich in einer Windhose auf all den Gassen der Stadt Paris herumgewirbelt, bis ich fast und gar den Verstand verlor. Denn, mußt du wissen, Kind, er kann in einem einzigen Wort Platz finden und verborgen sein und doch die Kraft haben, einen ins Grab hineinzuverwehen. Du meinst wohl, essen nicht möglich, Marieli. Aber warte nur bis meine erlauchte Frau aus dem Frankenland kommt. Da wird denn gewiß jener Mann bei ihr sein, der Verse machen kann und der kann mir's bezeugen. Schau, Kind, sogar schon in den tiefsten Schlaf herein ist mir solch ein Wind gekommen und hat mir die Träume, wie das Herbstlaub im Buchenwald, heillos durcheinander gebracht. Deswegen 80 ist's, daß ich oft eine so unchristliche Mühe habe, sie wieder auseinander und ins Gleis zu bringen. Heijo, Marieli«, rief er aber, nach kurzem, trübem Hinstaunen auf einmal frohgemut aus, »ist das ein Kannalles, dieser Allweg, der Wind! Sogar die Orgel spielt er«, lachte er auf. »Ich lausche ihm oft, wenn ich nachts schlaflos auf dem Laubsack liege. Da treibt er sich um die Hütte und orgelt und orgelt. Aber freilich, so gewaltige Blasbälge er hat, so schön tönt's ihm ewig nie, wie es mir aus der Kirche zu Notre Dame de Paris entgegengeorgelt hat, wenn ich vor meiner königlichen Frau her . . .«

»Sie kommt, sie kommt!« jubelten die Buben.

Der Greis schaute fast verwundert auf.

Das Bethli kam gemächlichen Schrittes, in einer Hand eine Zinnkanne und im Arm ein großes Roggenbrot, gegen die Pflanzländer gegangen. Eben hatte sie ein tolles Jauchzen durchs Land gejagt, wie sie übers Vortrepplein herabgekommen war.

»Habt ihr Durst, mögt ihr essen?!« fragte sie, als sie nun aufs Grabenbord sprang, auf dem ihr Großvater mit ihren jüngern Geschwistern lagerte.

»Ja, ja, Bethli, gib her!« lärmten die Buben.

Aber der Alte sagte, das Marieli ab dem Schoß lassend: »So bist du denn auch wieder da, meine liebe Wildtaube, mein unruhiger Waldlandvogel! Nein, was du doch heute für blaue Augen hast! Wahrhaftig, da gehört ein Ring, und zwar ein breiter goldener darüber, 81 wie's einem Königskind geziemt und wie ihn oft die Sonne um den blauen Himmel legt. Gottwillkommen, Bethli!«

Das Mädchen lachte hellauf, wie es den Alten so reden hörte, aber dann schaute es verdrossen auf dessen so unköniglichen Aufrust, auf seinen braungebrannten Oberleib, auf die welken Hände und die bloßen, schmutzigen Füße.

Das Marieli sah fast beängstigt zu ihr auf. Auch ihr Großvater hatte ihre Blicke auf seine dürftige Bekleidung aufgefangen. Und als nun sein Angesicht ein wenig zudunkelte, ward Bethli für einen Augenblick verwirrt, doch gleich wieder lachte sie fröhlich heraus und sich vor dem Greis anmutig verbeugend, sagte sie: »Guten Morgen, Herr König! Ich denke, ihr werdet jetzt einen Schluck Milch und einen rechten Bissen Rauhbrot mögen. Kommt ihr alle! Wißt halt, es hat mich so gelächert, wie ich das Gesicht unseres Vitus hab ansehen müssen. Er schaut ja wahrhaftig aus, wie der heilige St. Baschi am Weg nach Oberiberg, völlig aus Holz gemacht. Mit keinem Auge hat er sich nach mir umgesehen, obwohl er mich hat merken können, eine gute Weile schon, bevor ich da in die Habergärten gekommen bin. Aber unser guter Bursche aus dem St. Gallerland ist halt auch so eine Art Heiligenstöcklein, nur daß er keine Wunder wirken kann.«

Ihr tolles Auflachen schien weltum zu gehen.

Vitus Wiler und die beiden Tagner hatten ihre Hacken in den Boden getrieben. Alle drei machten sich jetzt 82 auf die sonnigaussehende Haustochter zu, die eben den Großvater aus der großen Kanne hatte trinken lassen und nun daran war, den Kindern Brot abzuschneiden. »Bethli«, redete sie Vitus etwas ungehalten an, »wie kannst du einem doch alles ungut auslegen und verkehren, wenn's dir paßt. Wohl, freilich habe ich dich gemerkt, schon wie du aus dem Haus gekommen bist, und ich habe mich gewiß auf dich gefreut, wie sich einer nur freuen kann. Aber, mußt du wissen, wenn ich einmal gehörig am werken bin, so bin ich's und lasse mich nicht so leicht davon abbringen. Nichts für ungut! Nun bin ich ja für dich bereit, ich und die andern, gib nur her, was du alles hast!«

Er wollte sie auf die glühenden Wangen küssen.

Doch sie trat zurück und sagte, ihn und die Tagner trinken lassend: »Dreimal, Bursche hab ich dir heute schon aus meinem Guckauskämmerlein zugejauchzt und nie hast du auch nur einen Wank getan und ein wenig den Kopf nach mir umgedreht.«

»Ach was, Dummheiten!« meinte er, »ich hab dir ja schon gesagt, wenn ich grabe, grabe ich. Deswegen, Schatz, kann ich ja doch an dich denken und dich gern haben. Oder nicht?«

Sie schaute den Knecht unverwandt, mit tiefen, suchenden Augen an, während sie ihn aus der Kanne trinken ließ. Sie streichelte ihn gar über die erhitzten Wangen. Aber als er den Mund vom Gefäß weggenommen hatte, wuchs sich, zu seiner Überraschung, die 83 Liebkosung blitzgeschwind zu einem landskräftigen Backenstreich aus und auflachend, fast aufschreiend, rief das Bethli aus: »Bist halt ein gar wackerer, werkhafter Vitus aus den Ländern, wo die Wasser langsam fließen. Und ist keine Mutter hierherum, die nicht Freude hätte, wenn du zu ihrer Tochter zu Licht gingest.«

»Die Mutter?« machte er, seine Wange ein wenig reibend, »das täte es mir nicht ganz. Ich denke, ihre Töchter hätten auch Freude, kröche ich ihnen über die Scheiter vors Fensterlein oder meinst du etwa nicht?«

»Die Töchter vielleicht auch«, sagte sie zögernd, aber ihre Augen schienen mit ihrem Munde nicht völlig eins zu sein.

