Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Prof. Lichtenbergs Antwort auf das Sendschreiben eines Ungenannten über die Schwärmerei unserer Zeiten

Ich habe Ihnen, würdiger Ungenannter, eine Antwort versprochen, die im 3ten Stücke dieses Magazins erscheinen sollte; sie erscheint aber, bloß aus einem Versehen von mir, erst in dem gegenwärtigen, weil die 10 Bogen des vorigen, und drüber, ganz wider meine Erwartung, zu der Zeit schon voll wurden, da ich glaubte noch Raum für diesen Brief zu haben. Indessen gibt mir dieser kurze Aufschub Gelegenheit, Ihnen außer dem, was ich damals sagen konnte, auch etwas von dem Eindruck zu sagen, den Ihr Sendschreiben überall gemacht hat. Ich habe darüber Briefe von Orten erhalten, die über 150000 Semidiameter von Göttingen auseinander liegen, und alle erklären es für ein kräftiges Wort, geredt zu seiner Zeit, und geben dadurch den überzeugendsten Beweis ab, wie ausgebreitet diese Seuche ist. Nur denke ich von dem Buch des Erreurs et de la Verité, so wie von der Fortsetzung derselben unter dem Titel Tableau des Rapports entre Dieu et l'homme etwas von Ihnen verschieden. Allein, wenn auch meiner Meinung nach, Ihr Tadel dieses Buch nicht trifft, so sind tausend andere die er trifft, und sich an die Stelle desselben setzen lassen. Ich bat einmal Herrn Dieterich mir doch seinen Vorrat von den neuesten Alchimischen Schriften sehen zu lassen, und er schickte mir fürwahr einen Ballen. Ich habe in meinem Leben noch nicht so viel Nonsense beisammen gesehen; schon die Titel und die einigen beigefügten Kupferstiche sind wirklich betrübt, und ich habe endlich den Pack mit einer Empfindung weggelegt, die ich mich nur ein einziges Mal gehabt zu haben erinnere, und das war als ich nach einem Besuch, den ich den Kranken in Bedlam abgestattet hatte, mich in die Straße stellte, und aus einiger Entfernung meinen Blick auf jenes Jammerhaus warf. Ich glaube auch Bedlam wäre keine unschickliche Benennung für das Zimmer einer Bibliothek, worin man solche Bücher aufbewahrt. Nun kehr ich wieder zu den oben angeführten französischen Werken zurück. Ich weiß es von einem Mann, der einer der aufgeklärtesten Köpfe ist, und so wenig ein Theosophe oder an der Spagirie Kranker als Sie, mein Wertester, oder ich: von diesem, sage ich, weiß ich, daß jene Bücher nichts weniger als Wahnsinn enthalten, Sie haben nur einen allzusehr zusammenhängenden Verstand, den aber nur wenig Leute einsehen. Allein wohlverstanden, tiefe Weisheit ist gar nicht darin, so wenig als in manchem andern mit Chiffern geschriebenen. Sie enthalten weder Metaphysik noch Theosophie, sondern sind geschrieben die sehr weit aussehenden Absichten gewisser Leute of a set designing men steht im Original. zu befördern, deren Endzweck es auch ganz und gar nicht entgegen ist, wenn eine Anzahl von Menschen, welche die eigentliche Bedeutung nicht verstehen, im Suchen nach hoher und tiefer Weisheit in diesen Büchern sich den Verstand schief drehen. Wieder auf die Alchimisten zu kommen. Wäre es nicht der Mühe wert dieses Volk einmal wieder auf die Bühne zu bringen. Es ist freilich schon oft geschehen, aber doch noch nicht so wie es sein müßte. In den Stücken, die ich gesehen habe waren die Züge nicht gedrängt genug, dafür habe ich aber in meiner Jugend ein paar Leute gekannt, bei denen waren sie desto gedrängter. Sie waren beide herzensgute Leute, dienstfertig, in ihrem Amt tätig und getreu, und der größten Freundschaft fähig. Nur auf die Geistlichkeit hielten sie nichts, das war ein Fehler, aber dafür desto mehr auf den roten Löwen und die Zahl 7, und das war der andre. Auch unterschieden sie sich dadurch von andern, (denn diese Geistes-Krankheit wird immer etwas vom Temperament modifiziert) daß sie ihrem Hauswesen gut vorstunden. Sie glaubten; aber ihr Glaube war nicht tätig, etwa das Lesen solcher Bücher ausgenommen; oder wenn etwas getan wurde, so war der ganze Apparat ein Arznei-Gläschen, das nicht jeder zu sehen bekam. Der eine hatte sich zum Tobaksstopfer das Zeichen des Mars und der Sonne gewählt, nämlich Mars war der Stiel und mit der Sonne wurde gestopft. Der andere bekam eine Blase auf der Zunge, die er aus dem heimlichen Gläschen heilen wollte, und zog sich einen Krebs zu. Anstatt nun einen Arzt zu befragen, setzte er sich ruhig vor einen Spiegel nieder, als wenn er sich rasieren wollte, und schnitt sich mit dem kaltesten Blut ein Stück nach dem andern von der Zunge ab. Er mußte unvermeidlich daran sterben. Ich erinnere mich noch mit dem größten Vergnügen, an einen Abend, da sie sich mit Freuden-Tränen (wenigstens dem letzten wurden gleich die Augenlider rot wenn er vom Stein der Weisen oder der Universalmedizin sprach) und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von methodistischer Salbung in den Mienen, die abgeschmacktesten Historien erzählten und sich ihre Hoffnungen wechselseitig stärkten. Z.E. von geringen, schlecht dahergehenden Männchen, die Gold und Silber zentnerweis an die Münzmeister von Deutschland lieferten; von der Wichtigkeit der siebenten Stunde des siebenten Tages im siebenten Monat, und hundert Dinge, so einfältig, daß man sich schämt sie auch nur im Scherz zu erzählen. Ich glaube der eine, (der mit dem Tabaksstopfer) wäre morgendes Tages gestorben, wenn er Hoffnung gehabt hätte dafür sein Leben im Jahr 7777 ausleben zu können. Das angenehmste aber war, sie differierten zuweilen doch in Meinungen, und widerlegten einander; falsche Sätze mit falschen Sätzen und Träumereien mit Träumereien. Für einen, der über beide lacht, kann nicht leicht etwas Unterhaltenderes gedacht werden, und müßte sich auf dem Theater vortrefflich ausnehmen, wenn es nicht allzu subtil angelegt und mit Handlung verbunden würde. Man müßte aber ja keine eifrigen Disputierer nehmen, keine hitzigen Köpfe, (und das waren auch diese nicht), sondern zwei langsam und leise redenden stillen, wo jeder mit einer Segensmiene, ganz ruhig, aber mit kaum zu verbergender innern Freude, dem andern bei jeder Replik den Gnadenstoß zu geben glaubt.

