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2.

Die Reise war langsam vor sich gegangen; Leo war wißbegierig und wollte überall Alles sehen. Besonders in Wien. Morgen reitet der Kaiser auf die Jagd! hatte man ihm gesagt. Das mußte er abwarten; er hatte so viel davon gehört, in welcher Ausdehnung und Herrlichkeit das edle Waidwerk von der Hofburg aus gepflegt werde. Einhundertundfünfzig Jäger und Büchsenspanner sollten da gehalten werden, und von denen sollten alljährig vierundzwanzig ein neues grünes Gewand erhalten. Hunde und Vögel in größter Menge und Auswahl – das mußte er sehen! Frühzeitig stellte er sich draußen vor dem neuen Werd an der Schlagbrücke auf und erreichte denn auch wirklich seinen Zweck. Mit großem Geleite und einer wunderlichen Feierlichkeit – wunderlich für solch ein Vergnügen, welches in jeder Woche mehrmals stattfand – kam der Kaiser aus dem rothen Thurme hervorgeritten. Leo wollte all' die gewaltigen Katastrophen, welche in einer zwölfjährigen Regierung über ihn ergangen, vom kaiserlichen Antlitze herablesen; aber er fand das Antlitz eben und glatt, ja wohlgenährt. Sein Sohn neben ihm, der dreiundzwanzigjährige König von Ungarn, interessirte ihn fast in höherem Grade. Es war die Rede davon, dieser wahrscheinliche nächste Kaiser sollte seine Residenz in Prag aufschlagen und in Böhmen mit einiger Selbstständigkeit regieren. Auch an die Spitze des neuen Heeres sollte er gestellt werden, und der Friedländer dicht unter ihn als sein Kriegsajo. Leo fand ihn wirklich sehr abweichend von seinem Vater: schwarzhaarig, schlank, blaß, mager, sehr spanisch, aber den Blick nicht ohne Verständigkeit und Schärfe.

Es wurde Spätherbst, ehe Leo bis nach Prag gelangte. Eines Nachmittags kam er an. Im Hofe des Jesuitencollegiums gab er sein Pferd ab; in einer Stallstube legte er seinen guten Anzug an, und ließ er sich von einem Stallknecht die Stiefel säubern. Ihm übergab er auch seinen Mantelsack, und nun machte er sich eiligst auf, den Palast des Friedländers aufzusuchen und sich dem mächtigen Herrn vorzustellen. Der Brief des Pater Vitus, meinte er, werde ihm ja alle Pforten öffnen. Daß der Herzog bereits in Prag sei, hatte er schon in Wien erfahren. Der Kaiser selbst sollte ihn gebeten haben, von Gitschin aufzubrechen, um nicht von den Sachsen überrascht zu werden, welche die böhmischen Grenzorte schon eingenommen hatten.

Der erste Vorübergehende, welchen er nach dem Palaste des Herzogs fragte, wies ihn sogleich zurecht. Natürlich! Wenn auch augenblicklich ohne Commando, war er doch die erste Person im Königreiche und gleichsam der regierende Fürst in Prag. »Ueber der Brücke drüben rechts auf der Kleinseite unten nahe bei der Moldau« war der Bescheid.

An der Brücke blieb Leo stehen und betrachtete den malerischen Anblick: rechts drüben hoch oben die stolzen Gebäude des Hradschins, links jenseits des Wassers den waldigen Laurenzerberg, schon fast laublos, nur hie und da noch roth betupft. Und dieser vierkantige, oben zackige Brückenthurm, vor dem er stand! Oben – ach! eine Reihe von Todtenschädeln! Das waren die Kopfreste von Budowa, Loß, Schlick und ihren Schicksalsgenossen. –

Nachdenklich ging Leo über die Brücke und wendete sich dann rechts über den Kleinstädter Ring nach dem Wasser hinab. Der Abend sank schon, die Sonne war unsichtbar unter schweren, grauen Wolken, die Luft strich rauh, vereinzelte Regentropfen fielen. Hundert Schritt vor ihm da unten lag der Palast, in welchem schon Lichter brannten. Halt! rief es mit halber Stimme neben ihm. Es war Einer von der Leibwache des Friedländers. In weitem Bogen waren diese Wachen aufgestellt um den Palast, damit jedes Geräusch fern gehalten, jeder Ankömmling gefragt werde. – Hätte Leo gesagt, er wollte den Herzog sprechen, so wäre er vielleicht zu dieser späten Stunde zurückgewiesen worden, sein glücklicher Treffer ließ ihn aber sagen: Ein Schreiben für den Herzog von Friedland abzugeben! – Darauf folgte die Antwort: »Zum Portier, und ohne Geräusch!«

Der Portier im Hofthor war ein Riese in weitem rothen Rocke, der von Gold starrte. »Ein Schreiben? – Grad hinüber an der Hauptwache vorbei! –« An der Wache neues halblautes Anrufen, neuer Bescheid, »die große Stiege rechts!« Oberhalb der Stiege wiederum Wachen, dieselbe Frage, aber noch leiser, und derselbe Bescheid: »Rechts den Corridor!«

In dem Corridor brannten Lichter auf Wandleuchtern; die steinernen Wände schimmerten, sie waren mit Marmor bekleidet. Der Herzog hatte mit großem Aufwande diesen Palast gebaut, seit er an die Spitze des Heeres getreten. Er war also erst einige Jahre fertig. An hundert Häuser, hieß es, habe er hier am Wasser dazu angekauft – auch dasjenige, welches vor zehn Jahren Loß bewohnt – sämmtliche Häuser niederreißen und auf ihrem Grunde diesen Prachtbau aufführen lassen. Architekten und Maler hatte er aus fernen Ländern berufen, den Marmor viele hundert Meilen weit herschaffen, alle Silberarbeit in Genua anfertigen lassen – die Prager nannten dies Haus das achte Weltwunder, und fanden es ganz in der Ordnung, daß der Herzog auf dem Deckengemälde des großen Saales als ein Gott dargestellt war mit lorbeergekröntem Haupte, von Sonnenrossen gezogen.

Leo war nicht besonders erstaunt. Er hatte sich das so vorgestellt, nur das Flüstern der Wachen und die lautlose Stille befing ihn ein wenig. Er erschrak fast, als plötzlich aus einem Nebengemache ein leichtes Gelächter hörbar wurde und ein paar schwatzende Frauengestalten an ihm vorüber rauschten. Herr Gott, sind die schön! dachte er und verbeugte sich staunend.

Sie nickten ihm lächelnd Dank. Besonders die ältere und größere, eine bildschöne Frau mit ein Paar brennenden Augen, welche erstaunt, fragend und so gewiß ungleich auf ihm zu ruhen schienen. Ungleich, weil nur das eine Auge wie eine Frage aussah, das andere wie ein warmes Wohlwollen. Die zweite war ein schlankes Mädchen mit lichtbraunem Haar und blauem Auge. Ihr Blick streifte ihn blos, und sie zog ihre etwas zögernde Begleiterin vorwärts, indem sie rief: Komm doch, Marie, komm! – Dieser Ruf galt einem kleinen Mädchen, das etwa elf Jahre alt sein mochte, und das bei Leo stehen blieb. Das Mädchen war mager und eckig aufgeschossen, und ihre Gesichtszüge waren etwas zu scharf und grell für ihr Alter, aber es schauten aus ihnen ein Paar sehr verständige blaue Augen heraus. »Wie heißest Du?« fragte sie, indem sie eine nicht eben graziöse Bewegung machte, die zwischen Fortlaufen und Stehenbleiben entstand. – Leo heiße ich – erwiderte der junge Steinwald unwillkürlich leise, von der allgemeinen Stille angesteckt. – »Leo?« – Ja. – »Ach, das ist ein hübscher Name! Willst Du zum Vater?« – Zum Herzog von Friedland will ich. – »Nun ja! ich werd's ihm sagen, ich hol' ihn gerade« – damit flog sie den beiden Frauen nach.

Leo war sehr erfreut, daß er von des Friedländer's Töchterlein, dem einzigen Kinde desselben, angemeldet werden sollte. Das ist ein gutes Zeichen! meinte er. Er folgte so rasch als es auf dem glatten Steinboden und ohne unziemliches Geräusch gehen mochte. Seine groben Sporen wollten durchaus nicht geräuschlos werden. Darüber versäumte er sich, und die Frauen waren plötzlich vor ihm verschwunden, und zwar links in eine Thür. Links war ihm nicht vorgeschrieben, und er sah auch geradeaus vor sich Flügelthüren offen und rothe Wachen innen im Zimmer an den Thüren. Dort war sein Eingang. Er zog den Brief des Pater Vitus hervor – man winkte ihm stumm nach der Flügelthür, welche in ein nächstes Gemach führte. Vorsichtig drückte er auf die Klinke. Unnütze Vorsicht! Sie war so gut eingeölt, daß sie nicht den kleinsten Laut von sich gab. Er stand in einem länglichen Saale, welcher Leo gegenüber keine Thür zeigte, sondern einen großen italienischen Kamin, in welchem Feuer brannte, und neben welchem zwei Männer saßen. Sie sprachen eifrig mit einander; aber er hörte keinen Laut – sie flüsterten.

Leo stand still; er fürchtete sich vor seinen Sporen, und er sah auch gleich, daß diese Besorgniß gegründet war. Mitten im Saale stand ein stattlicher Kriegsmann, und ein Diener war mit den Füßen desselben beschäftigt: er band ihm mit Bindfaden die Sporenräder fest und schob ihm dann ein Paar Filzsocken an die Reiterstiefel. An der Wand waren wol ein Dutzend solcher Filzsocken einladend hingestellt. Unterdeß kam ein schmaler Mann in dunkelrother Kleidung Leo entgegen, und nickte mit dem Kopfe so gewiß beifällig. – »Ganz recht, ganz recht!« sagte er leise, als er dicht bei Leo war – »daß Ihr gleich stehen geblieben seid. Es sind nicht Alle so aufmerksam, die's doch wissen könnten. Ihr wißt's nicht einmal, denn ich hab' Euch noch nie beim Herrn gesehen. Ich bin der Kammerdiener Rostok, was bringt Ihr denn?« – Einen dringenden Brief vom Herrn Pater Vitus. – »Den Ihr selbst übergeben wollt?« – Ja, lieber Herr Rostok, selbst. – »Das wird heute schwer gehen. Es wimmelt von Generalen und Obersten. Aus allen Standquartieren kommen sie herbei, seit es heißt, unser Herr, die Hoheit, trete wieder als Capo an die Spitze des Kriegsvolks.« – Das wird er doch auch?! – »Kaum, kaum! Zu viel Aerger! Macht die Gicht nur noch schlimmer. Braucht Ruhe und Stille für das, was man Nerven nennt.« – Ist die Hoheit kränker geworden? – »Das nicht; sogar frischer seit einiger Zeit. Aber setzt Euch nur dort links in den Ecksessel; woll'n sehen, wie lange der Herr drin die Generale und Obersten duldet, und ob der Marchese dort noch dran kommt –« – Ein Marchese? – »So heißen die Vornehmen in Italien; 's ist ein Wälscher, der Herr General-Feldwachtmeister, Caretto Marchese di Grana benannt, kommt aus Wien vom Kaiser, muß aber doch warten, wie Ihr seht. Kein Unterschied! Einer nach dem Andern.«

Nach dieser geflüsterten Unterhaltung ging Herr Rostok links an die Flügelthür, welche zum Herzog führte, und guckte durchs Schlüsselloch, unbekümmert um die Zuschauer. Er mochte gehört haben, daß man innen aufbrach, und er öffnete auch wirklich die Thür. Ein mittelgroßer Kriegsmann mit vollem Schnurr- und Knebelbart kam heraus, grüßte vertraut den Marchese und sprach einige Worte mit ihm, oder brummte sie vielmehr, da sein Organ eine tiefe Baßstimme war. Die Worte lauteten: »Er will nicht!« – Er wird schon wollen! entgegnete der Marchese. – Sie gingen, das heißt sie schoben sich auf ihren Filzsocken hinüber zu einem Fenster, um in der Stille weiter mit einander zu sprechen.

