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5.

Die Bestürzung der wälschen Officiere war groß. Sie fanden sich gleich nach dieser verhängnißvollen Mittagsstunde in jenem Vorderzimmer des Rathhauses zusammen, wo Marradas, Carretto und Pater Norbert den Ausgang abgewartet. Der Bericht des Obersten Piccolomini war dazu angethan, Besorgniß und Schrecken zu erzeugen; denn es ging aus diesem Berichte hervor, daß der Friedländer den Zusammenhang wisse. Woher sonst die plötzliche Erscheinung des Sparr'schen Regimentes, woher die drohende Anrede Waldstein's an den Oberst Piccolomini?! Uebernimmt der Herzog am Ende doch das Obercommando – sagte der offenbar kluge Piccolomini mit innerlich bewegter Stimme, – so sind wir verloren. – Was thun? stöhnte Marradas und blickte auf den Pater Norbert. – Dieser erwiderte trocken: Setzt Piccolomini's Regiment sofort in Bewegung! Der Herzog ist, wie es heißt, auf geradem Wege nach Kolin. Führt Ihr das Regiment seitwärts von ihm über Schwarz-Kostelez und Kuttenberg an die Elbe! Der Herzog reist langsam; das Regiment kann bei Elb-Teinitz angelangt sein, ehe der Herzog dort passirt. Er ist Dessen nicht gewärtig, und kann in Elb-Teinitz gefangen und in unsern Gewahrsam gebracht werden nach dem Carlstein. Ueberlegt und beschließt, ich hoffe nach zehn Minuten Euren Beschluß zu vernehmen.

Nach diesen Worten verließ er das Zimmer und rief im Vorsaale nach Medardo. Dieser war vorhanden unter einer leidlichen Anzahl wälscher Officiere, welche wol ahnen mochten, um was es sich handle, welche aber doch nicht eingeweiht waren in die Pläne ihrer Obersten und Generale.

Norbert führte Medardo in eine Ecke und befragte ihn leise. Er wollte Auskunft haben über Lady Ludmilla und den sächsischen Edelmann. Medardo hatte Beide gesehen, den Sachsen im Gefolge des Herzogs, als dieser zu den Panzerreitern gekommen, die Lady im Wagen der Herzogin, wenn auch von fern, aber bestimmt. »Sie lehnte sich aus dem Wagen heraus!«

»Wie weit sie mit dem Herzoge reisen, weißt Du nicht?« – Nein. – »Ist es im Palaste des Herzogs zu erfahren?« – Vielleicht. – »Durch Tocke?« – Schwerlich. Der gelangt nicht in die inneren Gemächer. Aber – »Nun? – Es hat nur Werth, wenn es sogleich möglich ist.« – Ich will's versuchen. Eine Kammerfrau der Herzogin ist meine Landsmännin und mir gewogen. Sie hat ein feines Gehör. Wenn sie nicht mit fort ist – aber die Abreise ist schnell gegangen, und Manuela ist pedantisch, ist langsam, sie verlangt Zeit zum Einpacken der Kleider – sie wird nachreisen, sie wird noch da sein. – »So fliege hin!«

Medardo flog davon. Was hatte Norbert vor? Er hatte von Carretto erfahren, daß Ludmilla den Unwillen des Herzogs erregt; es war ihm überhaupt nicht wahrscheinlich, daß er die notorische Parteigängerin der Ketzer mitnehmen werde tiefer ins kaiserliche Land hinein – es schwebte ihm die Möglichkeit vor, dieses Weibes, welches ewig vor seinen Sinnen gaukelte, habhaft zu werden. Jetzt, hier in Böhmen, unter entstehender Kriegsverwirrung, war Zeit und Ort dafür geeigneter als je. Ihre Parteigängerei bot auch politischen Vorwand genug. Und den in Wien bei den Seinen in verhaßtem Angedenken stehenden Sachsen dazu – das wäre ein Fang! Den Einen nach Wien, die Andere in ein verborgenes Asyl – das eröffnete reizende Aussichten!

In solche Gedanken versunken kehrte er ins Rathszimmer zurück, wo die wälschen Führer noch in lebhaftem Streit begriffen waren über die vorgeschlagene Fortsetzung des Gewaltstreiches gegen den Herzog. Fünf Männer waren es, welche sich stritten: außer Marradas, Carretto und Piccolomini ein Colloredo und ein Montecuculi.

Carretto war für die Fortsetzung des Unternehmens; Marradas war gegen dieselbe. Er berief sich darauf, Sparr genau zu kennen. Der werde mit seinem Regimente nicht mehr von des Herzogs Seite weichen, es möge von Prag aus befohlen werden, was da wolle. »Er ist ja hinter dem Herzoge hinausmarschirt mit klingendem Spiel; es ist gewiß wirkungslos, Befehle hinter ihm her zu schicken. Und der Ritt für Piccolomini's Regiment ist zu weit in solcher Schnelligkeit. Der harte Boden nimmt die Hufe der Pferde mit! Und kämen sie zurecht, und stießen auf Sparr's Regiment, und es käme zum Kampfe – wie soll ich's verantworten!? Was würde auch das Resultat sein! Diese wallonischen Reiter haben immer am Herzoge gehangen; wenn sie merken, wofür sie ins Gefecht gegen ein kaiserliches Regiment geführt werden, sie versagten dem Commando, sie gingen über. Ihr habt ja draußen in der Neustadt ihre Vivats gehört. Es geht nicht, geht wahrhaftig nicht!«

Carretto entgegnete; der Streit erhitzte sich, die Zeit verging, und ehe der Streit entschieden werden konnte, war auch Medardo athemlos zurück und rief den Pater Norbert hinaus.

Signora Manuela war noch da gewesen. Ganz Genaues hatte sie nicht gewußt, aber doch so viel, daß die Lady und der Ketzer nur bis an die Elbe mitgehen und dann zusammen gegen Norden reisen würden.

»Das wäre bei Kolin, und ihr Weg den Sachsen entgegen würde über Podiebrad – gut, Medardo. Rüste unsere Pferde! Fort! Wir reiten in einer Stunde.

Eilig kehrte Norbert ins Rathszimmer zurück. Dort hatte endlich Marradas gesiegt, und man zeigte dem Pater an, daß die Fortsetzung des Unternehmens nicht rathsam befunden worden sei.

»Gut« – erwiderte Norbert – »so will ich wenigstens den ketzerischen Unterhändler fangen. Gebt mir, Don Balthasar, ein kleines Fähnlein leichter Reiter mit nach Podiebrad hinüber. Dort fass' ich den Sachsen, der wahrscheinlich wichtige Papiere führt. Dort hinüber müßt Ihr doch Streiftruppen senden, um das Vordringen des sächsischen Heeres zu beobachten. Seid Ihr bereit?« – Sehr gern, Herr Pater. – Noch Eins! – setzte Marradas hinzu und streckte seine Hand aus – gelobt in meine Hand, daß die Absicht des heutigen Tages unser Geheimniß bleibt, wenn der Herzog den Oberbefehl übernimmt! Alle gelobten es, und man trennte sich.

*

Während dies in Prag vorging, war der Reisezug des Herzogs außerhalb der Prager Wälle in rasches Tempo übergegangen und war des Abends bis Kolin gelangt.

Dort wurde übernachtet. Am andern Morgen beurlaubte sich Starschädel vom Herzoge. Das politische Gespräch wurde nicht erneut. Starschädel meinte auf dem Reinen zu sein über den Herzog und verhielt sich einsilbig. Dem Herzoge fiel dies auf, und er fragte ärgerlich nach dem Grunde dieser Einsilbigkeit. »Ich bin hoffnungslos in Betreff Eurer Durchlaucht« – entgegnete Hans. – Waldstein runzelte die Stirn. Er war ohnedies verstimmt, weil er körperlich leidend war. Daß er sich gestern in Prag plötzlich der kalten Luft ausgesetzt hatte, war seiner Gicht arg zu Statten gekommen. Er litt die empfindlichsten Schmerzen, und der zähe Sachse erhöhte nur seine Mißstimmung. Ja, was habt Ihr denn gehofft? fuhr ihn der Herzog an. – »Einen entschlossenen Führer zu finden für die Neugestaltung des deutschen Reiches.« – Und was meint Ihr gefunden zu haben? – »Einen vorsichtigen Staatsmann, der in den Maschen der alten Netze weiter zu kommen glaubt. Wie weit? Zu alten, kleinen Zielen, wenn er Glück hat. Zu stillem Untergange, wenn er den Kaiser wieder stark gemacht hat!« – Und das wagt Ihr zu sagen, nachdem Ihr gestern die Stimmung der Truppen kennen gelernt? – »Das wag' ich zu sagen. Ich habe bemerkt, daß höhere Officiere gegen den Herzog Friedland zu handeln entschlossen sind, und zwar in einem Momente, da der Kaiser den Herzog von Friedland an die Spitze des Heeres ruft. Diese Officiere müssen eines starken Rückhaltes sicher sein. Dieser Rückhalt wird Eure Durchlaucht lähmen, wenn das Heer den kaiserlichen Zwecken entzogen werden soll – er kann Eure Durchlaucht stürzen, wenn Friedland'sche Zwecke erreicht werden sollen. Und weil dieser Sturz schwer sein mag bei einem populären Oberfeldherrn, so wird man diesen Oberfeldherrn tödten, wenn man ihn nicht anders stürzen kann. Der Name jenes Obersten, welchen Durchlaucht gestern anredeten, war ein wälscher. Sein jetziger Commandant ist ein spanischer. Diese Völkerschaften sind rasch zur Hand für ein mörderisches Attentat. Ich bleibe dabei: der weite Weg, welchen Eure Durchlaucht einschlägt, ist der gefährlichste. Er verspricht uns keinen Verbündeten, er führt Euch wahrscheinlich zu blutigem Untergange.« – Genug! schickt mir Arnimb selbst. Den Geleitsschein besorg' ich für ihn.

Damit entließ Waldstein unwillig den sächsischen Edelmann.

Bei der Herzogin hatte dieser sich schon verabschiedet. Ludmilla ebenfalls. Sie wollte in seiner Begleitung nach dem Norden. Diener bestellten an Ludmilla, daß er fortreiten wolle. Die Pferde und Diener waren bereit für Beide.

Hans erwartete sie im Hofraume des großen Gebäudes, in welchem der Herzog übernachtet hatte. Sie kam eilig, etwas verstört aussehend; vielleicht vom Abschiede. Er trat an ihr Pferd, und streckte ihr seine Hand hin zum Steigbügel. Eine leichte Röthe flog über ihr Antlitz. Wie lange hatte er ihr diesen Dienst nicht mehr erwiesen, wie lange war sie nicht mehr in persönliche Berührung mit ihm gekommen! Sie hob ein wenig ihr Reitkleid empor, und setzte langsam, fast zitternd ihren schönen Fuß auf seine Hand. Sie zögerte unabsichtlich, die ganze Schwere ihres Körpers dem einst so geliebten Manne anzuvertrauen; sie suchte sein Auge, das ihr jetzt nicht ausweichen konnte – da wurde sein Name gerufen, und er sah nach der Hausthür. In dieser war Herzogin Isabella erschienen. – Die Begegnung war gestört. Ludmilla schwang sich zerstreut auf den Sattel hinauf, Hans eilte nach der Hausthür zu Isabellen, die in leichtem Morgenkleide dastand, noch immer eine üppig schöne Frau, und ihm die Hand entgegenhielt. Der weiße volle Arm enthüllte sich dabei aus dem weiten, leichten Gewande.

»Noch einmal sehen wollte ich Euch« – sprach sie sanft und wie schmerzlich lächelnd – »ehe wir wieder von einander scheiden, mein lieber Freund, wer weiß auf wie lange, wer weiß, ob nicht für immer!« – Wer weiß! – erwiderte er wehmüthigen Tones und zog ihre Hand an seine Lippen – der Himmel behüte Euch, meine treue, liebe Freundin. Ach, nicht einmal rathen kann ich Euch, daß ihr dem Herzoge zuredet, den Weg einzuschlagen, welchen ich für ihn wünsche und für uns! Wir gehören in verschiedene Lager, und sind leider in eine Welt gerathen, die sich fortwährend bekämpft. Wie wohlthuend wäre mir's, oft und lange in Euer gutes Auge zu blicken –! »Wie wohlthuend!« flüsterte sie, »der Himmel hat's uns nicht beschieden. Ade – Ade, lieber Hans!«

Zum ersten Male nannte sie ihn so; ihre Augen flossen über; sie drückte ihm stärker und wärmer als jemals die Hand, wandte sich um und eilte ins Haus. Hans ging langsam zu seinem Roß, welches Conrad am Zügel hielt, bestieg es, und winkte leichthin der Lady Ludmilla, neben ihm aus dem Hofthore hinaus zu reiten. Schweigsam ritten sie über die Elbe und wandten sich dann links am Flusse abwärts gegen Podiebrad. Der Tag war grau, lichte Wolken verdeckten die Sonne, die Luft war still und roch, wie man zu sagen pflegt, nach Schnee. Der Boden war hart und von einem weißen Reife besäumt.

Lady Ludmilla reiste so reichlich versehen, wie es ihrer Wohlhabenheit zustand. Eine Kammerfrau auf ruhigem Maulthiere, drei bewaffnete Diener auf guten Rossen und drei Stallknechte mit beladenen Handpferden folgten ihr in gemessener Entfernung. Conrad hielt sich zu diesen, namentlich zu der fleischigen holländischen Kammerfrau, welcher er lachend Anleitung gab zur Führung eines eigensinnigen Maulthieres.

Hans und Ludmilla ritten lange schweigend dahin. Nicht einmal in großer Nähe von einander. Er wie sie waren ernst gestimmt, er sogar traurig. Die Angelegenheiten des Vaterlandes bedrückten ihn. Es war ihm eine lebhafte Hoffnung gewesen, durch Gewinnung des Friedländers ein vereinigtes großes Heer aus dem Süden und Norden des deutschen Reiches gebildet zu sehen, damit der Schwedenkönig genöthigt werde, streng bei der Stange eines Glaubenshelden zu bleiben – diese Hoffnung hielt er jetzt für gescheitert. Denn auch der gichtbrüchige Zustand des Friedländers hatte ihm einen niederschlagenden Eindruck gemacht. Wie sollte – meinte er – ein so zerstörter Körper den großen anstrengenden Aufgaben einer weit aussehenden Heerführung gewachsen sein!

Ludmilla ihrerseits fühlte sich gedemüthigt durch die herrische Abweisung Waldstein's. Und eine solche Behandlung in Gegenwart des Mannes, der sie geliebt und verlassen, den sie geliebt und unter Schmerz aufgegeben! Ihm gerade hätte sie stattlich und bedeutend erscheinen mögen, damit er erkenne, welch ein Gut er verloren in ihr. Und gerade vor seinen Augen hatte der gebieterische Herzog sie schonungslos in den Winkel gewiesen! Sie war voll Zorn, und ihr augenblickliches Verlangen ging dahin, sich dem sächsischen Heere anzuschließen und Arnimb anzuspornen, daß er Prag erobere. Dort vom Brückenthurme herab den Schädel ihres Vaters zu nehmen ohne Waldstein, das war ihr nächstes Ziel.

»Glaubt Ihr, Hans, daß Prag im ersten Anlaufe zu nehmen sei von den Sachsen?« rief sie fragend zu Starschädel hinüber. – Das halt' ich für möglich. – »Bravo!« rief sie nun lebhaft, und diese Genugthuung zerstreute ihr die drückende Stimmung. Sie war sanguinisch und wechselvoll wie ehedem.

Und sie bedurfte sehr eines Wechsels in ihrem Verhältnisse zu Hans. In ihrem Innersten war eine verborgene Gegend, in welcher Erbitterung herrschte gegen diesen Mann, den Geliebten ihrer Jugend. Sie hatte ihn selbst aufgegeben, ja; aber nur weil sie empfunden hatte, daß er ihr entfremdet worden war. Sie selbst war schuld an dieser Entfremdung, das wußte sie, und dennoch zürnte sie ihm ob dieser Entfremdung. Ihre Eitelkeit war beleidigt, und – ihr Herz litt. Wie eitel sie war, wie lebens- und liebelustig, ihr Herz gehörte ihm, ihm allein. Sie schalt ihr eigenes Herz, sie zürnte ihrem eigenen Herzen, um Hans schelten, um Hans zürnen zu können.

Das war oft vergessen worden, war scheinbar untergegangen auf lange Zeit. Denn sie hatte Hans oft Jahre lang nicht gesehen. Aber es war nur scheinbar untergegangen. Jetzt in Prag hatte sie bei seinem plötzlichen Erscheinen durch und durch gefühlt, daß ihre Neigung zu ihm unzerstörbar wäre. Und wie kühl hatte er sie behandelt! Jedem intimeren Austausch von Rede und Empfindung war er geradezu sichtlich aus dem Wege gegangen. Sogar Isabellen gegenüber war er wärmer, hingebender, liebenswürdiger gewesen, noch eben jetzt beim Abschiede; sie hatte es deutlich gesehen, sie kannte ja sein Auge, kannte jede Biegung seiner Stimme!

Wie dem auch sein mochte, ihr freudebedürftiges Naturell machte in der frischen Luft des Wintermorgens seine Ansprüche geltend: sie streifte mit tiefem Athemzuge die bitteren Erinnerungen von sich ab, sie blickte auf Hans hinüber, sie gab sich gleichsam seinem Anblicke wieder einmal hin, und ihr ganzes Wesen erweichte sich, erwärmte sich.

