Heinrich Lautensack
Leben Taten und Meinungen des sehr berühmten russischen Detektivs Maximow
Heinrich Lautensack

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Das dritte Kapitel

(Maximow – ein Verführer? Mais quand même . . . wieweit wohl würde er dieses dann nur widerwillens; anders ausgedrückt . . . bis zu welchem Grade war er darin nichts als ein Produkt seiner Verhältnisse? – Diese Frage, die übrigens eine Doktorfrage ist, auch noch auf jene famose Katzengeschichte ausgedehnt.)

Als das junge Mädchen das Geschehene begriff, geriet es – immer noch hinter jener Portière – in die hellste Verzweiflung. In die Newa springen – das war noch das harmloseste Projekt. Maximow überschüttete sie mit Zärtlichkeiten und stellte ihr unterdessen so recht vor, wie schmutzig und wie kalt jenes Wasser sei. Und schließlich mußte das Sonja doch selber einsehen – und ließ solchen Plan wieder fallen. – Und da hub Maximow an, sich seinerseits nun anzuklagen. Als wie: er sei der einzig Schuldige. Denn: er habe doch immerzu und immer wieder drauflos so vielen Alkohol bestellt. Und so wolle das leider Nichtwiedergutzumachende er mit dem Tode sühnen. Er ganz allein. Hier freilich habe er keinen Revolver zur Hand. Aber zu Hause – gleich nachher – erschieße er sich . . . totsicher. Und sein letzter Wunsch auf dieser Erde sei: daß sie von Zeit zu Zeit sein Grab betreten komme. – Dieses aber paßte Sonja wieder nicht. Sie sei Mitschuldige am Geschehenen. Also folge sie ihm in den Tod.

Wie? Nein! Damit könne er sich nun wieder partout nicht einverstanden erklären. Schon ihrer Eltern wegen habe sie die Pflicht, weiter zu leben. –

Was? Nie!

. . . Und dieser edle Wettstreit wurde zeitweise dann immer durch Liebkosungen unterbrochen. Wobei sich's nur noch frägt: wer denn seine Farben stärker auftrug – er oder sie? Und dabei wieder: aus wem von den beiden lauter aller Wein redete – aus ihr oder ihm?

Sicher ist nur, daß während Maximow fast ausschließlich darauf bedacht sein mußte, eine halbwegs mögliche Grenzregulierung zwischen diesen beiden Gebieten: Selbstanklagen und Liebkosungen vorzunehmen – Sonja bald ganz in diesem einen Gefühl aufging, ihm, den sie immer so »groß« gekannt hatte und der nun mit einem Male so »klein« geworden war, den Helden von Odessa mit andern Worten aus dieser nächsten Nähe noch einmal so ragend zu sehen, wie sie ihn einst aus der Entfernung erschaut und bewundert.


So sehr, daß selbst bei Erwähnung der ungeheuer strengen Eltern in Wassilkow Sonja dann nicht einmal mehr heftiger aufjammerte . . . und Maximow es geraten fand, sich endlich so weit erweichen zu lassen: daß er mit dem Totschießen – vorläufig wenigstens – noch warten wolle.

Und mittlerweile war es fünf Uhr am Morgen geworden und mithin höchste Zeit, daß das junge Mädchen nach Hause kam. Sonst konnte die Wirtin am Ende mißtrauisch werden! Länger als wie bis fünf oder sechs Uhr dauern auch in St. Petersburg die Gesellschaften nicht! – Die Liebenden (nachdem sie verabredet hatten: um alles weitere zu besprechen, solle Sonja den nächsten Tag in Maximows Wohnung kommen) gelobten dann erst noch einander, vor dieser Unterredung weder ins Wasser zu springen noch auch sich totzuschießen . . . und mit einem herzlichen Kuß und dem Schwur ewiger Liebe und Treue trennten sie sich vor Sonjas Haus.


