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4.

Leo war, während Waldstein die wichtige Unterredung mit Starschädel hatte, in Gesellschaft des Marchese Carretto und des Pater Norbert über die Brücke wieder zurückgegangen nach der Kleinseite, und auf der Hauptstraße derselben in ein stattliches Haus geführt worden.

Dies war dasselbe Haus, welches vor zehn Jahren die wüsten Scenen einer verunglückten Synode gesehen hatte, es war Budowa's Haus. – Die Besitzungen der besiegten Rebellen waren vom Kaiser in Beschlag genommen und großentheils an die Führer der kaiserlichen Sache verschenkt worden. Dieser Vorgang, welcher sich bald wiederholen sollte, hat es zu Wege gebracht, daß die meisten großen Herrschaften in Böhmen seit Jahrhunderten nicht mehr böhmischen Eingebornen angehören. Die Mehrzahl derer, welche auf dem Prager Ringe 1621 hingerichtet wurden, führten streng slavische Namen, welche unserer Geschichtsschreibung nie geläufig geworden sind. – Dworschetzky, Konetzschlumsky, Michalowicz – und nur Einzelne von ihnen sind mit Namen und Gut nicht incognito verschwunden. Unter diesen Einzelnen stand Budowa obenan, weil er sich durch Bildung obenan gestellt hatte. Seine Güter waren ebenfalls vertheilt worden; nur sein Haus auf der Kleinseite war noch in der Hand des Kaisers. Es wurde gewöhnlich dem militärischen Befehlshaber angewiesen, und war damals was wir jetzt die »Commandantur« nennen. Don Balthasar Marradas bewohnte es seit kurzer Zeit.

In dieses Haus traten der Marchese, Norbert und Leo. Der Marchese war Gast bei Don Balthasar und führte Leo auf seine Zimmer. Norbert ging sogleich zu Don Balthasar selbst, mit welchem er genau bekannt war. Die Jesuiten bemächtigten sich vorzugsweise dieser wälschen und spanischen Officiere, welche der Ansteckung durch Ketzerei am Fernsten standen und als Fremdlinge hingebender waren für den Orden. Es war im Sinne des Ordens ganz natürlich, daß in so lang dauernder Kriegszeit der Verkehr mit den wichtigen Kriegsleuten eifrig gesucht und gepflegt wurde von den Jesuiten. Norbert, aus Cavalierkreisen stammend und schon im böhmischen Kriege mit den Männern des Feldlagers vertraut, war ebenso natürlich als besonders geeignet erachtet worden, die Dienste des Ordens unter den Kriegsleuten zu versehen. Pater Lamormain hatte damals nach der Schlacht am Weißen Berge den reuig Zurückkehrenden zwar streng aufgenommen; aber er hatte ihm vergeben, hatte ihn für seine Staatsgeschäfte ausgebildet und verwendet, und hatte ihn jetzt, seit der Friedländer vom Kaiser wieder berufen worden war, nach Prag geschickt, damit er den Verkehr mit dem Herzoge leite und diesen räthselhaften Mann zu ergründen trachte. Denn räthselhaft war er auch für Lamormain, war er auch für die Jesuiten. Die Meinung über ihn war unter den Ordensführern getheilt. Die stilleren und ernsteren hatte er für sich. Sie wiesen darauf hin, welchen herrschenden Einfluß er ihren Schulen gestattete, mit welcher königlichen Freigebigkeit er sie überall einführte auf seinen Besitzungen. Dem war allerdings so: Waldstein that systematisch erstaunlich viel für Lehre und Unterricht, und that dies Alles durch die Jesuiten. »Er ist unser Schüler von Jugend auf gewesen« – riefen jene Stilleren und Ruhigeren – »wir haben ihn zurückgeführt in den Schooß der Kirche, er ist uns treu bis zum Grabe, wie grell er sich auch manchmal äußern mag. Er ist eben ein scharfes Schwert nach allen Seiten, auch mit dem Worte. Ein Kriegsherr spricht oft blutig; seine Thaten aber sprechen milde und erbaulich und sprechen für uns.«

Diese Meinung theilte Lamormain nicht. Er mißtraute dem Friedländer und hatte Norbert stets eingeweiht in alle die mißtrauischen Gedanken, welche er hegte über den räthselhaften Mann. Er hatte ihn jetzt mit Instructionen nach Prag gesendet, welche weit reichten. Ja, es war große Noth im katholischen Lager, und man bedurfte dringend eines Heerführers, wie Waldstein unwidersprechlich einer war! Aber die Andeutungen über seinen geheimen Verkehr mit dem Schwedenkönige waren doch sehr beunruhigend, sein Verkehr mit dem ketzerischen Arnimb doch zu ausgedehnt und wahrscheinlich von ganz anderer Beschaffenheit, als die Ermächtigung des Kaisers zu Friedensunterhandlungen vorausgesetzt hatte. Wenn er, der gereizte und beleidigte Mann, doch ein Verräther war, so war er's in so großem Style, und die Folgen konnten so ungeheuer sein, daß ein kühnes Eingreifen, eine kühne Hemmung wol geboten schien.

Das sollte Norbert in Prag ermitteln und erwägen; im Nothfalle sollte er ein Aeußerstes wagen.

Er war schon mehrere Wochen da; er hatte den Herzog mehrmals gesprochen. Seine Eindrücke waren der Art gewesen, daß er an den Verrath Waldstein's glaubte. Die unbedachten Reden Ludmillas hatten ihn darin bestärkt. Freilich war er dieser Frau gegenüber noch immer tief befangen. Sein sinnlicher Mensch begehrte sie noch ebenso heftig wie vor zehn Jahren, und die Möglichkeit eines tollen Streiches, eines wahnsinnigen Versuchs fuhr ihm noch jetzt zuweilen wie eine glühende Wolke über Auge und Sinn. Aber auch dies diente zur Bestärkung seines Verdachts. Er meinte zu empfinden, daß sie ihn viel kälter und spröder behandelte als früher, und daß sie mit einer befremdlichen Sicherheit die Rache andeutete, welche sie an seiner Partei zu nehmen gedächte. Diese Sicherheit berief sich wol nicht direct auf den Herzog, aber Norbert fühlte heraus, daß der Herzog dabei eine Rolle spielte.

Da war heut Abend der Marchese Carretto vom Herzoge gekommen und hatte ihm erzählt was vorgegangen. Der Name »Hans«, das Benehmen der Frauen, die Einmischung Ludmillas hatte ihn wie ein Blitz erleuchtet. Er zweifelte nicht mehr, daß der Herzog im eigenen Interesse mit den Sachsen unterhandle, daß er Gefährliches vorhabe und daß es Zeit sei, zu handeln. Wenn man zunächst dieses ihm ohnehin tief verhaßten Edelmannes aus Sachsen habhaft werden könnte, so ergriff man vielleicht eine erste, wirkliche Schlinge des Friedländer'schen Netzes.

Dies zu bewerkstelligen verließ Norbert im Hausflur den Marchese und wendete sich nach den Gemächern Don Balthasar's. Er unterließ nicht, im Fortgehen dem Marchese zuzuflüstern: Versprecht dem jungen Blute da einen Empfehlungsbrief an Jemand im Hause des Herzogs; ich besorge denselben –

Der Marchese stieg mit Leo die Treppe hinauf und befahl im Vorbeigehen ein Nachtessen. In seinen Zimmern machte er's dem jungen Manne behaglich und bequem – man setzte sich zu Tisch, man aß und trank vortrefflich. Leo fand die große Welt ganz so wie er sich gedacht: Alles war rosig, Alles war leicht. Welch ein feiner, liebenswürdiger Mann war dieser Marchese! – Das war er auch. Aus guter Familie, aber ohne große Geldmittel, war er jung in die Welt hinaus gekommen und hatte sich sein Fortkommen suchen müssen. Geschickt und fleißig hatte er das zu Wege gebracht. Der Krieg beherrschte die Welt, der junge Carlo hatte sich der Kriegswissenschaft gewidmet; weniger der Kriegsübung als der Wissenschaft. Er war von zarter Leibesbeschaffenheit, und man hielt ihn nicht für geeignet, die Strapazen des Feldlagers durchzumachen. Deshalb, und weil er sich durch geistige Fähigkeit hervorthat, hatte man ihn vorzugsweise in der Kanzlei des Hofkriegsrathes verwendet. Er hatte wol ein paar Feldzüge mitgemacht, aber eigentlich keinen in voller Dauer. Immer war er zu Botschaften verwendet, immer wieder nach Wien berufen worden, um im Kriegsrathe gehört zu werden. Waldstein selbst hatte ihn nach dieser Richtung gefördert; der junge Mann mit aufgewecktem Geiste war ihm angenehm gewesen, und er hatte denselben auf die Empfehlungen aus Wien von Grad zu Grad erhöht. Erst bei der Regensburger Katastrophe war er ihm verdächtig geworden als Adept des Hofes, welcher mehr zu den Herren in Wien neige als zum Generalissimus im Felde. Dieser Verdacht war im letzten Jahre sehr bestärkt worden. Es hatte sich immer deutlicher gezeigt, daß der junge Marchese Carlo Carretto eine nicht unwichtige Stimme im Kriegsrathe führe, und Questenberg, Waldstein's ergebener Rath in der Wiener Kriegskanzlei, hatte in seinen Briefen an Waldstein mehrmals durchschimmern lassen, daß der junge Marchese sehr unabhängig in Betreff des Herzogs zu sprechen und zu stimmen pflegte. Kurz, der junge Marchese galt für einen Hof- und Kanzlei-Soldaten, welchem Hof-, Priester- und Weibergunst in Wien die Mittel verschafft hätten, ein Regiment auszurüsten.

Der Marchese war kaum dreißig Jahre alt, und diese Jugend hatte etwas Anheimelndes für Leo. Leo erzählte bei dem Nachtmahle mit vollem Zutrauen seine Lebensschicksale, seine Hoffnungen, und glaubte treuherzig den Versicherungen des Marchese, daß der junge Springinsfeld unterstützt werden solle von Seite des Marchese selbst und von Seite derer, welche dem Marchese nahe stünden.

