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Simson und Delila

Ein Mann stieg aus dem Autobus, der von Penzance nach St. Just-in-Penwith fährt, und wandte sich nordwärts, auf dem Hügelweg zum Polestar. Es war erst halb sieben, aber schon funkelten die Sterne, eine kalte kleine Brise wehte vom Meere her, und der dreitaktige Blink des Leuchtturms unter den Küstenklippen schlug rhythmisch in die beginnende Dunkelheit.

Der Mann war allein. Er fand seinen Weg ohne Zög ern, aber er blickte mit vorsichtiger Neugier hierhin und dorthin. Von Zeit zu Zeit ragten die hohen verfallenen Maschinenhallen der Zinngruben in der Dunkelheit auf wie Reste einer versunkenen Kultur. In den vielen Bergmannswohnungen, die regellos über das dunkle Hügelland verstreut lagen, flimmerten trostlos die Lichter – aber in ihrem Geflimmer war die einsame Schlichtheit der keltischen Nacht.

Er stapfte stetig vorwärts, mit immer reger Neugier um sich blickend. Er war ein hochgewachsener, wohlgebauter Mann, offenbar in der Vollkraft des Lebens. In den breiten Schultern hielt er sich ein wenig steif, und er beugte sich im Gehen etwas aus den Hüften vor, als müßte er sich bücken, um seine Länge zu verringern. Aber er beugte nicht die Schultern: er neigte seinen geraden Rücken aus den Hüften vor.

Dann und wann begegneten ihm cornische Bergleute, kurze, gedrungene, dickbeinige Gestalten, und er versäumte niemals, ihnen guten Abend zu sagen, als wollte er immer wieder betonen, daß er sich hier daheim fühlte. Und wie er nun so auf der düsteren Straße dahinging und bald zu den Lichtern der Häuser an Land, bald zu den Lichtern der Schiffe auf See hinüberblickte – sie umsegelten die Küste im Lichtbereich des Longships-Leuchtturms, und zwischen ihm und Amerika dehnte sich nun in Dunkelheit und Weite der ganze Atlantische Ozean da –: schien er ein wenig erregt, durchaus mit sich selbst zufrieden, witternd; und er zog dahin wie einer, der weiß, daß er überlegen ist und im Kampf seinen Mann steht.

Die Häuser rückten an die Straße heran und schlossen sie ein: er kam in das unregelmäßig hingestreute, gestaltlose, öde Bergwerksdorf, das ihm von alters her vertraut war. Zur Linken stand eins der Häuser ein wenig seitab von der Straße und glänzte mit gemütlichem Licht in die Dunkelheit: eine Schenke. Da ist sie ja, dachte er. Und er spähte zum Wirtshausschild empor: »Zur Bergmannsrast.« Aber er konnte den Namen des Eigentümers nicht entziffern. Er lauschte. Drinnen war erregtes Sprechen und Lachen, und eine Frauenstimme erklang schrill inmitten der Männerstimmen.

Er bückte sich ein wenig und trat in das warme Licht der Schankstube. Die Lampe brannte, und eine üppige Frau erhob sich von ihrem Platz am weißgescheuerten Spieltisch, auf dem die schwarzen und weißen und roten Karten verstreut lagen; die Gäste, Bergleute, blickten vom Spiel auf, dem neuen Gast entgegen.

Der Fremde ging zum Schanktisch, mit abgewandtem Gesicht. Die Mütze hatte er tief in die Stirn gezogen.

»Guten Abend«, sagte die Wirtin. Sie hatte eine recht angenehme Stimme.

»Guten Abend. Ein Glas Ale.«

»Ein Glas Ale«, wiederholte die Wirtin freundlich. »Kalt heute abend – aber schön klar.«

»Ja«, bestätigte der Mann einsilbig. Dann, als niemand mehr eine weitere Äußerung von ihm erwartete, fügte er hinzu: »Wetter, wie es zur Jahreszeit paßt.«

»Wie es zur Jahreszeit paßt, ganz richtig«, sagte die Wirtin.

»Danke schön.«

Der Mann hob das Glas mit einem Ruck an die Lippen und trank es leer. Dann setzte er es mit klirrendem Nachdruck auf die Zinkplatte des Schanktisches.

»Geben Sie mir noch eins«, sagte er.

Die Frau ließ das Bier einlaufen, und der Mann ging mit seinem Glas zum zweiten Tisch, der am Feuer stand. Die Frau nahm nach kurzem Zögern ihren Platz am Tische der Kartenspieler wieder ein. Sie hatte sich den Mann angesehen: ein großer, stattlicher Mensch, gut angezogen; ein Fremder.

Aber sein cornisch-amerikanisches Genäsel erschien ihr als die übliche Mundart der Bergleute.

Der Fremde stellte einen Fuß auf das Kamingitter und sah ins Feuer. Er sah hübsch aus, mit frischen Farben, gutgezogenen cornischen Augenbrauen und den üblichen blanken unbekümmerten cornischen Augen. Er schien in Gedanken versunken. Dann sah er zu den Kartenspielern hinüber.

Die Frau war drall und gesund, mit dunklem Haar und kleinen, rasch beweglichen braunen Augen. Sie barst vor Lebendigkeit und Kraft, die Leidenschaft, mit der sie sich in das Spiel warf, erregte auch die Männer; sie schrieen und lachten, und die Frau hielt sich die Brust fest und quiekte vor Lachen.