Den anderen Morgen, da unser Maximow erwachte:

»Ein unsäglich albernes Gefühl . . .! Schulbubenbängnis . . .! – Aber wer zum Teufel, Maximow! hindert dich denn, vor Ablauf der nächsten zwei Stunden schon nach der Krim abzudampfen?! – Aber nein, das ist es doch nicht! Es ist vielmehr: warum bei allen Höllen hat mich nichts daran verhindert, mich aufzuführen, als ob das die einfältigste Gans von der Welt gewesen wäre?! – Aber Herrgott – nein, das ist es doch auch wieder nicht! Es ist vielmehr einzig die alte – – – – na, sagen wir schon Dame, die nun einmal Sonjas »Wirtin« ist! Jaaaa, wenn sie irgendeine Wirtin wäre! aber ist die doch – ausgerechnet! – eine Landsmännin Sonjas und von den Eltern Sonjas quasi zur Ersatz-Mutter Sonjas bestellt! – Schulbubenbängnis . . .! Ein unsäglich albernes Gefühl . . .!«

Man sieht: Maximow war sein Amt derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß er allenthalben »Geständnisse« witterte! – Und man muß schon sagen: hätte Maximow halbsoviele »Provinzmädchen« gekannt als er (insbesonders in der letzten Zeit) mit Damen von Welt zu tun gehabt hatte, dann hätte er wohl niemals eine ähnliche Angst auszustehen brauchen!


Die reinsten Kater-Ideen! . . .

Fast so pünktlich wie verabredet erschien das junge Mädchen. Sah zwar etwas blaß und »elegisch« aus, aber atmete soviel Frische, ja sogar soviel Unberührtheit . . . daß dies allein schon Maximow ein seltenes Erlebnis dünkte. Geschlafen hatte sie, wie sie aussagte, gut; und der Wirtin war nichts aufgefallen. »Ich log ganz genau nach deinen Angaben, was den Ball anbetrifft . . .«

Und Maximow zog seine Schöne zu sich auf seinen breiten türkischen Diwan. – Und da war's natürlich, daß nach den ersten paar Küssen Sonja neu zu jammern anhub und sich in verzweifelten Selbstanklagen erging. Und u. a. dann Maximow auf den Kopf zusagte, er wäre heut dreister denn gestern. – Der aber unterdrückte feinsorglich eine jede Bemerkung als wie: keine Reise der Welt könne das Ereignis des gestrigen Abends ungeschehen machen – und redete lieber von morgen und allen kommenden Tagen und wie ein freies Zusammensein aus wirklicher Liebe um ein Bedeutendes noch moralischer sei als z. B. jemandem, den man nicht einmal achte, durch die Ehe gezwungenermaßen anzugehören.

Und da ihm dabei just der ausgelaufenste, dreckigste aber steinreiche alte Junggeselle Melnikow einfiel, dessen über und über behaarte und ungemein schweißige Hand allein schon das Entsetzen aller Bekannten (worunter auch Sonja) bildete, so sagte er:

»Denke dir nur, deine Eltern hätten dich, indem sie unbemittelt sind, gezwungen, – sagen wir – diesen Herrn Melnikow zu heiraten!«

. . . Die Situation, in der sich die beiden just befanden, war nicht gerade für die breiteste Öffentlichkeit berechnet . . . und so verstärkte das noch den Eindruck . . . und Sonja grauste sich tatsächlich sehr. – Sie versprach, nie wieder zu klagen, wenn er nur »keine so unästhetischen Beispiele« mehr anführe. Und – nein – dieses soeben, das sei – für ein Mädchen wie sie – ach, wirklich etwas ganz und gar Schreckliches gewesen! . . .


Die ganze freie Zeit brachte das junge Mädchen bei Maximow zu. Anfangs zwar hatte sie sich etwas vor dem Diener geniert – doch es ist fast nicht zu glauben, wie schnell sowas vergeht – und nun schaltete und waltete sie als die kleine Hausfrau. – Jene Sache mit der Musikakademie, das war ihr stets etwas Leidiges gewesen. Nun wußte sie, worin sie in ihrem Element war.

Und Maximow fühlte sich wohler zu Hause, wohler denn je. Tausend Kleinigkeiten verrieten eine liebe Frauenhand. – Und bei einer Zigarette oft konnte sich Sonja geradezu groß damit tun, daß sie ihrem Schatz die bösen Selbstmordgedanken nach und nach gänzlich ausgeredet . . .

