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Das Geheimnis des Zierschnabels

Über die grasbedeckten Hügel nach dem Waldufer des Flusses zu, hüpfte eilig die ganze, zahlreiche Schar der Zierschnäbel, an ihrer Spitze Grappignapp und Kaplawutt. Sie hatten das volle Heer der ihrigen auf ihrer Botenreise zum Iguanodon mitgenommen, denn auf der hügeligen Steppe, auf der sie den Wald im Süden umgehen mußten, war das Jagdgebiet der Hohlschwänze. Zwar waren die Zierschnäbel unverletzlich für alle Tiere, die an die große Schlange glaubten. Aber die Hohlschwänze waren so hartgesottene Bösewichter und jetzt so haßerfüllt gegen die Zierschnäbel, daß diese ihnen nicht trauten. Ihre große Schar anzugreifen konnten die Hohlschwänze nicht wagen, aber an einem kleinen Trupp hätten sie vielleicht Rache genommen, in der Erwartung, daß dann kein Tier von ihrer Untat erfahren hätte. Wenigstens wollte Grappignapp keine Vorsicht außer acht lassen. Aber er hatte keineswegs die Absicht, alle Zierschnäbel mit bis zum Iguanodon zu führen.

Als sie jetzt die Region erreicht hatten, wo das niedere Gebüsch begann, ähnlich demjenigen, darin Homchen vor dem Hohlschwanz sich verborgen hatte, rief Grappignapp seinen Trupp zusammen und befahl ihm, sich hier still zu verhalten und seine Rückkehr oder seine Botschaft zu erwarten. Auf keinen Fall sollten sie sich aus dem Gebüsch herauswagen. Nur Grappignapp und Kaplawutt, jeder von einem vertrauten Gehilfen begleitet, setzten ihre beschwerliche Reise durch das dichte Buschwerk fort, bis sie an den Wald gelangten, der sich zum Flußufer hinabsenkte. Hier hielten sie an und sandten die Gehilfen voran, um den gegenwärtigen Aufenthalt des Iguanodon auszuspähen.

Kaplawutt betrachtete den dichten Urwald. Üppige Moose und Farnkräuter überwucherten am Boden vermorschende Stämme gestürzter Waldriesen; darüber verschränkten Buchen und Eichen ihre Äste. Hin und wieder ragten gewaltige Zedern und Fichten über die Laubbäume hervor. Dunkel war es unter den Bäumen, die Sonne vermochte nicht durch die Zweige zu dringen. Wie eine lebendige Festung schirmte der Wald seine kleinen Bewohner, die in den tausend Schlupfwinkeln unter dem grünen Dache, in den hohlen Stämmen ihr nächtliches Lager führten. Was hatten sie verbrochen, daß ihnen der Untergang geschworen war? Im Dämmer des Waldes glomm eine geheime Kraft, noch unbewußt, eine welterobernde Macht ihres geselligen Lebens, ein Funke des großen Weltlichts – und es hatte sich verraten in einem verfrühten Sprößling eines Geschlechts, dem die Zukunft gehörte. Wehe dem Ersten, dem die Ahnung erwacht, daß es ein eignes Selbst gebe!

»Wir werden die Kraft der Großechse vermissen«, sagte Kaplawutt. »Diesen knorrigen, verschränkten Ästen ist der Igua- nodon nicht gewachsen.«

»Das braucht er auch nicht«, erwiderte Grappignapp. »Es gibt noch starke Echsen genug, der Atlanto bricht hindurch. Aber die Großechse mußten wir vor allem los sein. Hätten wir ihr zum Ruhme dieses Sieges verholfen, so wäre sie der Herr der Welt. Gegen ihre Kraft gibt es keinen Widerstand.«

»Die Geister der Nacht warfen sie nieder.«

»Wohl uns, daß es Nacht war. Es ist nicht immer Nacht. Jetzt aber hat das Moor gesehen, daß auch die Großechse sich fürchten kann.«

»Die rote Schlange gab ihre Macht in unsere Hände, damit wir für das Wohl der Tiere sorgen, die nicht für sich denken können.«

»Dafür haben wir eben zu sorgen, daß sie es nicht lernen. Kämen sie einmal dahinter, daß die Nachtgeister uns nicht gehorchen, daß die schönen, goldnen Sterne fern und ruhig am Himmel wandeln, um uns in der Nacht den Weg durch die Steppe zu weisen, damit wir wandern können, wenn keine Echse sich zu rühren wagt, bald wäre es vorbei mit unsrer Macht. Und darum – darum müssen die Waldtiere vertilgt werden.«