»Und du hoffentlich freust dich auch, daß du mich auf den Scheitern hast?« fragte er beunruhigt.

»Und ich hoffentlich auch«, redete sie, wunderlich lächelnd.

Aber da packte sie ihn mit beiden Händen an den Schultern, riß ihn an sich, und ihre Augen kamen über ihn wie die Morgensonne über ein Ried im Nebel. Es ward ihm heiß bis in die Zehen hinunter.

Als er sie aber herzhaft an sich drückte und den spärlich beschnurrbarteten Mund schon zu einem Kusse büschelte, kam des Alten Stimme vom Grabenbord: »Bethli, Bethli, bist du denn nicht eines Königs Enkelin, der dich für große Dinge ausersehen hat. So bedenke dich und halte Wacht über dich, bevor du dich mit irgend einem 84 umtust. Wer aus hohem Horste stammt, soll nicht im Moorgrund nisten wollen.«

»Großvater«, machte verdrossen, fast spitzig, das Bethli, den Knecht fahren lassend, »sagt, könnte denn der Vitus nicht auch ein Königssohn sein im Knechtsgewand, wie ihr selbst es ja jetzt auch anhabt?«

»Ja, beigott«, kam die Antwort, »manch einer ist wahrhaftig ein König im Gewand eines Knechtes, aber dann, Kind, muß man ihm den König dennoch anmerken; aus den Augen heraus muß man ihm die Krone glänzen sehen.«

Das Mädchen ward rot, rot wie Blut, über und über. »Ja«, sagte es, »das ist wahr, wahr, wahr.« Sie packte Vitus mit beiden Händen um den Kopf und staunte ihm lange in die klaren, ernsten Augen hinein.

»Was schaust du mich denn so an?« fragte er endlich verwundert, fast mißmutig.

Sie ließ ihn langsam fahren und den Kopf schüttelnd, lispelte sie in sich hinein: »Ein Weiher. Es könnten vielleicht eines Tags Seerosen drauf schwimmen, vielleicht auch könnte er noch kälter werden und gar vereisen, aber vielleicht . . . Der Teufel, der Höllenhund doch auch!« schrie sie auf. »Was muß ich denn die Nase in alles stecken! Bin denn etwa ich eine Königstochter? Bin ich nicht des Sonnenhalders Sennen, des Sebimaria Älteste und ein leerer Hupfauf und ein rauhwolliges Bauernmaitli?«

»Ja«, sagte ruhig, todsicher, der Alte, »du bist ein Königskind vor Gott und Welt, denn du bist mit jeder 85 Faser deines Wesens die rechtmäßige Nachfolgerin des Königs von Euland.«

Langresl, der schmale, tristenstangenhohe Tagner, der nun die Zinnkanne im Schoß hatte, verzog spöttisch sein Froschmaul und verschüttelte den Kopf also, daß es dem Sebeli und dem Bäneli war, sie müssen seinen dreifachen Kropf noch schellen hören. Das krummbeinige Buckelmännlein jedoch, der Gängeli, der sich eben ein gewaltiges Ringelum Brot abgeschnitten hatte, hütete sich wohl, auch nur mit einer Wimper zu zucken, denn er hockte gar nahe beim Greise auf dem Grabenbord.

»Bin ich ein Königskind?« machte das Bethli, nachdenklich auf ihren Großvater sehend, dem das Marieli mit emsiger Hand die weißen, etwas durcheinander geratenen Haarsträhnen zu ordnen und auszustrählen suchte. »Man müßte denn doch zuerst ganz sicher und heilig wissen, ob ihr wirklich und wahrhaftig ein König seid, Großvater«, sagte sie jetzt mit erhobener Stimme, mutig, mit funkelnden Augen auf den Alten hinabsehend.

»Bethli, Bethli, was sagst du!« schrie das Marieli auf. »Wie kannst du so gottlos reden?! Wart nur, das sage ich dem Vater.«

»Ja, beim Strahl, das müßte man erst einmal sicher wissen«, wiederholte fast schreiend laut, brandzündrot, die Große.

Die beiden Tagner konnten ein schadenfrohes Grinsen nicht völlig verbergen.

86 Vitus jedoch raunte dem Mädchen zu: »Was ist's denn heute wieder einmal mit dir, Bethli?! Was fällt dir ein, wie redest du da mit deinem Großvater?! Wie kannst du ihm denn so weh tun und ihm das gar ins Gesicht sagen, was doch jedes Kind sehen könnte, daß er kein König ist, so wenig als ich einer bin.«

»Nein«, gab sie, ziemlich rasch, leise zurück, ihn ernst, kühl ansehend, »nein, Vitus, du bist keiner. Aber dennoch muß ich dich liebhaben. Ich muß, ich muß.«

Sie fuhr ihm ins Haar und schüttelte ihn tüchtig.

»Jesus Gott«, seufzte er, »bist du eine, bist du eine Wilde! Ich komme bald gar nicht mehr aus dir.«

»Ja, du bist keiner, nun weiß ich's gewiß«, sagte sie laut, »Gift will ich drauf nehmen, daß du kein König bist.«

»Natürlich nicht, du Närrlein«, lachte er auf.

