Gustav Leutelt
Schilderungen aus dem Isergebirge
Gustav Leutelt

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Frühling.

Der Vorfrühling hat die Talhänge schneefrei gemacht und nur mancher nordwärts gerichtete Waldsaum ist noch von einer schmalen, weißen Schneeeinfassung umzirkelt. Der Isergebirgler ist zur Zeit gar achtsam auf seine Wasserläufe; denn schwellen die Bäche in den Nachmittagsstunden erheblich an, so weiß er, daß im Walde »der Schnee geht« und das bedeutet die endgültige Lenzeseinkehr im Gebirge. Stillvergnügt sieht er die milchigen Schneewässer von dannen eilen und auch die rauhen Ostwinde, die gelegentlich das nahe Riesengebirge von seinen noch im Winterkleide starrenden Koppen herübersendet, stören ihm den Gleichmut nicht; weiß er doch, daß das »Frühjahr« da ist. Selbst wenn der zugereiste biedere Ellenreiter vom »Land draußen« ihm die abendliche Ruhe des Stammtisches durch die vorwurfsvollen Worte stört, »hier sei die Natur och gar sehr zurückgeblieben und bei ihm zuhaus blühe doch schon der Flieder, wo doch hier noch nich en grünes Blatt zu sehen sei,« so schmunzelt er nur und denkt im Stillen: »Ja, wenn aber unser Frühling kommt, dann sieht er anders aus als der eure!« 15

Und wahrlich, der Lenz im Gebirge sieht anders aus, als der Frühling im Land draußen zwischen den endlosen grauen Äckern und den langweiligen Rübenfeldern, denen zu dieser Zeit fast jedes Grün fehlt. Ist es doch, als ob der so lange Zurückgedrängte in unseren Tälern mit verdoppelter Kraft einsetze und ein Wiesengrün, einen Blütenduft und einen Vogelfang hervorzaubere, wie es unsere slawischen Landesbrüder zwischen den Ackerfurchen ihrer Ebene nicht ahnen.

Die folgenden Zeilen mögen versuchen, einen Abglanz dieser Maienschöne wiederzugeben:

. . . Im Isergebirge läuten die Osterglocken den Frühling sehr, recht sehr selten ein. Winterlich ist es zu der Zeit noch, soweit das Auge schaut und daher auch nicht sehr verwunderlich, daß der Osterhase in dieser Schneeregion das Eierlegen verlernt hat. Das Suchen der Ostereier ist nicht mehr üblich; dafür laufen am Gründonnerstag die Kinder scharenweis von Haus zu Haus, um »Bretzln und Küchl« zu erbitten. Schon vor der Osterzeit aber – am Palmsonntage – zieht es wie eine schwache Frühlingsahnung vorüber, wenn die Jugend mit den WeidenzweigleinDie Knospen der geweihten Ruten, »Polmkatzl« genannt, galten früher als Heilmittel bei verschiedenen Krankheiten und geweihte »Polm« hinter dem Kruzifixe hüteten das Haus vor dem Blitzschlage. in den Händen zur Palmenweihe in die Kirche eilt.

Zweiglein vom schneeumstarrten Weidenstrauch und – Frühlingsahnung? Woher diese Lenzstimmung? Möglicherweise ist sie deshalb ins Gemüt geflogen, weil die Zweiglein ein Beweis dafür sind, daß der Saft der Gewächse bereits die Knospen schwellt und deren Schutzhüllen sprengt.

Je länger die Hänge ihre Schneelasten tragen, desto eifriger sind die Erdgeisterchen an der Arbeit, all' die verschlafenen Pflänzlein unter der weißen Hülle zu wecken. 16 Und sieh da! Kaum hat solch ein Spätwinter weichen müssen, so ist auch schon wie ein leiser Anhauch das erste, zarte Grün der Gräser da. Ein warmer Regen noch und folgender Sonnenschein und jenes wunderbare Smaragdgrün ist über die Hänge gegossen, das so kurzdauernd ist, schon nach wenigen Tagen eine dunklere Farbe annimmt und neben Himmelsblau und Morgenrot zu den schönsten Tönen in der Farbenreihe der Natur zählt. Nur vereinzelt sind in dem allgemeinen Grün die weißen Tupfen der »Gänseblieml« (Maßliebchen) zu erblicken; die Wasserläufe säumt die »Butterblume« (Sumpfdotterblume) ein, an den Waldrändern nickt bereits das Buschwindröschen und treibt der Seidelbast aus seinem unscheinbaren, grauen Zweiggestrüppe die Menge seiner Purpurblüten, während der fahlgelbe Zitronenfalter einhergaukelt wie ein fortgewehtes, welkes Blatt vor dem Winde.

