Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8.

Dem Bart-Conrad war der Auftrag Dunstan's sehr erwünscht gekommen. Er langweilte sich schon seit längerer Zeit. Das ordnungsmäßige Kriegsleben neben Hans und im Regimente desselben war doch eigentlich gar nicht nach seinem Sinn, und besonders die nüchternen und mäßigen Sachsen sagten ihm sehr wenig zu. Was geschah denn auch?! Nichts Durchgreifendes, und neuerdings wieder Rückzug auf Rückzug. Und von seinen wüsten Träumen aus der Wiener Zeit, von einem Volkskriege in Masse, von Umsturz der Stände wie des Eigenthums, von Auferstehung des »Bundschuhes« war ja nirgends eine Spur! Was kümmerten ihn politische Schachzüge! Selbst die religiöse Freiheit, von welcher immer die Rede gewesen und welche er sich mit ziemlicher Frechheit vorgestellt hatte, erfüllte sich ihm in gar nichts. Die griesgrämigen Prediger der evangelischen Kirche waren ihm eigentlich noch widerwärtiger geworden, als die katholischen Pfaffen der Heimat. Diese waren doch stellenweise behaglich gewesen und hatten ein verstecktes Lächeln gezeigt für die Freuden dieser Welt. Aber bei jenen Evangelischen war Moral und Moral! das dritte Wort. Dann nimmt man, wenn's durchaus sein muß, noch lieber etwas Götzendienst in den Kauf – hatte er sich gesagt – als diese essigsaure, alle Gedanken wie ein Zollbeamter prüfende Moral. Man hat ja keinen Augenblick Ruhe vor lauter Prüfung dessen, was man nur denkt und in der Aufwallung einmal wünscht. Freiheit nun gar! Was da in Gnadenfrei vorgegangen war mit Kirche und Gemeinde und Pater Dunstan, das war eine schöne Freiheit! Pfui Teufel! hatte er geflucht, und der alte Vater Hamm und selbst sein Weib waren nicht im Stande gewesen, ihn zu beruhigen. Kurz, der Zuschnitt seines Lebens war ihm nicht mehr recht gewesen, und nach Allem, was er gehört und gesehen, schien ihm das Treiben unter den Friedland'schen Truppen am Ende noch besser. Da fanden sich Landsleute, da fand sich Alles untereinander von Glaubensbekenntnissen, da wurde disputirt und raisonnirt über alles Mögliche, der Krieg als solcher war ein frei Gewerbe, kein Mensch fragte ängstlich nach Zweck und Ziel – eben da im Schlosse Zleb hatte er just einer Scene beigewohnt in einer Stallstube, einer Scene ausgelassener Zechwirthschaft mit freier Rede und dreistem Geschrei, als ihn Dunstan aufgesucht und aufgefunden hatte. Was Wunder, daß ihn Dunstan's Auftrag willkommen anmuthete! Das war doch wenigstens ein Abenteuer! Frisch daran!

Den Zusammenhang merkte er von selbst; Pater Dunstan brauchte nicht viel zuzusetzen von unziemlichem Eingreifen der Lady Ludmilla in das Geschick des Fräuleins Marie. Die Lady ist neidisch, sagte er sich, und will dem jungen, braven Fräulein ihr Glück nicht gönnen mit Herrn Hans. Warte! Das wollte er ihr schon verleiden. – Ich bring' sie dem Herrn Hans – rief er, indem er sein Pferd sattelte – und sollt' ich sie aus Wien selber holen!

Er eilte so, daß zu genauer Verabredung gar keine Zeit blieb. Das war im Hauptpunkte schon richtig: die Damen waren bereits einige Stunden fort, und wenn er zögerte, so wurde es immer schwerer, sie zu finden und einzuholen. Hans war also oben noch in vollem Disput mit dem Herzoge, als Conrad unten schon aus dem Schloßthore ritt zur Verfolgung.

Freilich mußte er gleich vor dem Thore halten. Nach welcher Seite sind sie? Hier war das schon zu erforschen; hier gab's Kriegsleute, Reitknechte, Lungerer in Menge, die sich umhertrieben seit Stunden und die Auskunft geben konnten: welche Richtung zwei einzelne Damen mit einem Reitknechte eingeschlagen hätten. Nach Czaslau! hieß es.

Conrad sprengte nach Czaslau. Auch hier fehlte es nicht an Nachricht: auf dem Wege nach Kuttenberg waren die Damen weiter geritten. Conrad folgte. Aber schon nach einer halben Stunde mußte er rathlos still halten. Es begegnete ihm ein Mönch, der von Kuttenberg kam und nach Zleb wanderte, um dort beim Herzog von Friedland Beschwerde einzulegen gegen den Wanderprediger Dunstan, welcher ketzerisch und aufrührerisch wirke. Dieser Mönch versicherte Conrad, daß von Kuttenberg bis daher in den letzten zwei Stunden kein reitendes Frauenzimmer passirt sei.

Betroffen sah Conrad dem Mönche nach. Zwischen Czaslau und hier mußten also die Damen von der Landstraße abgebogen sein. Links oder rechts? Die Landstraße mußte abgespürt werden. Sie war keine Chaussee von heutiger Beschaffenheit, sie war ein schlechter Lehmweg und deshalb für Conrads Zweck geeignet. Der Regen hatte ihn aufgeweicht, die Spur der Hufe war also leicht zu erkennen. Langsam ritt er rückwärts. Zu seiner Rechten, dreißig Schritt vom Wege, zog sich ein Wald dahin. Freilich! Jetzt fiel's ihm ein! Er war ja mit Hans vor zwei Stunden desselben Weges gekommen, und da hatte ein Reiter drüben am Waldsaume gehalten – das konnte der Reitknecht gewesen sein.

Die Vermuthung war ganz richtig. Ludmilla hatte den rasch daher trabenden Hans schon aus weiter Ferne erkannt und war eiligst in einen Waldweg eingebogen, um ihm nicht zu begegnen. Gerade diese halbe Begegnung aber hatte sie weiter getrieben, als ursprünglich ihre Absicht gewesen.

Verletzte Eitelkeit und Eifersucht waren die Beweggründe ihres Handelns, seit es ihr klar geworden, daß Hans ihre Schwester Marie liebe. Diese Beweggründe hatten sie veranlaßt, ihre Schwester wegzuführen diesen Morgen. Unüberlegt, übereilt war das geschehen. Sie hatte keinen Plan, sie wollte nur geschwind ein Wiedersehen zerstören. Wohin sie mit Marie reiten, wie lange sie wegbleiben werde, wußte sie selbst noch nicht, als sie durch Czaslau kam. Sie hatte nur die vage Vorstellung, Hans werde wol, von politischen Aufträgen gedrängt, nicht lange verweilen auf Schloß Zleb – da sah sie ihn in der Ferne. Alle Erinnerungen, alle Leidenschaften wurden lebendig, und als Marie den Namen »Hans« plötzlich ausrief, weil sie ihn ebenfalls erkannte, da steigerte dieser Ausruf die Leidenschaftlichkeit Ludmillas. – Dem Verräther aus dem Wege! rief sie und schlug mit der Reitgerte ihr und Mariens Pferd. Beide galopirten in den Wald hinein. Der langsamer folgende Reitknecht wußte nicht, was dies zu bedeuten hätte, und sah sich am Waldsaume neugierig um.

Conrad fand jetzt die Hufspuren der drei Rosse. Kopfschüttelnd folgte er ihnen. Kopfschüttelnd, denn er sah wol ein, daß abseits von der Landstraße ein Nachkommen große Schwierigkeiten haben würde. Nun mußte er fortwährend Acht haben auf die Hufspuren und konnte also nur langsam reiten. Im Walde wurde auch der Weg ein Rasenweg, auf welchem der Huf streckenweise gar keine Spur zurückgelassen. So war er denn schon nach einer Viertelstunde, als der Waldweg sich theilte, ganz im Unsichern. – Da sah er einen Burschen, der im Holz arbeitete! Der kann Kunde geben! – Nein, der Bursche verstand kein Wort deutsch, und Conrad verstand nicht ein Wort czechisch. Mimik sollte helfen. Es war aber sehr zweifelhaft, ob sie geholfen hatte, und ob der Weg, welchen Conrad wählte, auch wirklich der richtige wäre. Aergerlich, aber seiner Natur nach immer hartnäckiger, je schwerer die Aufgabe wurde, ritt er nun rasch dahin, um aus dem Walde hinaus oder doch auf freie, unberaste Stellen zu kommen. – Es gelang ihm auch wirklich. Der Wald hörte auf und die Spuren von drei Rossen zeigten sich deutlich auf feuchtem Sandboden. Eine Ortschaft lag vor ihm. Es war Maleschau. Er jagte hinein. Der Pferde wegen werden sie hier rasten müssen – dachte er – vielleicht ertappst du sie noch!

Sie hatten wirklich der Pferde wegen hier gerastet, und Ludmilla war einigermaßen zur Besinnung gekommen. Marie hatte sie um Erklärung gebeten, warum Herr Hans ein »Verräther« genannt würde von ihr, und die Nothwendigkeit dieser Erklärung hatte den Verstand zu einigen Ehren bringen müssen vor der Leidenschaft. Sie scheute sich doch, der Schwester die volle Wahrheit zu sagen. Die Schwester war ja eben die Nebenbuhlerin. Wie möchte Stolz und Eitelkeit das eingestehen! Wenn man aber die volle Wahrheit nicht sagen will und doch reden muß, so verwickelt man sich gar bald in die ersten Netze der Unwahrheit, und die consequente Fortsetzung dieser Netze ist eben die Lüge selbst. Die Lüge aber ist alles Unrechts Quell und Anfang. Je mehr Ludmilla sich dahinein verstrickte, desto unmöglicher wurde die Umkehr.

Es bedurfte jetzt nur noch eines kleinen Anstoßes, um sie ins Extrem einer abenteuerlichen Handlungsweise hinein zu stürzen. Dieser Anstoß trat ein.

Der Ort Maleschau liegt zwischen Hügeln, welche damals noch rings bewaldet waren. Das Wirthshaus, in welchem die Pferde Ludmillas abgefüttert wurden, stand abseits vom Orte, und hinter dem Wirthshause zog sich ein Obstgarten an einem Hügel in die Höhe. In diesem Obstgarten saßen Ludmilla und Marie. Milde Sommerluft wehte, die abblühenden Apfelbäume dufteten, die Sonne war verdeckt. Nichts störte die freie Gedankenwelt der beiden Schwestern. Eine traurige Freiheit für Marie, welche wie ein Schifflein auf wüstem Meere umhergeschleudert wurde. Kaum hatte Pater Dunstan ihre hoffende Seele wieder aufgerichtet, da stürzte das Betragen und die Sprache der Schwester Ludmilla sie ärger als je in den Sturm hinein. Was konnte Hans verbrochen haben? Die Schwester, welche ihm einst so zugethan gewesen, war doch eine gar zu gewichtige Anklägerin! Der einzigen Schwester, der welterfahrenen, mußte doch die unerfahrene Marie vertrauen! Wem denn sonst? Dem Vetter Hans, an welchem sie zu Gnadenfrei so irre geworden war? Ihr Herz hatte wol dazu die größte Neigung, aber gerade ihr Herz hatte sich ja so bitter enttäuscht gefühlt am letzten Tage in Gnadenfrei. Sie mußte an dem Gedanken haften bleiben, daß sie die Welt noch gar nicht kenne und daß die Welt schlimm und gefährlich sei – da fuhr Ludmilla von ihrem Sitze auf und ging an den Dornenzaun des Gartens. Sie hatte Conrad gesehen, der vom Waldhügel herab geritten kam. Dies war der Anstoß, der sie weiter trieb. Wahrscheinlich wäre sie morgen oder doch übermorgen nach Zleb zurückgekehrt in der Hoffnung, Hans dort nicht mehr anzutreffen – jetzt sah sie sich verfolgt, jetzt vermuthete sie Hans selbst in der Nähe. Er ist wol schon voraus, dachte sie, dort im Hohlwege! Er reitet vielleicht schon in den Ort herein; er wird dich zur Rede stellen, er wird dein Gewebe vor der Schwester zerreißen, er wird – nimmermehr! Fort! fort!

So trieb sie zum Aufbruche und galopirte an der Westseite aus Maleschau hinaus, als Conrad auf der Ostseite in den Ort einritt. Und jetzt bildete sich der Entschluß in ihr aus, gar nicht nach Zleb zurückzukehren und die Schwester anderswo dauernd unterzubringen, ganz im Verborgenen unterzubringen. Dieser Vorsatz fand denn auch in der nächsten Viertelstunde schon seine Form. Unter den Herrschaften, welche von mütterlicher Seite den beiden Töchtern Loßens als unangetastete Erbschaft verblieben durch geschicktes Verfahren des Doctor Zinkas, war auch ein Waldgut am Erzgebirge, Heinrichsgrün geheißen, einige Meilen aufwärts von Eger. Ludmilla erinnerte sich aus ihrer Jugend, daß sie mit dem Vater einmal im Frühjahre dort mehrere Wochen in einem Waldschlößchen verlebt. Der Vater hatte des Morgens und des Abends der Auerhahnbalz obgelegen, und sie hatte sich auf der Waldwiese im heißen Sonnenstrahl des Frühlings umhergetummelt. Rings hohe Waldwände, nirgends ein Ausgang zur Menschenwelt! So stand das niedrige Schlößchen in ihrer Phantasie. In diese Einsamkeit wollte sie die Schwester bringen. Sie paßte ja auch zu dem Charakter des stillen Mädchens, welches so wenig sprach. Doctor Zinkas hatte dies Waldgut von Heinrichsgrün ihr, Ludmillen, zugetheilt bei der Erbtheilung. Ich will es der Marie schenken – dachte Ludmilla jetzt in ihrer Erregung, die sich übler Beweggründe wohl bewußt war und eine großmüthige Handlung zum Troste brauchte – ja, ich will's ihr schenken und will ihr jetzt gleich einen anmuthigen Hausstand einrichten. Vorwärts, Marie, ich führe Dich aus der schlimmen Welt in eine wunderbar stille und grüne Einsamkeit. Dort sollst Du herrschen und träumen wie eine Fee!

Raschen Trabes eilte die Cavalcade auf Zasmuk zu, um die Prager Landstraße über Schwarz-Kostelec wieder zu gewinnen. Ludmilla hatte vor, Prag selbst nicht zu betreten, um der Verfolgung keinen Anhalt zu bieten. Von Kostelec aus wollte sie Seitenwege einschlagen nach Bubenz hin, und nach Bubenz hinaus wollte sie Doctor Zinkas rufen lassen durch den Reitknecht, damit Zinkas die Schenkung ausfertige und die Einrichtung des Waldschlößchens übernehme.

Als Conrad in Maleschau einritt und nach den Damen fragte, kam ihm wieder das heillose »Nix deitsch!« entgegen, und er verlor Geduld und Zeit in beträchtlicher Weise, bis er entdeckte, daß sie dort gewesen und erst kürzlich fort wären. Unmittelbar folgen konnte er nicht, denn sein Pferd brauchte Nahrung und Rast. Er benutzte aber den auferlegten Stillstand, um ernstlich vor dem Orte abzuspüren und sich zu überzeugen, daß sie gen Zasmuk und Kostelec geritten wären.

Nach einer Stunde folgte er. Im Nachtquartier, welches sie ja doch machen müßten, hoffte er sie zu überraschen. Und was würde er dann thun? Eigentlich war er bis jetzt ziemlich unklar darüber gewesen. Je länger es dauerte, je ärgerlicher er wurde, desto gewaltsamer wurde auch sein Vorsatz. Das Fräulein Marie einfach zu entführen, das schien ihm am Ende nothwendig. Ein dummer Reitknecht hatte nichts zu bedeuten und die Schwester Lady mochte schreien. – Freilich konnte er sich den Uebelstand nicht verbergen, daß er in Feindesland und daß er ohne Ausweis wäre. Der vom Friedländer unterschriebene Passirschein war in den Händen des Herrn von Starschädel, nicht in den seinigen – ach was! – rief sein Leichtsinn – du giebst dich für einen Friedland'schen Kriegsmann aus. Vorwärts!

Unter solchen Gedanken ritt er nach Verlauf der Stunde über die Hügel, hinter welchen Zasmuk liegen sollte. Ein buckliges Land ist dies Böhmen! brummte er vor sich hin, gerade so, wie schon mancher Reisende das regellos unebene Böhmerland bezeichnet hat. Uebrigens ging Alles in Ordnung: er behielt die Spur über Zasmuk hinaus und näherte sich Schwarz-Kostelec. Der Abend sank auf die Felder, und er hoffte zuversichtlich, die Frauen dort im Städtchen, wo sie übernachten würden, endlich einzuholen.

Das hatte aber Ludmilla ebenfalls vorausbedacht, und deshalb war sie nicht in Kostelec geblieben. Um die Verfolger ganz irre zu führen, hatte sie hier vor dem Thore die Prager Landstraße verlassen und hatte den Seitenweg nach Skworec eingeschlagen. Man war nur noch einige Meilen von Prag, und sie meinte in der Gegend hinlänglich bekannt zu sein, um auch in Dämmerung und Nacht hinein die ferne Station Skworec zu finden und erreichen zu können. Der Reitknecht hatte Einwendungen erhoben, sie hatte aber nicht darauf geachtet. Zu ihrem Schaden. Bei dem bedeckten Himmel und da Neumond herrschte, wurde der Abend stockfinster, und als sie in einen hügeligen Wald geriethen, mußte sie eingestehen: es ginge nicht weiter. Es blieb nichts übrig als umzukehren. Den Rückweg würden die Pferde am leichtesten finden.

Gerade um diese Zeit traf Conrad in Kostelec ein und erfuhr hier, daß allerdings zwei Damen und ein Reitknecht gegen Abend durch die Stadt und zum Prager Thore hinausgeritten wären. Er fluchte. Im Finstern konnte er nicht folgen, wenn auch sein Pferd gekonnt hätte. Er mußte den ersten Tagesschein abwarten. So stellte er denn sein Roß in dem Wirthshause ein, welches außen vor dem Prager Thore lag. »Zur böhmischen Krone« war es leichtsinnig benannt, dieser Aufenthalt für Fuhrleute und Lastpferde. Den letzten Tagesschimmer wollte er noch benützen zum Abspüren, ob auch die Cavalcade auf der Landstraße geblieben wäre. Ein gefälliger Hausknecht, der etwas deutsch radebrechte, ersparte ihm die Mühe. Er hatte den vornehmen Reiterinnen nachgeschaut und berichtete Conrad, daß sie draußen rechts abgebogen wären von der Landstraße, als wollten sie nach Skworec, was ihnen über die engen Waldwege nicht leicht werden würde.

Das war Leitschnur genug für Conrad. Die richten sich hin in die Nacht hinein – dachte er – und schlafen morgen Früh lange. Du aber brichst mit dem ersten Tagesschimmer auf und ertappst sie. So ließ er sein Roß in einen Nebenstall bringen, wo eine gute Streu für ihn selbst anzubringen war, speiste zur Nacht und suchte dann auf der Streu im Stalle den Schlaf der Gerechten. Er fand ihn und fand ihn nur zu gut. Denn während er gerecht schnarchte, kam Ludmilla mit den Ihrigen an und hielt vor derselben »böhmischen Krone«. Der Hausknecht wurde herausgeklopft und in czechischer Mundart von ihr befragt, ob leidliche Schlafstellen für zwei Frauen vorhanden wären, und ob vielleicht Nachfrage stattgefunden hätte nach diesen zwei Frauen. Der Hausknecht berichtete: Ja! und daß der Reitersmann hinten im kleinen Stalle schliefe und mit dem Frühesten aufbrechen wollte. »Nur Einer?« – Nur Einer.

Wäre Conrad wirklich allein? dachte sie. – Um so besser! Und nun wurde dem gefälligen Hausknechte ein Geldstück verabreicht mit dem Bemerken, daß er den Schlaf des Reitersmannes vor jeder Störung behüten möge. Morgen früh aber solle er Sorge tragen, daß der Reitersmann nicht das Mindeste bemerke von ihrer Anwesenheit und so früh als möglich fortexpedirt werde.

Der Hausknecht war ganz damit einverstanden. Das Geldstück und die Landsmannschaft thaten ihre Schuldigkeit.

So schliefen denn Verfolger und Verfolgte friedlich neben einander in der »böhmischen Krone«. Der Hausknecht that ein Uebriges und weckte Conrad beim ersten Hahnenschrei und striegelte sein Pferd.

Als Conrad im Hofe aufstieg, sah er zufällig in die offene Thür des großen Stalles und fragte, wie kommt denn der schöne Reitschimmel da zu Euch?

»Spät Abend ist noch ein Officier von Prag gekommen«, antwortete der Hausknecht.

Conrad hatte nur Gründe, einem kaiserlichen Officier aus dem Gesichtskreise zu kommen und ritt von dannen, nicht ahnend, daß er hier zurückließe, was er draußen suchte.

Der brave Hausknecht bohrte einen Esel hinter ihm her.

Conrad bog wohlgemuth rechts ab, im Morgengrauen die Hufspuren nur oberflächlich beachtend. Erst als es voller Tag geworden, erkannte er mit Erstaunen, daß in den Spuren ein wirres Durcheinander herrschte, indem sie vorwärts wie rückwärts wiesen. Es hatte aber in dieser Gegend vorgestern weniger geregnet und die Spuren waren deshalb überhaupt undeutlicher. An einer feuchten Stelle erkannte er ganz klar, daß es Ludmillas Cavalcade war, deren Hufe vorwärts gingen. Ein Pferd, das hatte er lange bemerkt, war ein sogenannter Ueberschreiter, das heißt es setzte den Hinterfuß weit über die Fußstapfe des Vorderfußes hinaus, und ein zweites Pferd war ein Paßgänger, der mit den Vorderfüßen Trab, mit den Hinterfüßen Galopp geht. Beide Eigenthümlichkeiten waren deutlich ausgeprägt in der Bodenschrift auf feuchter Erde. Er beschwichtigte also den Argwohn, welcher in ihm entstehen mußte, bis er an den Wald kam, wo Ludmilla umgekehrt war. Hier war plötzlich der Boden unberührt, ganz unberührt. Rathlos hielt er still. Sie sind umgekehrt! war sein erster richtiger Gedanke. Sie haben dich irre führen wollen! war sein zweiter, und eine Wiese am Walde bestärkte ihn darin. Ueber diese Wiese sind sie abgelenkt, dachte er, um in dem feuchten Grase, welches sich beim Morgenthau wieder aufrichtet, keine Spur hinter sich zu lassen. Kurz, er gerieth, einmal auf falscher Fährte, in ein Schwanken, welches hitziger wurde und welches ihn unstät und ohne Anhalt immer weiter vorwärts trieb. Fluchend vertröstete er sich endlich auf das Ufer der Moldau. Das wollte er abreiten links und rechts eine Meile breit. Da meinte er die Stelle finden zu müssen, an welcher sie hinüber wären.