Er war nicht eben besonders schön, dieser sächsische Edelmann, und der reizende Hauch jugendlicher Poesie war ziemlich abgestreift in zehn mühseligen Kriegsjahren. Die Gesichtsfarbe war im Wetter gedunkelt so wie das Haar. Nur der starke Bart, welcher über das Kinn herabwallte, zeigte noch die blonden Ränder. Das Auge war düsterer, wenn auch für den gesammelten Blick fester geworden. Der wohlgebaute Körper erschien magerer, wenn auch sehniger. Aber der stille Zauber eines tüchtigen, in sich fest ruhenden Mannes war ihm geblieben, eines Mannes, der das Gute ehrlich will und für das Schöne ein reines, anspruchsloses Lächeln, eine anspruchslose Anerkennung hat. Ludmilla wenigstens fand das jetzt Alles in seinem Anschauen trotz aller Vorwürfe, welche sie ihm machen zu können meinte, sie fand es, obwol er ihr Anschauen gar nicht bemerken wollte, sondern ernst vor sich hinaussah auf den Fluß und die einfache Gegend.

»Ihr seht sorgenvoll aus, lieber Hans« – sagte sie endlich mit milder Stimme.

Hans blickte mit einem langen Blicke zu ihr hinüber und nickte dann mehrmals mit dem Haupte. – Kann es anders sein – hub er langsam an zu sprechen – wenn uns alle Ideale des Lebens, eines nach dem andern, langsam entweichen? Vater Zierotin behält vollkommen Recht: mit großen Planen und großen Worten wurde der Krieg begonnen, und die edelsten Ziele wurden ihm gesteckt. Wo sind wir jetzt?! Die feindlichen Parteien unterhandeln mit einander, und von Religion und Freiheit ist gar nicht mehr die Rede. Diese Worte selbst sind gar nicht mehr vorgekommen in meinen Unterredungen mit dem Friedländer. Persönlicher Vortheil, persönlicher Besitz ist der Grundgedanke aller Führer. Auch bei uns. Je weiter er vordringt, je länger ich ihn betrachte, desto deutlicher erscheint mir auch Gustav Adolph in solchem Lichte, in dem Lichte eines Eroberers, der die Fahnenworte der Religionsfreiheit für die äußerliche Freiheit benützt, um – Land und Leute zu erobern, Land und Leute unseres Vaterlandes.

»Er will aber doch wirklich die evangelische Kirche siegreich machen; das dürfen wir nicht verkennen!« – Die evangelische Kirche? Ach ja! Wie er sie auffaßt, wie seine Prediger sie gestalten. Mag sein. Unter Anderm, und weil dies die wirksamste Parole. Was bedeutet sie denn, wenn man näher zusieht? Ein anderes Papstthum, etwas mannigfaltiger, weil wir Secten haben, aber ebenso ausschließlich sobald sie Macht gewinnen, ebenso gewaltsam wie Rom. Glaubt mir, Vater Zierotin hatte Recht. Religion ist nicht durch Krieg zu gründen, und wenn sie sich durch Krieg gründen läßt, so ist sie nicht die beste Religion. Der Islam ist nur durch Krieg begründet worden. Und Freiheit entsteht auch nicht und gedeiht auch nicht durch Gewaltmaßregeln. Ist's nun ein Wunder, daß ich niedergeschlagen bin? – »Aber, lieber Hans, Ihr wart stets weitsichtig, zu weitsichtig. Werdet nicht undankbar gegen den Himmel, welcher Euch so viel gewährt hat. Eure Besitzungen übersteigen den Umfang und Werth einer Grafschaft; sie erlauben Euch seit Jahren ein ganzes Reiterregiment ins Feld zu stellen und ein gewichtiges Wort mitzureden in Kriegsfragen; Eure Häuslichkeit in Gnadenfrei ist nach Eurem Sinn in großer Ausdehnung eingerichtet; Eure Freunde schaffen und walten da in großem Style, in freiester Entwickelung –« – Nein, liebe Ludmilla, nein! Das ist's ja eben, was mich so schwer betrübt: unsere Geistlichkeit mischt sich ein in unser einfaches, friedliches Kirchenleben, wie es nur die römische anderswo thut. Der alte Dunstan ist in Verzweiflung darüber, Frau Amalie verzagt in tiefster Seele, und einmal über das andere werde ich heimgerufen aus dem Heerlager, um einen gewaltsamen Eingriff des Weimar'schen Consistoriums oder der Jena'schen Facultät abzuwenden. Wäre nicht Marie, Eure liebliche Schwester, in Gnadenfrei, es wäre mir längst verleidet. – »Marie ist also – ich habe sie seit drei Jahren nicht gesehen, und vor drei Jahren war sie noch eine dünn aufgeschossene Ruthe – sie ist also zu Eurer – Freude entwickelt?« – Das ist sie, das ist sie! Frau Amaliens Trost und Lebensquell, Dunstan's tägliches Entzücken, welches den verdrießlich gewordenen Greis allein noch frisch erhält. Frau Amaliens Erziehung ist trefflich gelungen an dem Kinde. Sittlicher Ernst ist durch und durch ihre Grundlage geworden, und drüber hin weht doch die schönste Lebensfröhlichkeit. Euer braver Vater ist wiedergeboren in ihr ganz und gar, gedämpft und gemildert durch weibliches Zartgefühl. –

Ludmilla fragte nicht sogleich weiter. Sie schien betroffen zu sein, wol gar verletzt. Liebte sie denn ihre Schwester nicht? O ja. Aber sie liebte sich selbst doch noch mehr. Daß Hans plötzlich auflebte in der Schilderung war unverkennbar, und das – that ihr nicht wohl. Erst nach einer Pause fragte sie weiter: wie sich das Aeußere Purzels entwickelt habe. Aber Purzel – setzte sie etwas spöttisch hinzu – heißt sie wol nicht mehr, seit sie so zufriedenstellend erwachsen ist?

»O doch, doch! Sie ist ja noch immer neckisch wie ein Schalksnarr. Ihr Aeußeres kann ich wol nicht schildern. Ich bin seit dem Frühjahre nicht daheim gewesen, und Frau Amalie schreibt mir, daß sich die Erscheinung Mariens auffallend verändert habe im Laufe des vergangenen Sommers. Die volle Jungfrau sei gleichsam über Nacht entstanden und ich würde vor ihr stehen wie vor einem neuen Geschöpfe.« – So, so? Ich also auch. Dann ist's wol Zeit, sich mit ihrer Zukunft zu beschäftigen. Ich will hin, sobald Prag genommen ist. Sie soll ihre Heimat wiedersehen. – »Wie?!« – Glaubt Ihr, daß wir Böhmen behaupten? – »Diese Frage wird Waldstein beantworten. Uebernimmt er dennoch den Oberbefehl vom Kaiser, dann säubert er sicherlich zunächst Böhmen für sich. Der Schwedenkönig ist auf dem Wege nach Franken hinauf, er überläßt uns also hier allein die Aufgabe, dem kaiserlichen Heere die Spitze zu bieten. Das werden wir nicht vermögen, wenn Waldstein entschlossen gegen uns auftritt, und deshalb halt ich Böhmen nicht für geeignet –« So schnell wird das nicht gehen. Es existirt jetzt kaum ein kaiserliches Heer; im Handumkehren schafft es auch der Friedländer nicht – aber was ist das dort auf der Höhe? Sind das nicht kaiserliche Reiter? –

Conrad kam im Galopp herangesprengt, Starschädel dieselbe Bemerkung zu melden. Die sind von den Wallonen – setzte er hinzu – die wir gestern noch in Prag gesehen haben!

Hans, Ludmilla und ihr Geleit ritten eben durch ein Ufergehölz, welches aus niedrigen Weidenbüschen und hohen Aspenbäumen gebildet wurde. Zwanzig Schritte vor ihnen ging es zu Ende. Zur Linken floß die Elbe, rechts hin erhob sich mälig der Boden und es begann ein Eichenwald.

– Rechts hinüber! commandirte Hans. Sie werden uns schwerlich gesehen haben hier in den Büschen, und wir haben keinen Beruf, kaiserlichen Reitern zu begegnen.

Sie lenkten ihre Pferde nach rechts zu dem Eichenwalde hinauf, welcher, frei von Buschwerk, ihnen eine Strecke lang offene Bahn bot. Erst nach einer Viertelstunde verengte Unterwuchs das Fortkommen; da bot sich aber ein schmaler Holzweg dar, welcher wenigstens halb abführte von der Richtung, in welcher man die Reiter gesehen. Sie schlugen ihn ein; Conrad als Vorposten voraus; dann die Dienerschaft mit dem Gepäck; zuletzt Ludmilla und Hans. Langsam ging es vorwärts, Hans und Ludmilla neben einander auf dem schmalen Wege, Ludmilla zur Rechten, Hans zur Linken. Hans berührte fast die nach seiner Seite zu sitzende Reiterin, und machte Miene, sein Pferd anzuhalten und zurückzubleiben, damit sie unbelästigt einzeln reiten könnte. Nicht doch! rief sie lachend, Gänsemarsch ist langweilig. Ihre gute Laune schien zurückgekehrt. Sie fing an zu erzählen über die Häuslichkeit des Herzogs von Friedland und seiner Gemalin, und bedauerte zunächst die arme Isabella, welche einen berühmten Kriegsmann, aber keinen Ehemann geheiratet habe. Das Bedauern ging in Scherz über, der Scherz in Spott. Was sei denn das Weib, wenn ihm das Liebesleben gänzlich versagt werde! Eine Kammerfrau! Vom politischen Leben weise man sie doch überall ab. »Sind wir denn wirklich eine geringere Menschengattung als die Männer? Possen! Wir werden's nur, wenn wir unsere Waffen nicht kennen und rosten lassen. Unsere Waffen sind eben Liebeswaffen, und im Alter Erfahrung, welche wir im Liebeskriege gesammelt, eine ganz andere Erfahrung, als Männer überhaupt machen können. Jedem Geschlechte das Seine, und Euch, Herr Sauertopf, die Gedankensorge, welche nicht erfährt, was um ihn vorgeht, und die Sonnentage der Jugend versäumt. Sie kommen nicht wieder, kein einziger Tag kommt wieder, nicht eine einzige Stunde, auch die jetzige nicht mit ihrer frischen, kräftigen Luft, mit den allerliebsten Schneeflöckchen, die uns mitunter auf die Lippe tanzen. Oder wißt Ihr's besser, Herr Pastor?«

Hans lächelte, als sie sich dabei ganz nahe zu seinem Angesichte herüberbeugte und er ihren Athem empfand. Der nahe Verkehr, die öftere Berührung hatte ihn ohnedies schon erregt, und jetzt verschwor sich ein Eichenast noch gegen ihn, welcher sich gerade da gegen Ludmilla in den Weg herein schob, als sie nicht nach vorwärts sah, sondern den Kopf zu ihm gewendet hatte. Der Ast that seine natürliche Schuldigkeit: er hielt trocken fest, und der bewegliche Körper Ludmillens mußte nachgeben. Dieser schlanke Körper wurde vom Sattel gestreift und zwar ganz rasch, weil das Roß an der Halsmähne ebenfalls vom Aste gekitzelt worden und eine hastige Bewegung nach vorn gemacht hatte. In einem Nu war Sattel wie Roß unter ihr fort, und sie lag in Hansens rechtem Arme, der selbst nicht wußte, warum er so schnell zugegriffen. Er hatte auch keine Zeit darüber nachzudenken; denn die Schwere machte es ihm deutlich, daß er festhalten müsse, wenn Ludmilla nicht hinabfallen sollte. Glücklicherweise hatte sein linker Arm bei der Bewegung nach hinten den Zügel angezogen und sein Pferd stand still. Mit einem leichten Ach! hatte aber Ludmilla ihren linken Arm sogleich und instinctmäßig zu ihrer Rettung um ihn geschlungen, und er hatte ebenso instinctmäßig sie aufwärts gezogen, so daß sie, von ihrem und seinem Arme gehalten, seitwärts auf ihm saß in einer plötzlichen und engen Umarmung, die sich dadurch verlängerte, daß Hans nicht gleich wußte, wie er Ludmillen anders sicherstellen sollte als dadurch, daß er sie festhielt. An seiner Brust ruhte ihr Kopf, der Hut war zur Erde gefallen sammt dem Mantel, am Tuchspenser waren von der jähen Bewegung nach rückwärts die Knöpfe gesprungen, das Haar war aufgegangen, und sie sah zu ihm empor wie ein halb erschrockenes, halb lachendes Kind. Ein gefährliches Kind! Denn es faßte sich schnell und lachte mit Bewußtsein und spottete mit Laune: Armer Hans, wie wirst Du sie los, die Zudringliche?!

Er war wirklich ein »armer Hans«! Er wußte nichts anzufangen mit dem Reichthume, welcher ihm in den Schooß fiel. Das aufkochende Blut eines noch jungen Mannes erkannte wol flugs den Reichthum, welcher sich darbot, aber die keusch erzogene Seele rief hastig: Lehne ab, lehne ab!

Der Seele um jeden Preis zu folgen war ihm langjährige Gewohnheit; er folgte ihr auch hier und versagte sich den Kuß, der seinem Munde so nahe war und der aus Ludmillens Augen leise zu ihm empor sprach: Ich komme nicht allein, ich öffne nur ein Paradies, ich bin nur ein Anfang! Das war's eben, was ihn abhielt. Seine Liebesmoral stand auf dem juristischen Spruche: »Widerstehe den Anfängen! – Den Anfang kannst du verhindern, die Folgen nicht!«

Wie heiß und erregt er geworden, er ließ die süße Last langsam zu Boden gleiten und schwang sich nach der andern Seite von seinem ruhig stehenden Pferde, um das Roß Ludmillens zu holen, welches nur eine kurze Strecke weit vorausgelaufen war.

Das neue Hinaufheben der Reiterin war alsdann zu bestehen. Er bestand es trotz der schalkhaften Augen Ludmillas, welche auffallend langsam zu Stande kam mit Zunestelung des Spensers, während er ihr den Mantel wieder umhing, und welche diesmal auffallend langsam war auf seiner Hand bei Erreichung des Sattels – hoch geröthet und wie erschöpft von der geringen Anstrengung stand er neben ihrem Rosse, als sie lächelnd herabsah und »Danke, Hans!« heruntersprach.

Die Jugend aus dem Hernalser Schlosse war wie ein Sturmwind über ihn gekommen. Er hätte sich ja freuen können! That er es nicht, der Moralist? Die Wahrheit zu sagen: er wurde gedankenlos. So verwahrlost an Sinnlichkeit war er doch nicht, um von solchem Sturme nicht betäubt zu werden, und in solcher Betäubung ritt er neben ihr weiter. Er ahnte, der juristische Liebhaber, daß dies nur ein Anfang von Freuden und Leiden sein werde, und er athmete auf, als er bei einer Biegung des Weges den Bart-Conrad halten und ihn erwarten sah.

Die Meldung lautete: der Wald gehe zu Ende und draußen im Felde seien wiederum kaiserliche Reiter zu sehen. Rechts seitwärts am Waldsaume, noch unter Bäumen, zeige sich aber ein Schloß. Es scheine rathsam, sich zwischen den Eichen dorthin zu wenden. Die Thiere müßten rasten und gefüttert werden. Von dort wolle er, der Conrad, hinüberreiten nach einer Ortschaft, deren Kirchthurm aus der Ferne auftauche, um Erkundigung einzuziehen, ob und nach welcher Richtung man gegen Mittag weiter reisen könne.

Starschädel war hiermit einverstanden. Die Begegnung kaiserlicher Truppen wollte er vermeiden. Sie konnten ihn anhalten und aufhalten, wol gar festhalten, wenn sie inne wurden, daß er ein Fremder sei.

Der Wald lichtete sich nach rechts hin zu einem Eichenhain, welcher bequem Platz gab für die Reitgesellschaft bis zum Hofraume des Schlosses. Dies Schloß, aus Erdgeschoß und erstem Stock bestehend, war ohne architektonischen Reiz und schien unbewohnt zu sein. Wenigstens zeigte sich kein Mensch, als sie vor der Hausthür still hielten. Conrad pochte an die verschlossene Thür und rief – da öffnete ein kleiner, breitschultriger Mann in einem Schafpelze. Er war noch mit dem Anziehen desselben beschäftigt und sah ohne ein Wort zu sprechen empor nach dem schwarzbärtigen, wild ausschauenden Reiter. Conrad fragte, ob man die Pferde einstallen, ob die Herrschaft eintreten könnte.

»Nix deitsch!« erwiderte zögernd der Schafpelz.

Da gab Ludmilla ihrem Roß einen leichten Schlag, sprengte heran und sprach böhmisch zu ihm. Sie konnte es von ihrer Jugend her leidlich sprechen. Das machte den Schafpelz freundlicher, besonders als er hörte, daß die Dame seine Gutsherrschaft kenne und vor einigen Tagen noch in Prag gesprochen habe –

Man stieg ab, die Pferde wurden untergebracht, man trat ein und zwar links in ein großes Zimmer, welches der verwaltende Vogt im Schafpelze mit den Seinigen bewohnte. Ursprünglich wol ein gutes Zimmer, war es durch die Lebensgewohnheiten dieser Inwohner arg zugerichtet und machte einen sehr unwirthlichen Eindruck: es war voll Rauch und Schmutz.

Ludmilla hustete und lachte und bedeutete Hans, er möge sich nur der Versorgung des Trains draußen widmen und der sorgfältigen Instruction für Conrad, sie werde hier schon Rath schaffen.

Das gelang ihr denn auch. Einige Silbergulden veranlaßten die Frau des Vogts, herrschaftliche Zimmer oben im ersten Stock aufzuschließen, Feuer in den Kaminen zu machen und alle Anstrengungen für ein Mittagessen zu übernehmen, Anstrengungen, welche einigen Hühnern das Leben kosteten.

