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Von den Kriegs- und Fast-Schulen der Schinesen, nebst einigen andern Neuigkeiten von daher

So lange ich über Völker zu denken im Stande gewesen bin, habe ich immer gemutmaßet, daß die Schinesen das weiseste, gerechteste, sinnreichste und glücklichste Volk auf Gottes Erdboden seien. Durch dieses häufige Mutmaßen habe ich es nun endlich so weit gebracht, daß ich wirklich und mit völliger Überzeugung, als wäre ich selbst dabei gewesen, glaube, daß diese Auserwählten des Himmels alle unsere so genannten leidigen neuen Erfindungen schon vor zehntausend Jahren gekannt haben, und folglich wohl noch in dem Besitz von tausend andern sein mögen, die wir, der Himmel weiß wann, noch alle werden machen müssen, ehe wir, wie sie, zur Ruhe kommen. Gesetzt auch, es fände sich hier und da etwas, das sich mit der ersten Behauptung nicht recht zu vertragen scheint, z.B. daß sie bis diese Stunde noch keine Taschenuhr reparieren können, daß sie nicht die ersten Anfangsgründe der Perspektive verstehen etc.: so sind das wahre Kindereien. Und außerdem, wer viel weiß, vergißt viel. Dieses ist ja so wahr, daß wir im Deutschen sogar, und mit Recht, den höchsten Grad von langer, verjährter und vertrauter Bekanntschaft mit einer Sache dadurch ausdrücken, daß wir sagen: das hätten wir längst vergessen. O wer weiß, ob wir uns nicht auch noch auf das Rückwärtserfinden, (so sollte man das Vergessen bei einem sinnreichen und erfinderischen Volk nennen) werden legen müssen, wenn es in der Welt, diesseits des Rheins so fortgehen sollte, wie es jenseits angefangen hat. Ich sage, solche Vorwürfe sind wahre Kleinigkeiten. – Dagegen aber bedenke man ihre himmlische Verfassung im Staate, so wie im Hause; in der Kirche wie in der Küche! Fürwahr nächst dem Strumpfwirkerstuhl und der englischen Spinnmaschine, das feinste Kunstwerk das die Welt je gesehen hat, und doch will man noch von Taschenuhren sprechen! Millionen greifen da wie ihr Flügelmann greift. Diese Flügelmänner exerzieren wieder höhern Flügelmännern nach, und so immer weiter, bis zum Flügelmann aller Flügelmänner, und folglich aller Millionen, hinauf. Tut dieser Pulver auf die Pfanne, so liegt in einem Nu Pulver auf allen Pfannen der ganzen Welt, (so heißt Schina im Schinesischen). Wo hundert Bediente für eine Tafel aufwarten, gesetzt auch, der Saal faßte ihrer nur achtzig zu gleicher Zeit, so ist da kein Gedränge und kein Geräusch; keine Bouteille läuft gegen die andere, und kein Braten wider den andern, und die flüssigsten Saucen schweben zwischen den seidenen Kleidern durch, als wären sie gefroren. – Alles glitscht da über einander weg, ohne sich zu reiben, die Werke der Kunst, so wie die, die ihnen der Storch bringt. Wie ihre Köpfe von außen, so sind sie auch von innen. Schädel und Meinungen wie gedrechselt, alles à l'oeuf d'aûtruche überall. Über Sätze, an denen wir mit unsern Haken- und Habichts-Nasen hundertmal hängen bleiben, glitschen sie mit ihren stumpfen Talgtröpfchen im Gesicht hin, wie geschmiert. Wenn daher von oben kommandiert würde: zweimal fünf ist dreizehn, so wäre auch zweimal fünf dreizehn, von der großen Mauer bis Quantong.

Diese weisen Einrichtungen, wodurch sich die Staatswirtschaft so wohl als das Wirtschaften überhaupt, gleichsam an das Kopernikanische System anschließt und zur Fortsetzung desselben wird, haben uns, wir können es nicht leugnen, längst begierig gemacht, über manches in diesem unermeßlichen Reiche nähere Aufschlüsse zu erhalten. Denn daß uns das Beste dieser großen Spinnmaschine noch unbekannt ist, wird sehr wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß selbst in Europa, wo doch die Postkutschen und Paquetboote tagtäglich die Nationen vor- und rückwärts durcheinander mischen, dennoch nicht selten gerade das Größte und Merkwürdigste in einem Lande dem nächsten Nachbar unbekannt bleiben kann. So fragte z. B. noch vor kurzem ein sehr gelehrter und berühmter Engländer, dessen Schriften wir sogar in Übersetzungen lesen, einen reisenden Deutschen, ob es wahr sei, daß es Deutsche Hexameter gebe!