»Das ist der Feldzeugmeister Gallas, Gallasch genannt in deutscher Zunge« – flüsterte Kammerdiener Rostok, der offenbar Unterhaltung brauchte, dem aufrecht am Sessel links verbliebenen Leo zu –; »der Herr hat Nein gesagt, ich wußt' es wohl. Aber sie betteln drin weiter, die Anderen. Natürlich! wenn der Herr wieder commandirt, da geht's wieder im Großen, und die Obersten und Generäle rücken auf. Der Gallasch gewiß auch; der Herr mag ihn. Kommt aus dem mantuanischen Krieg eben, hat sich vorgethan, ist Feldzeugmeister geworden. Ißt und trinkt aber grausamlich; das mag der Herr nicht leiden –« Weil er selbst nur von Luft leben soll, wunderbar! – »Doch nicht blos. Aber freilich über die Vorstellung mäßig. Der Marchese da übrigens ebenfalls. Und sparsam, dieser Marchese! 's ist eben ein Wälscher! 's weiß kein Diener im Hause, wie sein Gold aussieht. Versteht sich, Trinkgeld darf überhaupt nicht genommen werden, der Herr verbietet's von oben bis unten. Aber die Unteren, lieber Gott, wenn man noch so aufpaßt, sie halten doch mitunter die Hand hin. Bei dem Marchese da hat's ihnen noch keinen Kreuzer eingetragen. Seht nur auch, wie er absticht vom Gallasch! Dürr, gelb, geschmeidig neben dem rothen, fleischigen Wälschtiroler.« – Ist der Gallas auch ein Wälscher? – »Nur halb. Aus Trient stammt die Familie. Und Ihr, junger Herr –?«

Leo zögerte nicht im Geringsten, dem wohlwollend entgegen kommenden Herrn Rostok seinen Lebenslauf zu erzählen und ihn mit der Absicht bekannt zu machen, welche ihn hergeführt. Dabei bat er ihn unbefangen und liebenswürdig um seine Unterstützung. Das schien einen ganz guten Erfolg zu haben. Es lag eine große Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit in dem Wesen Leos, welche für ihn einnahm, und da sich außerdem ein heller Enthusiasmus für den Herzog von Friedland in all' seinen Aeußerungen zeigte, fühlte sich dieser dunkelrothe Kammerdiener Rostok wie gestreichelt und geschmeichelt von den Reden des zutraulichen, angenehmen jungen Mannes. Denn Rostok's Stärke und Schwäche begann und endigte mit den erstaunlichen, ja übernatürlichen Eigenschaften seines Herrn. Er betrachtete den Herzog wie einen Gott, der Alles könne und vermöge, den selbst die »widersinnige« Gicht nicht »niederbringen« könne, und neben welchem alle Herren und Herrscher der Welt nur geduldete Puppen wären, geduldet so lange es dem Herzog beliebte. Nur Eins fand er nicht wahrscheinlich in den Wünschen und Hoffnungen Leos, das Pagenthum. Dafür sei Leo doch schon zu groß und zu alt, und diese Bemerkung werde der Herzog gleich machen. Was dann? Denn etwas Bestimmtes müsse man dem Herrn immer gleich vorbringen, sonst werde er ungeduldig. Natürlich! Er habe gar zu viel Geschäfte, er regiere ja die ganze Welt. Was also? – Es wurden nun alle Eigenschaften und Fähigkeiten Leos durchgemustert. Leo legte großen Nachdruck auf seine ritterlichen Künste und Fertigkeiten. Dazu schüttelte Rostok den Kopf. An Dergleichen fehlte es nicht. Mit der Feder, beim Geschütz und in allen Berechnungen brauche der Herr immer noch Verstärkung. Wie's darin stünde mit Leo? – Etwas kleinlaut zählte dieser auf, wie weit er es in diesen Punkten gebracht habe. Den Umgang mit dem Pulver und den »Stücken« kenne er eigentlich noch gar nicht. Die mathematischen Berechnungen dazu seien ihm indeß geläufig. Dazu und zu Allem, was sich überhaupt mit Zahlen berechnen lasse am Himmel und auf der Erde. »Am Himmel auch?« schaltete Rostok lebhaft ein. – Freilich! den Lauf der Sterne zu berechnen, ist ja eine weitläufige und genaue Wissenschaft. – »Das stimmt! Der Zenno, des Herrn Magister im Laboratorium wird immer nicht fertig mit seinen Zahlen, der Herr schilt gar oft, da wär't Ihr anzubringen.« – Zenno? das ist der Astrolog? – »Ja.« – Astrologie ist noch was Anderes, und dafür bin ich nicht besonders eingenommen, darin bin ich auch nicht – »Einerlei! Da könnt Ihr streiten, der Herr streitet alle Tage mit dem Zenno – stille! Da kommen welche heraus! Das sind die Colloredos und der Diodati.« – Wer ist denn der Alte mit weißem Haar? – »Das ist ein ächter Spanier Don Balthasar; Marradas heißt er kurz.« – Und der schöne Mann da zuletzt? – »Der Montecucculi! Da ist die ganze wälsche Partie beisammen. Jetzt ist nur noch der Ilow und Tertschka drin, nun kann Platz werden für Euch. Unsere Leute vom Hause, der Kanzler und der Landeshauptmann drüben am Kamine lassen Euch vielleicht den Vortritt. Sie kommen gar nicht gern an die Reihe, wenn der Herr so Viele gesprochen, denn da ist er gern »spießig« von der Galle.« – Aber der Marchese! – »Den mag er ohnehin nicht!« – Kommt aber wie Ihr sagtet, aus Wien, kommt vom Kaiser! – »Eben darum erst recht nicht. Jetzt haben sie Eile, daß der Herr den Karren wieder heraus schieben soll! Das hat gute Weile. Der Herr wird sie zappeln lassen, die Regensburger! Der Marchese ist auch mit in Regensburg gewesen, als wir in Memmingen waren, und da – na, jetzt sollen sie warten! Es wird sich erst zeigen, ob der Herr nicht ganz was Anderes vornimmt!« – Ich hab's heut' noch nicht begriffen, warum der Herzog damals von Memmingen aus das Netz nicht zugezogen hat! – »'s war noch nicht Zeit, Herr Leo, noch nicht Zeit – da gehen sie! – Servitore, Servitore!«

Die letzten Worte, halblaut wie alle früheren, gönnte der dunkelrothe Kammerdiener mit einer leichten, unscheinbaren Kopfneigung den fortgleitenden Kriegsmännern, welchen der dazu angestellte Diener erst an der Thür die Filzsocken abnahm und die Sporenräder wieder aufband.

Carretto, der Marchese di Grana allein war geblieben und winkte dem Kammerdiener. Rostok zuckte die Achseln und that ein Uebriges, sich nochmals ans Schlüsselloch zu verfügen. Mit aufgezogenen Augenbrauen kam er dann zum Marchese zurück, und stöhnte fast: »Nicht viel Aussicht, nicht viel Aussicht! Der Herr, die Hoheit, hat sich niedergelassen und mit der Hand gewinkt, daß sich die Generale Tertschka und Ilow auch setzen dürften.« – Geht hinein und meldet mich als von Wien, von Seiner Majestät dem Kaiser kommend. – »Bedaure. Gegen meine Ordre. Darf Niemand melden, so lange noch Audienz. Ueberhaupt heute kaum. Hoheit von langer Audienzgebung angegriffen, wird schließen. Bedaure.«

Das schwarze Auge des Marchese durchbohrte den Dunkelrothen; dieser aber war hieb- und stichfest. Das gelblich bleiche, feine Gesicht des Marchese wurde roth, der zierliche Körper gerieth in Bewegung, der Fuß hob sich, er schien den Filzpantoffel ins Zimmer schleudern zu wollen – aber er mäßigte sich gewaltsam wie mit einem Schlage und sagte endlich ganz ruhig: »Ich werde drüben der Frau Herzogin aufwarten. Sobald Seine Durchlaucht der Herr Herzog mich anzunehmen geruhen wollen, bitte ich, mich drüben abrufen zu lassen«. – Servitore, Herr Marchese! und dabei lächelte der Dunkelrothe gleichsam über die Achsel hinüber zu seinem Schützlinge Leo. Vielleicht nur um sich diesem in seiner äußersten Bedeutung zu zeigen, war er seinem eigenen Ausdrucke nach so »spießig« gegen den Marchese.

Zu großem Erstaunen Leos ging er nun auch mit einem Mal nicht blos ans Schlüsselloch der wichtigen Thür, nein er öffnete sie, er ging hinein, er verschwand –

Auch die beiden Männer am Kamin, der Kanzler von Elz und der Landeshauptmann im Herzogthum Friedland, Gebhard von Taxis, sahen auf. Sie meinten wol, die Reihe werde nun endlich auch an sie kommen, vor dem Herzoge erscheinen zu dürfen. Sie brauchten Verhaltungsbefehle, sie hofften Sicherstellungs-Papiere. Die sächsische Kriegsmacht konnte jeden Tag die herzoglichen Güter überschwemmen, namentlich die Herrschaft Friedland selbst, welche nahe an der Lausitzer Grenze lag. Beide wußten sie aber auch sehr gut, wie aufmerksam und sorgsam der Herzog für seine Güter bedacht – er verwaltete sie mit einer Genauigkeit, welche bis in die unscheinbarsten Einzelnheiten sich erstreckte. – Beide wußten sie, daß ihn solch ein Kriegszug niemals überraschte, und daß er mit dem Feldherrn der Sachsen, dem klugen Arnheim, oder wie man ihn kurzweg nannte »Arnimb«, in stetem Verkehr war. Sie erwarteten also, in des Herzogs Händen schon Arnimb'sche Befehle vorzufinden, welche den sächsischen Truppen vorzuweisen und dazu ausgestellt wären, um die friedländischen Herrschaften vor jeder Besetzung sicher zu stellen. Zu diesem Zweck waren Beide nach Prag gekommen.

Es dauerte nicht fünf Minuten, so erschien der dunkelrothe Kammerdiener Rostok wieder. Er mochte ein wenig betroffen sein und glitt unsicher auf seinen weichen Schuhen zu den Amtsleuten am Kamin hinüber, hastig ihnen zuflüsternd: Eintreten, sobald die nächsten Herren heraus sind, kurz sein in der Fassung, Hoheit ist rasch gestimmt!