Der Marchese versprach dies auch mit gutem Fuge. Leo war ja ein Jesuitenzögling und stand dem Friedländer noch fern. Der Enthusiasmus für den Herzog störte nicht besonders. Der wird sich mit der Zeit schon legen, dachte der Marchese, wenn der junge Mensch das doppelzüngige Getriebe des ehrgeizigen Herzogs eine längere Weile in der Nähe angesehen haben wird! Man muß ihm nur, dachte er weiter, jetzt schon einige Gesichtspunkte eröffnen, welche den richtigen Weg zeigen! – Das that er denn und that es vorsichtig. Der Herzog, sagte er, sei wol geneigt zu Ausschreitungen gegen die kaiserliche Macht. Aber das seien doch wol mehr Wallungen als Absichten, und redliche Männer in seiner Umgebung würden ihm wol abrathen. Solch ein redlicher Mann könne allmälig auch Leo werden, wenn er im Hause des Herzogs Fuß fasse und – von den Absichten und Verhältnissen in Wien gut unterrichtet sei. Dann könne es an richtigen und nützlichen Winken für den Herzog nicht fehlen. Er, der Marchese, wolle es daran nicht fehlen lassen, wenn Leo regelmäßig anfrage. Regelmäßig müsse das geschehen; etwa jeden Sonntag möge er dem Marchese einen kurzen Bericht senden über das, was bei dem Herzoge vorgegangen sei. Bis zum nächsten Sonntage werde er von ihm, dem Marchese, zum Austausche einen kurzen Bericht aus Wien haben. Leo war höchlich erbaut von solcher Güte, welche ihm so viel Bedeutung verleihe. Und damit denn auch der Anfang wirklich gewonnen wird – fuhr der Marchese fort – will sagen, der wirkliche Eintritt in den Dienst des Herzogs, so wird Euch der Herr Pater Norbert noch heute Nacht eine Empfehlung schreiben an eine nicht unwichtige Person im Dienste des Herzogs. Zu dieser Person geht Ihr morgen Früh bei Zeiten, und mit ihr oder ohne sie – je nachdem diese Person es rathsam erachten wird – verfügt Ihr Euch dann zu Eurem Gönner, dem Kammerdiener Rostok, daß er Euer heute zufällig abgerissenes Verhältniß mit dem Herzoge neuerdings wieder anknüpfe. Daß Ihr bei mir übernachtet, braucht Ihr dem Rostok nicht zu erzählen, es könnte Euch schaden; denn ich war heute gerade etwas herb gegen diesen Kammerdiener. – Ich höre Schritte draußen; man wird noch Geschäfte für mich haben. Trinkt Euren Wein aus und verfügt Euch zu Bett. Ihr seid müde!

So geschah's. Dankend für alle Freundlichkeit ließ sich Leo bis zum Schlafcabinet geleiten und warf sich dort, glücklich über die zahlreichen, günstigen Anknüpfungen, aufs Lager. Der Schlaf ließ den jungen Burschen nicht warten und drückte ihm in Gestalt eines Engels, welcher unverkennbare Aehnlichkeit mit Magna hatte, die Augen zu.

Der Marchese eilte in sein Zimmer zurück und fand da, wie er erwartet, Don Balthasar und Pater Norbert. Sie kamen vom Herzoge, der sie so ungnädig fortgejagt. Don Balthasar war eingeschüchtert; Pater Norbert verlangte entschlossenes Vorgehen; der Marchese hielt einen entscheidenden Ausspruch noch zurück – da wurde dem Pater Norbert gemeldet, der kleine Herr sei da, der lichtblaue, und wolle ihn sprechen. »Herein mit ihm!« – Er will Hochwürden allein sprechen! – »Ich komme!«

Der kleine Lichtblaue, welcher draußen in dunkler Ecke wartete, war Herr Tocke. Bei unsicherer Beleuchtung erschien er noch gerade so wie vor zehn Jahren. Solch ein Lichtblonder erhält sich musterhaft, besonders wenn er sich nichts zu Herzen nimmt. Und Herr Tocke hatte sich in den zehn Jahren nichts zu Herzen genommen. Sein »Geschäft« war gut gegangen. »Geschäft« nannte er die Lebensaufgabe, der erwählten Macht so förderlich zu dienen, daß die erwählte Macht ihm dankbar sein müsse. Aus solcher Dankbarkeit – sagte er zu sich – entsprießt dir die Blume des Behagens, denn man bezahlt und befördert dich immer besser und besser. Mehr kannst du nicht verlangen. Man muß einfach sein im Ziele und treu bleiben im einmal erwählten Wege, so lange die erwählte Macht eine Macht bleibt.

Solchen Sinnes hatte er zahlreiche Missionen erfüllt, welche ihm die Jesuiten aufgetragen. Missionen waren an die Reihe gekommen, denn in Wien selbst waren seit Beendigung des böhmischen Krieges die Widersacher und die Schwierigkeiten verschwunden. Als ursprünglicher Protestant war er vorzugsweise geeignet, den Kundschafter in protestantischen Lagern und an protestantischen Höfen abzugeben. Er war also lange in Dresden gewesen, hatte intime Freundschaft gepflegt mit dem dortigen Hofprediger, welcher dem Kurfürsten mit Rath und That zur Seite ging, war dem Kurfürsten selbst nahe gekommen und hatte sich sogar zweimal Aufträge an den Schwedenkönig Gustav Adolph errungen. Auf diese Weise hatte er im Mittelpunkte der protestantischen Absichten gesessen, und wäre nicht das Restitutionsedict gekommen, so hätte seine Mission gewiß auch äußerliche Früchte getragen – von da an aber mußte er wiederholt melden, daß Alles ins Stocken gerathe und daß der völlige Abfall Sachsens nicht mehr zu vermeiden sei. Er war nun abberufen, und es war ihm eine andere, sehr kitzliche Aufgabe zugewiesen worden. Durch dritte, unverfängliche Hand hatte man ihn dem Herzoge von Friedland empfohlen. Als einen neutralen Kunstkenner, der mit der Feder umzugehen wisse und schätzenswerthe Anknüpfungen habe im Norden wie im Süden, unter den Protestanten wie unter den Katholiken. Der Herzog war mit der künstlerischen Ausschmückung seines Prager Palastes beschäftigt, er hatte italienische Maler kommen lassen, und die Frescomalerei im großen Saale machte es ihm wünschenswerth, einen Kenner an der Seite zu haben. Als solch ein Amanuensis war Herr Tocke schon fast seit einem Jahre im Friedländer'schen Palaste und machte sich dem Herzoge so nützlich und angenehm als es nur möglich war. Er klagte freilich in seinen Berichten, daß es sehr langsam ginge mit der Annäherung an die eigentlichen Geschäfte des Herzogs, denn der Herzog habe die üble Gewohnheit, den schriftlichen Verkehr in politischen Dingen zurückzustellen neben dem mündlichen; aber Mancherlei falle doch immer ab. Und so war er bis zu dieser Stunde in des Herzogs Hause verblieben und kam jetzt zu seinem Gönner, dem Herrn Pater Norbert, um Auskunft zu geben: wie er die Lage der Dinge anschaue.

Pater Norbert hatte ihn in sein Zimmer geführt. Die Unterredung war kurz, es handelte sich nur um die letzten Beobachtungen Tocke's; denn Norbert hatte ihn erst vor acht Tagen ausführlich gesprochen, und jetzt war es spät am Abend; Herr Tocke wollte nicht auffallen dadurch, daß er gegen Gewohnheit erst in der Nacht heimkehrte. Zehn Minuten hatten genügt. Herr Tocke huschte die Stiege hinab! Pater Norbert kehrte zu Don Balthasar und dem Marchese zurück.

»Ich bin bestärkt in meiner Meinung« – sagte er, mehr gegen den Marchese, als gegen Marradas hin – »der Herzog ist in verrätherischer Unterhandlung mit den Ketzern und arbeitet an Plänen, die furchtbar werden können, wenn wir ihn nicht unterbrechen. Ich bleibe dabei: er muß aufgehoben werden, wir müssen uns seiner Person versichern.«

Don Balthasar Marradas stieß einen ächzenden Seufzer aus.

»Er geht wirklich morgen Vormittag. Wollt Ihr's unternehmen, Don Balthasar?« – Kann ich's? stöhnte dieser. – »Die zwei Regimenter, welche in Prag liegen, sind nach seiner Zeit geworbene« – Und doch sehen sie zu ihm empor wie zu ihrem Herrn! unterbrach Don Balthasar. – »Das nicht!« schaltete der Marchese ein – »die zwei Regimenter thun was wir befehlen.« – Oberst Sparr freilich ist in Prag! – »Wie?!« rief der Marchese und Marradas. – Ich habe es eben erfahren. Er ist jetzt beim Herzoge. Ist sein Regiment in der Nähe? Das müßt Ihr doch wissen, Don Balthasar! – »Freilich müßt' ich's wissen, wenn dieser Sparr Ordre parirte. Das thut er aber selten. Gemeldet ist nichts.« – Das verdächtige Regiment ist also nicht hier, die Gelegenheit ist günstig. Gehen wir ans Werk. – Marchese, was sagt Ihr? – »Ich sage dasselbe!« erwiderte dieser nach kurzer Ueberlegung – »es muß gewagt werden. Don Balthasar, ans Werk!« – Und die Herren übernehmen die Verantwortung vor Seiner Majestät? fragte Marradas mit ängstlicher Betonung. – »Wir übernehmen sie!« antwortete der Marchese und der Pater einstimmig.

*

Es war eine windige Nacht, welche den Winter ankündigte, ohne ihn zu bringen. Denn am Morgen stieg die Sonne strahlend, wenn auch mit matten Strahlen, herauf über die steinigen Hügel, welche den östlichen Horizont Prags unerquicklich absäumen. Alle Wolken waren vom Winde verweht, die Sonne konnte überall hin ausstrahlen über die böhmische Hauptstadt, und sie erweckte bei Zeiten Leo Steinwald.

Er fuhr in die Kleider und sah mit Freude, daß der versprochene Empfehlungsbrief schon auf seinem Tische lag. »An Herrn Doctor Tocke im Herzoglich Friedland'schen Palaste« war er adressirt, und der Diener des Marchese, welcher ein Frühstück brachte, erklärte des Weiteren, daß dieser Herr Doctor Tocke schon unterrichtet sei von der Visite des jungen Herrn, daß der Herr Marchese schon ausgeritten sei und dem jungen Herrn rathen lasse, mit dem Frühesten den Brief abzugeben.

So machte sich denn Leo zum zweiten Male auf, sein Glück zu versuchen beim Friedländer. Jetzt, wie er meinte, viel besser ausgerüstet.

Er fand laute Bewegung um den Palast. Große Packwagen mit rothem Leder überzogen kamen schon aus dem Thore, und zwar in unabsehbarer Reihe. Es dauerte ihm zu lange, das Ende derselben abzuwarten, er drängte sich neben ihnen in den Thorweg und in den Hof. Der rothe Thürhüter war heute ohne Scrupel und winkte gnädig mit den Augenlidern. Wahrscheinlich erkannte er den jungen Herrn, welcher gestern Abend so lange bei den Herrschaften oben verblieben war. Auch war er jetzt zerstreut durch unaufhörliche Aufträge, mit denen ihn weibliche und männliche Dienerschaft, ja auch mancher höher gestellte Beamte überbürdete. Im anbrechenden Winter fort, kein Mensch wußte auf wie lange! da hatte Jeder eine Bestellung zurückzulassen.

