Gustav Leutelt
Schilderungen aus dem Isergebirge
Gustav Leutelt

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Am Waldesrande.

Eine Studie.

Aus der großen Waldmasse, die vor Zeiten das Isergebirge bedeckte, hat der Mensch nach und nach große Fetzen herausgeschnitten, die sich in den Flußtälern und längs der Bachläufe aufwärts schieben und ihr lichteres Grün reizvoll zwischen der dunklen Waldfeste hinbreiten, jahraus, jahrein; es sei denn, daß der Winter für eine hellere Gewandung Vorsorge trägt. In diesen Lichtungen klettern die menschlichen Wohnstätten aufwärts, dem von den Bergen herabsteigenden Walde entgegen, und sie reihen sich oft viele Stunden lang ohne ersichtliche Abgrenzung aneinander. Sähe man nicht hier und da eine graue Riesenzwiebel sich ducken oder eine schlanke Kirchendach-Pyramide aus dem Häusergewirre hervorstechen, – man wäre oft versucht, für eine stundenweit gedehnte, einzige Ortschaft zu halten, was in Wirklichkeit zahlreiche kleinere und größere Gemeinden vorstellt. 65

Dieselbe Zackenlinie, welche die Berge oben in den Himmel ausschneiden, wiederholt sich unten in den Tälern, wo der Waldsaum die Ortschaften umfaßt hält: Hier schiebt sich eigensinnig ein Keil zwischen die Häuschen, dort weicht der Saum jäh zurück wie eine geschlagene Sturmkolonne, während er von drüben im weiten Bogen wiederkehrt, um hierauf schnurgerade wie eine Mauer zu verlaufen, nur vereinzelte Plänklergruppen vor sich hinpflanzend.

Die Mannigfaltigkeit der Bilder, die sich aus dieser wechselvollen Umrahmung ergeben, ist es hauptsächlich, die besagter Gegend einen so großen Reiz verleiht. Vornehmlich im Frühlinge, wenn unter den düsterstrengen Formen der Nadelhölzer auch die hellgrünen Buchenwipfel und zartgefärbten Birken zur Geltung kommen, ist der Anblick dieses Waldsaumes von solcher Lieblichkeit, daß selbst der eingeborene, durchaus nicht schwärmerisch veranlagte Gebirgsbewohner seine Augenweide daran findet. Wie oft wandern die Blicke vom einförmigen Tagwerke weg der nahen Waldgrenze zu, die gar einladend durch die Fenster hereinschaut. Freilich machen die Gedanken in den seltensten Fällen an der grünen Mauer Halt. Diese leistet in der Tat mehr die Dienste des lockenden Aushängeschildes, das die Einbildungskraft spazieren führt mitten in die Geheimnisse der grünen Dämmerung und in die epische Ruhe des Hochwaldes.

Er wird immer etwas stiefmütterlich behandelt, der Saum des Waldes. Wohl tönt aus mancher Sängerkehle: »Am Waldrand steht ein Tannenbaum . . .«; aber auch die Waldrandsänger schreiten leichten Fußes über den gefeierten Grenzsaum und hundert gegen eins ist zu wetten, daß die Treulosen nachher plötzlich anheben: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?« Heißt es dann vom Walde scheiden, so kommt der Vergessene wieder zu kurzen Ehren. 66 Man winkt ihm noch einmal zu, wie um zu sagen: »Hast deine Sache gut gemacht und nicht zu viel versprochen!« Wenn es hoch kommt, wendet noch der eine oder der andere den Kopf nach dem Entschwindenden zurück, dann unterbleibt auch das und die »lustig schwankenden Wipfel« mit den bekannten »zwei Vöglein drauf« kommen erst in der Stammkneipe zwischen Tabaksqualm und Bierdunst wieder zu Ehren.