»O du mein Je, ich lach mich tot«, stöhnte sie. »Nee, hören Sie mal, Mr. Trevorrow, jetzt spielen Sie aber ehrlich. Spielen Sie ehrlich, sage ich, oder ich tu nicht mehr mit.«

»Ehrlich spielen –? Aber wer spielt hier denn unehrlich?« entrüstete sich Mr. Trevorrow. »Soll das vielleicht heißen, daß ich nicht ehrlich gespielt habe, Mrs. Nankervis?«

»Jawohl, das soll es heißen! So sag ichs, und so mein ichs. Haben Sie etwa nicht die Pikkönigin? Nee, bitte, keine Ausflüchte. Sie haben die Königin, das weiß ich so sicher wie, daß ich Alice heiße.«

»Na – also wenn Sie Alice heißen, denn muß ich sie Ihnen woll rausrücken – –«

»Na also – was hab ich gesagt? Hat man je so was von Mann gesehn? Mit Ihrer Frau haben Sie's wohl leicht, wenn Sie sie reinlegen wollen, was? Es scheint wahrhaftig so.«

Und sie lachte herzhaft und schallend. Aber sie wurde unterbrochen: Es erschienen vier Soldaten in Khaki-Uniform, ein kurzer stämmiger Sergeant mittleren Alters, ein junger Korporal und zwei junge Gemeine. Die Frau lehnte sich im Stuhl zurück.

»Oh, sieh mal an!« rief sie. »Da kommen ja unsere Jungens wieder, was? Und natürlich vollkommen kaputt – –«

»Kaputt, Muttchen?« rief der Sergeant. »Noch lange nicht!«

»Fehlt aber nicht viel dran«, sagte der eine der Gemeinen schwerfällig.

Die Frau stand auf.

»Das kann ich mir denken, Jungens. Und jetzt wollt ihr natürlich erst mal euer Abendbrot haben, was?«

»Dagegen wär wohl nichts einzuwenden.«

»Erst müssen wir mal 'n Tropfen Nasses haben«, sagte der Sergeant.

Eilfertig und geräuschvoll versorgte die Frau sie mit Getränken. Die Soldaten gingen zum Feuer und wärmten sich die gespreizten Hände.

»Euer Abendbrot wollt ihr wohl hier drinnen haben, was?« fragte sie. »Oder in der Küche?«

»Lieber hier drinnen«, sagte der Sergeant. »Ist gemütlicher – wenns Ihnen nichts ausmacht.«

»Wo ihr wollt, Jungens. Wo ihr wollt.«

Und sie verschwand. Nach einer Minute kam ein Mädchen von etwa sechzehn Jahren herein. Sie war hochgewachsen, von frischer Farbe; ihre dunkeln jungen Augen, mit gutgezogenen Brauen darüber, zeigten keinen merkbaren Ausdruck. Sie hatte die frühreife, weiche, gedankenlose Anmut des sinnlichen keltischen Frauentyps.

»Ho, Maryann! 'n Abend, Maryann! Na, Maryann, wie gehts?« klang ihr der vielstimmige Gruß entgegen.

Sie antwortete jedem mit weicher Stimme und einer seltsamen sanften Sicherheit, die sehr anziehend war. Und sie machte sich in der Gaststube zu schaffen, mit achtlos anmutigen Bewegungen, als wäre sie mit ihren Gedanken anderswo. Aber sie hatte in allem, was sie tat, diese merkwürdig ungreifbare und ferngerückte Art: das wirkte wie Bescheidenheit. Der Fremde am Feuer betrachtete sie aufmerksam. Sein Gesicht mit den gesunden Farben trug den Ausdruck einer wachen, nachdrücklich forschenden, unbekümmerten Neugier.

»Ich möchte gern einen Happen Abendbrot mit Ihnen essen, wenn das geht«, sagte er.

Sie blickte ihn mit ihren klaren, von keinem Gedanken verschatteten Augen an, die gar nicht wie Menschenaugen aussahen.

»Ich will Mutter fragen«, sagte sie. Ihre Stimme war ein sanft atmender weicher Singsang.

Als sie wieder hereinkam, sagte sie leise, fast flüsternd: »Mutter ists recht. Was wollen Sie haben?«

»Was gibts denn bei Ihnen?« fragte er dagegen und betrachtete ihr Gesicht.

»Kaltes Fleisch ist noch da – –«

»Gut, dann nehmen wir das.«

Der Fremde saß unten am Tische bei den müden, einsilbigen Soldaten. Die Wirtin war jetzt aufmerksam auf ihn geworden. Ihre Stirn hatte ein paar tiefe Furchen, und auf ihrem großen, gesunden Gesicht lag ein Ausdruck von Bestürzung; ihre kleinen braunen Augen blickten starr und unheilkündend. Sie war eine große, starke Frau, aber ihre Augen waren klein, voll gespannter Energie. Sie rückte in die Nähe des Fremden. Sie trug eine ziemlich grell gemusterte Bluse aus Baumwollflanell und einen dunkeln Rock.

»Was wollen Sie zum Essen trinken?« fragte sie, und ihre Stimme hatte einen veränderten, drohenden Unterton. Er rückte unbehaglich hin und her.

»Oh, ich will mal beim Ale bleiben.«

Sie schenkte ihm ein frisches Glas ein. Dann setzte sie sich zu ihm und den Soldaten auf die Bank am Tische und nagelte ihn mit ihren aufmerksamen Blicken fest.

»Sie sind von St. Just gekommen, was?« fragte sie.

Er sah sie an, mit den blanken, dunklen, unergründlichen Augen des cornischen Volkes; schließlich antwortete er:

»Nein, von Penzance.«

»Penzance! – aber Sie wollen doch wohl nicht etwa heute abend noch dahin zurück?«

»Nein, nein.«

Er sah sie noch immer an, mit seinen großen, klaren Augen, die wie sehr blanker Achat glänzten. Ihr Ärger stieg. Man las es deutlich auf ihrer Stirn. Ihre Stimme aber blieb sanft, als wollte sie ein drohendes Unheil abwenden.

»Das hab ich mir gedacht – aber Sie wohnen doch auch nicht hier in der Gegend, wie?«

»Nein – nein, wohnen tu ich hier auch nicht.« Seine Antworten kamen jedesmal so langsam, als stünde ein Hindernis zwischen ihm und jeder von draußen kommenden Frage.

»Aha, so«, sagte sie. »Dann haben Sie also Verwandte hier.«

Wieder sah er ihr gerade in die Augen, als sollte sein Blick sie zum Schweigen zwingen.

»Ja«, sagte er.