Und im Hofe war kaum durchzukommen. Immer neue Wagen rasselten durch ein Nebenthor herein; in der Ecke rechts standen fünf große Kutschen, welche bepackt wurden, und den ganzen übrigen Raum nahm ein Theil der Leibwache ein, welche neben ihren gesattelten Pferden stand. Die Hauptwache war ganz unanständig bedrängt, schien diese Lage aber harmlos hinzunehmen, da ihre Besatzung großentheils ebenfalls marschfertig zu sein schien.

Leo stutzte vor dem Gedränge, und es fiel ihm dabei leider ein, daß er zuerst ins Zimmer des Herrn Doctor Tocke müsse, nicht, wie er instinctmäßig gestrebt, zu seinem Gönner Rostok. Er trachtete also noch einmal rückwärts, um den Thürhüter zu fragen, in welcher Gegend des Palastes der Herr Doctor wohne. – Links zweite Thür, zweite Stiege, zweiter Stock im Eckzimmer! – klang die Antwort.

Dicht an der Mauer hin suchte Leo nach diesem Ziele und erreichte es langsam. Es war eine Nebenstiege, schmal und von grobem Steine, welche ihn auf einen schmalen Corridor brachte. Das Eckzimmer mußte zu seiner Linken sein. Er klopfte. Ohne Erfolg. Er öffnete und trat in einen kleinen Vorraum, der ganz leer war. An der einzig sichtbaren Thür klopfte er wieder und hörte mit Vergnügen ein helles »Herein!«

Er trat in ein großes, von Sonnenstrahlen durchblitztes Gemach, welches die Aussicht auf die Moldau hatte. Das Gemach erschien sauber und behaglich. An den Wänden standen Bücherschränke, hingen architektonische Zeichnungen. In den Ecken standen Büsten und andere Sculpturen von Gips. Mitten im Zimmer ein großer Schreibtisch; vor diesem saß ein kleiner Mann in lichtblauem Wams. Er wendete den Kopf so weit über die Schulter zurück, um den Eintretenden zu sehen, daß ein Anatom erstaunt gewesen wäre über diese Nachgiebigkeit des Nackenwirbels. Das rosige Gesicht wurde aber durch diese Anstrengung mit einem tieferen Roth gefärbt, und die blaßblauen Augen drängten sich ein wenig aus den Höhlen. Die Stirn zuckte auf und nieder, kurz der sonst immer lächelnde Herr Tocke sah recht böse aus, wenn er überrascht wurde wie hier. Nur das lichtblonde Haar, glatt wie Atlas, nahm keinen Theil an der Veränderung des Kopfes.

Als Herr Tocke am Aeußeren Leos bemerkt hatte, daß es kein Diener sei, welcher ihn überraschte, ließ er den kleinen Schädel behend zurückspringen ins Charnier der gewöhnlichen Lage, stand auf vom Sessel, schob ein Papier, auf welches er eben geschrieben, unter die Schreibmappe und wendete sich wieder, jetzt mit dem ganzen Körper, gegen Leo. Das Gesicht triefte von freundlichem Lächeln, die Hände rieben sich aneinander wie glatte Verbindlichkeit, und indem er ein paar Schritte entgegen kam, fragte er süß wie ein Flötenspieler: mit wem er die Ehre habe und womit er dienen könne?

Leo erzählte kurz, was ihn herführe und wer ihn sende. Dabei überreichte er den Brief. Das machte einen sehr günstigen Eindruck auf Herrn Tocke. Er schüttelte Leo die Hand, bot ihm einen Sessel und ging unmittelbar auf die Untersuchung ein: wie es am geschicktesten anzufangen wäre, daß der junge Mann ins Haus und in vorteilhafte Stellung gebracht würde –

Da klopfte es schon wieder. Herrn Tocke's Köpfchen spitzte sich sogleich, wie ein Wild spitzt, wenn es Geräusch hört; sein feines Näschen hatte etwas von der Nase eines Rehbocks, die sich verwegen in die Luft hebt, als dampfe sie grimmige Courage. Dazu hatte aber Herr Tocke noch eine Eigentümlichkeit in den Flügeln seines Näschens: diese Flügelchen waren allerliebst beweglich. Sie gingen auf und nieder, wie vom Winde getrieben, wenn ihr Besitzer unruhig neugierig war. Herein! rief er endlich. Es war ein Diener des Herzogs, welcher den Befehl brachte, der Herr Doctor solle sich » in continenti« zu Seiner Durchlaucht verfügen. Herr Tocke war wie eine Weidenruthe vom Sessel geschnellt und hatte eiligst erwidert: » In continenti!« Innerlich fürchtete er sich sehr vor dem Herzoge. Der Herzog hatte eine fatale Manier, wenn er hinter eine Verrätherei kam, fatal und kurz. Er pflegte trocken zu sagen: »Hängt die Bestie!«

Wenn man wie Herr Tocke in delicater Aufgabe solchem Herzoge zugetheilt war, in einer Aufgabe, die für den gemeinen Verstand als eine verrätherische erscheinen konnte, so war diese Manier des Herzogs, man muß es Herrn Tocke zugestehen, wenigstens unbehaglich. Jeder plötzliche Ruf, wie der soeben erfolgte, hatte etwas Erschreckendes. Umsonst sagte sich Tocke, daß gerade jetzt dieser Ruf natürlich, sogar erwünscht sei. Der Herzog geht fort, er hinterläßt Aufträge, er ignorirt dich nicht, er nimmt dich vielleicht gar mit – was ja ausgezeichnet wäre zur Ausspürung in so entscheidendem Momente! – allerdings, allerdings; aber die innerlichste Furchtsamkeit flüstert bei solcher Gelegenheit stets: Der Teufel traue! Am Ende hat sich doch ein Brief oder ein Zettel verirrt, und er ruft dich zur Verantwortung, um mit der verzweifelten Floskel zu schließen: »Hängt die Best –«

Leo sah mit Erstaunen zu, wie das zierliche blaue Männchen noch immer schweigend dastand, als der Diener schon lange fort war. In den beweglichen Gesichtszügen Tocke's schien eine Schlacht geliefert zu werden. Nicht nur die Nasenflügel, auch die Ohren nahmen Theil an der Schlacht und waren in hin- und hereilender Bewegung. »Befürchtet Ihr etwas, Herr Doctor?« fragte Leo theilnehmend. – Oh! – erwiderte Tocke, indem er sich faßte, warum denn?! – Dann belebte sich allmälig das gläsern gewordene Auge wieder, und es fiel ihm ein, daß der junge Mann ihm ja von Norbert gesendet sei, also seiner Partei angehöre. – Befürchten, junger Freund, muß man bei diesem Herzoge immer; er ist unberechenbar. – Also, also! Hinunter muß ich auf der Stelle, was machen wir miteinander? Wollt Ihr –?

Er wollte sagen: »Wollt Ihr warten?« sprach es aber nicht aus. Allein auf seinem Zimmer durfte nie Jemand warten. Das ist neugierig, das schnüffelt umher – und da unter der Mappe liegt auch ein angefangener Brief!

»Wollt Ihr mich begleiten?« schloß er also, »und unten in einem Vorzimmer meine Rückkunft erwarten?« – Sehr gern. –

Herr Tocke führte ihn über einen schmalen Corridor hinüber in den Flügel, welchen der Herzog bewohnte.

Es war ein räthselhaftes Wesen um diesen Tocke. Er war eigentlich furchtsam und drängte sich in ein abenteuerliches Leben, welches um so mehr Gefahren brachte, je wichtiger und allgemeiner die Gegenstände seiner Thätigkeit waren. Er scheute den Friedländer, wie man eine Klapperschlange scheut, und hatte doch nicht geruht, bis er in die Nähe dieses schrecklichen Wesens gelangt war. Ehrgeiz mochte sein Grund sein. Der wohlhabende Patriziersohn aus Görlitz hatte von Jugend auf das heiße Bedürfniß gefühlt, eine ausgezeichnete Laufbahn zu machen. Die dazu nöthigen großen Gaben waren ihm versagt. Seine Eitelkeit gestand ihm das nicht ein, sie wußte es auch nicht ganz und ließ sich täuschen, indem sie auf Schlauheit und Fleiß, welche ihm eigen waren, ungebührlichen Werth legte. Die großen Dinge entstehen nur allmälig, raunte sie ihm ins Ohr, als er Jahre lang zu keiner Bedeutung gelangte; warte, bis du an große Verhältnisse kommst! – Die Religion, sagte die Eitelkeit plötzlich, ist solch ein großes Verhältniß. Wechsle sie da, wo dieser Wechsel hoch gewürdigt wird! Thu' es bei den Jesuiten, welche hingebende Kräfte am ausgiebigsten verwerthen. So wurde er Renegat. Es war nicht ein Funke wahrer Religion in ihm, der Uebertritt erregte ihm nicht den geringsten Scrupel. Niederschlagend war es ihm nur, daß man ihm sagte: er wäre viel mehr werth, wenn der Uebertritt verborgen bliebe. So war er, der sich auszeichnen wollte, zu einer verborgenen Laufbahn verurtheilt. Um so mehr hetzte er nach dem Ziele, welches man ihm in der Ferne zeigte: eine hohe Stelle im Staate, wenn der Kampf ausgefochten sein, die ketzerische Kirche am Boden liegen würde. Ganz nahe hatte er sich dem Ziele geglaubt, als der Kaiser vor zwei Jahren durch Waldstein siegreich war überall. Da kam der Rückschlag: Waldstein stürzte, der Schwedenkönig trat auf, das Restitutionsedict wirkte verkehrt. Um so größer wurde nun Tocke's Hast, das Verlorene wieder einzuholen, und Alles hatte kürzlich dahin gedeutet, daß in der Nähe dieses Waldstein der große Treffer für ihn zu machen sei. Den Herzog ergründen und stürzen, wenn er ein Verräther, und dann als Tödter der großen Schlange eine offene große Stellung erringen. Oder neben dem brauchbaren Herzoge, dessen Brauchbarkeit er erkannt und verbürgt, den allgemeinen Sieg auch für sich persönlich einheimsen. Auf der Schneide dieses Entweder-Oder stand er jetzt, als er mit Leo die Haupttreppe hinunterstieg in den ersten Stock.

Daß er auf diesem schon so langen Wege verborgener Handlangerdienste bereits jeden haltbaren Faden von Wahrhaftigkeit und moralischer Tüchtigkeit in sich aufgerieben hatte, daran dachte der eitle Wicht gar nicht mehr. Dafür hatte er schon lange Augen und Ohren eingebüßt.

Er stand mit Leo vor derselben Antichambrethür, welche gestern Abend Leo zu Rostok geführt hatte, und eben wollte Herr Tocke Leo sagen, daß er in dem ersten Zimmer hinter dieser Thür auf ihn warten möge, da sah er durch den breiten Corridor eine große, kriegerische Gestalt heranschreiten. Der Mann war nicht vornehm, aber gut gekleidet, er schritt nicht wie ein Cavalier, aber wie ein Kriegsmann daher, und – himmlischer Vater! stöhnte Herr Tocke, dieser Bart, dieser furchtbare schwarze Bart, gehört der nicht –?