Dann glitt er wie ein geübter Schlittschuhläufer nach der entgegengesetzten Seite zu Leo, zuckte die Achseln und sah ihn eine lange Weile schweigend an. Sein Gesicht erschien dabei eigentlich recht schnurrig. Es war dies Gesicht die unverhältnißmäßig breite Seite eines kleinen Kopfes, der nach hinten zu kurz gerathen war. Da nun das Untergesicht, die Mund- und Kinngegend zum Ausgleich unverhältnißmäßig vorsprang, so gemahnte sein Haupt nicht undeutlich an den Schädel eines Pavians. Dazu kleine Augen, dunkle Gesichtsfarbe und viel Bartwuchs, den zweimaliges tägliches Barbieren nicht dämpfen konnte, und innerhalb des breitgeschlitzten Mundes zwei vollbesetzte Reihen Zähne bis zum Gaumen hinein, eine flache, weit zurück gehende Stirn, und auf dem Vorderhaupte wenig Haar – dies Alles machte Herrn Rostok's Anblick eindrucksvoll, besonders weil er durch einen feinen Sammetanzug bis zum seidenen Strumpfe hinab gehoben war. Dennoch war der Ausdruck dieses Gesichtes nicht thierisch und nicht gemein. Ein geschäftiger Geist war erkenntlich; stille Lustigkeit und stille List schimmerte in dem lebhaften braunen Auge, wie klein es auch war, und auf Leo ruhte es sogar mit einer Art Wohlwollen. Egoistisches Wohlwollen, wenn man so sagen darf. Rostok fand Behagen an dem jungen Menschen, und that sich selbst einen Gefallen, wenn er freundlich für ihn war.

»Wenig Aussicht, verehrter Herr?« flüsterte Leo. – Schlechte Aussicht. Es muß von der innern Seite, von den Damen drüben Jemand hineingekommen sein, der den Herrn unruhig gemacht hat. – »Seine Tochter. Ich hab's Euch zu sagen vergessen, daß sie draußen an mir vorbeigekommen.« – Drum, drum! Der schlägt er nicht gern was ab, der kleinen Prinzeß, und sie wird ihn von der Mutter gebeten haben, hinüber zu kommen. Drum, drum! Er sagt da nicht gerne Nein, und doch stört's ihn. Er hat mich dafür angebrüllt; ich werd' Euch heute kaum noch vorbringen, schöner Herr Leo – Steinwald? Nicht wahr? – »Steinwald.« – Still, da kommen die Letzten. Ich hör's; der Tertschka kann nicht stille gehen, und wenn er nur an die Thür stoßen muß. Richtig, da ist er. Seht Ihr, der Starke! Und pruhsten muß er immer, und der Filzpantoffel muß fliegen, eh' noch der Diener heran kann – der Andere mit dem lichten Barte, das ist der Ilow, ein scharfer Kopf und scharfer Mann, der Feldmarschall – hui! der Herr drinnen läutet, als ob's brennte, gebt mir Euren Brief – hui, läutet der Herr! später, später den Brief –!

Und hinein schlüpfte er wie ein Aal, die Thür hinter sich offen lassend.

Die Beamten Taxis und Elz hatten sich erhoben und waren bis gegen die Thür vorgekommen. Der Herzog mochte sie wol sehen; man hörte, daß er im Commandotone ihre Namen rief. Sie wollten eilig hinein.

– Bleibt! – klang die Commandostimme weiter – laßt mich in Ruh'! Wartet! Der Arnimb läßt mich ohne Nachricht; ich habe noch nichts für Euch. Der Satan soll den deutschen Politicus holen, wenn er meine Herrschaften preiszugeben denkt. Jede Stunde indessen kann der Salveguardia-Zettel kommen. Wartet also! Man wird Euch wecken, wenn er in der Nacht eintrifft. Und dann fahrt nicht, sondern reitet, und strengt Euch an, damit Ihr bei Zeiten an unsre Grenzen kommt. Basta!

Taxis und Elz verbeugten sich und gingen.

Leo hatte sich bis in ihre Nähe vorgeschoben nach der Mitte des Saales; er hätte gar zu gern durch die offene Thür einen Blick dahinein geworfen, von wo die Stimme des Friedländers zum ersten Male an sein Ohr schlug. Es klang, als ob sie nicht aus dem nächsten Zimmer käme, sondern – richtig! Leo war so weit geglitten, daß er sah: das nächste Zimmer sei noch ein leeres Vorzimmer. Oder wenn auch nicht leer, – denn er sah einen Tisch zum Schreiben darin – doch nicht der Aufenthalt des Herzogs. Erst im zweiten Zimmer war zunächst Rostok zu entdecken, Rostok, der am Boden kauerte, und ein Fuß, an dessen Bekleidung er nestelte. Das ist der Fuß des gewaltigen Mannes, der oft am Podagra leidet – dachte Leo – und der ihm vielleicht eben Schmerz verursacht, um deßwillen er ungeduldig –

Da schnellte Kammerdiener Rostok in die Höhe, und die ganze Gestalt des Herzogs kam zum Vorschein, eine hohe Gestalt, welche vorüberschreiten wollte. Sie blieb stehen. – »Den Stab!« rief der Herzog, und während ihm Rostok den Stab reichte und Leo respektvoll zurücktreten wollte, wurde der grimme Herr durch diese Bewegung aufmerksam gemacht und sah hinüber nach dem großen Vorsaale.

– Wer ist noch da? fragte er, und ohne die Antwort abzuwarten setzte er hinzu: Hast den Punkt getroffen, Rostok, die Falte drückt nicht mehr.

Rostok aber ließ die Frage nicht aus, sondern sagte: Der angenehme junge Mann ist noch da, Hoheit, den Pater Vitus mit einem Schreiben sendet.

– Komm her, Bursch! rief der Friedländer.

Leo glitt ebenfalls wie ein Schlittschuhläufer hinein und präsentirte sein Schreiben. »Oeffne selbst!«

Aha, dachte Leo, das Papierknittern an den Fingern ist der Gicht unangenehm. Bei allem Respect und aller Bewunderung war er ein viel zu natürlicher und gesunder Gesell, um verlegen zu sein. Er öffnete blitzschnell und fragte naiv: »Soll ich auch lesen?« – Lies!

Er las den Brief vor, welcher voll warmer Lobeserhebungen für ihn selber war, und als er zum Schlusse kam, setzte er lächelnd hinzu: So viel bin ich freilich nicht werth, Hoheit, als der gute Herr Pater da von mir sagt. Aber er liebt mich und ich lieb' ihn wieder. Vielleicht kann ich wahr machen, was er von mir aussagt. An meinem guten Willen, an meiner Aufmerksamkeit soll es nicht fehlen. Und die Begeisterung ist schon da; ich verehre in Euch den großen Kriegsfürsten über alle Maßen.

»So? – – tritt aus dem Lichte Rostok! – Du hast ein Paar prächtige Augen, Junge – wo hast Du die her?« – Von meiner Mutter. – »Aber Du bist schon viel zu groß für einen Pagen.« – Das hab' ich ihm auch gesagt – schaltete Rostok ein und setzte schnell auseinander, was der Herr Leo Alles gelernt habe. – »Kannst Du Gleichungen ausrechnen?« – O ja. – »Sprichst italienisch?« – So gut wie deutsch. – »Und Dein Name ist?« – Leo Steinwald. – »Steinwald? Das ist ja ein umgekehrter Waldstein.« – Wahrhaftig! Das hab' ich noch gar nicht bemerkt.

Waldstein sah dem jungen Manne schweigend ins Angesicht. Forschte er? Bewegte ihn eine Ahnung? Traf ihn eine Erinnerung? Der sonst so strenge Ausdruck seines Gesichtes war mild. Hätte Leo den Brief seiner Mutter hervorgezogen, er wäre von unmittelbarer Wirkung gewesen, vielleicht von großer Wirkung für das Leben beider Männer, des Vaters wie des Sohnes. Einen Sohn hatte sich Waldstein gewünscht mit aller Kraft eines starken Menschen, welcher die Zukunft an sein Blut, an seinen Namen fesseln will, einen Sohn, welchem er eine reiche Erbschaft nicht nur, nein, ein mächtiges Reich, eine große Aufgabe hinterlassen könnte! Obwol erst neunundvierzig Jahre alt, fühlte er sich doch durch die gichtische Krankheit, welche ihm oft alle Glieder steinigte, mitunter so arg gebeugt, daß er sich nicht immer dem kleinmüthigen Gedanken seiner Frau entzog: Warum Dich in so viel Noth und Gefahr stürzen, Albrecht?! Für die reichste Ausstattung unseres Kindes hast Du ja längst, hast Du ja überreich gesorgt! Freilich – dachte er dabei düster – sie ist ja nur ein Mädchen! Wenn sie ein Sohn wäre, wenn ich einen Sohn einführen, einweihen könnte in meine Pläne und Aufgaben – –!

Leo ahnte nichts von einem solchen Gedankengange, und es war ein Zufall, daß er in sein Wams griff, in die Tasche, welche den Brief seiner Mutter barg.

»Hast Du noch etwas für mich?« – Nein, Hoheit! Einen Brief meiner Mutter, der für Euch nichts bedeutet, da Ihr sie nicht kennt. – »Ist der alte Veit noch rüstig?« – Ganz rüstig, und Eurer Hoheit in liebender Verehrung zugethan. – »Er hält mich für seinen Sohn, weil er mich bekehrt hat. Jedermann liebt sich selbst im Andern.« – Dabei schritt der Herzog langsam weiter, den Blick nicht abwendend von Leo. Dieser folgte neben ihm bis zur Thür, welche Rostok eiligst öffnete. Eine lange Reihe erleuchteter Gemächer lag vor ihnen. Leo war unschlüssig, ob er weiter neben dem Herzoge fortschreiten dürfe, da dieser schwieg. Rostok aber winkte ihm: er solle nur getrost mitgehen.

Das that er denn. Der Herzog fragte ihn über seine Reise und ob er über Wien komme. Was er dort gesehen und gehört? – Leo schilderte geläufig, wie er den Kaiser gesehen und den ältesten Sohn desselben. – »Den? Wie ist er Dir vorgekommen?« – Ganz anders als der Kaiser. – »Warum?«

Es lag ein finsterer Hintergrund in dieser Frage, und Leo bemerkte ihn. An dem jungen Manne hörte und sah Alles, wie es bei glücklich organisirten Naturen zu sein pflegt, welche neben Anderen sich selbst zu vergessen wissen, um nur alles das aufzunehmen, was der Andere wünscht und hofft. Gerade dadurch werden solche Naturen Jedermann gefällig. Dieser Instinct der Gefälligkeit verrieth Leo, daß der zum Könige von Böhmen und zum Kriegsfürsten bestimmte Kaisersohn keine erwünschte Figur sein könne für den Friedländer; er beeilte sich also hinzuzusetzen, daß ein stattlicher Fremder neben ihm an der Schlagbrücke halblaut vor sich hin gesagt habe: Ein junger, unerfahrener Mensch thut's nicht in solcher Zeit, wo der Schwede bald im Prater stehen und Jagd wie Wiener Zeitvertreib verderben kann!

»Hast Du den Fremden kennen gelernt?« – Nein; aber die Nachbarn, welche seine Aeußerung hörten, nickten mit den Köpfen. Man sah, daß seine Meinung die vorherrschende war.

So kamen sie an das Ende der langen Reihe von offenen Gemächern, und zwei Diener, welche wie Rostok durchs Schlüsselloch gesehen haben mußten, öffneten von außen eine geschlossene Flügelthür. Der Herzog und Leo traten in das Vorzimmer der Frau Herzogin Isabella von Friedland. Zwei andere Diener öffneten zur Rechten des Herzogs die Flügelthüren, und Leo sah in ein großes Zimmer, welches links hinten in der Ecke eine Frauengesellschaft zeigte, bei welcher jener Carretto, Marchese di Grana saß.

Er erhob sich und trat dem Herzoge von Friedland mit respectvollem Gruße entgegen.

»Ihr seid in Prag, Marchese?« – Seit zwei Stunden drüben im Vorzimmer Eurer Durchlaucht, um eine Botschaft von Seiner Majestät dem Kaiser an Euch zu bestellen. Es ist mir aber nicht gelungen, bei Eurer Durchlaucht eingelassen zu werden. – »Der Rostok ist ein ungeschickter Patron, den ich doch noch werde fortjagen müssen!« erwiderte Waldstein mit ärgerlichem Tone, zu welchem aber ein sarkastisches Lächeln nicht recht stimmen wollte. Dabei machte er eine einladende Handbewegung gegen das Fenster hin, welche zu sagen schien: ich werde Euch dort hören.