»Ob aber der Großvater einer ist, in Wirklichkeit einer ist, das möchte ich gerne heraushaben, sicher muß ich's wissen. Ist er keiner, so bin ich auch nur eine geringblütige, nichtsige Magd, aber dann bin ich erlöst und lasse mich vielleicht von dir einspannen, wie ein Zugrind und gehe mit dir wohin es dich treibt, du lieber, du grundguter Vitus du!« rief sie lärmend aus und gab dem Burschen einen Stoß, daß er fast in den Graben gefahren wäre.

»Herrgott, Herrgott, du Luchsin, wie tust du denn?!« machte er, sie völlig erschrocken anstaunend. Aber mit 87 stark verärgertem Gesicht redete er dann: »Es wird ja immer schöner mit dir, Maitli, es ist ja grad, als ob du mir die Sonnhalde verleiden wolltest.«

»Nein, Vitus«, sagte sie rasch, »bleib bei mir! Ich hab dich lieb, aber«, leise, fast ingrimmig redete sie's in sich hinein, »aber wissen muß ich's, wissen.«

Ihre Augen gespensterten um ihres Großvaters weiße Haare, auf die Marielis Tränen fielen.

Jetzt hob der Greis die versonnenen Augen und zu seiner Enkelin aufschauend, sagte er: »Bethli, du bist nun einmal unsere Spottdrossel. So wollen wir dir, was du redest, so wenig auf die Goldwage legen, wie das was jener Waldvogel ruft. Du weißt ja wohl, wie sehr ich an dir hange und daß ich gerade dir, nach meinem und meiner Königin Ableben, des Reiches Herrlichkeit vorbehalten habe.«

»Großvater«, antwortete ihm die Maid, »nehmt's mir nicht für ungut! Denn ich habe es gut gemeint; ich meine es immer gut, wenn's auch oft mißrät und einen schlimmen Anschein bekommt, weil ich's oft anders geben muß als ich's von Herzen geben möchte. Aber«, kreischte sie, sich kerzengrad straffend, »sei das wie's wolle, ich will's wissen, Großvater, wissen will ich's!«

Sie entriß den aufschreienden kleinen Brüdern, dem Sebeli und dem Bäneli, das große Roggenbrot, an dem sich nun alle gütlich getan haben mochten, und flugs griff sie auch die leere Milchkanne aus den Erdschollen auf, 88 sprang über den Graben und rannte, aufschreiend, mit einem tollen Gelächter, aufs Sonnenhaldenhaus zu.

Aus warmen Augen schaute ihr Zachris, der Alte, nach. »Sie schreit wie ein Falke«, redete er vor sich hin, »wie ein Königsweih. Aber freilich, sie ist eben auch Falkenart. Was will denn nun dieser Gokel bei ihr?« Er streifte flüchtig den Knecht. »Wie würden seine Federn stieben!«

Er lachte kurz auf, dann erhob er sich und seinen Kratten wieder zuhanden nehmend, stapfte er bedächtig hinter den hackenden Mannen her, gefolgt von Marieli mit dem Zainlein und den Buben, die ihre stark beschwerte Holzgelte jetzt singend, lärmend, hin- und herschwangen.

Auch Vitus Wiler, der mit immer unschlüssigern, fast scheuen Augen dem abziehenden Lachbethli nachgestaunt hatte, erhob jetzt, kopfschüttelnd, seine Hacke aufs neue und begann unmutig weiterzuwerken.

Aber als sie alle wieder, so oder anders, in Tätigkeit waren, ging so leise als möglich drüben im Sonnenhaldenhof die Haustüre und gleich darauf rauschte es, kaum hörbar, in den Erlen und Haselstauden, die sich in einem Rünslein bis dicht an die Äcker heranließen.

Das Bethli schlüpfte aus dem Busch. Mit bloßen Füßen setzte es lautlos über einen Graben auf die Äcker und schlich sich also auf ihren eifrig Steine sammelnden Großvater zu. Niemand merkte sie, da es viel Lärm in den Feldern gab, weil die Knaben ihrem Schwesterlein eine Eidechse in seine kleine Zaine hineinzubringen trachteten 89 und es sich verzweifelt gegen sie wehrte. So kam Bethli ohne beachtet zu werden, hart an den Alten heran. Sie hielt den Atem zurück und ihre Augen flammten. Mit hastigen Händen nahm sie des Greises Krone, die sie hinterm Rücken verborgen hielt und setzte sie ihm gar behutsam aufs weiße Haupt. Und siehe, er spürte es nicht, denn ihre Hände waren leiser um ihn gewesen als Fledermäuse in der Dämmerung.

Ein paar Sprünge – und sie steckte schon wieder im bergenden Gesträuch. Dort kniete sie ab und sperberte durch einen blühenden wilden Zwetschgenstrauch, nach ihrem Ahnen.

Dieser sammelte unentwegt Steine in seinen Kratten. Der scharflüftige Ostwind trieb ihm immer wieder den weißen Bart auf die Schulter und zerzauste ihm das Haar, also daß es ihm wie Rauhreifbüschel um den Kopf hing, was die nackten Schultern und den Rücken noch brauner erscheinen ließ, als sie so schon waren. Dabei stampfte er in seiner Lederhose in der aufgebrochenen Erde herum, sodaß seine bloßen Füße und Waden immer schmutziger wurden. Die Krone jedoch glänzte ob dem gebückten, an der Erde klebenden alten Menschen wie der Blitz.

Es war ein erbärmlicher Anblick.

Das Bethli kniete immer noch in den Stauden und zwang die widerspenstigen, dornbewehrten Zweige des Zwetschgengesträuchs auseinander, ineinemfort auf ihren Ahnen schauend. Und ihre Augen suchten und wurden wie 90 Jagdhunde, denen keine Spur entgeht. Ja, wie wilde Wespen hasteten ihre Blicke jeder Regung seines Hauptes, jedem Aufschein seiner Krone, ja seinen Händen nach. Vor allem aber suchten sie fast gierig nach des Alten Augen.

