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29. Kapitel

In höchster Not

Der getreue Palaoro war in der Nacht auf das Gebirge gestiegen, um Saltner die Nachricht zu bringen, daß zwei Luftschiffe in Bereitschaft seien, ihn zu suchen. Diese Nachforschung konnte nur dadurch geschehen, daß die Luftschiffe Tal für Tal und Berghalde für Berghalde absuchten und jedes einzelne Häuschen, jede Hütte anliefen, um sich die Insassen anzusehen. Dies war allerdings eine umständliche Sache, doch war das Gebiet, um das es sich handelte, in bestimmter Weise eingeschränkt. Denn alle Täler, die den Gebirgsstock umgaben oder aus ihm herausführten, waren sogleich am Tag nach Saltners Flucht abgesperrt worden, die hier zerstreut liegenden Ortschaften waren besetzt, und es wäre nicht möglich gewesen, sie unentdeckt zu passieren. Ein einzelner Gebirgssteiger, wie Saltner, hätte sich wohl vorüberschleichen können, nicht so eine Gesellschaft, in der Saltners Mutter sich befand. Denn diese mußte entweder reiten oder getragen werden, war also auf die gangbaren Wege angewiesen. Die Hütten, welche in Betracht kamen, waren entweder Unterstandshütten für Touristen, oder es waren Sennhütten oder Zufluchtsorte für Hirten. Sie lagen stets an hervorragenden Punkten oder offen auf Wiesen und Almen, so daß sie von der Höhe aus leicht wahrgenommen werden konnten. Wollte Saltner für ein Luftschiff unentdeckbar bleiben, so konnte es nur dadurch geschehen, daß er sich in den Wald flüchtete, der die Abhänge der Bergrücken bedeckte.

Da am ersten Tag nach Palaoros Ankunft des dichten Nebels wegen auf den Bergen noch keine Gefahr der Entdeckung vorlag, brach Saltner mit dem Führer auf, um in den Wäldern eine passende Unterkunft zu suchen. Die Hütten, die sich hier für Köhler und Holzschläger errichtet fanden, waren allerdings höchst primitiver Art. Es gelang ihnen aber, doch einen Bau aufzufinden, der sich durch einige Arbeit wenigstens für den Notfall bewohnbar machen ließ. Sie setzten diese ärmliche Wohnung, so gut es ging, instand und kehrten abends nach der sogenannten Kleinen Hütte zurück. In der Nacht wäre es nicht möglich gewesen, Frau Saltner in das abgelegene Tal durch den Wald zu transportieren, da sie getragen werden mußte. Sie beschlossen also, es am Tag zu wagen. Gefährlich für die Entdeckung war dies freilich, denn es mußte ein weites, baumloses Plateau, dann eine steile Schutthalde und ein Felsabstieg passiert werden, ehe man in den Wald gelangte. Sie hofften, daß der Nebel noch anhalten werde.

Vor Sonnenaufgang verließ Saltner die Hütte und bestieg den Bergrücken, der den Blick nach Norden und Westen gestattete. Hinter den Zacken der Dolomiten strahlte der Himmel in leuchtendem Rot. Ein Meer von weißen Nebeln wogte in den Tälern, und nur die Gipfel der Berge blickten wie Inseln aus ihm hervor. Rosig glühten die Schneeriesen im Westen, und ihre höchsten Häupter glänzten bereits im Sonnenlicht. Saltner spähte nach der Gegend, wo Bozen unter Nebeln verborgen lag. Und da siehe, aus den weißen Wolken tauchten zwei dunkle Punkte auf, deutlich hoben sie sich jetzt gegen den hellen Himmel ab. Er richtete sein Fernglas darauf. Es war kein Zweifel, es waren die beiden Luftschiffe, die sich zu seiner Verfolgung aufmachten. Er eilte den Berg hinab.