Übrigens waren sie selbst nicht zu bekehren, und ich glaube wirklich es läßt sich einem, dem beide Augen ausgestochen sind, daß Gesicht eher wiedergeben, als einem solchen Menschen die Vernunft. Jedem Einwurf, den man ihnen machte, lächelten sie mit der Miene des mitleidigen Triumphs entgegen, als wollten sie sagen: werden Sie nur erst älter, so wird sich das schon geben. Wenn alles bei ihnen aus einem einzigen falschen Grundsatze, übrigens durch vernünftige Ableitung geflossen wäre, so wäre vielleicht noch Hoffnung gewesen einmal die Nessel auszureißen, aber so hatte sich jeder Satz von den Hunderten, die sie bei der Hand hatten, für sich, wie die Glieder eines Bandwurms, angesaugt, und zehrte an ihrer Vernunft. Allein das glaube ich, daß vielleicht da, wo sie dissentierten einer den andern hätte auf seine Seite ziehen können. Ob ihnen nicht vielleicht durch Inokulation der Grätze, die Herr von Haller gegen die dumme Schläfrigkeit empfiehlt, eine bessere Beschäftigung hätte verschafft, und sie auf diese Weise durch Schabung ihrer selbst zur Selbstbesserung hätten gebracht werden können, lasse ich dahin gestellt sein. Gerechter Gott, was der Mensch ist! Noch muß ich anzeigen, daß sie sehr viel auf Magneten hielten. Als ich den Don Quixote zum erstenmal las, fielen mir diese beiden Männer ein, und ich dachte wirklich damals (1765) auf einen Roman, worin der Held ein solcher Mann wäre. Denn gewiß ist jetzt der wichtige Dienst, den die Bücher zuweilen leisten, Köpfe zu verrücken, von den Ritterbüchern auf die spagirischen gefallen. Es müßte sehr leicht sein den Charakter durch einen Pajazzo wie Sancho zu unterstützen, und ihm durch eine ganz an klingender Münze, Küchenfeuer und kulinarischen Versuchen klebende Seele den höchsten Relief zu geben. An Liebe könnte es nicht fehlen, denn durch die geheimen Fläschchen werden auch Herzen geschmolzen. Ein solcher Roman würde zugleich ein Roman für Europa werden. Allein ich fand es doch schwer dem ganzen hinlängliches Interesse zu geben, und ich habe mich also auf einen so ungewissen Erfolg hin, nicht überwinden können, die fürchterliche Sprache zu studieren, die gemeiniglich diese Leute sprechen. Ein herrlicher Zug ist folgender: in England hat neulich einer bewiesen, der König von Frankreich sei das gehörnte Tier in der Offenbarung Johannis Kap. 13 v. 18. weil seine Zahl 666 sei, und in der Tat gibt LVDoVICVs 666. Wenn ich ein Paar hundert solcher Züge hätte, so machte ich mich noch daran. Aber wo erhält man die? Man müßte sich unter sie mischen, und in einer solchen Luft glaube ich, erlebte die gesundeste Vernunft nicht den Lohn ihrer Arbeit.