Marianne, die holländische Kammerfrau, mußte einen Mantelsack auspacken, damit Ludmilla das Reitkleid ablegen und eine leichte Haustoilette machen konnte. Warum? Wozu? Wenn Conrad in einigen Stunden wiederkehrte und die Weiterreise für möglich hielt, so war doch – »Ah«, erwiderte sie Mariannen, »zunächst ist er noch nicht fort, er muß auch speisen und sein Pferd muß gefüttert werden; alsdann müssen die Knöpfe an meinem Reitkleide ergänzt werden, und endlich wissen wir ja noch gar nicht, ob er Nachrichten bringt, welche uns die sofortige Weiterreise erlauben!«

Waren das wirklich Ludmillens Gründe? Vielleicht doch! Vielleicht war sie sich keiner weiteren Absichten bewußt, auch wenn solche in ihr schlummerten. Vorhanden waren sie, auch wenn sie schlummerten. Die Scenen im Eichenwalde hatten alte Gefühle erweckt, wenn auch noch nicht neue Absichten. Die Welt der Gefühle ist abgesondert von der Welt des Verstandes; beide grenzen da aneinander, wo der Wille wohnt. Wird der Wille angerufen oder nur angetrieben von der Gefühlsseite, dann handelt der Mensch schon, ehe der Verstand etwas davon weiß. So mochte es in Ludmillen jetzt vor sich gehen. Die Jugendliebe in ihrer vollen Reizbarkeit war unerwartet lebendig geworden in ihr; das Bedürfniß war aufgeglüht, irgend ein Genüge dafür zu finden. Ein vorübergehendes, oder ein dauerndes? Was wußte sie! Ihr Verstand hatte noch weiter nichts damit zu thun, als daß er flüsterte: Eine Anzahl einsamer, behaglicher Stunden neben dem Manne deiner Liebe liegen vor dir; genieße sie, indem du die ganze übrige Welt vergissest, indem du nicht fragst, wie weit diese Stunden führen, was sie bieten, was sie schaffen, was sie zerstören können.

So schuf dies schöne Weib, welches die Kunst des Gefallens immer verstanden, einen Zustand um sich her, welcher wol geeignet war, den ebenfalls aufgeregten Hans anziehend zu locken. Die beiden eingeräumten Zimmer waren vornehm wohnlich eingerichtet. Geöffnete Fenster hatten frische Luft eingelassen, lodernde Kaminfeuer hatten diese Luft erwärmt, wohlriechendes Wasser, das Marianne für die coquette Herrin immer mit sich führte, war umhergesprengt worden. Die Vogtin hatte unberührtes Tischzeug der Herrschaft herbeigebracht, die kleine Tafel winkte sauber – Herr von Starschädel konnte zu Tisch gerufen werden.

Er war fern geblieben wol eine Stunde lang. Es schien fast, als fürchtete er sich. Das Unterbringen der Rosse, die Instruction für Conrad nahm doch nicht so viel Zeit in Anspruch!? Er war hinausgegangen auf einen Hügel im Felde, um so weit als möglich hinüber zu schauen gegen Podiebrad hin, ob wirklich Truppen zu sehen wären. Er hatte keine gesehen. Sie werden Mittagsrast halten drüben unter dem Kirchthurme, hatte Conrad eingewendet. »Wie heißt das Dorf?« – Libitsche nennt's der Vogt. – »Ja, Libice steht auf meiner Karte. Wir brauchen's nicht zu berühren, um nach Podiebrad zu kommen. Und Du, sei vorsichtig, wenn Du unter die Kaiserlichen geräthst!« – Werd' schon! Bin ja ein Oesterreicher, dem man's anhört. Gehör' zum Friedländer, dem ich 'ne Post reite!« –

Conrad ritt denn endlich fort: Hans mußte sich entschließen, Ludmilla aufzusuchen.

Er stieg wie durch einen Nebel die Treppe hinauf, denn seine Gefühlswelt war in ebensolcher Aufregung wie die Ludmillens. Nur unruhiger, peinlicher. Er war eine ganz andere Natur, er hatte eine ganz andere Vergangenheit. Obwol jetzt schon in den ersten dreißiger Jahren, war er immer noch ein unschuldiger Junggesell. Das Liebesverhältniß mit Ludmillen war das einzige geblieben, welches ihn der Umarmung eines Weibes nahe geführt. Der Untergang dieses Verhältnisses hatte ihn auf Jahre verdüstert. Alltäglicher, sinnlicher Verkehr im Kriegsleben war ihm Jahre lang zuwider gewesen. Später war er wol gleichgiltiger geworden gegen die verletzbare, feine Empfindung, welche ihn lange beherrscht und abgehalten; aber er hatte sich ein ablehnendes, kaltes Wesen angewöhnt gegen leichte Frauen. Das hatte ihn um jedes Entgegenkommen solcher Frauen gebracht; er galt am Ende gar für einen Weiberfeind, was er gar nicht war. Die einmal geschaffene und dann eine Reihe von Jahren herkömmlich gewordene Stellung hatte sich am Ende wie eine grundsätzliche ausgebildet. Es muß dann viel auf einmal zusammentreffen, um etwas umzustoßen, was den Charakter eines Grundsatzes angenommen hat, und dies Zusammentreffen war ihm nicht begegnet. So war er ein unerfahrener Junggesell verblieben. Sein Heimatsort, sein Gnadenfrei, mochte dazu beigetragen haben. Vom Kriege zurückgezogen war er dort immer wieder in langen Zwischenräumen häuslich eingerichtet verblieben, namentlich zur Winterszeit, während welcher der Krieg überall stockte. Und dort in Gnadenfrei war Alles dafür angethan, sinnliche Liebesregungen nicht aufkommen zu lassen. Der tägliche Verkehr mit dem greisen Dunstan, mit der sittenstrengen Frau Amalie, ja mit dem heranwachsenden jungen Mädchen, mit Purzel, war geradezu ein Gegensatz für jeden leichten, sinnlichen Gedanken. Purzel hatte sich während ihrer Erziehung, komisch genug! verjüngt. Bei der Erbtheilung hatte Doctor Zinkas die Taufzeugnisse der beiden Loß'schen Töchter beigebracht, und da hatte sich enthüllt, daß der lustige Vater das jüngste Töchterlein für älter ausgegeben um mehrere Jahre. Warum? Lachend erinnerte sich Zinkas, daß Loß oft über die Zärtlichkeit fremder Leute gescholten, welche es ihm verübelt, die jungen Mädchen zu Rosse überallhin mitzunehmen. Wir wollen dafür sorgen, habe er gerufen, daß Purzel alt genug erscheint für Roß und Reise! Die Fälschung hatte nach seinem Tode Purzels Ansehen schwer beeinträchtigt, denn Purzel hatte sich sehr langsam entwickelt und war im achtzehnten Jahre noch ein sogenannter Backfisch gewesen. Noch unreife, junge Mädchen haben wie unreife, noch am Baume hängende Früchte einen natürlichen Schutz vor dreisten Händen. Der unverdorbene natürliche Mensch scheut sich, das erst reif Werdende anzutasten. Wohlwollen für solch ein langsam heranblühendes Mädchen wurzelt in Unschuld und verengt den sinnlichen Gedankenkreis. Gerade die geistige Aehnlichkeit der kleinen Marie mit dem Bilde des Papa Loß und mit einzelnen Zügen Ludmillens, die einst seine Sympathie erweckt, gerade solche seelische Aehnlichkeit zog Hans zu dem kindlichen Geschöpfe und entfernte ihn immer weiter vom Sinnenreize, welchen üppige Frauen ausstrahlen. Er sah auch nicht einmal solche Frauen: zwischen Heimat und Krieg war sein Leben getheilt gewesen. Erst jetzt in Prag war er wieder einem Frauenkreise nahe gekommen. Und dort hatte ihn die große Lebensfrage ums Vaterland, hatte ihn Waldstein in Beschlag genommen. Als diese Frage zu Boden gefallen, war er gleichsam erwacht zum noch jungen Manne, welchem Sinnes- und Liebesleben so lange im Schlummer gelegen. Wie grell mußte das Erwachen sein, da es just von ihr ausging, von der Einzigen, die er vor zehn Jahren aufgeben gemußt, und die so lange noch seine Phantasie beunruhigt hatte!

Er trat ein. Vor einem Sopha stand die kleine gedeckte Tafel. Aus dem zweiten Zimmer kam ihm die umgekleidete Ludmilla entgegen, heiter, strahlend, leicht, liebenswürdig wie nur je in der Hernalser Zeit. Ein leichtes Hauskleid spielte um die jetzt voll und schön entwickelten Glieder, Hals und Arme frei gebend bei jeder Bewegung. Das dunkle Haar in üppigen Locken, der verrätherische, nur wenig falsche Blick des Auges mächtiger und lockender als je. Sie nahm ihn bei der Hand – die ihrige war so warm und weich! – und führte ihn mit scherzhafter Würde zum Sessel neben dem Sopha, wie die Hausfrau den Gast führt. Marianne, die noch im andern Zimmer war, wurde gerufen. Sie sollte die Mahlzeit auftragen.

Die Mahlzeit bestand nur aus einem Gange; die Tafeldienerin brauchte nicht wieder zu kommen.

Hans nahm sich vor, dem gebratenen Huhne die strengste Aufmerksamkeit zu widmen und das schwarze Brot wunderbar schmackhaft zu finden. Ludmilla billigte das und übernahm das Zerlegen des Huhnes. Leider wurde er dabei aufgefordert, ihr den flatternden Aermel des Kleides zurückzustreifen, daß er nicht in die Bratenschüssel sich verirre, und bei diesem Geschäft konnte es nicht ausbleiben, daß er ihren blendend weißen Arm berührte. – Etwas sehr heiß – meinte er – sei es im Zimmer. – Ich dächte nicht! erwiderte sie und bat, auch dem andern Aermel die Gefälligkeit anzuthun. Dabei mußte er um den runden Tisch hinum nach der andern Seite, und mußte neben ihr stehen, mußte abwärts sehen auf die nur leicht verhüllte Büste des warmen, verführerischen Weibes, welches mit Messer und Gabel in der Hand schalkhaft zu ihm aufblickte. – Es ist wirklich sehr heiß! wiederholte er mit inniger Ueberzeugung, und mußte doch mitlachen, als Ludmilla seine geistreiche Unterhaltung komisch fand. Ihr seid auch zugeknöpft bis an die Gurgel – setzte sie rasch hinzu, indem sie Messer und Gabel fallen ließ, und mit erschreckender Gutmüthigkeit ihm die oberen Knöpfe des Brustwamses öffnete.

Das gab eine Nähe und Berührung, welche das Brathuhn positiv in Vergessenheit zu bringen drohte, und welche er deshalb energisch zu verhindern dachte. Aber das hieß aus der Scylla in die Charybdis gerathen! Denn nun hielt er ihre beiden Hände in den seinigen, und um wieder auf die andere Seite und ans Brathuhn zu kommen, wagte er ein rasches Küssen ihrer Hände, welches Dank und Abschied bedeuten sollte. Er setzte auch damit wirklich den Abschied durch und gelangte glücklich zu seinem Sessel – aber mit welchem Opfer an innerer Haltung!

Das Huhn mußte die Unkosten zahlen. Er versicherte, außerordentlichen Hunger zu haben, Ludmilla lachte und bedauerte nur, dem ausgehungerten Recken keinen Wein vorsetzen zu können. Der Kellerschlüssel sei nicht in den Händen der Vogtin, und man sei in Böhmen, nicht in Oesterreich. Die gemeinen Leute wüßten in Böhmen nichts vom Wein, auch hier nicht, obwol Melnik mit seinen blauen Trauben nicht gar weit entfernt sei.

Die Strategie seines starken Appetits that ihre Schuldigkeit, bis Ludmilla ausrufen mußte: Nun hab' ich nichts mehr zur Befriedigung Eures gesunden Appetits! Doch nein! Halt! Isabella hat in Kolin Zuckerwerk in den Mantelsack gesteckt, das hol' ich!

Sie eilte ins Nebenzimmer. – Eine Minute später rief sie: »Die Schnalle ist für meine Finger zu fest, helft mir sie aufmachen, hungriger Ritter!« Er folgte ihr. Sie kniete am Boden und sah sich, geröthet von der Anstrengung, nach seiner Hilfe um.

– Laßt! laßt! – sagte er – ich bedarf keines Zuckerwerks! – »Aber ich!« – Und dabei streckte sie ihm die Hand entgegen, daß er neben sie niederknien möge, den widerspenstigen Mantelsack zu öffnen. Die Gefahr erreichte jetzt gewiß den Höhepunkt, daß er so neben ihr dem Sinnenreize erliegen und dadurch sein ganzes Leben bestimmen werde. Unrichtig, unrein bestimmen werde! Denn die Neigung für Ludmilla war überlebt in ihm, der edelste Keim einer verwandten Neigung war in reiner Entwickelung seines Herzens begriffen. Die Schwester Ludmillens trug von Jugend auf alle die Reize von Sympathie in sich, welche ihn einst zu Ludmillen hingezogen, alle die geheimnißvollen seelischen Züge, welche anziehen und beglücken, sobald die hinzu tretenden körperlichen Formen nur nicht geradezu dem Schönheitssinne widersprechen. Denn die körperlichen Formen dienen ja nur der Seele, wenn von dauernder Neigung die Rede sein soll, nicht blos von augenblicklicher, nicht blos von sinnlicher Neigung. Im Auge der kleinen Marie wohnte frühzeitig jener Schalk, welcher ihn an Ludmilla gefesselt, aber gutmüthiger, dem Charakter des Vaters ähnlicher. Und die Herzensgüte, die innere Heiterkeit war gleichmäßiger, war stärker in der jüngeren Schwester, ohne daß die geistige Lebhaftigkeit Eintrag erlitten hätte durch diese Gleichmäßigkeit und Stärke. Wie freudig hatte er diese Grundzüge sich ausprägen sehen von Jahr zu Jahr, wie nahe an der vollen Entfaltung der Knospe, wie ahnungsvoll schön waren sie ihm entgegengetreten, als er die jungfräulich knospende Gestalt zum letzten Male im vergangenen Frühjahr gesehen. Die Phantasie hatte ihm bereits das ganze, schöne Bild des Mädchens ausgemalt, welches ihn als seinen Lebensschöpfer treu und zutraulich betrachtete, welches ihm vom Himmel bestimmt schien zur treuen, zutraulichen Lebensgefährtin. Und dieses Bild sollte jetzt ausgelöscht werden in ihm, weil ein Sinnennebel seine Blicke befing, obenein ein Sinnennebel, welcher das Verwandte widerwärtig in einander mischte! Er wird sich's nie vergeben können, er wird seine Herzenswelt verwirrt, ja beschmutzt haben, er wird seine Herzenswelt für immer beschädigt, wol ganz zerstört haben, wenn er sich Ludmillen hingiebt. Eben Ludmillen, Ihr anzugehören, die seine erste Liebe gewesen, die seine erste Liebe leichtsinnig zerstört hatte! Ihr angehören, nachdem längst wildes Gras gewachsen war über diese Zerstörung – armer Hans, du wirst dir diese Stunde auf dem einsamen, böhmischen Schlosse nie vergeben!

Weil er dergleichen ahnte, war er bisher scheu und furchtsam gewesen. Aber die Ahnung war nur unklar, der Sinnensturm war nur zu klar, als er jetzt ihre pulsirende Hand in der seinigen hielt und sich zu ihr hinabgezogen fühlte. Nur zögern ließ ihn die Ahnung, und diese Zögerung veranlaßte Ludmillen aufzustehen. Auf seine Hand sich stützend und ihm ins Auge sehend, that sie das, und trat sich dabei vorn ins Kleid. So strauchelte sie, halb aufgerichtet, und drohte zu fallen – er mußte zufassen, um sie aufrecht zu erhalten, und so halb durch unwillkürliches Fallen kam sie an seine Brust, lag sie in seinen Armen, ihr Haar, ihre Stirn, ihr Auge nahe an seinem Munde. Es bedurfte nur noch einer leisen Bewegung des Armes, und Mund an Mund begegneten sich im Kusse. Diese leise Bewegung erfolgte, und seiner selbst nicht mehr mächtig, wunderbar angesprochen von dem Auge und Antlitze des ihm so nahen, schönen Weibes flüsterte er – »Marie!«

Wie?! schrie Ludmilla auf, und ihr erst so weiches sehnsüchtiges Auge erstarrte. Ebenso plötzlich erstarrte der Sinnendrang in ihm, das verwischte Bild der knospenden Jungfrau trat klar vor seine Seele – sie blickten einander in die Augen, und die Augen sahen einander nicht mehr, jedes blickte nach innen, das weibliche in starrem Zorn, das männliche in keuscher Erinnerung. Die Arme ließen nach, sie sanken. Frei standen sie vor einander, und ihre Blicke wendeten sich dem Fenster zu, welches die Aussicht nach Norden hinauf bot über hügelan steigende Felder, nach derselben Richtung, welche sie einschlagen mußten zur Weiterreise. Die bleiche Nachmittagssonne trat just aus den grauen Schneewolken und hob einen dunklen Reiter scharf ab von der schneebesäumten Landschaft. –

»Conrad kehrt zurück!« sagte Hans mit schwacher Stimme – »macht Euch fertig zur Weiterreise!« – Lady Ludmilla erwiderte kein Wort. – Hans schritt aus dem Zimmer, die Treppe hinab, Conrad entgegen hinaus aufs Feld. Conrad war munter und berichtete in Kürze: daß Eile nöthig sei, wenn Herr von Starschädel mit der Lady noch »ungehudelt« durchkommen wolle zum sächsischen Heere. Für heute Abend sei das nöthige Loch noch offen über Podiebrad. Die kaiserlichen Truppen nämlich da drüben in Libitsche seien der Vortrupp eines ganzen kaiserlichen Corps, welches über die schlesischen und Glatzer Berge aus Schlesien herbeieile, um sich den Sachsen vorzuschieben. Der alte General Teuffenbach sei ihr Führer und werde in seiner dicken Person morgen schon in Podiebrad erwartet. Heute Abend und heute Nacht sei Podiebrad noch frei von diesen Truppen, denn die Vorhut mache Nachtquartier in Libitsche. Also – schloß Conrad – geschwind auf die Strümpfe, wenn wir nicht mitten unter die Kaiserlichen gerathen wollen.