Herr Tocke irrte sich nicht: es war der Bart-Conrad, jetzt ein gefürchteter Kriegsgesell, welcher mit Starschädel nach Prag gekommen war und hier im Corridor auf Starschädel wartete. Er kam näher und näher. Herrn Tocke schwindelte, er vergaß jede weitere Bemerkung für Leo und wollte in die Thür hinein. – Da öffnete sich diese Thür und heraus trat Hans von Starschädel. Tocke erkannte ihn auf der Stelle, und der Krampf flog ihm in die Füße. Die Angst schrie in ihm: Nun bist du entdeckt und wirst gefaßt. Er hatte nicht mehr die Kraft der Erinnerung und Ueberlegung, daß er wol die beiden Leute von damals her aus Wien kannte, daß es aber doch sehr zweifelhaft wäre, ob sie ihn damals gekannt hätten.

Starschädel allerdings, vor dessen Antlitze er stand, schien zu stutzen – aber der daneben stehende Leo grüßte ihn freudig, und Starschädel erwiderte wohlwollend den Gruß des jungen Mannes, den er gestern Abend gesehen hatte. Dabei war Starschädel einen Schritt vorwärts getreten, und Tocke fand Raum in die Thür hinein zu taumeln, fast zu fallen, denn der wuchtige Schritt des Bart-Conrad war schon dicht bei der Gruppe und dröhnte ihm wie Gewitterdonner in die Nerven. Mechanisch drückte er die Thür hinter sich zu –

»Laßt unsere Pferde zur Abreise rüsten, Conrad – sprach Starschädel – wir sitzen Mittags um zwölf Uhr auf unten im Haupthofe und reiten mit dem Gefolge des Herzogs hinaus.« – 's ist recht! erwiderte Conrad, kehrte um und ging von dannen. – »Kennt Ihr den kleinen Mann, welcher da neben Euch stand?« fragte Starschädel Leo. – Ja wol! Er ist ein Beamter des Herzogs. – »Und Ihr selbst wollt zum Herzoge?« – Ich möchte wol, wenn's anginge. – »Das wird schwer sein. Ich hörte just den Herzog befehlen, daß nur noch zwei seiner Amtleute vorgelassen werden sollen. Ihr seid aber wol näher bekannt hier; ich sah Euch ja gestern Abend im engeren Familienkreise –«

Leo hatte denn sogleich wieder nichts Eiligeres zu thun, als dem Herrn von Starschädel seine Lage und seine Hoffnungen zu schildern. Das lag bei ihm Alles wie auf dem Markte. Und hier fand er wieder einen wohlwollenden Kunden: Starschädel forderte ihn auf, ihm zu den Damen des Hauses zu folgen, welche er eben aufsuchen wollte. Dort werde im letzten Augenblicke der Wunsch Leos am wirksamsten angebracht werden können, denn beim Herzoge selbst fände sich schwerlich noch Zeit dafür –

»Aber der Herr Doctor Tocke, den ich erwarten soll?« – Tocke heißt der Mann? – »Ja.« – Ist mir's doch, als hätte ich früher den Namen schon gehört – von ungünstiger Seite. – »Wie?!« – Freilich von jesuitischer Seite, auf der ja hier am Ende doch Alles steht, Ihr auch – es wird also nichts zu bedeuten haben. Es wird aber auch nichts zu bedeuten haben, wenn Ihr ihn warten laßt in kurz bemessener Spanne Zeit. Er kann doch gewiß nicht so schnell für Euch wirken als die Herzogin. Was meint Ihr? –

Leo meinte dasselbe. Er hatte eben Glück. Ohne den Abgrund erblickt zu haben, wurde er hinweggeführt von demselben, und folgte Herrn von Starschädel in das große Gemach, welches ihn gestern Abend an der Schwelle des Glücks gesehen hatte.

Es waren jetzt nur zwei Damen da, Ludmilla und Magna. Beide schienen in einiger Aufregung zu sein. Ludmilla deshalb, weil der Herzog sich ihre Begleitung nach Pardubitz verbeten hatte. Magna, weil ihr Vater ziemlich deutlich ausgesprochen, daß es ihm lieber sei, wenn sie die Einladung der alten Gräfin Tertschka annehme und mit dieser auf Schloß Zleb ziehe, statt mit der Herzogin nach Pardubitz zu gehen. Magna hing mehr an der Herzogin als an der alten Gräfin, und sie wollte eben gedankenvoll, fast sorgenvoll von Ludmilla hinweg und nach der Ausgangsthür schreiten, als die beiden Männer eintraten.

Ludmilla eilte hastig dem Herrn von Starschädel entgegen, und so mußte Magna an dem unbeschäftigt stehenden Leo vorüber, welcher respectvoll grüßte. Sie dankte erröthend und blieb ungewiß stehen, ungewiß, ob es schicklich sei, zuerst etwas zu sagen, oder seine Anrede abzuwarten.

Leo ging es fast ebenso. Er hielt es wol für schicklich, ja für sehr wünschenswerth, das liebreizende Fräulein anzureden, aber er fand nicht gleich die Worte. Sonst so unbefangen, war er diesem Mädchen gegenüber fast verlegen, und es überraschte ihn selbst, als er endlich die Frage ausgesprochen hatte, ob Fräulein von Sparr wohl geschlafen habe. »Ach ja!« antwortete sie leise, und es schien, als ob sie dazu ein wenig lächelte.

Dies Lächeln befing ihn wieder. Es bedeutet wol, dachte er, daß du mit deiner alltäglichen Frage eine Dummheit gemacht! Und mitten in diesem lästigen Gedanken fragte er, um rasch darüber hinweg zu kommen, hastig weiter: ob das Fräulein von Sparr mit den Herrschaften nach Pardubitz reise?

»Das ist's ja eben« – erwiderte gerade so hastig Magna – »mein Vater scheint's nicht zu wünschen.« – Ah?! stotterte Leo, welchem das junge Mädchen innerlichst ganz und gar zu dem Friedländischen Kreise gehörte, dessen Mitglied, wenn auch bescheidenes Mitglied, er zu werden hoffte. – »Wie?!« fragte sie und schaute ihm in die Augen. Sein Ah?! mußte einen ganz besonderen Ton gehabt haben. – »Wie?!« – Ich habe nichts gesagt; ich dachte nur, daß ich vielleicht hätte das Glück haben können, mich der Reise nach Pardubitz anzuschließen, wenn die Frau Herzogin ein Fürwort einlegen möchte für mich bei dem durchlauchtigen Herrn. – »Das wird die Frau Herzogin sehr gern thun! Sie fragte heute Morgen: wo Ihr denn gestern ohne Verabschiedung hingekommen wäret, und sie machte sich Vorwürfe, daß man Euch ohne Abschied fortgelassen.« – Ihr glaubt also, daß ich mich an sie wenden dürfte? – »Gewiß.« – Und sollte sie nicht auch Einfluß auf Euren Vater haben in Betreff –? – »Das wol. Aber sie und mein Vater sind nicht gleicher Meinung über –« – Ueber? – »Ueber meine Zukunft. Ich kann Euch das nicht auseinandersetzen. Mein Vater ist Protestant und sieht es nicht gern, daß ich tiefer in katholische Kreise gezogen werde. Er ist namentlich mißtrauisch gegen den Marchese Carretto, welcher –«

Sie stockte und Leo fand auch kein Wort. Wie unerfahren er war, das Herz des Menschen ist viel früher mündig, als Erfahrung und Verstand den Menschen machen. Das Herz sagte ihm auf der Stelle, daß der Marchese wahrscheinlich das Mädchen begehre. Und nun war guter Rath theuer in ihm. Denn der Marchese war ja sein Gönner; durfte und sollte er sogleich gegen ihn wirken?! Und wenn er ihr zuredete, ohne Widerrede dem Vater zu folgen und nicht mitzureisen, so sah er sie nicht mehr, denn er selbst hoffte ja mitreisen zu können. Diese Rathlosigkeit erzeugte eine lange Pause. Aber nicht eine Pause der Verlegenheit. Jeder Theil war so mit Gedanken beschäftigt, und jeder Theil schien zu ahnen, daß die Gedanken des anderen Theiles innig verwandt wären mit den eigenen – das Stillschweigen näherte sie einander mehr, als die beredteste Unterhaltung dies vermocht hätte.

»Da kommt die Frau Herzogin!« sprach endlich hastig, wenn auch leise, Fräulein Magna – »tragt Ihr Eure Bitte vor, aber – nur Eure!« – Wenn ich nur wüßte, was ich für Euch bitten sollte! – »Nichts, nichts, lieber Herr. Das schickt sich nicht!« – Das schickt sich nicht – leider –

Da war die Herzogin in seiner Nähe. Er ermannte sich, begrüßte sie und trug seine Bitte um Eintritt in den Dienst des durchlauchtigen Hauses so herzlich und warm vor, als ob er zu dem schweigend dabei stehenden jungen Mädchen gesprochen hätte. Die Herzogin ahnte wol nicht, daß der Athem einer entstehenden Liebe in diesen Worten walte, und empfand ungestört nur die liebenswürdige Wärme dieser Worte. In ihrer Herzensgüte sagte sie denn auch wärmer, als sie wol sonst gethan, dem jungen Leo zu: sie wolle den Herzog sogleich darum angehen, daß der Herr Leo Steinwald – so ist ja wol Euer Name? – »So ist er!« – in den Friedländischen Hausdienst eintreten und sie auf der Reise begleiten dürfe – da kommt der Herzog schon! setzte sie fast erschrocken hinzu, denn sie hatte ihn nicht so früh erwartet.

Die Thüren waren aufgeflogen: Waldstein kam langsam auf seinen Stab gestützt näher. Neben ihm ein mittelgroßer, stämmiger Mann, der mit tiefer Stimme halblaut kurze Sätze zu ihm sprach. Der Friedländer blieb immer nach einigen Schritten stehen, als wollte er genauer hören.

Dieser stämmige Mann mit kurzem, ergrautem Haupthaare und dichtem, grauem Knebelbarte war Magnas Vater, war der Oberst von Sparr, ein Mann von scharf geschnittener, entschlossener Physiognomie mit großen, lichtgrauen Augen, welche eiskalt blickten. Er brachte dem Herzoge die Nachricht, daß von Marradas Befehle ausgegangen seien, welche sehr bedenklich erschienen. Alle Truppen in Prag stünden unterm Gewehr, und ihm sei Ordre zugegangen, sein Regiment draußen zu lassen.

»Und Ihr?« fragte Waldstein. – Ich bin officiel nicht zu finden gewesen für diese Ordre. Mein Regiment rückt eben ans Glacis. Sie haben einen Entschluß gefaßt, und wenn wir zögern, so steigt ihr Muth und sie führen ihn aus. – »Warum sollten wir zögern?« entgegnete Waldstein. »Eilt zu Euren Truppen. Sprecht mit Niemand, damit Euch keine neue Ordre angesagt werden kann, und verfahrt – wie gegen den Feind, wenn sie sich unterstehen. Addio!« –

Sparr eilte fort.