Dann sprach er kein Wort mehr. Sie erhob sich mit einem zornigen Ruck. Die Falten auf ihrer Stirn verrieten ihren Ärger. Mit dem Lachen und Kartenspielen war es an diesem Abend nichts mehr. An ihrem mütterlichen, freundlichen, wohlgelaunten Ton gegenüber den anderen änderte sich nichts. Aber sie kannten sie alle, und alle hatten Angst vor ihr.

Das Essen war beendet, der Tisch abgeräumt; aber der Fremde stand nicht auf. Zwei von den jungen Soldaten gingen zu Bett; lustig klang ihr Abschied:

»Gute Nacht, Muttchen. Gute Nacht, Maryann.«

Der Fremde schwatzte ein bißchen mit dem Sergeanten: über den Krieg (es war im ersten Kriegsjahr); über das neue Heer, von dem ein kleiner Teil hier im Bezirk im Quartier lag; über Amerika.

Die kleinen Augen der Wirtin schossen wütende Blicke auf ihn. Von Minute zu Minute schwoll das drohende Ungewitter in ihrem wogenden Busen, als der Fremde noch immer nicht ging. Sie bebte vor unterdrücktem leidenschaftlichen Zorn; ihre Wut hatte etwas Erschreckendes und Krankhaftes. Keinen Augenblick konnte sie still sitzen. Ihre Bewegungen wurden jäh, fahrig und krampfhaft, als wären es unbeherrschte Entladungen ihres schweren Körpers. Die Minuten vergingen, und immer noch saß er da, und die Spannung begann für sie unerträglich zu werden. Ihr Blick verfolgte die wandernden Zeiger der Uhr. Von den Soldaten war nur noch der alte Sergeant mit dem kurzgeschorenen Kopf und dem Terriergesicht da.

Die Wirtin saß hinter dem Schanktisch und blätterte mit nervös zuckenden Fingern in der Zeitung. Wieder sah sie auf die Uhr. Schließlich war es fünf Minuten vor zehn.

»Meine Herren – der Feind!« sagte sie mit ihrer wutgepreßten Stimme. »Feierabend, bitte. Feierabend, meine Lieben. Und gute Nacht alle miteinander!«

Die Gäste gingen, einer nach dem anderen, mit kurzem Gutenachtgruß. Es war eine Minute vor zehn. Die Wirtin stand auf.

»Kommt«, sagte sie. »Ich will abschließen.«

Der letzte von den Grubenarbeitern ging. Sie stand, stämmig und bedrohlich, die Hand auf der Türklinke. Der Fremde saß immer noch am Feuer, den schwarzen Überrock geöffnet, rauchend.

»Die Wirtschaft ist geschlossen, Sir«, klang die unheilverkündende gepreßte Stimme der Wirtin.

Der kleine Sergeant mit dem harten Schädel und dem Terriergesicht faßte den Fremden am Arm.

»Feierabend«, sagte er.

Der Fremde wandte sich im Stuhl, und seine rasch beweglichen, dunkeln, wie Edelsteine glänzenden Augen wanderten vom Sergeanten zur Wirtin.

»Ich bleib die Nacht hier«, sagte er kurz in seinem cornisch-amerikanischen Genäsel.

Die Wirtin schien ins Riesige zu wachsen. Sie hob den Blick auf eine seltsame und erschreckende Art.

»Ach nee!« rief sie. »Ach nee! Und wer hat das so bestimmt, wenn ich fragen darf?«

Wieder sah er sie an.

» Ich bestimme das«, sagte er.

Unwillkürlich schloß sie die Tür und kam wie ein großer gefährlicher Vogel auf ihn zu. Ihre Stimme wurde lauter und klang ein wenig heiser.

»Und was haben Sie zu bestimmen? Wollen Sie mir das mal sagen?« schrie sie. »Wer sind Sie denn überhaupt, daß Sie hier im Hause was zu sagen haben wollen?«

Er saß still und betrachtete sie.

»Sie wissen, wer ich bin«, sagte er. »Jedenfalls weiß ich, wer Sie sind.«

»Ach nee –? Ach nee –? Und wer bin ich denn, wenn Sie so freundlich sein wollen, mir das zu sagen?«

Er sah sie unverwandt an mit seinen blanken dunkeln Augen.

»Du bist meine Frau. Das bist du«, sagte er. »Und das weißt du so gut wie ich.«

Sie fuhr auf, als wäre in ihr eine Explosion erfolgt. Ihre Augen öffneten sich weit und flammten wie im Wahnsinn.

»So, weiß ich das –!!« schrie sie. »Gar nichts weiß ich! Gar nichts weiß ich! Glauben Sie, es kann einer hier einfach so in die Wirtschaft reinkommen und mir baß vor den Kopf sagen, ich wäre seine Frau, und ich soll ihm das glauben? Da irren Sie, das sag ich Ihnen, mögen Sie nun sein, wer Sie wollen. Ich kenne mich ja schließlich, und ich wüßte nicht, daß ich Ihre Frau wäre, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie machen würden, daß Sie rauskommen, jetzt, auf der Stelle, bevor ich die Leute hole, die Sie an die Luft setzen.«

Der Mann stand auf und streckte den Kopf ein wenig vor, um sie besser betrachten zu können. Er war ein hübscher, gutgebauter Mann in der Vollkraft seines Lebens.

»Was redest du da? Du kennst mich nicht?« sagte er, mit einer Stimme, die an den Singsang des Mädchens Maryann erinnerte: ohne Erregung, gedämpft, aber seltsam eindringlich. »Ich kenne dich jedenfalls, darauf kannst du dich verlassen. Ich kenne dich! Ich brauch dich nicht zweimal anzusehen, um dich zu kennen, siehst du. Und jetzt kapierst du wohl, nicht?«

Es war ihm gelungen, die Frau zu verblüffen.

»Sie haben gut reden«, stieß sie hervor. »Sie haben gut reden. Das ist leicht genug. Meinen Namen kennen die meisten Leute auf zehn Meilen in der Runde und achten ihn. Sie aber kenne ich nicht.« Ihre Stimme wurde spöttisch. »Könnte wahrhaftig nicht sagen, daß ich Sie kenne. Sie sind mir vollkommen fremd, und ich glaub auch nicht, daß ich Sie vor heute abend je zu Gesicht gekriegt habe.«

Ihre Stimme war biegsam und höhnisch.