»Ich habe den Echsen gesagt«, erwiderte Kaplawutt, »die Waldtiere wollen stark werden, um den Echsen die Herrschaft zu entreißen. Aber im Grunde genommen – warum will die rote Schlange, daß gerade die Echsen herrschen und nicht die Beutler? Sollten wir nicht klug genug sein, auch sie zu lenken, damit der Wille der Schlange herrsche zum Segen der Tiere?«

»So lange sie Beutler bleiben, ja. – Aber wenn – du hast den Echsen klugerweise nicht gesagt, wie die Beutler allein den Sieg erringen könnten.«

»Indem sie denken lernen, natürlich.«

»Ja, und das ist es eben. Die Stärke haben wir nicht zu fürchten, aber das Denken. Vorläufig wissen sie ja selbst noch nicht, worauf es ankommt. Aber Einzelne ahnen es, wie dieser vorwitzige Kala. Er ist ein Prophet. Und wenn die Propheten aufstehen, so ist es Zeit, die ganze Rasse zu vernichten, so lange sie noch nicht reif ist, sie zu verstehen. Nachher ist es zu spät.«

»Ich sollte meinen, wenn die Tiere klug genug würden, unsere Leitung zu entbehren, so wäre auch der Wille der Schlange erfüllt. Doch ich beuge mich deiner Weisheit. Ich kenne nur die Regeln unserer Geheimlehre, ihre Gründe kenne ich nicht.«

»Du bist wert, den höchsten Grad zu erreichen. Wie lautet unsre erste Regel?«

»Wen du beherrschen willst, den erhalte in der Unwissenheit.«

»Und die zweite?«

»Klugheit besiegt die Stärke.«

»Gut. Darum sind wir herausgewachsen aus dem Geschlechte der Echsen und ihre Herren geworden, weil wir klug sind. Nun aber will ich dir sagen, was niemand weiß, wie Klugheit und Stärke entstehen. Wir lehren die Echsen das Gebot, ihr Mark anzuhäufen, damit sie stark werden, an dem einen Ende des Rückens. Aber wir lehren sie das Falsche

»Wie? Wie dürfen wir das? Kann die Schlange das gebieten? Doch du willst mich nur prüfen. Es ist ja doch wahr, was wir lehren. Werden sie nicht stark? Und diejenigen von uns, bei denen es auch der Fall ist, sind sie nicht besonders stark? Können sie nicht mit ihrem Schwanz schlagen und sich fortschnellen, besser als andere, trotz ihrer Kleinheit?«

»Das ist freilich richtig, daß die Echsen ihre schweren Gliedmaßen so schnell zusammenziehen und ausstrecken können, daß sie mit so furchtbarer Wut auf den Anreiz antworten, daß sie ein Schrecken sind für sich und die Welt, das verdanken sie dieser Markanhäufung am Ende des Rückens. Aber das eben ist das Falsche. Dadurch werden sie die Sklaven dessen, der klug ist. Sie haben den Mittelpunkt ihres Lebens am falschen Ende. Hätten sie diese Anhäufung des Markes am oberen Ende des Rückens, über dem Halse, in ihrem Kopfe, so würden sie klug werden, so würden sie denken können. Dort im Kopf, wo Augen und Ohren sind, da muß alle Macht des Lebens zusammenlaufen, da muß sich vereinigen, was in der Welt vorgeht. Und wenn dort die Fülle des Markes liegt, die Gehirn heißt, so sammelt sich an, was wir erfahren; so bricht der Anreiz, der uns trifft, nicht sogleich los im Sturme der sinnlosen Leidenschaft; so wirkt Vergangenes und Zukünftiges zusammen, daß zur rechten Zeit geschieht, was zum Ziele führt. Und das nennt man Denken

Kaplawutt blickte Grappignapp lange bewundernd an. Dann sagte er:

»Ja, weiser Meister, du hast mir das große Geheimnis offenbart. Immer habe ich mich gewundert, warum unter uns Zierschnäbeln diejenigen die Führer sind, deren Köpfe sich höher wölben als die der andern, obwohl sie nicht gerade immer körperlich die stärkeren sind. Nur den Großköpfen kann sich das Geheimnis der roten Schlange enthüllen.«