Bloß diese Wirtin des jungen Mädchens verdarb den beiden oft viel gute Laune. »Immer wenn's am schönsten ist –«; man kennt den Ton. – Die Liebenden zerbrachen sich wie so oft vergeblich den Kopf, wie dieses »Verkehrshindernis« denn wohl am besten zu beseitigen . . .

Diese Wirtin besaß neben vielen trefflichen Eigenschaften (nein nein, die mußte man ihr lassen, wenn man nicht ungerecht sein wollte!) manch unangenehme Eigenschaften (die man früher auch schon unangenehm empfunden – und die einem aber heute direkt auf die Nerven gehen konnten). – Von ihrer Hauptpassion, jener Affenliebe für Katzen, schon überhaupt nicht zu reden! – Und Sonja mußte erzählen, daß die Wirtin ein wohlgezähltes Dutzend dieser Tiere besaß und die zuweilen doch auch wieder so gutmütige Dame zur wahren Furie werden konnte, wenn jemand ihre Lieblinge auch nur scheel ansah. Sie selber (Sonja) hatte diese Passion stets nur in sehr beschränktem Maße geteilt; seitdem sie aber Maximow kannte, der wie er versicherte ein ausgesprochener Katzenfeind war, ging ihr auch der kleine Rest von Sympathie für solch Getier verloren. Und gar als Maximow eines Tages behauptete, daß häufig schwere Krankheiten durch diese Tiere auf Menschen übertragen würden, da grauste sie sich vor ihnen mehr als vor Melnikow.

Maximow: – Besonders gefährlich sei natürlich die häufig vorkommende Tollwut . . . Das Anfangsstadium dieses Leidens erkenne man an plötzlichem entsetzlichem Schreien und sinnlosem Umhertoben der Tiere . . . Bis aber die Krankheit dann ganz und gar zum Ausbruch käme, bis dahin vergehe dann oft noch viel Zeit . . .

Sonja: »Nein, heute hab' ich direkt Angst, nach Hause zu gehen! – Wenn ich doch hierbleiben könnte! – Aber du hast recht, der »Bälle« werden zuviel! – Ach! . . .«


Und kaum, daß sie gegangen, gab Maximow seinem treuen Diener Iwan den Auftrag, sich allerschnellstens mit der Köchin der alten Dame anzufreunden. Und er – Maximow – wünsche übermorgen früh schon ausführlichen Rapport.

Eine solche Mission war nicht gerade angetan, einem Menschen wie Iwan Vergnügen zu bereiten. Das zu erobernde Wesen war ältlich und gar nicht nett. Aber die »Wünsche« wie die »Geheimnisse« seines Herrn waren Iwan ein Heiligtum; (wobei uns diese Bemerkung nicht überflüssig scheint, daß es solch »treue« Dienstboten nur im unzivilisierten Rußland gibt . . .). – Und nach zwei Tagen schon hatte Maximow von Iwan einen ausführlichen Rapport.


Mephistopheles Nun, heute nacht –?
Faust                                                   Was geht dich's an?
Mephistopheles Hab' ich doch meine Freude dran!

Da – mitten in der Nacht – wurde Sonja durch einen fürchterlichen Skandal aus Schlaf und Träumen geschreckt. Als ob die Hölle knapp vor der Tür draußen – losgelassen wäre! Möbel stürzten . . . Katzen rasten . . . und eine fremde und doch bekannte Stimme schrie jämmerlich um Hilfe.

Sonja wagte nicht, das Zimmer oder auch nur ihr Bettchen zu verlassen. Ihre kleinen Angstschreie waren wie Heimchenzirpen zu der teuflischen Oper da draußen! Und plötzlich stürzte ein unbekanntes, nur äußerst spärlich bekleidetes, wild gestikulierendes Frauenzimmer herein. Und die also eingedrungene Person packte das Mädchen an den Schultern und sang mit unreiner und sich überstürzender Stimme weiter ihren Part. Und da war dieses abenteuerliche Subjekt – die Wirtin! Halb sogar nur mehr in ihrem Hemd, mit ganz verzerrten Zügen und ohne die gewohnten Zähne und ihr sonstiges Haar – wer hätte sie bei der schlechten Beleuchtung noch obenein sogleich erkannt? Die alte Dame, die am Tage nicht selten so würdig auszusehen wußte – was eine Veränderung!