»Doch hast du«, sagte der Mann in seiner vernünftigen Art. »Doch hast du. Dein Name ist mein Name, und das Mädel, die Maryann, ist meine Tochter. Du bist meine Frau, das stimmt schon. So sicher wie daß ich Willie Nankervis bin.«

Er sagte das, als wäre es eine allgemein anerkannte Tatsache. Sein Gesicht war hübsch; es verriet eine seltsame, wache, bewegliche Lebendigkeit und eine gründliche, unbeirrbare Entschlossenheit, vor denen die Frau einfach außer sich geriet.

»Sie Schuft!« schrie sie. »Sie Schuft! Kommt hier herein und wagt so zu mir zu reden! Sie Schuft, Sie Lump, der Sie sind!«

Er sah sie an.

»Tja«, sagte er unerschüttert. »Da haben wir die Geschichte.« Ihre Wut verursachte ihm Unbehagen. Aber Angst hatte er nicht. Er hatte etwas wie eine undurchdringliche Hülle um sich – undurchdringlich wie seine Augen, die blankem Achat glichen.

Sie schien noch zu wachsen und kam drohend auf ihn los.

»Sie scheren sich gefälligst aus dem Hause, ja?« Sie stampfte in einem plötzlichen Anfall blinder Wut mit dem Fuß. » Sofort

Er beobachtete sie. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen, das wußte er.

»Nein«, sagte er leise, aber nachdrücklich. »Ich hab dirs ja gesagt, ich bleibe.«

Er fürchtete ihren Jähzorn, aber das vermochte seinen Entschluß nicht zu erschüttern. Sie bebte. Die Pupillen ihrer gelbbraunen Augen zogen sich zusammen zu einem sprühenden blindwütigen Starren; wie Tigeraugen sahen sie aus. Der Mann zuckte unter diesem Blick, aber er behauptete das Feld. Dann besann sie sich. Sie wollte ihre Streitkräfte sammeln.

»Das wollen wir doch mal sehen, ob Sie hier bleiben«, sagte sie. Mit dem wunderlichen erschreckenden Heben des Blickes, das ihr eigen war, wandte sie sich und segelte wogend hinaus. Der Mann lauschte. Er hörte, wie sie die Treppe hinaufging; droben klopfte sie an eine Schlafkammertür und rief: »Könntet ihr wohl mal eine Minute herunterkommen, Jungens? Ich brauche euch. Ich werde nicht allein fertig.«

Der Mann am Schanktisch nahm die Mütze ab, zog den schwarzen Überzieher aus und warf beides auf den Stuhl, der hinter ihm stand. Er hatte kurzgehaltenes schwarzes Haar, das an den Schläfen zu ergrauen begann; zum dunkelgrauen Anzug, der nach amerikanischer Mode geschnitten war und tadellos saß, trug er einen Umlegekragen. Alles an ihm verriet Wohlhabenheit; er war ein gut und gediegen aussehender Mann. Die ein wenig steife Haltung der Schultern rührte daher, daß er sich in den Minen zweimal das Schlüsselbein gebrochen hatte.

Der kleine, in einer schmutzigen Khaki-Uniform steckende Sergeant mit dem Terriergesicht musterte ihn verstohlen von der Seite.

»Sie ist also Ihre Frau?« fragte er und wies mit einer Kopfbewegung zur Tür.

»Jawoll, das ist sie«, bellte der Fremde. »Sicher ist sie das.«

»Und Sie haben sie lange nicht gesehen, was?«

»Im März werdens sechzehn Jahre.«

»Hm.«

Und der Sergeant paffte seine Pfeife, ohne sich weiter zu äußern.

Die Wirtin kam zurück; hinter ihr schoben sich die drei jungen Soldaten, in Hemd und Hose, die Füße in Strümpfen, ziemlich verlegen in den Raum. Die Frau stellte sich in theatralischer Haltung an das Ende des Schanktisches und rief:

»Der Mann da weigert sich, das Haus zu verlassen, und verlangt, daß ich ihn hier behalten soll. Ihr wißt doch alle, daß ich kein Bett frei habe, nicht? Und das Haus ist nicht aufs Übernachten eingerichtet. Aber er will dableiben, trotz allem und allem! Das soll er nicht, solange ich noch einen Tropfen Blut in den Adern habe, so viel sage ich und sage es noch mit meinem letzten Atem. Und er wird nicht bleiben, wenn ihr wert seid, euch Männer zu nennen, und wenn ihr einer Frau helfen wollt, die auf dieser Welt keine Hilfe hat.«

Ihre Augen flammten, ihr Gesicht war gerötet. Sie stand da wie eine Amazone.

Die jungen Soldaten wußten nicht recht, was da zu tun sei. Sie sahen den Fremden an, sie sahen den Sergeanten an; einer blickte nieder und knöpfte seine Hosenträger fest. »Was sagen Sie dazu, Herr Sergeant?« fragte einer von ihnen mit einem Augenzwinkern, das Lust auf einen netten kleinen Spaß verriet.

»Er sagt, er wäre der Mann von Mrs. Nankervis«, sagte der Sergeant.

»Er ist nicht mein Mann. Ich erkläre, daß ich ihn nie im Leben gesehen habe. Ein dreckiger Schwindel ist das, nichts weiter – ein dreckiger Schwindel.«

»Na, da lügst du aber, wenn du sagst, du hättest mich nie im Leben gesehen«, bellte der Mann am Feuer. »Du bist meine Frau, und das Mädel, die Maryann, hast du von mir – das weißt du verdammt genau.«

Der junge Soldat beobachtete den Vorgang mit Vergnügen; der Sergeant rauchte mit unerschütterlicher Ruhe.

»Ja,« sang die Wirtin in wildem Hohn und schüttelte langsam den Kopf hin und her, »das klingt wunderschön, nicht? Aber sehen Sie, wir glauben kein Wort davon; und wie gedenken Sie es uns zu beweisen?« Sie lächelte tückisch.