So geschah's. Beim letzten Tagesscheine der untergehenden Sonne ritt die Karavane auf einem Feldwege gegen Podiebrad zu, den mit Kaiserlichen angefüllten Ort Libitsche zur Rechten lassend. Der Vogt im Schafpelze diente als Führer.

Ludmilla verhielt sich in tiefem Schweigen. In finsterer Nacht kamen sie ans Thor von Podiebrad. Es war geschlossen. Conrad meldete barsch: Gefolge des Herzogs von Friedland! – Das Thor ging auf, sie ritten in die Stadt ein, der Vogt im Schafpelze brachte sie vor den Gasthof, brachte sie in den Gasthof. Pater Norbert und Medardo wohnten bereits in demselben Hause und harrten ihrer. Ueber eine steinerne Treppe im Hofe wurde Lady Ludmilla und Herr von Starschädel nach den Zimmern geführt, welche der Hausknecht ihnen öffnen wollte. Mit einer großen Laterne schritt er vor ihnen einher, eine nach dem Hofe offene Gallerie entlang. Die Zimmerthüren, welche er öffnete, gingen auf diese offene Gallerie. Ins erste Zimmer trat Ludmilla mit ihrer Kammerfrau; ins zweite Starschädel. Conrad war unten im Hofe geblieben; die Unterbringung der Diener und Pferde zu überwachen.

Hans blieb lange Zeit mitten in seinem Zimmer stehen, tief in Gedanken verloren. Das Geräusch im Nebenzimmer Ludmillens erweckte wol diese Gedanken, Es war ihm schwer zu Muthe, wie leicht er auch in frischer Luft aufgeathmet hatte, daß er der Versuchung in jenem Schlosse unbeschädigt entronnen sei. Unbeschädigt? Nein – sagte er sich – du verdienst schwere Vorwürfe, denn nur ein Zufall hat dich bewahrt. – O nein! – nahm der selbstgefällige Advocat, welcher in jedem Menschen wohnt, zur Selbstvertheidigung das Wort – o nein! es war kein Zufall! Die Wahrheit kam dir zu Hilfe, sie sprach im letzten Momente den Namen aus, der in dir wohnt –

Und nun schweifte sein innerer Blick hinüber nach Thüringen, und suchte im großen Wohnzimmer die stille Ecke auf, in welcher Marie zu sitzen pflegte – da fiel ein Möbel im Nebenzimmer! – Arme Ludmilla! dachte er, wie niedergeschlagen, wie verletzt wirst du sein! Und wie bekümmert mich das! – Endlich machte er Anstalt, sich zu entkleiden. Da hörte er einen schweren Tritt vor seiner Thür. Die Thür ging auf – es war Conrad. Er stieß einen unarticulirten Laut aus.

»Was ist?« – Der Teufel ist los, Herr! Unten in den Ställen stehen Pferde kaiserlicher Reiter – alle Ställe sind voll. Cürasse lehnen in den Ecken und an den Futterkästen und auf der Streu neben den Futterkästen schnarchen Soldaten. Sie sind von den Panzerreitern, die wir gestern in Prag am Graben vor uns hatten, und sind gewiß dieselben, die wir heute Mittag vom Waldsaume aus gesehen haben. Was heißt das? dachte ich und trete in den Hof zurück, um einen andern Stall zu suchen für unsere Rosse – da huschte ein Knirps an mir vorbei, straf mich' Gott! Herr, mir war's, als wäre das – und er war's –! »Wer?« – Im Hausflur huschte er an der Laterne des Hausknechts vorüber – es war die »rothe Feder« aus Wien, der Spion, der Lump! – Ich nach – aber ich besinn' mich und frag' erst den Hausknecht. Richtig! Ein feiner geistlicher Herr zu Pferde und der Knirps sind heute Mittag aus Prag angekommen, hinter ihnen ein Fähnlein Panzerreiter –

Conrads Bericht wurde unterbrochen durch ein Commandowort draußen auf der Gallerie. Unmittelbar darauf wurde die Thür aufgerissen, und der Hausknecht mit seiner Laterne, die er jetzt hoch hielt, leuchtete herein. Hinter ihm sah man Cürassiere mit blanken Säbeln, neben ihm trat ein Fähnrich über die Schwelle und kündigte mit ruhigen Worten an: Herr von Starschädel aus Sachsen sei hiemit zum Gefangenen erklärt und habe ihm, dem Fähnrich, unverweilt nach Prag zu folgen. Der Kriegsmann neben ihm, Conrad geheißen, ein flüchtiger Oberösterreicher, desgleichen.

Das kam so schnell, und es war da guter Rath so theuer, daß Starschädel und Conrad einen Augenblick lautlos blieben. Jeder von ihnen begriff aber auch in demselben Augenblicke, daß die Gefahr einer solchen Gefangennahme eine verzweifelt große sei. Der Jesuit im Hintergrunde, die »rothe Feder«, der ersichtlich weit vorbedachte Ueberfall deuteten auf Wien, auf den Halsprozeß vor zehn Jahren, welchem sie nur durch die Flucht entronnen waren – instinktmäßig zogen Beide ihre Schwerter.

»Wozu der Widerstand, Herr von Starschädel« – sagte der Fähnrich in unverändert ruhigem Tone – »hinter mir stehen außen zwölf Cürassiere und unten sind noch einmal so viel; Ihr habt nicht die geringste Aussicht, Euch durchzuhauen. Ergebt Euch!« – Nicht dem Teufel ergeben wir uns! schrie Conrad. – »Wer hat Euch Vollmacht gegeben, mich zu verhaften?« rief Hans. – Mein Oberst. –

Hiermit war der soldatische Charakter des Angriffs ausgesprochen, und Hans erkannte, daß es ganz nutzlos sei, durch irgend welchen Ausweis oder durch irgend welche Berufung was auszurichten. Er fragte also nur kurz: »Wie heißt Euer Oberst?« – Graf Octavio Piccolomini. –

Es war also die wälsche Soldatenpartei, in deren Hände Hans gefallen, und somit war's sonnenklar, daß auch eine Berufung auf den Herzog von Friedland gar keinen Erfolg haben konnte. Hans faßte sich und sprach langsam und nachdrücklich: »Mein Herr Fähnrich! Aus Eurer Sprache schließ' ich, daß Ihr ein Oesterreicher seid, also deutsches Blut. Ihr dient mit meiner Gefangennahme einer wälschen Partei, die auch den Herzog von Friedland stürzen möchte. Von diesem komme ich. Er wird Euch über kurz oder lang verantwortlich machen für den Ueberfall seines Gastes. Das bedenkt! Glaubt Ihr doch stricte gehorchen zu müssen, so erwägt, was ich Euch jetzt ankündige. Ich leiste Euch Widerstand bis zu meinem letzten Athemzuge.« – Ich auch! schrie Conrad. – »Wir verstehen Beide zu fechten; wahrscheinlich besser als Einer von Euch. Es kostet Euch also Blut und Mannschaft in reichlichem Maße, wenn Ihr's durchsetzen wollt. Wir haben den Vortheil des Terrains für uns, diese Stube mit einem einzigen offenen Ausgange, und Ihr seid der Erste, welcher fällt. Ueberlegt, ob Ihr sogleich mitten in der Nacht gewaltsam vorgehen müßt, oder ob Ihr nicht warten könnt bis zum Anbruche des Tages. Entfliehen kann ich Euch ja nicht. Ihr habt Leute genug, das zu verhindern, und bis Anbruch des Tages habe ich mich vielleicht entschlossen, den Widerstand aufzugeben. Ist Euch das einleuchtend?« – Warum nicht?! – Ueberlegt Ihr Euch nur auch nüchtern, daß es rathsamer ist, heil und lebendig gefangen zu werden, als in die Pfanne gehauen. Denn in die Pfanne gehauen werdet Ihr. – Legt Euch schlafen, um nüchtern zu werden. Die Unbequemlichkeit, Euch scharf bewachen zu müssen, übernehmen wir. Aber die Thür bleibt offen! –

Dies sagend, postirte er zwei Cürassiere an die offene Thür und ging hinaus, die anderen zu instruiren.

»Was soll uns das helfen?« murmelte Conrad zu Hans. – Weiß ich's?! erwiderte dieser halblaut – Zeit gewinnen! – Vielleicht – sagtest Du nicht, die Kaiserlichen in Libitsche draußen gehörten zu Teuffenbach's Corps? – »Ja.« – Teuffenbach ist ein Deutscher und vielleicht dem Friedländer ergeben. Wenn er selbst – kurz, 's ist doch ein Schimmer von Hoffnung, daß Teuffenbach's Corps mit Anbruch des Tages hier einrückt – »Wegen meiner!« brummte Conrad – »aber eine Hundsnacht wird's. Sobald wir schlafen, packen sie uns!« – Also darf höchstens Einer schlafen, damit er den Andern gleich weckt! – Bist Du denn schläfrig? Macht Dich die Aussicht auf den Galgen bei Wien nicht munter? – »Lirum, larum! 's ist weit bis Wien! Ich bin auch nicht schläfrig. Aber wann ich so lang still sitzen soll, da nick' ich halt ein. Wissen's was – ich hab' Euch zwar nie spielen g'sehn – aber 's lernt sich g'schwind. Spiel'n mer Landsknecht! – Erst will ich die Festung bau'n!« –

Er sprang auf, und zwar so dröhnend, daß die Cürassiere an der Pforte sich eiligst in Positur setzten, seinem Angriffe zu begegnen. »Schapperl!« lachte er und schleppte die zwei Bettstellen, welche im Zimmer standen, dergestalt mitten in den Stubenraum, daß sie einen Wall bildeten zwischen den Cürassieren und den Gefangenen. – »Eh' die schweren Trampel da 'rüber kraxeln, sind wir munter, wann wir einnicken sollten!« raunte er Starschädel zu und brachte nun einen Tisch herbei zum Landsknechtspiel, welches er Hans in der Geschwindigkeit lehren wollte.

Hans ließ sich die Anordnung gefallen. Conrad zog aus der Tasche ein Spiel Karten, welches ersichtlich schon mehrere Feldzüge mitgemacht hatte und deshalb nicht gerade appetitlich war. Die Form dieser Karten war noch einmal so groß als die der jetzt gewöhnlichen französischen Spielkarten. Sie waren von spanischen Kriegsleuten nach dem deutschen Reiche, wenigstens nach den österreichischen Ländern, eingeführt worden und haben sich – wunderlich genug! – bis jetzt nur in einem Lande erhalten, welches ein Jahrhundert später von den kaiserlichen Landen abgerissen worden ist, nämlich in Schlesien. Dort findet man noch heute die großen »Bastan«-Karten auf dem Lande und in kleinen Städten. Mit diesen Bastan-, Spade-, Denar- und Kuppe-Blättern begann nun Conrad seinen Unterricht im edlen, weil einfachen Landsknechtspiele, und Hans rang sich die Fassung ab, diesen Unterricht zu verstehen und zu befolgen.

Diese Spielstudie in gespannter Lage, beleuchtet von einer röthlich qualmenden Unschlittkerze, ward einen Augenblick lang belauscht von einem Manne in zierlicher Cavalierstracht. Er war fein gewachsen und hatte ein glatt rasirtes, feines Antlitz, aus welchem kluge braune Augen leuchteten. Ganz kurzes, dunkles Haar und schwarze Augenbrauen hoben das Antlitz und die angenehme Blässe desselben. Er blickte lächelnd über die Bettbarricade auf die Landsknechtspieler hinein, welche ihn gar nicht bemerkten, und trat stumm wieder zurück, um vor der nächsten Thür, der Thür Ludmillas, stehen zu bleiben. Ludmillens wegen hatte er im Mantelsacke einen Cavalieranzug mitgebracht und jetzt angelegt. Dieser Mann war Pater Norbert, einst Jaromir von Zierotin.

Ohne Klopfen, absichtlich jäh öffnete er die Thür Ludmillens. Er wollte überraschen. Und das gelang ihm auch. Ludmilla hatte keine Kenntniß von Dem, was neben ihr vorgegangen war mit Hans. Das Geräusch hatte sie für gewöhnlichen Wirthshauslärm gehalten. Sie war niedergeschlagen, zornig über sich selbst, wortkarg. Marianne hatte Bett- und Nachtzeug geordnet und die schweigende Herrin langsam entkleidet. Eben hatte sich diese Brust, Nacken und Arme gewaschen und abgetrocknet, – da trat Norbert ins Zimmer.

Ludmilla schrie auf und rief nach einem Tuche, um sich zu verhüllen. Marianne fand nicht sogleich eins, und Jaromir verhielt sich schweigend, bis es gefunden war. Die Thür hatte er hinter sich zugedrückt, ohne ein Auge zu verwenden von dem Bilde, welches seit so vielen Jahren seiner Einbildungskraft vorschwebte, hundertmal gerade so vorgeschwebt hatte, wie es jetzt die Wirklichkeit zeigte. Langsam trat er näher und winkte der Kammerfrau, sich zu entfernen.

»Du bleibst, Marianne!« rief Ludmilla. – Ich glaube nicht, Mylady, daß es Euch angenehm sein wird, die Nachrichten alle, welche ich Euch mitzutheilen habe, bekannt werden zu sehen – sprach er mit leichtem, angenehmem Tone; – tritt wenigstens zurück bis an die Thür, Kammerfrau! Ich werde so lange leise sprechen, bis die Lady selbst Dich hinausschicken wird!

Dann schob er der erstaunten Lady einen Sessel hin und nahm sich selbst einen, welchen er nahe zu dem ihrigen rückte. Ludmilla zögerte sich zu setzen und wollte wenigstens ihren Sessel in größere Ferne schieben. Aber das Tuch, welches ihre Blöße bedeckte, hätte sich verschoben, wenn sie einen ihrer Arme dazu gebraucht hätte.

»Setzt Euch getrost, Mylady« – fuhr er leise fort – »es ist nicht ganz kurz, was ich Euch zu sagen habe, und für Euch von äußerster Wichtigkeit. Ihr seid in großer Gefahr, und ich kann Euch nur nützen, wenn Ihr mich dazu bevollmächtigt. Ich will Euch nützen – das weiß Euer Herz. In dem meinigen ist kein Wandel vorgegangen, seit ich Euch in Hernals und Prag gesehen. Ich habe kein Weib bewundert seit jener Zeit. Euer zaubervolles Bild ist ohne Nebenbuhlerin in meinem einsamen Herzensleben verblieben. Ich bitte, setzt Euch!« Sie setzte sich. Er ebenfalls.

»Fürchtet auch nichts von meinem Ungestüm, der sich wol damals zuweilen verrathen. Ich bin besonnen geworden; hab' es wol werden müssen. Nichts weiter hiervon. Von Euch will ich sprechen, von der Gefahr, in welcher Ihr schwebt. Euch dienen, Euch helfen ist mir Erquickung im sonst so nüchternen Lebensdienste. – Eure Gefahr ruht in folgenden Umständen: Ihr geltet in Wien als leidenschaftliche Parteigängerin für die Protestanten, ja als eine Vertraute des Schwedenkönigs. Man vermuthet, daß Ihr als Unterhändlerin dieses Königs nach Prag zu Waldstein gekommen seid. Ihr habt Euch sogar vorgestern öffentlich neben ihm dergestalt geäußert, daß man hat erkennen müssen: Ihr betriebet Waldstein's Losreißung vom Kaiser, Waldstein's Verbindung mit den protestantischen Führern, den Feinden des Kaisers. Kurz, über Eure feindliche Gesinnung und unmittelbare Thätigkeit gegen den Kaiser herrscht kein Zweifel. Dies würde hinreichen, an Eure Festnehmung zu denken, blos um Eure Thätigkeit überhaupt zu lähmen. Man erwartet aber auch, und wäre es durch Zwangsmittel, von Euch zu erfahren: wie die Vorschläge des Schwedenkönigs an Waldstein im Einzelnen lauten, und wie Waldstein dieselben aufgenommen und beantwortet hat. Kurz, man hat hinreichende Gründe, Euch gefangen zu nehmen, gefangen zu halten und arg zu peinigen.«

Nun schilderte er ihr, wie sie bereits gefangen sei sammt dem sächsischen Herrn von Starschädel, und daß ihre Abführung in den nächsten Stunden stattfinden werde. »Ich allein« – fuhr er fort – »will und kann Euch retten. Aber ich will und kann es nur, wenn Ihr es wollt. Die Reiter, welche Euch mit Starschädel nach Prag bringen sollen, sind angewiesen, all' meine Anordnungen zu respectiren. Zwei Stunden jenseits der Elbe wird Halt gemacht, um die Pferde zu füttern. Dort trennen wir uns vom Zuge. Der Fähnrich erfährt durch mich, daß Ihr in ein geistliches Haus gebracht werdet, um dort verhört und verwahrt zu werden, und dort – mögt Ihr selbst Euer weiteres Schicksal bestimmen.«

Lady Ludmilla war eine viel zu erfahrene Dame, um nicht rasch die ganze Situation und den inneren Zusammenhang derselben zu übersehen. Daß dieser innere Zusammenhang in der standhaften Neigung Norberts für sie ruhte, war ihr vollkommen deutlich. Das konnte nicht gar so erschreckend sein für eine Weltdame. Es war ihr am Ende gar schmeichelhaft nach der zärtlichen Niederlage, welche sie vor einigen Stunden mit Hans erlebt. Gefällst du noch? liebt man dich noch? ist ja doch die Lebensfrage jeder Frau.