»Und nun siehst du auch, warum wir nicht dulden dürfen, daß die Säuger ihr Waldleben fortsetzen und sich weiter ausbreiten. Denn in ihnen beginnt diese Wanderung des Markes nach dem Kopfe. Schon haben einzelne ein Gehirn, das lange die Spuren der Dinge bewahrt, wie der Bergsee die raschen Sturzbäche des Himmels; so sparen sie ihre Kraft für den Augenblick des Bedarfs. Und so eint sich in ihnen immer mehr von dem ganzen Leben der Welt, und je mehr sich vereint, um so mehr gleichen sie der roten Schlange, die alle Macht der Welt umfaßt. Von den Beutlern selbst ist das freilich noch nicht zu besorgen. Aber es gibt Fälle, wie bei diesem Kala, der sich rühmt, mehr zu wissen als alle Echsen, Fälle, in denen die Jungen reifer zur Welt kommen. Und wenn ein solches Geschlecht sich heranbildet und alle die Vorteile vererbt, die mit der ganzen Einrichtung des Körpers zusammenhängen, wenn alle diese Vorteile sich steigern, so mag es wohl dahin kommen, daß statt der Beutler eine Gesellschaft von Waldbewohnern ersteht, die durch ihren Verstand der Kraft der Echsen überlegen ist, und die –«

»Die den Zierschnäbeln nicht mehr glaubt«, sagte Kaplawutt.

»So ist es.«

»Aber wenn sie uns nicht mehr brauchen –«

»Sie sollen uns brauchen, es ist der Wille der Schlange.«

»Ich beuge mich.«

Lange schwieg Kaplawutt nachdenklich. Dann begann er wieder:

»Ich sollte doch meinen, in der langen Zeit, die dazu nötig ist, daß die Säuger klug werden, würden vielleicht auch die Zierschnäbel noch klüger werden und doch die Säuger zu lenken wissen.«

Grappignapp antwortete nicht sogleich. Dann sprach er leise und geheimnisvoll:

»Zahllos sind die Arten der Tiere und werden es sein in aller Zukunft, die auf der Erde leben. Da wird es immer viele, sehr viele, die allermeisten geben, die der Zierschnäbel bedürfen, und immer Zierschnäbel, die sie in Klugheit beherrschen. Aber es gilt eine Grenze der Klugheit, die durch höhere Klugheit beherrscht werden kann, und über welcher das Herrschen aufhört. Es gibt eine Stufe der Weisheit, und die sie erreicht haben, sind einander gleich. Die wahren Weisen leben miteinander, aber sie beherrschen einander nicht und lassen sich nicht beherrschen, ein jeder ist Herr seiner selbst und keines andern. Das ist das Geheimnis der roten Schlange. Ein jeder trägt die rote Schlange in sich. Wenn dies Geheimnis der Welt kund wird, dann –«

»Dann?«

»Es darf niemals kund werden. Du hast den Eid der Geheimlehre geschworen. Und wer dies Geheimnis verrät, der muß sterben!«

»Der muß sterben«, sagte Kaplawutt und biß den Schnabel zusammen. »Es ist ein furchtbares Geheimnis. Hätte ich geahnt –«

»Nun?« unterbrach ihn Grappignapp mit strenger Stimme.

»Ich beuge mich«, sagte Kaplawutt leise.

»Und der Iguanodon?« fragte er dann.

»Auch der muß sterben!« sprach Grappignapp eisig.

Kaplawutt erschrak. »Was sagst du, Meister? Er, unser Anführer im Kampfe mit den Waldtieren? Er, den wir als den Weisesten, den Unfehlbaren erklären? Soll er sterben, weil er das Geheimnis kennt?«

»Er muß sterben, weil er uns zu nahe verwandt ist.«

»Ich verstehe dich nicht, Meister.«

»Es ist auch nicht leicht. Du weißt, daß derf Iguanodon und die Zierschnäbel aus dem vornehmsten Drachengeschlecht der Vogelfüßler stammen. So lebt in ihm wie in uns die Anlage zum Denken. Wenn nun das Geschlecht der Iguanodon so klug wird wie wir, sie, die so vielmal größer und stärker sind als wir, wie sollen wir uns gegen sie behaupten? Und dann ist noch etwas zu fürchten. Wenn der Iguanodon klug wird, so wird er vielleicht nicht klug genug; nicht klug genug, das Geheimnis der Herrschaft zu wahren. Dann würde er das Denken der Tiere unterstützen, statt es zu bekämpfen. Wir aber wollen sie in Unwissenheit erhalten.«

»Warum aber hast du ihn dann zum Anführer erwählen lassen? Wir wollen doch siegen. Als Sieger wird er uns erst recht gefährlich, weil übermächtig, sein.«