Die zierlich gefältelten Blättlein der Laubbäume lugen bereits überall aus den Knospenhüllen hervor und warten nur des nächsten Regens, um sich voll zu entfalten; nur die Esche allein hält noch vorsichtig ihr Laubwerk zurück, und erst dann, wenn sie die tausend Hände der Blätter hervorstreckt, ist die Zeit möglicher Nachtfröste vorüber. Das junge, hellgrüne Buchen- und Birkenlaub unterbricht zu dieser Zeit die düsterernste Tönung unserer Fichtenwälder so glücklich, daß diese einen fast heiteren Anblick gewähren.

Der Isergebirgler hat währenddem von seinen Wiesen Dünger und Maulwurfshaufen entfernt, den Kartoffelacker bestellt und wartet nun in Gemütsruhe, bis die Hänge umfärben. Gar bald stechen hier und da aus dem Grün gelbflammende Punkte hervor, die sich rasch mehren und endlich das Wiesengrün unter ihrem leuchtenden Gelb fast begraben.

Der Löwenzahn blüht. Goldig lacht nun die Flur; doch nur bei hellem Sonnenschein, denn des Abends und an 17 Regentagen halten sich die Blüten dieser Pflanze geschlossen. Unter ihren strotzenden Stengeln hüpfen die Stare und halten wohlgeordnete Streifzüge durch das Blütenmeer, indes sie mit den gelben Schnäbeln emsig um sich picken. Schnurrenden Fluges enteilen sie zum Neste, kehren in kühnem Schwunge wieder und lassen währenddem ihrer Geschwätzigkeit freien Lauf.

Und der Vogelsang in den Morgenstunden! Wie preis' ich den?

Tausendstimmig und jubeltönig, sehnsuchtsvoll schluchzend und lustig schlagend, wirbelnd, zitternd, schwellend und verhauchend tönt es her von den Waldrändern, und nimmer vergißt diesen Frühchor, wer ihn einmal hörte. 18

In dieser Zeit, dem vergangenen Winter näher liegend als den kommenden Sommertagen, feiert der Gebirgsfrühling seinen größten Triumph über den Menschen, der durch die Entbehrungen des langen Winters wieder aufnahmsfähig geworden ist. Noch trinkt das durstende Auge herrliches Wiesengrün, sowie die zarten Töne des Junglaubes, und schon färbt der Löwenzahn mit der Massenwirkung seiner gelben Blüten die Talhänge märchenhaft. Jetzt tauchen da und dort zwischen den Wohnhäusern weiße Wölklein auf: die Kronen blühender Obstbäume. Unter den jetzt herrschenden leuchtkräftigen Farben vermögen sie nur schwer zur Geltung zu kommen; ihr Weiß erhält aber bald ausgiebige Unterstützung.

Der Löwenzahn hat abgeblüht und wie weggewischt ist das flammende Gelb von den Wiesen. Die Fruchtfederkronen der Pflanze breiten nun ihr mattes Weiß darüber, und die Millionen dieser bleichen Kugeln bringen für kurze Zeit einen kalten Ton in das Landschaftsbild. Die Kinder finden es höchst vergnüglich, die weißen Kugelköpfchen auseinanderzublasen, so daß die mit einer Federkrone geschmückten Samen durch die Lüfte entsegeln. In großem Maßstabe treibt der Wind dasselbe Spiel und schickt die kleinen Flugapparate in hellen Haufen auf die Reise, bis sie, irgendwo zwischen den Gräsern niedersinkend, zur Ruhe kommen. Die große Menge dieser Wandersamen, die man zur Zeit überall einherschweben sieht, erklärt das massenhafte Auftreten der Pflanze. Ihre abgerissenen, an einer Seite zusammengedrückten Stengel (Pfupen) bringt übrigens die männliche Jugend zu schauderhaftem Ertönen, während die Mädchen selbe zu Ketten ineinanderschlingen.