Die Frauen waren sämmtlich aufgestanden und die Herzogin Isabella war herangekommen, ihren Gatten zu begrüßen. Sie war eine volle, üppige Gestalt, und ihr schöner Kopf, eingerahmt vom blonden Haare, belebt von frischen Farben und dem guten Ausdrucke der blauen Augen, schaute neugierig auf Leo. Der Herzog bemerkte das und sagte lächelnd: »Ein fahrendes Ritterlein, vom Pater Vitus empfohlen, Steinwald geheißen – wie ist Dein Vorname?« – Leo. – »Laßt Euch eine Weile von diesem jungen Löwen unterhalten, während ich den Herrn Marchese höre.«

Und somit wendete er sich, langsam am Stabe schreitend, nach einem entfernten Fenster, sich dort auf einen Armsessel niederlassend, indem er dem Marchese vornehm, kaum merklich, einen andern Sessel andeutete, offenbar nur, weil er eine Botschaft des Kaisers brachte. Denn übrigens schien der Kriegsfürst geneigt, den untergeordneten General Carretto di Grana geringschätzig zu behandeln.

Leo aber kam da an eine Damengesellschaft, welche ihm ersichtlich wohlwollte. Die beiden Frauengestalten, welche draußen im Corridor an ihm vorübergeeilt, waren dabei, und Waldstein's Töchterlein desgleichen. Sie hatten der Herzogin schon von ihm erzählt, und das kleine Töchterlein unterließ auch jetzt nicht, laut zu rufen: Das ist der Leo von draußen!

Er war eigentlich nicht schüchtern, und doch wußte er jetzt eine Zeitlang nicht, wo er hinschauen, wo sein Blick verweilen sollte. Drei schöne Frauen auf einmal! Und er war ein frischer, lebenslustiger Gesell. Die Herzogin Isabella war noch in kräftiger Jugend, war noch nicht dreißig Jahre alt, und der ganze Schmelz einer weichen, liebevollen Frau ruhte auf ihr.

Die zweite Dame mit dunklem Haar und mit den gefährlichen Augen war von demselben Alter, und ihr schöner Körperbau in enger Seidenkleidung zeigte auch in den leichtesten Wendungen eine Geschmeidigkeit und Kraft, welche einen sinnlichen Mann berauschen mochte. Herzogin Isabella nannte sie dem staunenden Leo: Lady Seymour – Lady Ludmilla! sagte die dunkle Dame selbst mit einem schalkhaften, freundlichen Blicke, gleichsam um die Bekanntschaft sogleich leichter und ungezwungener zu machen. Es war Ludmilla von Loß, welche vor zehn Jahren zur »Winterkönigin« nach Holland gegangen war, um Leid und Verbannung mit dieser flüchtigen Königin zu theilen. Voll Schmerz und Trauer war Ludmilla nach Holland gekommen: den Vater hatte sie verloren, den Geliebten hatte sie verloren! Schmerz und Trauer waren ihr lange treu geblieben, und der Zorn war zu ihnen getreten, der Zorn gegen das katholische Regiment, welches ihren warm geliebten Vater in den Tod gestürzt. Der protestantische Krieg gegen den Kaiser wurde ihr ein Werkzeug der Rache. Sie wollte, wie ihr Ausdruck lautete, den Manen ihres Vaters gerecht werden, sie wollte sein Haupt vom Prager Brückenthurme herunterholen. So war sie eine politische Parteigängerin geworden, und ihr ganzes Trachten richtete sich darauf hin, selbstthätig einzugreifen in die Entwickelung der politischen Fragen. Dies mochte die Hauptveranlassung gewesen sein, daß ihr Liebeskummer zurücktrat vor neuen Bewerbungen um ihre Liebe. An solchen Bewerbungen hatte es dem glänzenden Mädchen nicht gefehlt, welches in ausgesuchter Trauertracht dem Zusammenflusse protestantischer Parteigänger im Haag bestechend in die Augen fiel. Unter diesen Parteigängern gab es zahlreiche Engländer, welche unzufrieden waren mit der rückhaltenden Neutralität ihres Königs, unter ihnen ein Lord Seymour, der sich hervorthat und durch leidenschaftliche Parteinahme für die protestantische Sache und für die trauernde junge Edeldame aus Böhmen. Er verschwor sich, das Haupt ihres Vaters vom Prager Brückenthurme herabzuholen und sollte es sein Leben kosten, und da er übrigens ein stattlicher junger Herr war, so hatte sie ihm mit raschem Entschlusse ihre Hand gereicht, als gerade wieder ein Kriegszug abmarschirte gegen Tilly. Nicht aus Liebe, wie sie sagte, denn die Liebe im vollen Sinne des Wortes sei in ihrer Trennung von Hans Starschädel auf immer begraben worden für sie, aber aus dem Bedürfnis der Vergeltung gegen die Feinde ihres Vaters und aus dem Bedürfniß einer gesicherten Lebensstellung, welche einem ledigen Mädchen ja doch nur durch eine Heirath werden könne.

Wenige Tage nach der Hochzeit war Lord Seymour mit den Truppen des Halberstädters in den Krieg nach Niedersachsen gezogen, hatte an der Schlacht bei Stadtlohn den tapfersten Antheil genommen und war durch eine Falconetkugel in den Tod geschleudert worden. Kaum verheiratet also war sie Witwe gewesen, und man hatte ihr vorgeworfen, daß sie den Verlust mit allzu großer Ruhe hingenommen und ungebührlich rasch nach einem neuen Paladin ausgeschaut habe, welcher den Prager Brückenthurm zu seinem Zielpunkt mache. Sie ist eine herzlose Schönheit! hatte man sich zugeflüstert – und hatte ihr Unrecht gethan. Sie war keineswegs herzlos. Aber sie hatte Unglück gehabt mit ihrem Herzen. Ihr Herz war im Gegentheil ungemein lebhaft und empfänglich, und war großen Schwunges fähig. Ueberraschende Stätigkeit bewies es wirklich im Andenken an den unglücklichen Vater: denn sie betrieb es seit zehn Jahren wie eine Lebensaufgabe, ein rächendes Kriegsheer nach Böhmen aufzubringen. Alle materiellen Mittel, welche ihr zu Gebote standen, alle weiblichen Mittel der Ueberredung, alle geistigen Mittel einer mannigfaltigen Bildung setzte sie für diesen Zweck in Schwung. Die materiellen Mittel waren nicht gering: ihr mütterliches Erbtheil in Böhmen war ihr durch Doctor Zinkas ungeschmälert erhalten worden, und der Nachlaß Lord Seymour's, welcher ihr zugefallen, war von großem Umfange: sie war eine reiche Frau. Und sie war eine mächtige Frau durch die persönliche Gewandtheit, mit welcher sie ihre Geldmittel benützte! Die »protestantische Minerva« wurde sie im Norden genannt, wo man ihrer seit einem Decennium überall ansichtig wurde auf reich geschirrtem Rosse, wenn Kriegsmassen in Marsch gesetzt wurden gegen Süden. Neben dem Könige von Dänemark hatte man sie gesehen, als er aus Holstein einrückte über die Elbe ins Braunschweiger Land zur Schlacht bei Lutter am Barenberge, und als auch hier das Kriegsglück dem kleinen Tilly treu geblieben, da war sie unentmuthigt viele Tage lang an der Ostseeküste gegen Morgen geritten mit ihren Stallmeistern und Pagen, um jenseits der Weichsel den Schwedenkönig aufzusuchen, welcher in einen polnischen Kampf verwickelt war, und von welchem sie wußte, daß er große Pläne im Haupte trug, und große Kräfte im Geiste. Dort unten an der Ostsee, und zwar in Stralsund und auf der Insel Rügen, war sie dann längere Zeit verblieben, und man sagte ihr nach, daß sie dem Könige Gustav Adolph allwöchentlich Nachricht gegeben über den Stand der Dinge, welche nun der Generalissimus Waldstein in seine Hand genommen, indem er Tilly auf die undankbare Seite am Elbstrom drängte, und Mecklenburg für sich eroberte und Pommern bedrohte. Man sagte ihr nach, daß sie damals schon die ersten Anknüpfungen zwischen Gustav Adolph und Waldstein geschürzt habe. Waldstein kannte sie ja von Wien aus; er war der Gatte ihrer Freundin Isabella von Harrach geworden; er war nicht eng katholisch, nicht eng kaiserlich, das wußte sie; er hatte unergründliche, weitreichende Absichten, das ahnte sie mit dem Instincte weiblicher Phantasie. Sie war eines Tages mit ihrem eleganten Reitgefolge zu Güstrow vor ihm erschienen und hatte lange Unterredungen mit ihm gehabt. Lächelnd hatte er ihr versprochen, den Schädel ihres Vaters vom Prager Brückenthurme herunter holen zu lassen, sobald er ein selbstständiger Reichsfürst geworden, ernsthaft hatte er ihr für den König von Schweden Gesichtspunkte entwickelt, die sie ihrem schwedischen Freunde mittheilen könne. Denn Waldstein hatte schon damals gewußt, daß er über kurz oder lang Gegengewichte brauchen dürfte gegen den Kaiser, wenn dieser sich für große Schritte dem Generalissimus versagen sollte.