Einigermaßen ist nunmehr unser Wunsch durch nachstehenden Bericht erfüllt, indem wir wenigstens hier eine Probe sehen, aus welcher sich auf das Übrige schließen läßt. Die Nachricht rührt von einem gewissen Herrn Sharp her, der als Butler (Kellermeister und Mundschenk) die letzte Gesandtschafts-Reise nach Schina mitgemacht hat. Man lächle nicht darüber, daß wir das Zeugnis eines englischen Butlers anführen. Dieses sind keine verächtlichen Menschen, es hängt vieles von der Geistes-Zirkulation im Staat von ihnen ab, auch tragen sie daher keine Livree, die Nase ausgenommen, die bei gewissen Jahren zuweilen den Purpur des Standes anzieht. Herr Sharp hatte überdas, wie wir hören, die Schule zu Harrow auf der Höhe (Harrow on the Hill) besucht, und nachher in Cambridge englische Theologie, Philosophie und Naturkunde studiert, eine Mischung, die gewöhnlich nicht gut durch das Filtrum der neun und dreißig Artikel durchgeht. Er vertauschte daher die Kirche mit dem Keller, behielt aber im letzten Departement das Beste aus dem ersten bei, Treue, Dienstfertigkeit und ein gewisses Interesse an allem was die Bildung und Leitung des Menschen in allen Ständen angeht. Dieser glaubwürdige, redliche Mann hat einem unsrer Freunde, der ihn zu Cambridge gekannt hat, folgende Nachrichten mitgeteilt, die wir in einer wörtlichen Übersetzung hier einrücken:

Wir fanden auf dem platten Lande von Schina eine besondere Art weitläuftiger Gebäude, die ein sehr klostermäßiges Ansehen hatten, und wie aus einer Form gegossen schienen, welches in diesem Lande überhaupt bei Dingen einer Art sehr gewöhnlich ist. Wer eine Species von Gebäuden kennt, der kennt gleich alle die zu demselben Genus gehören. So sehen z.B. die Knabenschulen, der Form nach, aus wie die Mädchenschulen, nur sind die letztern bunter, und unter den Fenstern sind Perlenschnüre angemalt, an den Dächern hängen Schellen, und die Stunden ruft ein Guguck, da bei den Knabenschulen ein großes Becken angeschlagen wird. Eben so sehen die Häuser, worin hohe Hazardspiele gespielt werden, von außen völlig aus, wie die Tollhäuser, nur daß in den letztern eiserne Gitter vor den Fenstern, und die Wände anders bemalt sind. So fand ich an einem Tollhause einen Mann abgebildet, der Bindfaden von einem runden Haspel ab auf einen viereckigen haspelte, welches, wie ich glaube, auf die Quadratur des Zirkels ging. Bei den Spielhäusern ist die gewöhnliche Zierde oben ein so genannter Trappenfuß, welches die Spadille der Schinesen ist, und über der Haustüre sah ich einmal einen Mann gemalt, der Geld neben einer Pulvertonne zählte, und dabei sein Pfeifchen rauchte, und obendrein ein Stümpchen Wachslicht ohne Leuchter auf die Tonne geklebt hatte. Doch ich komme auf mein Klostergebäude zurück. Wir sahen ihrer auf einer Tour von sieben und funfzig Meilen (funfzehn Deutsche) wenigstens sechs bis sieben. Auf mein Befragen, was dieses für Gebäude seien, sagte mir der Mandarin, der mir mitgegeben war, sie hießen Tsing-Long, welches unser Dolmetscher, der kleine Wang-o-Tang, den wir so oft beim Kapitän Blake in Parlement-Street gesehen haben, und der mir und uns allen von unendlichem Nutzen war Der Herausgeber hat diesen vortrefflichen jungen Menschen selbst gekannt und gesprochen, und besitzt noch einige Schriftzüge von ihm, die er ganz auf schinesische Weise in seiner Gegenwart geschrieben hat., durch Kriegs- und Hunger-Akademien oder Kriegs-Hunger-Schulen übersetzte. Ich konnte mich des Lächelns nicht enthalten, wie sich der arme Wang- o-Tang quälte, mir dieses auf Englisch, wo man auf den Kriegsschulen nichts weniger als hungert, deutlich machen wollte. Sie wissen, er kann das r nicht aussprechen, und kein Schinese kann es, da kam immer das militaly acàdemies to lealn the alt of stalving (military academies to learn the art of starving) hervor. Was ist das, fragte ich den Mandarin. Das will ich Euch erklären, sagte er. Doch ehe ich Ihnen erzähle was er sagte, so muß ich Ihnen den Mann beschreiben. Er schien mir zwischen vierzig und fünfzig Jahren zu sein, von mittlerer Größe, und nicht so wohl fett als dickbäuchig. Sein Gesicht erinnerte mich an den Pfeifenkopf, den, wie Sie wissen, Smith im Cajus Collegio Im Englischen steht clever Smith of Cajus College. Vermutlich der Name eines Studenten von Cambridge aus diesem Collegio, der den Beinamen clever, wacker, geschickt erhalten hatte. aus dem Haag mitbrachte. Völlig so. Das Gesicht war wie aus Meerschaum geschnitten, und fast von der Farbe, nur etwas grünlicher, die Nase erkannte man nur wenn er von der Seite sah, dabei saß er immer mit tief im Schoße gefaltenen Händen, und wirbelte die Daumen, vermutlich bloß für uns, oder für seinen innern Sinn, denn sehen konnte er das Wirbeln nicht, es lag sehr viel darzwischen. Dabei sah er uns nur selten mit seinen zartgeschlitzten Sauaugen an, aber wenn er einen ansah, so war es auch darnach. Sie können sich keinen fatalem Spionenblick denken. Bei jedem glaubte ich, er zöge mir das Hemd über die Ohren. Der Anblick ging über alle Beschreibung. Es mußte auch wirklich etwas Rares sein, denn selbst Wang-o-Tang trat mir zuweilen auf den Fuß und lächelte, wenn es der Mann nicht sehen konnte. Kurz, wir waren noch keine halbe Stunde gefahren, so merkte ich wohl, daß man uns in diesem Pudding zur Zehrung, zugleich den Hof, die ganze Geistlichkeit und die Rentkammer, nach einem verjüngten Maßstabe quasi in nuce mit eingebacken hatte. Dem Himmel sei nur Dank, daß ich es früh genug merkte, so war alles gut. Unsere Tsing-Long, sagte er, sind Kriegsschulen. Ich weiß ihr habt auch welche. Ich kenne sie. Sie sind für den Aktiv-Krieg, zum Unterricht des eigentlichen Soldaten. Dergleichen haben wir auch, nur, setzte er bescheiden hinzu, sind die unsrigen unendlich viel besser. Wir sind