»Wir müssen fort«, sagte er zu Palaoro. »Sie suchen uns, und der Tag wird klar werden. Aber sie fahren nach Südost, wir werden also noch Zeit haben, ehe sie bis hierher kommen. Für den Anfang steigen auch die Nebel noch herauf, wir müssen sehen, daß wir zur rechten Zeit Deckung finden.«

Der Zug setzte sich in Bewegung. Saltner und Palaoro trugen den Tragstuhl mit Frau Saltner. Katharina schritt, ebenfalls mit Gepäck beladen, hinterher. Es ging die Bergwand im Südwesten hinauf, dann über ein weites Plateau. Man kam nur langsam vorwärts. Oft mußte geruht werden. Endlich waren die Felsen am Rande des Plateaus erreicht, das sich von hier mit einer steilen Schutthalde in ein Tal hinabsenkte. Dieses mußte passiert werden, um den Bergrücken auf der gegenüberliegenden Seite zu gewinnen. Von dort führte der Weg durch eine Scharte zwischen zwei Gipfeln nach einem zweiten, engeren Tal, dessen waldbedeckte Abhänge sicheren Schutz boten. In dem ersten Tal zogen sich die Nebel jetzt bis dicht an den Rand des Plateaus. Ehe die kleine Expedition den schmalen, aber verhältnismäßig leicht gangbaren Pfad betrat, der hier hinabführte, spähte Saltner noch einmal nach den Schiffen aus, ohne eine Spur von ihnen bemerken zu können. Dann bedeckten die Nebel die Flüchtigen. Bevor der neue Aufstieg begann, wurde eine Ruhepause gehalten und dann mit neuen Kräften vorwärts geschritten. Es waren gegen vier Stunden seit dem Aufbruch vergangen, als sie aus den Talnebeln herausstiegen und sich anschickten, die Höhe zu passieren. Man hatte hier wieder einen weiten Umblick nach Westen und Süden. Plötzlich blieb Palaoro stehen.

»Sie kommen«, rief er aus.

Er hatte in der Ferne, im Süden, einen dunkeln Punkt bemerkt, den nun Saltners Glas als Luftschiff nachwies. »Sie nähern sich«, sagte Saltner, »aber sie haben sich getrennt es ist nur ein Schiff.«

»Sie werden von zwei verschiedenen Seiten anfangen. Diese wollen wahrscheinlich hinüber nach den Hütten am Laugen. Hier können wir nicht weiter, in wenigen Minuten müssen sie uns sehen. Wir müssen den Berg zwischen uns bringen. Sie werden vorläufig jedenfalls auf der Südseite bleiben.«

Man bog nach rechts ab und war bald durch die aufsteigenden, mit Rasen und verkrüppelten Fichten bedeckten Felsabhänge des Bergrückens gegen das herannahende Schiff gedeckt, so lange es sich nicht über den Gipfel erhob. Es war aber anzunehmen, daß die Martier zunächst die Abhänge im Süden absuchen würden. Der beschwerliche Weg führte nun bergab nach einem Felsriegel zu, von dem aus sich eine Schlucht in das Tal hinabzog. Doch war es fraglich, ob diese von einem Wildbach durchströmte, in steilen Abstürzen niedergehende Schlucht passierbar sein würde. Dies mußte zunächst untersucht werden. Das Ende des Felsriegels, der nach Norden fast senkrecht etwa hundert Meter abstürzte, war mit hohen, flechtenbedeckten Fichten bestanden und bot unter diesen und zwischen den Felstrümmern einen vorläufigen Zufluchtsort. Hier wollte Saltner die Frauen verbergen, während Palaoro einen Weg nach dem Tal auskundschaften sollte. Es galt nur noch die kurze Strecke über den kahlen Rücken bis zum Beginn des Waldes zu durchqueren.

Vielleicht noch hundert Schritte bergab trennten die Flüchtigen von dem schützenden Dickicht, als sie vor sich, nach Norden, über den dort hervorragenden Berggipfeln ebenfalls einen Punkt bemerkten, der unzweifelhaft ein Luftschiff war.

»Dort ist das andere Schiff«, rief Palaoro.

So schnell, als es möglich war, durchliefen sie die kurze Strecke und suchten einen geschützten Platz unter den hohen Stämmen. Die Sonne schien warm auf die harzduftenden Nadeln, in langen Bändern hingen die graugrünen Flechten von den Ästen, und der aus Felstrümmern bestehende Boden war mit weichem Moos bedeckt. Man hob Frau Saltner aus dem Stuhl, und die Frauen ruhten an geschützter Stelle in der stillen, sonnendurchwärmten Luft, während Saltner und Palaoro bis an den Rand des Absturzes vorgingen, um vorsichtig nach dem vermuteten Feind auszuspähen.