Da Sie von diesen schleichenden Goten und Vandalen reden, so muß ich Sie noch mit einer andern Art näher bekannt machen, die öffentlich, und immer mehr und mehr Deutschland überziehen, und das sind die schönen Geister; die Leute, die wissen was in jedem Journal-Winkel versteckt liegt, jedes Stück kennen, was bei dieser oder jener Bühne gegeben worden ist; wo und wenn und worin eine Schauspielerin debütiert, wer neuerlich gekämmt worden ist, wen man gebürstet, wen man das Fell gegerbt hat, wen man gestriegelt; wen man durch- und mitgenommen, und wen man eine unangenehme Stunde gemacht hat. (Sehen Sie, es hat alles seine Kunstwörter). Jene großen Durchblätterer kleiner Bücher, bei denen immer der Mund übergeht, wovon das Herz nicht voll ist. Die von poetischem Eifer für die Tugend, für das Vaterland und für die Notleidenden glühen, ohne tugendhaft, ohne Patrioten, und ohne wohltätig zu sein. Denn in der Tat kann jener Eifer ebenso leicht ohne die eigentliche Kraft bestehen, wovon er den Schein hat, als poetische Liebe mit Impotenz. Betrachten Sie einmal den allgemeinen Hang der Jugend für poetische Blumenlesen, und das Theater zu arbeiten und Romane zu schreiben. Die Verblendung dieser guten Leute geht gewiß sehr weit, sonst würden sie gewiß nicht ihr Lieblingsgeschäfte aus Bemühungen machen, worin es nicht allein sehr schwer ist, groß zu werden, sondern auch schimpflich, mittelmäßig zu sein. Gewiß ist unter allen mittelmäßigen Dingen der mittelmäßige Dichter das elendeste. Ich kann mich irren, allein ich glaube, daß Erzieher nicht genug auf die Erstickung dieses Hangs, der meistens eine gänzliche Impotenz des Geistes in spätern Jahren nach sich zieht, Rücksicht nehmen können. Ist er unwiderstehlich, alsdenn los damit. Ovid, Wieland und Voltaire und Pope würden Dichter geworden sein, und wenn der Staupbesen darauf gestanden hätte. Allein man sehe auch hin was sie gemacht haben. Welche Nation und welches Zeitalter, mögte man fragen, haben etwas den Stanzen im Oberon Ähnliches aufzuweisen, zumal den Schilderungen weiblicher Schönheit in demselben?

