Gotthold Ephraim Lessing
Laokoon
Gotthold Ephraim Lessing

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XXVIII.

Nach dem Laokoon war ich auf nichts neugieriger, als auf das, was Herr Winckelmann von dem sogenannten Borghesischen Fechter sagen möchte. Ich glaube eine Entdeckung über diese Statue gemacht zu haben, auf die ich mir alles einbilde, was man sich auf dergleichen Entdeckungen einbilden kann.

Ich besorgte schon, Herr Winckelmann würde mir damit zuvorgekommen sein. Aber ich finde nichts dergleichen bei ihm; und wenn nunmehr mich etwas mißtrauisch in ihre Richtigkeit machen könnte, so würde es eben das sein, daß meine Besorgnis nicht eingetroffen.

»Einige«, sagt Herr WinckelmannGeschichte der Kunst, T. II. S. 394., »machen aus dieser Statue einen Discobolus, das ist, der mit dem Disco, oder mit einer Scheibe von Metall, wirft, und dieses war die Meinung des berühmten Herrn von Stosch in einem Schreiben an mich, aber ohne genugsame Betrachtung des Standes, worin dergleichen Figur will gesetzt sein. Denn derjenige, welcher etwas werfen will, muß sich mit dem Leibe hinterwärts zurückziehen, und indem der Wurf geschehen soll, liegt die Kraft auf dem nächsten Schenkel, und das linke Bein ist müßig: hier aber ist das Gegenteil. Die ganze Figur ist vorwärts geworfen, und ruhet auf dem linken Schenkel, und das rechte Bein ist hinterwärts auf das äußerste ausgestrecket. Der rechte Arm ist neu, und man hat ihm in die Hand ein Stück von einer Lanze gegeben, auf dem linken Arme sieht man den Riem von dem Schilde, welchen er gehalten hat. Betrachtet man, daß der Kopf und die Augen aufwärts gerichtet sind, und daß die Figur sich mit dem Schilde vor etwas, das von oben her kommt, zu verwahren scheint, so könnte man diese Statue mit mehrerem Rechte für eine Vorstellung eines Soldaten halten, welcher sich in einem gefährlichen Stande besonders verdient gemacht hat: denn Fechtern in Schauspielen ist die Ehre einer Statue unter den Griechen vermutlich niemals widerfahren: und dieses Werk scheinet älter als die Einführung der Fechter unter den Griechen zu sein.«

Man kann nicht richtiger urteilen. Diese Statue ist ebensowenig ein Fechter, als ein Discobolus; es ist wirklich die Vorstellung eines Kriegers, der sich in einer solchen Stellung bei einer gefährlichen Gelegenheit hervortat. Da Herr Winckelmann aber dieses so glücklich erriet: wie konnte er hier stehen bleiben? Wie konnte ihm der Krieger nicht beifallen, der vollkommen in dieser nämlichen Stellung die völlige Niederlage eines Heeres abwandte, und dem sein erkenntliches Vaterland eine Statue vollkommen in der nämlichen Stellung setzen ließ?

Mit einem Worte: die Statue ist Chabrias.

Der Beweis ist folgende Stelle des Nepos in dem Leben dieses FeldherrnCap. I.. Hic quoque in summis habitus est ducibus: resque multas memoria dignas gessit. Sed ex his elucet maxime inventum ejus in proelio, quod apud Thebas fecit, quum Boeotiis subsidio venisset. Namque in eo victoriae fidente summo duce Agesilao, fugatis jam ab eo conductitiis catervis, reliquam phalangem loco vetuit cedere, obnixoque genu scuto, projectaque hasta impetum excipere hostium docuit. Id novum Agesilaus contuens, progredi non est ausus, suosque jam incurrentes tuba revocavit. Hoc usque eo tota Graecia fama celebratum est, ut illo statu Chabrias sibi statuam fieri voluerit, quae publice ei ab Atheniensibus in foro constituta est. Ex quo factum est, ut postea athletae, ceterique artifices his statibus in statuis ponendis uterentur, in quibus victoriam essent adepti.

Ich weiß es, man wird noch einen Augenblick anstehen, mir Beifall zu geben; aber ich hoffe, auch wirklich nur einen Augenblick. Die Stellung des Chabrias scheinet nicht vollkommen die nämliche zu sein, in welcher wir die Borghesische Statue erblicken. Die vorgeworfene Lanze, projecta hasta, ist beiden gemein, aber das obnixo genu scuto erklären die Ausleger durch obnixo in scutum, obfirmato genu ad scutum: Chabrias wies seinen Soldaten, wie sie sich mit dem Knie gegen das Schild stemmen, und hinter demselben den Feind abwarten sollten; die Statue hingegen hält das Schild hoch. Aber wie, wenn die Ausleger sich irrten? Wie, wenn die Worte obnixo genu scuto nicht zusammen gehörten, und man obnixo genu besonders, und scuto besonders, oder mit dem darauf folgenden projectaque hasta zusammen lesen müßte? Man mache ein einziges Komma, und die Gleichheit ist nunmehr so vollkommen als möglich. Die Statue ist ein Soldat, qui obnixo genuSo sagt Statius obnixa pectora (Thebaid. lib. VI. v. 863).

– – – – rumpunt obnixa furentes
Pectora.

welches der alte Glossator des Barths durch summa vi contra nitentia erklärt. So sagt Ovid (Halieut. v. 11) obnixa fronte, wenn er von der Meerbramse (Scaro) spricht, die sich nicht mit dem Kopfe, sondern mit dem Schwanze durch die Reusen zu arbeiten sucht:

Non audet radiis obnixa occurrere fronte.

, scuto projectaque hasta impetum hostis excipit; sie zeigt, was Chabrias tat, und ist die Statue des Chabrias. Daß das Komma wirklich fehle, beweiset das dem projecta angehängte que, welches, wenn obnixo genu scuto zusammengehörten, überflüssig sein würde, wie es denn auch wirklich einige Ausgaben daher weglassen.

Mit dem hohen Alter, welches dieser Statue sonach zukäme, stimmt die Form der Buchstaben in der darauf befindlichen Aufschrift des Meisters vollkommen überein; und Herr Winckelmann selbst hat aus derselben geschlossen, daß es die älteste von den gegenwärtigen Statuen in Rom sei, auf welchen sich der Meister angegeben hat. Seinem scharfsichtigen Blicke überlasse ich es, ob er sonst in Ansehung der Kunst etwas daran bemerket, welches mit meiner Meinung streiten könnte. Sollte er sie seines Beifalles würdigen, so dürfte ich mich schmeicheln, ein besseres Exempel gegeben zu haben, wie glücklich sich die klassischen Schriftsteller durch die alten Kunstwerke, und diese hinwiederum aus jenen aufklären lassen, als in dem ganzen Folianten des Spence zu finden ist.


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