Schinesen und denken weiter. Die Schulen, die ihr hier seht, sind das nicht was die eurigen sind. Hier lehrt man den Passiv-Krieg; nicht die Kunst den Krieg geschickt zu führen, sondern ihn mit Standhaftigkeit zu ertragen. Der Gedanke frappierte mich, ich kann es nicht leugnen, und ich fing an die Daumen zu wirbeln. Er stutzte einen Augenblick, und hörte mit den seinigen auf. Nach einer Pause fuhr er fort: Wie ist es möglich, daß ein kluges Volk, wie ihr, nur darauf denkt, Menschen abzurichten, den Krieg geschickt zu führen, und an die übrigen, die ihn eigentlich leiden, gar nicht denkt. Auch diesen lehren wir ihr Exerzitium, auch diese müssen geübt werden, so wie die andern, so wird der Krieg eine Kleinigkeit. Es kommt in der Welt alles auf Übung an. Wo der Feind einfällt, findet er bei uns jetzt ein Volk, das sich so gut auf das Erdulden versteht, als er sich auf das Kränken. Ich versichere Euch, wir haben auf diesen Akademien Leute gezogen, die, wenn sie von dem Feinde geplündert, gepeitscht und geschunden wurden, anstatt zu heulen und zu wehklagen, sich bloß dabei an die Universitäts-Jahre erinnerten. Ihr habt bei euch Menschen, aber ihr wißt nicht was ihr aus ihnen machen sollt. Wenn ihr ein Schiff bauet, so haut ihr der Eiche die Äste ab, sägt und zimmert und hobelt an ihr, biegt die Bohlen mit Kraft, bekrampt und benagelt sie von allen Seiten. Nicht wahr? Und ihr wollt eine Staatsverfassung bauen, das künstlichste Schiff von der Welt, und wollt es im Sturm steuern, während ihr den Bäumen, woraus es besteht, ihr Laub und ihre Äste laßt? Wie? Geht mir weg mit eurer politischen Baukunst. Das versteht ihr nicht. – Dieses war für einen Briten zu viel, das Blut stieg mir zu Kopfe, D- Your Polit- Diese Redensart, die mit ähnlichen einigemal vorkömmt, hat Herr Sharp doch wohl nicht aus der Kirche mit in den Keller genommen. Es scheint eine neue Akquisition zu sein. Vielleicht unter Weges gemacht. Anm. d. Herausg. hatte ich schon gesagt, als Wang-o- Tang mich bei den Händen anfaßte und rief: hier Hofkutsche, hier Hofkutsche, hier nicht Unterhaus, nicht Unterhaus. Die Ängstlichkeit des Menschen, seine Gutmütigkeit, und vorzüglich seine naive Voraussetzung, daß meine gebrauchte Phrase parlamentarischer Natur wäre, wirkte sehr glücklich auf mich. Ich mußte lachen, und drückte dem treuen Dolmetscher zwischen meiner Vernunft und meiner Hitze die Hände recht herzlich. Wenn man doch immer einen solchen Dolmetscher hätte. Indessen etwas verdorben hatte ich denn doch die Sache. Der Pudding fragte den Wang-o-Tang, was d- Your hieße? Wang-o-Tang sagte ihm, wie er mir nach der Hand erzählte, es wäre dieses ein gewöhnlicher englischer Gruß, man bediene sich dessen aber auch beim Disputieren, um seine Zweifel gegen ein wichtiges Argument einzuleiten. Hierauf erwiderte der Mandarin nichts, als: Zweifel? Hm! – So viel glaube ich gewiß: hätte ich nicht mit zur Gesandtschaft gehört, ich wäre nach einem Tsing-Long gebracht worden, um meine noch übrige Lebenszeit den Passivkrieg zu studieren. Nach einigem Stillschweigen sagte ich, daß ich sehr begierig wäre die innere Einrichtung einer solchen Akademie kennen zu lernen. Es dauerte aber wenigstens fünf Minuten ehe er ein Wort sagte. Diese Pausen heißen hier zu Lande Tsi, das ist so viel als Brandmauer. Wang-o-Tang versicherte mich, daß dieses eine seltene Herablassung des Mannes wäre, daß er ein so dünnes Tsi zwischen sich und meinem großen respektwidrigen Eifer gesetzt hätte, es müßte wirklich ein guter Mann sein. Es gebe Brandmauern von Stunden und halben Tagen. Ja es habe einmal ein gemeiner Bürger einen angesehenen Mann im Staate aus Mangel an Überlegung gefragt: wie lange er noch auf sein Geld warten sollte, das er ihm vorgeschossen hätte. Die Folge war ein Tsi von anderthalb Jahren, worauf er die Antwort erhielt: So lange als es mir gefällt. Meine Antwort war indessen günstiger. Das sollt Ihr; Ihr sollt sie kennen lernen, sagte er, wenn Ihr Euch etwas wollet gefallen lassen. – O ja! alles lasse ich mir gefallen. Nun wohlan, hier zog er ein Büchschen aus der Tasche, und nahm vier Kugeln heraus; wenigstens von der Dicke einer großen Haselnuß. Was wollen Sie damit, fragte ich. Diese Kugeln sind von Federharz, versetzte er, davon drücke ich Euch ein Paar in jedes Ohr, so tief als sie hinunter wollen, Ihr habt nichts zu befürchten, die Kugeln verquellen nicht, es ist Harz. – Warum aber die Ohren verstopfen?