Sehen Sie hingegen wie alle ernsthaftere Studia vernachlässigt werden. Sonst hörte alles praktische Geometrie, eine der angenehmsten Wissenschaften, dem Leib so heilsam als der Seele. Jetzt wird sie nur von wenigen getrieben, und darunter hauptsächlich noch von Offizieren. Mancher, dem es in der Welt zu nichts nützt, lernt reiten der Motion wegen, warum verschafft er sich nicht auch nützliche Kenntnisse, und übt er nicht auch seinen Verstand der Motion wegen? Plato sagt: wer nicht weiß, daß die Seite und Diagonale eines Quadrats inkommensurabel sind, ist eine Bestie. Heutzutage wimmelts von alten Bestien, die nicht einmal wissen, was ein Quadrat ist, wenigstens nicht das Quadrat einer Zahl. Bedenkt man dabei wie alles über Physiognomik herfiel, wie alles silhouettierte, daß man fürchten mußte, die Porträtmalerei, die zu Korinth mit einer Silhouette anfing, würde in Deutschland mit einer aufhören; wie durch ein unnützes Orthographeln es endlich dahin kommen wird, daß wir gar keine Orthographie mehr haben. Wie noch immer von Empfindung plaudern verwechselt wird mit sprechen aus Empfindung; wenn man die Leute sieht denen so recht wohl wird, wenn sie sich so unter guten Menschen befinden, denen es so leicht, so weit um die Brust wird, wenn sie über sich rollen sehen den Jupiter und alle Planeten; so sollte einem wohl die Gedult ausgehen. Ein gefühlvolles, freundschaftliches Herz ist das größte Geschenk womit der Himmel einen Menschen beglücken, hingegen der Kützel immer davon zu skribbeln, und sich in diesem Geskribbel groß zu dünken, eine der größten Strafen die er über ein schreibendes Wesen verhängen kann. Das Mehl her und nicht die Mühle, sagt Möser. Bedenkt man außerdem unsere Messiasgeschichtchen; daß wir neben Rosenkreuzer auch Rosenfelder haben S. die Berlin. Monatschr. 1783. 1tes St. Daß Jacob Böhm neu aufgelegt worden. Daß der verstorbene Bischof zu Paderborn, den Knochen des heil. Liborius 1400, einem Gnadenbildchen zu Verne 1700 und den Armen an barem Gelde 000 Taler vermacht; wie Herr Jost, Pater und Schurke in Bayern, die Inquisition eingeführt wissen will. Wie alles für Kinder schreibt, ***phien für Kinder, ***gien für Kinder und ***icken für Kinder, und darüber die Männer vergißt Ich habe im Ernst gehört, daß jemand vorhat, eine Hebammenkunst für Kinder zu schreiben.: so sieht man wohl die Stunde ist gekommen, und alles ist reif für einen Mann, der Juvenals Geißel ergreift, und darunter haut, damit Joseph Platz findet, wenn er dahin kommt.

Ein Freund von mir, viel zu bescheiden um auch nur den entferntesten Anspruch auf ein solches Verdienst zu machen, arbeitet wirklich an einem Gedicht, das wenigstens einen ähnlichen Zweck hat, und Nutzen stiften kann. Ich habe Erlaubnis einiges daraus bekannt zu machen, und ich kann es nicht schicklicher tun, als am Ende dieses Briefs. Er wünscht zu erfahren, ob man ihm Stärke genug zutraut, und dazu mögen folgende Proben hinlänglich sein. So viel muß ich Ihnen sagen: die besten Stellen im Gedicht sind die Charaktere gewisser Personen, die ich noch nicht bekannt machen darf. Hier ist der Anfang, und einige einzelne Stellen.

