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Rosl

Als der Bote des geistlichen Gerichts vor dem Haus des Gemeindeältesten aus dem Sattel sprang, taumelte er, versuchte zu rufen und schlug der Länge nach hin. Den Weibern, die am Dorfbrunnen Wasser holten und ihre Köpfe in hennenhafter Neugier nach ihm hindrehten, verschlug es die Rede, sie ließen ihre Kübel stehen und stürzten schreiend auf den Reiter zu, der sie mit fiebrig wirren Augen anstarrte und keuchend an dem Kinnriemen seines Helmes riß. Das Pferd bäumte plötzlich hoch, warf sich herum und preschte den Weg zurück, den es gekommen war. Männer trugen den wild um sich Schlagenden in die Stube des Gemeindeältesten, legten ihn auf die Bank, nahmen ihm Koller und Helm ab und sorgten dafür, daß ein Bett für ihn bereitet werde. Da sie aus dem Gelalle des Fiebernden nicht klug wurden, verließen sie ihn und schickten nach dem Pfarrer.

Am nächsten Morgen zeigte sich am Halse des Kranken eine eigroße Beule. Den Tag über stieg das Fieber, Ausbrüche schmerzhaften Tobens unterbrachen die Delirien, gegen Abend wurde er stiller und starb. Er hatte den Befehl seines Auftraggebers nicht mehr vollziehen können, aber die Botschaft eines Größeren ins Dorf gebracht; als sein irrer Mund verstummt war, trat sie furchtbar aus dem Leichnam selbst hervor, in deutlichen, leicht lesbaren Zeichen: sie bedeckte die Haut mit dunklen Flecken, und einige Tage später verstand sie jedes Kind zu lesen und zu fürchten.

Die Bäuerin, die den Reiter gepflegt hatte, der Bauer, der Knecht, sie legten sich der Reihe nach hin und starben weg, ehe man recht zur Besinnung kam; als aber der Zimmermann, der die Arbeiten auf dem Kirchdach zu leiten hatte, lautlos vom Gerüst in den Friedhof stürzte, als nach einer knappen Woche die Sparren und Pfosten menschenleer in die Luft starrten, wußte man Bescheid. Man war vom Begräbnis des Reiters noch so gut wie ahnungslos heimgekehrt, hatte seine Arbeit getan, hatte geschlafen und gegessen, gebetet und geflucht, wie man es gewohnt war; nun stand man geduckt am Brunnen und vor den Häusern, schlich geduckt in die Ställe, in die Weinberge, in die Kammern, die Schritte wurden schwer und wie von allen Seiten umdroht, über die Gesichter waren graue Schatten gefallen, die Augen standen ängstlich offen, die Münder verstummten: über den Köpfen sauste die Sense.

Alles, was bisher wichtig und unentbehrlich war, sank in die Bedeutungslosigkeit zurück, die sich dem Menschen auftut, wenn der Tod drei Schritte vor ihm steht. Bald gab es kein Haus mehr, aus dem er sich nicht das Seine geholt hätte. Das Vieh brüllte in den Nächten vor Hunger und Durst, die Menschen hörten es wohl, aber sie schienen es nicht mehr zu verstehen, sie gingen ihrer Wege, die mit einemmal so grausam verkürzt vor ihnen lagen und ohne Umschweife auf den Acker führten, den der finstere Bauer zu schwarzen Furchen aufriß. Ärger als Hochwetter und Hagelschlag, Feuer und Wassersnot war dieses Sterben. In zwei, drei Tagen fällte es den Gesündesten, und manchen sprang es an, daß er, vom Essen oder der Wollust aufstellend, plötzlich hinschlug, wie von dem Gift der Pest bis in jede Zelle überschwemmt und erstickt. Es gab keinen Arzt und kein Spital. Das spärliche Wissen um Hausmittel, das die Frauen von früheren Geschlechtern ererbt hatten, reichte nicht einmal hin, die Qualen zu lindern, unter denen man sterben mußte. Die Beulen schmerzten, das Fieber zehrte jede Widerstandskraft auf, die rasend anwachsende Ausbreitung der Krankheit lähmte jede Hoffnung, ihr zu entkommen, jeden Mut, sie zu überstehen. Der einzige Tischler des Dorfes war nicht mehr imstande, die nötigen Särge zu liefern; man nähte die Toten in alte Kornsäcke, riß ein Stück der Friedhofsmauer nieder, um Platz zu gewinnen, verzichtete auf das ordentliche Begräbnis und ließ jeden Abend die Totenglocke eine halbe Stunde für alle gemeinsam läuten.