»Wie aber, wenn er zwar den Sieg für uns erkämpft, jedoch dabei selbst mit seinem Geschlechte zu Grunde geht? Wenn er den Heldentod stirbt? So fällt sein Ruhm auf uns, die ihren nächsten Verwandten zum Besten der Echsen einsetzten. Und was von seinem Geschlechte übrig bleibt, wird dann den Wald- tieren auf ewig verfeindet sein, sie werden nie daran denken, zum Frieden zu raten, wie es ohne dies die halbe Klugheit des Iguanodon vielleicht tun könnte. Doch ich sehe unsre Kundschafter zurückkehren. Dies alles wollte ich dir wenigstens andeuten, damit außer mir noch einer ist, der im Falle der Not den Plan der Zierschnäbel bewahre.«

»Meister; wie soll ich das alles fassen? Die Lehre ist zu groß für mich. Ich will die rote Schlange bitten, wenn du in Not kommst, daß sie mich sterben lasse für dich.«

»Bitte, daß sie dir Verstand gibt, und schweige jetzt. Die Diener kommen.«

»Fandet ihr unsern Anführer?« rief Grappignapp den Boten entgegen.

»Wir fanden den mächtigen Iguanodon. Wir sahen ihn von der Weide zurückkehren nach seinem Ruheplatz unter den Farnkräutern am Waldesrand. Wenn ihr durch den Wald hinabsteigt und euch auf den Ast der breiten Buche über seinem Haupte schwingt, so könnt ihr mit ihm reden.«

»Es ist gut,ihr könnt uns führen.«

Ohne Geräusch waren die Zierschnäbel auf den Buchenast gelangt. Denn sie wollten erst beobachten, in welcher Laune sie den Gewaltigen träfen. Da lag er in seiner ganzen Größe unter den Farnen hingestreckt und schlief.

Sie warteten lange, aber da er sich nicht bewegte, so begannen sie zu rufen. Erst leise, dann lauter. Und das wäre ihnen fast schlecht bekommen. Denn plötzlich fuhr der Iguanodon mit seinem riesigen Halse in die Höhe und biß mit dem Schnabel in das Laub über seinem Kopfe; nur durch einen schnellen Seitensprung entgingen die Zierschnäbel dem gefährlichen Angriff.

»Bist du schon wieder da, frecher Beutler, der sich Homchen nennt?« so schrie der Iguanodon in Wut.

»Wir sind es ja, mächtiger Vetter, Grappignapp und Kaplawutt, deine Freunde, die Zierschnäbel«, rief Grappignapp von einem höheren Aste aus. »Wir bedauern, dich in deinem Schlummer gestört zu haben.«

»Ah, ihr seid es, liebe Vettern. Es freut mich. Ich glaubte, der freche Kala wollte mich wieder verhöhnen. Wenn ich ihn treffe, werde ich ihn an meinen Daumen spicken. Übrigens habe ich nicht geschlafen, ich dachte nur nach. Ich denke immer, ich kann es. Doch womit kann ich euch dienen? Redet schnell, denn ihr wißt, ich bin kein Freund von langen Reden. Doch sagt mir zuvor: Warum werfen die Bäume ihr Laub ab? Warum weht der Wind alle Tage kälter? Wie kann man es machen, daß man nicht am Halse friert, wenn man ihn aus dem Moose herausstreckt? Wenn man ihn immer im Moose haben könnte? Darüber denke ich schon lange nach, aber ich habe es noch nicht gefunden. Ihr seid so klug, könnt ihr es mir nicht sagen? Laßt uns zusammen denken, denken, denken!«

Kaplawutt sah seinen Meister verwundert an, doch der sagte:

»Die letzte Frage ist zu schwer, wie sollten wir sie lösen können, wenn du es nicht vermagst? Wie sollte das Moos am Halse wachsen? Aber wir kommen zu dir mit einer Frage. Wir haben vernommen, daß der freche Kala dich zu höhnen gewagt hat. Wir wollen ihn und sein ganzes Geschlecht bestrafen. Willst du uns mit deiner Klugheit dazu verhelfen?«

Und nun entwickelte Grappignapp in längerer Rede den Plan der Zierschnäbel, die Waldtiere zu vertilgen. Der Iguanodon sei als die weiseste der Echsen ausersehen, sie zu führen. Sein Wort solle Befehl sein und gelten wie das Wort der roten Schlange.