Si natura neget facit indignatio versum.

Nein! länger schweig ich nicht, fürwahr, das geht zu toll,
Mein Mitleids-Quell versiegt, und euer Maß ist voll.
Dies war Germanien? – Das mit noch starker Hand
Vernunft zum Thron erhob und Rom in Fesseln band?
Wo einst, nach langer Nacht, die die Natur verhüllte,
Von ihrem Thron verdrängt, den Aberglaube füllte,
Als Gott dem Licht befahl und: Kepler werde, sprach,
Der Lehrer Newtons ward, und so durch Keplern Tag?
Wo Leibniz-Oedipus Verwandtschafts-Rätsel löste
Von Seele und von Leib von Braunschweig und von Este?
Das, wenns bei Spiel und Wein auch Zeit und Licht vergaß,
Die Flucht von Licht und Zeit auch wieder nüchtern maß? Der Verfasser zielt hier auf Römers Entdeckung von der allmähligen Fortpflanzung des Lichts, und auf die Erfindung der Taschenuhren.
Dafür, daß Flasch' und Faß es oft geleert mit Schwelgen,
Auf Fässer Donner zog und Blitze auf Bouteillen? Die Erfindung des Schießpulvers, und der fälschlich sogenannten Leidenschen Flasche, die bekanntlich einem Deutschen, dem Herrn v. Kleist zugehört.
Es, wo einst Faust zuerst des Teufels Schreibkunst fand?
Es, Luthers, Guerickens und Dürers Vaterland?
Das glaub' ich nimmermehr, die Sphäre ist verdreht,
Da stund Moropien, wo jetzo Deutschland steht.
Verlorn auf ewig weg, blieb nicht zu seinem Heil,
Noch hier und da verkannt, ein Weiser Im Original steht hier ein zweisilbiges nomen proprium das aber vor der Bekanntmachung des ganzen Gedichts, nicht eingerückt werden konnte. ihm zu Teil,
Der wie ein Pharus Licht durch dunkeln Sturm verbreitet,
Und es vielleicht dereinst zur alten Stelle leitet.

O Seht nur wie der Hauf von Kandidaten schwärmt
Und alles im Gedräng verfehlten Endzwecks lärmt:
Den Teufel trieb und bannt' zu Deutscher Christen Übel
Elwangen aus dem Leib und Halle aus der Bibel:
Schön, wärs nur aus der Welt, allein durch dünn und dick,
Gings in ein grunzend Heer von Säuen und Kritik,
Die nun mit Rüsseldrang durch unsre Staaten streifen,
Und ehr Vernunft und Witz als wie sich selbst ersäufen.
Wo sonst im frischen Grün Weisheit und Tugend stand,
Ums Himmels willen seht, da welket jetzt ein Land,
Wo vor der Hörner-Zeit sich krit'sche Böckchen stutzen
Und jeder Bub' die Nas' ehr' rümpfen lernt als putzen.
Seht von dem Rhein zur Spree ist nichts als Sturm und Drang,
Gedanken Zolle groß in Wörtern Ruten lang;
Die Zeitung ist Pasquill, Journale sind Timore Timorus. Berlin 1773. Eine Satyre, deren Verfasser, nach dem Urteil eines gewissen Rezensenten ins Tollhaus gehörte. Indessen war es merkwürdig, daß der Verfasser herausblieb, hingegen der Rezensent sichern Nachrichten zufolge, bald nach gefälltem Urteil hinein ging.
Und jedes Dintenfaß ist Büchse der Pandore.
Eine Dame von himmlischer Schönheit, denn würklich hatten sich auch Götter und Göttinnen bemüht, sie mit allem auszusteuren, was schön und reizend war. Jupiter aber, der mit ihr dem Feuerdieb Prometheus einen Streich spielen wollte, gab ihr eine Büchse an ihn, worin alles menschliche Übel eingeschlossen war, als sie nun hinkam, und die Büchse aufmachte, so flogen, so geschwind sie auch dieselbe wieder zumachen wollte, dennoch alle die Plagen und Übel heraus, die man hier und in der Nachbarschaft und überhaupt in der ganzen Welt täglich sehen kann.
Und alles, alles zwickt und sticht und beißt und brennt, Von Viper Hofmann an zur Mücke Rezensent.
Ein Volk, bei dem noch sonst Wort und Gedanken zweckten,
Blökt jetzt ein Kauderwelsch in zwanzig Dialekten.
Und spricht nicht jedermann, was kaum der zehnte lernt?
Und wird nicht jeder Jung beSchäkspeart und beSternt?
Und übt nicht jeder sich am Schwächern in Satiren,
So wie Barbierer sich an Bettlern im Rasieren?
Vom Thron zur Hütte hin, vom Walfisch bis zum Frosch,
Vom Donnerer Homers, zu Eichsfelds Dieux de poche
Goldmacher, Henkerknecht, Poeten, Tier und Götter,
Und alles findt bei uns Bewunderer oder Spötter.
Das Laster wird mit Reiz, Tugend mit Trotz gelehrt,
Und so führt man ein Volk, mehr lenksam als betört,
Zur Höll am Gängelband zum Himmel bei den Haaren,
Ein füchsisch, wespisch, wölfisch, teuflisches Verfahren. –
Ein Buch das manchen Kopf vielleicht noch fegen könnte,
Sinkt degradiert herab zum Wisch fürs andre Ende;
Wenn dorten Fidibus, mit ihren Siegwarts Sünden
Den Varinas verschmähn und Mädchen-Herzen zünden.