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Die Sache Lienhard schien vergessen. Die beiden Soldaten, die ihn holen sollten, trafen nicht ein; das Gericht hatte sie zurückgehalten, als es vom Ausbruch der Epidemie erfuhr. Übrigens fraß die Seuche von Dorf zu Dorf weiter; als der Wein reifte und die Obstgärten in voller Frucht standen – der September lag wie ein wunderbar milder Nachsommer über dem Land –, hatte sie das ganze Tal ergriffen und flackerte auf die Städte über, wo sie, an der Fülle des Verzehrbaren gierig geworden, wie ein einziges Feuer wütete.

Lienhard fürchtete sich nicht, zu sterben. Das Leben war so schwer geworden, daß er es nicht mehr um jeden Preis liebte. Aber es war noch stark und ungebrochen in ihm; er griff kräftig zu, überall, wo man ihn brauchen konnte.

Und als er sich auch in der Pflege der Kranken, im Auflegen kalter Umschläge, in der Zubereitung fieberstillenden Tees als geschickt und sorgfältig erwies, war er bald in jedem heimgesuchten Haus ein gern geduldeter Gast. Er fand sich in jeder Küche bald zurecht, blieb bei den Ausbrüchen der Verseuchten ruhig, ja verstand es, sie durch sein sicheres Gehaben selbst zu beruhigen und flößte ihnen durch seine Furchtlosigkeit sogar etwas Hoffnung ein. Anfangs hatte man ihn nur mit Scheu an die Kranken herangelassen, es hatte Häuser gegeben, die sich ihm versperrten und aus denen ihm Schimpfworte nachflogen, wenn er vorbeiging. Es war sein Glück gewesen, daß die Seuche so eindeutig mit dem fremden Reiter begonnen hatte; dadurch war er der Gefahr entronnen, daß man sie seinen Hexenkünsten zuschrieb.

Der schwarze Tod hatte auch der Sache Lienhard ihre Bedeutung genommen; zu grauenhaft trat er die Menschen an, als daß sie noch länger einem Prozeß hätten folgen können, der gegen das tägliche Sterben eine Bagatelle war. Und so änderte sich auch langsam die Meinung der Leute über den Knaben, der ihnen nichts nachzutragen schien und sich überall nützlich machte, wo es mutig zulangender Hände bedurfte. Wie die Soldaten im Feld eine gegenseitige Achtung, ja beinahe ein heiliges Mitleid verbindet, ein Mitleid für jeden, der nicht anders als man selbst jede Stunde unter der Sense des Todes zubringt, schloß auch die Seuche die Menschen zusammen, und sie nahmen Lienhard wieder in ihre Gemeinschaft auf, die nun freilich mehr einer angstvoll geduckten Herde als einer kraftvollen Ordnung des Lebens glich.

Viel war er mit dem Pfarrer beisammen. Sie hatten eine gemeinsame Aufgabe gefunden und waren ihr – jeder nach seinen Kräften – gewachsen: der Priester aus seiner geistlichen Vertrautheit mit dem Sterben und dem Jenseits, Lienhard aus der Fülle seiner klaren, unberührten Natur heraus. Nun zeigte sich an dem Knaben erst ganz, wie sehr ihn die Abkehr von den Menschen, die Heimkehr in die Arme der Erde gereift und gefestigt hatte; wie ein Quell des lebensträchtigen Gebirges selbst sprang er durch das hinsterbende Dorf, heilend und selber gesund. Der Pfarrer hoffte, der Prozeß werde einschlafen und begann den Knaben nur noch inniger zu lieben, seit er wieder an seine Rettung glaubte.