Scherfenberg! rief der Herzog mit starker Stimme. – Er war nicht in der Nähe. Diener flogen fort, ihn zu rufen. – Mach' Dich fertig, Isabella – fuhr der Herzog fort – binnen einer Viertelstunde fahren wir von dannen. – »Wie?! So eilig!« – Ja. – »Ich wollte Dich noch bitten – Du hast gestern Abend den jungen Steinwald hier vergessen. Es wäre mir lieb, wenn er uns zu Pferde begleiten dürfte; unsere Marie hat ihn lieb gewonnen und möchte ihn auf der Reise sehen.« – Das hab' ich nicht gesagt, Papa – rief die Kleine, welche eben ins Zimmer gesprungen war. – »Was hast Du denn gesagt?« – Ich hab' gesagt, ich möchte gern die Geschichte zu Ende hören, die der Herr Leo gestern angefangen hat. – »Herr Leo also«, und damit wendete sich der Herzog zu ihm, »es ist nicht richtig, daß ich Dich vergessen hätte. Ich habe in der Nacht mit Zenno davon gesprochen. Er glaubt Dich brauchen zu können – – wo bleibt der Scherfenberg, der Elementer! Hol' ihn!«

Die letzten Worte richtete der Herzog an Leo. Wie ein Pfeil flog dieser hinaus.

»Ludmilla ist sehr betroffen, lieber Albrecht« – fuhr die Herzogin fort – »daß Du sie nicht mitnehmen willst.«

Ludmilla trat mit Starschädel näher und erhob wie bittend die Hände.

»Zur Strafe!« – erwiderte Waldstein rasch. »Sie hat sich vorlaut erwiesen. Das mag ich nicht. – Es ist nur in Frage – sagte ruhigen Tones Starschädel – ob sie nach der Abreise Eurer Durchlaucht jetzt hier in Prag sicher ist vor Anfechtungen, nachdem sie sich gestern Abend in Gegenwart des Marchese als antikaiserlich dargethan hat. – »Albrecht!« rief bittend die Herzogin. – Das mag richtig sein – entgegnete der Herzog – und es steht Euch frei, Herr von Starschädel, sie zu beschützen. Ihr werdet bis an die Elbe mit meinem Gefolge und unter meinem Schutze reisen. Jenseits der Elbe werdet Ihr keine Schwierigkeiten finden, nordwärts ans sächsische Heer zu gelangen. Die Kreise drüben zwischen Königingrätz und Jungbunzlau sind frei von kaiserlichen Truppen. Sparr kommt eben von dort. Ihr werdet ohne Schwierigkeit eine Dame da hinauf geleiten können bis gen Gitschin, wo Euch wol schon die Sachsen begegnen werden. Bis an die Elbe also wird meine Frau ihre Freundin Lady Ludmilla sehr gern in ihrem Wagen mitnehmen.

Während er dies sprach, war hastig die alte Gräfin Tertschka eingetreten und stand jetzt neben ihm. Ihr Athem keuchte, ihr Antlitz war hoch geröthet, ihre Augen, von Thränen feucht, drängten sich aus ihren Höhlen; sie war in großer Aufregung.

»Waldstein« – rief sie – »Du wirst das nicht thun! Du wirst Dich nicht wieder dem verrätherischen Kaiser in die Arme werfen; wirst der Welt nicht das Schauspiel geben, daß der oberste böhmische Edelmann die Ruthe küßt, die ihn geschlagen! Wirst Memmingen und Regensburg nicht vergessen, wirst Deiner Pläne, Deines Vaterlandes nicht vergessen, ich bitte Dich inständig, ich bitte Dich fußfällig, wenn es sein muß!« – Lass' das, Tertschka! Ich bin kein Theaterprinz. Es bleibt bei meiner gestrigen Meinung über das Dreinreden von Weibern. – »Waldstein, um Gotteswillen!« und jetzt fiel sie ihm wirklich zu Füßen, stromweis schoß das Wasser aus ihren Augen. – Da kommt der Scherfenberg! rief mit lauter Stimme Leo, ehe er noch aus dem Vorzimmer eingetreten war. – »Waldstein!« schrie die Gräfin mit einer gellenden Stimme, welcher die wahrhaftigste Erregung nicht abgesprochen werden konnte – »Waldstein! Du gehst nach Norden und nicht nach Süden, oder Du bist unrettbar verloren, wie wir es sind!«

Die letzte Bemerkung schien doch einigen Eindruck auf den Herzog zu machen. Er warf einen Seitenblick auf die knieende Gräfin, kurz und mit halb niedergedrückten Augenlidern. Dann wendete er das Haupt gleichgiltig nach dem eintretenden Scherfenberg und ging ihm einige Schritte entgegen, indem er die Frauengruppe mit einer Handbewegung zurückwies.

Halblaut sagte er dann zu Scherfenberg: Binnen fünf Minuten meine Leibwache aufsitzen lassen. Kriegsmäßig wie zum Angriff. Die Feuerwaffe aufgezogen in der Hand. Die Hälfte ausrücken und Spalier bilden lassen bis zur Brücke. Die andere Hälfte geschlossen vor meinem Wagen. An der Brücke rückt das Spalier geschlossen zusammen und folgt meinem und dem Wagen meiner Frau unmittelbar. Du, Scherfenberg, neben mir am Wagenschlage, meiner Befehle gewärtig. Am andern Wagenschlage jener sächsische Herr dort. Tempo rascher Schritt. Vorwärts!

Scherfenberg eilte hinaus. Der Herzog blieb stehen und rief seiner Frau zu: Fertig machen, Isabella! Ihr fahrt dicht hinter mir.

Isabella war damit beschäftigt, der alten Gräfin vom Boden aufzuhelfen. »Was geschieht mit Magna?« fragte sie nach dem Herzoge hin – »ihr Vater will, daß sie hier bleibt und mit der Gräfin nach Zleb geht. Ich möchte sie mitnehmen.« – Nimm sie mit!

Dies sprechend, wendete er sich zum Rückwege. Ehe er aber noch die Thür erreichen konnte, hatte ihn die alte Gräfin Tertschka eingeholt. Ihr war diese ganze Angelegenheit offenbar eine Lebensfrage. So rief's aus ihren Gesichtszügen, welche in fieberhafter Erregung aufgewühlt waren wie ihr weißes Haar. Es fiel auf der einen Seite über das rothe, von Thränen feuchte Antlitz hinab. – Vor der Thür noch hatte sie den langsam schreitenden Waldstein überholt und ihm den Weg vertreten. »Waldstein!« – sprach sie mit unterdrückter, fast zu Tonlosigkeit zusammengepreßter Stimme, so daß nur er die Worte verstehen konnte – »Waldstein, Du rennst in Dein Verderben. Ich weiß ganz gut, was in Dir vorgeht. Es ist nichts als Beschönigung der Mutlosigkeit. Was Du Dir vorredest, glaubst Du selbst nicht ganz. Du überredest Dich, erst all die Mittel eines kaiserlichen Heeres in der Hand haben zu wollen, um dann dies kaiserliche Heer gegen den Kaiser gebrauchen zu können. Das ist nichts als ein Schachspiel Deines Verstandes; Du selbst glaubst nicht daran, Du selbst weißt innerlich, daß Du nur die Entscheidung verschoben sehen willst, um nicht blank und ganz Alles an Alles zu wagen. Wer so rechnet, verliert sein Spiel. Das Schicksal verleiht seine Gaben nur für den vollen Einsatz. Du übernimmst tausend neue Verpflichtungen; die schlingen sich wie tausend Stricke um Dich von oben bis unten, und wenn Du endlich handeln mußt, dann genügt in Wien ein leises Anziehen der Stricke, und Du liegst erdrosselt da. Halte bei Kolin still an der Elbe, rufe alle Regimenter auf den Weg zwischen Kolin und Pardubitz – meinetwegen in des Kaisers Namen, da doch alle Welt denkt, Du reisest in Kaisers Namen – marschire mit ihnen nach dem Norden, vereinige Dich mit den Sachsen, erkläre Dich zum Könige von Böhmen, zum Fahnenträger der Glaubensfreiheit, und Alles strömt Dir zu, in acht Tagen ziehst Du in Prag ein als König. Thu's um Gotteswillen, Waldstein! Ich bin zehn Jahre älter als Du, ich sehe die Zukunft vor mir klar wie diese Wandbilder, ich sehe, wie Du zu Boden gerissen wirst, wenn Du Dich hingiebst zu neuer Umstrickung!« – Du kennst mich nur halb, Tertschka – erwiderte der Herzog ebenso leise – es giebt keinen König von Böhmen neben einem Könige von Schweden, der das deutsche Reich am Schweife seines Rosses daherschleift. Du willst halbe Dinge, ich will ganze. Warte und vertraue! – »Nein!« schrie die Gräfin.

Waldstein erwiderte nichts mehr, drängte sie mit der Hand zur Seite und schritt hinaus.

Die übrigen Personen im Zimmer hatten sich nach der entgegengesetzten Thür zerstreut, um sich reisefertig zu machen. Nur Leo war noch da. Er kannte nur den Ausgang, vor welchem die Gräfin und der Herzog gestanden. Jetzt wollte er dem Herzog folgen. Die Gräfin griff in ihrer Aufregung nach seinem Arme und hielt ihn zurück –

»Junger Mensch« – sprach sie harten Tones – »Du gehst mit dem Herzoge. Sage ihm jeden Tag, an welchem Du ihn sprichst: Die alte Gräfin Tertschka hat mich beauftragt, Durchlaucht zu erinnern an ihre letzten Worte. Wirst Du?« – Ich werde, Frau Gräfin. – »Sobald Du vom Herzoge die Botschaft zu mir bringst auf Schloß Zleb, daß er meine letzten Worte billigt und beachtet, hast Du Anspruch an mich auf jede Belohnung, die nur irgend in meinen Kräften steht. Hast Du verstanden?« – Vollkommen, Frau Gräfin. – »So geh'! Eine alte Frau bringt einem jungen Manne am sichersten das Glück. Halte Wort! Und geh'!«

Leo hatte Eile. Er wußte ja noch nicht, wie er die Reise mitmachen sollte. Sein Ideal war, daß das zu Roß geschehe, denn er war ein sehr guter Reiter und im Hintergrunde seiner Phantasie schlummerte ein prächtiges Bild. Links und rechts, vorn und hinten wollte er überall sein, Aufträge des Herzogs besorgen, Aufträge der Damen, und welcher Damen! Fräulein Magna saß ja auch in einem der Wagen und werde staunend sehen, was für eine gewichtige, nützliche, äußerst gewandte und charmante Person der Herr Leo sei. Was thun, um an ein schönes Pferd zu kommen? Zum Gönner Rostok eilen, richtig! Er flog! Nahe an der Vorsaalthür hielt er aber plötzlich inne. Herr Tocke fiel ihm ein. Er wollte doch nicht undankbar erscheinen. Vielleicht verdankte er's ihm, daß der Herzog sich seiner erinnerte und ihn aufgenommen. Herr Tocke war ja eben beim Herzoge gewesen, als – pfui, pfui! Nicht undankbar! Ein Sprung hinauf zu dem kleinen Herrn war wol noch zu ermöglichen mit jungen Beinen.