Er. (Etwas hohnlächelnd.) Weil Ihr nichts hören sollt.

Ich. Nun gut, warum aber nicht hören»

Er. Weil die Jugend da sehr laut spricht.

Ich. Ich verstehe aber ja kein Schinesisch.

Er. Es wird nur wenig Schinesisch da gesprochen.

Ich. Was denn? Englisch? (Hier eine dünne Brandmauer.)

Wang-o-Tang. Mein Gott, verstehen Sie ihn denn nicht, er meint in den untern Klassen werde viel geheult, gewinselt und gewehklagt, das man durch Mauern durchhören könne, das meint er mit dem Lautsprechen und nicht Schinesisch sprechen.

Er. Wollt Ihr?

Ich. Wie krieg ich aber die Blitzdinger wieder heraus? (Diese Worte übersetzte Wang-o-Tang durch: Wie bringe ich aber die kleinen Korallen wieder heraus?)

Er. Das tut der Hof-Chirurgus?

Ich. Wo?

Er. Zu Peking.

Ich. Aber da kommen wir ja unter acht Tagen nicht wieder hin, wie lange soll ich denn taub bleiben?

Er. Könnt Ihr nicht rechnen? Acht Tage.

Ich. Nein! Ich will nicht, ich will eure verdammten Menschenschindereien nicht sehen. (Übersetzung: Ich will eure Kriegsphilanthropine nicht sehen.)

Er. Wie Ihr befehlt; Ich habe Ordre mich ganz nach Euch zu richten.

Ich. Der Henker hole eure Ordre (hang Your order). (Übers. Sie sind sehr gütig.)

Ich. Aber kann ich denn die Einrichtung nicht wenigstens von einem glaubwürdigen Manne erfahren?

Wang-o-Tang. Glaubwürdig? dafür haben wir im Schinesischen kein Wort.

Ich. Das habe ich wohl gemerkt, und die Leute, die es sind, auch nicht? Nicht wahr?