Gegen Mittag kam er an den Fluß und suchte zunächst eine Fähre. Denn eine solche mußten ja doch die Frauen benutzt haben. Ungefähr Bludenz gegenüber fand er eine; bei ihr aber keine Spur von Rossen. Und der Fährmann wußte nichts von Reiterinnen. Der nächste Uebergang links war eine Viertelmeile aufwärts bei Prag; der nächste rechts unten sollte eine Meile entfernt sein. Am Ende sind sie doch nach Prag! – dachte er – und sind deshalb dort bei Kostelec umgekehrt, um auf der Landstraße weiter zu reiten. Also links hinauf! – Er that es ungern; Prag selbst hätte er gern vermieden. Aber er that es doch, weil ihm jene Vermuthung jetzt die einleuchtendste war.

So kam er, allmälig langsam reitend, an die Landstraße, die von Kostelec über die Moldau setzt. Die Vorstadt Carolinenthal, damals klein und unbedeutend, lag drüben; eine neuerdings aufgeworfene Schanze lag vor ihm. Die Straße war sandig und gab seinem unruhig suchenden Auge keinerlei Auskunft. Er hielt still. »Fuchtig«, wie er es nannte, teufelsmäßig »fuchtig« war seine Stimmung, denn er mußte sich gestehen, daß seine Expedition bereits so gut wie gescheitert sei.

Die Schildwacht an der Schanze sah mißtrauisch auf den baumstarken, bärtigen Kriegsmann, der da still hielt und unruhig umherschaute. Endlich rief sie ihn an. Conrad war gerade aufgelegt zu einem abgeschmackten Zwiegespräch. Er antwortete mit einer unanständigen Grobheit. Die Schildwacht rief Allarm und der Bart-Conrad war im Nu umringt von Soldaten. Thörichter Weise widersetzte er sich in seiner ärgerlichen Stimmung, zog sein Schwert und hieb um sich, so daß er einige Leute verwundete, ehe er überwältigt werden konnte. Das verschlimmerte seine Lage sehr und es stand übel um ihn, als er vor den Officier geführt wurde, welcher die Schanzwache commandirte. Auch diesem gegenüber mäßigte er sich durchaus nicht, pochte auf den Geleitsschein des Friedländers, den er nicht vorzeigen konnte und schimpfte auf den brutalen Ueberfall eines Kriegsmannes, der gleichsam als Parlamentär Gastfreundschaft zu fordern berechtigt sei.

Der Officier commandirte kurzweg, dem wüsten Gesellen Handschellen anzulegen und ihn hinein zu transportiren aufs Generalcommando.

Als er diesen Befehl aussprach, ritten just zwei Friedländische Officiere, die von Schwarz-Kostelec daher kamen, durch die Schanze. Der höhere von beiden hielt still und fragte den Schanzenofficier über den Vorgang. Conrad, in all seiner Wuth und Niederlage bei klarem Muthe und Verstande, erkannte den berittenen Officier auf der Stelle und verlangte, daß er sich seiner annähme.

»Woher kennst Du mich?« – Von Podiebrad, Herr! Da habt Ihr mich und meinen Herrn aus den Händen der Pfaffen befreit. Ihr müßt mich ja wieder erkennen! – »Allerdings. Und ich habe gestern Mittag Deinen Herrn – Starschädel heißt er?« – Freilich! – »In Zleb gesehen, als er aus dem Zimmer des Herzogs trat. Wie kommst Du daher?«

Jetzt erzählte Conrad seelenruhig und mit gedämpfter Stimme – die andere Bagage braucht's nicht zu hören! sagte er – dem berittenen Officier seine Unternehmung und bat ihn naiv um Unterstützung, daß die entführte junge Dame aufgefunden und befreit würde.

Der berittene Officier lächelte. Solche Unterstützung lag gar nicht in seiner Absicht. Aber der schwarzbärtige, wild entschlossene Kerl, welchem er den Oberösterreicher und den »findigen« Kumpan abhorchte, hatte ihm schon in Podiebrad gefallen und gefiel ihm jetzt noch mehr. Er wollte ihn mitnehmen und sich zueignen. Er winkte also dem Schanzenofficier, den schwarzbärtigen Frevler frei zu lassen und bedeutete Conrad: er könne ihm folgen, wenn er vernünftig sei und dem Friedländischen Zeichen folgen wolle.

Letztere Bemerkung machte einen starken Eindruck auf Conrad. Er hatte ja selbst schon daran gedacht. Aber zum Feinde übergehen! Zu den Katholischen! Wenn die Frage so dick herauskam, da stutzte er doch und zögerte.

Auch der Schanzenofficier zögerte. Er wies auf die Leute, welche Conrad verwundet hatte. Da nahm ihn der berittene Officier bei Seite und zog ein großes Silberstück, größer als ein Thaler, aus seiner Brusttasche. Das hielt er dem Schanzenofficier unter die Augen. Es war Waldstein's Gepräge und zeigte das Bildniß des Friedländers. Aber es war keine cursirende Münze; es war eine Ehrenmünze. Man wußte im ganzen Heere, sie sei nur in Händen derjenigen Kriegsmänner, denen Waldstein eine besondere Auszeichnung zugedacht, ein besonderes Vertrauen gewidmet hatte. Wer dies Friedländische Silberstück besaß – bei Generalen war es ein Goldstück – dem gehorchte man im Friedländischen Heere unbedingt. Alle Kriegsartikel verschwanden vor diesem Zeichen, man beugte sich wie vor einem mündlichen Befehle des Herzogs selber. So that jetzt auch der Schanzenofficier und ließ den Bart-Conrad frei.

Dieser berittene Officier war jener Adlatus Teuffenbach's, welcher nach der Schlacht bei Nimburg in die unmittelbare Nähe Waldstein's berufen worden war. Durch Leo hatte der Herzog erfahren, wie sich dieser Mann geschickt und echt friedländisch in Podiebrad benommen hatte in Befreiung der herzoglichen Schützlinge, und das war genügend für Waldstein. Solche Leute zog er sogleich auf einige Zeit unter seine Augen, prüfte sie aufmerksam, überschüttete sie, wenn sie bestanden, mit Auszeichnung und Geschenken und verwendete sie dann zu den wichtigsten Aufgaben. Henrich Niemann nannte sich dieser Adlatus. Er stammte aus dem nördlichen Deutschland und hatte eine gute Schulbildung. Waldstein kümmerte sich nicht darum, daß er Protestant war und im dänischen Kriege gegen ihn gefochten hatte. Er benutzte seine Bildung so wie sie sich darbot und bestallte ihn sogleich in seiner Kanzlei, ohne deshalb im Geringsten auf seine Kriegsdienste zu verzichten, wenn der Feldzug eröffnet wurde. Jetzt sandte er ihn von Zleb nach Prag, damit er dort im Palais diejenigen wissenschaftlichen Hilfsmittel aussuche, besonders Landkarten, welche für den unerwartet nach Franken dringenden Krieg nöthig geworden waren, und daß er sie nach Eger bringe. Denn nach Eger hatte der Herzog selbst unverzüglich aufbrechen wollen.

Conrad blickte etwas scheu auf den breitschultrigen Mann von kleiner Mittelgröße, welcher ein niedriges, aber sehr starkes Pferd ritt und aus dem bärtigen, feisten Antlitze ruhig, ja behaglich links und rechts schaute mit kleinen, lichten Augen. Scheu und unsicher ritt Conrad neben ihm in die Stadt hinein und als der Rittmeister – dies war Niemann's soldatischer Titel – schweigend verblieb, da begann denn Conrad stockend seine Rede über das »Vernünftig sein« und über das »Friedländische Zeichen«, dem er folgen solle. Das würde wol nicht angehen, meinte er, denn er wäre ein Stockprotestant.

»Das bin ich auch!« erwiderte lachend Niemann. – Ah?! – Nun, das ist recht. Aber wie soll mir's denn eingehen, gegen meine Glaubensgenossen zu fechten, Herr? Wie macht Ihr's denn? – »Hansnarr! Um den Glauben kümmert sich kein Mensch mehr im Kriege. Das ist 'ne Redensart. Ein neues Regiment wollen wir durchsetzen von oben bis unten. Es gilt der Mann, so viel er kann! Das ist unser Glaubensbekenntniß. Und davon weiß man drüben unter uns Evangelischen verzweifelt wenig. Dort machen die lutherischen Pfaffen Alles zu Duckmäusern!« – Das ist wahr! – »Und Alles wird mit kleinem Maß gemessen. Der Herr Kurfürst will profitiren und der Herr Herzog und der Herr Graf und wie die Titel weiter heißen. Alles Betitelte will im Reich mitsprechen und vorwalten und den Obersten maßregeln. Sind wir betitelt? Den Teufel auch. Mein Vater war ein Ackerbürger –« Meiner ein Bauer! – »Wir brauchen oben einen gewaltigen Herrn, der die Betitelten unterdrückt und den Ackerbürger und den Bauer mitthun läßt. Und ein solcher ist der Friedländer, der auch von unten aufgestiegen ist, der versteht's, uns Alle in die Höhe zu bringen. Hätten sie im Bauernkriege solch einen Führer gehabt, er wär' anders ausgegangen! Jetzt aber sind wir auf gutem Wege. Der Kaiser ist jetzt Nebensache mit seinen Pfaffen. Der Friedländer wird Kaiser, oder ist's schon, und nach ein paar Schlachten gegen den Betbruder, den Schwedenkönig, wird er das ganze Reich unter den Händen haben und neu vertheilen. Und so ist's in Ordnung und jeder fixe Gesell geht da mit, um bei der neuen Vertheilung am Platze zu sein. Begreifst Du das nicht?« – Begreif's! begreif's! schrie Conrad; denn das war Wasser auf seine Mühle. – Nur seine persönlichen Obliegenheiten machten ihm noch Sorge. Was er persönlich übernommen, das wollte er erledigt sehen. Darin hatte er eine Art von Gewissenhaftigkeit. Vorliebe für Herrn Hans und Fräulein Marie kamen dazu. Das Fräulein sollte befreit werden für Herrn Hans – das wollte er nicht aufgeben. – »Wenn's weiter nichts ist!« sagte Niemann – »das besorgen wir auf unserer Seite viel leichter und besser als Du, der Du allein nachklepperst –«

Und als sie im Palais angekommen, gab er Ordre, eine Meile breit die Moldau abzusuchen und in Prag Alles aufzustöbern, wo die Cavalcade der Lady hingerathen sei. Reiter und Spürhunde waren hinreichend vorhanden. »Heute hierher und von morgen an gen Eger hin, endlich nach Eger selbst genaue Nachricht!« schloß er den Auftrag, und Conrad mußte eingestehen, daß es gar nicht besser und sicherer gerichtet werden könnte.

Rittmeister Niemann wußte, daß er in Eger dem Herzoge mit der Auskunft über jene Entführung ganz gelegen kommen würde. Der sächsische Herr von Starschädel war ja ersichtlich ein wichtiger Unterhändler für den Herzog, und diesem sächsischen Herrn nachweisen zu können, wo sein Liebchen – das merkte man aus Conrads Aeußerungen! – hingebracht sei, das war immerhin etwas, was dem Herzoge von Werth sein konnte zur Lockung für den Unterhändler. Rittmeister Niemann war ein demokratischer Diplomat.

*

Der Charakter des Sommers 1632 wurde ein gewitterhafter. Die Natur schien zu der allgemeinen Spannung beizutragen: was die erste Begegnung der beiden großen Kriegsfürsten Gustav Adolph und Waldstein für einen Ausgang finden werde. Oeftere Regengüsse erweichten die Straßen Böhmens und Frankens und das marschirende Heer hatte jenseits Eger stark zu putzen und zu säubern gehabt, um blank und sauber zu erscheinen vor den Baiern, welche in der Oberpfalz seiner warteten. Das war reichlich geschehen. Kurfürst Maximilian sollte durch den ersten Augenschein überzeugt werden, welch eine majestätische Hilfe sein persönlicher Feind Waldstein heranführe.

Dankbar war dies anerkannt worden vom Kurfürsten, und er hatte sich dem Herzog von Friedland höflich und freundlich genähert, als dieser mit Pomp einmarschirt war in die Oberpfalz. Friedland dagegen hatte sich stolz und abweisend verhalten von der ersten Begegnung an bis zum gesammelten Vorrücken gegen Nürnberg, wo der Schwedenkönig mit geringer Heeresmacht stand und der Gegner gewärtig war.

Dort auf der fränkischen Ebene hatte man eine Schlacht erwartet, und die katholische Welt triumphirte im voraus, denn der Schwedenkönig war durch den raschen Zug Waldstein's überrascht worden und hatte seine verstreuten Heertheile nicht ebenso rasch zusammenziehen können. Das vereinte kaiserliche und bairische Heer drängte mit großer Uebermacht gegen Nürnberg, und die Evangelischen fürchteten, daß diese große Reichsstadt, ein festes Bollwerk des Protestantismus, das Schicksal Magdeburgs theilen und jetzt der Eroberung und Zerstörung durch den Friedländer verfallen werde, wie Magdeburg im vergangenen Jahre durch Tilly erobert und zerstört worden war. Mißtrauische Stimmen hatten im vergangenen Jahre gesagt: der Schwedenkönig hätte Magdeburg retten können und hätte es aus politischen Gründen unterlassen. Aengstliche Stimmen hatten jetzt gerufen: es wird Nürnberg nicht besser ergehen, der Schwedenkönig opfert die deutschen Städte, um seine Armee zu schonen!

Dieser Argwohn hatte sich nicht bestätigt. Der Schwedenkönig war zur Schlacht bereit gewesen – Waldstein hatte die Schlacht nicht gewollt, sondern war am schwedischen Heere vorübergezogen und hatte sich südlich von Nürnberg in ein großes verschanztes Lager gelegt. Alle Welt war erstaunt und der Kurfürst Maximilian war in Verzweiflung gewesen. Waldstein hatte kühl geäußert: »Mein Heer ist neu, es muß erst durch Uebung gestählt werden. Es ist auch das einzige Heer, welches der Kaiser jetzt besitzt. Ein neidisches Kriegsglück würde den Kaiser und seine Erbstaaten völlig entblößen«. Lächelnd aber hatten die echt friedländischen Generale gesagt: dies ist der erste Act der Rache für die Absetzung in Regensburg.

So stand der Krieg wie eine drohende Wetterwolke Tag für Tag, Woche für Woche bis tief in den Hochsommer hinein, und alle persönlichen Intriguen hatten Zeit, sich zu entwickeln.

Waldstein wohnte in einem großen Bretterhause, das er sich hatte zimmern lassen, innerhalb des verschanzten Lagers, und zwar im südlichen Theile dieses Lagers, also fern vom Feinde, welcher gegen Norden stand in Fürth und um Nürnberg. Das Lager selbst umspannte dritthalb Meilen: der Friedländer war also meilenweit von seinen Kriegsgegnern und hatte die Baiern zwischen sich und den Feind gelegt. Seine persönlichen Feinde aber hatte er nahe zu sich genommen; er wollte sie dicht unter seinen Augen haben. Namentlich den Doctor Blandini, welcher den Besuch Carlsbads noch immer verschoben und von Zleb aus bis daher ins Bretterhaus des Lagers mitgezogen war. Er bewohnte ein artiges Zimmerchen im Bretterhause, und der Herzog sprach ihn täglich. Der Leibarzt des Herzogs sogar war nicht so in der Nähe untergebracht: er hauste abseits unter einem Zelte. Auch für Tocke war gut gesorgt. Hinter dem großen Bretterhause waren zwei kleinere Holzhäuser errichtet, und in einem derselben war Tocke und Leo untergebracht. In dem nämlichen Hause wohnte Rittmeister Niemann, von den Umgebungen des Herzogs »Kanzler« genannt, weil er in der Kanzlei des Herzogs eine große Rolle spielte. Diese Kanzlei war in dem zweiten Holzhäuschen eingerichtet und Niemann hatte nur einige Schritte bis dahin. Noch näher von ihm hauste Conrad unter einem Zelte, welches für Ordonnanzen bestimmt war.

Conrad war Niemann's persönliche Ordonnanz. Auf dem langen Wege von Prag bis daher hatte Niemann seine günstige Vormeinung für diesen Obderennser bestätigt gefunden. Solch ein verwegener und »findiger« Kriegsknecht war längst Niemann's Bedürfniß gewesen. Er hatte ihn dem Herzoge selbst geschildert und vorgestellt als eine Leibwache, welche im Kriege unschätzbar werden könnte. Der Herzog hatte zustimmend genickt, und Conrad war in bevorzugter günstiger Lage.

Conrad selbst empfand dies nicht. Es war ihm nicht ganz wohl zu Muthe. Sein Gewissen quälte ihn doch mitunter, daß er im katholischen Heere sei. Wenn die Seinigen in Gnadenfrei es erführen, wenn Herr von Starschädel – besonders dieser rumorte in ihm. Er hatte sich alle Mühe gegeben, mit ihm in Verbindung zu bleiben, und Niemann hatte ihm auch dafür jede Unterstützung gewährt durch Botschaften. Aber es war dies eben so wenig gelungen, wie die Entdeckung der Lady Ludmilla.

Ueber diese hatte Niemann wol in Erfahrung gebracht, daß sie mit einer Reiterin und einem Reitknechte bei Bubenz über die Moldau gesetzt und dort einen alten Advocaten aus Prag gesprochen. Von dort sei sie aber spurlos verschwunden.

Und über Herrn von Starschädel lauteten die Nachrichten: er sei gleich nach der Audienz beim Herzoge aufs Pferd gestiegen und man habe gehört, daß er sich gegen den alten Mönch ausgesprochen habe über das Fortreiten Conrads. Er selbst könne nicht auf ihn warten, denn der Kriegsplan des Herzogs bedrohe Sachsen, er müsse die Antwort des Herzogs spornstreichs zu Arnimb bringen. Der Mönch möge die Zurückkunft Conrads abwarten. – Der Mönch aber – Pater Dunstan – sei nach kurzem Zwiegespräche mit dem Herzoge vom Schlosse Zleb verschwunden.

So war denn Conrad abgeschnitten von seiner ganzen Vergangenheit und fühlte sich unbehaglich in seiner übrigens wohlgepflegten Haut. Es hatte nur gerade noch zu seinem Mißbehagen gefehlt, daß Niemann eines Abends die Nachricht brachte: es wären einige sächsische Regimenter zum Schwedenkönig gestoßen und der Sturm auf das Friedland'sche Lager stünde bevor. Am Ende hast du gar noch gegen Herrn Hans zu fechten – fluchte Conrad – wenn sein Regiment mitgekommen ist! Das wär' doch geradezu niederträchtig!

Dies denkend, saß er, vorn übergebeugt, auf einem Steine neben seinem Zelte. Es war ein milder Sommerabend. Die Luft war noch voll Feuchtigkeit, welche ein Regenguß Nachmittags verbreitet hatte. Stieren Auges sah der geplagte Landsknecht über die unabsehbaren Zeltreihen hin, welche sich über eine schiefe Ebene bis zum Flusse hinab ausdehnten. Dieser Fluß heißt die Rednitz. – Da sah er seinen Gönner, den »Kanzler« genannten Rittmeister Niemann, vom Flusse heraufkommen. Er kam zu Pferde und neben ihm ritt – das machte Conrad lebendig! – neben ihm ritt Medardo, die »rothe Feder«. Dies gehörte zu den unerwarteten Aergernissen, daß er diesen widerwärtigen Kerl jetzt öfter sehen mußte, ohne ihm »Eins auswischen zu dürfen«. Sie gehörten ja jetzt unter dieselbe Fahne. Medardo war dem Regimente des Marchese Carretto zugetheilt und kam – wahrscheinlich in Aufträgen des Marchese – zuweilen ins Bretterhaus des Herzogs. Niemann hatte Conrad erzählt, daß dieser Friauler die Angeberei zum Herzoge gebracht: Conrad sei in Wien zum Galgen verurtheilt und der Strick hänge noch in voller Gesetzeskraft über ihm. Der Herzog aber habe darauf gesagt: Um so besser; dann ist er treuer als ein Anderer! – Dieses neuen Liebesdienstes hätte es nicht bedurft, um Conrads Haß im Gange zu erhalten; er hatte kein Auge von der »rothen Feder« verwendet, wenn sich diese in der Nähe des Hauptquartiers blicken ließ, und erst vorgestern hatte er Niemann mitgetheilt, daß die »rothe Feder« mit dem wälschen Doctor Blandini, mit dem lichtblauen Herrn Tocke, ja auch mit dem fröhlichen Steinwald zu schaffen haben müsse. Es gebe da Augenwinke und kurze Zuflüsterungen, welche eine besondere Vertraulichkeit voraussetzen ließen, namentlich mit dem Doctor und dem Tocke. »Nächsten Sonntag« habe Medardo neulich dem Tocke zugeraunt beim Fortgehen; das habe er, der Conrad, deutlich verstanden!

Heute war Sonntag. Niemann gehörte zu der geheimen Wache, welche unter Oberleitung Sparr's diese drei Verdächtigen, Blandini, Tocke und Leo, eingesponnen hielt in einem Spinnennetz, und Niemann hatte sich diesen »nächsten Sonntag« wohl gemerkt.

Wie es schien war denn auch dieses Wort die Veranlassung geworden zum Beginn der eigentlichen Procedur gegen die als Verräther am Herzoge bezeichnten drei Männer. Niemann hatte drüben beim Regimente Carretto's, welches unweit der Rednitz lagerte, einen Aufpasser für Medardo. Dieser Aufpasser hatte heute Mittag gemeldet: Medardo habe trotz des Regens sein Pferd gesattelt und sei mitten im Regen unten an der Furth gewesen. Zum Abend werde er wahrscheinlich hinüber wollen. In »Gebersdorf« sei am ersten Bauernhause das bewußte Zeichen ausgesteckt. Man war nämlich auf der Spur, daß Medardo Briefschaften nach Wien befördere. Gebersdorf war jenseits der Rednitz das erste Dorf östlich, welches außerhalb des Lagers belegen war, und dorthin kämen die Boten für Medardo.

Dort an der Furth, im Weidengebüsche verborgen, hatte Niemann jetzt dem Medardo aufgelauert, hatte ihn abgefangen und brachte ihn jetzt zur Untersuchung.