Voll neuer Gedanken, denn Waldstein hatte ihre politische Phantasie wunderbar erhitzt, war sie nach Stockholm hinüber gesegelt, um Gustav Adolph Bericht zu erstatten. Dieser hatte ihre Mittheilungen mit demselben Lächeln angehört, welches sie an Waldstein schon verdrossen, hatte sie aber doch aufgefordert, eine Zeitlang in Schweden zu verweilen; denn die Dinge reiften ersichtlich zu dem Ziele, welches ihr vorschwebte in der Eroberung Prags durch ein protestantisches Heer. Es war ihr recht deutlich, daß sie da zwischen zwei kriegsherrlichen Diplomaten unterhandelte, von denen jeder den andern zu benützen und nach der Benützung auf die Seite zu schieben gedachte. Bei alledem war es aber ihrem auf das Große und Wirksame gerichteten Sinne doch klar ersichtlich, daß nur vermittelst dieser beiden Männer eine wirksame, große Bewegung im deutschen Reiche zu erregen sei. Sie blieb also bis die Expedition des Schwedenkönigs ins Werk gesetzt wurde, und mit dieser Expedition war sie im Sommer des vergangenen Jahres 1630 an der Küste Pommerns gelandet. Vergnügt hatte sie zugesehen, wie der Schwedenkönig sicher und siegreich vordrang zwischen Oder und Elbe, und wie nun der deutsche Krieg eine ganz andere Gestalt errang, fester und drohender als unter den Abenteurern Mansfeld, dem Halberstädter, dem badischen Markgrafen, ja unter dem Könige von Dänemark, welcher an Talent und Charakterkraft weit zurück blieb hinter Gustav Adolph. – In demselben Sommer des sechszehnhundertdreißigsten Jahres war das merkwürdige Schauspiel in Regensburg und Memmingen aufgeführt worden oben im Reiche, die Fürsten der Liga in Regensburg, Waldstein in Memmingen, ein Schauspiel, welches für den neuen Ankömmling auf dem Kriegsschauplatze, welches für Gustav Adolph von der größten Wichtigkeit war. Wie gern er die reizende Witwe in seiner Nähe sah, – denn sie erschien öfter in seinen Hauptquartieren, und er war empfänglich für weibliche Reize – noch wünschenswerther dünkte es ihm doch, unmittelbare Nachrichten von jenem Schauplatze Memmingen zu erhalten. Auf seine Veranlassung war Ludmilla dorthin aufgebrochen, um den Friedländer in der Stille von ihm zu begrüßen und ihm Vorschläge zu unterbreiten. Gegen alles Erwarten war sie in der Oberpfalz zwischen Amberg und Eger dem heimkehrenden Waldstein begegnet. Er war abgesetzt, er war auf dem Wege nach Gitschin, er war ein Privatmann, wie er sagte. Aber freilich sagte er es mit jenem Lächeln, welches Ludmilla schon an ihm kannte. Sie wußte, was das bedeute, und was Waldstein nun erst recht für die Protestanten bedeute, seit er vom Kaiser abgesetzt, also auch abgefallen war. Sie ging mit ihm nach Gitschin, wo sie ihre Freundin Isabella fand, wo sie nun einen länger dauernden Aufenthalt nahm. Nur jeweilige Reisen über die sächsische Grenze hinüber unterbrachen diesen Aufenthalt, Reisen in die protestantischen Lager und Hauptstädte. Besonders nach der Breitenfelder Schlacht am 7. September dieses Jahres, welche Waldstein wie einen willkommenen Racheact begrüßte. Tilly geschlagen, das einzige katholische Heer vernichtet, so hatte er prophezeit, wenn man ihn nicht gewähren lasse. Nun war zum ersten Male der Niedergang eingetreten für die katholische, für die kaiserliche Sache, nun konnte die Unterhändlerin des Friedländers bestimmte Anträge bringen an den Schwedenkönig, an Arnimb, den Führer des kursächsischen Heeres, welches seit Breitenfeld zum ersten Male verbündet war mit den Feinden des Kaisers, nun hatte der Friedländer freie Hand und konnte ihr weite Vollmachten geben. Das war eine warme Zeit geworden für heimliche Unterhandlungen zwischen dem Hofe von Gitschin und den protestantischen Führern, und Lady Ludmilla Seymour hatte mit all' ihren Kräften beigetragen, daß bis zu diesem Herbstabende in Prag, der den Marchese Carretto und den jungen Leo ins Damenzimmer der Herzogin von Friedland führte, die Ernte reif stand in vollen Halmen für ihre Rachepläne: Carretto da drüben an der Fensterbrüstung bat sicherlich vergebens, daß der Herzog wieder den Oberbefehl übernähme, die Sachsen waren an der böhmischen Grenze, der siegreiche Schwedenkönig hatte Thüringen durchzogen und drang in Franken ein in die bischöflichen Lande, Hauptstützen der Liga, von da sollte es weiter gehen nach Baiern, das Netz konnte zugezogen werden, und der Kopf ihres Vaters jenseits der Brücke hatte nur noch einige Tage zu warten – sie war bester Laune, die schöne Lady, und sagte dem jungen Leo allerliebst aufmunternde Dinge über sein frisches Aussehen, seine heitere Miene, seine lebhaften Augen und seine Zukunft, die unter dem Waldstein'schen Sterne wohl gedeihen werde, wenn er hingebend bleibe in seinem Enthusiasmus.

Leo betheuerte das auf das Anmuthigste. Ihm war zu Muthe, als ob er Prinz geworden sei in einem Feenmärchen. Noch mehr! Was Märchen! Die buntesten, lieblichsten Phantasien seiner stillen Stunden waren ihm verwirklicht; er hatte den Eindruck, das sei Alles echt, wahr und wirklich, was seine Einbildungskraft ihm vorgegaukelt. Da saß er in dem Hause, welches er für das wichtigste und mächtigste in der Welt hielt! Er saß da ohne Weiteres wie ein gern gesehener, wie ein dazu gehöriger Genosse mitten unter Frauen, von denen eine immer schöner war als die andere, denn die dritte neben der Herzogin Isabella und der Lady Ludmilla lockte ihn am tiefsten, obwol sie sich am stillsten verhielt. Fräulein Magna von Sparr war sie ihm von der Frau Herzogin Isabella genannt worden. Magna von Sparr! klang es wie ein lang anhaltendes Echo in ihm, denn die großen blaugrauen Augen, schwarz eingerahmt und von langen, schwarzen Wimpern beschattet, waren wie ein rührender Ton in sein Herz gefallen, als das schlanke Mädchen bei Nennung ihres Namens ihn einen Augenblick, nur einen Augenblick lang aufmerksam angeschaut hatte. Herr Gott! hatte es in ihm gelautet, welch ein Blick! Die ganze Seele bewegt sich Einem unter diesem Blicke! Der junge Mann hätte verlegen sein können, wohin er mit Vorliebe blicken solle mitten unter drei so schönen Frauen! Ob auf die schön ausgebildeten weiblichen Formen der Herzogin, Formen, welche unerfahrenen jungen Männern leicht am reizendsten erscheinen, besonders wenn seelenvolle Güte aus dem lieblichen Munde entgegenkommt. Oder auf die elastischen wie energischen Bewegungen der eng und drall gekleideten Lady, deren dunkle Augen so verführerisch fingen, deren einladende, lebhafte Rede so schmeichelhaft eindrang. Oder auf die junge Mädchengestalt, die sich kaum regte. Leo war aber nicht zweifelhaft. Er hatte nicht blos einen klaren Kopf, er hatte auch ein klares Herz, wenn man so sagen darf. Das heißt: sein Herz wußte immer sogleich und deutlich, was es wünsche und wolle. Wie bestrickend Lady Ludmilla zu ihm sprach, wie wohlthuend die Herzogin kurze, einfache Reden einschob, sein leuchtender Blick schweifte immer standhaft hinüber zu den niedergeschlagenen Augenlidern des Fräuleins Magna und beneidete die goldbraunen Locken, welche um ihre Augen tänzelten und von den Seiten und von unten in das verhüllte Auge hineinschauen mochten. Wenn sie doch nur aufblicken möchte – dachte er – du würdest viel besser erzählen! – Da blickte sie auf, offenbar – meinte er – um ihn einzuladen, daß er der Aufforderung Ludmillas nachkommen möge. Lady Ludmilla nämlich hatte ihn eingeladen, seine Lebensgeschichte zu erzählen. »Dies ist das einfachste Mittel«, hatte sie gesagt, »sich natürlich und ganz bekannt zu machen mit neuen Menschen. Und wenn man so jung ist, wie Ihr, Herr – Leo? Nicht wahr?« – Leo!

»Dann hat solch eine Lebensgeschichte keine Schwierigkeit. Dem auch noch jungen Herrn Marchese da drüben, welcher dringend und doch vorsichtig in den Herzog hinein redet, dem Herrn Marchese Carretto möcht' ich nicht mit solch einem Verlangen entgegentreten. Es würde ihn in Verlegenheit setzen. Ihr aber, Herr Leo, kommt aus dem Naturleben in den Alpen, Ihr habt noch nichts zu thun gehabt mit Staatsgeheimnissen und Intriguen, Ihr könnt noch unbefangen schildern, was Euch im kurzen Leben begegnet ist. Namentlich vor Frauen, welche aufmerksame Zuhörer sind auch für die kleinen Ereignisse des Menschenlebens, wenn diese Menschen Männer sind, oder doch Männer werden wollen.«

Leo erzählte denn tapfer, tapfer und kindlich. Er erzählte für Magna. Da durfte Geheimnißvolles nicht fehlen; denn es schien ihm, junge Mädchen seien für Geheimnißvolles ganz besonders eingenommen. Er sprach also vom wunderlichen Großvater, der sich in den Karpathen angesiedelt, sprach vom Türkenkriege unter Marco Spada, und wie der Großvater da getödtet worden und ein junger Kriegsmann des kaiserlichen Heeres als Tröster eingekehrt sei. Der habe seine Mutter geheiratet und sei dann wahrscheinlich gegen die Türken gefallen –

»Wahrscheinlich?« unterbrach ihn die Herzogin. – Wol gewiß, sonst wär' er ja wiedergekehrt! entgegnete Leo. – »Und Steinwald hat er geheißen?« – Ja. – »Woher gebürtig?« – Aus Böhmen.

Ah? – Und dabei blickte die Herzogin hinüber nach dem Herzoge, welcher ernst und verdrießlich neben dem redseligen Marchese in die Luft schaute. War es ihr eingefallen, daß der junge Waldstein einen Feldzug gegen die Türken unter Marco Spada mitgemacht? Hatte der Name Steinwald ihre Aufmerksamkeit erhöht? – Sie sagte nichts weiter und unterbrach Leo nicht wieder, als bis er in seiner Erzählung den jetzigen Abschied von Mutter und Großmutter schilderte. Da fragte sie mit langsamer Betonung, und ihre treuen, blauen Augen ruhten aufmerksam auf dem jungen Manne: – Hat denn bei diesem Abschiede Eure Mutter nicht Eures verschollenen Vaters gedacht? Hat sie Euch nicht aufgetragen, Nachforschungen anzustellen?

»Nein. Der Tod ist so lange her, und es fehlen uns alle Anknüpfungen.« – Aber eine Mutter ergreift doch einen Strohhalm für ihren Sohn. Und eine so liebevolle Mutter gar wie die Eurige! Sie giebt doch dem Sohne irgend ein Merkmal des verschollenen Vaters mit auf die Lebensreise.

Leo griff unwillkürlich in sein Wams, welches den Brief barg. Aber mehr that er nicht. Solch ein müßiges Schreiben wollte er vor den vornehmen Frauen nicht erwähnen. Und mit dem Andenken an seinen Vater hatte es ja doch für ihn nichts zu schaffen.

Die Herzogin war seiner Handbewegung gefolgt und fragte: Ihr führt also doch wol etwas mit Euch?

– Nein, nein! Etwas hierauf Bezügliches nicht. Eure Hoheit verkennen da auch meine Mutter. Sie ist eben ganz anders als die Frauen Eurer Bekanntschaft. Sie weiß nichts von der Menschenwelt hier außen und von dem Zusammenhange der Familien. Sie ist einsam gewöhnt, und es ist ihr nicht so auffallend wie Euch, daß ich einsam in das Weltgetümmel eintrete. Was sie mir dafür hätte rathen oder geben können, das würde nicht gepaßt haben –

Da stand der Herzog auf und näherte sich der Frauengruppe. Die Unterhaltung mit Leo brach ab, Alle sahen auf den Herrn und auf den nachfolgenden Marchese. Die Herzogin und Ludmilla wußten, daß Carretto den Wunsch, ja den halben Befehl des Kaisers an den Herzog überbracht hatte: der Herzog möge unverweilt nach Wien kommen. Jetzt suchten sie auf den Gesichtern der heranschreitenden Männer zu lesen, ob der Herzog zugesagt oder abgelehnt habe. Auf Waldstein's Gesichte war schwer zu lesen, des Marchese Antlitz aber war nicht heiter. Ludmilla jubelte innerlich, die Herzogin war betroffen. Ludmilla wünschte die Anknüpfung an den Kaiser durchaus nicht, die Herzogin wünschte sie lebhaft.

Leo stand respectvoll von seinem Sessel auf und trat zur Seite. Er hoffte, der Herzog werde ihm wol ein Wort schenken, welches seine Aufnahme in Dienst und Haus ausspräche. Denn bis jetzt war ja Alles vortrefflich ergangen, es schien nur solch ein positiver Ausspruch zu fehlen.