Und als er sich nun aufrichtete und frei und gut, wie einer, der sich auf hoher Warte weiß, ein Zeitchen ins Blaue hineinträumte, errötete sie tief. Sie strahlte und ihre Augenbrauen verwandelten sich in hochmütige Diademe. Aufatmend drückte sie die Hand aufs Herz.

Alsdann ließ sie die Zweige aus den blutgeritzten Händen fahren und raschelte, gar leichtfüßig, durch den Busch davon, dem nahen Sonnenhaldenhause zu.

Jetzt erblickte der Sebeli, dem die umstrittene Eidechse eben entschlüpft war, die Krone auf seines Großvaters Haupt. »O«, rief er aus, »das ist lustig! Der Großvater hat die Krone auf. Heja, es ist just, als wäre sie ihm zum Kopf herausgewachsen. Nein, wie das drollig aussieht, wo er doch sonst fast nichts anhat!« Hellauf lachte er in den Tag hinein. Aber plötzlich still werdend, machte er dann hochverwundert mit großen Augen: »Nein aber auch, wer hat ihm denn die Krone aufgesetzt?!«

»Ja«, rief der Bäneli, der erst auch mitgelacht hatte, kleinlaut aus, »wer hat das getan? Es ist ja grad, als hätte sie ihm der Wind aus der Stube zugetragen und auf den Kopf fallen lassen. Aber, aber, aber!«

Der Alte schien gar nichts zu merken. Er betrachtete eben angelegentlichst einen Glimmerstein, dem das Gold, 91 wie er in sich hineinmurmelte, wahrhaftig zu den Augen herausfunkelte. Man mußte ihn nur ein wenig gegen die Sonne halten. Den wollte er morgen, als am Sonnabend, von Marieli mit auf die Hagelfluh tragen lassen. Morgen würde seine königliche Frau ja sicher kommen, da könnte er ihr von weitem schon, von seinem Felsen aus, mit diesem Stein voll Goldglanz zuwinken und den Weg weisen. Es war doch eigentlich unverantwortlich, wie sie die Hugenotten, ihre offenen Feinde, und die Guisen, ihre falschen Freunde, so lange zurückhielten. Nun morgen endlich würde sie jedenfalls kommen. Es wird ein großes Fest werden.

Jetzt hatte auch das Marieli die Krone auf des Großvaters Kopf erblickt. Und da sah es mit einem Male auch, daß er fast nackt war. Es erschrak und seine Augen wurden immer größer und schließlich voll Tränen. Wer denn hatte das dem König von Euland antun und ihn also lächerlich machen können? Es ward völlig verwirrt, sah sich ringsum, ja weltum und konnte es sich doch nicht erdenken, wie das gekommen sein mochte.

Nun hörte es aber die beiden Tagner, den Langresl mit seinen drei Kröpfen und den buckeligen, schwarzgebeizten Gängeli hinterrücksig kichern und zusammen tuscheln. Jetzt flüsterte gar der Langresl dem andern zu: »Jutelihee! Du verbrannte Zaine, da kann man lachen! Jetzt schau mir einmal einer, was der alte Sonnenhaldenzachris für eine Ansicht macht und wie ihm der Wind die Krone, 92 die's ihm wohl auf den Weißschädel geschneit hat, linkshäldig gestellt hat. Es ist zum Todlachen, zum Verzicklen ist's! Sie fällt ihm noch in den Dreck. Gewiß kann sie's nicht haben, daß sich der König unter ihr in einen schmutzigen Bauern verwandelt hat. Schau, Gängeli, schau da zu!«

»Es fehlt jetzt nur noch«, gab halblaut der andere zurück, »daß nun die Königin Kathri oder wie sie heißt, auf die er doch immer wartet, kommt. Er könnte dann ihrem achtspännigen goldigen Wagen in diesem Aufrust auf einer elf Vierling dicken Sau entgegenreiten.«

Das kleine schwarze Buckelmännchen begann sich auf seinen krummen Beinen vor Vergnügen zu schaukeln, als müßte er sein schwerverhaltenes Lachen wie ein unruhiges Kind in der Wiege geschweigen. Aber mit einem Male lachten beide, zu Marielis Entsetzen, laut heraus, obwohl ihnen Vitus, der Knecht, der erst verwundert, dann entrüstet auf den Greis geblickt hatte, mit Hand und Augen abwinkte. Sie wußten sich aber vor Freude nicht zu lassen, denn die Übernamen, mit denen sie der Alte landum für immer lächerlich gemacht hatte, trieben ihr Gelächter, wie getretene Blasbälge eine Orgel. Doch wie sie jetzt Sebimaria, den Sonnenhaldensenn, gewichtigen Schrittes das Fußweglein aus seiner Sattelalp herabsteigen sahen, wurden sie rasch still und begannen auf Tod und Leben draufloszuhacken.

Das Marieli hatte sich hinter seinen Großvater geschlichen. Als es ihm aber die Krone heimlich abheben 93 wollte, sich gewaltig auf die Zehen stellend, merkte er seine zarten Hände, obwohl sie ihm wie ein Tauwind ums Haar gingen. Er wandte sich, an den Kopf greifend, zu ihm um. Da hatte er auch schon die Krone in seinen gebräunten alten Händen.

Erst verwundert, dann völlig paff, starrte er sie alleweil an. Und dann wieder staunte er aufs weinende Marieli und nun auf einen um den andern. Wie mochte denn die Krone auf seinen Kopf gekommen sein. »Ja«, machte er, und sein Gesicht ward dunkelrot, »ja, wer hat mir denn das antun können?«

Der Bäneli und der Sebeli begannen zu heulen, wie sie das Marieli weinen und den Großvater so düster werden sahen.

