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19. Kapitel

Des Unglück des Vaterlands

Torm ging unruhig in seinem Zimmer auf und ab.

Seine Liebe zu Isma, das alte, feste Vertrauen, das sich wieder hervordrängte, die Mitteilungen Grunthes über Ells freundschaftliches Verhalten, das alles kämpfte in seinem Innern mit dem feindlichen Argwohn, in den er sich in der Einsamkeit seiner Verbannung immer fester hineingelebt hatte. Die stets erneute Verzögerung der Heimkehr Ismas und das gleichzeitige Zurückbleiben Ells, wofür er keinen Grund einzusehen vermochte, hatten allmählich in ihm den Verdacht erweckt, daß es Ell doch nicht ehrlich mit ihm meine. Von nun ab glaubte er überall die Hand Ells im Spiele zu sehen. Die Verhinderung seiner Heimreise vom Pol schob er ebenfalls auf einen Einfluß Ells. Wer konnte wissen, welche Lichtdepeschen zwischen den Planeten, zwischen Neffe und Oheim, gewechselt wurden? Zu seiner verzweifelten Flucht hatte er sich in einem Moment der Erregung entschlossen, der noch einen andern Grund hatte, als er Grunthe gegenüber aussprechen wollte. Bei seinen Disputen mit den Martiern am Pol hatte er aus der hingeworfenen Bemerkung eines der martischen Offiziere entnommen, daß man nach den Gesetzen der Nume ihm überhaupt keinerlei Recht zuerkannte, die Rückkehr seiner Frau zu verlangen. Die formale Gültigkeit seiner Ehe war auf dem Mars nicht anerkannt. Niemand hätte es unter den vorliegenden Umständen Isma verdacht, wenn sie sich als frei erklärt hätte. Dies hatte Torm in die höchste Aufregung versetzt, und ein nagendes Gefühl der Eifersucht hatte ihm einen Teil seiner ruhigen Besinnung geraubt.

Jetzt freilich mußte ihm Isma in anderm Licht erscheinen. Hatte er denn irgendeinen bestimmten Vorwurf gegen sie zu erheben? Sie war ja zurückgekehrt, und sie hatte sich damit offenbar zu ihm bekannt. Sollte er nun zu Ell rücksichtslos vordringen und sich vielleicht rettungslos der Gewalt der Martier ausliefern? War Ell unschuldig, so war dieses Opfer ganz unnötig gebracht. War Ell aber schlecht, so gab er sich in seine Hand. Als er seinen Entschluß gefaßt hatte, zuerst zu Ell zu gehen, wußte er ja noch nicht, daß sich dieser in einer so unerreichbaren Machtstellung befand. So schien es ihm jetzt doch als das richtige, sich mit Isma in Verbindung zu setzen.

Aber wie konnte das ohne Gefahr geschehen? Und vor seinem Geist stieg die furchtbare Anklage auf, einen Nume bei der Ausübung seiner Pflicht verletzt, vielleicht getötet zu haben. Was ihm das Mittel werden sollte, Isma wiederzugewinnen, die rücksichtslose Flucht, nun erschien es ihm als ein verhängnisvolles Schicksal, das ihn für immer von ihr trennen sollte. Unter dem Druck der schweren Anklage, die auf ihm lastete, durfte er vor ihre Augen treten? Was sollte er tun? Mechanisch griff er nach einer der Broschüren, an die er nicht mehr gedacht hatte. Sein Auge fiel auf die Überschrift: »Das Unglück vom 30.Mai.« Er begann zu lesen. Und der Schmerz um das Vaterland drängte die eigene Sorge zurück.

»Ihr sollt es einst wissen, Kinder und Enkel«, so hieß es, »was uns geschehen ist, damit ihr weinen könnt und zürnen wie wir. Darum schreiben wir das Traurige auf, obwohl die Hand unwillig sich sträubt.

Es war der Tag der großen Parade, an dem der oberste Kriegsherr sein herrliches Heer musterte, das um die Hauptstadt zusammengezogen war. Von der zahllosen, begeisterten Menge der Zuschauer umgeben, waren die glänzenden Regimenter vorübermarschiert an der einsamen Pappel. So hieß die Stelle nach einem Baum, der sich einstmals hier befunden hatte, wo der Monarch, umringt von der Mehrzahl der deutschen Fürsten und seinen Generälen, die Heerschau hielt. Nun hatten sich die Truppen weiter auseinandergezogen und die Gewehre zusammengestellt, während der Kriegsherr den Führern seine Anerkennung aussprach.

Und da geschah es.

Vor der Hauptstadt des Reiches, an dessen Grenzen man nirgends die Spur eines Feindes hatte beobachten können.

