Heinrich Lautensack
Leben Taten und Meinungen des sehr berühmten russischen Detektivs Maximow
Heinrich Lautensack

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(Intermezzo.)

Und das Fazit aus demselbigen Traum: Den andern Abend befahl Maximow einer Polizeiagentin (wenn auch nicht gerade in der rosigsten Laune): Also ein paar von den seidenen Unterröcken anziehn und sich mit dem in Tatianas Nachlaß vorgefundenen Odeur – aber schwer, sag ich Ihnen – parfümieren! Und Stiefelettchen runter und gegen Filzschuhe vertauscht!

Und um Mitternacht begab sich die also angetane Agentin dann vor Graf Studnitskis Zelle, klopfte dreimal langsam und sehr feierlich an und ging, stets in unmittelbarer Nähe der Zellentür, auf und nieder. Auf und nieder.

Auf und nieder.

Hin und her.

So,

so ist's recht,

so – ja! . . .

(So daß Maximow all seine gute Laune von früher wieder ankam!)

Und das schwere Parfüm drang – wie das leibhaftige »Leben« – durch die Gucklöcher der Türe von der Zelle – – und der Gefangene schnob den ihm wohlbekannten Geruch ein – – und vernahm das Knistern des Froufrou – – und hörte doch bei alldem keine Schritte: daher die Pantinen – und wähnte also vollkommen und voller Entsetzen: Tatianas Geiste kämen ihn besuchen!

Polen sind, wie alle Slawen, im allgemeinen sehr abergläubisch. Und die Einsamkeit und die Finsternis, die vermehrten nur noch des Grafen Entsetzen. So daß er brüllte, stöhnte und wimmerte – wie nur ein wildes Tier. – Und niemand kam, wie er auch rief. Die sogenannte Mörderzelle, in der er interniert war, lag gänzlich separiert. – Endlich erschien der Aufseher; zusammen mit Maximow. Und dieser letztere stellte sich dem Grafen, der fast kein Mensch mehr war, vor, und erklärte, daß er aus St. Petersburg abkommandiert sei, die Ursachen von Tatianas Mord zu untersuchen und in diesen mysteriösen Fall Licht zu bringen.

Und der Gefangene, der erzählte in gar abgerissenen und sich überstürzenden Worten das, was er soeben erlebt hatte. Und die beiden hörten teilnahmsvoll zu und taten tief erschüttert. Und das Gespenst übrigens, das mußte unmittelbar vor ihrem Kommen wieder gegangen sein. – Und die beiden Beamten, die wollten sich nun gleichfalls wieder entfernen. Da aber flehte sie Graf Studnitski an, doch bei ihm zu bleiben. Sie aber weigerten die Erfüllung eines solchen »reglementswidrigen« Begehrens auf das entschiedenste. (Was konnte der Graf viel von »Hausordnung« wissen!)

Nach längerem Hinundherreden einigte man sich dahin, das für morgen projektierte Verhör etwa jetzt schon abzuhalten. Die Vornahme einer solchen Amtshandlung böte einzig und allein hinreichenden gesetzlichen Grund, den Grafen aus der Zelle – für einige Zeit wenigstens – herauszunehmen. – Und sie begaben sich alle drei in ein komfortabel möbliertes Empfangszimmer. Die Aussicht, unter Menschen zu bleiben, bewirkte Wunder bei dem Verhafteten. Auch sprach Maximow mit dem Gefangenen auf das herzlichste. Im Gegensatz zu dem groben brutalen Untersuchungsrichter, der für keinerlei Gedankenaustausch zu haben gewesen.

Maximow stellte nur Fragen. Solche und solche. Und Graf Studnitski benutzte eine seit Wochen entbehrte Gelegenheit – ja, seine eigenen Worte berauschten ihn förmlich. Der unheimliche soeben durchgemachte Vorfall, der bot für's erste genügend Stoff. Es ist charakteristisch, daß Menschen ihnen unverständliche schauerliche Ereignisse gern immer wieder besprechen und dabei immermehr ausschmücken. So auch hier.