Nein! sagte der redliche W.-o.-T., mit einem verschämten Lächeln, wodurch seine Versicherung über die Hälfte wieder gestrichen wurde, weil kein Schinese lügt. O, lieber, guter Freund, sagte ich, indem ich ihm auf die Schulter klopfte, es tut mir dann sehr leid, soeben gefunden zu haben, daß du diese noble Kunst in Europa gelernt hast. Er verstund mich ganz so, wie ich es meinte, und wurde so rot als es ein gelber Schinese werden kann. Mache nur, fuhr ich fort, daß ich etwas von euern Hunger-Akademien zu hören kriege. Mein Appetit darnach ist sehr gestiegen, und ich fürchte der Pudding da läßt mich verhungern. Sorgen Sie nicht, sagte W.-o.-T., und wendete sich zu dem Mandarin: Herr Schalp (Sharp) der völlig überzeugt ist, daß Sie alle Einrichtungen der ganzen Welt (Schina) kennen, bittet untertänig um eine Nachricht von einem kleinen Teil derselben, von unsern Tsing-Longs. Dieses war die eigentliche Sprache für dieses Paar Ohren, und nun hub er mit einer Freundlichkeit, die ich auf der ganzen Reise noch nicht an ihm bemerkt hatte, gegen mich mit einer kleinen Verbeugung an: Eure Ignoranz in der Staatsverfassung des ersten Volks der Erde macht Euch keine Schande, weil Ihr sie demütig eingesteht, und Verlangen bezeigt, klüger zu werden. So wißt denn, daß die Schinesen nur bloß in Dingen unterrichtet werden, wovon sie in der Welt dereinst Gebrauch machen können, und daß sie darin zu einem solchen Grade von Vollkommenheit unterrichtet werden, daß sie auch notwendig davon Gebrauch machen müssen, wenn sie fortkommen wollen. Ihr werdet daher gesehen haben, alles was der Schinese tut, tut er als hätte ihn die Natur ausdrücklich für das Geschäfte gemacht, das er treibt. So ersparen wir unsern Leuten alles Denken, so wie es die große Weltursache der Biene, dem Biber und der Kreuzspinne erspart. Die Vernunft dazu liegt freilich irgendwo, aber es ist europäischer Wahnwitz, sie noch in dem Instinkt-Menschen ferner fortzuhegen, nachdem sie nicht weiter nötig ist. Ich wette Hundert gegen Eins, wenn Eure Taschenuhren Eure Vernunft hätten, es würde keine mit der andern gleichgehen. Ihr exkoliert, wie ich höre, die Vernunft. Nun fürwahr, wenn das nicht ein europäischer Einfall ist, so gibt es keinen, dabei lachte er zum erstenmal ganz laut. Ihr Hohlköpfe Ihr Wir lassen hier die kleinen Einschiebsel weg, die Herr Sharp hier und da in diesen Vortrag hineingemurmelt haben will, sie sind nicht immer die gesittetsten. Hier z.B. sagte er: You impertinent puppy You. Anm. d. H., habt ihr denn nicht gemerkt, daß die Vernunft eine Gabe des Menschen ist, die er bloß zum Gebrauch bekommen hat, andere Dinge zu bessern, nicht sie selbst, das kann er nicht, und was Eure Schwätzer so nennen, das war alles schon da, und ihr habt von diesen sogenannten Verbesserungen oft selbst schon Gebrauch gemacht, ehe ihr sie erfandet. Hieraus sah ich in der Tat, daß dieser Mensch etwas von unserer Philosophie erfahren hatte. Ich sagte aber bloß: Tsing-Long, damit er sich nicht verlöre. Recht gut, sagte er, ich komme gleich Eurem Verlangen entgegen; ich muß nur notwendig anmerken, daß also der einzige Gebrauch, den wir von der Vernunft machen, der ist, sie selbst nach und nach mit dem Körper unter der Form von Instinkt und Kunsttrieb gleichsam wie zu verschmelzen und aus dem Menschen höhere Tierarten zu schaffen, mit Instinktkünsten, die noch ganz das Ansehen von höchster Vernunft haben, aber eigentlich es nicht mehr sind. Vernunft hat sie geschaffen, hat sich aber nach vollendetem Bau nach und nach weggeschlichen, oder ist durch Verteilung unmerklich geworden. Eben so ist es mit unserer Philosophie. Diese war bereits vor funfzigtausend Jahren völlig fertig. Jetzt philosophiert man, wie man lackiert nach Rezepten. Oder so wie wir Musikanten haben und keine Musiker mehr, so haben wir auch nur bloß Philosophanten und Physikanten, und keine Philosophen und keine Physiker mehr. Aus diesen bestund bloß die konstituierende Versammlung vor funfzigtausend Jahren. Findet sich jetzt einer, der unsern Kunsttieren wieder Vernunft einhauchen will, so schneidet man ihm ein Ohr ab, brennt ihn auf die Stirn, und gibt ihm in eignen Häusern zu leben. Wird er auch da noch zu laut, so gibt man ihm den Genickfang. Nun haben unsere Weisen gezeigt, daß die Summe der Übel in der Welt immer dieselbe bleibt, so wie die Summe der Luft und des Wassers, nur sind sie dem Laufe der Natur nach über das Ganze verteilt, so wie es ungesundes Wasser und ungesunde Luft hier und da gibt. Wäre es aber nicht besser, wenn alles schlechte Wasser und alle schlechte Luft an einem Orte in der Welt beisammen wäre, so würde sich alles dahin ziehen, was nur darin leben und wachsen kann, und wir hätten alles rein. Ja die Natur hat wirklich schon den Anfang mit dem Wasser gemacht. Hat nicht das Salzwasser seine angewiesenen Grenzen, wo sich nun unzählige Tiere hingezogen haben. So haben wir nun den Gedanken gehabt, das unvermeidliche Übel in der Welt, und zumal das des Passivkrieges, ganz auf eine einzige Menschenklasse zu wälzen, so können die übrigen in Ruhe und im Überflusse leben. Weil es aber hart sein würde, dieses den Leuten ohne Unterricht zuzumuten, so werden sie sorgfältig dazu erzogen, und dieses geschieht in unsern Tsing-Longs. Das Studium ist allerdings schwer, daher hat man den jungen Studenten es durch einen großen Ehrentitel zu erleichtern gesucht, den niemand als sie und der Kaiser führen darf, sie heißen Li-Tsu, das ist, die Himmlischen. Das Hauptstudium ist, Fasten und schlechtes Essen. Sie bekommen zuweilen in fünf Tagen kein Essen zu sehen. Wenn sie ohnmächtig werden, so macht man ihnen Rauch mit Gänsefedern; will es gar nicht mehr gehen, so erhalten sie mäßige Portionen Pferdefleisch oder sonst etwas von weggeworfenen Tieren, kurz sie leben immer in einem Belagerungs-Zustande, und sie sind dabei vergnügt, weil sie glauben es wäre in der ganzen Welt so. Ja, ich versichere Euch, wir haben auf diese Weise nun über eine halbe Million Menschen in Wesen umgeschmolzen, die das Feld vortrefflich bauen, und schlechterdings nichts essen wollen und essen können, als was wir wegwerfen, und schlechterdings nicht essen wollen und nicht essen können. Ihr seht daraus, was eine weise Regierung aus dem Menschen machen kann, wenn sie die Kunst versteht, die Vernunft zu Kunsttrieben zu verschmelzen. Der Mensch ist das Tier, das für sich selbst eigentlich nichts ist, aber alles werden kann, und von diesen göttlichen Anlagen macht ihr keinen Gebrauch. Ich sehe, Ihr werdet müde. Ich gebe Euch also nur ein Beispiel von dem Nutzen unserer Himmlischen auch außer dem Kriege, Eins unter Tausenden. Vor etwa sechstausend Jahren entstund in einem Teile der Welt ein solcher Mißwachs, daß unsere Rechenmaschinen zeigten, es würden gegen achtzigtausend Menschen Hungers sterben müssen, und das in einer Zeit von vierzehn Monaten und fünf und zwanzig Tagen vom nächsten Jahre an gerechnet. Sogleich zog man alle Einwohner aus jenem zurück, und füllte den gefährlichen Fleck mit hunderttausend unsrer Himmlischen an. Die Einwohner wurden nun in die Gegend der Tsing-Longs verteilt, wo sie nun die Zeit über herrlich von dem schmausten, was für die Himmlischen ungenießbar war. Für diese hingegen war der Mißwachs gerade, was sie suchten, und nachdem alles wieder so gut gebaut war, daß sie wenig mehr zu leben fanden, so wurden die Plätze wieder gewechselt, und alles war wieder im Gange. Hättet Ihr Euch dazu verstanden, Euch die Kugeln in die Ohren drücken zu lassen, so hättet Ihr etwas sehen sollen, das Euch Freude würde gemacht haben, ich habe die Vollmacht dazu in meiner Tasche. Was ist denn das? fragte ich. Ich hätte brennende Pechkränze in das Gebäude werfen lassen, wo die Akademisten schlafen. –- Und warum das? – Euch die Freude zu machen, zu sehen, wie sich diese Salamander beiderlei Geschlechts im Feuer zu finden wissen. So was ist ihnen nicht mehr als uns ein plötzlicher Regen bei einem Spaziergange. – Wird Euch nicht wohl?