Nun geht er zu den Dichtern über:

Mischt Zentner-Ignorenz und Stolz, mit etwas Ohr
In einem Bettelsack, gleich kriecht ein Bard' hervor.
So wohlfeil ward ein Duns der Vorwelt nicht geboren
Duns Midas hatte doch noch Gold bei seinen Ohren.

Das Volk das Plato einst aus seinem Staat verbannt Die Dichter
Scheint ganz zu uns geflücht't und überströmt das Land.
Was kaum noch Prose lallt' will schon in Reimen schwatzen
Und alles piept und tschirpt wie Finken und wie Spatzen,
Glaubt Ehr' und Name sei bloß Dichter-Eigentum,
Ja mancher Sechziger hälts noch für Heldenruhm,
Im rauhen Raben-Ton Orakelzeug zu krächzen,
Und gar in Liederchen Flickseufzerchen zu ächzen.

Der Schöpfung Meisterstück entzieht die weiche Hand
Dem Kind und dem Filet, der Küche und dem Band;
Von Dichterfeuer warm, mehr als vom Küchenfeuer,
Kneipt sie ein Saitenspiel Maultrommel mehr als Leier.
Da liegen um sie her ein halbes Epigramm,
Ein Musen-Almanach ein Kochbuch und ein Kamm;
Bei Nahrung für das Herz, liegt Pulver für die Zähne,
Beim Plan zum nächsten Ball, ein Plan zur ersten Szene
Von einem Trauerspiel. Werg, Puder, Nadeln, Flor,
Lock, Yorick, Filidor, Demanten-Blitz für Ohr
Und Haar und Hals, Bons Mots auf Freunde und Freundinnen:
Zum Putz für ihren Kopf von außen und von innen. –

Von einem Dichter, der sehr brausend anfängt aber bald nachläßt sagt er:

Gleich Pindars Genius, seh ich auf Purpur-Schwingen
Itzt den berauschten Bard, der Sonne entgegen dringen;
Da tobt Horaz in ihm; erstimulierte Kraft
Zwängt glühendes Gefühl aus kalter Wissenschaft.
Noch braust sein kühner Flug! Horch! noch – noch immer fliegt er,
Nun steht er still – ruht – sinkt – stürzt, wahrlich Plumps! da liegt er.

Von den häufigen oft ungeschickten Elisionen in selbst ernsthaften Gedichten. Der etc.

Zischt schweres st'ts aus stets und näselt n'tt aus nett –
So bleibt am Ende gar vom Witz das bloße – Z.
O wählt ein besseres Feld wollt ihr auch Lorbeeren holen,
Sagt nur was nützt euch denn ein solches Stück von – Polen?