Sie schwieg eine Weile. Ihr Auge ruhte fragend auf diesem feinen geistlichen Zierotin, dessen geistlicher Charakter einst das junge Mädchen erschreckt hatte. Die junge Lady war nicht mehr so erschreckt. Jaromir-Norbert war auch nicht in Ordenstracht, und es war ihr geläufig worden, daß solch ein Jesuit kaum Weltgeistlicher genannt werden könne. Er habe ja mit geistlichen Verrichtungen gar nichts zu schaffen, er sei nur ein Diplomat für die Kirche. Sich ihm hinzugeben, war ihr bei alledem ganz fern. Sie war ein weiblicher Diplomat. Zeit und Gelegenheit wollte sie gewinnen. Auf anderem Wege kam sie zu demselben Ziele, wie Hans kurz vorher gegenüber dem Cürassier-Fähnrich. Wie verletzt sie war durch Hans, das überhörte sie doch nicht, daß auch er gefangen und noch mehr als sie gefährdet war. Statt einer directen Antwort gab sie also nach kurzem Schweigen dem harrenden Norbert Fragen zu Gehör, Fragen über das geistliche Haus, in welches er sie bringen wolle, und über die Möglichkeit, den Herrn von Starschädel seinen Feinden zu entziehen. »Nicht meinetwegen!« setzte sie rasch hinzu, »wir gehören seit zehn Jahren nicht mehr neben einander. Aber den Jugend- und Glaubensfreund würde ich doch nicht verlassen, wenn ich nicht eine Beruhigung über sein Schicksal hätte. Wollt Ihr mir diese Beruhigung geben, Herr Jaromir?«

Und dabei reichte sie ihm die Hand hin, welche das Festhalten des verhüllenden Tuches wenigstens theilweise aufgab und einen weißen Arm zum Vorschein brachte, den Jaromir Zierotin nie in solcher Enthüllung und Schönheit gesehen zu haben meinte. Denn ein nackter Arm in den Grenzen einer abgewogenen Toilette ist etwas ganz Anderes, als ein nackter Arm, dessen Grenzen unsicher und beweglich erscheinen. Er benutzte feurig diese Gelegenheit, welche ihm solchergestalt niemals entgegen gekommen war, diese Hand Ludmillens zu ergreifen und zu küssen, und Ludmilla rechtete nicht über die Dauer dieses Kusses. Sie unterließ aber eben so wenig, mit Bestimmtheit auszusprechen, daß sie jetzt sehr ermüdet sei, daß sie am nächsten Morgen erst um neun Uhr bereit sein könne, ihn wieder zu sehen, und daß sie fest darauf rechne, auch die vollständige Berücksichtigung des Herrn von Starschädel morgen Früh zu vernehmen. »Daß er, sobald er frei ist, ohne mich weiter reist, ist ein Zugeständniß von meiner Seite, auf welches Ihr rechnen könnt, Herr von Zierotin! Und nun gute Nacht!«

Sie stand auf und geleitete ihn bis gegen die Thür. Er selbst war in einem süßen Taumel: er sah zum ersten Male den Liebeshimmel offen, und die Forderung für den sächsischen Edelmann hörte er kaum. Diese Forderung zu bewilligen, lag durchaus nicht in seiner Absicht, lag kaum in seiner Macht. Denn wozu dann im Angesichte des Marradas und des fernen Lamormain, der ja doch durch Carretto unterrichtet wurde, wozu dann die ganze Expedition mit bewaffneter Macht?! Aber jetzt in seiner Aufregung ließ er das ohne Erwiderung, ließ er das ruhen und eilte nach seinem Zimmer, die Eindrücke seiner Leidenschaft nachzuempfinden und nachzugenießen.

Ludmilla ihrerseits war nüchtern und klug genug, ihn ungefähr so zu beurtheilen, wie er wirklich war, und sein Schweigen auf die Forderung um Hans ungünstig für Hans aufzufassen.

Sie stand nachdenkend still vor der Thür, hinter welcher Norbert verschwunden war. Dann fiel ihr ein, ob sie nicht überhaupt zweifeln dürfe an der Gefahr – sie öffnete rasch die Thür. Da sah sie die Cürassiere auf der Gallerie, da hörte sie die rauhe Stimme Conrads, welcher sein Landsknecht erklärte. Hansens Thür mußte also offen stehen. Sie trat hinaus. Richtig! Zwei Cürassiere lehnten an den Thürpfosten: die Gefahr war nicht übertrieben. – Was thun? Hans mußte unterrichtet werden, damit sein wahrscheinlicher Widerstand nicht vorzeitig und deshalb wirkungslos stattfände. Wie aber? – Und was sollte sie ihm rathen? Diesem Treulosen – ach, sie war doch edel genug, seinen Abfall von ihr durch Sorge um sein Wohl zu vergelten. Sie öffnete ihre Thür, zog das Tuch fest um die Schultern, trat hinaus, schritt rasch durch die erstaunten Cürassiere, schritt rasch durch die beiden Wachen über die Zimmerschwelle Hansens und rief diesem zu: er möge herantreten.

Die Wache hatte nur Befehl, jene zwei Männer nicht heraus zu lassen. Diese weibliche Erscheinung und dieser Verkehr, welchen die Bettbarricade ohnedies trennte, hatte nicht eigentlich was zu thun mit ihrem Befehle. Die Wache sah betroffen zu und betrachtete neugierig die schöne Dame – Ludmilla konnte ungestört mit leiser Stimme Hans mittheilen, was bevorstünde, und ihm rathen, sich morgen streng daran zu halten, daß er sich nur von ihr trennen lasse, wenn sie selbst ihre Einwilligung dazu gebe. –

Erst als sie so weit gekommen in ihrer halblauten Rede, ermannte sich draußen der Wachtmeister der Cürassiere und rief: Niemand darf mit den Gefangenen verkehren! – Ein Rasseln mit den Waffen folgte; Ludmilla wendete sich und eilte in ihr Zimmer zurück.

*

Die Novembernacht schien kein Ende zu nehmen; ein dicker Nebel lag auf den Elbufern, als der Morgen dämmern sollte. Es dämmerte fortwährend nur, es wurde nicht Tag. Auch um neun Uhr noch nicht, als Norbert-Jaromir an Ludmillens Thür klopfte. Sie war innen verriegelt und die Kammerfrau Marianne antwortete: Es sei ja noch nicht Tag!

Hans von Starschädel konnte sich nicht auf solch einen Frauengrund berufen: er mußte folgen oder Gewalt erleiden. Der nüchterne Morgen hatte Norbert die ruhige Ueberlegung wieder gegeben, und ihr gemäß wollte er Starschädel vorausschicken. Wenn Ludmilla dies erführe – meinte er – würde sie mit der Abreise nicht länger zögern, um jenen einzuholen. Und wenn sie ihn nicht mehr einholte, so würde die Bedingung, welche sie gestern Abend gestellt, von selbst zerfallen.

Hans hatte sich klar gemacht, daß jeder Widerstand hier im engen Raume des Gasthofs und der Stadt vergeblich, also thöricht sein würde. Wie ernst es den Soldaten sei, hatte er in der Nacht erfahren. Conrad hatte zum Fenster, welches in ein Gäßchen führte, hingewiesen. Eine Flucht dahinaus – das Stockwerk sei niedrig! – könne doch zweckmäßig werden trotz der verschlossenen Stadtthore! Er hatte das Fenster leise geöffnet, während die Wachen, an den Thürpfosten lehnend, doch wol halb und halb schlummerten, und man hatte entdeckt, daß unten im Gäßchen ebenfalls Cürassierwachen auf- und niedergingen. Es war nur zu klar, daß die Gefangennahme gründlich vorbedacht und vorbereitet wäre. Draußen im Freien bei solchem Novembernebel konnte eher ein Befreiungsversuch gelingen, wenn man bewaffnet und beritten bliebe.

Die Bewaffnung war nicht gering. Conrad hatte Starschädel's und seine eigenen Sattelpistolen mitgebracht gehabt ins Schlafzimmer und hatte diese vier Schußwaffen in zuverlässigen Stand gesetzt während der Nacht.

Als nun Norbert vor der Thür Ludmillens abgewiesen war, trug er dem Fähnrich auf, mit den beiden Gefangenen voraus zu reiten gen Prag, und wenn er ihn bis zum Abfüttern in Sadska noch nicht eingeholt mit der Dame, ohne weiteren Aufenthalt fortzureiten bis Prag und beim Generalcommandanten Don Marradas die Gefangenen abzuliefern.

Der Fähnrich kam also und forderte Hans auf, die Waffen abzugeben und ihm zu folgen.

»Wir werden Euch folgen« – erwiderte Hans – »aber die Waffen liefern wir nicht ab. Wollt Ihr's erzwingen, so kostet's Euch eine Anzahl Eurer Leute. Bedenkt, ob Ihr das verantworten könnt. Ich hab' Euch gesagt, daß ich Botschaft gebracht an den Herzog von Friedland, daß ich unverletzlich sein soll wie ein Parlamentär. Ihr seid gegen mich ausgeschickt – ich weiß es jetzt – durch einen Pfaffen. Seht zu, wie's Euch bekommt, wenn Euch der Herzog von Friedland beim Kragen nimmt, falls Ihr mir ein Haar krümmt. Begnügt Euch also zunächst damit, daß ich Euch folge.«

Der Fähnrich stand unentschlossen. Da rief eine Stimme von der Gallerie herein: »Die Waffen abnehmen, sonst entwischen sie Euch draußen!«

– Das ist die »rothe Feder«!« rief Conrad, und sich zum Fähnrich wendend setzte er hinzu: Das ist ein Jesuiten-Spitzel aus Wien! Ein ehrlicher Reiterfähnrich läßt sich doch mein Lebtag nicht commandiren durch so 'nen Lump?! – »Vorwärts!« – rief der Fähnrich – »die ganze Wache voraus zwei Mann hoch in den Hof hinunter. Ich schließe den Zug.«

Es geschah. Unten standen die gesattelten Pferde. Auch Starschädel's und Conrads Roß. Man ließ den Gefangenen Raum, gesichert aufzusteigen. Man ließ eine Distanz von fünf Schritt vor und hinter ihnen. So ging's durch den kurzen Hausflur. Dort aus der Wirthsstube streckte Medardo seinen Kopf, zog ihn aber eiligst zurück, als Conrad im Vorbeireiten das Pistol gegen ihn richtete.

Auf dem Markte – Ring heißt er überall in Böhmen, Mähren und Schlesien – rief der Fähnrich: »Halt!«

Er kam herangeritten zu Hans und sagte ihm mit gedämpfter Stimme: Setzt Eure Hähne in Ruh' und steckt die Pistolen in die Satteltaschen. Es schickt sich nicht für uns, daß Ihr so drohend zwischen uns reitet. Von uns geschieht Euch nichts, so lange Ihr ruhig reitet. Ich sag's Euch zu.

Hans ging darauf ein und Conrad mußte desgleichen thun. Die Stimmung Beider war eine ingrimmige, weil sie sich ihre Ohnmacht eingestehen mußten und doch die schwere Gefahr nicht abläugnen konnten, welcher sie entgegengeführt wurden. Auch von den Teuffenbach'schen Truppen, von denen Hans in Ermangelung jeder andern Aussicht irgend einen Wechselfall sich selber vorgespiegelt hatte, auch von diesen zeigte sich keine Spur. Und doch schlug die Glocke soeben zehn Uhr vom Thurme Podiebrads. Sie mußten längst da sein, wenn sie von Libitsche über Podiebrad marschiren wollten. Wahrscheinlich berührten sie also die Stadt nicht. Dennoch fand Hans einen kleinen Trost darin, daß der Fähnrich »Links schwenkt!« commandirte. Das ging nach Süden, ging nach dem Thore, durch welches er mit Ludmilla gestern Abend einpassirte. Von dort mußten die Teuffenbach'schen kommen!

Langsamen Schrittes klapperte der Reiterzug über das schlechte Pflaster dem Thore zu. Man sah nicht zehn Schritte vor sich, so dicht war der Nebel. Die Sonne schien plötzlich in ihn hinein, und man bewegte sich wie in einer goldenen Wolke der Elbbrücke zu, die nahe am Thore draußen hinüber führte auf die Prager Straße. Der Nebel lichtete sich mehr und mehr vor der Sonne, man sah das Thor, welches eng und dunkel – Halt! rief der Fähnrich.

Hans schaute und horchte auf mit allen Organen! War es so, wie er gehofft? Ja! Soldatisches Fuhrwerk wälzte sich herein durch das enge Thor; der Fähnrich konnte nicht hindurch. Reiterzug auf Reiterzug folgte, Kanonen folgten, eine Schaar wohlberittener Officiere folgte – Hans schrie mit starker Stimme: »Feldmarschall Rudolph von Teuffenbach!« – Was ist da? antwortete eine Baßstimme aus der Officierschaar, welche links und rechts Platz machte, während ein großer, starker Mann auf einem kolossalen friesischen Gaule still hielt und nach Hans herüberschaute.

Hans gab seinem Rosse beide Sporen und war mit einem Satze dicht neben dem friesischen Gaule.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« – Hans von Starschädel heiß ich, Herr Feldmarschall. Derselbe, welcher vor vier Wochen als Parlamentär vor Bischofswerda mit Euch gesprochen, als Ihr die Lausitz genommen und Eure Reiter bis auf die Höhen vor Dresden streiften. Feldmarschall Arnimb schickte mich zu Euch. – »Richtig! Wie kommt Ihr daher? Ist Arnimb's Vorhut so nahe, daß man Euch gefangen hat?« – Keineswegs! Und nun erzählte Hans sein Schicksal und berief sich darauf, daß er ein Abgesandter Arnimb's an den Herzog von Friedland sei und diesen erst gestern in Kolin verlassen habe, hier aber durch eine Privatintrigue der Jesuiten festgenommen worden sei.

Der Fähnrich war herzugesprengt und gab auf Teuffenbach's Frage die Antwort: Graf Octavio Piccolomini, unser Oberst, hat mich ordonnanzmäßig gesendet.

»Hier halten wir auf, Kinder« – sagte ruhig Teuffenbach – »folgt mir auf den Ring! Dort ist Raum, und im Rathhause wird ein Frühstück zu finden sein.«

Dies sprechend, ritt er weiter, und Hans blieb neben ihm. Er benutzte die Gelegenheit, dem still zuhörenden Feldmarschall ausführlich zu schildern, was sich in Prag ereignet, und welche Stellung Waldstein in diesem Augenblicke einnehme. Binnen acht Tagen – schloß er – ist der Herzog wahrscheinlich wieder Capo der kaiserlichen Armada.

Rasch war Teuffenbach nicht zu gewinnen und zu überzeugen. Obwol ein Soldatenkind, war er bedächtig. Dem Friedländer stand er allerdings nahe; sie hatten in ihrer Jugend schon unter Basta in Ungarn gefochten, und im dänischen Kriege vor sechs Jahren hatte er unter Waldstein die jetzige Höhe seiner Laufbahn erreicht. Er war dem Friedländer geradezu befreundet und war stets in brieflichem Verkehr mit ihm. Aber er war ein vorsichtiger Mann, und in seinen behaglichen Kriegermanieren pulsirte stets eine diplomatische Ader. Auch er war Renegat, war zum Katholicismus übergetreten, und gerade dadurch dem geistlich gesinnten Kaiser und den Geistlichen überhaupt näher empfohlen und – verpflichtet. Daß Hansens Gefangennahme von der Geistlichkeit ausging, war also keine Veranlassung für ihn, dem ketzerischen Sachsen beizuspringen. Im Gegentheile: das machte ihn zäh. Am Ringe stieg er von dem friesischen Hengste ab, welcher noch aus der dänischen Campagne stammte, schüttelte den großen, schweren Körper, fluchte auf den Nebel, befahl ein Frühstück in dem Rathhaussaal, und sagte beiläufig zu Hans: »Sucht Eure Papiere heraus, Eure Beglaubigung von Arnimb, Euer Zeugniß vom Herzoge, und zeigt mir das! Vielleicht kann ich etwas für Euch thun.« – Papiere hab' ich leider gar nicht. – »Oh! – das ist schlimm! – Wer kommt denn da vom Nimburger Thore her? Wahrhaftig, das ist ja der Raschin – ruft den Reiter her zu mir!«

Es war ein einzelner Reiter mit einem Reitknecht. – Hans faßte wieder Hoffnung. Dieser Raschin, ein Unterhändler Waldstein's, kannte ihn ja und wußte, daß er an Waldstein abgeschickt worden von Arnimb.

Aber Teuffenbach war es viel weniger um den sächsischen Gefangenen zu thun, als um Kriegsnachricht, wenn Raschin vom Norden käme. Wie weit sind die Sachsen herein? war also seine erste Frage.

»Sie können gestern bei Zeiten Bunzlau erreicht haben, und ihre Streiftruppen können heut' vor Nimburg erscheinen, Herr Feldmarschall!« antwortete vom Pferd herunter Raschin. – Donnerwetter! schrie Teuffenbach und rief nach seinen Officieren, um Ordre zu geben.

Hans ward darüber vergessen. Er benutzte die Zeit, Raschin ins Gedächtniß zu rufen, daß er ihn kennen müsse und ihm vor dem Feldmarschall bezeugen könne –

– Freilich, freilich! – unterbrach ihn dieser und schwang sich vom Pferde, ein schlank gewachsener, schwarzhaariger Mann von höchstens vierzig Jahren. – Das werd' ich schon thun. Erzählt mir nur rasch, wie weit Ihr mit dem Herzoge gekommen seid; ich habe noch gestern Arnimb gesprochen.

Diesem Raschin war es um diplomatische Neuigkeiten zu thun, wie dem Teuffenbach um kriegerische. Der Gefangene blieb Beiden in zweiter Linie, und doch stand der Fähnrich längst neben Hans und beharrte darauf: der sächsische Herr solle wieder aufsitzen und ihm folgen. Das Nimburger Thor sei noch frei und man könne dort, wenn auch mit einem kleinen Umwege, zur Brücke.

Hans wies ihn ab. Der Fähnrich erklärte nun Gewalt anwenden zu wollen. Teuffenbach war nicht mehr in der Nähe und hatte sich bis jetzt officiell des Fremden nicht angenommen. Der Fähnrich rief also nach seinen Leuten, welche unter dem immer dichter hereinmarschirenden Corps ebenfalls bis auf den Ring vorgekommen waren.