Aber dazu ließen sich die Dinge nicht an. Der Herzog bemerkte ihn nicht, als er sich den Frauen näherte. Er trat zu seiner Frau, welche ihn traurig fragenden Blickes ansah, und legte die Hand leise auf ihre Schulter. Sie fragte nicht, sie wagte nicht zu fragen. »Geschäfte!« pflegte er all sein Thun zu nennen, und in seinen »Geschäften« galt er für unnahbar. Beiläufiges Hineinfragen wies er mit Zusammenziehen seiner buschigen Augenbrauen ungnädig ab. Allerdings gegen seine Frau am wenigsten. Sie behandelte er am schonendsten. Ebenso verhielt sich aber auch Isabella von ihrer Seite, und so fragte sie auch jetzt nicht, obwol es die Lebensfrage für sie war, ob der Herzog dem Kaiser willfährig sein werde oder nicht.

»Ihr werdet Euch in Kurzem reisefertig halten müssen«, sagte der Herzog in langsamer Betonung, »nach alle Dem, was mir der Marchese da mitgetheilt.« – Wie?! fragte Lady Ludmilla. – »Der Commandirende im Königreiche«, fuhr der Herzog fort, »Don Balthasar Marradas hat dem Herrn Marchese mitgetheilt, daß die Sachsen schon eingebrochen sind in Böhmen. Sie sollen Schluckenau genommen haben, und auf Tetschen und Aussig anrücken.«

Es lag etwas Ironisches in des Herzogs Tone, gleichsam als wollte er recht harmlos bestätigen, daß er eine Privatperson sei, die über Politik und Krieg von Don Balthasar unterrichtet werden müsse, gerade von diesem Spanier Marradas, den er herzlich gering schätzte.

»Ihr fragt wie?! Milady?« fuhr er fort. – Weil ich nicht einsehe, warum der Herzog von Friedland Prag verlassen müsse, wenn die Sachsen einrücken, selbst wenn sie trotz Don Balthasar in Prag einrückten! – »Oh, oh! Ihr seid recht fremd geworden in kaiserlichen Dingen, Lady Ludmilla! Ihr seid zu lange im Auslande gewesen. Ich bin zwar ein abgesetzter kaiserlicher Generalissimus, aber ich gehöre doch zu den Kaiserlichen, besonders für die Protestanten. Es schickt sich nicht, daß ich mich und meine Kanzlei den Feinden des Kaisers aussetze. Wenn ich auch im Auftrage des Kaisers ab und zu mit ihnen unterhandle als ein nicht unkundiger Geschäftsmann, so wäre es doch unpassend, mich persönlich von ihnen überraschen zu lassen. Am Ende machten sie eine wichtige Person aus mir, auf deren Auslieferung sie Werth legten. Das geht nicht! Wenn sie also über Leitmeritz herabrückten, so müssen wir fort aus Prag. Du Isabella nach Bruck an der Leitha, wo Du ja so gern bist im Familiensitze der Deinigen, und ich wenigstens nach Pardubitz.«

Nicht nach Wien? fragte halblaut Isabella.

»Du kannst auch in Wien bleiben, wenn Du es vorziehst.« – Ich meine Dich! – »O nein! Das windige Klima dort ist unverträglich mit meiner Gicht. Du siehst, ich gehe heut' wieder schlechter. Die Luft in der Pardubitzer Ebene wird mir gut thun. – Mir scheint«, setzte er leiser hinzu, so daß nur Isabella es hören konnte, »der Marchese hat wirklich Feuer gefangen für Deine Magna. Eben noch sah er schwer verdrießlich aus, als er mit mir zu thun hatte, und jetzt redet er ganz aufgeweckt und freundlich in das Mädchen hinein. Bestätigt sich's also, was Du mir neulich gesagt?« – Es bestätigt sich. Er liebt Magna, und wirbt schon ziemlich offen um ihre Hand – erwiderte ebenso leise die Herzogin. – »Und sie, das Mädchen?« – Verhält sich still. – »Weiß Sparr, weiß der Vater darum? Er ist ja seit gestern hier und hat Dich gesprochen.« – Er weiß darum und wartet. Ich glaube, er will Dich fragen. Du weißt, daß er die Wälschen nicht liebt. Aber er kann sich nicht verläugnen, daß der Marchese ein sehr fähiger Mann und einer bedeutenden Laufbahn sicher ist, denn der Kaiser bevorzugt ihn sichtlich. – »Sichtlich. Mir ist er jetzt hier im Wege. Sorge, daß er fortkommt. Ich erwarte Botschaft von den Sachsen. Es ist mir nicht angenehm, daß er was Besonderes davon merkt.«

Der Herzog hielt plötzlich inne. Sein Gehör war sehr fein und der leise Tritt seines »Rostok« war ihm nicht entgangen. Es war von Bedeutung, wenn dieser Kammerdiener ihm nachkam in den Frauenkreis. Richtig! Rostok kam eilig.

»Was ist?« fragte der Herzog nicht eben laut, aber scharf, und ging dem Rostok einige Schritte entgegen.

Rostok war zu gut geschult, als daß er aus einiger Entfernung geantwortet hätte, wenn es ihm rathsam schien, nur von seinem Herrn verstanden zu werden. Er schwieg also, bis er dicht am Herzog war, und flüsterte dann so ausgezeichnet, daß Niemand als der fein hörende Herzog vernahm, was er flüsterte. Der sächsische Botschafter sei da! war der Inhalt.

»Ich komme!« erwiderte der Herzog. – Herr Gott, da kommt er mir nach! – flüsterte Rostok. – »Was?!« – Ich hab' es ihm untersagt. Er sagte, daß er die Frau Herzogin Hoheit kenne und daß er herüber gehen wolle – ich hab's ihm untersagt! Da ist er doch!

Ein stattlicher Mann erschien an der Eingangsthür, und seine Erscheinung machte einen Eindruck, daß Leo gar nicht begriff, was das zu bedeuten habe. Waldstein warf seinem Kammerdiener einen »Dummkopf!« ins Gesicht, und die Herzogin Isabella, sowie die Lady Ludmilla fuhren von ihren Sitzen in die Höhe – wer mochte das sein? Es war ein Mann von kräftiger, mittelhoher Gestalt, mit kurzgeschnittenem, lichtbraunem Haar und starkem Schnurr- und Kinnbarte. Das Gesicht war gebräunt, das Auge leuchtete hell, die Kleidung war dunkel. An der Hüfte trug er ein schweres Schlachtschwert.

Waldstein's Unwille war leicht begreiflich. Er traute dem Marchese Carretto di Grana durchaus nicht und wollte ihn fern gehalten sehen von seinem Verkehr mit den protestantischen Kriegsparteien. Soeben hatte er diesem Boten des Kaisers gegenüber recht geflissentlich den Privatmann gespielt, der krank und gleichgiltig, unberührt bleiben wolle von den politischen Dingen und Personen – da erscheint ein sächsischer Botschafter. Ein sächsischer, ein Botschafter des neuesten Feindes. Der neueste Feind ist immer der verhaßteste. Gerade weil Kursachsen so lange allein von den protestantischen Ländern dem Kaiser zugethan verblieben war, gerade darum war jetzt seine Allianz mit dem Schweden, seine Theilnahme an der Breitenfelder Schlacht auf schwedischer Seite, sein feindliches Vorrücken auf Schlesien und Böhmen der empfindlichste Eindruck in Wien. Und der Botschafter dieses neuesten Feindes tritt soeben nicht nur in die inneren Gemächer des Herzogs, welche dieser so schwer zugänglich zu machen wußte selbst für Abgesandte des Kaisers, nein, er dringt bis in den Familienkreis, und dieser Kreis bekundet, daß er ein bekannter und willkommener Mann ist – die beiden Frauen nämlich, welche aufgesprungen waren, riefen einen Namen aus, gingen einige Schritte entgegen! Der Marchese mußte bemerken, daß hier ein alter Bekannter einträte. – Waldstein sah dem näher kommenden Sachsen sehr ärgerlich entgegen, und nicht minder ärgerlich, nachdem er ihn erkannt hatte. –

Isabella und Ludmilla hatten den Namen »Hans« ausgerufen, es war Hans von Starschädel, welcher im Auftrage des sächsischen Generalissimus nach Prag kam zum Herzog von Friedland.

Waldstein faßte sich schnell. Die Anrede des Botschafters konnte enthüllen, was er vor dem Marchese nicht enthüllt sehen wollte. Er schnitt sie also dem Starschädel dadurch ab, daß er zuerst sprach. »Sieh' da!« rief er also lauter, als er sonst zu sprechen pflegte, »ein alter Verehrer unserer Damen, den wol seine Besorgniß für das schwache Geschlecht herbeisprengt. Wir sind schon auf der Hut, und sprachen eben davon, daß die Frauen dem Kriegsvolke aus dem Wege gehen sollen. Seid deshalb nicht minder willkommen!«

Hans von Starschädel grüßte respectvoll den Herzog, ohne ein Wort zu erwidern. War er vorsichtig? Erkannte er am italienischen Typus des Marchese das fremde Element, welches Zurückhaltung anrieth? Wenn auch nicht, die Hände der beiden Frauen, welche sich ihm entgegenstreckten, waren starke Magnete. Er eilte hin, er küßte Beider Hände, er sah der Herzogin treu und innig in die Augen, und fragte leise, ob es ihr wohl ergehe? Er hatte sie zehn Jahre lang nicht gesehen. Ludmilla war er mehrmals begegnet in den protestantischen Lagern.

Waldstein erkannte wohl, daß selbst die Neigung des Marchese für Fräulein Magna in diesem Augenblicke zurücktrat vor der politischen Neugier. Der Marchese benützte es nicht, daß er das Fräulein jetzt einmal ohne Zuhörer sprechen konnte, seine ganze Aufmerksamkeit war auf den neuen Ankömmling gerichtet. Dem Kaiser nachweisen zu können, daß der Herzog von Friedland mit des Kaisers Feinden intim verkehre, und daß sein Ablehnen des Obercommandos nur daher rühre, weil er auf eigene Hand und feindlich gegen den Kaiser aufzutreten gedenke, ja aufzutreten vorbereitet sei, das war allerdings des Aufmerkens werth. Der Marchese Carretto di Grana gehörte wirklich zu jener Partei, welche man spanische oder wälsche nannte, und welche dem Friedländer durchaus nicht traute. Wie groß jetzt auch die Kriegsbedrängniß des Kaisers war, die Klügsten und Entschlossensten dieser wälschen Partei waren dafür, den Friedländer lieber unthätig zu machen, ja gefangen zu nehmen, als ihn wieder an die Spitze des Heeres zu bringen. Unter diese Klügsten und Entschlossensten gehörte der Marchese Carretto, und es lag nicht außer seinem Gedankenkreise, den Herzog blos darum nach Wien zu locken, damit man ihn dort festhalten und von seinen Verbindungen mit dem Heere abschneiden könne. Seine ganze Aufmerksamkeit war also gespannt darauf, ob nicht dem sächsischen Herrn eine Aeußerung entschlüpfte, an welche er mit geschickter Frage anknüpfen könnte, um einen haltbaren Faden zu gewinnen, um –