Thörichter Leo! Statt froh zu sein, daß er jetzt so glatt der gefährlichen Bekanntschaft mit diesem Tocke enteilen konnte, wollte er ihm noch nachlaufen und setzte eben an, die Treppe hinaufzuspringen – da wurden die Vorsaalthüren angelweit aufgerissen, und Diener wie Trabanten quollen heraus gleich einem Ameisenhaufen – der Herzog brach schon auf aus seinen Gemächern. Zum Hof hinab. Nun sah Leo ein, daß er keine Zeit mehr habe für Herrn Tocke. Aber Wunder! In diesem Ameisenhaufen wälzte sich auch Herr Tocke heraus. Er war gar nicht zur Audienz beim Herzoge gelangt, wichtigere Dinge waren über seine kleine Person hinweggefluthet. Jetzt wurde er da wie ein nebensächlich Ding herausgeschwemmt und stand urplötzlich neben Leo. Dieser drückte ihm eiligst seinen Dank aus unter der Mittheilung, daß er mit dem Herzog reise, gewiß auf Fürsprache Herrn Tocke's reise – »Gut, gut, gut!« flüsterte Tocke – »vergesst nur ja Eure Berichte nicht an mich! Fleißige, genaue Berichte! Sie werden wie Goldstücke in Eure Wagschale fallen.« – Gewiß nicht!

Da kam der Herzog. Rostok dicht hinter ihm, eine große Pelzdecke über dem Arme, eine Gesichtsmaske in der Hand.

Tocke, einige Stufen höher auf der Treppe stehend neben Leo, verbeugte sich tief – der Herzog sah ihn und blieb stehen. »Ihr werdet Sorge tragen« – sprach er langsam – »daß die Stuckarbeiten im Saale keine Unterbrechung leiden. Man soll heizen, wenn die Kälte hinderlich wäre. Aber die Fenster dabei öffnen. Mit den Wandmalereien dagegen aussetzen bis zur Frühjahrsluft. Ich erwarte jeden Monat genauen Bericht.«

Der Herzog schritt weiter. Leo schloß sich an Rostok, der sehr erfreut schien, ihn wiederzusehen, und berichtete ihm eilig, daß der Herzog ihn aufgenommen und ihm das Mitgehen erlaubt habe. Rostok möge sich doch geschwind verwenden, daß ihm ein Roß zugewiesen werde. – Rostok's breiter Mund feixte und flüsterte im Gehen einige Worte über die Schultern des Herzogs. Der Herzog nickte kaum sichtlich mit dem Haupte, und Rostok winkte nach rückwärts einem besonders stattlich aussehenden Diener zu. Dieser glitt heran und erhielt den Auftrag, das Roß hinter den Wagen des Herzogs zu bestellen. Der vornehme Diener schlüpfte hinter dem Herzoge, der eben an die Hauptstiege gelangte, in einen Seitencorridor, um schneller nach dem Seitenhofe zu kommen, wo glänzend aufgeschirrte Rosse in großer Anzahl standen. Rostok grinste voller Zufriedenheit über seine Macht nach dem Antlitze Leos und wäre fast an dem Herzoge vorübergeschoben, als dieser mitten auf der Treppe plötzlich stehen blieb.

Man sah von dort nach links hin über einen Theil des Hofes hinab. Da war lebhafte Bewegung, aber ordnungsvolle. Die letzten Reiter der Leibwache, welche vor dem Wagen des Herzogs reiten sollten, ritten eben aus dem Thore. Ihre Haltung mit dem aufgezogenen Feuergewehr hatte auf Jedermann einen spannenden Eindruck gemacht. Sie war ungewöhnlich; man wußte nicht, was sie bedeuten sollte, man flüsterte sich Vermuthungen zu, man war in stiller Aufregung, verrichtete aber seinen Dienst mit doppelter Genauigkeit. – Da kam Scherfenberg an den Fuß der Treppe gesprengt und salutirte mit dem Degen nach dem Herzog hinauf.

»Fertig?« fragte der Herzog. – Alles fertig! klang die Antwort. – »Vorfahren!«

Scherfenberg warf sein Pferd zurück und winkte in den Hof. Eine große Glaskutsche, mit sechs Rappen bespannt, setzte sich in Bewegung und hielt am Fuße der Treppe; ein lärmender Musiktusch von Trompeten, Pfeifen und Trommeln erhob sich von der Wache her; die Rappen stiegen kerzengerade in die Höhe und die drei rothen Reiter auf den drei Sattelpferden schrieen wie mit einer Stimme: »Acht!«

Der Herzog wendete den Kopf rückwärts nach der Treppe hinauf, ob die Frauen bereit wären. Isabella war neben ihm in zehnjähriger Ehe an die genaueste Pünktlichkeit gewöhnt. Sie wußte, daß er gegen den Mangel an Pünktlichkeit rücksichtslos, heftig, ja gröblich verfuhr: sie stand bereits mit ihrer Tochter, mit Ludmilla und Magna hinter ihm. Oben an der Treppe aber erschien gerade jetzt die alte Gräfin Wanda von Tertschka, und ihr Blick begegnete dem Auge Waldstein's. Sie weinte nicht mehr, sie regte sich nicht, sie sah starr auf ihn hinab. Er selbst aber schien sie milderen Blickes zu betrachten und durch ein kaum merkliches Neigen des Hauptes und Niedersenken der Augenlider zu versichern, daß er ihr näher stehe als sie meine.

Mechanisch griff er, während er rückwärts hinaufschaute, nach der schwarzen Sammetmaske, die Rostok ihm darbot; langsam wendete er den Kopf nach unten, nahm die Maske vor das Gesicht und stieg die letzten Stufen hinab. Auf der letzten Stufe stand er still, weil Rostok flüsterte: »Durchlaucht, die Luft macht's nöthig!« und ließ sich den großen Pelz von Katzenfellen über die Schultern hängen, ehe er aus dem geschützten Stiegenraume in die Zugluft des Thorbogens hinaustrat.

Ein plötzliches Hinderniß verzögerte des Herzogs Einsteigen in den Wagen. Rechts von ihm, also von außen kommend, drängte sich eine Gruppe von höheren Officieren neben den bäumenden Rappen herein. Unter ihnen Tertschka und Ilow; allen voran ein hochstämmiger, knochiger Mann mit wüst fliegendem, graublondem Haar und Barte und nur einem Auge im verwilderten Antlitze. Es war dies General Holck, der spornstreichs von dem zersprengten Heere Tilly's kam. All diese Truppenführer hatten zu ihrer größten Ueberraschung soeben erst erfahren, daß der Herzog aufbreche, und zwar nach Süden aufbreche, den Unterhändlern des Kaisers entgegen. Darauf waren sie durchaus nicht gefaßt und eilten herbei, dem Herzoge Vorstellungen zu machen. Er streckte den Arm hervor aus seinem Pelze zum Zeichen, daß sie schweigen sollten. Holck nur winkte er ganz nahe zu sich und ließ sich mit »zwei Worten«, wie er befahl, erzählen, woher er käme und wo seine Truppen stünden.

»Auf Rakonitz marschiren sie, Durchlaucht, sich Gallas anzuschließen« – schloß dieser seinen kurzen Bericht mit dem Zusatze: »Böhmen ist nicht zu halten!« – Das weiß ich – sprach der Herzog mit halblauter Stimme – und darauf hin geht meine Unterhandlung. Merkt das! Schont Eure Leute! Setzt sie in guten Stand, wartet, und schickt mir in der Woche zweimal Rapport nach Pardubitz. – Tertschka, Ilow! Setzt Euch augenblicks zu Pferde und reitet durch die Altstadt, den kaiserlichen Truppen, wo sie im Ausrücken begriffen sind, erzählend, daß die Spanier meine Uebernahme des Commandos verhindern wollten. Vorwärts! Ich fahre Schritt und bin erst in einer Viertelstunde drüben. Auf Wiedersehen! – Rostok! Spanischen Tritt fahren! –

Mit diesen Worten stieg er in die Glaskutsche, deren großen inneren Raum er für sich allein in Beschlag nahm, ein wunderlicher Anblick für die Prager, welche von allen Seiten herbeiströmten, den unerwarteten Auszug des Friedländers anzuschauen. Im dunkeln Pelze, eine schwarze Maske vor dem Gesichte, den reich bordirten Fürstenhut mit rothen Federn auf dem Haupte, erschien er wie eine formlose, gespenstige Masse. Aufsehen um jeden Preis zu machen war immer seine Art gewesen, und man ist in Verlegenheit, wie seine phantastische Eitelkeit mit seinen tiefen Plänen in Verbindung zu setzen sei. Der Schein befängt! pflegte er zu sagen, und eine offenbare Neigung zum Abenteuerlichen adelte er gern durch politische Gründe, welche die Sinnenwelt der Menschen in den Vordergrund schoben. – –

Kaum eine halbe Stunde vorher waren seine Gegner einig geworden über die Einzelnheiten des Planes gegen ihn. Sie hatten nicht erwartet, daß er so früh aufbrechen würde, und als die Einzelnheiten zur Besprechung kamen, war es ihnen auch erst recht deutlich geworden: wie viel sie wagten und wie schwer die Ausführung wäre. So lange die Dinge in unbestimmten Umrissen schwanken, so lange ist es leicht, sie zu gestalten. Erst wenn sie sich formen, feste Linien und Physiognomien gewinnen, erst dann beginnt die Schwierigkeit, erst dann entstehen die wahren Verhältnisse, über welche die Einbildungskraft unklare Menschen täuscht.

Am Altstädter Ringe, im Rathhause waren die Gegner – Marradas, Carretto und Norbert an der Spitze – zusammengekommen diesen Vormittag. In demselben Saale, aus dessen Fenster vor zehn Jahren die Schlick, Loß, Budowa und Genossen aufs Blutgerüst geschritten waren. Eine bleiche Sonne, welche den Winter ankündigte, lag auf dem Ringe, und die Theinkirche mit ihren Thürmen warf lange Schatten, weil die Sonne nicht mehr hoch hinauf zu steigen vermochte am Himmel. Leichtes Schneegekörn flog durch die Luft. Man wußte nicht recht, woher es kam, da kein Gewölk zu sehen war. Sowie man damals nicht gewußt hatte, woher der Regenbogen entstehen konnte ohne nahen oder fernen Regen.