Auch die Leute der Feder und des Pinsels wissen mit ihm allein nicht viel anzufangen. Während die einen, um ihn der Leserwelt genießbarer zu machen, irgend ein Hüttchen an seinen Rand stellen, oder mindestens eine jungfräuliche Schöne vor ihm stehen lassen, die sehnsüchtig ins Abendrot schaut, brauchen die anderen unfehlbar noch einen davor sitzenden Sonntagsjäger, dem ein Hase hinterrücks Männchen macht oder, wie böswilligere Farbenvergeuder ungestraft tun dürfen, wird ein Picknick mit belegten Butterbröten und Weinflaschen an seine friedliche Stätte hingezerrt.

Was kann auch der schlichte Waldrand bieten? – Wir wollen sehen.

Ich schlage vor, einen Rundgang um den Ort I . . . . zu unternehmen und uns während desselben immer an der Waldgrenze zu halten. Es ist dies zwar etwas querköpfig, verschlägt aber nichts; gelten wir Naturfreunde ja ohnehin bei einem beträchtlichen Teile unserer lieben Mitmenschen als Querköpfe, weil wir die freien Tage hindurch uns lieber müde laufen, statt die schöne Zeit auf dem Sopha zu verträumen.

Von der Straße weg lenken wir unsere Schritte dem kleinen Waldzipfelchen zu, das sich tief am häuserbesäten Abhange herunterzieht. Beim Erreichen desselben gelangen wir vorerst zu der Einsicht, daß wir uns an der Grenze des Alltagsgetriebes befinden, allwo die Auswürflinge des Kulturlebens abgelagert werden, um sie zu beseitigen; ein 67 Haufen gesprungener, buntglasierter Ofenkacheln, sowie ein schmählich verbogenes, rostzerfressenes Ofenrohr sind die ersten Sachzeugen. Unser Verdacht, diese Raritätensammlung veranlaßt zu haben, wendet sich sofort gegen das nächste, wenige Schritte entfernte Häuschen, dessen frischer Farbenanstrich und neues Schieferdach den neuerungslustigen Besitzer erkennen lassen. Der alte Ofen hat dem Verschönerungsgelüste weichen müssen, und sicher steht an seiner Stelle eines jener weißen, stillosen Ungeheuer, das in die Umgebung der Stube paßt, 68 wie eine Kuh ins Resedengärtlein. Geschmacksverbildung – was weiter. Konnte aber der Verschönerungsbeflissene jene Reste nicht gründlicher beseitigen? Mußte er die nächste Umgebung seines Hauses, den unmittelbaren Eingang in den Wald durch diese Trümmerstätte verunzieren? Das gibt zu denken.

Achselzuckend gehen wir weiter. Ein Fußsteig, der eigentlich ein trocken liegendes Rinnsal zwischen vielfach unterwaschenen Steinblöcken bildet, kommt zwischen den Stämmen hervor. Wo er, gegen das Brachfeld einlenkend, sich verflacht, ziehen Schuttstreifen tief in die Heidelbeerbüsche hinein und erzählen von der Wirkung der Schneewässer, die im Vorfrühlinge hier zu Tale stürzten. Jenseits des Fußsteiges ist Strauchwerk von Ebereschen und Zitterpappeln. Zwischen dem ruht ein alter, sohlenloser Stiefel von seiner Erdenwanderung aus; hier noch einer, und – hei! wackerer Landfahrer und Fechtbruder, haben wir dein geheimes Ankleidestübchen endlich aufgestöbert?! Daß du das alte, totgetretene Leder verächtlich beiseite warfst, als die geschenkten, soliden Schuhe deine Füße umhüllten, nimmt uns nicht Wunder; wahrhaft genial aber ist es, wie du dein Panier hier am Strauche aufgehängt hast: der Lump – die Lumpen. Ein altes, vermorschtes Hemd, von der Schneelast des verflossenen Winters tief in den Strauch hineingedrückt, so daß dessen Zweige wie Spieße überall hindurchstechen, hier ließest du es, als die Tage zu »herbsten« begannen, mit dem Humor des »auf Nichts Gestellten« flattern. Freilich, wäre nicht der kalte Winter vor der Tür gestanden, wer weiß, ob du nicht Hemd und Schuhwerk, die Gaben gerührter Hausfrauen, gegen »geistige« Genüsse eingetauscht hättest. –