Der Untersuchungsgefangene vergaß gänzlich, daß er eigentlich einen »Richter« vor sich habe. Was weniger daher kam, daß Maximow zu ihm wie ein Kavalier zu einem andern Kavalier zu sprechen sich bemühte als vielmehr: daß der Graf grad' wie aus einem Delirium daherredete.

Er beteuerte: er hätte die Tote geliebt, gehaßt und gefürchtet. Und das dreimalige Klopfen der Erscheinung vorhin, dieses deutete er: daß »sie« ihn innerhalb dreier Tage zu sich ins Grab holen wolle. – Und nach und nach erzählte er die ganze Leidensgeschichte: –

Vor ca. drei Jahren war's, daß Graf Studnitski Tatiana in einem Varieté kennenlernte. Und infolge einer sinnlosen Betrunkenheit das arg heruntergekommene Wesen erst ins Separee zu sich und später dann gar mit nach Hause nahm. – Durch also sklavische Unterwürfigkeit und also weitgehendste Erfüllung all seiner Launen wie es selbst bei Damen dieses Métiers eine Seltenheit ist – fesselte sie ihn. Und nachdem das Verhältnis bereits eine längere Zeit gedauert hatte, mietete er ihr, um gänzlich ungeniert zu sein, eine Wohnung. – Sie erweckte in ihm sadistische und andere perverse Neigungen. Und wozu ihn ursprünglich Neugierde verleitet, das wurde ihm bald zum Bedürfnis und zur Gewohnheit. – Die demoralisierende und nervenzerrüttende Wirkung blieb nicht aus.

Obschon Tatiana scheinbar blind gehorchte, geriet Studnitski bald vollständig unter ihren Einfluß. Sie verstand es, Wünsche, an deren Erfüllung ihr viel gelegen war, ihm gleichsam zu suggerieren. – Ihre Armut hatte sie früher gezwungen, sich vieles zu versagen, und der Luxus, den glücklichere Kolleginnen trieben, noch jedesmal ihren Neid erweckt. Und ihr ganzes Streben und Sehnen war von früh an dahingegangen, die andern alle dereinst überbieten zu können. Und da sie fest davon überzeugt war, daß ihr neuer Freund ebenso reich wie geizig wäre, so schien ihr der richtige Augenblick gekommen.

Seinen von allem Anfang an häufigen Klagen: ein solch teueres Leben ruiniere ihn – schenkte Tatiana nicht den geringsten Glauben. Und um solche Szenen abzukürzen, wo nicht ganz zu vermeiden, und gleichzeitig rührendste Anhänglichkeit und Treue zu dokumentieren, erklärte sie oft: »Kommt die Not, dann sterben wir gemeinsam.«

Tränen, Küsse und – verrückte neue Einkäufe! So endete das allemal. – – – – Aber noch ein anderes geschah: Bald widerstrebte es dem Grafen förmlich auch nur daran zu denken wie es wäre ein Weib zu umarmen, das nicht weinte und stöhnte vor Schmerzen. Und die Abnahme der nötigen Kraft zur intensiven Liebesausübung weckte in ihm das Verlangen nach noch stärkeren Reizmitteln – Peitsche und Stock genügten nicht mehr. Das weiße Fleisch des Mädchens zu beißen, die Angst zu beobachten und die Gegenwehr zu brechen, bis ins Innerste zu wühlen, das dampfende Blut zu trinken, ja, wie sich gänzlich in dieses Weib hineinzu . . . hineinzuessen: danach gelüstete ihn.

Die Reaktion nach solchen . . . nach solchen Wutanfällen war eine gräßliche. Er erkannte allemal deutlicher das Gefährliche dieser Situation: die Sache mußte eines Tages mit Lustmord enden. – Und immer wieder nahm er sich vor, dieses Weib fortan zu meiden; und immer wieder brach er den Vorsatz. Tatiana übte eine dämonische Anziehungskraft auf ihn aus. Auch glaubte er das Mädchen genügend zu kennen: sie würde trotz ihrer scheinbaren Unterwürfigkeit nie gutwillig auf eine Trennung eingehen!