Conrad schnellte hoch auf, als er sah, daß ihm Niemann winkte. Er flog hinzu und folgte zu dem Kanzleihäuschen, vor welchem Niemann abstieg und Medardo absteigen hieß. Letzterem war sehr fatal zu Muthe, besonders bei der Annäherung Conrads, von dem er stets ein Unglück für sich gewärtigte.

Schweigend traten sie ins Häuschen. Das größere Kanzleizimmer war heute leer, weil es Sonntag war. In dieses trat Niemann mit seinen beiden Begleitern, und hier sagte er kaustisch zu einem geradewegs mörderischen Schrecken Medardos: Conrad, thu' ein christliches Werk! Diesem Manne vom Regimente Carretto ist unerträglich heiß. Er wollte in der Rednitz baden; aber ohne sich auszukleiden. Kleide ihn behutsam aus. Vielleicht entdeckst Du, warum der Mann seine Kleider so fest auf dem Leibe hegt.

Das war ein Wort für Conrad! All' seine Gewissensscrupel flogen zum offenen Fenster hinaus und ein Theaterschneider kann das Auskleiden eines Liebhabers nicht sorgfältiger verrichten, als er jetzt Stück für Stück dem Friauler vom Leibe zog. Er kitzelte auch den reizbaren Friauler ganz und gar nicht, er zog stramm und nachdrücklich.

Man fand nichts. Conrad wenigstens in seiner jähen Eile fand nichts. Niemann war ruhiger und betastete langsam die Kleidungsstücke. Da meinte er denn: das Wams sei für die Jahreszeit zu dick. Conrad sollte es aufschneiden und die Watte herausnehmen.

Die Watte entwickelte sich als ein Briefcouvert, in welchem drei Briefe steckten. Die müssen bestellt werden – sagte Niemann – unterhalte Du indeß, Conrad, diesen entkleideten Briefträger und sorge dafür, daß er sich nicht erkältet.

Das Gelächter Conrads war unanständig. – Niemann eilte hinüber ins große Bretterhaus, um die Briefe an Sparr abzuliefern. Das Innere dieses Hauses überraschte durch seine Einrichtung. Es war durchweg mit Teppichen belegt und bekleidet und war mit größter Sorgfalt wohnlich eingerichtet. Zu ebener Erde wohnte Sparr, im obern Stockwerke der Herzog. Die Teppiche dämpften jeden Laut; es herrschte die größte Stille.

Sparr las die Briefe. Der eine war vom Doctor Blandini, der zweite von Tocke, der dritte von Leo. Alle drei an den Pater Norbert in Wien. Die Briefe des Doctors und Leos waren kurz, der von Tocke war lang.

Nachdem er gelesen, trug Sparr dem Niemann auf: die Gefangennahme des Medardo geheim zu halten und den Doctor, Tocke und Leo scharf bewachen zu lassen, so daß der Herzog sie augenblicklich zur Hand haben könne.

»Da kommt der Herzog die Stiege herab und hinter ihm der Doctor und Leo!« rief halblaut Niemann. Die Stubenthür stand offen und man konnte die Treppe sehen.

»Richtig!« – sagte Sparr eben so leise – »der Herr will recognosciren reiten. Er nimmt Leo mit. Der Doctor wird wie gewöhnlich an die Sumpfwiese hinüber botanisiren gehen. Der ihm zugetheilte Soldat läßt ihn nicht aus, wenn auch in bescheidener Ferne. Also nur Tocke im Auge behalten. Für jene Beiden stehe ich.

Vor der Thür waren gesattelte Pferde angekommen. Der Herzog stieg auf und ritt langsam gegen Norden zwischen den Zelten dahin.

Die Suite folgte in einiger Entfernung. Waldstein war gekleidet wie in Zleb und hatte den mit Hermelin verbrämten rothen Sammetmantel trotz der Wärme um die Schultern.

Die ersten Zelte, an denen er vorüberritt, waren grün und von feinem Stoff. Sie waren für den König von Ungarn bestimmt, der nicht kam. Dann folgten lange und breite Zeltgassen, die ersten für Infanterie, die folgenden für Cavallerie bestimmt. Dann gelangte man an ein kleines Dorf, Kreitles geheißen. Vor diesem harrte eine kleine Reiterschaar. Der lange ernste Mann an der Spitze dieser Schaar ritt dem Herzoge einige Schritte entgegen und salutirte. Er hatte ihn erwartet. Es war General Aldringer, der sein Quartier in Kreitles hatte.

Schweigend hörte Waldstein den Rapport Aldringer's und ritt dabei im Schritt weiter. Der Kern des Rapports war, daß ein Sturm der Schweden auf das verschanzte Lager ganz nahe bevorzustehen scheine. An der Nordseite des Lagers von Zirndorf abwärts nach Firberg und Dambach bis gegen Fürth jenseits der Rednitz sammle sich der Feind in großen Haufen und mit zahlreichem Geschütz. Es werde deutlich, daß er über den Burgstall hereinbrechen wolle.

»Das heißt den Stier bei den Hörnern packen!« sagte der Herzog gleichgültig – »glaubt Ihr das?« – Ja, Durchlaucht, antwortete Aldringer. – »Dann mögt Ihr selbst den Burgstall besetzen und vertheidigen. Er ist mein festester Punkt und der Schwede soll sich den Kopf d'ran einrennen. Morgen mit dem Frühesten besetzt ihn und mit aller Stärke. Die Baiern, welche dort sind, können bleiben. Euch sind sie ja vertraut durch langes Commando im Reich. Und es sind Truppen, die fest halten?« – Fest, Durchlaucht, sehr brave Truppen.

Immer weiter reitend waren sie an breiten Sumpfwiesen vorübergekommen, die sich links gegen Abend hin erstreckten über den breiten Lagergraben hinaus und hatten einen scharf bewachten Munitionsplatz passirt, der mit Kanonen und Pulverkarren angefüllt war. In kurzer Entfernung rechts drüben lag in der Abendsonne, die eben gelb aus den Wolken trat, ein bewaldeter Hügel. Ein Thürmchen ragte aus dem Gehölz hervor. –

»Der Kurfürst ist in seinem Quartier« – sagte Aldringer, indem er auf den Waldhügel zeigte – »wenn Durchlaucht –« Nein, auf die Höhen vor der Bieber will ich, um nach Dambach und Firberg zu sehen. Von da wird der Hauptangriff geschehen auf den Burgstall.

Dies sprechend setzte er sein Pferd in Galopp, um den letzten Tagesschein noch benutzen zu können für den Ueberblick.

Die klar zum Untergang sinkende Sonne that denn auch ihre Schuldigkeit und beleuchtete Feld und Wald und Fluß und Thal ganz scharf und deutlich, als der Herzog auf einem Hügel anhielt, an dessen Fuße das Flüßchen Bieber zur Rednitz hinabströmte. Diesen Wasserwinkel hielt auch Waldstein für die entscheidende Stelle. Sie war ein maßgebender Punkt gewesen, als er die Regimenter commandirt hatte, solchen meilenlangen Graben um Wald und Feld zu ziehen. Gegen Morgen ersparte die Rednitz den Graben, im Westen halfen große Sumpfflächen und im Norden jenseits der Bieber erhob sich ein Waldhügel, auf dessen Gipfel eine Schloßruine, der Burgstall geheißen, zum Hauptwall gemacht werden konnte und gemacht worden war. Auch die Gegner Waldstein's räumten ein, daß dies Zirndorfer Lager meisterhaft ausgesucht und angelegt wäre. Den Namen erhielt es von dem Dorfe Zirndorf, welches im nordwestlichen Winkel des umgrabenen Raumes lag.

Von dem Waldberge des Burgstalls schweifte das Auge des Herzogs eben jetzt links hinüber nach Zirndorf, und indem er mit der Hand dahin deutete, sagte er zu Aldringer: – Was meinst Du, alter Kriegsgefährte von der Dessauer Brücke? Kann uns jene Anhöhe hinter dem Graben bei Zirndorf nicht gefährlich werden? Hätten wir sie nicht hereinziehen sollen ins Lager? Wenn der Feind dort Batterien auffährt und Zirndorf stürmt, so umgeht er uns den Burgstall! Was?

»Ich widerspreche nicht«, entgegnete Aldringer und schob das schwarze Tuch, welches er um den Kopf geschlungen trug, vom Auge, um schärfer auszublicken. In der Lechschlacht bei Rain war er in einen Hagel von Falconetkugeln gerathen, und die eine hatte ihn am Kopfe gestreift, während eine andere Tilly vom Pferde und ins Grab geworfen hatte. – Carretto! Piccolomini! rief der Herzog.

Beide hatten sich der Suite angeschlossen, als der Herzog am Lager ihrer Regimenter vorübergeritten war. Sie ritten jetzt Beide nahe heran zu ihm und der Herzog fuhr fort:

»Warum widerspracht Ihr damals, als die Anhöhe hinter Zirndorf einbezogen werden sollte ins Lager?« – Ich widersprach – erwiderte Carretto – weil das ohnehin riesengroße Lager über Gebühr ausgedehnt worden wäre und weil die zwei Redouten westlich vom Burgstall und außerhalb des Burgstallwaldes vollkommen hinreichen, den Anfall von jener Höhe zu verhindern. – »Und Ihr, Piccolomini?« – Ich widersprach – entgegnete dieser – weil Zirndorf selbst mit seinen gemauerten Häusern so nachdrücklich vertheidigt werden kann, daß ein Einbruch des Feindes in jenem Winkel nicht zu fürchten steht. Meines damaligen Votums eingedenk war ich auch heute erst drüben auf jener Anhöhe, um zu recognosciren. Der Boden dort ist ein schwerer Lehmboden, tief aufgeweicht von dem nassen Wetter. Es würde sehr schwer halten, schwere Stücke da hinauf zu schleppen. – »Eure Regimenter also« – sprach der Herzog – »Carretto und Piccolomini, werden für Euer Votum einstehen und werden den offenbar schwachen Winkel bei Zirndorf vertheidigen. Ade!«

Hiermit wurde die Suite verabschiedet. Sie ritt zurück. Es blieb nur Sparr und Leo beim Herzoge, welcher gedankenvoll in das Bieberthal hinabsah, wo Isolano's Croaten ihre Pferde schwemmten. Die Felder da unten waren sämmtlich mit Zelten bedeckt; neben den Croaten campirte da die bairische Reiterei. Nur der Waldhügel des Burgstalles, welcher hinter den Zelten und zwar außerhalb des Grabens aufstieg, verrieth nichts von der Feldwüste, welche ein Kriegslager hervorbringt. Man sah nichts von der Hauptverschanzung, welche sich dort in einen Mantel von Bäumen eingehüllt hatte.

Die Herren von Berg, eine fromm gewordene Familie, waren einst Besitzer dieser Landschaft gewesen an beiden Ufern der Bieber bis an die Rednitz hinab und ihr klösterlicher Sinn hatte nicht geahnt, daß ihre Felder und Bauten einst zu Stützpunkten einer Schlacht dienen sollten. Der Altenberg, in dessen Trümmern jetzt der bairische Kurfürst lag, war das Stammschloß gewesen. Am linken Ufer der Bieber hatten sie später eine zweite Burg erbaut, welche kurzweg der Berg genannt worden war und deren Ruine zu Waldstein's Zeit der Burgstall genannt wurde. Unsere Historiker nennen sie die »alte Veste« und bezeichnen auch die Schlacht, welche jetzt bevorstand, mit dem Ausdrucke »Schlacht bei der alten Veste«. Die Kriegsleute jener Schlacht selbst aber brauchten diesen Ausdruck nicht, sie sprachen stets nur vom »Burgstall«.

Waldstein's Auge erhob sich und haftete fest auf dem Walde, welcher diesen Burgstall verbarg und welchen die untergehende Sonne rothgelb überzog. Sein Kriegsinstinct schien zu ahnen, daß dort der Zweikampf mit dem Gothenkönige zum entscheidenden Ausbruch kommen werde. – Jählings wendete er sich und sah Sparr und Leo an. – Reite sogleich hinüber, Leo, nach dem Burgstall – sagte er endlich – und bestell' dem Commandanten, daß der Feind einen Ueberfall vorhabe auf den Burgstall. Vielleicht noch in dieser Nacht. Es solle Alles gerichtet sein; auch die Nacht hindurch. Morgen komme Aldringer hinauf. Reite!

Waldstein sah dem jungen Reiter eine Zeit lang nach und wendete erst sein Roß, als die Dunkelheit des Abends unten das Flußthal einhüllte. Er wendete es aber nur, er ritt nicht weiter, sondern blickte aufmerksam in Sparr's Antlitz. »Was ist vorgegangen, Sparr?« – rief er raschen Tones – »Deine Mienen sind gespannt. Du hast etwas!« – Allerdings, Durchlaucht. Wir haben den Boten, welcher die Briefschaften der Verräther nach Wien befördert, und wir haben drei Briefe dieser Verräther. – »So? – Was enthalten sie?« – Und dabei setzte er sein Roß in langsamen Schritt zum Heimwege. – Ein Brief ist wirklich von diesem Leo Steinwald, den Ihr eben wieder mit einem Auftrage von Bedeutung verschickt habt. – »Was schreibt der Bursch?« – Auf den ersten Anblick äußerliche Dinge. Wie Durchlaucht hier eingerichtet ist in einem Bretterhause, was Ihr eßt und trinkt und daß die Gicht ganz verschwunden zu sein scheine. Doctor Blandini habe das zu Wege gebracht durch ein Arcanum, welches der Herzog jeden Abend verschlucke. Und in solchen persönlichen Dingen geht es weiter. Der junge Mensch mag wol wissen, daß sein Freund Tocke, dessen er lobend erwähnt, den ausführlichen Bericht erstattet und überläßt also diesem die Hauptsache. Der Brief dieses Tocke ist denn auch eine vollständige Uebersicht alles Dessen, was seit Monaten, seit unserer Abreise von Zleb mit Durchlaucht vorgegangen ist oder doch in der Seele von Eurer Durchlaucht vorgegangen sein könnte. Es ist die giftigste Denunciation an Eure Gegner in Wien und das Gift ist oft so fein, daß ich vermuthe, Doctor Blandini hat die Hauptsachen diesem Tocke dictirt. – »Was schreibt Blandini selbst?« – Nur Medicinisches in Bezug auf Eure Gesundheit. Wahrscheinlich sind es maskirte Ausdrücke, welche für den Leser in Wien einen andern Sinn haben als für uns.

Sparr zog den Brief hervor und beim letzten Abendscheine las er folgende Worte, die er schon auswendig zu wissen schien:

Der merkwürdige Mann ist auch körperlich kaum zu analysiren. Seine Organe sind von einer unberechenbaren Energie und werfen Alles gewaltsam aus, was die Verdauung fremdartig anmuthet. Selbst lebensgefährliche Ingredienzen werden ihm wenig anhaben, wenn sie ihm in kleinen Dosen zukommen. Er kann ein hohes Alter erreichen trotz seiner gichtischen Complexion, weil er mäßig und nüchtern ist in seinen Nahrungsmitteln und weil seine Gemüthsbewegungen nur Gallenbewegungen sind. Der ausgebildetste Egoismus sorgt instinctmäßig dafür, daß die Gallenbewegung keinen tieferen Einfluß gewinnt auf diejenigen inneren Fäden des Menschen, welche die edleren Lebenskräfte berühren. Dieser kolossale Egoismus ist sein Gegengift für Alles. – »Weiter nichts?« – Nein. Mir scheint's sehr viel. Schwache Vergiftungen haben nicht angeschlagen; man steht vor der Frage, ob man zu starken übergehen soll. – »Das legst Du hinein. Vielleicht mit Recht, vielleicht mit Unrecht. – Weiter! Was schreibt der Tocke?« – Das ist lang. Er erzählt zuerst von Zleb. Raschin habe Euch geheime Botschaft vom Schwedenkönige gebracht – »Die Canaille nennt Raschin?« – Ja. Botschaft, die Euch verstimmt. Starschädel habe Ungenügendes vom Kurfürsten gemeldet und Ihr wäret ergrimmt gegen Beide aufgebrochen. Deshalb nur wäret Ihr dem Kurfürsten von Baiern zugerückt. Als Ihr ihn gesehen, da habe der Rachesinn wieder die Oberhand in Euch gewonnen. Der bairische Kurfürst – heißt es – hat sich wie ein Märtyrer sanft und mild verhalten gegen den brutal auftretenden Herzog. Dieser Herzog hat auch gleich eine große Geldsumme verlangt, wenn das kaiserliche Heer vordringen solle. Der Kurfürst hat sie auf der Stelle baar gezahlt. Das kaiserliche Heer ist aber vorgedrungen unter Verwüstung des kurfürstlichen Landes, wie eine Mordbrennerbande ist es durch die Pfalz gezogen, und als es endlich in Franken die schwedische Armee vor sich gehabt, da hat sich der ganze Abgrund des Friedländischen Charakters aufgethan. Um das zweifache ist das kaiserliche Heer in Verbindung mit dem bairischen dem schwedischen an Zahl überlegen gewesen und hat doch nicht angegriffen. Der Kurfürst hat gebeten und gefleht wie ein Kind, der Friedländer hat despotisch Nein gesagt. Warum? Aus zwei Gründen. Erstlich fürchtet er die Feldherrnüberlegenheit des Schwedenkönigs. Man merkt das ganz deutlich. Der Herzog mag ein Talent sein für Organisirung eines Heeres, aber für die Verwendung desselben in großen Schlachten wird seine Fähigkeit immer zweifelhafter. Zweitens hat er dem bairischen Kurfürsten und der kaiserlichen Sache nicht gründlich helfen wollen durch einen Sieg, den man ihm nicht allein zugeschrieben hätte; und drittens ist seine geheime Unterhandlung mit dem Schwedenkönige durchaus nicht abgebrochen. Das hat sich mehrfach gezeigt. Neulich hat man den Oberst Taupadel gefangen, einen Liebling des Königs und sehr gefährlichen Officier. Was geschah ihm? Der Friedländer unterhielt sich lange und allein mit ihm und ließ ihn alsdann ohne alle Ranzion frei abziehen gen Nürnberg. Sicherlich mit besonderen Aufträgen für den König. Es dauerte auch nicht lange, da erschien die bewußte Gräfin Ludmilla im hiesigen Lager und hatte eine lange Conferenz mit dem Herzoge. Sie sagte wol, daß sie recta aus Böhmen käme, wo sie ihre Schwester irgendwohin begleitet habe, ich erfuhr aber von Steinwald, daß sie aus Nürnberg gekommen war. Es ist bekannt, daß Gustav Adolph, der die Frauenzimmer sehr gern mag, ihr Liebhaber ist und sie zur Botenläuferin verwendet. Kurz, es ist nicht abzusehen, wohin diese jämmerliche und treulose Kriegführung des Friedländers die kaiserliche Sache noch schleppen wird. Dem Doctor Carlos hab' ich das Alles vorgestellt und ich glaube: der Moment ist sehr nahe, welcher das äußerste Mittel nöthig macht. Man trägt die Geringschätzung des Kaisers völlig zur Schau. Neben seinem üppig eingerichteten Hause hier im Lager hat der Herzog ein paar Zelte aufrichten lassen für den Sohn des Kaisers, für den König von Ungarn, wenn er käme. Sie sind von dünnem, grünem Stoffe und der Regen geht natürlich durch. Da es aber alle Tage regnet, so findet er das passend für den jungen Mann, wie er sich ausdrückt, der ins Grüne gehöre. – Und nun das Aergste: die Baiern sollen bis auf den letzten Mann geopfert werden, sie sind hier im Lager verrätherischerweise zwischen uns und den Feind gelegt, so daß sie erdrückt werden können, wenn der Herzog und der König einig mit einander sind. – Dies, Durchlaucht, ist der Inhalt des Tocke'schen Briefes. – »Hast Du ihn auch bei Dir?« – Hier sind sie alle drei. – »Leg' sie auf meinen Tisch, wenn wir heimkommen; ich will sie lesen. Der Schurke weiß nichts vom Fange?« – Nicht das Mindeste. Der Bote ist abgesperrt unter Conrads Aufsicht. – »Wer ist der Bote?« – Als Officier dem Carretto'schen Regimente zugetheilt, des Namens Medardo. – »Der? – Ich kenne ihn von Wien. Bring' mir ihn zuerst. Ich will ihn sprechen. – Den Tocke alsdann. Der Doctor kommt von selbst.« – Und Steinwald auch. – »Der Leo? Ja wol. – Noch Eins, und das Wichtigste: Zeig' dem Wessely sogleich den Brief Tocke's. Er ist ein Meister im Nachbilden von Handschriften. Er soll mit Tocke's Schriftzügen die Worte auf einen Zettel malen: »Der Augenblick ist da! Morgen greift der Feind an. Die Baiern allein werden ihm entgegengestellt und werden geopfert. Auf ihren Leichen erfolgt die Vereinigung des Friedländers und des Schweden. Der Augenblick ist da und nur heute noch. Eiligst!« Diesen Zettel soll man auf des Doctors Schreibtisch legen, während der Doctor zu Dir gerufen ist. Du aber sagst ihm, ich wolle heute zur Nacht seine Tamarinden-Latwerge nehmen.« – Durchlaucht –?! – »Wenn er sie vergiften will, so geschieht's auf die Nachricht jenes Zettels. Alsdann –« Ein Kanonenschuß von links her, von der Rednitz herauf unterbrach den Herzog. Er hielt sein Pferd an. Ein zweiter Schuß folgte, ein dritter, ein vierter, ein fünfter. – Das sind Allarmschüsse von der Rednitzlinie! rief Sparr.

Die beiden Reiter waren inmitten der Zeltreihen. Trommel- und Trompetensignale erhoben sich rings um sie, alle Truppen geriethen in Bewegung. Waffenrasseln, Pferdewiehern, Commandoworte bildeten ein unheimliches, aber gleichsam regelmäßiges Geräusch, Es war dunkler Abend geworden und hie und da leuchteten Pechfackeln auf.

»Kümmere Dich nicht darum« – sagte Waldstein, indem er langsam weiter ritt – »ein Ueberfall über den Fluß ist Unsinn während der Nacht. Reite voraus und besorge den Zettel. Fort!«

Sparr beeilte wenigstens den Schritt seines Pferdes. Traben konnte er kaum bei dem nur stellenweis auf den Weg schimmernden Fackellichte. Waldstein ritt langsam weiter, ein gespenstiger Anblick für die Soldaten, welche ihn erblickten, den selten sichtbaren Feldherrn im Hermelinmantel und Federhut, ganz allein im Finstern, während das Lager durch die Allarmschüsse aufgeschreckt war. –

So ritt er einsam wol eine Viertelstunde lang und beobachtete das Antreten der Regimenter. Dann kamen seine Ordonnanzen, denen Fackeln vorgetragen wurden, ihm entgegen, Scherffenberg an ihrer Spitze. – »Ist Nachricht da?« fragte er ruhig.