Immer noch führt der Waldsaum gegen die Höhe. Nach längerem, beschwerlichem Steigen über Steingerölle und Brombeerranken, die sich an den Kleidern festhaken, gelangen 69 wir an die Seite eines landesüblich zur Hälfte aus Holz erbauten Hauses, hinter dem der Waldsaum eine kurze Strecke geradlinig verläuft, um dann in plötzlicher Schwenkung wieder gegen das Tal hinabzusteigen. Das Haus steht oberhalb eines jähen Abhanges und ist von der gegenüberliegenden Seite zugänglich. Deutlich können wir im Grün der niedergehenden Wiesenflächen das Zickzack des schmalen Pfades verfolgen, der zu ihm heraufführt. Warum das Haus hier in dieser Abgeschiedenheit erbaut worden ist? Wahrscheinlich hat vor Jahren ein Holzschläger, das damalige patriarchalische Verhältnis zwischen Grundobrigkeit und Waldleuten benutzend, sich die Erlaubnis erwirkt, gegen Zusicherung ständiger Arbeitsleistung in den Forsten hier sein Heim aufschlagen zu dürfen. Der Alte ist wohl schon gestorben, das Nest aber steht noch. Vielleicht beherbergt es heute seine Enkel.

Es ist so heimelig in diesem von der Sonne durchglühten Waldwinkel, daß ein bemooster Grenzstein uns zu kurzer Ruhe auffordert. Der rückwärtige Teil des Hauses mit dem hölzernen Wassertroge davor und den seitwärts aufgeschichteten Reisigbüscheln liegt wenige Schritte tiefer, und wir vermögen durch das Fenster die Spitzflamme des »Blasetisches« und den darübergebeugten Mädchenkopf wahrzunehmen. Wie emsig die weißen Hände immer wieder aus dem Stubendüster auftauchen und den Glasstengel zum Munde führen. Sicher hat das gute Kind keine Ahnung davon, daß wir es belauschen, sonst flöge wohl mit einem Ruck das weiße Tüchlein vors Fenster, das jetzt, in Falten geschoben, zur Seite hängt. Der alte, dürftige Vogelkirschenbaum an der Ecke des kaum zwei Schritte breiten Hausgärtleins leitet unseren Blick zur Höhe. Da sind sie, die dunkelgetönten Waldberge von drüben, welche die Sehnsucht nach Jenseitsliegendem, Wunderprächtigem so oft überfliegt, in den grüngoldenen Abendhimmel hinein, 70 um sich nach Erfüllung der fernzielenden Wünsche wieder mit verdoppelter Kraft zurückzuwenden nach der trauten Heimat, nach dem Tal unter den Tannen.

Wie schelmisch sich der Vater Jeschken auf den Dachfirst dort hingepflanzt hat, knapp neben dem Schornstein, als wolle er zum Vergleichen herausfordern, der alte Schäcker, und wirklich erreicht er, aus dieser Entfernung gesehen, nicht die Größe der niedrigen Esse. Menschlein, denke d'ran, wenn dir Großes klein und Kleines groß scheinen will. Der Standpunkt ist es, der Standpunkt, von dem aus du betrachtest und – urteilst.

Weiters links, wo der Waldrücken sich spaltet, um die Zufahrtsstraße ins Gebirge einzulassen, ragen im blaufernen Hintergrunde zwei winzige Kegelzacken auf: die Bösigberge. Als dort der Sproß des unglücklichen Przemysliden gefangen saß, als später der Landesvater Karl in jener Feste vorübergehend weilte, da war in dem Tal zu unseren Füßen noch dichter, unwegsamer Urwald. Und heute sind diese Tiefen und Abhänge mit Wohnhäusern und Gewerken übersäet und das Rauschen der Wehre tönt ohne Unterlaß, und der Pfiff der Lokomotive spaltet die Luft. Hier Leben und rege Erwerbstätigkeit, dort traurige Öde auf jenem glanzvollen Gipfel.