Sind die weißen Bälle von den Wiesen verschwunden, so ist das Gras auf letzteren bereits zu einer Länge gediehen, daß minder langstielige Blüten sich nicht leicht bemerkbar 19 machen können, auch wenn sie in Masse auftreten. Nur das Schaumkraut wuchert jetzt auf nassen Wiesen in solcher Menge, daß die Lilafarbe seiner Blüten über das Grün triumphiert, und die Stiefmütterchen kommen auf manchem Brachacker so dichtgedrängt vor, daß dieser, aus einiger Entfernung gesehen, wie ein ausgespanntes blaues Tuch vor uns liegt.

Je weiter es in den Frühling hineingeht, desto bunter wird der Wiesenteppich. Um die Wette schießen gelbe Hahnenfüße und blaue Glockenblumen, rote Pechnelken und violette Storchschnäbel zwischen den Grashalmen empor, bis endlich jene Farbensymphonie zustande kommt, die das Entzücken des Malers und auch des Naturschwärmers bildet.

Wer nun die Wege entlang wandert, dem drängt sich außer dem Dufte der Wiesenkräuter besonders der starke Geruch aus den Blütendolden der Eberesche auf, der von den Kronen dieser Alleebäume herniedersinkt. Auch die schlanken Fichten haben bereits winzige Kätzchen hervorgetrieben, und es ist eigentümlich zu sehen, wenn ihr massenhafter Blütenstaub bei jedem Windstoß wie eine gelbe Wolke über den Wald hinschwebt.

Vom menschlichen Tun und Treiben in dieser Zeit ist wenig zu berichten. Die männliche Jugend zündet in der Walpurgisnacht sogenannte »Walperfeuer« an und läuft mit brennenden Besenfackeln über die Höhen, um die Hexen zu vertreiben. Sonst stellen die Jungen »Pfeifl, Pfipl und Schalmeien« her aus der abgelösten Eberesch- und Weidenrinde; die Mädchen fertigen außer den schon erwähnten Maiblumenketten noch zierliche Kränzlein aus den Blüten des Flieders; die Erwachsenen treiben ihre Alltagshantierungen und freuen sich des Frühlings ohne viele Worte. In der ersten Zeit steigen die Männer wohl auf die Aussichtstürme und später, wenn der Schnee das Vordringen in höhere 20 Lagen gestattet, auch auf jene die Waldschneiden überragenden Felskronen, die dem Isergebirge eigentümlich sind; die Frauen endlich bepflanzen jetzt die Gräber ihrer Angehörigen, und nach heißen Tagen sieht man des Abends ganze Scharen von Frauenzimmern mit ihren Gießkannen dem Friedhofe zuwandern, um ihre durstenden Pfleglinge auf den Grabhügeln zu begießen und – nebenbei etwas zu plaudern.

Und die Frühlingswende im Gebirge?! Zartgrünes Birkenlaub vor improvisierten Altären, Weihrauchduft und helles Glöckchenklingen, blumenstreuende Kindlein und nickende Kirchenfahnen, rauschende Musik und Böllerknallen ziehen erst vor Augen und Ohren vorüber, ehe wir vor seiner Pforte anlangen: Fronleichnam.

In der Tat steht dies Hochfest knapp an der Frühlingswende; denn bald nachher geht die Sense über die Wiesen und mit dem Verschwinden des bunten Blumenteppiches ist der Frühlingszauber dahin. Noch liegt oben im Hochwalde manche Schneeschicht, während unten im Tale sich bereits die Heuschober auftürmen. Fröhliches Geschrei und Gelächter der zwischen den duftenden Haufen sich tummelnden Jugend klingt dann wohl durch die Abendluft und stimmt auch den Grübler heiter. Es wird der Sommer des Schönen noch viel bringen! – und doch, es ist der Lenz, der gegangen ist, und zwischen Scheiden und Wiederkehr desselben bangt das arme Menschenherz unwillkürlich, ob der Lenzodem uns wieder umfächeln wird und seine Farbenpracht und seine Düfte uns nochmals berauschen werden.

Bis dahin ade und aufs Wiedersehen! 21

 


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