»Noch nicht, Durchlaucht.« –

Kaum war dies Wort gesprochen, so rasselten Reiter heran mit Nachrichten. Sie kamen von der Rednitzlinie an der Morgenseite des Lagers und berichteten: der Feind marschire jenseits des Flusses auf in tiefen Massen. Von Fürth bis Gebersdorf höre man eine ununterbrochene Bewegung, auch das Geräusch schwerer Geschütze. Spione sagten aus, der König selbst sei in Gebersdorf. Einen Büchsenschuß nordwärts vom Dorfe dicht vor dem Feldgehölze scheine eine Batterie aufgeworfen zu werden; es sei ein Ueberfall im Werke. –

»Feldmarschall Gallas soll die Redoute hinter dem Hohlwege, da wo der kleine Bach in die Rednitz hinabläuft, doppelt besetzen. In jenem Winkel wird der Feind herein wollen. Zurück!«

Die Reiter machten kehrt und verschwanden in der Dunkelheit.

»Scherffenberg! Die Truppen sollen wieder abtreten und sich schlafen legen. Um zwei Uhr des Morgens sollen sie auf und sollen antreten. – Sende Niemann hinab zu Gallas – da kommt er ja! – Scherffenberg, vorwärts! – Niemann, reite zu Gallas. Vor unseren Schanzen gegenüber von Gebersdorf liegt ein kleines Gehölz – kennst Du's?« – Ich kenn' es, Durchlaucht. – »Das soll in der Nacht niedergeschlagen, und dort sollen – auf unserer Seite, also diesseits des Gehölzes, – Laufgräben aufgeworfen werden für Musketiers. Verstanden?« – Vollkommen, Durchlaucht. – »Fort!« Der Herzog ritt langsamen Schrittes auf sein Bretterhaus zu. Im Flur trat ihm Sparr entgegen. »Alles besorgt?« – Alles. Ich bringe die Briefe.

Er folgte dem Herzoge hinauf und fragte, ob der bevorstehende Angriff des Feindes die Vornahme der Verräther nicht verschieben solle?

Der Herzog schüttelte den Kopf, setzte sich zur Lesung der Briefe und wiederholte, daß zunächst Medardo vor ihn gebracht werden sollte.

Sparr ging; der Herzog las den Brief Tocke's: »Der Herzog fürchtet die Feldherrnüberlegenheit des Schwedenkönigs. Er mag ein Talent sein für Organisirung eines Heeres, aber für die Verwendung des Heeres in großen Schlachten wird seine Fähigkeit täglich zweifelhafter« – diese Stelle war ihm die empfindlichste. Vielleicht deshalb, weil ein Korn Wahrheit in ihr lag. Falschen Tadel schütteln wir ab wie Regentropfen, richtiger Tadel sickert durch unsere Haut bis aufs Mark. Diese Stelle allein konnte für Tocke den Strick unvermeidlich machen.

Dabei gestand sich der mächtige Kriegsfürst mit Widerstreben ein, daß die größte Macht nicht geschützt werden könne gegen – eine richtige Bemerkung. Man kann die Welt erobern, den kleinsten wahrhaftigen Tadel kann man nicht ersticken. Die Gesetze der moralischen Welt sind unerbittlich.

Waldstein war aufgestanden und ging umher. Dieser Gedanke an menschliche Ohnmacht bewegte sein Gemüth. Für Dergleichen war es offener als für Gefühle.

Da erschien Medardo an der Zimmerschwelle. Er sah erbärmlich aus. Sein Peiniger Conrad, der ihn heraufgebracht, blieb im Vorzimmer, der Beute für den Henker gewärtig. Conrad hatte die zwei Stunden wahrgenommen, seine Rache zu kühlen. Nicht gerade durch körperliche Pein, welche er ihm angethan, nein! Da hatte er sich begnügt, den bis aufs Hemd Entkleideten auf ein Lager zu nöthigen, hatte ihn mit einer Last von Decken und Hüllen zugedeckt bei der Sommerluft in einer Holzstube und ihm einen Schweiß ausgepreßt, der, mit Todesangst genährt, einen Vorgeschmack der Hölle geben konnte. Aber in Worten hatte er sein Müthchen gekühlt und in dem Begriffe eines »Spions« alle Berechtigung zum Hasse hundertmal umgewendet, wie man einen Dolch umwendet in der Wunde. Der letzte Trumpf war immer gewesen, daß er nun endlich gerade an den Friedländer gerathen sei mit seinen Verräthereien, an den Friedländer, der ohne Umschweif an den Galgen spedire. Man kann nicht sagen, daß sich Conrad edel benommen und das Groberdige in seinem Charakter verläugnet hätte.

Verhältnißmäßig hatte er dadurch Medardo genützt. Dieser stand jetzt vor dem Friedländer wie Einer, der fertig ist mit dem Leben und auf das Aergste gefaßt. Also nicht ohne Fassung.

Waldstein hatte eine gewisse Treue für seine Creaturen. Daraus erklärte sich's, daß er die »rothe Feder« jetzt einiger Vorwürfe würdigte. – Regelmäßig, Du Canaglia – sagte er – habe ich Dich beschenkt in Wien, und nun spionirst Du gegen mich!

»Durchlauchtigster Herr« – erwiderte schachmatt, aber ruhig Medardo – »ich bin ein Dienstbote. Ich muß thun was mir befohlen wird. In Eurer Herrlichkeit Dienste stand ich jetzt nicht und, Gott soll mich strafen! ich hab' nicht ein Jota von dem gewußt, was ich herüber und hinüber trage, hab' nicht gewußt, ob es Euch anging oder wen sonst.« – Lüg' nicht bis in den Tod, Du hast ebenso mündlich hinüber und herüber getragen und ganz gut gewußt, wen's angeht. Canaglia bist Du, sonst nichts! Ich weiß Alles. Von Deiner Beichte soll der Grad Deiner Strafe abhängen. Beichte genau! Deine Aufträge, Deine Bezahlung, Deine Dienstgeber! Zunächst Dein Marchese Carretto! Beichte!

Medardo läugnete, daß der Marchese bei dem letzten Botendienste betheiligt sei. Er habe ihn zwar einmal mit Briefen nach Wien geschickt, aber nicht an die Jesuiten, sondern recta in die Kammer des Kaisers. Niemals an den Pater Norbert, der ihn allerdings bezahle, wie ihn die Jesuiten seit fünfzehn Jahren bezahlt hätten.

Waldstein hatte die Geduld, den Delinquenten eine halbe Stunde auszufragen und anzuhören. Alle Wiener Persönlichkeiten kamen an die Reihe.

Schließlich sagte er: »Weil Du mir einst gedient, werd' ich Dich vielleicht Deine Todesart wählen lassen. Nach einer Stunde wirst Du mich noch einmal sehen und Dein letztes Wort sagen.« Damit öffnete er selbst die Thür und übergab ihn Conrad mit dem Bedeuten, ihn streng zu bewachen, bis er mit ihm nochmals berufen würde.

»Ist der Tocke da?« fragte er Rostok. – Wartet nach Ordre des Herrn Oberst drüben auf seinem Zimmerchen. Sollte hier nicht begegnen – »Recht. Soll jetzt kommen!«

Tocke war durch den längeren Aufenthalt neben dem Herzoge etwas muthiger geworden – er trat jetzt weniger furchtsam als sonst vor den Friedländer und fragte nach dessen Befehlen.

»Setz' Dich dort an den Tisch und schreibe was ich dictire!« Tocke folgte bereitwillig. Der Herzog dictirte:

»Großmächtiger Herr! Ich muß leider wiederholen was ich neulich gesagt: man überschätzt das Talent dieses Mannes. Für Organisirung mag er Geschick haben – – Fertig?« – Zu Befehl! – »Aber für die Verwendung eines Heeres in großen Schlachten wird seine Fähigkeit täglich zweifelhafter –«

Tocke fiel die Feder aus der Hand inmitten des letzten Satzes und sie machte einen großen Klecks auf das Papier. Ganz so schwarz wurde ihm vor den Augen und nicht mit diesen, sondern mit den schlotternden Schultern wurde er inne, daß der Friedländer dicht bei ihm war, das beschriebene und bekleckste Blatt vor ihm wegnahm und mit einem andern beschriebenen Blatte verglich.

Diese Vergleichung war rasch erledigt und Waldstein rief: »Rostok!«

Bei aller Finsterniß vor den Augen war es doch vollständig licht in der Seele Tocke's. Sein Körper versagte, denn die Nerven, von Furcht überspannt, rissen entzwei, aber sein Geist rief mit Posaunentönen: der immer gefürchtete Augenblick, der gewaltsame Tod für dich durch den Friedländer ist da, er hat deinen Brief, er übersieht dein ganzes Treiben – und blind nach außen, lichthell im Innern fuhr das Männchen kerzengerad in die Höhe und schrie. Was schrie er? Wunderlich genug, er selbst schrie die Worte, welche er vom Herzoge immer erwartet hatte, er selbst schrie: Hängt die Bestie! Hiermit war all' seine Fähigkeit erschöpft, er sank in die Knie; alle Muskeln und Sehnen in ihm waren entzwei. Waldstein nahm keine Notiz von ihm. Er sagte zum eintretenden Rostok: »Lass' den Profoß rufen. Und wenn er den da fortschafft, so geh' zur Stubenthür des Doctors. Schreit der da, so tritt beim Doctor ein und sprich so lange zu ihm, bis das Geschrei verhallt. Der Doctor soll nicht erfahren, was das Geschrei bedeute, und er soll erst zu mir kommen, wenn der da aus dem Hause ist. Marsch!«

Waldstein ging in dem Zimmer entlang an dem zu Boden liegenden Tocke vorüber als läge nichts da. Er setzte sich an den Tisch und las die kurzen Briefe des Doctors und Leos noch einmal. Tocke regte sich auch nicht. Hatte ihn der Schlag gerührt? Ein Schlag wol, der, welchen Todesangst wie eine elektrische Batterie auf die Nerven wirft. Die Thür öffnete sich und eine kolossale Gestalt mit einem rothen Barte bis auf den Magen erschien auf der Schwelle. Der Generalprofoß. Er trug die rothe Binde des Heeres über Schulter, Brust und Hüfte hinab in der Breite einer halben Elle. Hinter ihm standen zwei riesige Kerle.

Der Generalprofoß salutirte und blieb an der Thür stehen. – Der Herzog war über den Briefen in Gedanken versunken und wurde seiner nicht sogleich gewahr. Als er ihn endlich sah, deutete er auf das Häuflein Mensch am Fußboden und sagte trocken: Ohne weitere Procedur den Strick vor Sonnenaufgang!

Tocke schien das zu verstehen und machte Anstalt sich aufzurichten. Nach einem Winke des Profoßen erleichterten ihm dieß die beiden riesigen Kerle und trugen ihn hinaus wie ein Wickelkind. Tocke schrie auch nicht, es fehlte ihm wol die Kraft dazu – er war hinweg wie eine Sternschnuppe.

Rostok's Auftrag wurde dadurch vereinfacht. Er trat in das Zimmer des Doctors mit der bloßen Meldung: Durchlaucht erwarte den Herrn Doctor. Blandini war bereit. Er griff nach einem silbernen Eierbecher, aus welchem ein dunkler Brei feine Rauchwölkchen ausströmte und folgte Rostok.

Ruhigen Schrittes trat er beim Herzoge ein und setzte den kleinen Becher auf einen Nebentisch.

»Ah!« – rief der Herzog – »Ihr habt das Medicament schon fertig?« – Ich hab' es rasch gemacht, Durchlaucht. Es ist sehr einfach. Die Pflaume wird nur abgebrüht und durchgeseiht. Ich freue mich, daß Durchlaucht es endlich versuchen wollen. – »Ja, die Galle ist mir heute sehr lästig geworden und braucht eine Linderung. Der Sturm des Feindes beginnt, und für die Schlacht braucht man ruhiges, ungereiztes Blut. – Setzt Euch zu mir, Doctor. Ich bin gegen Gewohnheit redelustig, vielleicht eben weil die Galle mich stachelt. Ich möchte wissen, was Ihr morgen für Untersuchungen vorhabt, denn morgen giebt's frische Leichen von jeder Sorte.« – Nicht eigentlich Leichen, sondern gewaltsam Sterbende wären mir wichtig. Mein Augenmerk ist jetzt gerade darauf gerichtet, daß die Hirnnerven noch einige Minuten fortleben, wenn auch der Puls schon stille steht. – »Ah!« – Ein abgeschlagener Kopf soll noch eine ganze Weile volle Lebensthätigkeit zeigen. An den Augen besonders soll es sichtbar sein. Sie sollen den lebensvollen Blick bewahren, und die Augenlider sollen sich schließen und öffnen. Das wäre für die Beschaffenheit des menschlichen Geistes von Bedeutung. Hat er wirklich seinen Sitz in den Gehirntheilen und deren Nerven, und ist er bis auf einen gewissen Grad unabhängig vom ganzen Körper, vom gleichsam thierischen Rumpfe? – »Doch wol. Ich habe eine Zeit lang kalte Waschungen mit mir vorgenommen, die mir sehr empfindlich waren. Dabei entdeckte ich ein Mittel gegen die unangenehme Empfindung. Ich ersäufte den Kopf, namentlich die Ohren, mit Wassereinreibung und ließ mir den Rumpf unterdeß begießen. Diese Begießung wurde ich solchergestalt gar nicht gewahr. Die Beschlagnahme des Kopfes verhinderte es, indem sie das Bewußtsein unterdrückte. Wessen man sich nicht bewußt wird, das existirt nicht für uns. Die Welt lebt also für uns nur in unserm Kopfe.« – So scheint es. Aber bei einem Gehenkten verwickelt sich die Frage. Wenigstens wird sie so fein, daß sie uns entschlüpft. Der Proceß des Gehenktwerdens entwickelt bekanntlich die geschlechtliche Wollust im Menschen. Diese Wirkung nach den Nerven des Rumpfes ist offenbar, aber die Wirkung nach dem Hirn ist unklar. Die Erwürgung scheint den Kopf, also den Geist unmittelbar zu tödten. So sagt die Mehrzahl der Beobachter. Einige dagegen behaupten: der Mund des Gehenkten bleibe noch eine Weile voll Leben, spitze sich und genieße gleichsam. – »Das könnt Ihr genau feststellen. In fünf Stunden, sobald die Sonne aufgeht, wird ein pfiffiger Schurke gehenkt. Vielleicht kennt Ihr ihn, er war manchmal hier im Hause. Versäumt es nicht, ihn zu betrachten während der Execution. – Uebrigens begreift sich's wol, daß beim Henken Kopf und Geist schneller vergehen. Das gepreßte Blut überschwemmt das Gehirn. Deshalb ist's auch ein gesuchter Tod, weil das Bewußtsein augenblicklich aufhört. – Ach, Doctor, wir sind ein dürftig Geschlecht! Die Schöpfung hat unsern höheren Theil an eine künstliche Maschine gekettet, die von tausend gemeinen Zufällen abhängig ist. Es erscheint wie ein Wunder, daß es überhaupt Menschen giebt, die ganz wohl sind, und am Ende sind's nur die gedankenlosen, welche dem Thiere am nächsten stehen. Unsere geistigen Anstrengungen vermehren ja nur die Störung, welcher unsere künstlich zusammengesetzte Maschine ausgesetzt ist. In schwachen Stunden möchte ich mit dem robusten Troßknechte tauschen.« – In Eurer Stellung, Durchlaucht! Gebieter der Welt! – »Täuschung! Eine verlorene Schlacht wirft das Kartenhaus um. Und eine Schlacht kann ich verlieren, weil ein General plötzlich feig wird, weil ein Irrthum sich ausbreitet und panischen Schrecken erzeugt. Das kann morgen geschehen, und meine Feinde triumphiren. Wir sind Alle Spielbälle des Glücks. Am Aergsten die, welche hoch stehen. Nichts stellt sicher. Am meisten noch Gleichgiltigkeit. Mitunter hab' ich sie – ein schöner Trost, nicht wahr? Ihr seid besser daran. Euch interessirt Eure Wissenschaft, und diesem Interesse kann man mit Glück oder Unglück, mit Gunst oder Feindschaft nichts anhaben. Ihr geht unbehelligt durchs Leben, denn Jedermann hofft Hilfe von Eurer Wissenschaft. Von mir hoffen sie Würden, Güter, Geschenke, und diese Hoffnung ist unersättlich. Kein Gott füllt diesen Rachen. Und wer da meint, ich ließe ihn hungern, der ist mein Feind. So kann man als oberster Herrscher Niemand trauen, sich auf Niemand verlassen.« – Auf Niemand?! – »Auch auf Euch nicht, lieber Doctor. Ihr seid mir angekündigt als Giftmischer.« – Durchlaucht! – »Das seid Ihr gewiß. Es kommt nur darauf an, für wen und wie Ihr Eure Gifte mischt. Ob für Hunde und Katzen, ob für Kranke und in wohltätigen Dosen, oder ob –« – Ja so! – »Ja so! Es ist auffallend, daß Ihr darüber erschreckt. Dadurch erschreckt Ihr ja mich. Und nun muß ich ja sicher gehen, mindestens auf Rache denken. Denn was wär's denn weiter als Rache, daß ich Euch nöthigte, das mir bestimmte Gift ebenfalls zu verschlucken. Nicht wahr?«

Und jetzt lachte der Herzog ähnlich wie damals in Zleb.

»Unterhalten wir uns«, fuhr er fort, »mit dem einmal erwachten Gedanken. Holt Eure Tamarinde her!«

Der Doctor that es.

»Setzt Euch nur getrost. Wenn's Gift wäre, dann brauchten wir nicht zu fallen. Ihr würdet ja doch schnell wirkendes erwählt haben. Nicht wahr?« – Dieser Gedanke, Durchlaucht – – »Ist nicht übel, Doctor. Hier ist ein Löffel; nehmt ihn. Und nun nehmt Eure Portion und verschluckt sie. Ich folge getreulich nach. Und haben wir Gift verschluckt, nun so beobachten wir einander; ich bin auch ein halber Doctor – und sprechen wir wie Sokrates, nachdem er den Schierling getrunken, über die Unsterblichkeit der Seele. Ich fürchte, wir sind Beide nicht besonders fest in dem Glauben, wie?! Vorwärts! In einer Viertelstunde können wir darüber auf dem Reinen sein, wenn der dunkle Brei da kräftig gewürzt ist. Nun –? mir scheint, Ihr seid blaß geworden, Ihr zittert –«

Dabei griff Waldstein aufstehend nach dem Arme des Doctors, und dieser – ließ den kleinen Becher fallen.

Wie der Adler einem kleineren Raubvogel gegenüber, so stand Waldstein mit furchtbarem Blicke vor Blandini. Der kluge Doctor konnte sich nicht mehr darüber täuschen, daß tödtlicher Verdacht auf ihm lastete, und daß von einem Herzog von Friedland mitten in dessen Kriegslager das Grimmigste zu befürchten stünde.

Aber Blandini war ein erfahrener, abgehärteter Kunde. Gewohnt, mit großen Herren zu verkehren, und unter gefährlichen Umständen zu verkehren, hielt er dem Adlerauge des Herzogs Stand. Er wußte zu gut, daß jedes Zeichen von Furcht lebensgefährlich für ihn wurde. Er sammelte all seinen Athem, um mit voller Stimme sagen zu können: Ich verstehe den Gedankengang Eurer Durchlaucht wahrhaftig nicht.

Waldstein behandelte alle mittelmäßigen Menschen, auch die hochgestellten, mit Geringschätzung. Aber er hatte volle Aufmerksamkeit für bedeutende Menschen, und er hegte eine wirkliche Achtung für Gelehrte, falls dieselben mit klarem Verstande über ihre Gelehrsamkeit verfügten. Namentlich für Gelehrte in den Naturwissenschaften. Ein Gespräch mit solchen Männern war ihm zu allen Zeiten höchst werthvoll. So achtete er auch diesen Doctor Blandini, und es war seinem Wesen durchaus fremd, solch einen Mann wie einen andern gewöhnlichen Feind, etwa wie einen Tocke, zu behandeln. Das ruhig aushaltende Auge Blandini's blieb denn auch in dieser gespannten Lage nicht ohne Wirkung auf ihn. Du kannst dich doch noch irren, kannst dem Doctor doch noch Unrecht thun, dachte er – und zog seine Hand zurück.

Blandini bückte sich, um den Becher aufzuheben. Das erhöhte Waldstein's Meinung: er könnte dem Doctor Unrecht gethan haben. – »Laßt, Doctor! Das ist eine Aufgabe für den Diener. Die Galle hat unser Gespräch exaltirt – brechen wir ab! Und geht zur Ruhe. Ich werde Euch vor Sonnenaufgang wecken lassen zu der Hinrichtung durch den Strang. Gott befohlen!«

Blandini ging zögernd. Es schien, als ließe er den Becher am Boden nicht gern zurück. Waldstein's Auge aber wich nicht von ihm. Blandini wagte es nicht, noch einen Versuch zu machen, er ging.

Waldstein rief Rostok und befahl ihm, den Becher vorsichtig aufzuheben. Der Brei war zäh, es war nur ein kleiner Theil verschüttet, der kleine Becher war noch bis gegen den Rand hin voll. Rostok setzte ihn scheu auf den Schreibtisch. Es war ihm ziemlich klar, um was es sich hiebei handelte.

»Conrad soll den Medardo herbringen!« befahl der Herzog, »ist der Leo noch nicht zurück?« – So eben ist er gekommen – erwiderte ungern und zögernd Rostok, denn die Stimmung und die Umstände hier erschienen ihm recht ungünstig für eine Audienz Leos. – »Herein mit ihm!«

Leo trat sorglos und guter Dinge ein und erstattete Bericht. Man sei im Burgstall bestens gerüstet und sei in Kenntniß vom vollen Anmarsche des Feindes. Die Bewegung gelte aber allen Anzeichen nach nicht dem Burgstalle, sondern der Rednitzlinie.

»So ist es, Durchlaucht« – setzte Sparr hinzu, der hinter Leo eingetreten war – »ein Bote nach dem andern bringt dafür Bestätigung.« – Was wißt Ihr! Der Schwede weiß es auch vielleicht selbst noch nicht. Morgen wird er's wissen, daß der Burgstall der Schlüssel zu meinem Lager und daß man über einen Fluß herüber nicht stürmt. – Sparr! Lass' aus allen Regimentern die am besten schießenden Musketiere auswählen, dreitausend an der Zahl. Sie sollen morgen geschont werden und in Bereitschaft bleiben für den Burgstall. – Du, Leo, leg' Dich schlafen. Nach Sonnenaufgang wartest Du auf mich drüben am Galgen. –

Leo ging. »Bleibt der Bursche frei?« fragte Sparr.