Der Mann sah sie einen Augenblick stumm an; dann sagte er:

»Das braucht doch keinen Beweis.«

»O doch, doch, den brauchts! O doch, den brauchts, Sir; einen ganzen Haufen Beweise braucht das«, sang die Wirtin spöttisch. »So dämlich sind wir nun doch nicht, daß wir alles, was Sie sagen, einfach so runterschlucken.«

Er stand unerschüttert am Feuer. Sie stand am Schanktisch, eine Hand auf die Zinkplatte gestützt. Der Sergeant saß rauchend, mit gekreuzten Beinen, auf seinem Stuhle halbwegs zwischen beiden. Die drei jungen Soldaten, in Hemd und Hose, blieben unschlüssig im Dämmerlicht hinter dem Schanktisch. Niemand sprach ein Wort.

»Wissen Sie denn irgendwas über Ihren Mann, Mrs. Nankervis? Lebt er noch?« fragte schließlich der Sergeant im Tone der Vernehmung.

Unvermittelt fing die Wirtin an zu weinen: große heiße Tränen. Die jungen Soldaten sahen es mit fassungslosem Staunen.

»Gar nichts weiß ich von ihm«, schluchzte sie und suchte in der Tasche nach ihrem Schnupftuch. »Er hat mich verlassen, als Maryann noch ganz klein war, ist nach Amerika in die Minen gegangen, und nach den ersten sechs Monaten hat er mir nie mehr auch nur eine Zeile geschrieben und nie mehr auch nur einen Penny geschickt. Ich weiß nicht, ob er lebt oder gestorben ist, der Lump. Alles, was ich über ihn gehört hab, war nur Schlechtes – und jetzt hab ich schon jahrelang überhaupt nichts mehr gehört.« Sie schluchzte heftig.

Der Mann am Feuer beobachtete sie aufmerksam; sein hübsches goldbraunes Gesicht war gespannt. Er war erschrocken, er war verwirrt, er war bestürzt; aber keine dieser Empfindungen beeinträchtigte seine Entschlossenheit.

Außer dem heftigen Schluchzen der Wirtin war kein Laut vernehmbar. Die Männer waren allesamt ganz und gar überwältigt.

»Glauben Sie nicht auch, es wäre besser, wenn Sie gingen – wenigstens für heute abend?« sagte der Sergeant zu dem Fremden im Tone freundlicher Überredung. »Es wäre besser, Sie ließen sie erst mal allein und würden sich dann irgendwie mit ihr verständigen. Ich meine nämlich, wenn es so ist, wie sie sagt, dann können Sie hier schließlich keine großen Ansprüche machen. Und Sie sind ihr ein bißchen plötzlich über den Hals gekommen.«

Die Wirtin schluchzte herzzerbrechend. Der Fremde sah, wie ihre üppigen Brüste bebten. Der Anblick schien ihn zu bannen – er konnte gar nicht mehr wegsehen.

»Wie ich sie behandelt habe, das spielt hier gar keine Rolle«, sagte er. »Ich bin wieder da, und ich gedenke in meinem Hause zu bleiben – wenigstens eine Zeit lang. So, jetzt wissen Sie's.«

»Eine schuftige Art«, sagte der Sergeant und wurde dunkelrot vor Entrüstung. »Eine schuftige Art ist das, eine Frau so lange Jahre sitzen zu lassen und dann einfach wiederzukommen und sich ihr aufzwingen zu wollen. Eine schuftige Art – und gesetzwidrig ist es obendrein.«

Die Wirtin wischte sich die Augen.

»Ich scher mich den Teufel um Gesetz und so was«, schrie der Mann mit veränderter starker Stimme. »Ich geh heut abend nicht aus der Wirtschaft raus.«

Die Wirtin wandte sich zu den Soldaten und sagte in einem Tone, der schmeichlerisch überredend und spöttisch zugleich war:

»Wollen wir uns das gefallen lassen, Jungens? Sergeant Thomas – wollen wir uns derartig hochnehmen lassen, von einem Lumpen und Maulhelden, der da drüben in den amerikanischen Bergarbeiterlagern ein Leben geführt hat, das man überhaupt nicht schildern kann? – und der nun wiederkommt, um einer armen Frau das Leben zu ruinieren und ihre Ersparnisse zu versaufen? – und früher hat er sie und ihr kleines Kind verlassen, und sie konnte sehen, wie sie sich durchbrachte? Es ist eine himmelschreiende Schande, wenn mir jetzt niemand hilft – eine himmelschreiende Schande.«

Den Soldaten und dem kleinen Sergeanten begann der Kamm zu schwellen. Die Frau bückte sich und kramte einen Augenblick unter dem Schanktisch. Dann warf sie, unbemerkt von dem Fremden am Feuer, ein aus Gras geflochtenes Seil, wie man es zum Verschnüren von Ballen braucht, zu den Soldaten hinüber. Es blieb im Dunkeln hinter dem Schanktisch am Boden liegen.

Und nun erhob sie sich und handelte.

»Kommen Sie,« sagte sie zu dem Fremden, im Tone vernünftigen Zuredens und eiskalter Freundlichkeit, »ziehen Sie Ihren Überzieher an und verabschieden Sie sich, ja? Nehmen Sie Vernunft an. Sie können in St. Just leicht genug ein Bett kriegen, und wenn Sie kein Geld haben, leiht Ihnen der Sergeant ein paar Schillinge Schlafgeld. Das tut er gewiß gern.«

Alle sahen gespannt den Fremden an. Er aber hatte nur für die Frau Augen – er starrte sie an wie einer, der verhext oder von einem bösen Dämon besessen ist.