»Zachris!« lärmte es jetzt vom Hause her, wo der dicke Kopf der Magd, der Lunn, in einem Fenster steckte, »ich weiß wohl, wer euch den Streich mit der Krone gespielt hat. He, da muß man doch, beim Eicker, nicht lange suchen. Fragt ihr nur das Lachbethli, wer vorhin durchs Gestäude zu den Äckern geschlichen ist.«

Der Greis wurde dunkelrot. Das Haupt sank ihm auf die Brust und seine Augen wetterleuchteten auf die Krone herab. Es sah ganz aus, als würde er sie nun auf einmal zerreißen und zerfetzen. Aber nur für einen Augenblick. Gleich hob sich sein weißer Bart wieder. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Alsdann seufzte er schwer und redete vor sich hin: »Wie hat mir das 94 Bethli, sonst so ein vornehmes Geschöpf bei all ihrem Übermut, das antun können? Sie, der ich das Königtum vorbereite, für die ich alle Schätze der Welt zusammentragen möchte.« Er staunte auf die Krone in seinen Händen. »Ja, bei Gott«, sagte er dann kaum vernehmbar, »es ist halt immer so gewesen, daß einem das Blut im eigenen Leib und außer ihm am schlimmsten mitspielt, das eigene Blut, daß einem am wehesten tut, was man am liebsten hat. Aber«, setzte er nachdenklich bei, »am wehesten doch, wenn's einem hinwegstirbt. Bethli du, du?«

Er ließ den Kopf wieder sinken und sann traurig, immer die Krone ansehend, in sich hinein.

Bedrückt, zornig auf seine Geliebte, schaute Vitus auf den Alten. Wie war es möglich, daß man einen weißhaarigen Menschen und gar seinen eigenen Großvater, so kränken konnte. Nein, das hätte er nie und nimmer von Bethli erwartet, so unberechenbar sie auch war. Daß sie eine solche Bosheit zuweg, über sich gebracht hatte! Er gedachte, dem Greis etwas Tröstliches zu sagen, aber da sah er just den Bauer Sebimaria ziemlich hurtig daherkommen. So packte er denn seine Hacke fester und begann mit den Tagnern, die taten als hätten sie keinen Augenblick von ihrer Arbeit weggesehen, weiter zu arbeiten.

Der Sonnenhalder, der nun in die Pflanzländer kam, hatte den Zuruf seiner Magd, der Lunn, wohl 95 gehört. Er trat auf seinen Vater zu. Und ohne viel Worte zu machen und seine Aufregung und seinen Ingrimm besonders merken zu lassen, nahm er die Krone aus dessen zittrigen Händen und sagte ruhig, aber mit einer Stimme, die seine Erregung verriet: »Vater, hat unser hinterhältiger Lachvogel wieder einmal eine schlimme Schalkerei mit euch gehabt. Nein, nehmt's euch nicht zu Herzen. Ihr wißt ja, wie sie ist, und daß sie's nicht bös meint. Sie ist halt ein Wildwässerlein, eine ewige Unruhe; sie kann nicht anders. So muß sie's im Blut haben. Eine Blume, wenn man sie anschaut, eine wilde Distel, wenn man ihr nahe kommt. Ja, ja, sackerlot, potz Wetter doch auch! Ich werde aber«, machte er, und seine Stimme ward wie fernes, fernes Donnergrollen, »ich will mit der Jungfer Tochter noch reden. Was gilt's, ich weiß ihr einen Spruch, den sie im Kopf behalten wird, solange sie lebt. Da, Marieli«, er übergab die Krone seinem flink zugreifenden Kind, »trag sie ins Haus zurück und stell sie in des Königs Kasten. Und nun, Vater«, wandte er sich wieder dem Alten zu, »vergeßt's, wie ihr, ich und wir alle, schon manches zu vergessen haben, das uns das Bethli gespielt hat. Ihr wißt es ja auch, es ist ihr unbändiges Blut, das ihr selber am meisten zu Leid werkt. Wollt ihr nicht wieder Gold suchen, Vater? Es bedünkt mich, ihr habt heute«, redete er weiter, seiner Stimme nun völlig Meister, mit einem Blick über Kratten, Zainlein und Gelte, »wieder einmal einen guten Tag gehabt. 96 So gibt's wohl aus, Eure Schatzkammer in der Hagelfluh kann dann eines Tages noch schön voll werden.«

Der Greis sah traurig zu seinem hochgewachsenen, bäumigen, wenn auch angegrauten Sohn auf. »Sebimaria«, sagte er schier tonlos, das Haupt gesenkt, »ich bin doch froh, wenn sie bald kommt, meine liebe Herrin. Es könnt sonst kommen, daß ich noch den Verstand verlöre, da er sich bald an nichts mehr halten kann.«

»So kommt denn Vater, wir wollen heimzu«, sagte rasch der Bauer. »Sowieso ist's bald Mittag. Da müßt ihr euch gehörig ausruhen. Ihr habt ja beim Hagel, geschafft wie ein Tagner.«

»Wie sagst du, wie ein Tagner habe ich gewerkt, meinst du – bin ich denn nicht der König von Euland?«

»Heiland doch auch, wo denkt ihr hin! Freilich, freilich seid ihr unser König. Das ganze Land weiß es. Ich habe es nur ungeschickt gesagt, wie man eben etwa dumm daherredet.«

»Das Bethli, das Lachbethli, das Königskind«, machte der Alte, »will mich nicht dafür nehmen.« Und nach kurzem Nachsinnen sagte er: »Am End hat es doch das Herz nicht völlig für eine künftige Königin dieses schönen, wenn auch abseitigen Berglandes und ihres guten Volkes. Aber«, fügte er, etwas aufheiternd bei, »vielleicht ergeht's ihm wie einem Dornsträuchlein, daß es jetzt noch an allen Enden stüpfig ist und weh tun muß, daß es aber eines schönen Morgens über und über voll Rosen steht.« 97 Trüb, ganz leise, redete er aber gleich wieder: »Fast so weh hat es mir getan, wie jene Unholde, die mich einst von der Königin Katharina weggerissen haben. Ich möchte weinen, wenn ich das noch könnte. Es ist alles in mir vertrocknet, wie in einer Bergruns im Herbst, die einst voll von allerlei farbenfroher Fruchtbarkeit und muntern Wässerlein gestanden hat.« Er schüttelte den Kopf, das immer noch weinende Marieli über den hellen Scheitel streichelnd. Aber auf einmal schaute er auf und seine Augen gingen ins Weite. »Ach was«, sagte er warmstimmig, freundlich, »wie kann ich mir nur so törichte Gedanken machen und gar so unbedacht in die Welt hinausschwatzen. Das Bethli ist doch mein Blut, mehr als alle andern, die nach mir gekommen sind, ich weiß es. Wie sollte ich mit ihm da nicht Geduld haben, soviel ein Herz nur aushalten kann, ich, der ich mit mir selber tausendmal mehr Geduld gehabt habe, als mit ihm und allen Menschen um mich zusammen.«