Der erste Plan war gewesen, am Altstädter Brückenthurme das Attentat auszuführen. Sobald des Herzogs Kutsche durch den Thurmbogen gerollt, sollte Truppenmacht vor ihm und hinter ihm eingeschoben und sein Wagen an der Moldau aufwärts geführt werden. Davon war man abgegangen. Der Raum sei zu eng, und auf engem Raume werde seine Leibwache zu wichtig. Es entstehe ein Gemetzel und Blutvergießen; das wolle man nicht. Aus ähnlichem Grunde war der zweite Plan verworfen worden, welcher den Ueberfall an das entgegengesetzte Ende der Altstadt, in den Ausgang der Zeltner-Gasse vor den Pulverthurm verlegte. Es schien, als ob man sich erleichtert fühlte, je weiter hinaus der Angriff geschoben würde. Besonders galt das von Marradas, welchem der Muth entwich, je näher die Ausführung rückte. Selbst Carretto verhielt sich ziemlich flau. Beide waren eben Soldaten, welche die furchtbare Autorität des Friedländers stärker empfanden, als sie eingestehen mochten. Nur der Jesuit bekannte die Farbe vom Abend vorher und bekannte sie nachdrücklich. »Nicht nur den Kaiser verräth dieser Herzog« – rief Pater Norbert – »auch die Kirche verräth er. Nie fragt er nach dem Glaubensbekenntnisse bei seinen Soldaten, nicht einmal bei den Officieren, nicht einmal bei seinen Hausbeamten. Vor einer Stunde sah ich den Sparr vom Palais her kommen.« – Für mich ist er nicht zu finden! schaltete Marradas ein. – »Ein nüchterner Protestant, wie es nur einen giebt, und ein enger Vertrauter des Herzogs. Der Ilow aus Brandenburg, aus der Ketzerhaide, ist längst da und täglich bei ihm, und als wir hier eintraten, wurde mir gemeldet, daß der wilde Ketzer von der Ostsee, der einäugige Holck, der frechste Gottesläugner, zum Reichsthor herein nach dem Friedländer'schen Palais gesprengt sei. Wir dachten ihn beim Tilly, der arg bedrängt ist – er hat nichts Eiligeres zu thun, als sich dem Herzoge zur Verfügung zu stellen, weil er ahnt oder weiß, daß dieser der Mittelpunkt werden will für ein ungläubiges, antikaiserliches Kriegsheer. Zaudert nicht, Ihr Herren, mir ist es deutlich, daß wir vor einem furchtbaren Wendepunkte stehen, daß der Waldstein hochverrätherischen Thaten entgegengeht, hochverrätherisch gegen Papst und Kaiser. Die größte Aufgabe ist in unsere Hand gelegt; versäumen wir dieselbe nicht! Die Ausführung erhebt Euch, die Unterlassung stürzt Euch; denn der Kaiser erfährt, daß wir unterrichtet waren und aus Zaghaftigkeit den vielleicht nie wiederkehrenden Moment versäumt haben.« – Aber wohin mit dem Herzoge, wenn wir wirklich seiner habhaft werden?! rief aus gepreßter Brust Marradas. – »Nach dem Carlsteine!« – entgegnete Carretto – »in jener Gegend commandirt Gallas, und dieser gilt zwar heute noch für einen Anhänger des Friedländers, wird aber, so viel ich verstehe, nichts Auffallendes für ihn thun.«

So kamen sie denn endlich überein, daß jenseits des Pulverthurmes am Ausgange der Zeltner-Gasse die Gefangennahme des Herzogs vollführt werden sollte. Dort außen sei ein breiter, freier Raum. Rechts von jenseits des Grabens her – damals war es noch ein wirklicher Festungsgraben – könne eine starke Reiterabtheilung im entscheidenden Augenblicke, wenn des Herzogs Wagen die Brücke am Pulverthurme passirt habe, herzusprengen, ihn vom Gefolge abschneiden und im Galopp am Graben entlang nach dem Wischehrad hinaus oder nach dem Smichow hinüber entführen, also auf geradem Wege nach dem Carlsteine hinauf.

So schlossen sie ab, und Officiere wurden beauftragt, spornstreichs die Ordres hinüber zu bringen in die Neustadt, wo Truppen zum Ausrücken bereit standen.

»Aber den sächsischen Ketzer« – rief Pater Norbert noch, ehe die Führer auseinander gingen – »den Starschädel dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Er wird sicherlich neben dem Herzoge sein und darf nicht entwischen. Schon darum nicht, weil er im äußersten Nothfalle, wenn ein solcher später eintreten sollte, für den Zielpunkt unseres Ueberfalls ausgegeben werden kann.« – Bene, bene! rief Marradas – wir können sagen, es habe nur ihm gegolten. Wer kennt ihn?

Norbert und Carretto kannten ihn wohl; aber für keinen von beiden schien es passend, persönlich bei diesem Ueberfalle zu erscheinen. Da trat ein kleiner Mann ein, um eine eilige Meldung zu machen. –

»Der da kennt ihn und wird's besorgen« – rief Norbert. – »Was für Nachricht von drüben?« setzte er fragend hinzu. – Es geht an den Aufbruch; die Musik hat schon aufgespielt, der Herzog ist auf der Stiege erschienen – erwiderte der kleine Mann, welcher Niemand Anderer war als Signor Medardo, die rothe Feder, jetzt im Specialdienste Norberts und im Grade eines Officiers dem Stabe von Marradas zugetheilt.

Medardo wurde sofort instruirt und hinausgeschickt in die Neustadt, damit er neben dem Officier, welcher die Reiterabtheilung commandirte, vor dem Pulverthurme jenseits des Festungsgrabens erscheinen und mit einigen sicheren Reitern sich des sächsischen Ketzers bemächtigen könne.

Norbert, Marradas und Carretto blieben allein im Rathhaussaale zurück. Norbert trug die Kosten der Unterhaltung und beschwichtigte den sorgenvollen Marradas mit der Versicherung: Pater Lamormain sei längst im Klaren über die verderbliche Bedeutung Waldstein's, und seit der alte Beichtvater Pater Bartholomäus gestorben, komme kein geistliches Gegenwort mehr zu den Ohren des Kaisers. »Aber der Bischof von Wien?« seufzte Marradas. – Macht keinen geistlichen Eindruck beim Kaiser. Wird wol zu den »Bergen« gerechnet, welche den Friedländer schützen, zu den Eggenberg, Werdenberg und Questenberg, wird aber nur in politischer Frage gehört. Die geistliche Frage entscheidet am letzten Ende doch Alles beim Kaiser, und die Verbindung Waldstein's mit den Ketzern bricht ihm den Hals, sobald Lamormain nachdrücklich auftritt mit dem Nachweis dieser Verbindung. Dazu kommt, daß der neue Generalissimus vorhanden ist, der Sohn des Kaisers, der König von Ungarn. – »Er kommt!« rief Carretto, welcher dem Fenster zunächst stand und auf den Ring hinabsah.

Auf dem Ringe nämlich entstand ein rasches Laufen von Menschen nach der Jesuiter-Gasse zu und man hörte Trompeten. Zwei Vorreiter mit langen Hetzpeitschen sprengten auf den Ringplatz herein und klatschten mit ihren Peitschen, daß es ein Echo gab. Ein Zeichen, daß man aus dem Wege gehen oder fahren solle. Es fruchtete auch sogleich: die letzten Wagen des Friedländer'schen Trains setzten sich in Trab nach der Zeltner-Gasse hinein, andere Wagen, die eben vorüber wollten, lenkten seitwärts und hielten an den Häusern still, aus denen die Menschen hervorquollen, um sich ebenfalls neugierig und respektvoll aufzustellen, eine breite Fahrbahn inmitten des Platzes scheu und sorgfältig frei lassend.

Als die Vorreiter in die Zeltner-Gasse eingebogen waren, erschien auf schwarzen Rossen eine Schaar von zwanzig Trompetern, in Roth und Gold gekleidet. Sie bliesen schmetternd einen majestätischen Marsch, und sie bliesen zum Ohrenschmaus der Prager sehr gut; es waren lauter Böhmen, lauter musikalische Leute. Ihnen folgte die erste Abtheilung der Leibwache, an die zweihundert prächtig berittener, reich gekleideter Männer, mit der linken Hand den Zügel führend, in der rechten Hand das kurze Feuerrohr, welches drohend aufgestützt war auf den rechten Schenkel. Ihre rothen Hutfedern und rothen Feldbinden leuchteten wie breite Feuerstreifen in der Sonne. Hinter ihnen kamen sechs Cavaliere des herzoglichen Hofhaltes auf schwarzmähnigen falben Hengsten in einer Linie breit neben einander. Diese Hengste tanzten nach dem Tacte des Trompetenmarsches jene künstliche Gangart, die »spanischer Tritt« genannt wird, und einen kundigsten Reiter fordert. An solchen fehlte es nicht am Friedländischen Hofe. Der Herzog selbst legte ein militärisches Hauptgewicht auf Reiterei, und der Adel, welcher sich zu seinen Hofstellen drängte, machte sich ein Geschäft daraus, in der Führung des Rosses Vorzügliches zu leisten.

Dicht hinter diesen Cavalieren kam die sechsspännige Kutsche des Herzogs. Die schwarzverhüllte Gestalt des Herzogs darin war für das spähende Zuschauerauge kaum zu entdecken, denn links und rechts am Kutschenschlage ward der Einblick verdeckt von Reitern. Am linken Schlage ritt Scherfenberg, eine hohe österreichische Gestalt; auswärts neben ihm, eine halbe Pferdelänge rückwärts, ein Adjutant desselben. Am rechten Kutschenschlage ritt Herr Hans von Starschädel, und nach auswärts neben ihm der Bart-Conrad, eine gewaltige Figur in braunem Lederkoller, auf welchen der Bart wie ein Wald bis zur Herzgrube hinabwallte. Der wüste Gesell, wie er vor zehn Jahren in Wien herumgestrichen, war kaum noch in ihm zu erkennen, so sauber und soldatisch fest in der Haltung erschien er jetzt. Aber das Auge war ganz dasselbe. Ganz so lebensfroh wie damals wendete es sich jetzt links rückwärts nach dem Rathhausfenster hinauf, aus welchem er vor zehn Jahren die böhmischen Cavaliere zum Tode schreiten gesehen, und ein kurzer, jäher Ausruf, wie er dem früheren Conrad eigen gewesen, schlug an das Ohr Starschädel's, welcher sich in Folge desselben ebenfalls wendete und nach dem Fenster zurücksah. Desgleichen that Rostok, der Kammerdiener, von seinem Sitze hinten an der Kutsche des Herzogs. Auch ihn hatte der wilde Ausruf Conrads getroffen. Was war denn zu sehen? Pater Norbert stand am Rathhausfenster und sah lächelnd herab. »Da giebt's 'nen Hinterhalt, Gott straf' mich!« – murmelte Conrad – »diesen Patron und sein Schmunzeln kenn' ich, Herr!« – Rasselnd ging aber der Zug ungestört weiter. Die große Kutsche der Damen folgte unmittelbar, die Herzogin, Ludmilla, Magna und das kleine Töchterlein führend. Neben ihr unter zahlreichen Cavalieren Herr Leo, ganz gut beritten und in glücklicher Heiterkeit. Er sah vor sich Fräulein Magna und die kleine Prinzessin, welche auf dem Rücksitze saßen, und die kleine Prinzessin machte ihm öfters Zeichen mit den Händchen, und er sprengte tapfer an den Schlag unter zierlicher Anfrage, ob was befohlen würde. Die Kleine schüttelte dann das Köpfchen und lachte –

Die zweite Hälfte der Leibwache, wiederum an die zweihundert Reiter folgte dicht hinter dem Damenwagen, und ein unabsehbarer Zug von Reitknechten mit Handpferden, von Wagen mit Dienerschaft und Gepäck drängte immerwährend aus der Gasse hinter dem Rathhause hervor. Die Vorreiter mit den Hetzpeitschen sprengten schon durch den Pulverthurm jenseits der Zeltner-Gasse, als der Ring noch bedeckt war von dem unabsehbaren Zuge.