Sie waren bei Lienhards-Bauern. Der Alte lag schon den dritten Tag und wollte um keinen Preis ein Ende machen. Die Bäuerin war ihm vor einer Woche vorausgegangen. Sollte niemand übrigbleiben, den Hof und die Felder zu versorgen, sollten fremde Leute hier einziehen, wo die Väter seit mehr als dreihundert Jahren gehaust hatten? Lienhard gehörte nicht dazu, er war nicht gleichen Bluts, er hatte nichts von einem künftigen Bauern an sich; ein Strichvogel, den es bald dahin, bald dorthin trieb. Das ließ den Alten nicht sterben, der Hof gab ihn nicht frei, die Väter hielten ihn fest, solange ein einziger Tropfen gesundes Blut in ihm war.

Der Pfarrer hatte mit den Sterbegebeten begonnen; mit großen, vom Fieber hohlgebrannten Augen sah der Kranke vor sich hin, über das Gebet hinweghorchend, gespannt nach einem Zeichen lauschend, das ihm Rettung verhieße. Er hörte seinen Atem in kurzen Stößen gehen und gab sich Mühe, ihn gleichmäßiger und stiller einzuziehen und auszustoßen; er wollte selber hören, wie es ihm immer besser ging.

Herbstwarmes Licht floß durch die beiden kleinen Fenster und stieg langsam an der Bettstatt höher, je tiefer die Sonne sank. Immer goldgelber durchflutete es draußen die Bäume des Angers, das fett glänzende Grün; mit jenseitigem Frieden erfüllte es die Sterbekammer. Noch einmal wechselte Lienhard die kühlenden Bauschen auf den faustgroßen Beulen; der Pfarrer ließ keinen Blick von der armselig gekleideten Gestalt des Knaben, um den das stille Licht wob. Es floß um einen schmächtigen Engel in zerrissenen Hosen und schmutzigem Hemd.

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Auf einmal riß der Bauer die Augen noch weiter auf, hob mit einem Ruck den Kopf und ließ ihn für immer zurückfallen. Lienhard kniete sich neben den Toten hin und machte ernsthaft das Kreuzzeichen auf Stirn, Mund und Brust. Da hatte der helle, warme Schein sein strohblondes Haar erreicht, das ihm ungekämmt um den Kopf stand, und lag eine Weile abschiednehmend auf dem Scheitel des Kindes.

Lienhard hatte sein Heim verloren. Er schlief zwar noch immer im leeren Haus, war aber untertags bald bei dem, bald bei jenem Bauern. Er war allen täglich unentbehrlicher geworden, sie schickten nach ihm, wenn der Tod nach einem neuen Opfer griff; er versorgte das Vieh, klaubte das bißchen Obst von den Bäumen, das der Hagel übriggelassen hatte, holte Streu von den Türkenäckern und entwuchs in den paar Wochen so sehr seinem Alter, daß man ihn hätte für einen fertigen Mann halten können; aber sein Gesicht wurde dabei zarter und kindlicher, seine Glieder schmäler, da ihm seine Aufgabe über die Kraft seiner Jahre ging.

Allmählich ließ das Sterben nach. Die Fälle wurden leichter, immer mehr von der Seuche Befallene überwanden sie. Sie hatte furchtbare Löcher in das Leben des Dorfes gerissen, und da sie sich nicht ausfüllen ließen, begann man, sie durch Zusammenlegen oder Verkauf der Höfe zu beseitigen. Freilich blieb es lange unbegreiflich, wie die Überlebenden es überhaupt vermochten, das Tagwerk wieder in Gang zu bringen; aber kein Wesen ist zäher und paßt sich leichter auch an das Unerträglichste an als der Mensch.

Über Lienhard kam, nun, da alles vorbei war, eine Ermüdung, die ihn fast auslöschte. Er wäre gewiß bei den Leuten des Dorfes, die ihn nun gegen ihre eigene Anklage aufs erbittertste verteidigt hätten, geblieben, wenn nicht der fortgewanderte Tod noch einmal umgekehrt wäre, als hätte er eins vergessen.