Er griff den Kratten vom Boden auf und als ihm der Bauer denselben abnehmen wollte, stieß er dessen zulangende Hand ziemlich bestimmt weg. Hängenden Kopfes, gefolgt von Marieli, das die Krone gar behutsam über die Acker hinwegtrug, und den Knaben, die mitsammen die steinvolle Gelte nachschleppten, ging er davon dem Hause zu.

Betrübt, zornig, Marielis Zainlein in der Faust, machte sich auch der Bauer ihnen nach. »Vitus«, rief er 98 zurück, »Langresl, Gängeli, kommt bald nach, ihr Mannen, so können wir mittagessen!«

Als der Greis mit seiner Begleitung schon eine Weile im Hause verschwunden war und wie auch der Bauer Sebimaria aufs Haus zutrampte, kam eben seine Tochter, das Bethli, übers Stiegenbrücklein und das Vortrepplein herab. Am Brunnen blieb sie stehen und stellte den Eimer, den sie am Arm hatte, auf die zwei Querhölzer des Trogs unter das muntere, strudelnde Wasserspiel der morschen Holzröhre.

Wie sie nun den Vater aufs Haus zuschreiten sah, erbleichte sie und ließ den Kopf ein wenig sinken. Aber sie tat, als wisse sie von nichts um sich als vom quellfrischen Wasser, das ihr in den Eimer sprang und sang.

Der Senn aber trat auf sie zu, packte sie am Arm und drückte ihn also, daß sie meinte Fürijo und Mordijo lärmen zu müssen. Sie biß jedoch die Zähne ineinander, ward zündrot und ihre Augen glosten. »Maitli, Maitli!« herrschte sie ihr Vater gewitterig an, »eines Tags vergeht dir das Lachen doch noch, eines Tages wird dir der Spottvogel noch aus dem Nest verjagt! Es könnte auch sein, daß ihn das Unglück erwischte und ihn wie eine Katze übel zerrupfte und auffräße. Schau, bei Gott, am liebsten möchte ich dich zum Hause hinaus treiben, müßte ich nicht fürchten, der Großvater, dem du heute so weh getan hast, liefe dir nach. Maitli, du hast heute«, und nochmals nahm er ihren Arm gewaltig in die Zange seiner Faust, »du 99 hast seine weißen Haare vor deinem Geliebten, vor unsern schadenfreudigen, hohnträchtigen Dreckstampfern, den Tagnern, vor dem ganzen Land und gar vor deinen unschuldigen Geschwistern, hast du sie geschändet.«

Er schaute sie geradenwegs an und es war als warte er gierig auf eine Antwort, auf eine Entschuldigung, auf ein Wort der Reue, aber seine Tochter starrte in den überfließenden Eimer und gab keinen Laut von sich.

Da schleuderte er, noch finsterer werdend, ihren Arm von sich und schritt schwerfällig, als hätte er eine lawinengroße Heubürde auf dem Rücken, über ein Vortrepplein hinauf, ins Haus hinein.

Das Bethli war wieder bleich geworden und mit großen, gespenstigen Augen lauschte sie auf die vergehenden Schritte ihres Vaters. Dann ließ sie den Kopf sinken und staunte wie gebannt alleweil in den plaudernden Eimer hinein.

Aber plötzlich überkam es sie wie eine Feuersbrunst. »Ja, ja«, redete sie schwer atmend vor sich hin, »freilich ist's wahr, ich habe seine weißen Haare geschändet, ja, ja, ich hab's getan. Aber«, machte sie hastiger werdend, »aber es reut mich nicht, es kann mich nie reuen in Ewigkeit, denn jetzt, nun weiß ich's! Ich weiß, was ich hab wissen wollen, wissen müssen: Der Großvater ist auch im bäuerlichen, schmutzigen Werktagsrust, nein, auch im Narrengewand, nackt und bloß, ist er ein König geblieben, ein König durch und durch. Ja potz Blut, Himmeldonner 100 abeinander«, schrie sie auf, »da gehört doch gewiß die Krone auf seinen Kopf!« Und beide Arme in den vollen Trog tauchend und ein paar Wasserspinnlein auf sonnbeglänzten Wellchen hin- und herschaukelnd, setzte sie leise bei: »Nein, so arg kann ich ihn also doch nicht geschändet haben. Und wenn auch!« lärmte sie heraus, daß man in den Äckern zusammenfuhr, »nun weiß ich's, nun weiß ich's!« Sie jauchzte gar auf, also daß Vitus drüben im Pflanzland seine Hacke hochentrüstet auf die Schollen warf und schier bös nach dem Brunnen hinüberschaute.

Aber das Bethli schien sich um gar nichts zu kümmern.

»Nun liest er für mich gewiß kein Gold mehr auf«, redete sie jetzt still vor sich hin, »und so komme ich wohl auch um die versprochene Schatzkammer.« Sie lächelte, aber es war das wehmütige Lächeln der Abendsonne. Eine Träne glitt ins Wasser. Sie sah ihr Gesicht im Eimer. Zwei Augen schauten sie schwermütig, wie aus bodenlosen Tiefen an. »Nein, nein, nein«, schrie sie, die Faust ins Wasser schlagend, »weg mit dieser trüben, langweiligen Larve; denn ich bin eines Königs Großkind, heijuppedihee, heijo! ein Königskind!«

Sie packte mit wilden Griffen den Eimer, goß seine Wasser auflachend in den Trog zurück und schleuderte ihn dann in weitem Schwunge unter die entsetzt auseinanderstiebenden Hühner. Und schreiend, kreischend fuhr sie schon über Vortreppe und Stiegenbrücklein hinauf und ins 101 Haus hinein bis zuoberst in ihr Dachkämmerlein, das sie eiligst verriegelte.