Und es zum Bruch kommen lassen? – Dann erfuhr alle Welt (dafür würde Tatiana schon sorgen) von seinen sadistischen Neigungen. Und mit dem Bekanntwerden dieser Tatsache ging seine letzte Rettung – sich gut verheiraten! – verloren. – Deshalb auch vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter das Märchen vom religiösen Wahnsinn! . . .

Das Verhältnis fortsetzen wie auch das Verhältnis abbrechen – beides mußte ihm unbedingt verderblich werden. Also nur der Tod des Mädchens konnte helfen . . .

Und da war's wieder einmal, daß Tatiana dringend Geld forderte. Und Graf Studnitski weigerte es diesmal beharrlicher denn je, indem er behauptete, unmittelbar vor dem Ruin zu stehen. Und wieder einmal ward Tatiana sehr sentimental und aber diesmal schien es, als ob der Graf ihrer Versicherung, beim Eintritt der finanziellen Katastrophe mit ihm sterben zu wollen, weniger Glauben schenkte denn je. So daß Tatiana sich hinsetzte und – nach seinem Diktat – Abschiedsbriefe verfaßte. – Das Aufsetzen solcher Schreiben hat ja weiter keinen nachteiligen Einfluß auf die Gesundheit; andernfalls wäre sie wohl kaum so bereitwillig gewesen . . .

Die Ausführung der Tat wurde dann selbstverständlich verschoben, das Geld hingegen bewilligt. – Und ungefähr drei Wochen dann nach dieser Abschiedsbriefaffäre schilderte der Graf seiner Tatiana den Selbstmord eines reichen Kiewer Kaufmanns. Der Fall hatte großes Aufsehen erregt – und Graf Studnitski behauptete, ihm sei es nach der ärztlich festgestellten Schußrichtung völlig unbegreiflich, wie der Lebensmüde die Waffe im Augenblick der Entladung gehalten habe. Selbstmord? Nur wenn man die Beteiligung einer dritten Person annehme, lasse sich die Sache erklären . . .

Und im Verlauf der Unterhaltung nahm der Graf den Taschenrevolver, den er, wie Tatiana bekannt war, stets bei sich trug, um in der Hand der angeblich entladenen Waffe den Vorgang, wie er sich ihn dachte, zu rekonstruieren . . . und die Kugel traf gut. Und der Tod erfolgte sofort. – Und Graf Studnitski brach neben der Leiche ohnmächtig zusammen.

Und erst nach einigen Stunden kehrte ihm das Bewußtsein zurück. Er empfand heftigste Reue. Aber es war keine Umkehr mehr.

Die Waffe, mit der er die Tat vollführt hatte, die kannte niemand. Er hatte diesen Revolver vor längerer Zeit im Ausland gekauft – und nur Tatiana hatte um ihn gewußt. Und der Art der Schußwunde nach mußten die ärztlichen Sachverständigen unbedingt die Möglichkeit des Selbstmordes befürworten.

Auch der echte Abschiedsbrief des Mädchens lag vor! – konzentrierte sich also seine Hauptsorge darauf: alle Gegenstände, die das Sadistische des Verhältnisses verraten konnten, zu beseitigen. Nur die Geißel mochte bleiben – des religiösen Wahnsinns wegen.

Zu Anfang des Liebestaumels hatte Studnitski einige recht perverse Briefe an Tatiana gesandt. Und Tatiana hatte später versichert, daß diese Briefe längst verbrannt seien. Was Studnitski ganz und gar nicht glauben wollte. Deshalb auch durchsuchte er, ehe er die Polizei rief, die ganze Wohnung. – Die allgemein behauptete Heirat in England hingegen – an der wäre kein wahres Wort (wie Studnitski zuletzt Maximow versicherte).

Und nächsten Tag dann vor dem Untersuchungsrichter, am Schluß seines wiederholten Geständnisses:

– An jener Heirat in England hingegen, nein nein nein nein, daran ist wirklich kein wahres Wort! Und es ist mir geradezu unerfindlich, wie die Welt zu einem solchen Gerücht gekommen sein mag! . . .


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