»Herr Marchese!« rief da störsam der Herzog von Friedland, welcher unbeweglich inmitten des Zimmers stehen geblieben war und ihn beobachtet hatte. – Der Marchese mußte dem Rufe folgen. Er mußte auch dem Beispiele des Herzogs folgen, welcher sich langsam in Bewegung setzte und sich von der Gruppe der Damen nach dem entferntesten Ende des Zimmers verfügte, mehr als vielleicht nöthig war mit seinem Krückstocke auf die braun geölten Fußparquette aufstoßend. Der Herzog war, wenn es gerade nöthig schien, auch im Kleinen ein Stratege, und nöthigte den Marchese, sogleich selbst zu sprechen. Denn wenn man selbst spricht, so hört man am schwersten. Er fragte ihn nach dem ältesten Sohne des Kaisers. Er bat um eine Schilderung desselben, da ja von der Begabung dieses jungen Erzherzogs viel die Rede sei und von der Möglichkeit, ihn an die Spitze des kaiserlichen Heeres zu stellen. »Das ist ja wol auch eigentlich Eure Meinung, Herr Marchese, wie ich gehört zu haben mich erinnere, wie erscheint Euch denn also der Erzherzog in Bezug auf die Aufgabe?«

Die Frage um dieses Thema war hochwichtig für den Marchese. Er und seine Partei hatten sie vorbereitet für den Fall, daß der Oberbefehl Waldstein's nicht mehr zu vermeiden sein sollte. Sie mußten zugeben, es sei kein großes Heer auf die Beine zu bringen ohne Waldstein, und es sei keine Führung im Großen, kein moralischer Eindruck nach außen und innen möglich ohne Waldstein. Sie wollten also, wenn es denn sein mußte, den Friedländer in Bewegung und Thätigkeit bringen, falls es nicht gelinge, ihn durch enge Festhaltung zu lähmen und zu vernichten; aber sie wollten, daß seiner Bewegung und Thätigkeit von vornherein eine formelle Grenze gesetzt werde. Der älteste Sohn des Kaisers als formeller Generalissimus sollte diese Grenze bilden. Wenn alsdann auch Waldstein die handelnde Hauptperson wäre, so behielt man doch durch die Form eines über ihm stehenden Kriegshauptes Mittel in der Hand, ihn schärfer zu überwachen, und vor allen Dingen eine Partei im Heere auszubilden, namentlich unter den Führern des Heeres auszubilden, welche bei vorkommender Gelegenheit einen Widerpart bilden könnte gegen Herrschsucht und Eigenmächtigkeit des furchtbaren Friedländers.

Weder der Herzog, noch der Marchese hatten vorhin bei ihrer Unterredung am Fenster ein Wort vom Kaisersohne erwähnt. Der Marchese konnte selbst glauben, es wisse der Herzog noch nichts von diesem Projecte, welches erst kürzlich in den vertrautesten Kreisen der Wiener Hofburg aufgetaucht war. Die plötzliche Frage Waldstein's belehrte Carretto, daß der Alles erfahrende Herzog auch von diesem Plane bereits Wind habe.

Der Herzog hatte also ganz recht mit dieser Frage: sie nahm augenblicklich die ganze Aufmerksamkeit des Marchese in Anspruch, und lenkte ihn ab von dem sächsischen Edelmanne.

Er verlor übrigens nichts für seinen Zweck, daß er Starschädel's lebhaften Aeußerungen nicht mehr folgen konnte. Sie betrafen lauter persönliche Angelegenheiten, welche er den Frauen mitzutheilen hatte, so persönlich, daß selbst das Fräulein Magna von Sparr schicklich fand, sich ein wenig zu entfernen von der Gruppe, welche Hans und Ludmilla und die Herzogin bildeten.

Sie sah nach dem jungen Manne hinüber, welcher ganz vergessen worden war, nach Leo.

Dieser war seinem natürlichen Tacte gefolgt, und hatte sich mit Maria, der kleinen Prinzessin, der einzigen Tochter Waldstein's, in Verbindung gesetzt. Das elfjährige Mädchen hatte ihn neugierig betrachtet, er hatte ihr vertraulich zugenickt, sie war naiv näher getreten, und jetzt war eine Unterhaltung zwischen den Kindern Waldstein's in vollem Gange, welche der liebenswürdigen Geschicklichkeit Leos alle Ehre machte. Ohne eine Ahnung zu haben, wie nahe ihm das eckige, spitzschultrige Mädchen stünde mit den großen blauen Augen der Mutter Isabella, war er so freundlich und Zutrauen erweckend ihr entgegen gegangen, daß die Kleine jetzt tapfer mit ihm verkehrte, Frage und Antwort austauschend, als wäre es auf eine intime Bekanntschaft abgesehen zwischen ihnen Beiden. Leo konnte gar nichts Besseres thun, denn dies immer lebhafter werdende Gespräch ließ ihm doch Zeit, die Vereinsamung des Fräuleins Magna zu bemerken, und sich mit seiner kleinen Freundin ihr ein wenig zu nähern.

Es geschah dies wol zufällig. Denn eigentlich empfand der sonst dreiste und muthige junge Mann eine wunderliche Befangenheit vor der Annäherung an Fräulein Magna. Aber die kleine Marie unterstützte den Zufall. Die Frauengesellschaft war um einen großen, runden Tisch versammelt gewesen. Auf der freien Seite nach dem weiten Zimmer hinüber befanden sich jetzt Isabella, Ludmilla und Hans von Starschädel. Auf der Seite nach der Wand zu entfernte sich Magna von der vertraulichen Gruppe, oder vielmehr sie versuchte es, sich zu entfernen. Der Raum da in der Ecke des Zimmers und in der Nähe der Wand war etwas enge, und durch Sessel einigermaßen verstellt. Magna mußte diese Sessel ein wenig zur Seite schieben. Das sah Leo, und fühlte sich verpflichtet, ihr behilflich zu sein. Deshalb machte er eine unentschlossene, halbe Bewegung nach ihr hin, die aber von seiner ungewöhnlichen Befangenheit aufgehalten wurde. Die kleine Maria entschied jedoch. Sie rief lachend: Ah, Magna ist zu schwach für die großen Sessel! Dadurch fühlte sich Leo ermächtigt, rasch hinzu zu treten und die Sessel zu beseitigen, damit Fräulein Magna durchschreiten könne. Unwillkürlich machte er das sehr gut. Den nächsten Sessel nämlich zog er dahin, wo er mit Maria gestanden. So sah es aus, als ob er Magna einlüde, sich bei ihnen niederzulassen. – Zu seiner angenehmen Ueberraschung that dies auch Fräulein Magna. Sie setzte sich. Aus Verlegenheit that sie's. Wo sollte sie hin? Maria bot ihr die erwünschte Anknüpfung, welche eine Aufgabe unerwachsener Geschöpfe zu sein scheint. Sie dienen zu Deckmänteln und Uebergängen. Besonders ihre Kleidung muß dazu herhalten. So fand Magna, daß der Spitzenkragen der kleinen Prinzessin über die Maßen verschoben sei und durchaus geordnet werden müsse, und dabei mußte in die kleine Prinzessin hineingeredet werden. Es wäre doch wunderbar gewesen, wenn Leo da nicht eine Veranlassung gefunden hätte, ein Wort einzuschalten, und solchergestalt eine Unterredung anzuknüpfen. Er fand diese Veranlassung, und ein schüchterner Austausch von einigen kurzen Reden zwischen ihm und Magna kam zu Stande. Kurz allerdings, denn sie brachen immer ab, wie sprödem Stoffe eigen ist. Aber Maria sorgte immer für neuen Stoff, sie sagte sogar einmal plötzlich: Der Leo und ihre Magna sähen aus wie ein Paar, das miteinander tanzen sollte. Das war denn eine so grelle Aeußerung in dem leisen Tone, welcher zwischen Leo und Magna hin und her schwebte, daß Beide roth wurden und Beiden das Wort versagte. Während dieser ängstlichen Pause sprang Ludmilla drüben am Tische von ihrem Sessel auf, und rief mit großer Lebhaftigkeit ganz laut: Aber da ist ja kein Augenblick zu verlieren, und der Herzog muß es sogleich erfahren. Arnimb's Anerbieten ist ja hochwichtig!

Man hörte diese Worte deutlich auch da hinten, wo Waldstein und der Marchese saßen.

Der Marchese stand auf.

»Warum steht Ihr auf, Herr Marchese?« fragte Waldstein ärgerlich. – Ich will nicht im Wege stehen für die Mittheilung hochwichtigen Anerbietens, welches Eurer Hoheit jener Abgesandte vom sächsischen Feldhauptmann zu machen hat – erwiderte der Marchese. – »Oh, das hat keine Eile, wenn dem auch so wäre. Lady Ludmilla macht gern große Worte«, sagte ruhigen Tones Waldstein, indem er auch sich erhob, und die unangenehme Ueberraschung sich zurecht legte. »Der sächsische Edelmann da«, fuhr er langsam fort, »ist ein früherer Verehrer von ihr. Sie möchte ihm wol gern eine Bedeutung verleihen, die er kaum haben dürfte. Sollte es gegen Erwarten etwas von Bedeutung sein, so werd' ich es Euch morgen mittheilen lassen, ehe Ihr nach Wien zurückkehrt. Der Kaiser hat mich längst aufgefordert, den sächsischen Feldhauptmann Arnimb zu bearbeiten, damit sein Kurfürst wieder ins alte kaiserliche Geleis zurückgeführt werde. Aber das ist eben sehr schwer. Der Kurfürst kann unmöglich über das Restitutionsedict hinweg. Mit diesem Edict haben Eure geistlichen Rathgeber in der Burg dem Kaiser ein vergiftetes Geschenk gemacht. Ich habe lange nichts von Arnimb gehört. Die letzte Notiz von ihm, die mir aus zweiter Hand zugegangen, sprach nur vom unveränderten Grolle des Kurfürsten, und der Edelmann da wird auch wieder nur von zweiter oder gar von dritter Hand eine Notiz haben, welche die entzündliche Lady Ludmilla alarmirt.«

– Keineswegs! rief Lady Ludmilla, welche sich genähert und die letzte Rede des Herzogs vernommen hatte. Sie wußte recht wohl, wie sehr sie den Herzog reizte und herausforderte dadurch, daß sie vor dem kaiserlichen Gesandten dergleichen zur Sprache brachte, ja wie sehr sie ihn sogar gefährdete, denn am letzten Ende war er doch jetzt, ohne ein Heer hinter sich, einem Gewaltstreiche der Kaiserlichen ausgesetzt. Aber sie war eben eine ganz verwegene Parteigängerin geworden, welche die Macht eines schönen Weibes auch auf politische Dinge übertragen zu können glaubte. Lächeln, Nachsicht und Schonung, kurz Alles was einer reizenden Dame im geselligen Umgange gewährt wird, meinte sie auch bei den wichtigsten politischen Fragen in Anspruch nehmen zu dürfen, und in dem vorliegenden Falle wollte sie das Aergste: sie wollte den Friedländer compromittiren vor dem kaiserlichen Marchese. Der compromittirte Friedländer, meinte sie, werde sich entschließen müssen, die Anerbietung anzunehmen, welche sie vom Schweden und Sachsen neuerdings überbracht hatte, und welche Starschädel, wie sie vermuthete, soeben wiederum überbrachte. Deshalb wagte sie, so dreist heranzukommen, so dreist dazwischen zu rufen: »Keineswegs!«

Ja, sie war im Begriffe, mehr zu sagen, Ausführliches, Unzweideutiges zu sagen – da trat ihr Waldstein mit einem langen Schritt entgegen, und der Krückstock schien ihm auf einmal ganz entbehrlich zu sein. Der ganze gichtbrüchige Körper war auf einmal gelenk und elastisch, und das bisher verdrießlich erscheinende Antlitz spannte sich wie ein Feuergewehr, welches zum Losschießen bereit gestellt ist. Die buschigen, braunrothen Augenbrauen zogen sich zusammen und starrten wie Borsten in die Höhe; die grauen Augen stachen wie Lanzen in sie hinein, der ganze lange Leib starr aufgerichtet, stand vor ihr wie eine Maschine von Erz, aus welcher jeden Augenblick ein furchtbar elektrischer Schlag ausbrechen und die dreiste Frau zerschmettern könne –

Sie wich zurück, das Wort erstarb ihr auf der Lippe; sie war wirklich erschrocken. Bei all ihrer Zuversichtlichkeit im Verkehr mit Männern rieselte es ihr durch alle Nerven: hier steht ein Mann vor dir, über welchen du nicht die geringste Macht hast, und der dich wie eine Sache, wie ein gleichgiltiges Ding behandeln und zu Boden werfen könnte. Wie? und wodurch? das bedachte sie nicht, das wußte sie nicht; es war gleichsam ein elementarischer Eindruck, der über sie stürzte, und unter welchem sie lautlos wurde, lautlos und verzagt –

Es war der Eindruck eines Mannes, der von Macht angefüllt war, von dem die Macht ausstrahlte wie die Elektricität aus einer Gewitterwolke. Reiches Gedankenleben, verwegene Thatkraft, unzweifelhaftes Vertrauen in die eigene Kraft, geübt und gestählt im steten Befehlen, völlige Furchtlosigkeit – aus diesen Bestandtheilen Waldstein's ging der Eindruck hervor.