Jetzt nahte die Entscheidung. Die Befehle des commandirenden Generals Don Balthasar Marradas waren genau befolgt worden: ein Regiment Panzerreiter rückte auf der Straße jenseits des Festungsgrabens heran gegen den Pulverthurm, aus welchem der Auszug Waldstein's stattfand. Als die Vorreiter des Herzogs unter dem Thorbogen des Thurmes auf die Brücke hervorsprengten, war die erste Linie der Panzerreiter bereits dort, wo jetzt das Gasthaus zum »schwarzen Roß« steht. Sie kamen dahergeritten so breit als die Straße war, der commandirende Oberst, ein Mann von der spanischen Partei, inmitten des ersten Zuges. Dieser Oberst war ein junger Mann, kaum dreißig Jahre alt, eine volle, behagliche Gestalt mit angenehmen Gesichtszügen. Braunes, lockiges Haar und ein feiner Bart, der sich über das Kinn herabkräuselte, beschatteten eine reine Gesichtsfarbe, und die ganze Haltung deutete auf feines, vornehmes Wesen. Medardo hielt neben ihm. Der Oberst rief: Halt! – Halt! Halt! Halt! ging es weiter in der dröhnenden Masse entlang, und alle Zügel wurden angezogen, die Pferde standen und pruhsteten. Es schien rathsam, zunächst in solcher mäßigen Entfernung zu warten, damit das vorausreitende Geleit des Herzogs nicht vorzeitig allarmirt würde. Erst wenn der Wagen des Herzogs unter dem Thorbogen des Thurmes hervor und über die Brücke käme, sollte im Galopp eingebrochen werden, und zwar in zwei gespaltenen Zügen, der Zug rechts vor den Wagen, der Zug links hinter den Wagen, damit er wie im Gewittersturme abgeschnitten würde. Vertraute Reiter waren beordert, die Zügel der Wagenpferde sofort zu ergreifen und den Wagen rechts abzulenken mitten unter die Panzerreiter hinein. Medardo waren ebenfalls Vertraute zugewiesen, welche den sächsischen Ketzer fassen sollten. – Erwartungsvoll harrte man. Die Trompeter zogen vorüber, die Leibwache folgte aus dem Thurme hervor über die Brücke, Alles ritt geradeaus – die spanischen Tritt reitenden Cavaliere tanzten jetzt aus dem Thurmbogen hervor – »Acht!« commandirte der Oberst – die ersten zwei Rappen mit dem rothen Sattelkutscher erschienen – eine Minute noch etwa lag vor einem Beginnen, welches dem großen Kriege eine unerwartete Wendung geben konnte, wenn es gelang, eine ganz andere Wendung, als die Unternehmer beabsichtigten. Denn wenn der Friedländer verschwand, so verschwand auch die Aussicht auf ein großes kaiserliches Heer, dessen man so dringend bedurfte, und die protestantischen Heere drangen unaufgehalten nach dem katholischen Süden, drangen ins Herz der Erz- und Erblande!

In dieser Minute aber ereignete sich für den commandirenden Obersten Unerwartetes. Sparr hatte genau beobachten lassen und hatte genaue Kunde erhalten, von wo ein Angriff zu erwarten stünde. Demgemäß hatte er seine Maßregeln getroffen. – Zuerst hörte der wälsche Oberst von rechts vor sich, da wo in der Gegend des heutigen »Stern« die Leibwache hinter dem Walle verschwand, ein brausendes Geschrei. Was ist das? Es klang wie jubelnder Zuruf. Unmittelbar darauf dasselbe Geschrei geradeaus, links vom Wagen des Herzogs, der just aus dem Thurmbogen herauskam. Man sah, daß der dunkle Schatten im Wagen sich vorbeugte, daß er die schwarze Gesichtsmaske abnahm, daß er die Fenster öffnete und links wie rechts gebieterisch herausschaute.

Ehe noch der erstaunte Oberst aufs Reine kam über das, was er sah und hörte, und über das, was er thun sollte, enthüllte sich die räthselhafte Scene wie in einem Nu. Vom »Stern« her, links und rechts neben der zusammenrückenden Leibwache stürzten Truppen hervor mit emporgehaltenen Waffen, und unter einstimmigem Geschrei. Sie vereinigten sich vor dem Wagen des Herzogs und schwenkten in fester Ordnung dergestalt ein, daß der Oberst mit seinen Panzerreitern abgeschnitten war von diesem Wagen. Was das Geschrei bedeutete, konnte der arme Oberst nicht ganz verstehen, nur das Wort »Friedlandus« verstand er deutlich. Im nächsten Augenblicke wurde diesem Mangel abgeholfen: links vom Wagen des Herzogs die Straße herauf, welche Porcic heißt, stürzte in vollem Lauf ebenfalls eine breite, tiefe Truppenmasse mit demselben Geschrei. Sie hielt wie auf Commando inne in ihrem Laufe als sie auf zehn Schritt dem Wagen nahe gekommen, und wiederholte jetzt den Ruf gleichzeitig und einstimmig mit den Truppen, die rechts vom Wagen Posto gefaßt. Nun bildete sich der Ruf so deutlich, daß auch die entfernteren Panzerreiter sammt ihrem Oberst ihn völlig verstehen konnten! Vivat Friedlandus! scholl es klar durch die Lüfte. Der arme Oberst, bitter enttäuscht, machte eine unwillkürliche Bewegung mit seinem Pallasch, welche seiner Enttäuschung und seinem Aerger entsprang, welche aber von seinen Panzerreitern arg gemißdeutet wurde. Er hatte kurz vorher »Acht!« commandirt, und seine Leute meinten jetzt, dies habe dem bevorstehenden Vivatrufen gegolten und die Bewegung mit dem Pallasch sei nun das Signal für sie. Donnernd erhob sich also nun auch hinter ihm über das ganze Regiment hinaus der Ruf: »Vivat Friedlandus!« und wiederholte sich, so oft die Truppen um den Wagen den Ruf aufs Neue anstimmten. Ja dort wie hier schossen ganze Züge Reiter ihre Feuerröhre in die Luft, um ihrem Enthusiasmus stärkeren Nachdruck zu geben. Zum Schrecken des armen Obersten verwandelte sich der beabsichtigte Ueberfall in eine stürmische Ovation, in den Ausdruck des Wunsches: der Herzog von Friedland möge wieder die Führung des Heeres übernehmen.

Noch mehr! Der Herzog stieg aus seinem Wagen. Nicht nur die Maske, auch der Pelz fiel, und kerzengerade, ohne Stab, in seiner ganzen gebieterischen Erscheinung schritt der Friedländer auf die Truppen zu, welche sich augenblicks soldatisch richteten, ging an den Fronten entlang, sah Jedem genau ins Gesicht, nickte leise mit dem Haupte, winkte leise mit der Hand und sagte mit lauter Stimme zu den Officieren, welche neben Oberst Sparr salutirend ihm entgegentraten: »Die Leute brauchen für den Winter neue Mäntel. Das ist verschlissene Waare, was sie tragen. Sorgt dafür, Oberst, auf meine Kosten! Laßt eine Gasse öffnen!« setzte er hinzu und deutete nach der Richtung, in welcher die Panzerreiter standen.

Die Gasse öffnete sich, und zum Schrecken des armen Obersten schritt der Herzog, ein stattlich Gefolge von Officieren hinter sich, auf ihn zu. Verstärktes Geschrei: »Vivat Friedlandus!« hinter sich, jubelndes Geschrei: »Vivat Friedlandus!« vor sich, denn die Panzerreiter sahen ihn mit Entzücken kommen. Eine Handbewegung von ihm genügte, daß sie die Rosse links wie rechts drängten und eine Gasse bildeten, in welche er hineinschritt. Den Obersten traf im Vorübergehen ein furchtbarer Blick. Durchschaute der alte Feldherr den Zusammenhang? So schien es. Zu den Reitern sprach er ebenfalls ein paar freundliche Worte und befahl Rostok, welcher ängstlich mit dem Pelze nachgekommen war: zwanzig Fässer Wein aus dem Keller drüben sogleich zu bestellen für die Truppen in Prag, damit sie den hereinbrechenden Winter behaglich begrüßen könnten. »Denn der Soldat muß ein lustiges Herz haben«, sagte er, indem er sich zum Scheiden wendete. Ein neues donnerndes Vivat begleitete ihn.

»Wer hat Euch zum Obersten gemacht?« fragte er, ohne im Gehen inne zu halten, als er aus der Reitermasse heraustrat. – Der commandirende General Don Balthasar Marradas – antwortete dieser und ritt neben dem Herzoge respektvoll einher. – »Wann?« – Vor drei Monaten. – »Ihr heißt?« – Conde Piccolomini. – »Ich werd' mir den Namen merken. Erinnert mich daran, wenn wir uns wiedersehen.«

Am Wagen angekommen, wies er den Pelz zurück, welchen Rostok hinhielt, und sagte: »Hinein damit! – Den Wein bestellen!« Rostok winkte einem berittenen Diener und trug's ihm auf. Der Herzog stieg ein; der Zug setzte sich von Neuem in Bewegung, und neue donnernde Vivats geleiteten ihn.

So erschien er jetzt außerhalb der Mauern von Prag mächtiger und nothwendiger, als er noch vor einigen Stunden innerhalb dieser Mauern gewesen war. Die Ovation von Seiten der Truppen wurde offenkundig, der Hinterhalt, welcher ihn fangen gesollt, blieb verborgen. Die fünf bis sechs Personen, welche ihn beabsichtigt hatten, hüteten sich wohl, ihre Absicht zu verlautbaren. Das aber hatten sie zu Wege gebracht, daß nach Wien die Nachricht flog: Der Friedländer ist nach wie vor der Abgott des Heeres, und er allein kann es wieder herstellen.


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