»Zu Fuß, Herr Hans, in die Truppen hinein, und im Gedränge zu irgend einem Thore hinaus!« raunte Conrad über die Schulter Hansens, »die Rosse können wir am Zügel führen, um sie nicht einzubüßen.«

Das schien Hans doch sehr unsicher. Er wollte die Nähe Raschin's und des wahrscheinlich hierher zurückkommenden Feldmarschalls nicht einbüßen. Auch meinte er, da er nun doch wieder in halber Freiheit wäre, Ludmillens eingedenk sein zu müssen.

Er sprach lieber noch einmal in Raschin hinein, daß er lebhaftere Verwendung von ihm verlangen könne. Der Herzog von Friedland werde es ihm nicht vergeben, daß er nicht für einen Botschafter des Herzogs mit Hand und Fuß eingetreten sei. Drüben im Gasthofe schmachte auch Lady Seymour in Gewahrsam desselben Pfaffen, welcher ein persönlicher Widersacher des Herzogs sei, und diese Lady Seymour, die Busenfreundin der Herzogin von Friedland, werde Raschin's flaues Benehmen bei der Herzogin und dem Herzoge zu schildern Gelegenheit finden. Denn eine solche Dame verschwinde nicht für immer, wie man es wol mit einem Ketzer gleich ihm vorhaben und zu Wege bringen könne.

Es bedurfte kaum dieser Mahnung für Raschin. Das Los Starschädel's stand ihm sehr nahe. Als fahrender Unterhändler bald hier, bald da mitten unter Fremden und Feinden, empfand er sehr wohl, was solch eine drohende Lage zu bedeuten habe. Nur seine Gewöhnung und sein Charakter hatten ihn bis jetzt abgehalten, schärfer einzutreten für den sächsischen Herrn. Er hatte sich gewöhnt, still und unscheinbar zu bleiben. Am liebsten wäre er unsichtbar geblieben. Die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, widersprach der Lebensweise, welche er Jahre lang geführt, und diese Lebensweise hatte denn auch allmälig seinen Charakter so ausweichend, geschmeidig und unterwürfig gebildet, daß er kaum noch den Muth besaß, für irgend etwas nachdrücklich aufzutreten. – Es war dieser Raschin ein Abenteurer, aus dem östlichen Böhmen gebürtig, welcher sich Jaroslav Sesyna Raschin von Riesenburg nannte und sich für einen Edelmann ausgab, welchem die Güter confiscirt worden wären, weil er protestantisch und Anhänger des Winterkönigs gewesen. Die Widersacher sagten ihm nach, seine Güter wären im Monde gelegen, und den Namen »von Riesenburg« hätte er sich nur angeeignet, weil er aus dem kleinen Orte Riesenburg stammte. Heut' habe er Raschin, gestern Sesyn geheißen, und nur wo er sich sicher fühle, nenne er sich von Riesenburg. Er habe sich bei Waldstein einzuschmeicheln verstanden durch eine geschickte Bildung, welche er sich in einer Friedland'schen Jesuitenschule anzueignen gewußt, und Niemand läugnete, daß er ein gewandter Mensch wäre. Im Grunde aber traute Niemand seinem Charakter.

Vielleicht that man ihm Unrecht. Hier auf dem Podiebrader Ringe entschloß er sich wirklich, dem endlich zum Rathhause rückkehrenden Feldmarschall Teuffenbach entgegen zu treten und diesem in leiser, bestimmter Rede vorzustellen, daß dem sächsischen Edelmanne geholfen werden müsse, wenn dem Herrn Feldmarschall an der Geneigtheit des Herzogs von Friedland auch nur das Mindeste gelegen sei. Der Lady Seymour drüben im Gasthofe, einer Busenfreundin der Herzogin, gedachte er dabei in geschickter Einschaltung.

Teuffenbach schwieg auf diese Anrede und sah vor sich hin. Es war ihm gar nichts an dem Handel gelegen, und die Nichteinmischung wäre ihm das Liebste gewesen. Diesen Appell des ihm wohlbekannten Friedland'schen Agenten mochte er indessen nicht ganz umgehen. Innerlich war er auch ganz des Wunsches, der Waldstein möchte wieder das Commando übernehmen, und innerlich zweifelte er auch nicht daran, daß er es übernehmen werde, also –

– Also – sagte er dann mit langsamer Betonung – Herr Raschin von Riesenburg, da Ihr einstehen wollt für diesen sächsischen Herrn, so erledigt selbst die Affaire. Ihr beruft Euch darauf, daß der Herzog denselben kenne und protegire – gut! Dem Herrn Herzoge bin ich allezeit zu Willen. Der sächsische Herr sagt, daß der Herzog in Pardubitz sei. Nach Pardubitz reitet man von hier aus bis zum Abend. Ihr, Herr Raschin, seid ohnehin auf dem Wege zum Herzoge. Reitet also zu ihm, und tragt's ihm vor. Ich schlage hier in Podiebrad mein Hauptquartier auf, und bleibe wol wenigstens bis morgen Früh, wenn mir die Sachsen nicht auf den Hals kommen. Bis morgen Früh kann ein Reitender des Herzogs mir die Willensmeinung Seiner Durchlaucht überbracht haben. So lange schütz' ich den sächsischen Herrn und natürlich die Dame. Also reitet, reitet zu! –

Dabei machte er mit seinen grauen Augenbraunen und seinen großen blauen Augen dem Raschin ein zuckendes und zwinkerndes Zeichen, das dieser auch zu verstehen schien, denn er schwang sich unverweilt auf sein Pferd.

Neben Teuffenbach war nämlich während der letzten Worte Norbert erschienen. Das hatte Teuffenbach wohl bemerkt, obwol er es nicht im Geringsten zu bemerken schien. Er war ein schlauer Politicus unter dem Anschein harmloser Biederkeit. Pater Norbert war ihm aus dem Lamormain'schen Kreise in Wien gar wohl bekannt, auch wußte er bereits aus der ersten Schilderung Starschädel's, daß Lady Seymour im Wirthshause und in der Gewalt Norberts sei.

Norbert seinerseits hatte aus den letzten Worten Teuffenbach's errathen, daß es darauf abgesehen wäre, ihm seinen Fang zu entziehen. Er rief also Raschin zu: »Wartet, Herr, hier herrschen Irrthümer!« – und gegen Teuffenbach sprach er: »Der kaiserlich und kirchlich ergebene Feldmarschall von Teuffenbach wird nicht höheren Anordnungen in den Weg treten, und Befehle da einholen, wo keine sanctionirte Autorität wohnt!«

Teuffenbach ging auf diese Anrede gar nicht ein. Er drückte nur seine Verwunderung und Freude aus, den geistlichen Herrn in weltlicher Tracht und in Podiebrad zu finden. Und in welch' merkwürdigem Geschäft! Eine Dame aufzuheben. Schau'! schau'! sagte er, und zwang sich zu einem zeitraubenden Lachen – schau', schau'! was der Krieg auch den geistlichen Herrn für kitzliche Lasten auferlegt –!

Unterdeß war Raschin von dannen gesprengt, und Teuffenbach sagte zu Starschädel und zu den nahe stehenden Officieren, ja, mit recht gutmüthiger Betonung auch zu Norbert: Mein Koch winkt aus dem Rathhause, er ist fertig. Ich kann den Herren, namentlich denen aus Sachsen und aus Wien, etwas vorsetzen, was sie vielleicht nicht kennen. Seit einigen zwanzig Jahren, seit meinem ersten Ungarkriege unter Basta kenn' ich's und genieß' ich's jeden Morgen. »Gulasch-Fleisch« nennt man's. Gute, kleingeschnittene Stücke Rindfleisch mit Paprika-Pfeffer gesotten. Das schmeckt und nährt und reizt zu Wein oder Bier. Ich bitte die Herren, meine Gäste zu sein!

Also scherzhaft sprechend, nahm er Norbert unter den Arm, und schritt ins Rathhaus. Unterwegs machte er in seinen tiefsten Baßtönen Norbert Vorwürfe, daß er nicht früher gekommen wäre. Er hätte ja doch einem geistlichen Herrn viel lieber einen Gefallen gethan, als einem unangenehmen Agenten des Friedländers. Aber Ihr kamt zu spät, fuhr er fort in seinen Baßtönen, die für jeden Dritten unverständlich waren – ich hatte schon zugesagt. Seid übrigens unbekümmert! Ich halte mich nicht länger gebunden als bis morgen Früh, und der Friedländer ist selten rasch zu sprechen. Es wird Zeit verloren gehen. Das Zurückreiten hierher in der Nacht fördert auch nicht, besonders wenn meine Wetterkunde richtig ist. Ich denke, der aufsteigende Nebel giebt Schnee. Der wird einem Reiter aus Pardubitz bis hierher die Wege hinreichend verwirren und länger machen. Seid unbekümmert! Und nun erzählt mir doch, ich bitt' schön: wie steht denn eigentlich die Frage mit Waldstein? Wird er wirklich wieder Capo?

Solchergestalt sorgte der abgefeimt treuherzige Kriegsmann nach der andern Seite, und es war recht wahrscheinlich, daß er am nächsten Morgen wirklich Starschädel der geistlichen Macht überlieferte, wenn des Friedländers Botschaft und Befehl nicht frühzeitig eintraf.

*

Teuffenbach's Voraussicht schien sich zu erfüllen: Raschin schien es nicht erreichen zu können, daß Waldstein's Botschaft bis zum andern Morgen in Podiebrad einträfe.

Schon um die Mittagszeit fing es an zu schneien. Raschin, der alle Wege in Böhmen genau zu kennen meinte, hatte sich darauf eingelassen, den nächsten Richtweg nach Prelauc einzuschlagen. Der dicht und dichter fallende Schnee führte ihn aber mehrmals irre, und der kurze und trübe Novembertag verlor seinen matten Schein, ehe er Prelauc erreichte. Hier mußten die Pferde gefüttert werden. Es war zehn Uhr des Abends, als er in Pardubitz vor der Wohnung des Herzogs vom Pferde stieg.

Rostok, dem er sehr wohl bekannt war, empfing ihn mit stummen Zeichen: er möge kein Wort sprechen und gleich in ein Nebencabinet treten. Ein wichtiger Mann aus Wien – flüsterte er im Nebencabinet – ist drin beim Herrn. Dieser Mann darf Euch nicht sehen; Ihr seid nicht unverdächtig.

Umsonst bestand Raschin darauf: was er bringe, habe Eile. Rostok meinte, jetzt den Herrn nicht stören zu dürfen; denn es sei der Questenberg selbst, der drin mit dem Herrn tractire, und der Herr sei vom Prager Exceß so krank, daß ihn ein Splitterchen »gifte«. Raschin mußte warten. Eine neue halbe Stunde ging verloren.

Endlich wurde er eingeführt und stand vor dem Herzoge, welcher auf einem niedrigen Lehnsessel mehr lag als saß und ganz in Katzenfelle eingenäht war. Er litt Schmerzen, und sein Auge traf den Agenten wie ein Pfeil, als dieser von Podiebrad zu erzählen begann. –

»Schwätzer!« unterbrach ihn der Herzog. »Vom Könige sollst Du sprechen! Wie hat er meinen Vorschlag aufgenommen?« – Ausweichend, Durchlaucht. – »Er kehrt nicht um?« – Nein. – »Wer hat ihn gesprochen? Du oder Thurn?« – Graf Thurn, den ich in Schleusingen traf. Er ist zu ihm geeilt und hat ihm Euren Antrag auseinandergesetzt. Entweder Bündniß mit Euch unter den alten Bedingungen, und dann sofortigen Einbruch mit seinem Heere in die Erbstaaten und Vereinigung mit Euch – oder Durchlaucht übernähme das Commando vom Kaiser, und setzte Himmel und Erde in Bewegung gegen ihn. – »Nun?« – Graf Thurn kam sehr ärgerlich zurück: der Schwedenkönig hatte gesagt: er könnte jetzt nur einige Regimenter abgeben an die Sachsen zum Einfall in die Erbstaaten.

Der Herzog schwieg. Sein Körper zuckte. Waren es nur Gichtschmerzen? Es schien so, denn er sagte endlich: »Wie ich gedacht. Und besser so. So braucht's keiner Theilung. – Jetzt ist Arnimb die Hauptsache. Wie weit ist er? Wie hast Du ihn gefunden? Und wie folgt ihm der Kurfürst?« – Der Kurfürst folgt ihm jetzt gut. Er ist schon aufgebracht über die herrische Art des Schwedenkönigs, und –

Hier schaltete Raschin nun flüchtigen Wortes ein, was ihm begegnet zu Podiebrad und in welcher Gefahr der Abgesandte Arnimb's dort schwebe.

»Rostok!« rief Waldstein. – Rostok erschien. – »Ist Bubna noch in Pardubitz?« – Vor einer Stunde ist er fort. – »Dann – – Du, Raschin, sollst nicht gleich wieder hin. Es macht Dich zu kenntlich. – Wer ist denn – –? Ruf' den jungen Burschen, den Leo – so heißt er ja?« – Leo! – »Ruf' den her!«

Rostok eilte fort. – »Setz' Dich hin, Raschin, und schreibe einen Geleitsbrief von mir. Einen umfassenden. Was der Ueberbringer sagt und will, soll angesehen werden wie von mir selbst ausgehend.

Während Raschin schrieb, versank der Herzog auch mit seinem Kopfe in den Katzenfellen bis an die Ohren, und da er die Augen schloß, so war nur eine unklare Masse von ihm zu sehen. Seine Gedanken waren damit beschäftigt, ob nicht ein junger, unerfahrener Mensch das beste Werkzeug wäre für die wichtigsten Dinge –

Leo trat ein. Waldstein ließ sich den geschriebenen Geleitsbrief reichen sammt einer eingetauchten Feder, welche freilich kaum Haltung fand zwischen den gichtigen Fingern. Dennoch las er erst den Geleitsbrief sorgfältig durch. Dann malte er auf seinem Knie, ersichtlich unter Schmerzen, seine Namenschiffre darunter –

»Drück' in Wachs mein Siegel drunter, Raschin! Deutlich! Meine Schrift ist schlecht. – Du, Leo, höre! Du reitest auf der Stelle mit Raschin's Reitknecht nach Podiebrad und trachtest, am Morgen dort einzutreffen. Dort gehst Du unverzüglich zum Feldmarschall Teuffenbach. Ihm sagst Du, daß ich Dich sende, und weisest ihm den Geleitsbrief vor. Mein Wille sei, daß der Feldmarschall den Herrn von Starschädel, Lady Seymour und Dich mit sicherem Geleit bis an die sächsischen Vorposten führen lasse. Dies sei mein Wille; der Feldmarschall werde in Deinem Geleitsschreiben dies Wort ausdrücklich finden. Sollte er es übersehen, so würde ich es ihm mündlich wiederholen, und zwar spätestens in vierzehn Tagen. Pass' auf! Dies vom »Willen« sagst Du nur, und sagst Du erst, wenn er sich nicht bereitwillig zeigt. – Höre weiter: Dem von Starschädel lass' ich sagen: es sei mir seit einer Stunde noch viel dringender als früher Ernst damit geworden, daß wir deutschen Führer zusammenhielten, und daß ich ihn bitten ließe, dem Feldmarschall Arnimb dies ehrlich und getreu von mir auszurichten. Endlich! Bei den Sachsen angekommen, lässest Du Dich zum Feldmarschall Arnimb führen und bittest ihn um eine geheime Unterredung. Bist Du allein mit ihm, so sagst Du laut: Mein Herr wünscht eine persönliche Zusammenkunft mit dem Herrn Feldmarschall. Er schlägt dazu das Schloß Kaunitz vor, welches dem Grafen Tertschka gehört und zwischen Nimburg und Prag liegt. Der Feldmarschall werde wol schon in den nächsten Tagen die dortige Gegend in seiner Gewalt haben, und er möge mir durch Dich einen Geleitsbrief senden. Alsdann sage leise zum Feldmarschall, so leise, daß nur er es hört: Mein Herr läßt Euch rathen, in continenti auf Prag zu marschiren und Prag zu nehmen. Er steht Euch dafür, daß es nicht einen Mann kosten wird, denn der Hundsfott Marradas reißt aus, sobald die Sachsen auf dem Weißen Berge erscheinen. – Das ist Alles. Hast Du verstanden?« – Alles. – »Du sprichst nur das, was ich Dir gesagt, und nur zu den Personen, die ich Dir genannt. Ein Wort zu sonst Jemand kostet Dich – – aber wozu drohen?! Du bist treu, bist Du?« – Mit Leib und Seele Euch ergeben, Durchlaucht. – »Reich' mir Deine Hand! Aber drück' die meine nicht; ich habe Schmerz. – So! – Ich weiß nicht, Bursch, was in Deinem Auge sitzt, es spricht mich an, wie – – basta, Du hast Eile. Ruf' Rostok!«

Rostok kam und erhielt den Auftrag, Leo tausend Goldgulden einhändigen zu lassen. »Nicht blos für Dich, Patron. Aber ausgeben kannst Du sie neben Arnimb. Sieh Dir die Leute an, welche ihn umgeben, welche für ihn schreiben, welche in der Stille mit ihm reden. Dem Gescheidtesten von diesen Leuten drück' unter vier Augen die Hälfte in die Hand und sag': Vom Friedländer, der Euch kennt als klugen, tüchtigen Mann! – Wenn Du wiederkehrst, sagst Du mir seinen Namen. Genug. Weiter!«

Es war Mitternacht geworden und es schneite leise, aber ununterbrochen. Die Aussicht war gering, daß Leo Podiebrad bis zum Morgen erreichen werde. Wenigstens meinte Raschin's Reitknecht, der neben ihm durch die Nacht dahin ritt: Es sei unmöglich. Bis Prelauc wol könnten sie traben, denn bis dahin sei breite Straße; von da ab würde aber der Weg schmal, und sei bei Schnee und Finsterniß kaum zu finden. »Der Mond kommt um zwei!« erwiderte Leo, »und da hört auch vielleicht das Schneien auf.«

Das traf ein; der Himmel wurde sogar klar gegen Morgen, und Stern auf Stern wurde sichtbar. Aber die einförmige Schneedecke brachte sie noch eine weite Strecke vor Libice vom Wege ab, und sie versanken mit ihren Rossen plötzlich dergestalt in einer Schlucht, daß die größte Anstrengung nöthig war, um nur wieder festen Boden zu gewinnen. Kostbare Zeit ging verloren, und sie war nicht einzuholen durch erhöhte Eile. Sie waren ohne Weg und konnten nur im Schritt weiter, da neues Versinken zu befürchten stand. In solcher Lage überraschte sie die Morgendämmerung.