Ach Gott, ach Gott, die Kätzchen – die Kätzchen seien plötzlich ohne jedweden Grund in höchste Aufregung geraten und gebärden sich wie rasend. Und bei allen Heiligen – Sonja solle kommen helfen, die lieben Tierchen zu beruhigen!

Statt aller Antwort sprang Sonja aus dem Bett und verriegelte für's erste einmal die Zimmertür. Dann versuchte sie, der Wirtin klarzumachen, daß es am sichersten sei, vorläufig hier zu bleiben. Du himmlischer Vater! sie (Sonja) habe es doch immer gedacht – – zweifelsohne seien die Katzen nun von der Tollwut befallen und man müsse durchs Fenster bewaffnete Männer herbeirufen, die Tiere zu erschießen.

Der »gemütvolle« Vorschlag versetzte die aufgeregte alte Dame in schäumende Wut. Sie beschimpfte das junge Mädchen aufs gröbste. Und die Behauptung, daß die Herzchen toll seien, das sei einfach gemein! Und damit eilte sie hinaus. –

Allein all ihre Beruhigungsversuche da draußen blieben erfolglos. –

Die übrigen Hausbewohner vermuteten zumindest einen Raubmord. Sie requirierten die Polizei. Und dieser gelang es schließlich, halbwegs Ordnung zu schaffen. Wobei ein paar Tierchen freilich fast mit dem Tode abgingen . . . Den ganzen Rest der Nacht verwachte die alte Dame am Krankenlager ihrer Lieblinge.

Und all der Groll und Haß, dessen ein in seinen heiligsten Gefühlen gekränktes Mutterherz fähig ist, richtete sich – durch Wand und Türfüllung hindurch – gegen unsere Sonja. Hätte dieses Mensch nicht allen Beistand versagt, so wäre es ohne Hilfe der besoffenen Mannsleute abgegangen und die armen süßen Kinderchen wären all' noch wohl und munter.

Jedes klägliche Miauen entfesselte eine neue Wut gegen dieses raffinierteste aller Frauenzimmer. Immer und immer auf den Ball gehen, jawohl . . . wobei das sonderbare Verhalten der Katzen doch wohl schwerlich nur auf Zufall beruhen kann! und unter Tag zu jeder Stund' vagierend mit einer »Freundin« . . . wobei sich die Tierchen doch sonst nie so wild benommen haben! – Hahahaha! irgendein Grund müsse da wohl sein!

Waren die Engelchen am Ende verhext? (zuzutrauen wär's so einem Schindluder wohl! . . .) Zwar darf ein rechtgläubiger Christ an so etwas nicht glauben – aber wenn ja, dann kam doch nur diese gottvergessene Stravanzerin in Frage! Wie sie schon herzlos eine jede Hilfe verweigerte! Und erst diese gemütsrohen Behauptungen! – War ihr Verhalten gegen die armen Schäfchen in der letzten Zeit nicht geradezu ein feindliches gewesen?

– Der Brief der Wirtin, den die Köchin am nächsten Morgen unserer Sonja überreichte, der troff nur so von saftigsten Ausdrücken. Und der in der Nacht vielfach geäußerte Verdacht war darinnen bereits zur unwiderlegbaren Tatsache geworden. »Ich dulde Sie natürlich nicht eine Sekunde länger in meiner Wohnung usw.«


Also hatte Maximow erreicht, was er beabsichtigt hatte. –

Und hier sei ein für allemal das Rezept für solche Fälle preisgegeben:

Dein Diener bringt die Nacht in deinem Auftrag bei der betreffenden Köchin zu. Und sowie die Köchin eingeschlafen ist, schleicht sich der Liebhaber in den Salon und gießt dort starken Baldriantee aus. Hierauf weckt der Diener die Geliebte und verabschiedet sich. Voilà.

Oder sollte irgendwem dieses noch nicht bekannt gewesen sein: daß gerade Baldriantee es ist, der Katzen unwiderstehlich anzieht, und sie vollständig wild und verrückt macht . . .?


Na also!


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