»Geld hab ich selbst«, sagte er. »Hab bloß keine Angst um dein Geld. Von dem Zeug habe ich selbst genug, reichlich, für den Augenblick.«

»Na also,« schmeichelte sie im Versöhnungston, der aber kalt, fast spöttisch klang, »dann seien Sie doch vernünftig – ziehen Sie Ihren Überzieher an und gehen Sie dahin, wo man Sie haben will.«

Sie war ganz nahe an ihn herangekommen, überredend, aufreizend schmeichlerisch, ganz besessen von ihrer Absicht. Er starrte sie an mit seinem behexten Gesicht.

»Nein«, sagte er. »Tu ich nicht. Fällt mir nicht ein. Du sollst mich diese Nacht unterbringen, hier.«

»Soll ich?« rief sie. Und mit einem jähen Ruck warf sie die Arme um ihn und hängte sich an ihn mit der ganzen Kraft ihres schweren Körpers. »Nehmt das Seil, Jungens!« rief sie den Soldaten zu. »Bindet ihn! Alfred – John rasch!«

Der Mann reckte seinen mächtigen Körper und bäumte sich unter ihrem Griff und sah mit wuttollen Augen um sich. Aber auch die Frau war stark und schwer, und sie klammerte sich an ihn mit einer Entschlossenheit auf Tod und Leben. Ihr Gesicht, triumphierend und grauenvoll gehässig, lag an seiner Brust und sah zu ihm auf; er warf verzweifelt den Kopf zurück, um von ihr loszukommen. Die Soldaten hatten einen Augenblick zugesehen, wie er, ein furchtbar umstrickter Laokoon, sich freizumachen versuchte; jetzt aber rührten sie sich, und der Boshafte unter ihnen kam eiligst mit dem Seil herbei. Es war ein wenig verknotet.

»Gib mir mal das Ende her!« rief der Sergeant.

Der schwere Mann bäumte sich und kämpfte und schwenkte krampfhaft zuckend vor Anstrengung, sich zu befreien, die Frau rundum gegen Stuhl und Tisch. Aber sie preßte ihm die Arme so fest an den Leib, als hätte ein Tintenfisch ihn eng umstrickt. Er bäumte und wand sich, lärmend zog sich der Kampf durch den Raum, die Soldaten sprangen hinterdrein, und bumsend krachten die Möbel.

Dem jungen Soldaten war es mit Hilfe des flinken Sergeanten gelungen, das Seil einmal um den Körper des Fremden zu schlingen. Die Frau ließ ihre schwere Umklammerung tiefer gleiten: nun konnten sie das Seil schon mehrmals um ihn schlingen. Im Kämpfen fiel das Opfer hintenüber gegen den Tisch. Die Windungen des Strickes zogen sich fester, bis sie ihm in die Arme schnitten. Jetzt umschlang die Frau seine Kniee. Einer der Soldaten rannte, in einem plötzlichen gescheiten Einfall, herbei und band mit seinen Hosenträgern dem Fremden die Füße zusammen. Stühle waren krachend zu Boden gefallen, der Tisch war gegen die Wand geschleudert: aber der Mann war gefesselt, die Arme waren ihm eng an den Leib gebunden, die Füße zusammengeschnürt. Halb zu Boden gestürzt, an den Tisch gelehnt, lag er einen Augenblick still.

Die Frau ließ ihn los und sank erschöpft auf einen Stuhl an der Wand. Ihre Brust wogte, sprechen konnte sie nicht, ihr war zumute, als müßte sie sterben. Der Gefesselte lag an den umgestürzten Tisch gelehnt; sein Rock war durch die Umschnürung so verdreht und hochgezogen, daß er die Lenden freigab. Die Soldaten standen um ihn herum, ein bißchen benommen, aber erregt vom Kampf.

Wieder begann der Mann sich gegen den Strick zu wehren: er machte es so, daß er in langen, tiefen Zügen Atem holte und sich aufbäumend gegen die Windungen stemmte. Die goldbraune Haut seines Gesichtes wurde dunkelrot, als wollte das Blut sie sprengen; wieder bäumte er sich auf. Die Adern seines Halses schwollen zu dicken Strängen. Aber es war vergeblich; er gab es auf. Dann wieder, plötzlich, stieß er mit den Füßen.

»Nimm noch 'nen Hosenträger, William!« schrie der aufgeregte Soldat. Er warf sich auf die Beine des Gefesselten und brachte es fertig, ihm die Kniee zusammenzubinden. Dann war wieder einen Augenblick Ruhe. Sie konnten die Uhr ticken hören.

Die Frau betrachtete den ausgestreckten Körper: die kräftigen, geraden Schenkel, den starken, jetzt machtlos gekrümmten Rücken, das Gesicht mit den weitaufgerissenen Augen; sie mußte an ein Kalb denken, das in einen Sack verschnürt auf einen Karren geworfen ist, so daß nur der Kopf heraussieht. Und sie triumphierte.

Wieder bäumte der gefesselte Körper sich auf. Gebannt sah sie die schwellenden Muskeln, die Schultern, die Hüften, die starken, geraden Schenkel. Selbst jetzt noch war es möglich, daß er die Fesseln sprengte. Sie bekam Angst. Aber der aufgeweckte junge Soldat setzte sich auf die Schultern des Gefesselten, und nach ein paar gefährlichen Augenblicken war wieder Ruhe.

»So,« sagte, als besonnener Mann, der Sergeant zu dem Gefesselten, »wenn wir Sie jetzt losbinden – wollen Sie dann versprechen, abzuziehen und keinen Krach mehr zu machen?«

»Hier drinnen wird er nicht losgebunden!« rief die Frau. »Ich trau ihm nicht von hier bis da!«

Einen Augenblick schwiegen alle.

»Wir können ihn ja hinausbringen und ihn da losbinden«, sagte der Soldat. »Und wenn er dann immer noch Krach macht, holen wir den Polizisten.«

»Ja«, sagte der Sergeant. »So läßt sichs machen.« Dann, zum Gefangenen, in einem veränderten, beinahe strengen Ton: »Wenn wir Sie draußen losbinden – wollen Sie dann Ihren Überzieher anziehen und gehen, ohne hier noch mehr Scherereien zu machen?«

Aber der Gefangene antwortete nicht; er lag mit weit offenen, dunkeln, blanken Augen da, wie ein gefesseltes Tier. Es entstand eine Pause ratlosen Schweigens.