Der, stolz auf Silben-Brand und ein Vokalen-Morden
Vermählt kastrierten Sinn mit – anglisierten Worten;
Dünkt sich erleuchteter je mehr sein Leser tappt,
Sein Wort verständlicher je stumpfer er es kappt:
So wird manch träger Gaul von deutschem Schweif und Sitten,
Durch schöpferischen Schnitt zum Stumpfschwanz und zum Britten.

Bei Gelegenheit eines Mannes, der im Gedicht Don Zebra heißt, kastilianisch geht auf der Straße und in Schriften, sagt er:

Im Steckbrief, beim Avis, in Akten und Mandaten
Im langen Sin – te – mal und Wir – von – Gottes – Gnaden.
Im Landrecht, Protokoll, und Haus- und Kirchenbuch,
Da ist natürlich gehn noch freilich gut genug.
Doch willst du, daß dein Gang Germanien entzücke,
So wähl' dir, lieber Mann, die Stelze oder Krücke.

Ja jedes Wort fein hübsch gestiefelt und gestelzt
Und jedes Hirsenkorn wie eine Welt gewälzt,
Um das Gedankchen her pflanz' Korybanten-Chöre Eine Truppe von Menschen, Priestern oder Halbgöttern, es ist gleich viel,die um Jupiters Wiege eine Art von Janitscharenmusik machten, damit Saturn dessen Weinen nicht hören konnte, weil er Neigung bezeigt hatte, das Kind zu schmausen, wenn er es fände.
Von Wörtern, daß Kritik den Gott nicht – quieken höre. Stopf' aus wo's fehlt mit Bom und jeden Riß mit Bast,
Und stecke Bombast hin, wo sonst nichts anders paßt.
Serviere Zoten selbst mit Pracht und Alpen-Prose,
Und deinen St. Omer ja aus der goldnen Dose.
Zeig alles was du willst, nur nicht Kastratenzwang;
Was dir an Mannkraft fehlt, ersetz' stracks durch Gesang.

Er gibt die Geschichte eines verzärtelten Dichterlings. Dieser wird zwar schon als Kind in Geometrie unterrichtet aber wie? Hier ist das Examen in Gegenwart der Eltern. Der Lehrer und das Kind sprechen:

So komm und sag einmal, mein allerliebstes Heinzchen,
Wie viel ist einmal eins? Sprich! »Ein bloßes, kleines Einschen.«
Wie witzig und wie wahr! Nun sage mir mein Kind,
Wie viel nach dem Euklid im Dreieck Winkel sind?
»Sechs.« Gut mein Schätzchen, gut, drei Winkel und drei Seiten,
Das sind zusammen sechs, wir sprachen ja von beiden.
Nun noch von Winkeln was, komm sag mir einmal an,
Wie viel ein Dreieck wohl nun rechte haben kann?
»Zwei.« Recht mein Lämmchen recht! Wenn ich die drei addiere
So hat das Dreieck zwei, so wie das Viereck viere.
O das ist brav gelernt! Nun weißt du noch mein Kind,
Wir hattens gestern erst, was Parallelen sind?
»O Parallelen sind – sind – Linien die sich schneiden.«
Recht – im Unendlichen und zwar zu beiden Seiten.

Nun folgt ein Examen in der Geographie, worin sich die Französelchen und die Portugieschen nicht übel ausnehmen, aber wie gehts auch auf Universitäten.

Des Geistes Feuer erlischt, stockt, oder schießt in Lieder,
Und Impotenz befällt der Seele Zeugungs-Glieder;
Dem Venus-Übel folgt das Phöbus-Übel nach
Und bricht der Mannheit Rest, den jenes noch nicht brach.
Oft hat, was dort entging, noch hier den Tod erlitten,
Franzosen wich es aus, allein starb an den – Britten.