*

Dieselbe Morgendämmerung wurde in Podiebrad von Norbert mit Ungeduld erwartet. Er hatte am vergangenen Tage und in der eben verflossenen Nacht vergeblich Alles angewendet, Teuffenbach's abwartendes System zu erschüttern. Der Feldmarschall entzog sich ihm auf alle mögliche Weise. Am Tage dadurch, daß er gegen Nimburg hinüber auf Recognoscirung ausritt, des Abends und in die Nacht hinein dadurch, daß er Tafel hielt und nur für die zahlreichen militärischen Meldungen ein aufmerksames Ohr zeigte. Norbert ahnte es, daß ihm die Leute verloren wären, wenn bis zum Morgen eine bestimmte Weisung Waldstein's einginge. Nur die bestimmte Frist blieb seine Hoffnung: der anbrechende Morgen.

Sobald der lichtgraue Schein eines Novembertages über Podiebrad aufging, hatte er seinen Fähnrich, dessen Reiter und Medardo in Bereitschaft gesetzt und schritt über den Ring zum Rathhause, wo er den Marschall zu finden hoffte.

Lady Ludmilla, Hans und Conrad ihrerseits hatten scheinbar ergeben die Henkersfrist abgewartet. Ludmilla war ununterbrochen auf ihrem Zimmer geblieben. Nur einen Versuch hatte sie gemacht, den Feldmarschall zu sprechen: sie hatte ihn bitten lassen, ihr seinen Besuch zu schenken. Teuffenbach hatte sich mit unablässigem Kriegsgeschäfte entschuldigt. Er hatte keine besondere Schwäche für Frauen – wozu das Hin- und Herreden! Sein Adjutant, oder wie er ihn nannte, sein »Adlatus«, hatte ihr übrigens die bestimmte Versicherung überbracht, daß der Feldmarschall eine Freundin der Herzogin von Friedland nach besten Kräften schützen werde. Dieser »Adlatus«, ein bärtiger, stämmiger Officier, machte ihr übrigens den Eindruck soldatischer Zuverlässigkeit, und sie hielt sich für beruhigt.

Conrad hatte natürlich zehn Pläne entworfen, Hans und sich aus dem Thore hinaus zu bringen, war aber überall auf das Netz gestoßen, welches die Hand Medardos überall ausgespannt hatte; denn Medardo war der »Adlatus« des Fähnrichs geworden. Die Cürassierwachen waren Hans und Conrad fortwährend nahe geblieben und hatten sie zur Nacht wieder in ihr Zimmer mit den Bettbarricaden geleitet. Barrikaden waren unter den jetzigen Umständen nicht mehr nöthig, Müdigkeit war vorhanden gewesen nach der Barricadennacht, die Betten waren also in ihr Recht getreten, und die Gefangenen erwachten jetzt aus tiefem Schlafe. – »Das Wetter ist hell geworden«, rief Conrad, »vielleicht kommt des Friedländers Bote doch zur rechten Zeit!«

Sie warfen sich in die Kleider. Hans wollte sogleich aufs Rathhaus. Dort meinte er sicherer zu sein, als hier in der Abgeschiedenheit. Die Cürassierwachen widersetzten sich. Hans und Conrad spannten die Pistolen und hielten sie ihnen vor die Brust, indem sie sich auf den Befehl des Feldmarschalls beriefen. Die Cürassiere fügten sich. – Hans rief vorübergehend ins Zimmer Ludmillens hinein: sie möge ihr Zimmer um jeden Preis behaupten und sich durch nichts herauslocken lassen.

Wie sie befürchtet, fanden sie den Hausflur vor der Treppe von anderen Cürassieren besetzt und Medardo bei ihnen. Die vorgestreckten Pistolen und die Berufung auf den Feldmarschall wirkten auch hier. Medardo entzog sich wie gestern jeder Begrüßung des Bart-Conrad, und die Cürassiere waren längst unsicher, wie weit sie in Widerstand und Angriff gehen dürften. Ihr Fähnrich war nicht da, er war ebenfalls zum Feldmarschall hinüber. Es blieben also nur ihrer zwei zur Bewachung der Lady zurück, die übrigen folgten Hans und Conrad auf den Ring hinaus.

Der war unwegsam. Fußtruppen verließen ihn eben; Geschütze aber mit ihrem zahlreichen Gespann nahmen sogleich, vom südlichen Thore kommend, ihren Platz ein. Es war ein rasselndes Gedränge und ein wüster Lärm. Mühsam und langsam schlängelten sich Hans, Conrad und die Cürassiere hindurch. Auch im Rathhause war lebhafte Bewegung. Ordonnanzen eilten ab und zu. Sie sprengten in den gewölbten Flur hinein bis an die Stiege, wo ein Officier ihre Meldungen anhörte, und hinauf sagen ließ.

Hans drang dennoch die Stiege hinauf. Sein männliches und würdiges Wesen, höflich und doch fest, veranlaßte die Officiere, ihn durchzulassen. Die Cürassiere wurden zurückgewiesen an der Stiege.

Oben im Vorsaale harrte Norbert. Er harrte schon lange und war sehr ungeduldig. Aber es half nichts, er wurde nicht vorgelassen: der Feind sei nahe, hieß es, der Feldmarschall habe für nichts Zeit als für den Dienst.

In der That lauteten die Nachrichten der Vorposten dahin, daß nicht nur Streiftruppen der Sachsen, nein, daß das ganze sächsische Heer im Anzuge auf Nimburg sei. Vielleicht um dort den Uebergang über die Elbe zu erzwingen und solchergestalt das nahe Prag zu bedrohen. Nimburg ist nur ein paar Stunden von Podiebrad entfernt, Teuffenbach's Heertheil war also wol verpflichtet, sich dort dem Feinde entgegen zu stellen. Die Frage war nur noch, ob man wirklich schon das Hauptheer der Sachsen unter Arnimb vor sich habe, und darauf bezogen sich all' die heransprengenden Meldungen, welche der stämmige »Adlatus« an der Treppe in Empfang nahm und dem Feldmarschall hinein berichtete. Gleichzeitig wurde auch das Frühstück des Feldmarschalls, eine große Kanne Warmbier, wohl gewürzt mit Ingwer, hineingetragen.

»Der Morgen ist da!« – rief jetzt Norbert dem vorübergehenden Adlatus zu – »sagt gefälligst, Herr, dem Feldmarschall, daß ich ihn nicht weiter stören will und mit meiner Begleitung abreise.« – Glückliche Reise! erwiderte der bärtige Kriegsmann und verschwand. – »Herr von Starschädel, ich bitte mir zu folgen!« – Mit nichten, Herr! – »So lass' ich Gewalt brauchen!« – Versucht es!

Norbert ging die Treppe hinab, um die Cürassiere zu holen. Hans mußte sich eingestehen, daß die Lage sehr ungünstig geworden. Unter den Vorbereitungen zu einer Schlacht werde der Feldmarschall für eine solche Nebensache keine Aufmerksamkeit haben, und einem sächsischen Kriegsmanne werde Niemand schonende Theilnahme widmen in der Stunde, welche blutigen Kampf mit den Sachsen drohe. Waldstein's Botschaft aber blieb aus, und der Morgen schien sonnenhell in den Saal herein!

Da kam der Adlatus wieder heraus und rief die Stiege hinab: Den Hengst des Herrn Feldmarschalls vorführen!

Der Feldmarschall brach also auf; nun schwand die letzte Hoffnung. Norbert kam denn auch wirklich mit den Cürassieren die Stiege herauf.

Gleichzeitig trat Teuffenbach aus dem Zimmer. Er wischte sich die letzten Frühstückreste aus dem grau gesprenkelten Knebelbarte und grüßte freundlich mit der Hand den entgegenkommenden Norbert, welcher kurz und bündig wiederholte, daß er eben aufbreche, und mit feinerer Betonung hinzusetzte, daß die Seinigen in Wien dem Herrn Feldmarschall zu jedem Gegendienst gewärtig wären.

»Danke! danke!« erwiderte Teuffenbach, indem er die Handschuhe anzog und sich mit seinen großen Augen umsah. Der Adlatus stand an der Treppe und zuckte kaum merklich die Achseln. – »Sagt gefällig dem Don Balthasar« – fuhr Teuffenbach langsam fort gegen Norbert – »daß wir bei Nimburg eine Schlacht gewärtigen müssen und daß er sich mit Prag vorzusehen habe. Ist's wirklich Arnimb selbst schon, so bin ich ihm an Truppenmacht kaum gewachsen, und wenn das ist, so kann ich nicht im Angesicht des Feindes über die Elbe meinen Rückzug nehmen, sagt ihm das! Glaubt Ihr, Herr von –?« – Starschädel, Herr Feldmarschall. – »Glaubt Ihr, daß Feldmarschall Arnimb selbst mit Eurem Hauptheer schon so weit sein könne? Aber Ihr werdet Eure Meinung nicht aussprechen wollen.« – Die Meinung aber, Herr Feldmarschall, muß ich aussprechen, daß mein Feldherr es nimmermehr glauben wird: ein alter Kriegsgenosse des Friedländers habe einen Abgesandten des Friedländers den Pfaffen überliefert. – »Sachte! Sachte!« – Der Herzog von Mecklenburg und Friedland steht bei uns in höherem Ansehen, als, wie es scheint, bei seinen Generalen. – »Sachte, Herr von Starschädel! Das hätte einen Sinn, wenn Ihr einen Geleitsbrief des Herzogs besäßet –« – Und der Herzog von Friedland – unterbrach Norbert rasch den Feldmarschall – ist ein Privatmann. Vorwärts, Herr von Starschädel! – »Der Erste, welcher mich anrührt, ist des Todes!« – Laßt mich nur erst durch, Ihr hitzigen Herren, ich hab' in Kaisers Dienst zu thun – rief lachend Teuffenbach und ging auf die Treppe zu. Dort wendete er sich gegen den Adlatus und sagte: »Also noch eine Stunde für unsere Botschaften, welche alle hierher instradirt sind. Dann mir nach: ich werde auf dem Thurme in Nimburg sein«.

Unter diesen Worten stieg er die Treppe hinab. Er hatte also Hans aufgegeben, da nichts von Waldstein angekommen war.

Für Hans war dies ein Eindruck entscheidender Art. Es trat klar vor ihn hin, daß von nun an jeder Widerstand mit Waffen Thorheit wäre. Mitten unter Soldaten, welche sich für seine Widersacher erklärten, wurde ein persönlicher Kampf hoffnungslos. Er konnte eine Anzahl Cürassiere tödten oder lähmen, ja, er konnte den Fähnrich mit dem ganzen Fähnlein niederwerfen, was half es? Hundert andere Soldaten wurden dann gegen ihn geführt, die ganze Metzelei war zwecklos. Er entschloß sich kühl und trostlos, jeden Widerstand aufzugeben. Trostlos, denn er gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß er dem ärgsten Schicksal entgegengeführt würde.

Ganz anders wirkte dieser Gedankengang in Conrad. Von den Pfaffen nach Wien eingeliefert in die Schranne, konnte er diesmal – das wußte er, wie laut er geprahlt! – dem Galgen nicht mehr entgehen. Und nun fiel Alles von ihm ab, was seit zehn Jahren an Bildung ihm beigebracht war. Das war nicht gering, denn Alles hatte daran gearbeitet, ihn zu zähmen, zu mäßigen und zu veredeln. Das sorgenfreie, stille Leben der Seinigen in Gnadenfrei, wo er immer willkommen war, wenn die Kriegspausen für ihn eintraten, wo sein Kind lieb und herzig heranwuchs, wo das treue, kluge Weib ihn immer mit erhöhter Liebe empfing, wo die fast heilige Frau Amalie ihn immer lächelnd begrüßte, ihn immer langer Unterredungen würdigte. Wie aus einem Bade frischen Quellwassers war er stets aus diesen Unterredungen hervorgegangen, seine wilden Bundschuhgedanken waren immer berichtigt worden. Nicht verworfen, Gott bewahre! Das hätte ihn nur aufgebracht, nein, berichtigt, geklärt waren sie worden durch die menschenfreundlichen Bemerkungen der guten Frau, welche kein Standesvorurtheil zeigte, gar keins. Seine nüchterne Religion aber, die alle Anlage hatte, gar keine Religion zu werden, sie hatte im Pater Dunstan diejenige Opposition gefunden, welche er wohl mochte. Der alte geistliche Herr gab auch nichts auf Redensarten und auf unklare Glaubensforderungen. Aber er ging recte aufs Herz los, er forderte Wahrhaftigkeit, er bewies aus der Natur, aus den nächst liegenden Dingen, daß eine unfaßbar große Macht zum Grunde liege, daß es albern und kindisch sei, wenn der Mensch diese Macht nicht scheue und würdige, und daß ein gotteslästerlicher Mensch zur Bestie herabsinke, wenn er seine Vernunft nicht höre und bilde. – So durchgerüttelt an Herz und Geist war er immer wieder ins Heer zurückgekehrt, und war allmälig so weit civilisirt worden, daß er Ordnung im Dienste und im Verkehr beobachten lernte, daß er regelmäßigem Streben zuneigte, daß er den dienstmäßigen Lohn für seine angeborne Tapferkeit schätzen lernte, daß er als ernannter Rottenführer Behagen fühlte im ordnungsmäßigen Gange der Dinge. – All' diese Errungenschaften sprangen jetzt wie Reifen von einem Weinfasse, dessen junge Gährung noch einmal beginnt. Wozu der Plunder?! dachte er jetzt in Wuth über solchen elenden Ausgang seines Lebens – wozu der ganze kleine Kram von Mäßigung und Rücksicht mitten unter den Schuften, welche doch die Welt regieren?! Und der Zorn verfinsterte ihm Alles, und er wartete bebend vor Wuth nur auf das erste Wort Norberts, welches nun folgen und die Entwaffnung wie Festnahme endgiltig befehlen würde. Denn diesen gleißnerischen, zierlichen Kerl gerade haßte er jetzt so ingrimmig, daß ihm sein Haß gegen die »rothe Feder« wie eine Spielerei vorkam.

Norbert zögerte denn auch nicht, als Teuffenbach die Treppe hinab verschwand, den Cürassieren anzubefehlen, daß sie jetzt auf Leben und Tod ein Ende machen sollten mit der bewaffneten Gefangenschaft der beiden Ketzer, und daß sie dieselben entwaffnen und fesseln sollten –

Er war nur bis zum Worte »fesseln« gekommen, da hatte sich Conrad wie ein Löwe auf ihn gestürzt, hatte ihn bei der Kehle gefaßt, daß die Augen des Schlachtopfers aus ihren Höhlen traten, hatte mit der andern Hand den Körper in die Höhe gehoben und schleuderte ihn jetzt wie einen Ball in die Treppenöffnung hinein, daß Norbert ebenso spurlos verschwand, wie kurz vorher der Feldmarschall im Dunkeln dieser Stiege verschwunden war.

Es war dies so schnell gegangen, daß kein Cürassier hatte zu Hilfe springen können, ja Conrad behielt Zeit und Raum, nach dieser Expedition seinen langen Pallasch zu ziehen und mit erstickter Stimme die Cürassiere heraus zu fordern. Die Pistolen hatte er vor dem Ueberfalle in den Gürtel gesteckt, es war seinem Naturell angemessener gewesen, in äußerster Wuth mit dem ganzen Körper einzutreten.

– Halt! – schrie eine donnerähnliche Stimme – seid Ihr des Teufels?! Damit wartet doch, bis Ihr nichts mehr zu hoffen habt! Ihr seid ja noch eine Stunde lang außer Gefahr!

Diese Stimme gehörte dem Adlatus, welcher übrigens nicht ohne ein Lächeln die Stiege hinabschaute, wo der fliegende Norbert dem heraufsteigenden Fähnrich begegnet war und diesen umgerissen hatte, zu großer Unannehmlichkeit des Fähnrichs, aber zur Rettung des Fliegenden, der solcherweise an einem nachgiebigen Stoffe das Ende seines Fluges erreichte und nicht an der unnachgiebigen Mauer.

Die Rede des Adlatus von einer noch freien »Stunde« hatte übrigens ihre Wirkung geäußert. Die Cürassiere, welche zuspringen wollten, hatten inne gehalten, Hans hatte einen Ruf des Erstaunens ausgestoßen, und auch Conrad hatte nach einer Weile etwas verstanden von der Bedeutung dieser Rede.