– Die keifende Stimme eines Hündleins dringt aus dem Innern des Hauses an unser Ohr. Es will seine vorhin verschlafenen Haushundepflichten erfüllen, natürlich. Ein Blick nach dem Fenster, – das weiße Laken ist vorgezogen. Wir können gehen. –

Was für ein verwunderliches Gleißen und Flimmern bricht dort unter den Stämmchen des Jungholzes hervor? O ihr Kinder der Stadt! wäret ihr zur Stelle, das Märlein vom Glasberge stünde leibhaftig vor euren entzückten Augen. Smaragde, Türkise, Rubinen leuchten, Opale und Kristalle schimmern, manch' Gold- und Silberfünklein zwischen sich 71 bergend, im buntesten Durcheinander. Welche Augenweide böte das! Eure hiesigen Altersgenossen würden den Jubel freilich nicht verstehen und einander mit spöttischen Mienen zuraunen, was ihr an diesen Abfällen der Perlen-Industrie, die als wertlos am Abhange dieses winzigen Hügelchens hingeschüttet worden sind, eigentlich fändet. Das kommt aber daher, weil alle jene Buben und Mägdlein in ihrer schulfreien Zeit fleißig die Finger rühren müssen, um diese farbenprächtigen Herrlichkeiten (Glasperlen) an Fäden zu reihen, da solche junge Händchen dazu besonders geschickt sind. Der stete Umgang mit dem blinkenden Kram läßt sie gegen diesen ebenso gleichgültig werden, wie ihr achtlos an den Prachtbauten und Denkmälern euerer heimatlichen Stadt vorübergeht, solange Kunstverständnis und Liebe zur Heimat noch nicht in euch erwacht sind.

Nun aber weiter den Waldsaum entlang.

Luftklar bricht der Quell aus seiner granitnen Tiefe. Wie die reinlichen, weißen Sandkörnlein vom Grunde des Beckens emporgewirbelt werden, niedersinkend für kurze Zeit zur Ruhe kommen, um, von neuem in den ausgewaschenen Trichter hinabgleitend, das Spiel des Steigens und Fallens wieder anzuheben, das ist vergnüglich zu betrachten. Wo der Quell gegen die abhängige Wiese hinausgeht, sind Gräben ausgestochen, die nach verschiedenen Richtungen laufen. Alle bis auf einen sind mit Rasenstücken verschlossen, und in der freigelassenen Rinne läuft das Wässerlein hinaus und zwischen die Gräser hinein, denselben doppelte Fruchtbarkeit einflößend. Morgen wird vielleicht dies Gräblein vom Besitzer der Wiese abgesperrt und der flüssige Kristall versickert an einer anderen Stelle. Einfach, aber praktisch!

Es ist ein eigentümlich zartes Klingen in der Luft, taktmäßig fast vor dem sanften Osthauche durch die Gesträuche 72 zitternd. Oft hinweggeweht und in dem Wipfelrauschen verloren, hebt es immer wieder von neuem an, unser Ohr zu umschmeicheln, so daß wir ihm endlich nachgehen. Bald haben wir die Erzeugungsstätte der Elfenmusik aufgespürt. Ein winziges Bächlein schießt dort herunter, wie ja hierzulande aus jeder Erdfalte die Wasser rinnen. Das eilfertige Naß dreht eine ganze Menge etwa spannengroßer, aus Holzspänen geschnitzter Wasserrädlein, die ihrerseits durch Pflöcklein, die an jeder Welle wie ein Zahnkranz eingetrieben sind, Miniaturhämmerchen in Schwingungen versetzen. Diese fallen taktmäßig auf hohl untergelegte Bruchstücke von Glasscheiben und erzeugen ein wahrhaft verwunderliches Durcheinander von zitterndem Klingen; dasselbe, das sich in einiger Entfernung so geheimnisvoll anhörte. Eine Spielstätte der Kinder also, und keine von den schlechtesten. Ja, ja! ein Taschenfeitel und ein Stück Holz, das ist für einen findigen Jungen Unterhaltungsstoff genug.