– Ja. Es liegt nur Albernheit von ihm vor. Dafür soll er morgen in den Kugelregen. Bleibt er verschont, so wird er von dannen gejagt. Er hat sich unnütz gemacht. – Bleib' da, Sparr, Du kannst die Erledigung des Lumpes überwachen, der da gebracht wird.

Medardo wurde durch Conrad hereintransportirt. Auf einen Wink des Herzogs blieb Conrad innen an der Thür.

»Du hast Glück, Patron: Dein Schicksal wird in Deine eigene Wahl gelegt, und es ist wahrscheinlich, daß Du ganz heil davonkommst. Wähle also! Den Galgen oder die Gefahr der Vergiftung. Die bloße Gefahr. Dort in dem kleinen Gefäße – geh' hin, sieh' Dir's an, koste oder rieche wie Du magst! – in dem kleinen Becher ist ein Zwetschkenbrei, der vielleicht Gift enthält. Vielleicht. Es ist möglich, ja es ist wahrscheinlich, daß es nichts weiter ist als ein »Powidel«, wie man's hier zu Lande nennt. Wenn Du diesen Brei binnen fünf Minuten hier unter meinen Augen verschluckst, so ist Deine ganze Strafe überstanden und Du kannst morgen gehen wohin Du willst. Thust Du das nicht, so wirst Du morgen Früh gehenkt. Wähle. Fünf Minuten. Conrad zähle sie an dieser Uhr!

Die »rothe Feder« schwankte wie ein Blatt im Winde. Der Strick hatte einen viel besseren Ruf als die Vergiftung. Furchtbare Schmerzen konnten mit der letzteren verbunden sein. Aber von einer Vergiftung konnte man genesen, und Medardo erinnerte sich unter allen Schrecken ganz deutlich, daß sein Magen sich leicht zum Erbrechen neigte. Außerdem hatte der Herzog gesagt: es sei vielleicht gar kein Gift darin. Der Herzog war entsetzlich, aber er galt für wahrhaftig. Die Entscheidung neigte sich zu dem kleinen Becher. Leben war doch die Hauptsache, und auch der angenehmste Strick war doch sicherer Tod –

»Fünf Minuten!« rief Conrads rauhe Stimme – – Powidel! – schrie Medardo, griff nach dem Becher und dem daneben liegenden kleinen Löffel und verzehrte hastig den Brei, mit jedem Löffel voll unter gesteigerter Angst, es sei doch Gift, denn es schmecke anders als Powidel. Als er fertig war, hatte er die volle Ueberzeugung, daß er vergiftet wäre und schwankte. – »Zugreifen, Conrad, und fortführen! Bei ihm bleiben bis zum Morgen und dann Bericht!«

Conrad führte ihn fort. Diesmal ohne Haß. Die Lage war so curios, daß sie nur Neugier zuließ. Ob der Lump den Tod im Leibe habe oder nicht, das allein war die Frage – und Gift hatte auch für Conrad etwas Widerwärtiges.

Auch Sparr wurde verabschiedet. Der Herzog blieb allein. Rostok kam fragen, ob er die Durchlaucht entkleiden sollte.

»Nein!« lautete die Antwort. »Wenn dieser Medardo stirbt, so bring' mir die Nachricht.«

Waldstein trat ans Fenster und öffnete es. Der Himmel war leicht bedeckt; es fielen einzelne Regentropfen; die Luft war warm. Kein Stern war zu sehen. – Er schloß das Fenster wieder und setzte sich in einen Lehnstuhl. Schlaf erwartete er nicht, trübe Gedanken erfüllten ihn, ja störten sein sonstiges Gleichmaß.

Wohin geräth ein Menschenleben – dachte er – wenn es noch so kühn aufstrebt, noch so glücklich zur Höhe dringt! Was findest du auf der Höhe? Tödtliche Feindschaft, stündliche Gefahr und die heller und heller werdende Besorgniß, daß du übertroffen wirst in deiner Fähigkeit, daß du nicht gründlich berechtigt bist, dich über alle Andern zu erheben. Und die Menge bemerkt das bereits! Das kleine Volk erzählt bereits, daß du deinen Kräften mißtrauest gegenüber dem neuen Feldherrngestirn! Es wird dafür gesorgt, daß der Hochmuth sich beuge. Das möchte sein! Aber auch der Stolz auf das eigene Können, die Ruhe des Selbstbewußtseins leiden. Und was wird aus dem handelnden Menschen ohne sicheren Stolz, ohne Ruhe des Selbstbewußtseins? Sein Schritt wird unsicher, er fängt an zu tappen, am Ende strauchelt er. Denn mich ereilt die Prüfung in absteigender Lebenszeit. Der Körper ist bereits unzuverlässig und beschränkt die frische Freiheit des Geistes, die frische Freiheit der Unternehmung. Was wird, wenn ich den Geist stachle, wenn ich dennoch das Aeußerste wage? Werd' ich überwunden, dann wird der abgezwungene Contract mit dem Kaiser ein gemeiner Strick, an welchem ich hinabgezerrt werde in erbärmliche Niedrigkeit. Hohn und Spott ereilt mich, Fußtritte loyaler Mittelmäßigkeiten werden mein Theil. Ueberwinde ich, dann muß ich großes Spiel spielen, alle Brücken hinter mir abbrechen und mich ganz auf mich stellen, ein neuer schöpferischer Imperator. Hab' ich dazu noch volle Fähigkeit und noch volle Kraft? Er stand auf.

Vielleicht doch – dachte er weiter; – die nächste Schlacht wird's mir darthun. Ein Sieg durch bloßes Glück würde nicht genügen. Es muß sich zeigen, daß ich der stärkste Kriegsmann bin. Was daneben und dahinter liegt, der stärkste Regent zu sein – das macht mir keine Sorge. Kommt es so weit, dann wäre vielleicht der Gedanke jenes Mönches Dunstan aufzunehmen, eine neue Fahne für die Religiösen. Vielleicht! Es kann gefährlich werden; man kann Katholiken wie Protestanten verlieren, statt sie zu verbinden. Denn die Massen brauchen ihre Götzenbilder und ihre Schlagworte, und Götzenbilder wie Schlagworte gewinnen an Macht durch ihr Alter. Das kann gefährlich werden.

Er setzte sich wieder und verfiel in Brüten, verfiel in einen Halbschlummer. Gegen Mitternacht weckte ihn Sparr, welcher mit Rostok eintrat.

»Ist er todt?« fragte Waldstein. – Er lebt noch! entgegnete Sparr, und es ist noch nicht klar zu sagen, ob er vergiftet ist. Gleich zu Anfang hat er sich erbrochen, und dadurch kann ein Theil des Giftes herausgeworfen sein. Er ist in convulsivischer Erregtheit, aber das kann auch von Gemüthsbewegung herrühren, denn er ist seit mehreren Stunden in Todesangst und hält sich für vergiftet. Die Einbildung ist ja ein maßloses Ding. So viel ich vom Puls verstehe, ist ihm keine Katastrophe nahe, besonders da er in Schweiß gebadet liegt. – »Also warten. Wie's scheint, werden wir um den Beweis betrogen, ob Gift vorhanden gewesen sei oder nicht. Du könntest Deinen schwarzen Kater daran setzen, Rostok, und ihn den verschütteten Brei auflecken lassen dort am Boden. Der Kater würde keine Gemüthsbewegung haben und wir sähen einen reinen Erfolg.«

Rostok hatte keine Lust dazu; er liebte seinen Kater und meinte: ein garstiger Hund leiste dieselben Dienste. Dem wollte er's beibringen – und zu dem Ende kratzte er es auf.

Waldstein empfand das Bedürfniß, das bei ihm so seltene Bedürfniß, mit einem vertrauten tüchtigen Menschen seine Gedanken auszutauschen. Er versuchte es mit Sparr. Aber es ging nicht. Die enge Tüchtigkeit dieses Soldaten war eben zu eng für das, was Waldstein brauchte.

Er entließ ihn. – Wäre der Starschädel hier, dachte er, der wäre geeignet. Ein bloßes Echo braucht man nicht, und Unverstand verwirrt oder zieht hinab. Die Kraft muß uns gewachsen sein, wenn der Austausch fördern soll. Oder gleiches Interesse muß entschädigen. Ja, wenn ich einen Sohn hätte! Sein Erbe stünde auf dem Spiel und Enthusiasmus der Jugend hielte dem möglichen Verluste die Wage. Selbst der thörichte Junge, der Leo, wäre mir augenblicklich ein Redegesell, wenn er nicht durch seine Thorheit allen Credit verloren hätte. – Ich bin allein – und hab's eigentlich immer gebraucht allein zu sein. Warum auf einmal heg' ich den Wunsch? – Es ist doch wol Mangel an Kraft und Selbstvertrauen. Und doch lebe ich, trachte ich, arbeite immer nur zu meinem Selbstgenüge. Wunderliche Existenz des Menschen! Herrschlust allein treibt Einen, und wenn die Kraft nachläßt, deren auch die Lust bedarf, so weiß der Mann nicht wohin. Sei's denn! Die Gesetze des Alls schieben uns von selbst weiter. Sie sind unabänderlich. Es hat keinen Sinn, daß sie mich so weit geschoben, um plötzlich abzubrechen. Ich soll eben gestachelt werden, mein Bestes zu entwickeln gegen den neuen Gegner, welcher mir überlegen erscheint. Ich muß eben das Examen bestehen; es wird sich zeigen. – Die Natur machte ihre Rechte geltend: er schlummerte wirklich ein.

Als der Morgen dämmerte, fuhr er in die Höhe. Die moralische Macht in ihm blieb stets im Uebergewicht, er vergaß auch im Schlummer nicht, daß ein wichtiger Tag anbräche und ausgenützt sein wollte.

Er öffnete das Fenster. Dünner Regen träufelte nieder. Rostok, der nicht minder pünktlich eintrat, wurde beschieden, daß der lange Regenmantel und die ruhige dänische Stute an der Tagesordnung sei. Auf die Frage nach Medardo lautete die Antwort: er schläft, und man hält ihn für gerettet. Auch der Hund lebt, welcher den Rest gefressen.

Waldstein hörte das gern, und besseren Muthes stieg er hinab, um sich aufs Pferd zu setzen. Zum Frühstück genoß er nichts. Ein rohes Ei war oft seine ganze Nahrung, wenn ihn Kriegsgeschäfte den ganzen Tag über auswärts in Anspruch nahmen.

Es war Tag geworden, als er sich in den Sattel hob. Sparr und Niemann begleiteten ihn. – Laßt nachsehen – rief er – ob Leo Steinwald drüben am Galgen wartet, wie ihm befohlen. Er soll uns folgen. So ritt er rechts gegen Osten zu, wo das Land sich mälig abdacht gegen die Niederung des Rednitzflusses. Nach zehn Minuten war Leo da, bleich, tief erschreckt.

»Mir scheint, Du fürchtest Dich, Bursch!« – Ich bin erschrocken – vor meinen Augen hat man so eben – »Was denn?« – Den Tocke gehenkt. – »Deinen guten Freund!« – »Es giebt solche Schurken, die zweien Herren dienen. Und nicht alle werden gehenkt. Manche haben den Vortheil, in den Kugelregen geschickt zu werden und wie tapfere Krieger zu sterben.«

Das Wort war kaum ausgesprochen, so hörte man vor sich Kanonenschüsse. Der Herzog ritt dem Schalle direct entgegen, und man näherte sich dergestalt, daß man gewärtig war, die Kugeln vor sich einschlagen zu sehen – da schlug auch eine in den Erdboden vor ihnen, und eine zweite, eine dritte. Der Herzog ritt ruhig geradeaus bis an den großen Graben mit seinem Erdaufwurfe, welcher das ganze Lager umschloß. Hier standen unter dem Schutze des Aufwurfs links und rechts Truppen, und es fuhren Batterien auf.

Leo kam zum ersten Male in seinem Leben ins Kugelfeuer. Er war ganz und gar nicht frei von zuckender Erregtheit – der jähe Tod Tocke's und die Worte des Herzogs hatten sein Gemüth erschüttert. Es klang ihm wie sein Todesurtheil, als der Herzog an einer Furt des Grabens plötzlich seinen Namen rief und hinzusetzte: – Schließ' Dich der eben durch die Furt trabenden Batterie an nach jenen Gräben hinüber, die heute Nacht ausgeworfen sind. Dort verlange beim commandirenden Officier Rapport für mich, und den Rapport bring' hierher.

Leo gehorchte. Die Batterie fuhr in scharfem Trabe. Er nebenher. Die Kanonenkugeln kamen immer dichter und mit einem unheimlich pfeifenden Gebrause. Links, rechts, vor ihm, hinter ihm schlugen sie ein. Die Nerven geriethen ihm in einen quälenden Aufruhr – krach! Da flog ein Pferd vor der Kanone zerschmettert zu Boden und das Gespann prellte, verwickelte sich, stockte. Weiter! rief's in ihm, er setzte sein Pferd in Carrière, um unter den Schutz der vor ihm liegenden Gräben zu gelangen. Ein einziger Gedanke summte wie eine Fliege eintönig durch seinen Sinn: ob es nicht vortheilhafter sei, im Kugelregen langsam zu reiten. Bei dem schnellen Ortswechsel begegne man ja viel mehr Geschossen!

Unversehrt kam er bei den Gräben an und rief nach dem commandirenden Officier. »Er ist vorn drüben, dem Feinde näher, wo das Gehölz niedergeschlagen liegt.«

Hinüber! Die Strecke war nicht breit, und da links und rechts noch schmale Reihen des Gehölzes standen, so hatte Leo den Eindruck, daß er hier um einen Grad weniger den Kugeln ausgesetzt wäre. Er wußte noch nicht, daß gerade solche Eindrücke verhältnißmäßig größerer Sicherheit gar nichts taugen auf dem Schlachtfelde. Sie erhalten nur die Furcht rege.

Auch hier war der commandirende Officier nicht. Vor der Batterie war eine breite sumpfige Stelle, und der Officier hatte gemeint, hier sei ein Angriff nicht zu erwarten. Aber die letzte kaiserliche Schanze unten an der Rednitz selbst hatte ihm hart bedrängt geschienen und er hatte ihr einige »Stücke« zur Verstärkung zugeführt.

Dorthin sollte nun auch Leo. Immerhin! Hier an den noch stehenden Bäumen schien es ihm ohnehin am unbehaglichsten. Jeden Augenblick schlug eine Stückkugel in die Bäume und es regnete Aeste und Zweige. Das allarmirte viel mehr, als wenn die Kugeln glatt vorüberflogen. Hinaus also, rechts um den Sumpf hinum! Es war ihm zu Muthe, wie einem Hazardspieler. Der Einsatz ist immer höher geworden, und um nicht Alles zu verlieren, muß man sich eben immer weiter wagen. Der Einsatz wurde jetzt wirklich viel höher, denn er wurde bald inne, daß ihn ein vielfältigeres, feineres Pfeifen der Geschosse umgab und daß er in den Bereich des Musketenfeuers gerathen war. Jetzt war nicht mehr daran zu denken, ob man sich bücken, ob man links oder rechts einer groben Kugel ausweichen solle: man sah keine Kugel mehr, aber man spürte sie links und rechts, und oben und unten. Hier mußte er sich einfach ergeben, ins Schicksal ergeben. Um so mehr, als er nicht weit genug rechts geritten und in den sumpfigen Boden gerathen war. Das Roß versank bis an die Knie, er mußte es rechts seitwärts werfen, aber mit der Raschheit war's vorbei. Langsam, immer langsamer arbeitete das Thier, und jede Verzögerung war inmitten des Kugelregens zum Verzweifeln peinlich. Der Angstschweiß brach ihm aus, daß dem Rosse die Kraft ausginge und er hier auf ganz freiem Felde als Zielscheibe ausgestellt bleiben könnte – das wurden grimmige Minuten unter Musketenkugeln, die er wie Mückenschwärme um sich merkte. Nur zu deutlich merkte! Denn der fliegende Mantel zog ihn einige Male: es waren Kugeln durchgefahren und hatten an einem Knopfe einen kleinen Aufenthalt gefunden, und der Hut entfernte sich jählings von seinem Kopfe. Es war diese Entfernung keinem Windstoße beizumessen, denn die Luft war gleichmäßig bewegt, es war eine neugierige Kugel gewesen, die auf den Metallknopf des Hutes ihr Absehen genommen. Hier geht's zu Ende mit dem jungen Leben! war endlich der einzige Gedanke, welcher übrig blieb, als das Pferd still hielt, erschöpft durch die Anstrengungen. Es ruhte gleichsam aus mit seinem Unterleibe auf dem Sumpfboden; die finnischen Schützen drüben am andern Rednitzufer konnten sich ihre Zielscheibe, Leo Steinwald geheißen, nicht besser wünschen.

Die Ergebung bringt Ruhe. Auch für ihn und für sein Pferd. Dies erholte sich und arbeitete sich auf festen Boden: er selbst ward gleichgiltig – er hatte die Feuertaufe erhalten. Und da er jung, frisch und muthig war, so erfolgte die für den Krieger nothwendige Abhärtung ziemlich rasch. Barhäuptig und geradezu langsam – das Pferd keuchte in Athemlosigkeit – ritt er mitten durch die Kugeln in die Schanze an der Rednitz.

Hier fand er den gesuchten Officier. »Bringt Durchlaucht eiligst meinen Rapport« – rief dieser – »welcher dahin lautet, daß der Feind Alles in Bewegung setzt und daß unsere Vertheidigung nicht haltbar ist gegen solche Uebermacht. Aber Ausfall und Angriff von unserer Seite ist schreiend angezeigt. Bei der »neuen Mühle« über den Fluß hinüber. Dort links von Gebersdorf zeigt der Feind eine große Lücke. Dahinein Cürassier-Regimenter und eine Anzahl Stücke, und an die fünftausend Mann des Feindes sind abgeschnitten, sind aufzurollen, sind zu fangen, wenn von rechts her jenseits unsers Lagers Truppen entgegen rücken. Rapportirt das eiligst, junger Herr!«

Leo wandte sein Pferd, um diesen Rapport dem Herzoge zu bringen. – »Wollt Ihr den Schwedenkönig sehen, junger Herr?« – O ja! – »Da kommt er eben aus Gebersdorf heraus geritten, da! Allen voraus der große starke Mann auf einem Falben! Hui, jetzt schießen sie Alle auf einmal wie toll. Wartet einen Augenblick, jetzt ist die Luft draußen voller Kugeln.«

»Das ist all' eins!« entgegnete Leo und sprengte aus der Schanze, in mäßigem Galop den Weg zurück, auf welchem er gekommen war. Seine Feuertaufe war vollständig. Er dachte sogar daran seinen Hut aufzusuchen, wenn er nicht gerade im weichsten Sumpfe läge. Das war aber der Fall und er mußte vorüber. Etwas wie ein Mückenstich an der Schulter erinnerte ihn auch daran, daß man die Sorglosigkeit nicht übertreiben dürfe. Er hatte diesen Mückenstich im Verdachte, daß er von einer Musketenkugel herrühre, es waren dabei kleine Tuchfetzen um seine Augen gefahren. Er probirte seinen rechten Arm, und da dieser in nichts den Dienst versagte, so nahm er weiter keine Notiz davon und jagte bis zur Furt des Lagergrabens.

Der Herzog war fort. Nach Norden hinab zur Schluchtbatterie, wo Gallas seinen Aufenthalt genommen.

Dorthin jagte Leo, jetzt unter leidlichem Schutze des Grabenaufwurfs, welcher mit Faschinen verkleidet war.

Vor einer Schlucht, hinter welcher ein Wäldchen, lag diese stärkste Schanze der Ostseite. Der Graben machte hier einen rückgehenden Winkel und entfernte sich dadurch von der Rednitz. Ein Bach mit sumpfigen Ufern rieselte von der Stirnseite der Schanze zum Flusse hinab. Man war hier mehr geschützt und konnte den Feind flankiren, wenn er ins Lager einbrechen sollte. Auch auf der Nordseite der Schanze war ein kleines Gehölz, und unter all' diesen Deckmitteln war hier eine starke Truppenmacht aufgestellt, an denen der Herzog langsam und schweigend vorüber ritt, als Leo ankam.

Der Herzog schien nur mit halbem Blick auf ihn zu sehen. Die bewiesene Bravour des jungen Mannes schien gar keine Aufmerksamkeit gefunden zu haben beim Feldmarschall.

»Rapport!« sagte er trocken, als der barhäuptige Leo neben ihm war.

Leo berichtete wörtlich, was der Officier in der Schanze drüben gesagt. Die Generale und Officiere geriethen in Bewegung darüber, selbst Gallas äußerte, das sei wichtig; auch seine Beobachtungen stimmten dazu. –

»Nichts da!« sagte Waldstein abschneidend, »mit Speck fängt man Mäuse. Die Lücke da drüben ist der Speck für uns, um uns aus unserer Sicherheit hinaus zu locken. Wozu wär' unser festes Lager, wenn wir's verließen?! Er soll herein wollen! Dazu ist's angelegt. Und er muß wollen; denn er verhungert draußen. Seine Landschaft ist aufgezehrt. Je mehr er Truppen heran zieht, desto schlimmer wird seine Lage; seine Mundvorräthe sind erschöpft. Er muß uns angreifen, um seine Kriegsehre aufrecht zu erhalten, und er wird. Morgen vielleicht schon, spätestens übermorgen. Nöthigen wir ihn, zu stürmen – durch ruhiges Dreinschauen. Wir können warten. Den Burgstall nimmt der Herrgott selber nicht, und den Burgstall muß der Schwedenkönig nehmen, wenn er uns beikommen will. Also seid wachsam, aber spart Eure Kräfte.«

Nach diesen Worten ritt er weiter gegen Norden, immer am Graben hin, scharf aufmerkend, ob die Verschanzung überall in gutem Stande wäre.

Als er an den Weg kam, welcher auf die Waldhöhe von Altenberg hinauf führte, sah man den baierischen Kurfürsten mit großem Geleit von dort herabkommen. Er hatte dort, wo einst die Burg Altenberg gestanden und wo jetzt noch ein Kirchlein und Ruinen übrig waren, sein Hauptquartier. Waldstein nahm keine Notiz von ihm und ritt weiter auf die Bieber zu und über eine Brücke nach der Nordseite des Grabens. Eine breite Furt führte da aus dem Lager hinaus an den Waldberg, auf dessen Höhe der Burgstall lag. Diesen Wald umritt Waldstein und revidirte alle die Schneißen, welche er hatte durchhauen lassen, um dem Geschütz von oben freie Bahnen zu öffnen. Die gefällten Bäume lagen gethürmt querüber in den Schneißen und bildeten Verhaue, was man heutigen Tages Barricaden nennt.