»Es ist mir nicht recht erklärlich«, sagte Saltner, »warum dieses Schiff einen so seltsamen Weg eingeschlagen hat, daß es jetzt von Norden kommt. Aber gleichviel, wenn sie uns nicht auf dem Weg hierher erkannt haben, sind wir vorläufig sicher.«

»Sie können uns schon gesehen haben. Sie kommen ja gerade auf uns zu.«

»Leider. Sie haben die ursprüngliche Richtung geändert. Man möchte wirklich glauben, daß sie hierher wollen. Ach, sie steigen in die Höhe und spannen die Flügel auf, sie werden eine Landung versuchen.«

»Wenn sie wirklich uns gesehen haben und hier in das Wäldchen wollen, so können sie nur draußen auf dem Bergrücken landen, von wo wir gekommen sind. Sonst können sie nirgends heran, das verhindern die Bäume.«

»Kommt, Palaoro. Wir wollen nach der andern Seite gehen, hier ist nichts zu tun und nichts zu befürchten. Das Schiff ist so hoch, daß man es nicht mehr sehen kann, ohne zu weit aus den Bäumen zu treten. Was tun wir nun, wenn sie landen?«

»Wir steigen in die Schlucht hinunter, so weit es geht. Nachklettern werden sie uns nicht. Bleiben Sie bei der Frau Mutter, und ziehen Sie sich inzwischen nach der Schlucht zu. Kathrin kann hier den Stuhl ein Stück tragen. Ich sehe inzwischen nach dem Schiff.«

Saltner brachte seine Mutter mit Hilfe der Magd bis an die Stelle, wo die Schlucht begann. Hier kletterte er selbst weiter, um den Weg zu untersuchen. Es ging zunächst steil bergab, aber es schien ihm möglich, doch noch hier herabzukommen. Nach einer kurzen Strecke erweiterte sich die Schlucht zu einem kleinen, von fast senkrechten Wänden umgebenen Felskessel. Den nahezu ebenen Boden, auf dem ein kleines Bächlein entsprang, bedeckte kurzer Rasen. Im Sonnenschein funkelten die Wassertropfen auf den Halmen, kleine blaue Schmetterlinge und weißschimmernde große Apollofalter spielten in diesem stillen Winkel. Die Quelle rieselte als schmales Rinnsal der Felswand zu, die sie in einer kleinen Klamm durchbrach. Aber die Neigung war gering, Saltner schritt durch das seichte Wasser und überzeugte sich, daß sich dahinter der Boden des Tales erweiterte. War man einmal bis hierher vorgedrungen, so mochte der weitere Abstieg wohl gelingen. Nun beeilte er sich zurückzukehren.

Er hatte etwa zwei Drittel des Aufstiegs kletternd zurückgelegt, als er zu seinem Erstaunen von Baum zu Baum ein Seil nach oben hin ausgespannt fand. Bald begegnete ihm Palaoro, der Frau Saltner auf einem Arm trug, während er sich mit Hilfe des Seiles vorsichtig den steilen Abhang hinabarbeitete. Ihm folgte Katharina. Ohne ein Wort zu sprechen unterstützte Saltner den Abstieg, bis sie das Ende des Seils erreicht hatten. Hier setzte Palaoro Frau Saltner nieder und sagte zu ihr beruhigend: »Hier sind sie ganz sicher, die dreißig Meter können die Herren Martier nicht herabkraxeln. Wir wollen nur das Seil holen.«

Er winkte Saltner und beide stiegen wieder den Berg hinauf.