Im Weiterschreiten will es uns scheinen, als ob der Hochwald begänne minder dicht zu werden. Lichtblicke tauchen da und dort zwischen den Stämmen auf, und bevor wir noch um die Waldspitze biegen, leuchtet uns bereits das Braun eines jenseitigen »Holzschlages« entgegen. Die von der Wetterseite abgewendete Schlagwand verläuft schnurgerade bergauf. Sie stellt nicht die uns wohlbekannte, grüne Mauer des Waldsaumes vor, denn ihre Stämme ragen fast kahl auf, nur am Gipfel noch ein dürftiges Wipflein festhaltend. Traurig starren aus der Wand überall die dürren Äste hervor, die aus Mangel an Luft und Licht abgestorben sind. Der Waldgrund vor ihnen ist zerwühlt und aus dem aufgerissenen Erdreiche ragen entrindete Baumwurzeln auf. Holzscheite und Klötzer sind bereits entfernt und selbst die Stöcke ausgerodet worden. Hier und da steht wohl noch ein 73 oder der andere trotzige Recke von einem Baumstrunk, dem nicht beizukommen war; aber auch an ihm zeigen die klaffenden Wunden der zutage tretenden Wurzeln, daß man sein Dasein austilgen wollte. Die Moospolster auf den zahlreichen Steinblöcken sind unter dem Einflusse der Sonnenstrahlen verdorrt, und die durch sie gebildete Humusschicht zerkrümelt. Ein Bröcklein um das andere fällt ab oder wird hinweggeweht, bis die weißen Steinleichen überall hervorschauen. Allerlei bewegliches Gezücht freut sich dabei des neugewonnenen Tummelplatzes: graue Eidechsen huschen die Steinblöcke auf und nieder, und auch die Kreuzotter hat die besonnte Fläche schon zu ihrem Jagdgebiete erkoren. Der entfernter liegende, vor zwei Wintern abgeholzte Waldstrich hat über seine Blöße bereits ein prächtiges Gewand geworfen. Zu Millionen streben die Kerzen des Weidenröschens dort empor und ihre rosenfarbenen Blüten sind wie eine purpurne Decke über den Abhang gebreitet. Wahrhaft sinnverwirrend aber ist die ungeheure Tätigkeit des Kleingetieres, das sich über und zwischen dem Blütenmeere tummelt: fleißige Bienlein, brummende Hummeln, gaukelnde Falter, sowie glänzende Schwebfliegen und metallisch schimmernde Bockkäfer fliegen und krabbeln um die Stauden herum mit augenberückender Emsigkeit, und die Luft ist erfüllt von dem Gemurmel ihrer Stimmen.

Die folgende Schlagabteilung bietet ein anderes Bild. Dort herrscht bereits das fahle Grün der Waldgräser und in dem kurzen Rasen stehen reihenweis gepflanzte winzige Fichtenbäumchen, die erst vor wenigen Wochen die Baumschule verlassen haben. Noch sind um sie die Moosballen und Rasenstückchen angehäuft, mit denen der sorgsame Forstmann die Wurzeln seiner Pfleglinge bedeckte, um die dörrenden Sonnenstrahlen abzuhalten. Ist erst die Anwurzelung vollzogen, dann streben die Pflänzlein rasch zur Höhe. Freilich 74 wird nach Wintersablauf manches derselben vertrocknet dastehen, sei es, daß ihm entweder der unvorsichtige Tritt des Menschen, der Sprung eines Wildes oder lastender Schnee einen unheilbaren Schaden zugefügt haben. Im ganzen aber geht es, Dank der nimmer rastenden Triebkraft des Bodens, fröhlich vorwärts und im Weiterschreiten bemerken wir bereits, wie die älteren Jahrgänge sich zu schließen beginnen. Der Waldgrund wird wieder durch das Astwerk geschützt und neue, schattenliebende Gewächse siedeln sich unter ihnen an. Weiter aufwärts vermögen wir schon unter das Schirmdach ihrer Kronen zu schlüpfen: das Eldorado der Pilzsammler und leider – auch der Vogelsteller.