Zuweilen hielt er still und sah über das Dorf Firberg hinab nach Fürth auf dem jenseitigen Ufer der Rednitz. Dann ritt er plötzlich eine Strecke zurück. Ein Gehölz hinderte ihm den Ausblick ins Flußthal hinab und auf ein Dorf Dambach, hinter welchem eine Brücke über die Rednitz führte. Als er das Gehölz passirt hatte und Dambach erblickte, rief er Sparr zu sich und trug ihm auf, hier tausend Schritt breit einen Graben auswerfen zu lassen. »Gerade hier wird es heiß hergehen!« sagte er leichthin, indem er sein Pferd nun geradeaus in den Wald nach dem Burgstall wendete.

Jetzt erst schweifte sein Blick zuweilen auf Leo. Sparr bemerkte es und erschrak. Es lag etwas unheimlich Drohendes in diesem Blicke, und Sparr kannte den Herzog zu gut, um nicht zu wissen, daß eine aufsteigende Drohung im Gemüthe Waldstein's immer schwere Folgen bringe. Sparr fing an sich selbst Vorwürfe zu machen über sein Mißwollen gegen Leo, denn er hatte dies Mißwollen oft geäußert und hatte dadurch beigetragen zu dem entstehenden Uebelwollen des Herzogs. Seine geliebte Tochter Magna trat vor seine Seele; er meinte ihren vorwurfsvollen Blick zu sehen, er meinte ihre leise Anklage zu hören in den Worten: Ist es gut von dir, Vater, daß du den mir ergebenen und mir werthen Leo dem rachsüchtigen Herzoge überlieferst, welcher nicht lieben und nicht verzeihen kann? Hast du ein wirkliches Recht dazu gehabt, und ist es dein Beruf, mein Herz so früh zu pressen und vielleicht zu brechen?

Sparr war grundrechtlich und für seine Tochter grundzärtlich. Er hatte diesen Morgen aufmerksam zugesehen, wie sich Leo im Kugelfeuer benommen. Es war ihm da zum ersten Male aufs Herz gefallen, daß seine Magna außer sich sein könnte, wenn der junge Mann da plötzlich in den Tod gerissen würde. Es war ihm eine große Erleichterung gewesen, als Leo barhäuptig aber lebendig zurückkehrte. Er hatte gemeint, nun werde der Herzog befriedigt sein und die Thorheiten des jungen Menschen bei Seite setzen. Als dies nicht geschah, befestigte sich sein Mitgefühl für Leo, besonders weil dieser unbefangen blieb und für sein unerschrockenes Betragen nichts zu beanspruchen schien. Jetzt stieg das Mitgefühl zur warmen Theilnahme, als er die Blicke des Herzogs bemerkte, als er inne wurde, daß eine schwere Wetterwolke aufstieg über dem Freund seiner Magna.

Er näherte sich ihm zum ersten Male, er ließ sich erzählen, wie dem Kriegsnovizen zu Muthe gewesen wäre im Kugelregen. Leo schilderte naiv all seine Empfindungen, auch die furchtsamen. Diese Offenherzigkeit gefiel dem Sparr, und als der »Mückenstich« erwähnt wurde, da sagte er hastig: Das ist eine Musketenkugel gewesen! Lass' zusehen, was sie angerichtet.

Sie waren jetzt auf die Höhe des Waldberges gekommen. Hier war ein breiter, freier Plan, in dessen Mitte die befestigte Ruine stand, von tiefen Wallgräben umringt, in drei Lagen übereinander mit Kanonen gespickt.

Während Waldstein in diesen Burgstall, den steinernen Rest eines alten Schlosses, hinein ritt, nöthigte Sparr den Leo, vom Pferde zu steigen und das zerfetzte Wamms von der rechten Schulter zu streifen. Es klebte an und das Abstreifen erregte Schmerz, weil geronnenes Blut abgerissen wurde. Niemann, welcher dazu trat, erklärte aber lachend: Es sei nur etwas Fleisch weggerissen und habe nichts zu bedeuten. Leo lachte mit und sein Lachen stockte erst, als er zufällig in die Höhe blickte und dort in einer Schießscharte für Wallbüchsen das bleiche Antlitz und das glimmende Auge des Friedländers sah und das Commandowort desselben hörte: Feuer! Zehn Wallbüchsen knallten auf einmal und die Kugeln flogen über die Köpfe Sparr's, Niemann's und Leos hinweg.

Bald kamen Waldstein, Aldringer und ein Dutzend Musketiere aus dem Burgstalle heraus und schritten über die weite Blöße hin bis zu dem Saume des Waldes. Dort suchten sie die Kugelspuren an den großen Bäumen.

Waldstein hatte die Leute Probe schießen lassen, besonders der Höhe wegen. Damit sie den Feind nicht überschössen, wenn er hier bis auf die freie Höhe vordränge. Er war zufrieden und rief Sparr. Sparr trug nämlich heute die rothe Ledertasche, welche nie fehlen durfte, wenn der Herzog unter die Truppen kam. Sie war mit Goldstücken gefüllt und der Herzog beschenkte stets diejenigen Soldaten, welche sich hervorgethan, Hier ließ er an jeden der Musketiere ein Goldstück austheilen und lobte die guten Schüsse. – Morgen oder übermorgen werden wir schauen, ob Ihr auf die Schweden so gut abkommt, wie auf die Baumstämme. Jeder Schwede trägt ein Goldstück ein. – Ade!

Er stieg wieder aufs Pferd und ritt den Waldberg gegen Westen hinab auf Zirndorf zu. Hier lag am Saum des Burgstallwaldes, ebenfalls noch außerhalb des Lagergrabens, eine starke Schanze mit einem sogenannten Cavalier. Die Soldaten nannten sie einfach die Cavalier-Schanze.

Der Marchese Carretto di Grana trat hier dem Herzoge entgegen mit der Versicherung, daß Alles in Ordnung wäre und sturmfrei, wie er gestern behauptet.

»So so!« – erwiederte spöttischen Tones der Herzog und zeigte in der Richtung der Höhe vor Zirndorf – »und der »kleine Cavalier« da ist im fruchtbaren Regen dieser Nacht erstaunlich gewachsen!« – Oberst Piccolomini hat – »Da kommt er selbst!«

Piccolomini kam dahergesprengt und begrüßte in graziösester Form den Herzog. Der kaum dreißigjährige schöne Mann hatte wirklich etwas vornehm Gewinnendes, und selbst Waldstein schien das feine, anmuthige Wesen gern zu sehen. Er rief ihm schon von Weitem zu:

»Sehr fleißig gewesen, Piccolomini, seit gestern Abend!« – Wenn der geübte Blick des großen Kriegsfürsten eine Lücke entdeckt – entgegnete Piccolomini – und ein Kriegsknabe wie Unsereins sich verwogen hat, die Lücke zu decken, da hilft man nach bei Tag und Nacht. – »Wohl gesprochen. Morgen oder übermorgen wird Euer junges Wort sich erhärten oder Euch in den Koth jener Zirndorfer Höhe schleifen. Ade!«

Er ritt nach Süden, heimwärts. Die Kanonade links im Osten hatte ununterbrochen fortgedauert. Jetzt um Mittag ließ sie nach. Ein Triumph für seine Voraussicht, den man auf allen Mienen seiner Begleitung las.

Solch ein Triumph war kein Glück für diejenigen, denen er eben übel wollte, kein Glück für Leo. Je mehr in ihm das Vertrauen wieder stieg, daß er aller Welt überlegen sei, desto rücksichtsloser folgte er im Gefühle seiner Uebermacht all seinen Neigungen und Abneigungen. Und in Betreff Leos war es der Kampf zwischen Neigung und Abneigung, welcher in ihm grollte. Unbefangen zu lieben war ihm völlig fremd geworden im Leben. Jede Regung mußte einem Zwecke dienstbar werden. Ganz ausnahmsweise hatte ihn die Nähe dieses jungen Mannes mit einem Behagen überrascht, mit einem uneigennützigen Wohlwollen, welches er seit frühester Jugend gar nicht mehr an sich kannte. Das hatte ihm wohlgethan tief ins trockene Herz hinein. Um so größer war sein Zorn, als er zu erkennen glaubte, daß ihn der junge Bursch getäuscht. Getäuscht in zweifachem Sinne. Einmal dadurch, daß sich Leo gedankenlos und thöricht erwies, während ihn der Herzog für begabt gehalten. Zweitens dadurch, daß er sich des Herzogs Feinden zugesellt. Dumm und lieblos zugleich! – hatte der Herzog gedacht – fort mit dem nichtigen Patrone, der deine Einsicht Lügen gestraft, deinen guten Willen mit Undank vergolten hat.

In Charakteren wie der des Friedländers drängt in persönlichen Dingen Alles zum Aeußersten. Das Gemüth ist die Vermittelung im Menschen, die Vermittelung unserer guten wie schlechten Regungen. Wo das Gemüth allmälig ganz untergeht, wie in Waldstein, da muß man immer der grellsten Aeußerungen gewärtig sein, besonders dann, wenn sich der gemüthliche Mensch getäuscht meint. Stolz und Rache erheben sich sogleich. Der Friedländer rühmte sich ja sogar, daß er principiell rachsüchtig wäre. Rache war ein Grundsatz seiner Politik, und seine Politik erstreckte sich auf Alles, nicht blos auf Staat und Krieg. In diesem Augenblicke auf den armen Leo.

Die Sonne trat aus den leichten Regenwolken und schien warm auf die Reitergruppe, welche sich dem Hochgerichte des Lagers näherte. Auf einem weiten, freien Platze, unweit vom Bretterhause des Herzogs, stand Galgen und Rad. Galgen und Rad wurden oft in Anspruch genommen gegen eine geworbene Soldatesca, die jederzeit zu den ärgsten Excessen geneigt war, und man pflegte gedankenlos vorüber zu gehen an dem beseitigten Menschenkinde, welches da oben in der Luft baumelte.

Diesmal aber richteten sich alle Blicke hin. Der baumelnde Körper war kein Soldat, war in feines lichtblaues Tuch gekleidet, war aus der Umgebung des Herzogs. – Der Herzog selbst hielt still und trug Niemann auf: den Doctor Blandini herzuholen. – Sparr sah erschrocken auf Leo. Dieser, noch immer ohne Hut, nahm sich aus wie ein Gezeichneter, welchen das Stillhalten und der Auftrag des Herzogs nahe anginge.

Der Herzog ritt nahe zum Galgen. Alle mußten folgen. Das lichtblonde Haar Tocke's wehte um das blutgetränkte Auge, welches gräßlich in die Luft starrte. Denn Niemand hatte es zugedrückt.

»Wie gefällt Dir Dein Freund da in der Höhe?« sagte der Herzog zu Leo.

Leo war empört und antwortete barsch, wie er nie gethan: – Er thut mir leid, und es widerstrebt mir, einen Ermordeten mit Neugier zu betrachten. – »So zartfühlend bist Du!« – Doctor Carlos, hierher! – »Ich versprach Euch gestern anatomische Studien. Die Ausbeute für heute ist noch gering, aber das Männlein da wird für Euch nicht reizlos sein. – Schneidet ihn ab und tragt ihn auf das Zimmer des Doctors. – Hirn und Herz ist Eurer Untersuchung werth. Das Männlein da war ein großer Verräther mit kleinen Geistesgaben und geringem Muthe. Sucht die Erklärung in diesem Hirn und Herzen. – Man hat mir gesagt, er sei Euer Freund gewesen, Doctor!« – Da hat man die Unwahrheit gesagt. Ein untergeordneter Bekannter war er für mich – antwortete der Doctor mit auffallend bleichem Angesichte. – »Es war auch kein Freundschaftsdienst, den er Euch bei mir geleistet hat. Kennt Ihr ihn nicht?« – Nein. – »Er hat Euch nachgesagt, daß Ihr beauftragt wäret – tretet näher an mein Pferd, damit ich's Euch leise sagen kann, die Zuhörer könnten Euch dafür todtschlagen – daß Ihr beauftragt wäret, mich zu vergiften. – Ihr zuckt die Achseln. Das zeugt von einem geschickten Muthe. Man muß seinen Körper in der Gewalt haben, auch wenn man unter dem Galgen steht. Ich habe für Euch gesprochen im Untersuchungsgerichte. Aber die Untersuchung hat noch nicht volle Aufklärung gebracht. Bis diese Aufklärung vollständig vorliegt, müßt Ihr geduldig warten auf Eure Freisprechung oder – Euer Todesurtheil. Benutzt die Zeit. Ihr könnt viel thun. Ihr könnt beweisen und könnt erzählen. Wissenschaftlich beweisen, daß Eure Tamarinde ein ehrlicher Brei gewesen. Dabei werd' ich lernen, und ich bin ein dankbarer Schüler. Und Ihr könnt erzählen, wie das Mißverständniß entstanden sein möge, und ob Pater Norbert allein oder Pater Lamormain mit ihm Euch beauftragt habe. Ich bin auch dankbar für gute Erzählung, wenn ich merke, daß sie auf Wahrhaftigkeit Anspruch machen kann. Aber ich bin sehr garstig, wenn ich belogen werde. Sammelt Euch! Ihr habt Zeit, bis der Schwede den Burgstall angreift. Wenn ich aber in diese Schlacht reite, da muß hinter mir Alles geordnet sein: Ihr müßt als mein zuverlässiger Freund zurückbleiben, oder Ihr müßt mir da oben vom Galgen nachsehen wie Einer, der nichts mehr sieht trotz seiner offenen Augen. Sammelt Euch! Ich bin Tag und Nacht für Euch zu sprechen. Vielleicht bringt Ihr mir das Hirn dieses Tocke, um mir an dessen Zellen zu erklären, worin der Unterschied besteht zwischen Euch und ihm und dem barhäuptigen Steinwald da, der Euer Genosse war.«

Blandini erwiderte kein Wort. Er blickte auf Leo und zuckte wiederum die Achseln – was den armen Leo nur neuerdings verdächtigen konnte in Waldstein's Augen.

Der Herzog ritt jetzt zum Bretterhause, indem er Sparr beauftragte, für strenge Bewachung des Doctors zu sorgen, und ebenso Leo aufs strengste zu beaufsichtigen. – Sparr sah nur zu deutlich, daß Leo das Aergste zu befahren hatte.

Der Rest des Tages und der folgende Tag bestätigten die Sorge Sparr's. Das Wetter hatte sich aufgeheitert, die Sonne ging golden unter, ging golden auf und es herrschte üppiger Sommerfriede in der Natur. Auch im weiten Kriegslager. Aber in der Residenz des Feldherrn, im warmen Bretterhause, herrschte trübe Stimmung.

Unten rechts im großen Zimmer, wo alle Rapporte eingingen, saßen Sparr und Niemann. Die Rapporte machten wenig Sorge, denn von überall her wurde Ruhe angezeigt. Nur das geheimnißvolle Treiben oben im ersten Stocke beängstigte sie, nur auf Rostok harrten sie, welcher zuweilen flüchtige Meldung brachte. – Der Herzog ist für Niemand sichtbar – flüsterte ihnen Rostok zu um die Mittagszeit – für Niemand als für den Doctor Blandini. Der verkehrt immerfort mit ihm. In der Nacht hat er die Leiche Tocke's secirt. Am Morgen hat er den Herzog geholt zur Besichtigung und der »Herr« hat mehrere Stunden in der Leichenkammer zugebracht. Soeben ist der zerschnittene Cadaver über die Hintertreppe fortgetragen worden, um unterm Galgen verscharrt zu werden, und jetzt ist der Doctor mit Töpfen, Schalen und wunderlichen Werkzeugen ins Zimmer des »Herrn« gegangen. Wo ist denn Herr Leo? – »Er übt sich im Fechten mit Conrad drüben im Schatten des kleinen Hauses« – antwortete Niemann. Seufzend schlüpfte Rostok wieder die Stiege hinauf.

In so gedrückter Erwartung verging der Nachmittag. Gegen Abend erst kam Rostok wieder herab. Diesmal in krankhafter Aufregung. Er lief vors Haus, er lief vor dem Hause umher und fragte Jedermann nach Herrn Leo. Er sei mit Conrad zur Bieber hinab geritten, um sich zu baden – lautete der Bescheid. Tief seufzend trat Rostok wieder ins Haus und gestand endlich dem Herrn Obersten Sparr, daß ihm eine kränkende Unannehmlichkeit widerfahren sei – kränkend und unheimlich! Unheimlich, weil Leos Name wieder mitgespielt hat – oh! »Was ist's denn? Redet!« – Herr Oberst! Wenn der »Herr« sich in heiterer Stunde einmal lustig macht über seinen Leibdiener, so läßt man sich's gefallen, weil man sich's gefallen lassen muß und weil es Einem am Ende auch schmeichelt. Aber lustig muß es sein und nicht abscheulich. Und ein Fremder sollte sich das nicht unterstehen dürfen, am wenigsten so ein hexenhafter Doctor. Das sollte der »Herr« selber nicht leiden. – »Was hat denn der Doctor gethan?« – Auf den Sessel hat er mich genöthigt, setzen hab' ich mich müssen in Gegenwart des »Herrn«, der dazu mit dem Kopfe nickte. Und dann hat der Doctor meinen Kopf in die Hände genommen und nach links und rechts gedreht und hat gesagt: dieser Schädel sei lehrreich, er sei wenigstens zehntausend Jahre alt und spreche also gegen die Bibel! Ich zehntausend Jahre alt und gegen die Bibel! Was sind das für nichtswürdige Verleumdungen! Und auch dazu hat der »Herr« genickt, und das war nur der Anfang. Dann hat der Doctor meine Kinnlade auf- und zugeklappt, was sehr unbehaglich ist und hat gesagt: hier zeige sich am deutlichsten der Uebergang vom Thiere zum Menschen. Und zu dieser Unanständigkeit hat der »Herr« sogar »Ja, ja!« gesagt und hat gerufen: »Das spricht allerdings für Eure Lehre Doctor, von« – was weiß ich! 's war ein schweres Wort und vom Affen kam was vor und vom Urschädel. Ich mußte niesen aus Aerger und da hatte ich plötzlich beide Daumen des Doctors in meinen beiden Schläfen und es ging mir wie ein Stich durch den Hirnkasten. Ich mußte still halten. Ich weiß nicht warum, es kam von selbst, ich war wie angenagelt. Dabei wurden mir die Augen müde und sanken zu, wie sehr ich mir auch Mühe gab, sie aufzuriegeln. Und von da an bin ich mir wie scheintodt vorgekommen. Der Hexenmeister, das merkt' ich noch, hat mir mit den Daumen im Gesicht herumgestrichen wie ein Barbier und den Namen Leo hat er ausgesprochen, das weiß ich noch gewiß. Was hernach kam, das weiß ich nicht mehr gewiß, es war mir nur hinterher, als wär ich examinirt worden, wahrscheinlich über Leo, und der Teufel mag wissen, was ich geantwortet habe; ich weiß es nicht. Erst als ich wieder zur Besinnung kam, verstand ich, daß der Doctor sagte: »solche Geschöpfe haben eine unverschämte Sinnlichkeit und können leicht grobe Verbrecher werden«. Ich hätte dem Kerl einen Fußtritt auf den Magen geben mögen, und dem »Herrn« verzeih' ich's mein Lebtag nicht, daß er seinen Leibdiener dazu hergiebt, wozu er sonst manchmal Meerschweinchen benutzt hat. Man kommt sich vor, als ob man nackt herumliefe! Und was sie Gräuliches gegen den Leo vorhaben und was ich Unglückskind am Ende gegen den armen jungen Herrn ausgesagt habe – oh!

Ganz verzweiflungsvoll lief er wieder ins Freie hinaus, Leo entgegen, der in der Ferne sichtbar wurde.

– Diese eigensinnige Vorliebe des Herzogs für Naturwissenschaften – sagte Sparr zu Niemann – wird den italienischen Doctor retten und wird den Leo verderben. Von sich wird dieser Doctor abgewälzt und dem Leo wird er Alles aufgeladen haben, was Wien betrifft und die Feinde des Herzogs, weil er des Herzogs Stimmung gegen Leo merkt.

Sparr nahm immer lebhafter Partei für Leo, je ungerechter er ihn behandelt sah, je verdächtiger und verhaßter ihm der italienische Doctor war. Das heimliche, katholische Wesen – murmelte er in den Bart – kriegt immer die Oberhand über den Herzog. Das hängt zusammen mit astrologischer Wirthschaft, mit seinem Heißhunger auf alle geheimnißvollen Kräfte der Natur.

Niemann nickte zustimmend. Die beiden nüchternen Protestanten waren darüber einig. – Sie gingen hinaus vor die Thür und setzten sich auf die hölzernen Bänke, welche dort aufgestellt waren. Es war Abend geworden und der Mond ging auf. Im Lager wurde es still. Die Truppen hatten auch diesen Tag unter Waffen gestanden, und jetzt war Jedermann müde. Leo und Conrad!, ihre Rosse am Zügel führend, kamen im Dunkel daher. Rostok an Leo's Seite. Der beleidigte Leibdiener hatte ein gutes Theil seiner Dienstscrupel hinter sich geworfen und rieth Leo geradezu: er möchte ausreißen und sich dadurch sicher stellen vor dem unbegreiflichen Grolle des Herzogs.