Kurz vor der Höhe blieb Palaoro stehen und berichtete Saltner das Geschehene. Als er vorhin den Rand des Waldes erreicht hatte und die kahle Berglehne nach oben übersehen konnte, habe er das von Norden gekommene Luftschiff bemerkt, das mit ausgebreiteten Schwingen im Segelflug langsam über der Höhe schwebte. Es sei ein ganz besonders großes, schönes Schiff gewesen. Da sei von der andern Seite das kleine Regierungsschiff, das er als das Schiff des Unterkultors in Wien erkannte, schnell herbeigekommen und hätte dem andern Schiff Signale gemacht, die er nicht verstand. Darauf hat das große Schiff die Flügel eingezogen, und er hat nicht sehen können, was aus ihm geworden, da es hinter den Bäumen verschwunden ist. Das kleine aber ist dicht vor dem Wald auf dem Bergrücken gelandet. Nun ist der Pitzthaler, der Grenzjäger, aus dem Schiff geklettert und nach dem Wald gegangen. Wie er gesehen hat, daß es der Pitzthaler ist, hat er sich langsam zurückgezogen, und wie die vom Schiff aus den Pitzthaler hinter den Bäumen nicht mehr sehen konnten, ist er ihm so wie zufällig entgegengegangen. Hat ihn nun der Pitzthaler gefragt, ob er nicht hier herum den Herrn Saltner gesehen hat, der sollt' mal gleich auf das Schiff kommen, denn sie hätten von oben bemerkt, wie er um den Berg herumgegangen sei, und da könnt' er jetzt nirgends anders stecken als hier im Wald. Da hätte er geantwortet, das wollte er dem Herrn Saltner schon sagen, wenn er ihn halt zufällig hier treffen täte, wenn aber der Herr Saltner nicht käme, was sie dann wohl tun würden. Dann würden sie den Wald hier besetzen, daß er nicht herauskönnte, und er und der Verpailer, der auch mit wäre, die müßten ihm halt nachgehen und ihn herausholen, denn sonst kämen sie um ihr Brot. Er hätte sich aber am Fuß was vertreten und könnte nur langsam den Berg heruntersteigen. Und darauf wäre der Pitzthaler wieder zurückgegangen. Nun sei er erst wieder bis an den Waldrand geschlichen und habe gesehen, wie der Herr Unterkultor und vier Beds mit Glockenhelmen aus dem Schiff gekraxelt und mit den beiden Grenzjägern nach dem Wald zu gegangen seien. Da sei er rasch zurückgesprungen, habe das Seil ausgespannt und sei mit den Frauen herabgestiegen. Und er hat noch gesehen, wie die Grenzjäger mit den Martiern erst nach der andern Seite gegangen sind.

Während des Berichts lösten Saltner und Palaoro das Seil und stiegen die Schlucht wieder hinab. Sie beschlossen, sich bis in den Felskessel hinabzuziehen und dort des weiteren zu warten. Beide hofften, daß ihnen die Grenzjäger nicht sogleich folgen, sondern die Martier unter irgendeiner Ausrede mit der Verfolgung hinhalten würden.

Mit vielen Beschwerden gelang es, den übrigen Teil des Weges zurückzulegen. Sobald sie hinter dem nächsten Felsblock hervortraten, befanden sie sich am Rand der kleinen Wiese. Saltner trug jetzt seine Mutter, Palaoro ging voran. Er stand am Eingang zum Kessel. Da sprang er zurück. Erschrocken winkte er Saltner. Dieser setzte seine Mutter sanft nieder und sprang zu ihm.

»Was gibt es?« fragte er leise.

»Das große Luftschiff liegt auf der Wiese« flüsterte Palaoro.

»Um Gottes willen! So sind wir verloren. Wir sind von beiden Seiten eingeschlossen.«

Er warf einen Blick auf die seitlichen Abstürze der Schlucht, der ihn belehrte, daß hier ein Entkommen mit den Frauen nicht denkbar sei. Ratlos blickten die Männer sich an.

»Habt Ihr Leute bei dem Schiff gesehen?« fragte Saltner.

»Ich hab mir gar nicht Zeit genommen«, antwortete Palaoro. »Sie müssen von oben gesehen haben, daß hier der einzige Ausweg ist, und haben ihn verlegt. Wenn sie sich jetzt hier umschauen, müssen sie uns finden, auch wenn die von oben nicht herabkommen. Bergauf werden die Nume nicht steigen, aber vielleicht haben sie auch Grenzjäger bei sich. Wir wollen wenigstens das kleine Stückchen zurück bis dort zwischen die beiden Felsen.«

»Es ist auch nur für den Augenblick«, sagte Saltner, »aber wir wollen es tun. Möglich wäre es ja, daß die Grenzjäger nicht sehen wollen und vorbeiziehen, wahrscheinlich freilich nicht, es ist zu klar, daß wir hier stecken müssen. Ich werde mir dann das Schiff ansehen, und wenn es nicht anders ist«

»Ergeben?« stammelte Palaoro.