Selbst Norbert in seiner unangenehmen Lage auf den Treppenstufen hatte den Inhalt dieser Rede begriffen. Er raffte sich in die Höhe und klomm, zunächst noch etwas schwindlig, an der eisernen Geländerstange herauf, noch im Steigen die Frage ausstoßend: »Was – soll – »die Stunde« – bedeuten?« – Ihr habt's ja selbst gehört, Herr, aus dem Munde des Herrn Feldmarschalls – erwiderte trocken der Adlatus, – daß ich noch eine Stunde hier warten soll auf alle die Botschaften, welche hierher instradirt sind. – »Botschaften – welche den Krieg – betreffen!« lallte Norbert, der sich nur allmälig erholte. – Alle Botschaften! hat der Feldmarschall gesagt, also auch die, welche in Betreff dieser zwei Männer vom Herzoge von Friedland erwartet wird. –

Das war ein Donnerschlag. Erquickend für Hans und Conrad, betäubend für Norbert. Er verkündete, daß die Soldaten ihres alten Generalissimus mehr eingedenk waren, als es den Anschein gehabt hatte, und daß der kluge Teuffenbach nur sorgfältig vermieden hatte, diese Entscheidung dem gefürchteten Pater selbst mitzutheilen. Jetzt konnte der unbekannte Adlatus die Verantwortung in Wien tragen. Er konnte ja den Feldmarschall mißverstanden, und dieser konnte nicht daran gedacht haben – –

»Geduld!« rief Norbert, der sich erholt hatte, »der Feldmarschall wird noch unten sein. Ich eile, ihn zur Entscheidung aufzurufen!« – Der Feldmarschall ritt gerade fort, als ich ins Rathhaus trat! – rief der Fähnrich ärgerlich von unten herauf, wo er sich den Schmutz und Schnee von den Kleidern klopfte. »Die sächsischen Herren können hineintreten in das Rathszimmer«, sagte der Adlatus, »und dort die Stunde abwarten. Alle Anderen müssen den Platz räumen, hier herrscht des Kaisers Dienst. Was ist?«

Die letzte Frage galt einer Ordonnanz, welche die Stiege heraufrasselte. Sie brachte die Nachricht, daß rechts von Nimburg eine furchtbare Kanonade beginne und daß der Sachse in der Richtung von Königstadtl mit Ueberflügelung drohe.

»Das Regiment, welches über die Elbe hinüber nach Kowanice geschickt worden ist, zurückrufen herein nach Podiebrad!« schrie der Adlatus. Die Ordonnanz polterte zurück. – Vorwärts hier oben, wie ich gesagt, hinein! und hinab! Fähnrich abmarschiren mit Euren Leuten! – sagte noch barsch der Adlatus und ging mit Hans und Conrad ins Rathszimmer.

Aber auch die neu gewonnene Stunde schien nutzlos zu verstreichen. Vergeblich spähten Hans und Conrad vom Rathhausfenster auf den Ring hinab, ob sich in dem Fuhrwerksgetümmel ein Bote aus Pardubitz zeigen wolle. Conrad in einer nicht mehr zu stillenden Aufregung: der Zügel seiner Wildheit war einmal wieder gerissen nach langer Zeit, und nun war der Bauernhengst nicht mehr in Ruhe zu bringen. Er stürmte in Hans hinein: durchzubrechen um jeden Preis!

Fast schien es das Rathsamste. Der Adlatus hatte weder Aufmerksamkeit noch Zeit für sie, und gegen Ablauf der Stunde sah man, daß er nun Anstalt traf, dem Feldmarschall zu folgen. Der Kanonendonner war immer stärker geworden, und die Cürassiere des Fähnrichs hatten sich vollzählig vor und in dem Rathhause aufgestellt. Norbert war nicht der Mann, den brutalen Angriff Conrads zu vergessen; er hatte Alles auf den Glockenschlag der abgenöthigten Stunde gerichtet.

Da – in der letzten Viertelstunde – erreichte endlich Leo das Thor von Podiebrad. Aber er kam nur langsam vorwärts zwischen der Wagenburg, welche die Bedürfnisse einer Heeresabtheilung den Truppen nachschleppte. Und was schlimmer war: er fragte nach dem Feldmarschall von Teuffenbach, und erhielt die Kunde, daß der Feldmarschall schon seit einer Stunde nach Nimburg aufgebrochen sei. Dem Feldmarschall aber meinte er folgen zu müssen, weil er voraussetzte, dieser werde die Gefangenen mit sich genommen haben. Glücklicherweise mußte er dazu den Ring passiren. Freilich nur eine schmale Seite desselben, die ziemlich fern vom Rathhause war.

Beinahe wäre das unbemerkt geschehen, weil Leo in seiner Eile und im Gedräng zwischen Fuhrwerken nicht nach der offenen Ringseite umschaute.

Endlich that er dies, und Conrads Falkenauge erkannte ihn. Das Fenster aufreißen und wie ein Löwe hinausschreien, war das Werk eines Nus. Aber er wußte Leos Namen nicht, er wußte nur, daß er den jungen Mann in der Nähe des Friedländers gesehen. Hans sollte helfen, und Hans fand den Reiter nicht sogleich aus zwischen den Fuhrwerken, deren Führer ebenfalls ritten. Leo achtete natürlich nicht auf das bloße Schreien und näherte sich der Gasse, in welche der Ring da drüben mündete. Da sah ihn Hans. Herr Gott! Hans besann sich in der Aufregung nicht sogleich auf Leos Namen! – endlich fiel ihm der Vorname Leo ein, und er rief ihn. Conrad entschied: er schrie das Wort Leo, als wollte er die Mauern von Podiebrad in Trümmer schreien. Leo hörte es, ahnte sogleich den Zusammenhang, sah alsdann die aus dem Rathhausfenster Winkenden und schwenkte hinüber so rasch es möglich war zwischen den Hindernissen.

Als die verhängnißvolle Stunde schlug, stand Leo oben vor dem Adlatus, überreichte ihm den Geleitsbrief und erläuterte ihm, was der »Wille« des Herzogs von Friedland in diesem Falle bedeute. Der Adlatus nickte ergeben, nannte seinen Namen und bat den jungen Botschafter, dem durchlauchtigsten Herrn den Feldmarschall und dessen Adlatus zu empfehlen, letzteren unter Versicherungen unbegrenzter Ergebenheit. »Niemann also?« fragte Leo. – Niemann ist mein Name, entgegnete der Adlatus.

Als ihm Leo anvertraut hatte, daß er noch einen Auftrag des Herzogs im feindlichen Heerlager zu bestellen hätte, rief Adlatus Niemann eine berittene Ordonnanz und schrieb ihr vor, ihn und die Uebrigen so weit rechts gegen Königstadtl hin zu geleiten, daß sie außer dem Bereiche der Schlacht verblieben.

Dem Fähnrich und seinen Cürassieren befahl er abzuziehen. Norbert, welcher mit dem Glockenschlage vor dem Rathhause erschienen war, erkannte nur zu deutlich, daß sein Spiel verloren wäre. Er eilte zum Gasthofe zurück. Vielleicht war noch zu erreichen, was ihm eigentlich doch vorzugsweise am Herzen lag – Ludmilla. Sie hatte ihn zwar seit vorgestern Abend nur einmal vorgelassen und war auch da rückhaltend gewesen. Aber ihr Wesen hatte einen stillen Zug von Verbindlichkeit gehabt, und Herrn von Starschädel hatte sie während der ganzen Zeit nicht zu sprechen verlangt. Er schmeichelte sich, daß da ein Zerwürfniß vorläge, und daß sie vielleicht aus freien Stücken ihm folgen könnte.

Auch darin hatte er sich getäuscht. Sie blieb verbindlich, lehnte aber ab und schloß sich dem Zuge an, welchen die reitende Ordonnanz führte und welcher vom Gasthofe aus sich in Bewegung setzte.

Norbert war nicht zu sehen, als man zu Pferde stieg, und Conrad hatte umsonst alle Winkel durchstöbert, um der »rothen Feder« ansichtig zu werden, für welche er so viel auf dem Herzen hatte. Die »rothe Feder« war dieser Herzensergießung sorgfältig aus dem Wege gegangen, sie schien in die Lüfte geflogen zu sein.

Es war ein sonniger Tag geworden, als der Zug draußen ins Freie gelangte; es thaute sogar. Der Zug lenkte gleich vor dem Thore rechts ab von der Nimburger Straße und aus dem Soldatengetümmel hinaus. Er kam nun rasch vorwärts. Immerwährender Kanonendonner geleitete ihn von links her. Erst als der Kanonenschall hinter ihnen war, verließ die berittene Ordonnanz den Zug, von Ludmilla reichlich beschenkt.

Das Städtchen Königstadtl lag vor ihnen im matten Scheine der Nachmittagssonne und ein Reitertrupp links vor der Stadt wurde sichtbar. Conrads scharfes Auge erkannte, daß es Sachsen wären, und er sprengte querfeldein ihnen entgegen. Er brachte die Nachricht zurück, die Schlacht schiene gewonnen zu sein, denn die ganze sächsische Linie rücke seit Mittag ununterbrochen vor. Der Feldmarschall Arnimb, dessen Hauptquartier am Morgen in Skrehlab gewesen, werde am Abend in Nimburg zu finden sein. Der Zug wendete sich also beim nächsten Wege links auf Nimburg zu.

Die Vermuthung der sächsischen Reiter bestätigte sich: die Schlacht war von den Sachsen gewonnen, Teuffenbach war in vollem Rückzuge über Podiebrad, die Sachsen hatten Nimburg, den Uebergangspunkt an der Elbe, mit stürmender Hand genommen. Der Zug, jetzt mitten unter protestantischem Kriegsgetümmel, wurde vor das Rathhaus am Ringe gewiesen. Dort sei der Feldhauptmann mit seinen Generalen abgestiegen.

Nachdem für Lady Ludmilla nicht ohne Schwierigkeit und nicht ohne reichliche Geschenke ein Unterkommen gewonnen war, gingen Hans und Leo nach dem Rathhause, um Arnimb zu sprechen. Leo wurde seine erste diplomatische Rolle dadurch sehr erleichtert, daß Hans gar nicht fragte und ihm auch den Vortritt ließ. Tapfer trat der jüngste Diplomat ein, um dem ernsthaften Kriegsmanne Waldstein's inhaltsschwere Worte mitzutheilen und sich nach einem Schreiber umzusehen, der ein halbes Tausend Goldgulden vertragen und gut verwenden könnte.

Hans wartete außen und ward von eben jenem Schreiber angeredet, welchen Leo suchen mochte. Diese rechte Hand Arnimb's für Federarbeiten, die im dreißigjährigen Kriege schon eine große Rolle spielten, fragte Herrn von Starschädel, ob er seinen Diener schon gesprochen. »Meinen Diener?« – Ja, Euren alten Reitknecht. Er kam, bald nachdem Ihr gegen Prag aufgebrochen, in unserem Hauptquartier an und klagte sehr darüber, daß er Euch nicht fände. Er hätte dringende Nachrichten für Euch von den Eurigen daheim. Er ist hinten unter unserm Train mitgekommen, weil ich ihm sagte, Ihr würdet nächster Tage wieder bei uns eintreffen – seht, da unten an der Treppe steht er und fragt. –

Es war Tartsch, der in den zehn Jahren recht alt geworden war. Hans war mit dem Zuge Ludmillens durch den Bagagetrain geritten nach Nimburg herein. Das hatte Tartsch erfahren und war spornstreichs seinem Herrn gefolgt.

Er überreichte Hans ein Schreiben. Hastig riß dieser es auf, und las es. Es schien ihn zu betrüben und zu erschüttern. Schweigend sah er vor sich hin, als er damit zu Ende war. Dann las er es langsam noch einmal. Es war von Marie Loß, der Schwester Ludmillens und lautete wie folgt:

Mein lieber Vetter! Meine gute Mutter, Frau Amalie, ist recht krank, und ich wünschte wol herzlich, daß Ihr hier wäret. Mir ist so bange! Die Mutter hat viel zu leiden gehabt in den letzten Wochen, und nicht blos körperlich. Die Geistlichen haben ihr schweren Kummer gemacht. Zuerst der unserige, welcher unsern Gottesdienst ändern wollte, dann ein neuer, recht bös aussehender Pastor, den man Professor nennt und der aus Jena gekommen ist. Er hat eigenhändig unsere Kirche verschlossen und hat sich sehr gezankt mit Pater Dunstan. Letzterer ist sehr heftig geworden und will fort, kurz, es ist große Verstörung bei uns und Deine Anwesenheit, lieber Vetter, wäre recht nöthig. Spath meint, Mutter Amalie sei in Lebensgefahr. O Gott, o Gott, was wäre das für ein Unglück! Ich weine den ganzen Tag. Komm nur ja, wenn Du irgend kannst! – Möge es Euch besser ergehen als uns, lieber Vetter! Dies wünscht von ganzem Herzen Eure sich recht sehnende und Euch treu ergebene – Marie.

Hans stand unter einer trüb brennenden Laterne neben der Treppe; ihr trüber Schein beleuchtete sein Gesicht, welches eine tiefe, herzliche Trauer ausdrückte. Worte dafür suchte er und fand er nicht.

»Schlecht steht's in Gnadenfrei« – polterte Tartsch – »'s geht immer schlecht, wenn der Herr fast niemals zu Hause ist!«

Hans faltete endlich den Brief zusammen und gab ihn an Tartsch. »Trag' ihn« – sagte er – »hinüber zu Lady Ludmilla. Sie wohnt dem Rathhaus gegenüber beim Bäcker. Ich lass' ihr sagen, daß ich morgen Früh nach Gnadenfrei reite, und lass' sie fragen, ob sie mich begleiten wolle. Die Antwort bringe hierher.«

Tartsch ging; Hans stieg langsam die Treppe wieder hinauf. Arnimb Bericht zu erstatten über die Unterredung mit Waldstein war noch seine Aufgabe. Ob ein Kriegsmann weniger beim siegreichen sächsischen Heere sei, war für jetzt ziemlich gleichgiltig.

Als er oben ankam, öffnete sich just die Thür: Leo kam zurück. Arnimb mit ihm bis an den Vorsaal. Arnimb, ein hochgewachsener, knochiger Mann von nordischem Schlage mit lichtem, kurzem Haar und langem Kinnbart, rief nach dem Schreiber und nickte Hans entgegen. Der Schreiber kam und empfing von Arnimb den Auftrag, sogleich den Geleitsbrief aufzusetzen für den Herzog von Friedland und ihn Leo einzuhändigen.

Darauf trat der Feldmarschall mit Hans ins Zimmer zurück. – Nun, Freund, mit einem Worte: Was steht zu hoffen von ihm? – »Ich fürchte: Nichts. Er wird temporisiren, endlich den Oberbefehl übernehmen und uns bekämpfen, obwol er weiter mit uns unterhandelt. Zunächst wird er den Schwedenkönig beseitigen wollen, und wenn ihm das gelingt, wird er uns seine Bedingungen vorschreiben.« – Im Sinne des Kaisers? – »Nein.« – Das läßt sich hören. Umwege braucht er und wir müssen Opfer bringen, wenn eine deutsche Allianz zu Stande kommen soll. Ich bin bereit dazu und sorge nur, der Kurfürst wird darin nicht weit genug mit mir gehen. Der jetzige Schritt ist schon groß: Waldstein weist mich direct nach Prag. Darf ich trauen? – »Jetzt unbedingt. Es liegt ihm daran, die kaiserliche Sache an den Abgrund zu bringen, damit er unentbehrlich erscheine und den theuersten Kaufpreis stellen könne für sich.«

Hans schilderte nun seinen Eindruck vom Herzoge ausführlicher, konnte aber Arnimb nicht bewegen, die Hoffnung so herab zu stimmen, wie er selbst. Arnimb gehörte zu den Patrioten, welche man heute mittelstaatliche nennt. Die Herrschaft des deutschen Kerns, der echten deutschen Stämme wollte er erhalten, wo möglich erhöht sehen. Nur dies zu erreichen war er zu mannigfaltigen Opfern entschlossen, und war auch in der Religionsfrage, obwol ganz guter Protestant, zu einem nur leidlichen Ausgleich bereit. Er war in langer Kriegsübung gereift, war ein praktischer Staatsmann geworden und man konnte damals hoffen, er werde eine durchgreifende Vermittlung zwischen den katholischen und evangelischen Reichsständen zu Wege bringen. Sein eigensinniger Kurfürst auf der einen Seite und der unberechenbare Waldstein auf der andern Seite konnten vielleicht durch ihn vereinigt werden. Gelang das, dann wurde der deutsche Krieg in einem guten deutschen Sinne beigelegt.

Sein politisches Gespräch mit Hans wurde durch den Eintritt des Grafen Thurn unterbrochen. Dieser unermüdliche Verschwörer war jetzt beim sächsischen Heere, wie er seit der Niederlage am Weißen Berge bei jedem Heere gewesen war, das gegen die habsburgische Macht ins Feld zog. An seiner Seite trat Ludmilla ein, welche Arnimb seit Jahren kannte.

Sie fragte, ob Thurn's Hoffnung begründet sei, ob man über die Elbe gehen und nach Prag rücken werde? Arnimb bejahte, und setzte hinzu, daß er sogar binnen wenig Tagen in Prag einzurücken hoffe. Ludmillas Auge leuchtete. Sie schien innerlich in großer Aufregung zu sein. »Ich bitte, Herr von Starschädel, auf ein Wort!« sagte sie mit bebender Stimme und ging mit ihm in eine ferne Ecke des großen Zimmerraums. »Hier ist Euer Brief meiner Schwester« – sagte sie dort – »reist mit Gott; ohne mich. Thurn hat mir zugesagt, das Haupt meines Vaters in Prag mir einzuhändigen. Dies ist meine heiligste Pflicht. Dies Haupt in Ehren zu bestatten, ist die heiligste Pflicht der Loß'schen Töchter. Ich bitte Euch, mir Marie nach Prag zu senden. Stirbt Frau Amalie, wie der Brief fürchten läßt, so kann das junge Mädchen ohnedies nicht mehr bei Euch bleiben. Die Gräfin Tertschka nimmt sie auf, wenn ich kein dauerndes Asyl in meiner Heimat finde. Ein Theil meiner Leute wird mit Euch gehen, um sie her zu geleiten. Seid bedankt für alle die Güte, welche Ihr meiner Schwester habt angedeihen lassen, grüßt Frau von Jörger, wenn Ihr sie noch am Leben findet, von mir. Ich lasse ihr ebenfalls danken für die Erziehung Mariens, und – lebt wohl!«

Die Stimme versagte ihr, sie wendete sich und ging zu Thurn und Arnimb hinüber.


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