»Na, los, dann macht es doch so«, sagte die Frau ungeduldig. »Bringt ihn hinaus, und dann wollen wir das Haus abschließen.«

So geschah es. Die vier Soldaten nahmen den Gefesselten auf und stolperten mit ihrer Last schwerfällig auf den Platz vor dem Gasthaus hinaus; die Frau folgte ihnen mit der Mütze und dem Überzieher. Draußen banden die Soldaten rasch die Hosenträger von den Beinen des Fremden los und sprangen eiligst in den Eingang zurück. Sie liefen ja auf Strümpfen, und die sternenblitzende Nacht war kalt. In der Haustür warteten sie. Der Mann lag ganz still auf der kalten Erde.

»So«, sagte der Sergeant mit gedämpfter Stimme. »Jetzt gehen Sie ins Haus, Mrs. Nankervis, ich mache den Knoten los, und dann kann er sich allein weiterhelfen.«

Sie warf einen letzten Blick auf den zerzausten, gefesselten Mann, der am Boden saß. Dann ging sie ins Haus, und der Sergeant folgte ihr rasch. Der Zurückgelassene hörte, wie sie die Tür von drinnen abschlossen und verrammelten.

Er begann heftig zu arbeiten und zu zerren, um sich von dem Seil zu befreien. Aber das war auch jetzt noch nicht so leicht. Es gelang ihm, auf die Füße zu kommen – da seine Hände gebunden waren, kostete es Anstrengung; dann rieb er das Seil an der rauhen Kante einer alten Mauer. Da der Strick aus einer Art von geflochtenem Grase bestand, zerfaserte er bald und riß; die Befreiung war gelungen. Der Mann stellte fest, daß er mehrere Beulen hatte. Seine Arme waren zerschunden und wundgequetscht durch die Fesseln. Er rieb sie langsam. Dann zupfte er seine Kleider zurecht, bückte sich, setzte seine Mütze auf, zog mühsam den Überzieher an und ging weg.

Die Sterne funkelten stark und hell. Klar wie Kristall schlug der Lichtstrahl des Leuchtturms unter dem Klippenrand mit rhythmischem Takt in die Schwärze der Nacht. Mit dumpfem Kopf ging der Mann auf der Straße dahin und am Friedhof vorüber. Dann stand er lange Zeit an eine Mauer gelehnt, reglos.

Schließlich kam ihm zum Bewußtsein, daß seine Füße eiskalt waren. Er riß sich zusammen, wandte sich und ging wieder in die schweigende Nacht hinein, in der Richtung auf das Gasthaus.

Das Schankzimmer war dunkel. Aber in der Küche war Licht. Er zögerte. Dann legte er leise und gelassen die Hand auf die Klinke.

Zu seiner Überraschung gab sie nach. Er trat ein und schloß die Tür leise hinter sich. Er ging am Schanktisch vorüber, die Stufe hinab und durch den Flur zur hellen Küchentür. Da saß seine Frau vor dem Herde, auf dem ein Stechginsterfeuer brannte. Sie saß in einem Stuhl dem Herde zugewandt, mit gespreizten Knieen, die Füße auf dem Herdgitter. Als er hereinkam, sah sie ihn über die Schulter hinweg an, aber sie sagte nichts. Dann starrte sie wieder ins Feuer.

Es war eine kleine, enge Küche. Er warf seine Mütze auf den mit gelblichem Wachstuch bespannten Tisch und setzte sich auf einen Stuhl mit dem Rücken zur Wand, in der Nähe des Backherdes. Seine Frau starrte ins Feuer, regungslos. Ihre Haut schimmerte weich und rosig im Feuerschein. Alles im Hause leuchtete und funkelte vor Sauberkeit. Der Mann saß mit gesenktem Kopfe, auch er stumm. Und so blieben sie.

Jeder erwartete vom anderen, daß er zuerst reden sollte. Die Frau bückte sich und stieß durch die Stäbe des Herdgitters nach den Enden der Scheite, um das Feuer zu schüren. Der Mann hob den Kopf und sah sie an.

»Die andern sind zu Bett, was?« fragte er.

Aber sie verschloß sich trotzig in Schweigen.

»Kalt ists draußen heute«, sagte er, als spräche er zu sich selbst.

Und er legte seine große, aber wohlgeformte Arbeiterhand auf die Platte des Backherdes, die glänzend schwarz und blank war wie Samt. Die Frau tat, als sähe sie ihn nicht an, aber sie spähte doch aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber.

Seine blanken Augen waren auf sie gerichtet, mit weiten glimmernden Pupillen, wie Katzenaugen.

»Unter Tausenden hätte ich dich sofort rausgefischt«, sagte er. »Wenn du auch dicker geworden bist, als ich dachte. Schönes dralles Fleisch hast du angesetzt.«

Sie schwieg noch eine Weile. Dann wandte sie sich im Stuhl zu ihm hin.

»Wie stellst du dir das nun eigentlich vor?« fragte sie, »– mir einfach so nach fünfzehn Jahren wieder auf den Hals zu rücken? Du glaubst doch wohl nicht, daß ich nichts von dir gehört habe – wie du's in Butte City und anderswo getrieben hast?«

Er betrachtete sie aufmerksam mit seinen klaren, durchscheinenden, unverändert ruhigen Augen.

»Natürlich hast du«, sagte er. »Der eine kommt, der andere geht – ich hab manchmal auch was von dir gehört.«

Sie richtete sich kampfbereit auf. »Und was für Lügen haben sie dir über mich erzählt?« fragte sie verächtlich.

»Ich wüßte nicht, daß ich Lügen über dich gehört hätte – bloß daß es dir sehr gut ginge, und so was.«

Seine Stimme klang bedächtig und unbeteiligt. Wieder wallte der Ärger heftig in ihr auf. Aber sie bezwang sich, weil sie die in ihm lauernde Gefahr spürte – und mehr noch vielleicht deshalb, weil die Schönheit seines Kopfes und seiner waagerechten Brauen sie schon wieder bannte und nicht losließ.