Er nahm ihn kaum eine halbe Minute in Anspruch. Dann schien es, als ob er sich besänne, daß der Aufwand zu groß sei für ein Frauenzimmer. Die Augenbrauen sanken zusammen, das gespannte Antlitz und die gespannten Glieder glätteten sich, der Stab fand wieder den Boden, und die Augen wendeten sich gleichgiltig halb rückwärts auf den Marchese. »Wie gesagt, Herr Marchese, morgen Früh erhaltet Ihr jedenfalls eine schriftliche Auskunft von mir. Auch über diese Nebensache, wenn sie überhaupt der Rede werth. Die Hauptsache ist längst entschieden. Ich bin invalid und nicht zu Kriegsgeschäften geeignet. Jetzt gewiß nicht, vielleicht niemals wieder. Das sagt unter allen Umständen dem Kaiser, meine Auskunft morgen mag lauten wie sie will. Glückliche Reise! – Isabella, der Marchese wünscht Dir Ade zu sagen.« -

Isabella war schon auf dem Wege; sie hatte Ludmilla verhindern wollen.

Dem Marchese blieb nach dieser brüsken Verabschiedung nichts übrig, als sich zu verbeugen und zu gehen.

Er that dies mit der besten Manier; mit der Manier eines gefaßten, höflichen Mannes. Man konnte ihm kaum abmerken, daß er all das gehört und gesehen habe, was man ihn nicht hören und sehen lassen wollte. Auf seinem blaßgelben Antlitze spielte ein Lächeln, seine Haltung war von geschmeidiger Artigkeit. Er empfahl sich der Frau Herzogin warm und herzlich, er begrüßte Lady Ludmilla mit einigen Dankesworten, die einen ironischen Sinn haben mochten, ohne ihn haben zu müssen, und er vergaß auch sein persönliches Interesse nicht in diesem Gewirr politischer Fäden, nein, er schritt leichten Schritts hinüber zu Fräulein Magna, und sagte ihr unter verbindlichen Worten Lebewohl. All dies leicht, rasch und kurz, so daß der Respect vor dem Herzoge, welcher ihn verabschiedet und sein sofortiges Abgehen zu gewärtigen hatte, nicht im Mindesten verletzt zu sein schien, im Gegentheil, er widmete dem Herzoge seine letzte Verbeugung ganz in der Fassung eines Hofmannes.

Die Zurückbleibenden hatten aber doch alle die Ueberzeugung: der höfliche Mann da nimmt eine Nachricht mit in die Wiener Hofburg, welche dem Herzoge von Friedland verderblich ist.

Dies drückte zunächst die Herzogin Isabella aus in Miene und Handbewegung gegen Ludmilla, deren Einmischung ihr sehr tadelnswerth erschien. Ludmilla machte mit Mund und Auge eine Grimasse des Uebermuthes, welche ihr gut zu Gesichte stand.

Der Herzog selbst störte sie in diesem Uebermuthe. Mit einem kaum merklichen Kopfnicken hatte er die höfliche Abschiedsverbeugung des Marchese erwidert und als die Thür hinter ihm geschlossen war, blickte er auf seine Frau und auf Ludmilla, jedes zu sprechende Wort abschneidend durch seinen Blick. Denn Niemand wagte es, eine Aeußerung zu thun, sobald man sah, daß von ihm etwas zu erwarten stand.

– »Mylady« – sagte er mit halber Stimme – »ich habe Euch Aussicht eröffnet, daß der Schädel Eures Vaters vom Brückenthurme weggeschafft werde. Meint Ihr, dieser Aussicht näher zu rücken, wenn Ihr Euch – hetzend in meinen Verkehr mischt mit dem Kaiser? – Dann wird der Schädel auf dem Brückenthurme bleiben – und unser Verkehr in meinem Hause mit Euch wird uns versagt werden müssen. – Nicht meinetwegen. Es ist mir ziemlich gleichgiltig, was der Marchese über mich berichtet in der Wiener Burg. Der Sache wegen. Ihr helft sie schwächen oder verschieben. Wenn Frauen ihren Kreis überschreiten, so entsteht immer Ungehöriges. Und Niemand schaden sie mehr als sich selbst. Das werdet Ihr vielleicht schon heute Nacht erfahren an Eurem Freunde da. Als der Marchese mit dem einen Ohr auf mich, mit dem andern auf Euch hörte, da markirte er den Namen »Starschädel«, welchen Ihr ausrieft. Er kennt offenbar die Vorgeschichte des sächsischen Herrn, welcher damals in Wien zum Tode verurtheilt worden ist. In diesem Augenblicke geht er wol schon zu Marradas, dem Commandirenden, und meldet ihm die Anwesenheit eines Mannes in Prag, über dessen Haupte das Richtbeil hängt, und wenn der sächsische Herr mein Haus verläßt, erwarten ihn – auf Eure Veranlassung – wahrscheinlich die Reiter, welche ihn nach Wien transportiren sollen.« –

Ein Schrei der beiden Frauen unterbrach ihn.

»Auf Eure Veranlassung, Mylady!« fuhr er mit stärkerer Stimme fort, »so gerathen die Heldenthaten politischer Frauen, wenn sie sich in Geschäfte drängen. – Herr Hans von Starschädel, ich bin bereit, Euch zu hören!«

Damit ging er des Weges, welchen er gekommen war. Hans von Starschädel folgte ihm durch die Thüren, welche eiligst von der Dienerschaft aufgerissen wurden.

Ludmilla und Isabella blieben in großer Verstörung zurück. Die Gefahr Starschädel's setzte sie in Schrecken.

Isabella meinte, es müsse thatkräftig vorgesorgt werden, und Magnas Vater sei dazu der geeignete Mann. Dieser – Ernst Georg von Sparr, ein erfahrener Kriegsoberst – stand mit seinem Regimente seit einigen Tagen in der Nähe von Prag. An ihn wollte sich Isabella sogleich wenden. »Komm mit mir, Magna!« rief sie, »ich schreibe zwei Worte an Deinen Vater, und Du selbst bringst sie ihm!«

Alle drei Frauen eilten durch eine Seitenthür hinweg. Die kleine Marie, welche man unbeachtet gelassen, lief ihnen rufend nach. Leo blieb allein. Man hatte ihn vergessen. Was half ihm nun all sein gutes Glück bei der Einführung! Jetzt stand er verlassen da. Die Rückkehr der Frauen abzuwarten schien unschicklich; er mußte sich zum Fortgehen entschließen.

Er ging. Sollte er nicht Rostok, den wohlwollenden, noch einmal aufsuchen? Ja! Er fragte die Diener im Vorzimmer nach dem Wege hinüber. Sie gaben ihm Auskunft, aber mit dem Bemerken: Rostok sei ausgegangen, man habe ihn über den Hof gehen sehen, wahrscheinlich weil die Durchlaucht eine Stunde lang von Niemand was hören wolle. Im Vorübergehen habe Durchlaucht das gesagt, und das bedeute eine Stunde Urlaub für Rostok, der sonst nicht aus dem Vorzimmer weichen könne. »Durchlaucht« war der gemein übliche Titel des Herzogs, obwol feine Kenner und Schmeichler »Hoheit« zu sagen pflegten, weil der Herzog diesen höheren Ausdruck vom Kaiser in Anspruch genommen.

So blieb dem armen Leo nichts übrig, als das so glücklich eroberte Palais aufzugeben und nach Hause zu gehen. Nach Hause? Das heißt: in den Pferdestall des Jesuitencollegiums. Denn er hatte sich dort nicht weiter gemeldet, und jetzt war's spät am Abend.

Ein wenig niedergeschlagen stieg er die Marmortreppe hinab, und schritt über den Hof hinaus nach dem Kleinstädter Ringe zu. Niemand rief ihn jetzt an, Niemand hielt ihn auf.

Als er ans Jesuitencollegium kam, fand er den Eingang nicht mehr, in welchen er beim Tagesscheine geritten. Es war finster, und Straßenbeleuchtung war damals noch unbekannt. Er tappte um das große Gebäude her, und wollte nur irgend eine Thür finden. Da sah er eine Laterne aus dem Gebäude kommen; er lief hastig über den halb gefrorenen Koth darauf zu. Als er ihr nahe war, traten zwei Männer aus der Thür. Er rannte fast mit ihnen zusammen. Der Laternenträger, ein alter Kriegsmann, schrie »Zurück!« und streckte die Laterne zwischen ihn und die heraustretenden zwei Männer. Dadurch wurden ihre Gesichter beleuchtet, so wie das Gesicht Leos – man erkannte sich! Einer der heraustretenden Männer war der Marchese Carretto di Grana.

»Sucht Ihr mich, junger Mann?« fragte dieser rasch. Er dachte wol, Waldstein sende den jungen Menschen, welchen er vor kaum einer Stunde noch neben dem Fräulein Magna gesehen. – Nein, Herr Marchese. Ich suchte meine Nachtherberge. – »Hier im Collegium?« fragte der andere Mann neben dem Marchese, ein vornehm aussehender Jesuit, welcher den schwarzen Hut und Mantel so gewiß ritterlich trug. – Ja; das heißt im Stallgebäude, dessen Zugang ich nicht finden kann. – Und nun erzählte er geschwind und unbefangen, wie er heute Nachmittag auf einem Collegiumgaule angekommen und sofort mit seinem Empfehlungsbriefe ins Friedland'sche Palais geeilt sei. – »Ihr habt also den Herzog heute zum ersten Male gesehen?« fragte der Marchese. – Zum ersten Male. – »Und er will Euch in seinen Privatdienst nehmen?« – Ich hoffe, ja. Es ließ sich Alles gut an. – »Nun, da sollt Ihr Euer Nachtlager nicht bei den Stallknechten suchen, junger Abenteurer. Wenn Euch daran nicht besonders gelegen ist, so könnt Ihr mit mir in meine Wohnung kommen. Dort findet Ihr ein besseres Lager und auch ein Nachtessen.« – Der Herr Marchese sind sehr gnädig. Ich nehm' es dankbar an.

Dieser Leo nahm eben Alles an. Es kam ihm kein Gedanke, daß dies schnelle Anerbieten noch einen weiteren Zweck haben könnte. Den hatte es aber.

Der Jesuit neben dem Marchese war der einst sogenannte Pater Norbert – Jaromir von Zierotin – jetzt immer noch kein eigentlicher Pater, aber immer noch Jesuit.


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