Ich. Nein! nicht sonderlich.

Er. Womit kann ich aufwarten?

Ich. Haben Sie keine Kohlen und Gänsefedern?



Ich. Laßt, laßt, Mr. Pudding. (Wahrlich, ich bekümmerte mich nun wenig darum, was Wang-o-Tang verdolmetschen wollte oder nicht. Ich war auf alles gefaßt, und fand mich daher sehr leicht wieder, griff mit wahrem Gefühl von Überlegenheit über dieses infame politische Lumpengesindel nach meinem Flaschen-Keller, schenkte ihm und mir einen Bumper ein, den er auch annahm, und sagte): here is GOD SAVE THE KING for You. D- Your Tsinglongs to all Etern... Ich glaube fast ich habe gesagt: You and Your Tsing-longs, doch weiß ich es nicht.

Er. Was heißt das God save de King, Wang-o-Tang? Wang-o-Tang. Er wünscht seinem Könige Wohlergehen und Gesundheit; und das ist der Wunsch aller seiner braven Untertanen, so lange sie selbst gesund sind. Das weiß ich, ich habe es tausendmal gehört, und immer von den besten Menschen.

Er. Das ist nicht übel. Aber er nannte ja die Tsing-Longs?

W.-o-T. Er meinte, die wären auch nicht übel.

Er. Sehr brav. Ihr seid ein gescheiter Europäer.

Ich. Und doch bin ich bloß Mundschenk.

Er. Kommt (indem er anstieß): God save de King.

Wir müssen hier abbrechen, und behalten uns einige wichtige Artikel aus diesem Journale noch bevor, doch können wir uns nicht enthalten, noch eine, demselben in einem besondern Heft beigefügte Nachricht von einer sonderbaren Mode unter den Frauenzimmern anzuführen. Herr Sharp hat sie überdas mit einigen Betrachtungen eingeleitet, die auch unter uns wirken können. Wahrscheinlich ist die Rede nicht mehr von Schina. Wir machen daher daraus einen besondern Artikel.


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