Sie erschien nicht zum Mittagessen, nicht zur Habermusgelte am Abend.

Aber am andern Morgen erfüllte sie das Sonnenhaldenhaus wieder mit einer jauchzenden, tollen Ausgelassenheit.

Ihr Vater kränkte sich darüber sehr. Es ward ihm kummervoll, fast unheimlich. Angesichts seiner Tochter jedoch nahm er sich zusammen und ließ wenig von dem was ihn bewegte, merken. Er hatte sich in der Gewalt, denn gar frühzeitig war ihm die Schwere des Lebens auf den Hals gekommen. So war er denn mit dem Bethli wie immer, nur etwas kurzgebundener und vielleicht, auch gegen seinen Willen, ernster. Zachris, der Großvater aber, thronte wie gewohnt auf dem obern Ofenumgang und freute sich der Lustigkeit, des Übermuts seiner Enkelin, von der er zu sagen pflegte, sie sei wie ein warmes Bad für sein altes Herz, wie ein Hindämmern am Sonnenrain im Hochsommer, wobei man die Augen voll rotes Licht habe und die Engel singen höre. Er tat ganz, als wüßte er von nichts anderem als von einem lachenden Bethli, vom Lachbethli.

Am Abend aber, als alles, wie gewöhnlich, schon mit den Hühnern zu Bett gegangen war und nur noch Vitus Wiler, der Bauernsohn aus dem St. Galler Tiefland, mit Bethli, das am Ofen, beim schwachen Schein eines Kienspans, spann, sich in der Stube befand, stand auch 102 dieser unversehens vom Tische auf. Freundlich wünschte er der Spinnerin, ohne sie anzusehen, gute Nacht und schritt ruhigen Ganges auf die Türe zu, wo er das Weihwasser aus dem Tröglein nebenan nahm.

Völlig überrascht, verwundert, schaute das Mädchen auf ihn. Alsdann wie er die Türklinke schon in der Hand hatte, fragte sie: »Ja, Vitus, was ist's denn auf einmal mit dir? Willst du denn schon auf den Laubsack? Sollte es dir am End bei mir zu langweilig sein, weil ich jetzt so still bin, obwohl ich doch den ganzen Tag den Hollediho gemacht habe. So mußt du mir's halt heut nachsehen. Es hat für dich doch auch Abende gegeben, wo ich dich kaum zum Aufstehen habe bringen können und wo du's fast nicht zu Bett gebracht hast. Was ist's denn jetzt mit dir, was hast denn, Bursche, sag!«

»Augen habe ich«, antwortete er, vor sich in den Boden hineinstierend. »Und merk, Bethli, diese Augen haben schon recht vieles sehen müssen, was ihnen nicht grad wohlgefallen hat, aber gestern sind sie mir völlig aufgetan worden. Ich«, er sagte es zögernder, fast flüsternd, »ich habe aber auch noch etwas anderes, ich habe auch ein Herz. Du mußt mir nicht zürnen, Bethli«, machte er wieder vernehmlicher, »daß ich dir das sage. Ich habe lange zu allem geschwiegen und gedacht, es könne sich ja ändern mit dir, aber über Nacht ist's mir nun so gekommen; ich weiß es nun: es ist um nichts bester, eher schlimmer ist's mit dir geworden.«

103 »Herrgott, was redst du denn da?« sagte sie bebend, ihn aus großen Augen anstaunend. »Was meinst du denn? Du sagst – ja, was hast du gesagt? Habe ich denn kein Herz?«

Er spritzte angelegentlich den armen Seelen an der Türe, aber dann antwortete er, sich räuspernd, halblaut: »Wie kann denn eine ein Herz haben, die ihren bluteigenen Großvater so vor allen Leuten am heiterhellen Tag zum Narren macht und landum zum Spott werden läßt?«

»Du, wie, Vitus, du!« in ihrer Stimme war etwas als zuckten Flammen drin auf, »wie, du meinst es auch so, du hast es auch so aufgenommen, Vitus, du auch?! Lieber, hast du's denn nicht gemerkt, daß ich's nur getan habe, um einen landläufigen Bauern zu töten und einen König zu finden? Und kannst du mir's denn nicht glauben, wenn ich dir's heilig schwöre, Vitus?« Sie starrte mit ängstlichen, fast todesängstlichen Augen auf den Burschen, der kopfschüttelnd, traurig unterm Weihwassertröglein stand. Aufsprang sie: »Und siehe«, rief sie aus, »den König, hörst du! ich habe ihn auch gefunden. In seinen Augen habe ich ihn gefunden und in allem, was an ihm ist, im elendesten, spotträchtigsten Werktagsgewandfetzen, in . . . Aber, oh«, sie lachte wild auf, da sie sah, wie er die Türe auftat, »ich habe es mir ja wohl gedacht, Vitus, du bist wie alle andern. Und doch habe ich gemeint . . .« Sie bekam trübe, traurige Augen und wirr werdend, neigte sie 104 sich über ihren Reistenfaden, das Spinnrädlein blitzgeschwind spielen lassend. Aber als ständen sie plötzlich in Flammen, schrie sie fürchterlich auf, fuhr auf den erschrockenen Burschen los und ihn bei den Schultern packend und wieder in die Stube hineinzerrend, hastete sie heraus: »Sag, Vitus, red, glaubst du's wirklich, ist's dir heilig ernst: habe ich kein Herz?!«

»Bethli«, machte er, sie nun fest ansehend, »nimm mir's nicht für ungut, aber nach allem, was ich schon gewahren und auch mit dir selber erleben hab müssen und nun gar das mit dem Großvater, kann ich's nicht recht glauben, daß du ein Herz hast. Hättest du eines, kämst du nicht so federleicht über alles hinweg und tätest nicht gleich wieder über alles hinauslachen, wie die Spottdrossel über einen Wald voll wilder Tiere. Wie soll ich da . . .«

Er verstummte und sah, immer trüber werdend, an ihr vorbei.