Bald sind wir zur Grenzlinie gekommen, wo der immer höher aufragende Jungwuchs an den Hochwald anschließt. Ein trocken liegender, versandeter Graben, behufs Ableitung der Regenwasser angelegt, trennt die beiden. Grüngoldige Laufkäfer schießen, stoßweise fliegend und rennend, in demselben umher. Im feineren Sande der Böschungen sind die Trichter des Ameisenlöwen zu hunderten eingebohrt. Andere, minder harmlose Tierkolonien befinden sich ebenfalls in der Nähe. Hier diese runde Öffnung, die ganz so aussieht, als habe jemand mit dem Spazierstocke in den nadelbestreuten Grund gestoßen, ist mit Vorsicht zu umgehen. Aus- und einfliegende, gelbgeringelte Wespen lassen dies rätlich erscheinen, denn die erzürnten Insekten würden uns bald in die Flucht geschlagen haben.

Der Gehölzstreifen, an dem entlang wir jetzt schreiten, zeigt nicht jene gleichmäßige Bewirtschaftung, wie die hinter uns liegenden Bestände. Er ist ein sogenannter »Bauernbusch«, welcher der »herrschaftlichen« Waldung vorgelagert ist. Das eingehauene, weißgetünchte Kreuz auf diesem Felsblocke ist seine Grenzmarke. Die zahlreichen, kleinen Waldinseln, die wir während unseres Ganges zwischen den Wiesen bemerkten, 75 gehören ebenfalls »Feldgärtnern« und »Kleinbauern« an, die neben ihrer unzureichenden Bauernwirtschaft gewöhnlich einen Zweig der Glasindustrie als einträgliche Nebenbeschäftigung betreiben. Der Holzbedarf wird diesen Wäldchen stammweise an den gelegensten Plätzen entnommen; daher die vielen Lücken in ihren Beständen.

Nun gilt es, den Bach zu überschreiten. Einige Turnerkünste sind notwendig, um über die »Hoppsteine« in seinem Bette ohne Ausgleiten hinwegsetzen zu können. Ungefährdet erreichen wir das andere Ufer. Hier läßt die Waldespforte einen breiten Fahrweg hervorkommen, der jedoch an beiden Seiten von gewaltigen Stößen geschälter Fichtenrinde eingeengt wird. Knapp neben dem Waldeingange ist eine Wegweisertafel des Gebirgsvereines aufgestellt. Die Farbenmarken derselben, sowie die beigefügten Erläuterungen geben uns Aufschluß über die Touristenziele, die von hier aus zu erreichen sind: Hoher Fall, Wittighaus, Klein-Iser; der stummberedte Führer vor uns verspricht dorthin zu geleiten. »Sehen Sie den Farbenstreif an diesem Stamme? und dort, schon halb im Waldesdüster verloren, den zweiten? Das sind die verläßlichen Wegmarken, denen auch der landfremde Tourist unbedingt vertrauen darf.«

Hier führt der Weg ins Dorf hinunter . . .

»Doch wie? – Sie wollen?« – Noch haben wir nicht die Hälfte unserer Wanderung zurückgelegt. Lockt Sie der tiefe, kühle, feuchte Wald? So gehen Sie denn, »Undankbarer« und:

»Glückliche Reise!«

 


 


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