»Ihr nicht, das hat keinen Zweck. Ihr könnt hier an der Seite hinaufklettern. Ich aber kann die Frauen nicht verlassen.«

Er lehnte einen Augenblick wie gebrochen an dem Felsen.

»O meine Mutter!« flüsterte er. Dann ging er zurück zu den Frauen.

»Ich muß euch noch ein paar Minuten hierlassen«, sagte er. »Dort zwischen den Felsen wirst du besser sitzen. Es ist noch ein Hindernis drunten, hoffentlich läßt es sich beseitigen.«

»Du mein lieber Josef, was ich dir für Mühe mache. Aber wenn sie uns wieder fangen, das ist zu schrecklich«, antwortete Frau Saltner.

Bald waren die Frauen untergebracht.

»Ich gehe jetzt«, sagte Saltner, sich beherrschend. »Ängstige dich nicht, Mutter.«

Er küßte sie.

»Aber du kommst bald wieder?«

»Gott wird helfen.«

Saltner warf noch einen Blick zurück. Dann schlich er bis an den Felsblock, der den Eingang zur Waldblöße deckte. Von oben konnte man ihn nicht mehr sehen. Ein moosbedeckter Vorsprung am Felsen bildete eine natürliche Bank. Hier ließ er sich einen Augenblick nieder, um noch einmal zu bedenken, was er tun solle. Es war nichts zu tun. Hierbleiben konnte er nicht. Vorüber konnte er auch nicht. Er mußte sich gefangengeben. Auch das wäre ihm zuletzt gleichgültig gewesen. Aber die Mutter! Sie überlebte den Schrecken nicht. Das war das Ende! Und nun war alles verloren. Keine Rettung.

»Gnädiger Gott, hilf uns«, sagte er leise. »Doch Dein Wille geschehe.«

Er erhob sich, er wollte um die Ecke des Felsens nach dem Schiff ausspähen. Da war es ihm, als hörte er leises Rascheln der dürren Zweige, die den Moosboden bedeckten. War es eine Eidechse? Kam jemand? Er zögerte einen Augenblick. Die Spalte neben dem Felsen, durch welche das Sonnenlicht in den Wald blickte, verdunkelte sich. Eine Gestalt stand vor ihm.

Er richtete sich hoch auf. Das Herz schlug ihm, wie ein Nebel legte es sich vor seinen Blick. Wer war das? Unter dem Schatten eines breiten Hutes leuchteten ihm zwei Augen entgegen, glückstrahlend, sonnenhaft. Schweigend standen sich beide gegenüber, bis es leise; zögernd, als fürchte er, aus einem Traum zu erwachen, über Saltners Lippen kam, eine einzige Silbe:

»La!«

Es war ihm, als müsse er zu Boden sinken. Da bewegte sich die Gestalt. Zwei Arme umschlangen ihn, eine weiche Wange fühlte er an der seinigen. La barg ihren Kopf an seiner Schulter und flüsterte: »Sal! mein Sal!«

Er sank auf die Moosbank nieder und zog sie mit sich. Ihre Lippen glühten aufeinander.

»Du bist es, du bist es«, sagte La selig.

Er zog sie aufs neue an sich.

Endlich stammelte er: »Und du, wie kommst du Odu mein Glück, weißt du denn«

»Ja, ja! Ich komme, um dich zu fangen und nie wieder freizugeben. Ich komme vom Nu, und ich will bei dir bleiben auf der Erde, oder wo du willst nur nicht allein, nicht länger allein. Ich kann es nicht!« Sie sank aufs neue an seine Brust. Dann sprang sie auf.

Von oben hörte man das Klingen des Bergstocks. Palaoro wurde sichtbar. Er prallte zurück, als er La erblickte. Dann rief er: »Sie steigen von oben herab.«

Saltner blickte auf La. »Du kommst zu mir, Geliebte«, sagte er hastig. »Aber ich bin gefangen und eingeschlossen. Du kommst, nur zu sehen, wie ich dir entrissen werde.«

La lächelte glücklich. »Das ist unmöglich«, sagte sie. »Geh und hole deine Mutter, und du wirst sehen.«

Saltner wirbelte der Kopf, aber er nahm sich keine Zeit, zu überlegen, wie das alles möglich sei. Er prüfte nicht, er zweifelte nicht, Las Wort glaubte er. Weiter bedurfte es nichts. Er sprang mit Palaoro den Felsen hinauf.