Zögernd, langsam, als müßte sie todmüde das rettende Bord, Finger um Finger, fahren lassen, ließ sie von ihm ab. Ihre Augen hingen, wie ihn einen Augenblick bedünken wollte, wahrhaft todesbänglich an ihm. »Kein Herz?« kam's leise, traumhaft von ihren Lippen.

»Mußt mir nicht zürnen«, sagte er, »aber schau, Bethli, ich muß mich doch besinnen über das, was da gestern auf den Äckern gegangen ist und es in mir zu verwerken und zu überwinden suchen, was du für eine Wunderliche – mehr will ich also jetzt nicht sagen – bist, 105 die so herzlos mit den Eigensten sein kann. Deswegen will ich dich ja doch liebhaben. Aber wie soll ich da glauben können, daß du mich lieb hast, ja mich, so wie ich's möchte und nicht bloß ein Stündlein hindurch und heute und morgen, sondern ein Leben lang, Bethli.«

»Kein Herz, sagst du?«

Sie sah ihn immer, die Hände auf seinen Achseln, an. Es ward ihm nun völlig unbehaglich, schier unheimlich.

»Weißt, Liebste, ich hab ja nur gemeint . . .«

»Ja, ja«, flüsterte sie, »ich habe mich wohl am Großvater versündigt, es mag sein, es . . . ich hätte es vielleicht nicht tun sollen. Ich hätte es auch sonst schon lange merken können, daß er kein rechter Narr ist oder dann gewiß und heilig einer unter all den vielen Narren, der den Kopf für eine Krone und nicht für eine Schellenkappe hat.« Sie atmete schneller, erregter und es war, als jagten sich in ihren tiefen blauen Augen die Wolken wie im föhnheitern Himmel. »Aber du, du, du!« schrie sie knirschend, glühendrot auf, »du bist ein Narr, ja du bist ein dummer törichter Kappenzottel, du bist ein ganzer Narr!« und schwer atmend ihn heiß anschauend: »Ein lieber Narr, der sich in mich hineingefressen hat, wie ein Wurm in die Nuß und mit dem ich, trotzdem er ein Erznarr ist, lieber zusammensein möchte als mit allen drei Weisen aus dem Morgenlande; denn schau, Vitus, lieber Hansnarr, Närrlein, entweder habe ich kein Herz, dann magst du mich wegwerfen wie ein leeres Schneckenhaus. 106 Oder aber ich habe eins, dann, meine ich, sitzest du drin, du – du weißblütiger, dumpfer Schneck, du Tor, du Torenbub!«

Sie kam wie ein Sturmwind über ihn und schüttelte ihn und rüttelte ihn.

»Maitli«, machte er, halb betäubt, völlig außer Fassung, »was redest du denn da, was sagst du mir ins Gesicht? Sag, red, bist du noch bei Trost?«

»Ich weiß es nicht«, sagte sie, ihn loslassend und lieb anlächelnd, die Hand auf ihrem wildklopfenden Herzen. »Aber«, setzte sie mit ernst werdenden Augen bei, »das könnte mich nicht so sehr plagen, wie das, daß ich dich, dich, den ich lieber habe, als es der Frühling mit all seinen Vögeln und Blumen und allem, was zusammenkommen will, sagen könnte, daß ich eben dich so höllverdammt liebhaben muß, dich so einen . . .«

»So einen Narren, willst du wohl wieder sagen, gelt!« rief er zornig, erbleichend aus.

»Ja, ja, ja!« schrie sie ihm ins Gesicht.

Und schon schlug die Stubentüre hinter ihr zu und ein gellendes Gelächter tollte durchs Haus.

Völlig zusammengedonnert stand der Bursche da, erst lange auf die Türe und dann in den Boden hineinstarrend.

Endlich ließ er sich auf eine Stabelle nieder und den Kopf auf den Tisch stützend, murmelte er vor sich hin: »Nein, nun ist's heraus, nun ist's mir völlig aufgegangen: Sie mag mich doch nicht. So recht hab ich's ja nie 107 glauben können. Aber nun«, er erhob sich glühend, »nun habe ich einmal genug von dieser wunderlichen, verhexten Welt, von diesem Maitli, aus dem der Kuckuck kommen mag, an der sich einer hintersinnen könnte. Sie hält mich zum Narren, wie alle und alles. Wie ist sie jetzt wieder mit mir umgesprungen, wie hat sie sich über mich lustig gemacht und«, die Hände wurden ihm zu Fäusten, »und mich gar einen Narren geheißen.« Er straffte sich, er wuchs völlig und seine Augen flammten. Und wieder ins Weihwasserschälchen an der Türe langend, redete er laut, als stände sie noch bei ihm: »Ja, ja, Maitli, so lieb ich dich habe, ich will dir jetzt einmal zeigen, ich hätte es wohl schon lange tun sollen, daß ich, wenn auch ein Narr vielleicht, doch nicht länger dein Narr bin, daß ich ein Mann und nicht, wie du sagst, ein Torenbub bin. Hast du mich alsdann so lieb, wie du sagst oder dergleichen tust, wie ich's aber einer nicht glauben kann, die für ihre Eigenen so wenig Herz hat, henun, so magst du mich rufen. Dein Vater weiß ja, wo ich daheim bin. Ja, rufen, rufen mußt du mich!«

Er bekreuzte sich und nachdem er noch eine Weile finster auf den Boden gestaunt hatte, verschüttelte er sich als möchte er etwas Schweres von sich abtun. Alsdann verließ er traurigen Angesichts aber festen Schrittes die düster gewordene Stube. 108

 


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