Der Kupferschmied hatte nur einen Gesellen verloren; sonst war sein Haus verschont geblieben. Die Leute schrieben es dem Feuer zu, das mit Rauch und Hitze den Gifthauch der Seuche zerstört hätte. Da fiel als letztes Opfer die kleine Rosl dem Würger in die Hände. Schon seit Tagen trieb am Himmel schweres Gewölk dahin. Schwül und heftig wehender Herbstföhn riß es jeden Abend wieder auseinander. Er fiel mit gewaltigem Druck von den Berghängen ins Dorf, die Nächte loderten in purpurner Schwärze um die Hütten, die Morgen schimmerten klar, und zwischen den rauchenden Wolken blaute der Himmel dunkel und fremdartig; die Berge rückten zum Greifen nahe ums Dorf, die fernsten Dinge funkelten in einer unheimlichen Deutlichkeit. Aber der Wind wälzte immer dickeres Gewölk heran.

Lienhard saß mit der Kleinen auf dem Wiesenhang, der den Kirchhügel gegen den Lärchenwald hinauf fortsetzte. Sie redeten ernsthaft wie zwei erwachsene Leute miteinander, das Leben war in diesen Wochen so anders geworden; es war kein Raum mehr in ihm für Spiele, kaum ein Plätzchen für Kinder. Lienhard erzählte vom Sterben der Leute, jeder war ein wenig anders gestorben, jeder nach seiner Art, seinem Humor, seiner Empfindlichkeit.

Die beiden vertrugen sich wieder gut, der böse Nachmittag im glühenden Weinberg war längst vergessen. Aber mit keiner Silbe ließ das Mädchen ihn merken, was sie über ihn dachte. Sie hörte schweigend zu, der Wind sang über die beiden hin, sie hockten in einem brausenden Abseits von aller Welt, und Lienhard wünschte innig, daß sie recht lange so sitzen sollten.

Aber plötzlich stand sie auf.

»Wie hat es immer angefangen, Lienhard?«

»Den Leuten ist schwindlig geworden, sie haben nach etwas gelangt, daran sie sich haben halten können.«

Rosl griff nach seinem Arm.

»Und dann?«

Lienhard erschrak; so griffen sie zu, wenn es sie antrat.

»Dann haben sie zu zittern angefangen und auf der Stirn sind ihnen die Tropfen gestanden. Rosl! Ist dir nicht gut? Was hast?!«

»War es so?«

Sie nahm seine Hand und fuhr sich damit über die Stirn, die feucht und kalt war. Dann schauerte sie zusammen, von Fieberfrost geschüttelt, zog die Schultern nach vorne, und als ihr Lienhard erschrocken ins Gesicht sah, glänzten ihre Augen und schlugen ihr die Zähne gegeneinander.

»Was hast, Rosl?«

»Mir ist so kalt.«

Sie wollte laufen, aber eine Schwäche knickte sie, sie mußte sich setzen und begann heftig zu zittern. Dann flogen ihr in kurzen Wellen Röte und Blässe über das Gesicht, sie sank in sich zusammen, ließ den Kopf in ihren Schoß fallen und griff mit den verwirrten Händen nach einem Halt.