Der Iguanodon hatte sich im Anfang der Rede wieder gesetzt und nur seine Daumen von Zeit zu Zeit beifällig hin und her bewegt. Dann erhob er sich allmählich zu seiner ganzen gewaltigen Größe, reckte den Hals hoch empor und watschelte geschmeichelt von einem Fuße auf den andern. Und als der Zierschnabel geendet, begann er alsbald:

»Meine lieben Vettern. Kurz wird meine Antwort sein, denn ich bin kein Freund von langen Reden. Was ihr sagt, habe ich selbst schon alles bedacht, denn ich denke schnell, ich denke viel. Ihr habt klug gehandelt, daß ihr mich wähltet, denn ich bin stark, ich bin weise, ich bin die klügste der Echsen, ich bin mein Ideal. Wißt ihr was das ist? Ihr wißt es nicht, denn ich habe es selbst erfunden. Vernehmt, ich werde euch mein Programm entwickeln. Doch unterbrecht mich nicht, denn ich bin kein Freund von langen Reden.

Wenn ich mir das höchst entwickelte Lebewesen der Erde vorstelle, so muß es auf zwei Beinen gehen, den Köpf hoch tragen und bewegliche Daumen besitzen, nebenbei muß es fein denken können. Es muß außerdem ein reichliches Futter haben, Kräuter von verschiedenem Geschmack, Schilf, Moos und Baumblätter, um darin zu ruhen, wenn es kalt ist. Es muß süßes Wasser haben und einen weiten Weideplatz, wo es von keinem andern Tiere gestört wird. Da muß es gut schlafen und nachsinnen können, und wo es spazieren wandelt, sollen die ändern Tiere nicht gehen. Nur wenn es gerade Lust hat, dürfen von Zeit zu Zeit Besucher kommen und ihm sagen, daß es ein sehr kluges, schönes und begabtes Tier sei. Das ist es, was ich ein Ideal nenne.

Wenn ich nun weiter nachdenke, wo ein solches Tier zu finden ist, so sage ich mir, daß von allen Wesen, die ich kenne, der Iguanodon meinem Ideale am nächsten kommt. Und deswegen sage ich, daß ich mein Ideal bin. Nun bin ich, wenn ich ungestört bin und mir gerade nichts weh tut, nicht nur ein sehr wohlwollendes Tier, sondern auch ein glückliches Wesen. Ich kümmere mich nicht um die Welt, ich schließe meine Augen, und lauter grasgrüne und himmelblaue Sommerlichter ziehen an mir vorüber. Darum sage ich mir, wenn alle Tiere so wären wie ich, so wären sie alle glücklich, und keins würde das andere stören. Dazu ist es aber notwendig, daß alle, wenn auch nicht ganz, immerhin annähernd so klug werden wie ich; und das können sie nur erreichen, wenn sie vor allen Dingen kein Fleisch mehr genießen. Ich bitte mich nicht zu unterbrechen, denn ich bin kein Freund von langen Reden. Ihr wollt sagen, die rote Schlange hat geboten, daß der Stärkere den Schwächeren fresse. Aber doch nur, wenn er ihm schmeckt. Nun schmeckt aber meinem Ideal nur die Pflanzennahrung. Also soll man auch nur Pflanzennahrung genießen. Auch habt ihr mir selbst gesagt, daß die Nachtgeister die Großechse niedergeworfen haben, daß dagegen der pflanzenspeisende Atlanto den Wald niederwerfen soll. Mein Programm ist demnach, alle Tiere glücklich zu machen, indem ich sie mir ähnlich mache. Zuerst werden wir dazu den Wald zum größten Teile niederbrechen, damit die Waldtiere Wiesentiere werden müssen. Diejenigen nun, die sich verpflichten, nach meinem Ideal zu leben, sollen geduldet werden, denn sie werden dann niemand stören. Diejenigen aber, die sich dem Ideal widersetzen, ob sie nun Säuger oder Echsen sind, werden wir austilgen. So werden alle Tiere glücklich sein. Widersprecht mir nicht! Denn ihr habt selbst erklärt, aus mir redet die rote Schlange, und mein Wort ist unfehlbar. Eilet jetzt nach dem Drachenmoor und rufet alle Echsen zusammen, sie sollen sogleich heranstürmen und in den Wald eindringen, damit ich den Waldtieren unsern Willen verkündigen kann. Ich habe gesprochen. Ich bin mein Ideal.«

Damit zog sich der Iguanodon in sein Lager zurück.

»Darauf können wir doch nicht eingehen?« flüsterte Kaplawutt.

»Gewiß«, entgegnete Grappignapp. »Nur werden wir dafür sorgen, daß das Programm nicht weiter zur Durchführung kommt, als es uns rätlich scheint. Vorläufig berichten wir nur von der Zustimmung des Iguanodon. Und nun laß uns eilen.«


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