Nachdem er sich dadurch, er wußte es wohl, gegen sein Dienergewissen vergangen, war er doppelt erschrocken, als er Leos leichtsinnige Antwort und Ablehnung vernahm. Leo war guten und frischen Muthes. Er litt allerdings unter dem Argwohne und der steigenden Abneigung des Herzogs. Aber er hing doch an dem Herzoge und ließ die Furcht nicht in sich aufkommen. Die Feuertaufe im Kugelregen hatte einen sehr kräftigen Einfluß auf ihn geübt – er fühlte sich zum ersten Male als Mann. – Das Aeußerste – erwiderte er Rostok mit beinahe fröhlichem Tone, indem er nahe am Hause stehen blieb – das Aeußerste, Freund Rostok, ist ja doch der Tod, nicht wahr?« – Und der kann auf Euch lauern! – »Vielleicht. Ich schaue ihm seit gestern getrost ins Auge. Die Schlacht kann ihn morgen oder übermorgen ebenfalls bringen. Warum mich quälen mit ängstlichen Ahnungen. Die Dummheit hab' ich nun einmal begangen, nach Wien zu schreiben und mit Tocke zu verkehren, das ist nun doch nicht mehr zu ändern. Uebertreibt der Herzog die Strafe, nun –« – Nun? – »Ei, da werd' ich mich wehren nach besten Kräften.« – Wehren gegen den »Herrn«! – »Nicht wahr, Conrad? So geht's eben im Kriege.«

Conrad schüttelte den Kopf. Auch er war verstört. Nicht blos, weil er die »rothe Feder« hatte freigeben müssen, nein, – der Lump, sagte er, hat so viel Todesangst ausgestanden, daß ihm die freie Luft zu gönnen war. – Conrad war verstört durch die bevorstehende Schlacht. Gegen seine Glaubensgenossen jetzt wirklich zu fechten, das ging ihm gegen den Strich. Ja, wenn's blos die hungerleiderischen Schweden wären, da ließ' er sich's zur Noth gefallen. Sächsische Regimenter aber sollten vor Nürnberg angekommen sein. Am Ende auch Starschädel's Regiment! Wenn er nun Herrn Hans selber auf dem Schlachtfelde begegnete. Das ging ihm nicht »zusammen, das ging ihm nicht ein«. – Er nahm also Rostok bei Seite und versicherte ihm: er werde schon Sorge tragen für die Salvirung Leos! Der Herr Kammerdiener solle sich nur ruhig schlafen legen.

Rostok ahnte, daß Conrad seinen Leo zu den Evangelischen hinüber retten wollte und flüsterte nur noch nachdrücklich: »Dann zu den Sachsen, Kamerad, zu den Sachsen, zu dem Starschädel, den der »Herr« ganz gerne mag! Der vermittelt eine Rückkehr, wenn die jetzige Galle des »Herrn« erst verdampft ist.« – Freilich! erwiderte Conrad, und Rostok flog ins Haus, denn er wurde gerufen.

Leo und Conrad verabschiedeten sich bei Sparr und Niemann, und Conrad verschaffte sich noch die Zusage Niemann's, daß dieser ihn morgen als Ordonnanz bei sich behalten werde. Das erleichterte ein gelegentliches Abschwenken zum Feind hinüber.

Leo aber labte sich an der Freundlichkeit Sparr's. Bei allem Mißgeschick war es ihm doch ein reizender Trost, daß seiner Magna Vater jetzt ein gewisses Wohlwollen gegen ihn merken ließ. Beide verfügten sich leidlich beruhigt zu ihren Lagerstätten. Sogar der Schauer war nur kurz, den Leo an der leeren Kammer Tocke's im kleinen Häuschen empfand. Die seinige war dicht daneben. Jugend hat eben einen starken Lebensodem, und als er sich auf sein Lager hinstreckte, da dachte er tapfer an Fräulein Magna und schlief mit dem Gedanken ein: Papa Sparr wird ihr Wunderdinge zu erzählen haben von dem Leo, der unter räthselhaften Drohungen des Herzogs wie ein Löwe gefochten hat in der Schlacht um den Burgstall –

Sparr und Niemann hatten sich auch schlafen gelegt. Schon nach ein paar Stunden wurden sie geweckt durch Boten Aldringer's. Die Boten meldeten, daß der Feind in der Nacht eine zweite Brücke geschlagen habe über die Rednitz und daß er bei Fürth und bei Dambach in großen Massen herüberrücke. Zwischen Dambach und Firberg scheine sich der Feind aufzustellen zur Schlacht.

Es war der 24. August 1632, welcher anbrach.

Sparr eilte hinauf und ließ den Herzog wecken. Rostok berichtete schnell, eh' er ins Schlafzimmer des »Herrn« eintrat: »Doctor Blandini und Zenno sind bis gegen Mitternacht beim Herzog gewesen, er ist ganz in den Händen der Wälschen, und das Horoskop dieser Nacht hat gelautet: »»Ein junger Mann bedroht den Stern Friedland's mit Verfinsterung.«« Dieser junge Mann wird Leo heißen müssen, gebt Acht, Herr Oberst!«

Unter tiefem Seufzer ging Rostok hinein und öffnete bald darauf dem Obersten. Der Morgen dämmerte auf.

Der Herzog ließ sich in Sparr's Gegenwart kleiden, und nachdem er über das Wetter die Auskunft erhalten, es drohe wieder mit Regen, hörte er Sparr's Berichte an. Dann sagte er ruhig: »Heute wird's voller Ernst. – Das ganze Heer in Bereitschaft! – Achttausend Mann Fußtruppen diesseits vom Burgstall-Walde in Reserve stellen lassen! – Die besten Leute! – Ich werd' sie ansehen. – Immer nach zwei Stunden Ablösung der Truppen im Burgstall. – Nahrungsmittel und Wein in den Wald!« – Und was befiehlt Durchlaucht – fragte Sparr – in Betreff des Doctors? – »Des Doctors und des Leo? Der Doctor bleibt unbehelligt zurück. Er hat mir heute gute Dienste geleistet. Den – Leo werd' ich Holck übergeben. – Den Regenmantel, Rostok!«

Es war Tag, als er unten aufs Pferd stieg, ein grauer Regentag. Unter der Suite, die ihn begleitete, war Holck. Der Herzog rief ihn zu sich und sprach leise mit ihm.

Im Lager war Alles in Bewegung. Einzelne Abtheilungen marschirten schon. Gegen Norden nach dem Bieberthale. In diesem Thale zwischen dem Flüßchen und dem Burgstallwalde fand Waldstein die Reiterei schon aufgestellt, kaiserliche und baierische. Er ritt durch sie hindurch rechts am Waldberge hinauf. Hier bezeichnte er eine muldenförmige Einsenkung des Berges, die eng von Buchen eingeschlossen war, als vorläufigen Standort. Handpferde, Reitknechte und Ordonnanzen blieben da zurück. Nur Holck, Sparr und Niemann begleiteten den Herzog, welcher auf Recognoscirung am Berghange nach links weiter ritt. Holck rief Leo mit dem Bedeuten, daß er ihm zur Ordonnanz bestimmt sei. Conrad folgte Niemann.

Niemann selbst, der früher im Norden gefochten, hatte die genaueste Kenntniß vom schwedischen Heere: er ritt neben dem Herzoge und gab diesem Auskunft über die zur Schlacht aufmarschirenden Truppen, welche man rechts unten sah. Auf dem linken Flügel des Feindes vor dem Dorfe Dambach sah man Reiterei und Pikenire, dazwischen einzelne Artillerie-Abtheilungen und Musketiere. Diese Einstreuung der Feuerwaffen war neu und der Schwedenkönig legte großen Werth darauf. Dann kam eine breite Linie Infanterie. »Das sind lauter Schweden, was wir jetzt sehen« – sagte Niemann – »die weiße, blaue, grüne und gelbe Brigade in ihrer Bauerntracht, nach der Farbe ihrer Jacken so benannt. Da öffnen sie sich noch einmal. Richtig! Die Kanonen fahren vor – hui, in Masse! So pflegt er's zu machen.« – Hier wird er auch commandiren – sagte der Herzog – weiter! Auf jene Lichtung, damit wir die Aufstellung des Centrums und des rechten Flügels überschauen!

Als sie dorthin gekommen waren, sagte Niemann: Dort im Mitteltreffen erkenn' ich sächsische Regimenter. Ueber Firberg hinauf wird Herzog Bernhard commandiren. Der Aufmarsch geht zu Ende, ich rathe Durchlaucht umzukehren. Wir haben zwei Schneißen passirt, und wenn der Angriff plötzlich erfolgt, so sind wir dem Feuer vom Burgstall herunter im Wege –

»Der greift nicht so schnell an. Ich höre singen. Er läßt erst beten; das gehört zu seinem Handwerk.«

Und nun ordnete der Herzog an, daß rings um die Waldhöhe bis zu den Schanzen links drüben vor Zirndorf, welche der »große und der kleine Cavalier« hießen, beobachtende Officiere aufgestellt wurden mit Ordonnanzreitern. Sie konnten sich in den dichteren Baumpartien decken und hatten jeden neuen Vorgang des Feindes an den Feldherrn zu melden. Der Herzog selbst ritt innerhalb der nächsten Schneiße hinauf zum Burgstalle, sprach einige Worte mit Aldringer und verfügte sich dann wieder zu der kleinen Thalmulde, wo das Gefolge sicher gestellt war. Oben am Rande dieser Mulde fand sich ein freier Punkt, welcher eine gute Uebersicht über den ganzen linken Flügel des Feindes gestattete. Hier nahm der Herzog seinen Posten, und die Schaar von Botenreitern, welche man heute Adjutanten nennt, sammelte sich hinter ihm. Holck, Sparr, Niemann waren dicht bei ihm; Leo und Conrad ein wenig rückwärts, und Conrad setzte hier leise dem Leo auseinander, was er vorhabe, und wie er's vorhabe. Nach links hinüber, wo sächsische Truppen standen, wollten sie bei erster Gelegenheit schwenken und – »Desertiren!? – Pfui! – Ich bin dem Herzoge –«

Hier wurde Leos Rede durch einen furchtbaren Krach unterbrochen. Achtzig schwedische Geschütze begannen wie mit einem Schlage die Schlacht, und die Colonnen gingen im Laufschritte vor.

Sie kamen nicht weit. Die Laufgräben, welche der Herzog in der Nacht hatte aufwerfen lassen gegenüber dem Dambacher Gehölz, und eine Schanze vor dem Lagergraben warfen ihnen einen solchen Kugelregen entgegen, daß sie theils niedergeworfen, theils zur Umkehr genöthigt wurden. Neue Colonnen folgten auf der Stelle. Sie hatten dasselbe Schicksal. Zum dritten, zum vierten Male wiederholte sich derselbe Angriff, dieselbe Niederlage.

– Da, da, neben dem Dambacher Holze – rief Niemann – da ist der König selbst, der eine neue Colonne ordnet! Und rechts von ihm, richtig, dicht vor dem Holze fahren Batterien auf! Er will's erzwingen auf dieser Seite. –

Im nächsten Augenblicke sah man nichts mehr vor Pulverdampf, alle »Stücke« krachten und nach links hinüber setzte sich donnerähnlich das Gekrach fort, die ganze feindliche Linie bis zum fernen rechten Flügel des Feindes hinüber sprach mit und mochte vorgehen.

Waldstein wendete sich zu Holck und winkte ihm mit der Hand. – Dieser wendete sein Roß, rief Leos Namen und sprengte ins Bieberthal hinab. Leo folgte ohne Säumen. Fluchend sah ihm Conrad nach.

Der Wind erhob sich und der schwach tröpfelnde Regen hörte auf; aber der Wind stand von Fürth und trieb den Pulverdampf in den Wald herauf. Waldstein mit seiner Umgebung wurden eingehüllt. Der Donner der Geschütze brüllte immer ärger und man konnte sagen: es war nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören.

Da kam Bote auf Bote von den ausgestellten Officiren und meldete: Der Sturm durch die Schneißen herauf gegen den Burgstall hat begonnen und hat die ersten Verhaue genommen. Aldringer's Geschütz vom Burgstalle, welches sich jetzt links über ihnen entlud, bestätigte die Nachricht, und ein neuer Bote berichtete hastig: auch der große und der kleine Kavalier würden mit großer Macht angegriffen. Die Boten schrien sämmtlich, um sich verständlich zu machen in dem Höllenlärm. Waldstein erwiederte nichts als: Zurück zu Euren Officiren! Er blieb unbeweglich, obwol er nichts sah und nichts hörte als Dampf und Kanonenschläge.

Peinliche zehn Minuten vergingen so. Da verwehte der Dampf und man sah unten im Thal kaiserliche Kürassierregimenter im Trabe vorgehen gegen das Dambacher Holz. Man sah die schwedischen Kolonnen vor ihnen zerstieben. Aber plötzlich machten sie Halt und kehrten um.

Waldstein verzog keine Miene. Er hatte den Fall vorgesehen. Neue Regimenter sprengten auf das Dambacher Holz vor und warfen Alles nieder. Sie waren bereits dicht vor dem Holze, da dampfte es licht auf aus dem Gehölze. Musketiers mochten da hinter den Bäumen aufgestellt sein und Führer wie Reiter mochten tödtlich getroffen werden – man sah, daß die Reiter wendeten und rückwärts flüchteten.

Jetzt ritt Waldstein hinab nach dem Bieberthale. Er ließ Posten zurück, welche Boten zu ihm weiter weisen konnten.

Unten fand er traurigen Wirrwarr. Holck schrie mit Löwenstimme bald hier, bald da, daß und wie sich die zerfetzten Reiterregimenter ordnen sollten. Verwundete schleppten sich nach dem Walde, oder wurden geschleppt. Waldstein ritt langsam durch das Getümmel, und seine bloße Erscheinung in ihrer ruhigen Ernsthaftigkeit wirkte überall ordnend. Auf seinen Wink theilte Sparr aus der Ledertasche an die Verwundeten reichlich Goldstücke aus. Das machte einen sichtlichen Eindruck. In der Noth nicht verlassen zu sein vom Feldherrn, das stärkt den Soldaten ungemein.

Als Holck leidliche Ordnung hergestellt, kam er zum Herzog. Leo hinter ihm. Er sah zerfetzt aus, war aber heil. Holck hatte ihn jedem angreifenden Regimente zugetheilt; mit jedem Regimente war er fest auf dem Rosse zurückgekehrt. Es war ihm wol ziemlich klar jetzt, daß er geopfert, daß er an die Schlachtbank geliefert werden sollte, aber er war immer ferner davon, deshalb zu verzagen. Zorn und Grimm über diese Behandlung waren aufgestiegen in seiner jugendlichen Brust, welche bis daher nur mild und menschenfreundlich geathmet hatte. Sie athmete nun leidenschaftlich, fast wild. Was ihn verderben sollte, das machte ihn zum Kriegsmanne – so lange er am Leben blieb. Denn ein flüchtiger Seitenblick Waldstein's auf ihn bekundete kein Erbarmen. Nicht ein Wort wurde ihm geschenkt, obwol eine leise Bemerkung Holck's dem Herzoge mittheilte, daß der junge Mensch unerschrocken dreingehauen.

Waldstein ritt aus der Soldatenreihe hinaus gegen die Schweden zu. Holck versicherte, daß die Reiterregimenter binnen einer Viertelstunde wieder fertig wären; das Cronberg'sche Regiment, berühmt durch seine Tüchtigkeit, sei noch unbenützt. –

– Nein! sagte Waldstein, indem er still hielt und mit der Hand die Augen vor einem plötzlich grell eintretenden Sonnenblick schützte – nein! Der Schwed' mag glauben, hier leichtes Spiel zu haben, das ist mir recht. Von hier aus können wir später die Entscheidung geben in seine Flanke. Er geht eben an sein Hauptwerk, der Thor! Hört Ihr?

Vom Centrum der Schweden her erhob sich ein heftig erneutes Geschützfeuer.

– Das gilt dem Burgstall selbst! – Dem Gallas wiederholen lassen, daß er fest im Lager bleibe und hier warten lasse, bis ich Befehl sende!

Damit wendete er sein Roß und ritt am Waldhange zurück, Holck zuwinkend, daß er ihn begleite. Leo folgte.

Der Kanonenlärm wurde wol schwächer, als sie tiefer ins Thal hinein kamen. Aber nur deshalb, weil der Waldberg den Schall dämpfte. Der Schall dehnte sich im Gegentheil aus nach Westen hin. Waldstein hielt still, um zu horchen, und gewann die Ueberzeugung, daß der Sturm auf der ganzen Linie bis über Zirndorf hinaus im Andringen sei. Es kam denn auch Botschaft über Botschaft, welche dies bestätigte.

Waldstein ritt ruhig weiter unten am Berge hin nach den »Cavalieren« zu, welche er für seine schwächste Stelle hielt. Noch sah er diese Schanzen nicht, da sprengte ein neuer Bote mit der Nachricht herbei: der Sturm auf den Burgstall gewinnt Boden, der Feind ist über die Verhaue herauf! General Aldringer hat sich dem Feinde entgegen geworfen und – wird vermißt! –

– Warum wirft er sich entgegen?! Die Truppen sollen herauf genommen werden an den Rand! Ich komme selbst.

Der Bote flog in den Wald hinein, Waldstein wendete links und ritt im Trabe hinauf. Als er oben ankam, fand er einen Zustand wie vorhin unten im Thale. Nur mit dem Unterschiede, daß er jetzt Fußtruppen vor sich hatte, die zerrissen und verwundet waren, und daß der Wink für Sparr auf die Ledertasche jetzt hastiger geschah. Er befahl Sparr, aufzuräumen auf dem Plane und tausend Mann frischer Truppen vorzuführen an die zwei Hauptschneißen. Desgleichen zehn »Stücke«. Er selbst ritt über den Plan hinweg an diese Schneißen, aus welchen ein Kugelregen pfiff und die weichenden Musketiere feuernd ihren Rückzug bewerkstelligten. An einer Buchengruppe nahe der Schneiß hielt er still und rief einen Officier aus dem Gefecht zu sich. Der mußte in Eile berichten, wie das Treffen stehe und wohin General Aldringer persönlich sei. – Der Officier deutete auf die entferntere linke Schneiß und erzählte mit fliegenden Worten. Die Kugeln schlugen prasselnd um ihn in die Bäume, und Aeste flogen umher und Blätter.

Unterdeß war Holck mit den Stücken und frischen Truppen zur Stelle. Die Stücke wurden inmitten der weichenden Musketiere aufgefahren und der Officier ward beordert, durch Signale und Zuruf dem Rückzuge zu bedeuten, daß er links und rechts aus der Schneiße abschwenken solle. Der Zuruf verbreitete sich rasch, die Hörner drangen mit heller Stimme durch den Lärm, die Schneiß wurde frei, man sah die Schweden – ein Wink Holck's und die zehn Stücke wurden gelöst und schmetterten einen Hagel von Geschossen ihnen entgegen.

– Vorwärts, Holck! und dann links hinüber zur andern Schneiß, um Aldringer frei zu machen.

Holck stieg vom Pferde und sprang den Truppen voraus. Leo blieb thörichterweise hoch zu Roß an seiner Seite, eine Zielscheibe für den Feind.

Die Masse der Musketiere war noch nicht völlig in den offenen Waldweg hinein, da war schon neue Botschaft beim Herzoge: Der Angriff auf den großen und kleinen Cavalier wird unwiderstehlich, der kleine Cavalier ist nahe daran überwältigt zu werden.

»Da kommt die Klugheit der Wälschen zu Tage!« schrie Sparr. – Das Regiment Beck zum kleinen Cavalier! rief der Herzog. – »Ist schon im Anmarsche!« antwortete der Bote. – Wer hat's gerufen? – »Oberst Piccolomini.« – Muß genügen. Fort! – Sparr, den Plan hier oben völlig räumen lassen. Du in den Burgstall hinein. Und wenn der Feind unten für Holck zu stark bleibt, Alles herauf lassen bis auf den Plan und dann feuern ohne Unterlaß. – »Sobald die Unsrigen aus dem Schuß –« Auf Freund und Feind! Der Plan muß rein gefegt bleiben. Ich reite zu den Cavalieren. Dorthin Nachricht.

Und im Galop eilte er über den freien Plan vor der Burgstallfestung hinüber nach der Zirndorfer Seite zu.

In der That war die Schlacht jetzt an ihrem ersten Höhepunkte. Vom linken Centrum an bis zu seinem rechten Flügel, welchen Herzog Bernhard führte, griff der König die Stellung des Friedländers mit voller Gewalt an. Er schritt selbst mit gezogenem Degen über die Verhaue herauf gegen den Burgstall.

Sparr wurde dessen inne und sendete dem Herzoge die Botschaft nach: auf den Burgstall sei augenblicklich der ganze Nachdruck des Feindes gerichtet; die hinab gesendeten Musketiere genügten nicht und würden durchbrochen, der Schwede dringe zum offenen Plane herauf. –

Der Herzog war schon am Fuße des Waldberges und schaute auf die beiden Cavaliere, die in Pulverdampf gehüllt vor ihm lagen und massenhaft vom Feinde angegriffen wurden, als ihn Sparr's Botschaft einholte. Er verzog keine Miene und wiederholte nur sein früheres Wort: »Den Burgstall nimmt mir der Herrgott selber nicht. – Niemann! Schick zu Gallas ins Lager. Er soll den Nachschub auf den Berg inspiciren und nachrücken lassen bis auf den letzten Mann, wenn's noth thut. Du aber« – sich zum Boten wendend – »sage dem Obersten Sparr: Fällt der Burgstall, so fällt des Obersten Kopf, hält er sich aber, so werd' ich den General Sparr loben. Marsch!«

Der Friedländer hielt die Zirndorfer Seite hier mit den zwei Cavalieren für seine verwundbare Ferse. Drang der Feind hier durch, so war der Burgstall umgangen, war von hinten zu fassen, und das Lager selbst konnte überfluthet werden von Zirndorf hinein.

Der Friedländer sah mit Vergnügen, daß der Himmel wieder bedeckt wurde und daß der Regen wieder begann. Der Lehmboden in dieser Gegend erschwerte dem Feinde das Heranschaffen von Geschützen um so mehr, je gründlicher er eingeweicht wurde. Er sah auch mit Vergnügen, daß der Oberst Piccolomini ihm entgegengesprengt kam. Die Gefahr konnte nicht so dringend sein, wenn sich der aus der Schlachtlinie entfernen mochte, welcher sich so keck über den Erfolg verbürgt hatte.

Dem war indessen nicht völlig so. Piccolomini, trotz seines frischen, zuversichtlichen Wesens, gestand ein, daß der Feind die Achillesferse des Lagers erkannt haben müsse, denn er bereite ersichtlich einen Angriff im großen Stile vor. Dort die Höhe nördlich von Zirndorf, die ich immer gefürchtet – setzte er hinzu, indem er über den kleinen Cavalier zeigte – ist seit einer Viertelstunde von Reitern besucht, welche Generale sein mögen. Sie untersuchen wahrscheinlich, ob trotz des weichen Bodens Geschütz hinauf zu bringen sei. Gelingt ihnen das, dann steht uns eine schwere Stunde bevor.

– Niemann! Schick Jemand mit guten Augen da hinüber an den Abhang des Burgstallwaldes. Er soll zuschauen, ob der Feind Anstalten trifft, Stücke auf jene Höhe zu fahren!