»Das ist mehr, als ich von dir behaupten kann«, sagte sie. »Von dir hab ich mehr Schlimmes als Gutes gehört.«

»Tja, kann ich mir denken«, sagte er und sah ins Feuer. Wie lange ist es schon her, daß ich dieses Stechginsterfeuer hab brennen sehen! sagte er zu sich selbst. Beide schwiegen, und während dieses Schweigens beobachtete sie sein Gesicht.

»Nennst du das eigentlich wie ein Mann handeln?« sagte sie, und in ihrer Stimme war mehr verächtlicher Vorwurf als Zorn. »Eine Frau sitzen zu lassen, wie du mich hast sitzen lassen, ganz gleich, was aus ihr wird – und dann auf die Art einfach wiederzukommen, ohne ein Wort der Erklärung und Entschuldigung?«

Er beugte sich vor, spreizte im Sitzen die Beine, stützte die Ellbogen auf die Kniee und sah unverwandt ins Feuer. So nahe war ihr sein Kopf mit dem enganliegenden schwarzen Haar, daß sie sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, wegzurücken – als fürchtete sie gebissen zu werden.

»Nennst du das wie ein Mann handeln?« fragte sie nochmals.

»Nee«, sagte er und stieß die Scheite mit den Fingern tiefer ins Feuer. »Ich hab das überhaupt nicht mit Namen genannt, soviel ich weiß. Es kommt gar nichts dabei raus, wenn man alles immer gleich mit Namen nennt, soviel ich weiß.«

Sie betrachtete ihn aufmerksam. Die Pausen zwischen Rede und Gegenrede wurden immer länger, aber die beiden merkten es nicht.

»Ich möchte wahrhaftig wohl mal wissen, was du eigentlich von dir selber denkst!« rief sie mit zorniger Heftigkeit. »Ich möchte wahrhaftig wohl mal wissen, für was für eine Art von Kerl du dich eigentlich selber hältst!« Ihr hilfloses Staunen war tatsächlich ebenso groß wie ihr Zorn.

»Meinetwegen«, sagte er und hob den Kopf, um sie anzusehen, »will ich mich gern für meine Fehler verantworten, wenn alle andern es ebenso machen wollen.«

Feuerheiß schoß ihr das Blut zum Herzen, als er das Gesicht so zu ihr erhob. Sie atmete schwer und wandte sich ab, da sie fast die Gewalt über sich selbst verlor.

»Und für was hältst du mich eigentlich?« rief sie, nun wahrhaft ratlos.

»Ich halte dich«, sagte er mit der wortkargen Aufrichtigkeit, die ihm solche Macht über sie gab, »für ein verdammt fixes Frauenzimmer – der Deubel soll mich holen, wenn du's nicht mit allen aufnehmen kannst, die mir je übern Weg gelaufen sind; famos gebaut – und hübsch obendrein. Hätte nicht erwartet, daß du so hübsch Fleisch ansetzen würdest – wahrhaftig, ich hätts nicht erwartet.«

Feuerheiß schoß ihr das Blut zum Herzen, als er sie so unverwandt mit seinen blanken Achataugen ansah.

»Daraus hast du dir auch was gemacht, fünfzehn Jahre lang, wahrhaftig«, sagte sie.

Darauf antwortete er nicht; er saß nur da und sah sie mit blanken behenden Augen an.

Dann stand er auf. Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Aber er sagte nur in seiner wortkargen, bedachtsamen Art:

»Jetzt wirds mir zu warm hier drinnen.«

Und er zog seinen Überzieher aus und warf ihn auf den Tisch. Sie sah zu, und es war, als ob sie sich ein wenig duckte.

»Der Strick hat mir die Arme richtig zerschunden, der verdammte Strick.« Er betastete die schmerzenden Stellen mit der Hand.

Sie saß immer noch in ihrem Stuhl, ein wenig geduckt.

»Schneidig war das, verdammt schneidig, wie du mich vorhin reingelegt hast, was?« sagte er langsam und lächelnd. »Donner auch, das war 'ne Leistung, wie du mich festgemacht hast; 'ne Leistung war das. Hol mich der Deubel, sauber war das, wie du mich festgemacht hast – sauber war das.«

Er beugte sich im Sitzen vor.

»Ich nehme dir das nicht weiter übel; nee, Gott straf mich, wenn ich dir das übel nehme. Draufgehn müßt ihr Weiber, richtig draufgehn; das gefällt mir. Wahrhaftig, das gefällt mir.«

Sie starrte stumm ins Feuer.

»Vom ersten Tage an haben wir uns gekabbelt. Und gleich in der ersten Minute, wo du mich siehst, fängste wieder an. Hol mich der Deubel – du warst mir über. Ein verdammt tüchtiges Weibsbild; lieferst 'ne Schlacht, die sich sehen lassen kann. Verdammt will ich sein, wenn ich in den Staaten zum zweiten Mal 'en Frauenzimmer finde, das mich so unterkriegt. Ein richtig famoses Frauenzimmer bist du, schneidig und alles, das muß dir der Neid lassen, bei Gott.«

Sie saß und starrte mit glühenden Augen ins Feuer.

»So viel Schneid, wie 'n Mann sich bei 'ner Frau nur wünschen kann, so wahr ich hier sitze«, sagte er, schickte seine Hand auf Kundschaft aus und legte sie zwischen ihre üppigen warmen Brüste, mit gelassener Selbstverständlichkeit.

Sie zuckte zusammen, und es war, als erschauerte sie. Aber seine Hand nistete sich drängend zwischen ihren Brüsten ein, und sie starrte ins Feuer.

»Und glaub du ja nicht, daß ich wie'n Bettler wiederkomme«, sagte er. »Ich hab mehr als tausend Pfund, die mir ganz allein gehören; jawoll. Und en bißchen Krach zum Gutentagsagen hab ich ganz gern; das find ich ganz nett. Aber deswegen kannste nu schließlich doch wohl nicht leugnen, daß du meine Frau bist – –«


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