Hierauf äußert der Verfasser einige freilich etwas eigne Grundsätze. Er denkt nicht, daß man den Kindern alles so sehr spielend beibringen müsse, weil in ihrem folgenden Leben, das Schicksal ihnen allerlei Wahrheit nichts weniger als spielend beibringt und überhaupt eine Abneigung gegen alle schwere Arbeit daraus entsteht. Sie müssen gehorchen lernen.

Meintwegen krönet sie bei Pauken und Trompeten,
Lehrt Stereometrie an Tarten und Pasteten.
Was Strahlenbrechung sei an Wein und Kraft-Gelee,
Hydraulik an Liqueur, Orgeade und Kaffee;
Was Finsternissen sind, lehrt sie an Apfelsinen,
Und Sternen-Bilder Form mit Mandeln und Rosinen;
Der Kegelschnitte Schnitt an einem Zuckerhut,
Und Hemisphärik gar an Liljen Milch und Blut.
Das Streicheln, Schmeicheln, Tun, und Tätscheln hilft euch nichts.
Bei Mädchen gehts noch wohl – auf Backen des Gesichts;
Bei Buben lob ich mir den Brauch der weisen Insel Ob hier der Verfasser die Insel der Weisen oder bloß Albion gemeint habe, weiß ich nicht. L.,
Die malt das andre Paar, switsch! mit dem Birkenpinsel.

Jemand spricht von Wiederherstellung des guten Geschmacks durch die Lesung und Nachahmung der Griechen überhaupt.

Die ehmals schaffende und lehrende Natur
Ist längst zu alt für uns, ein Mittel gibt es nur.
Was? Nieswurz? Nein! Pasquill? Nein! Pädagogsche Besen?
Nein! Blitz! so sagt es denn! die Griechen müßt ihr lesen.
O Jammer! jämmerlich! O Deutschland! O Genie!
Nachahmen? Griechen? Was? die Knasterbärte die?
Wen meint ihr denn? vielleicht Homer den blinden Schwätzer
Dem-Dem-mosth-mosthenes Es wird auf dieses Redners stammelnde Zunge angespielt. und Epikur den Ketzer?
Die Flenn-Els Heraklit, den Lachnarr Demokrit;
Rotgießer Phidias, Myron den Kupferschmied?
Die Stumpfnas Sokrates, den schiefen Alexander
Und den Odeumskopf Perikles mit einander?

Über den jetzigen Ruhm in Deutschland redet er einen seiner Freunde so an:

Freund, deine Wissenschaft, dein Tiefsinn, Fleiß und Müh
Kommt 50 Jahr zu spät, und um ein Schock zu früh.
Du suchst Ruhm durch Verdienst? da kannst du lange laufen
Mein Gott den kannst du ja mit Postgeld leichter kaufen.
Wenn einer dicht' und kriecht und Briefe schreibt so ist er
Horaz und Pop' so leicht als Doktor und Magister.
Drum beuge nur dein Haupt in untertän'ger Tiefe,
Vor dem, der ihn schon hat, und schreib – frankierte Briefe.
Willst du wohl wetten? – Top! – für hundert Taler Banko,
Liefr' ich dir deutschen Ruhm bis 1800 franko.
Und billig, zehne nur für einen Monat Kost,
Und noch zehn fürs Papier und achtzig für die Post.
Steigt man denn bloß zum Ruhm, kann man nicht in ihn sinken?
Läßt sichs zur Ewigkeit bloß gehn und nicht auch hinken?
Hinauf, hinab, gleichviel, die Nachwelt sieht es doch,
Preist Cäsarn auf den Thron wie Curtius im Loch.

Ich wünschte, daß ich Ihnen noch einige Schilderungen von Mode-Torheiten abschreiben könnte, allein ich muß hier schließen, um dem in der Vorrede erwähnten Gedicht auf die Belagerung von Gibraltar Platz zu machen, dessen Verfasser ich mir fast zu erraten getraute, aber nicht nennen darf, weil er sich mir nicht genennt hat. Nur hat er gemeldet, daß es die Frucht einiger wenigen schlaflosen Nachmitternachtsstunden sei.

L.


 << zurück weiter >>