Niemann beauftragte Conrad. Dem kam dies sehr erwünscht. Hier gegenüber waren Sachsen zu erwarten. Er sprengte entschlossen von dannen. Aber mit jedem Sprunge seines Rosses wurde seine Entschlossenheit geringer. In Ausführung eines Auftrags zu desertiren, erschien doch auch seiner Liederlichkeit unehrenhaft. Und dann! Den gefährdeten Leo fortzubringen war ja doch einer der Gründe gewesen, welche ihm das Ausreißen empfohlen hatten. Der arme Leo aber, welchen er ganz gern mochte, steckte da rechts im Waldberge in mißlichster Lage, denn der Schwede war ja nach Sparr's Botschaft in sieghaftem Vordringen. Den solltest du doch wenigstens retten und mitnehmen können, wenn du nichtswürdig genug bist, jetzt zu desertiren – dachte er.

Mit solchen Gedanken kam er an den Waldhang, von welchem er einen Theil der feindlichen Linie übersehen konnte. Nichts bewegte sich nach der Anhöhe vor Zirndorf hinauf; aber rechts von ihm im Walde war zwischen dem Lärm der Geschütze Musketenfeuer zu unterscheiden und Commandogeschrei, hier gab's Einzelkämpfe, Mann gegen Mann, Conrads Liebhaberei. Dies war ja auch der Theil des Waldberges, nach welchem Holck und Leo geschwenkt haben mußten, um Aldringer zu suchen und zu befreien. Ja wol! Hier konnte Leo zu finden sein, wenn er noch lebte.

Conrad ritt in den Wald hinein. Langsam und vorsichtig anfangs, aber immer schneller, je größer der Lärm vor ihm wurde, und so war er plötzlich dicht an einem Gefechte, welches zwischen hohen Bäumen Mann gegen Mann geführt wurde. Ein verwundeter Musketier vom Friedland'schen Heere taumelte an ihm vorüber, um sich ein Lager zu suchen für Ohnmacht oder Tod – der gab mit schwacher Stimme so viel Kunde, als Conrad brauchte. Er war von den tausend Musketieren, die Holck abwärts den Berg geführt hatte. Sie waren auseinander gesprengt worden. Ein junger Officier zu Pferde, der einzige Reiter, hatte sie auf einer Waldblöße gesammelt und da herabgeführt, wo General Aldringer zu finden sein sollte. Sie hatten ihn auch gefunden, zu Fuß mit einem Fähnlein seiner Leute kämpfend gegen finnische Scharfschützen, hatten diese angegriffen, waren aber nicht zu Rande – gekommen und ihrem Anführer sei das Pferd – erschossen worden. –

Der erschöpfte Musketier konnte nicht weiter sprechen – er deutete nur mit der Hand – Conrad ritt spornstreichs in der Richtung und kam nach einer Minute an eine Thalmulde des Waldberges, in welcher der Einzelnkampf zusammengedrängt war. Er erkannte in dem Gewirr noch Niemand, schrie aber sogleich mit seiner Löwenstimme Commandoworte über die Mulde hin, als ob ein ganzes Regiment hinter ihm käme. Dies drang durch allen Lärm durch; man sah sich um, man sah den bärtigen, riesigen Reiter heransprengen, der mit seinem Pallasch Hiebe austheilte links und rechts, man stutzte, man wich, die Friedland'schen Musketiere erhoben ein allgemeines Geschrei und machten einen gesammelten Angriff – in wenig Minuten waren die finnischen Schützen in vollem Rückzuge, und Conrad sah sich mit Entzücken neben Leo und Aldringer, die mitten im Haufen gekämpft hatten.

Er überschätzte übrigens seine zauberhafte Einwirkung. Der plötzliche Rückzug der finnischen Scharfschützen rührte vielmehr von einer der furchtbaren Stückkugeln her, welche Sparr eben durch die zweite Schneiß herab schleuderte. Diese zweite Schneiß war ganz nahe zur linken Hand der kämpfenden Finnen und der Schreckensschrei ihrer schwedischen Brüder hatte es ihnen begreiflich gemacht, daß eine allgemeine Flucht rathsamer sei, als ein Widerstand, welchem die Gefahr nahe war, daß man abgeschnitten werde.

Dies war überhaupt der Charakter dieses Kampfes im Burgstall-Walde: in den Schneißen wurde immer der ganze Gang entschieden und in den Walddistricten gab es regellose Episoden. Die letzteren hatten auch den General Aldringer gleichsam beim Schopfe gefaßt und aus dem einen Getümmel in das andere geworfen. Ja, er hatte in dem Wirrwarr nicht einmal erkannt, wie viel er Leo zu danken hatte. Es war also auch jetzt von keiner besonderen Dankbarkeit die Rede. Der General schaute sich nur um, wie er rasch und sicher zu seinem Burgstall hinauf käme und schied mit seinen Musketieren ohne Abschied von Leo, welcher arg zugerichtet mit Conrad allein blieb.

Conrad benutzte sogleich die einsame Lage. Er untersuchte den vielfach blutenden jungen Freund nur hastig, ob eine der vielen Wunden von hemmender Bedeutung wäre, und da kein Glied versagte, so kam er auf seinen Vorschlag zurück: ohne Zögern hinab zu eilen, dahin, wo er die Sachsen vermuthete.

Leo beharrte auf seiner früheren Weigerung. Je rascher und tapferer er sich zum selbstständigen Krieger ausbildete – und der Einzelnkampf jetzt zwischen den Waldbäumen hatte ihn darin mehr gesteigert – desto entschlossener zeigte sich sein Wille, fest auszuhalten auf dem angewiesenen Platze.

So blieb denn auch für Conrad nichts übrig als der Rückweg zum Friedländer. Er warf noch einen Blick auf die Höhe vor Zirndorf. Auch jetzt war nichts zu sehen von Geschütz, welches da hinauf geschafft würde. Dann bezeichnte er Leo die Richtung am sicheren Waldsaume, in welcher er ihm mit einem Rosse entgegen kommen würde, und sprengte auf die Stelle zu, an welcher er den Herzog verlassen hatte.

Er fand ihn nicht mehr. Der Herzog hatte bemerkt, daß ein großer Sturmangriff auf die »Cavaliere« im Anmarsche wäre, hatte sich an die Spitze des heranmarschirenden Beck'schen Regimentes gestellt und war ins Feuer hineingeritten. Conrad sah nichts als Pulverdampf, in welchen die ganze Gegend nach den »Cavalieren« hin eingehüllt war und hörte nichts als Geschützesdonner, der immer näher rückte.

Das sind die Sachsen! dachte er, und er hatte nicht die geringste Lust, in ihren Bereich zu kommen, wenn's denn einmal nicht in rückkehrender Freundschaft geschehen sollte. Ob der Herzog etwas früher oder später seine nichtssagende Nachricht über die Zirndorfer Anhöhe erhielte, schien ihm gleichgiltig; über kurz oder lang werde der Friedländer ja doch hier des Weges zurückkommen, um nach dem Burgstall zu schauen. Er ritt also nach dem Lagergraben zu, um ein Pferd für Leo aufzutreiben. Richtig fand er auch die Reitknechte des Herzogs und nahm ihnen ein stattliches Roß ab unter dem barschen Grunde: für den Herzog!

Mit dieser Beute eilte er Leo entgegen. Diesen fand er unter einem Baume sitzend. Er war erschöpft von Anstrengung und Blutverlust. Konrad stieg ab und suchte ihn zu laben mit nahem Quellwasser, mit seiner Feldflasche, und indem er ihm die Wunden zu verbinden suchte.

Darüber verging längere Zeit und sie bemerkten nicht, daß ein Reitertrupp auf sie zusprengte. Als er nahe war erkannten sie den Herzog, der wirklich auf dem Wege nach dem Burgstall war, nachdem er den Sturm auf die Cavaliere abgeschlagen hatte. Er sah grimmig aus; sein Pferd war ihm unter dem Leibe erschossen worden, er hatte gequetscht am Boden gelegen, und unter den herbeigeholten Ersatzpferden hatte dasjenige gefehlt, welches er verlangt hatte. Es war eben das, welches Conrad sich zugeeignet hatte für Leo.

Nun war von keiner Nachfrage die Rede über Leos tapferes Verhalten und Schicksal. Im Gegentheile machte er dem Herzoge den Eindruck eines weichlichen Burschen und über Conrad ergoß sich ein Hagelwetter wegen des Pferdes und unterlassenen Berichts. Auch Niemann krigte sein Theil, daß er unversuchte, unzuverlässige Leute in die unmittelbare Nähe des regierenden Herrn gebracht.

Conrad war nicht der Mann, sich das gefallen zu lassen. Er fürchtete nicht Tod noch Teufel, auch den grimmigen Friedländer nicht und antwortete gröblich. Namentlich auch wegen der Post, die er nicht ausgerichtet. – 's war nichts auszurichten – schrie er – und Ihr erfahrt's zeitig genug! Wenn's Quark ist, daß wir unterdessen den Aldringer herausgehauen und n'auf spedirt haben, so sucht Euch Zuckerbäcker wo Ihr wollt, Herr Herzog, und laßt mich ungeschoren!

Er war in der Hitze entschlossen, wenn ihn der Herzog fassen lassen sollte, den Pallasch zu ziehen, sich Platz zu machen und zu den Sachsen hinüber zu jagen.

Der Herzog war allerdings solcher Entgegnung gar nicht gewohnt. Aber sie mißfiel ihm weniger als zu erwarten stand. Soldatische Rücksichtslosigkeit auf dem Felde war ihm schon recht, besonders wenn sie nach Ehrlichkeit schmeckte. Zudem flogen eben Boten herbei von Aldringer und Sparr, welche besagten: der Schwedenkönig hat die Cavallerie absteigen lassen und Mann an Mann rückt er durch den Wald herauf, die Schneißen leer lassend. –

– Hinauf! rief der Herzog – das ist der letzte Wille. Gallas unterrichten, Niemann!

Und in vollem Rosseslauf jagte er die Waldhöhe hinauf.

Oben kam er noch zu rechter Zeit an, um Aldringer zu untersagen, auch nur einen Mann auf den freien Plan hinauszulassen. Das Feuergewehr allein sollte wirken. Demgemäß gruppirte er auch außerhalb des Mauerwerks die Musketiere, und für den äußersten Fall stellte er Pikeniermassen in Reserve. Erst wenn der Feind trotz dem Kugelregen den »Plan« forcire, erst dann sollten diese mit ihren Piken in geschlossener Masse vordringen. Er selbst nahm Posto in dem kleinen Forsthause, welches neben der Burgstallfestung stand.

Kaum hatte er's betreten, so begann das mörderische Treffen. Ringsum aus dem gegenüber im Bogen sich hinziehenden Walde brachen die Schweden hervor auf den Plan und wurden mit einem solchen Feuer empfangen, daß der Plan bald mit fallenden und gefallenen Menschen bedeckt war, wie eine Waldblöße mit Wild bei einer Treibjagd. Dennoch drang der Feind näher und näher, weil der König immer neue Truppen aus dem Walde heraus drängte, und es war nur noch eine Fläche von etwa hundert Schritt frei für den Schuß zwischen dem verschanzten Gemäuer und dem feindlichen Andrange – da trat der Herzog aus dem Forsthause und winkte, die Masse der Pikeniere rückte wie eine Ritterschaar mit eingelegter Lanze aus allen Lücken hervor, geschlossen, unaufhaltsam, ehernen Schrittes, vor sich niederwerfend, was nicht wich, den Plan fegend wie die Sense ein Kornfeld niederwirft unter plötzlichem Schweigen jeglichen Feuergewehrs – und binnen fünf Minuten war nichts mehr aufrecht auf dem Plane, nur Verwundete und Todte bedeckten ihn, die Pikeniere aber verschwanden unter den Bäumen, indem sie wie ein unerbittlich Schicksal dem weichenden Feinde folgten mit der lang reichenden grimmigen Waffe. Ein allgemeines Freudengeschrei der Kaiserlichen und Baiern vom Burgstall herunter feierte diesen Abschluß, und Waldstein, der unten frei auf dem Plane stand, winkte hinauf und rief nach Sparr und dessen Ledertasche mit den Goldstücken. Ihn kümmerte es nicht, daß er zwischen Haufen von Verwundeten stand, deren Gestöhn jammervoll lautete, auf seinem Antlitze lag nur die Genugthuung des Sieges.

Es war die Mittagszeit vorüber; der Regen hatte nachgelassen und die Sonne schimmerte so drängend hinter den weißen Wolken, daß man meinte, sie müsse und werde siegend hervorbrechen.

Der Angriff war auf allen Seiten zurückgewiesen. Wird er sich erneuern, oder nicht? Und wird der Friedländer nicht jetzt endlich seinerseits zum Angriff übergehen gegen den erschöpften Feind?

Während dieser Pause fanden sich die kaiserlichen und bairischen Führer – unter letzteren der Kurfürst selbst – auf dem Burgstall zusammen und erörterten diese Frage. Der Friedländer verneinte beide Fragen. Er hielt die Schlacht nicht für beendigt, hielt ein Vordringen von seiner Seite für unstatthaft.

In Betreff der ersten Frage hatte er Recht. Herzog Bernhard war standhaft bei dem Gedanken verblieben, von der Zirndorfer Anhöhe den Sturm auf die »Cavaliere« und das Lager zu erneuern. Hunderte von Pferden schleppten in diesem Augenblicke Geschütze hinauf, und der König Gustav Adolph ritt eben selbst auf jene Höhe, um den Vorschlag Bernhards zu prüfen.

Diese Bewegung wurden Leo und Conrad unten am Waldrande gewahr. Leo hatte sich erholt, stieg aufs Pferd und eilte zum Burgstalle hinauf, um Anzeige zu machen. Conrad folgte ihm widerwillig. Nach seiner Scene mit dem Friedländer traute er nicht mehr, und doch konnte er sich nicht entschließen, ohne Leo auszureißen.

Leider brachte Leo die wichtige Meldung nicht selbst an den Herzog. Sie wäre vielleicht im Stande gewesen, des Herzogs Mißstimmung gegen ihn zu mildern. Holck fing die Nachricht ab und meldete sie dem Herzog, ohne Leo zu nennen.

Der Herzog faßte sie lebhaft auf und ritt sogleich hinab. Im Vorüberreiten streifte sein Blick Leo und Conrad streng und scharf, indem er rückwärts gegen Niemann äußerte: Da bewährt sich Dein bärtiger Grobian, der nichts gesehen haben wollte!

Der Schwedenkönig unterschätzte die Zirndorfer Anhöhe. Es geschah nichts Ernstliches im Verlaufe der nächsten Stunde, ja es kamen aus dem Bieberthale zum Friedländer Nachrichten: das schwedische Heer treffe Anstalten zum Rückzuge.

Nun kam an die Reihe, was der Herzog am Morgen dort angeordnet hatte. Er ritt hinüber ins Bieberthal und übertrug Holck die Führung der Reiterregimenter, dabei nicht vergessend, auf Leo und Conrad zu zeigen, welche in den Vortrab gestellt werden sollten.

Gegen drei Uhr etwa war Alles so weit. Es war kein Zweifel mehr, daß die Schweden rückwärts gingen und die Trompeten schmetterten unter den kaiserlichen und baierischen Reiterregimentern die beflügelten Signale zum Einhauen. Tausende von Pferden setzten sich in Bewegung, die Erde dröhnte von ihren Hufschlägen, und selbst Conrad, ganz vorn neben Leo schrie kampfbegierig drein in den allgemeinen Schlachtruf, obwol sein innerer Mensch gar keinen Antheil hatte am Siege des widerwärtigen Friedländers. So allarmirend und fortreißend ist der soldatische Lärm, wenn er massenhaft ausbricht für eine gemeinsame Action.

Die Pferde flogen, die Hiebe sausten, der Feind zerspaltete sich, in einem Anlaufe drang man durch das Fußvolk hindurch bis an eine lange Reihe von Geschützen, welche inmitten unter den Ihrigen an Abprotzen und Schießen nicht denken konnten. – »Hol' dir dort den Officier bei den Stücken,« schrie Conrad Leo zu, das ist ein vornehmer. Ich sah dort hinten den größten – hussah!« Fort sauste er. Es war Niemand Geringerer als Gustav Adolph selbst, der, eben zurückgekehrt von der Anhöhe, die Flucht der Seinen zu steuern bemüht war. Auf ihn los stürmte Conrad. Er war nicht hundert Schritte mehr von ihm entfernt, war aber seitwärts abgebogen von seiner Reiterschaar, war also allein geblieben und ging unter in dem Andrange der Begleitung des Königs, welche sich ihm entgegen warf mit Hieb und Schuß. Er verschwand mit seinem Rosse wie ein Kahn zwischen hohen Meereswellen und ward nicht mehr gesehen.

Leo war glücklicher. Er entwaffnete mit einem kräftigen Hiebe den schwedischen Officier und machte ihn zum Gefangenen. Der Angriff brauste weiter neben ihm und er war unschlüssig, wie er seine Beute sicher stellen sollte, da hörte er Holck's Stimme: Vorwärts, Fant, hier bleibt nur ein Hundsfott zurück!

Empört über dies Wort, ließ Leo seinen Gefangenen fahren und sprengte weiter. – Er kam nicht weit. Es trat eine plötzliche Stockung ein, verwirrtes Geschrei entstand: »Oberst Cronberg ist gefallen! Stahlhansk kommt!« und die Reitermasse versuchte es unter betäubendem Lärm, die Rosse zu wenden. Er wurde vom rückstauenden Strome ergriffen und in stürmische Flucht verwickelt.

Es waren wirklich die finnischen Reiter unter dem gefürchteten Oberst Stahlhansk, welche die kaiserlichen Cürassiere zurückwarfen. Ziemlich zerfetzt und zersprengt kamen sie an bei der kaiserlichen Linie.

Durch solchen Zufall war Leo einer der Ersten unter den Flüchtigen, und Waldstein, der neben Sparr und Niemann unter einer Baumgruppe hielt, deutete grimmig dreinschauend auf ihn hin. Vor Waldstein stand der gefangene schwedische Officier, welchen Holck dem Herzoge gesendet. Es war Torstenson, damals schon der beste Artilleriegeneral der Schweden. Baierische Cürassiere hatten ihn auf Holck's Wink zwischen ihre Pferde genommen und aus dem Gefechtshaufen geführt.

Der Regen goß wieder in Strömen und verdunkelte vorzeitig das Tageslicht. Der Friedländer sagte ärgerlich zu Holck, welcher eben fluchend ankam: – Genug! Der Tag ist aus. Er hat sich den Kopf eingerannt, der Schwedenkönig. Das genügt.

Somit wendete er sein Roß nach dem Lager zurück. Die Schlacht, welche man die »Schlacht bei der alten Veste« genannt hat, war zu Ende, und der heimwärts reitende Friedländer wies alle Anfragen seiner Generale – Gallas empfing ihn am Eingange des Lagers, Aldringer war vom Burgstalle herzu geritten – ob nichts weiter für die Verfolgung geschehen, ob nicht morgen ein allgemeines Nachrücken erfolgen sollte, mit abweisender Handbewegung schweigend zurück.

Der strömende Regen schien sein körperliches Befinden gestört zu haben. Seine Gesichtsfarbe war fahler als gewöhnlich. Vielleicht auch darum, weil er den ganzen Tag über noch gar nichts von Nahrung genossen hatte, weder Speise noch Trank.

Als er am Hochgerichte des Lagers vorüber ritt, flog sein Blick düster drauf hin und streifte dann all' seine Begleiter, auf Leo länger haften bleibend als auf den übrigen. – »Wo ist Dein schwarzbärtiger Oesterreicher?« sagte er matten Tones zu Niemann. – Er wird vermißt – antwortete dieser. – »Nachforschen, ob er zum Feinde übergelaufen.«

Rostok harrte am Eingange des Bretterhauses. Er erschrak beim Anblicke seines Herrn. So pflegte dieser auszusehen, wenn Krankheit in seine Knochen schlich. – Er erschrak auch über Leo. Schmutzig, zerrissen und zerfetzt, blaß und verbissenen Ausdrucks sah er aus. War es der Aerger über Verkennung Dessen, was er an diesem Tage zu Wege gebracht? Denn er hatte Aldringer's Befreiung ermöglicht, er hatte Torstenson gefangen. Nein; für solchen Aerger war er noch zu unbefangen und anspruchslos. Des Herzogs sichtlich dauernde Ungnade lastete auf ihm. Er liebte diesen schlimmen Mann; auch jetzt noch, da ein herzhafter Zorn öfter in ihm aufwallte gegen demüthigende Behandlung.

Waldstein stieg schwer vom Pferde, trat langsam und mühsam in den Flur des Hauses. – »Was ist vorgegangen?« fragte er im unsichern Weiterschreiten Rostok. – Der Doctor Blandini ist seit heute Morgen verschwunden. – »Verschwunden?!« rief der Herzog und blieb stehen. Sein Kopf wendete sich rückwärts und sein Auge suchte Leo, der an der Thürschwelle war. Diese Nachricht schien den Herzog arg zu überraschen. – Man will ihn auf dem Wege nach Altenberg, dem Hauptquartier des Herrn Kurfürsten gesehen haben. – »Heute Morgen schon?« – Durchlaucht waren kaum fort, da verließ er das Haus und ist nicht wiedergekommen. – Nach längerem Stillschweigen rief der Herzog Holck zu sich heran und sagte einige Worte zu ihm. Dann wendete er sich zu Niemann und sprach: »In einer Viertelstunde zu mir hinauf! Schreiben!«

Nun stieg er die Treppe hinauf und nahm Rostok's Arm zur Unterstützung in Anspruch. Das Gefolge zerstreute sich und Holck sagte im Vorübergehen zu Leo: Der Herzog befiehlt, daß Ihr mir zugetheilt verbleibt und sogleich in meine Zelte übersiedelt. In einer Stunde erwarte ich Euch.

Als Niemann oben beim Herzog erschien, fand er ihn zu Bett. Rostok ging achselzuckend und traurig mit warmen Getränken ab und zu. Auf einen Wink des Herzogs setzte sich Niemann an den Schreibtisch und Waldstein dictirte mit heiserer Stimme einen kurzen Bericht an den Kaiser nach Wien, welcher mit den Worten schloß: »Der König hat sich bei dieser Impresa gewaltig die Hörner abgestoßen, indem er die Ueberwältigung des Lagers, so wahr er ein König sei, in Aussicht gestellt hat.«

Niemann brachte das Blatt mit eingetauchter Feder zur Unterschrift ans Bett. Mühsam unterzeichnete der Herzog und winkte dann Niemann, von dannen zu gehen. Er selbst ließ sein Haupt, das einem Verstorbenen glich mit seinem farblosen, vom starren, rothbraunen Barte beschatteten Angesichte, aufs Kissen sinken und starrte an die Zimmerdecke.

 

Druck von Adolf Holzhausen in Wien
k. k. Universitäts-Buchdruckerei.


 << zurück