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Lienhard erbleichte; das Herz klopfte ihm laut und schnell, Mitleid und Entsetzen würgten ihm den Hals zu, er war im ersten Schreck unschlüssig, was er tun sollte. Er wußte zu genau, so begann es. Er wollte schreien, nach jemandem rufen, wandte sich hilflos nach allen Seiten, stockte wieder, Tränen schossen ihm in die Augen; dann fand er mit einemmal zu sich zurück, bückte sich nach der Kauernden, hob sie mit beiden Armen auf und trug sie den Hügel hinab. Der Wind trieb ihn vorwärts, hin und wieder wehte ihm ihr Haar ins Gesicht, da schoß ihm das Blut heiß in die Wangen, es kamen Sturmschwälle den Berg herab, die ihn fast trugen. Der Ernst seiner Aufgabe steigerte seine Kräfte, der Föhn, der ihn umheulte und die Nerven glühend anblies, ließ ihn keine Müdigkeit spüren, die Erregung über das neuerliche Auftreten der Seuche jagte ihn ins Dorf. Einmal blieb er stehen, da ihn die Arme schmerzten und er tiefer Atem holen wollte; er stützte den rechten Fuß auf die Steinstufe eines Garteneingangs, ließ das Mädchen auf sein Knie sinken und rastete. Noch immer schüttelte es sie, ihre feinen Glieder bebten gegen seinen Knabenleib. Mitleid brach ihm aus dem Herzen und eine Liebe, wie er sie noch nie gespürt hatte. Eine blitzhafte Erinnerung an die Stunde, da er neben ihr lag und voll eines süßen, wehen Dunkels auf den ersten Hieb ihrer Gerte wartete, verwirrte ihn; aber wie fern war diese Stunde und wie unbegreiflich! Er nahm seine Last wieder auf – der Weinberg versank – und strebte der Schmiede zu.

Als die Kleine im Bett war und Lienhard langsam und in ein Wirrsal neuartiger Empfindungen verloren in das Haus zurückkehrte, in dem er wohnte, hielt der Wind inne, und bald fielen die ersten Tropfen herab, so einzeln und so warm, als hätte sie einer geweint.

 

Die kleine Rosl war das letzte Opfer der Seuche gewesen. Lienhard warf Brocken der geweihten Erde ins Grab und zuletzt eine Handvoll Astern.

Nun hatte er außer dem Pfarrer niemanden mehr. Der Kupferschmied hatte ihn zu sich genommen und ihm angetragen, ihn das Handwerk zu lehren. Lienhard half auch in der Schmiede, aber es freute ihn nicht. Er war so erschöpft von den schweren Wochen der Heimsuchung und ihrem traurigen Ende, daß es wohl vieler Monate bedurft hätte, um ihn wieder ins rechte Geleise zu bringen. Was ihm früher nie geschah, daß er sich nämlich zurück nach Hause, in das strenge, nördliche Hochtal sehnte, nun kam ihn immer öfter ein nagendes Heimweh an, Franz war wieder in seinen Gedanken, und der Schmied mußte ihn oft aus einer Versunkenheit wecken, in der er träumend die Wege zurückging, die er vor mehr als einem halben Jahr gekommen war. Dann wieder bemächtigte sich seiner eine Unruhe, aus der er ohne Abschied aufbrechen wollte; aber Dankbarkeit und ein seltsames Unvermögen, den ersten Schritt zu tun, hielten ihn immer wieder zurück.

Da geschah etwas Unerwartetes. Der Pfarrer erhielt von der heiligen Inquisition die schriftliche Anfrage, ob Lienhard noch lebe. Er hatte den Fall längst für erledigt gehalten und erschrak bis ins Herz, als er das Schreiben las. Er ließ Lienhard zu sich rufen und setzte ihm ohne Umschweife die Gefährlichkeit seiner Lage auseinander. Der Knabe, der von Gerichten, Gesetzen und Prozessen nicht die geringste Vorstellung hatte, glaubte nicht recht, daß man ihn noch immer für das Hagelwetter verantwortlich machen wollte, er habe so oft von den Leuten gehört, daß niemand mehr daran denke, ihn jenes Unglück, an dem er unschuldig sei, büßen zu lassen. Der Pfarrer fragte ihn, ob er nicht doch lieber seine Sachen packen und wieder brennerauswärts wandern wolle, er entzöge sich damit der Gewalt des hiesigen Gerichts. Er könne ihm Geld und Kleider mitgeben, und sein Segen werde ihn bis ans Ziel begleiten.

Lienhard zitterte ein wenig. War das wieder hinter ihm? War er noch immer der Gehetzte, noch immer der Hexer? Aber die Leute würden es nicht dulden, daß man ihn gefangennähme, sie hätten ihn jetzt alle gern, sie bereuten schon längst, ihn verklagt zu haben, oft hätte er das zu hören bekommen.

Aber dann beschloß er dennoch zu gehen.


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