»Wir sind gerettet, gerettet!« rief er seiner Mutter zu. »Fürchte dich nicht vor den Numen, zu denen ich dich bringe, es sind unsre Freunde.«

»Wenn du es sagst, so ist es gut.«

In wenigen Minuten standen sie wieder bei La, die an dem Felsen gewartet hatte.

»Das ist unsre Retterin«, sagte Saltner, auf La weisend.

La faßte ehrfurchtsvoll die Hand von Saltners Mutter und sprach: »Sie sollen bald zufrieden sein.«

»Gott segne Sie«, antwortete die Mutter.

La schritt voran. Die nachfolgenden Menschen stutzten bei dem Anblick, der sich ihnen bot. Kathrin stieß einen Schrei der Verwunderung aus.

Wie eine goldene Schale in der Sonne leuchtend lag die Luftyacht auf der Waldwiese. Niemand war zu sehen als am Fuß der breiten, bequemen Schiffstreppe der Schiffer in seinem Glockenhelm, der salutierend die Herrin des Schiffs erwartete. La eilte voran. Als sie das Geländer erfaßte, flammte ein Funkenbogen über dem Eingang, der die Aufschrift zeigte: »Willkommen im Schutze der La.«

Am Eingang zum Schiff blieb sie stehen und wiederholte die Worte. Man stieg in das Schiff, der Schiffer folgte, im Augenblick war die Treppe eingezogen.

Palaoro blieb vorläufig auf dem Verdeck. Saltner führte seine Mutter und die Magd in den Raum, dessen Tür La öffnete.

»Hier ist Ihr Zimmer«, sagte sie, »und daneben das für Katharina. Nun ruhen Sie sich recht aus. Und was Sie wünschen, sprechen Sie in diese Öffnung, so wird es da sein.«

Frau Saltner war sprachlos. Ein weicher Polsterstuhl am Fenster nahm sie auf. Sie blickte sich im Zimmer um.

»Das ist ja gerade wie daheim in unsrer Sommerwohnung«, sagte sie endlich. »Die Täfelung ringsum, und die Gardine in der Ecke, und dort, das Kruzifix und das Lämpchen. Nur die Bilder, und die Kissen, und die Teppiche das ist alles viel kostbarer wie kommt das nur«

»Das ist die Zauberin, die es gemacht hat« sagte Saltner, gerührt Las Hand ergreifend. »Sie hat nichts vergessen von allem, was ich ihr von unserm Heim schildern mußte. Ihr gehört dieses Wunder von einem Luftschiff.«

La sah dem geliebten Mann in die Augen.

»Uns beiden!« sagte sie dann.

»Du willst? Du willst es wirklich?« rief Saltner jubelnd und schloß sie in seine Arme. Doch wie in einem tiefen Schreck verstummte er plötzlich. »Aber ich bin ein Mensch«, sagte er tonlos.

»Sei, was du willst, ich bin dein, deine La.«

Er blickte auf die Herrliche, Königliche, deren Blick wie bittend zu ihm aufgeschlagen war. Er wußte nicht, was mit ihm vorging. Der plötzliche Übergang von der Verzweiflung zum höchsten Glück, von der Not zur Sicherheit, vom Unerreichbaren zum Wirklichen verwirrte ihn. Er schüttelte den Kopf, und sein Antlitz strahlte dabei von Freude.

»Ich weiß ja nicht, was ich bin, wer ich bin, wo ich bin. Ich weiß nur, daß ich namenlos glücklich bin. Schau, Mutter, das ist sie, die ich liebe, der ich alles verdanke. Ich weiß nicht, wie man das bei euch auf dem Mars macht, wenn man eine Frau haben will, und es ist mir auch ganz egal, und du bist halt die La! Da, Mutter, gib ihr einen Kuß, ich muß einmal einen Juchzer tun.«

Und mit einem Sprung war er aus dem Zimmer, und während die alte Frau ihre Hände zitternd auf das von Liebe und Schönheit strahlende Haupt der glücklichen Nume legte, schallte draußen ein Jodler laut und jubelnd zu den Bergen empor, und das Echo der Felsen gab ihn zurück


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