Im Augenblick der größten Machtentfaltung des stärksten Landheeres.

Wie ein Schwarm von Raubvögeln schoß es vom Himmel hernieder, geräuschlos, glänzende, glatte Ungetüme. Und im Moment, da man sie bemerkte, waren sie auch schon da und hatten die Schar der Anführer umringt.

›Zu den Truppen!‹ hieß es.

Die Kommandierenden stoben auseinander.

›Zurück! Ergebt euch! Der Weg ist gesperrt! tönte es ihnen aus den feindlichen Luftschiffen entgegen.

Die Offiziere kümmerten sich nicht darum, sie sprengten weiter. Aber nicht lange. Keiner passierte den Kreis, den die Schiffe absperrten. Von einer unsichtbaren Macht zurückgeworfen, stürzten Roß und Reiter zusammen. Enger schloß sich der Ring der Schiffe, die nur wenige Meter über dem Boden schwebten, um die Fürsten und ihre Begleitung, so daß die gestürzten Offiziere jetzt außerhalb des gesperrten Kreises lagen.

Die Truppen, soweit sie nahe genug waren, um den Vorgang zu beobachten, waren sofort unter das Gewehr getreten. Als die Bataillonsführer bemerkten, daß ihre Kommandierenden nicht zu ihnen gelangen konnten, als sie sahen, daß die plötzlich erschienenen Schiffe einen feindlichen Angriff bedeuteten, dem der oberste Kriegsherr selbst mit allen Fürsten und Generälen ausgeliefert war, da bebte ihnen wohl das Herz in der Brust unter der Verantwortung, die sie auf sich gelegt fühlten. Aber nun bewährte sich der Geist unseres Heeres in erhebender Weise. Nicht ein Augenblick der Verwirrung, nicht ein Moment des Schreckens trat ein. Die Truppen einer andern Nation, falls sie sich nicht in zuchtlose Flucht aufgelöst hätten, wären vielleicht in wahnsinnigem Todesmut zur Befreiung ihres Feldherrn vorgestürzt, um in den Repulsitstrahlen und Nihilitsphären der Marsschiffe ihren Untergang zu finden, ohne daß sie auch das Geringste hätten ausrichten können. Die deutschen Offiziere indessen verloren ihre Instruktion auch in diesem schrecklichen Moment nicht aus den Augen. Nach den Erfahrungen, die man in England gemacht hatte, war es von der deutschen Heeresleitung als erster Grundsatz ausgesprochen worden, unter keinen Umständen Munition und Menschenleben gegen ein mit Nihilitsphäre versehenes Marsschiff zu verschwenden, da man wußte, daß dies ein völlig fruchtloses Beginnen sei. Die Truppen waren überhaupt nicht zusammengezogen worden, um sich irgendwo in offenem Kampf mit den Martiern zu versuchen. Man hatte vielmehr ein ganz anderes System der Verteidigung aufgestellt, und von diesem auch im Moment der äußersten Überraschung nicht abzuweichen, das war die höchste Aufgabe, welche die Disziplin zu leisten hatte.

Man sagte sich, daß den Machtmitteln der Martier gegenüber eine Armee im freien Feld wie in den Forts der Festungen ohnmächtig und dem Untergang geweiht war, daß aber ihrerseits die Martier machtlos sein würden, wenn sie verhindert würden, sich der Organe der Regierung zu bemächtigen. Man hatte deswegen die Truppen lediglich zum Schutz der Hauptstädte als der Zentralpunkte der Staatsverwaltung zusammengezogen. Hier sollten sie verhindern, daß die öffentlichen Gebäude von den Martiern besetzt und in Beschlag genommen würden. Man nahm mit Recht an, daß in den Städten, mitten zwischen den Häusern der friedlichen Bürger, die Martier von gewaltsamen Zerstörungen absehen würden; daß sie, wenn sie einen Einfluß auf die Regierung gewinnen wollten, gezwungen sein würden, ihre schützenden Schiffe zu verlassen und den festen Boden zu betreten. Und hier sollte dann die starke militärische Besatzung es unmöglich machen, daß die Kassen, die Büros, die Archive und die leitenden Amtspersonen selbst in feindliche Gewalt gerieten. Deswegen hatte jedes einzelne Bataillon bereits seine bestimmte Instruktion, wohin es sich beim ersten Erscheinen der Feinde sofort zu begeben habe. Dies allein war auszuführen.

Die große Parade war zum Verderben ausgeschlagen. Aber in Erinnerung an hergebrachte und liebgewordene Gewohnheiten hatte der oberste Kriegsherr geglaubt, dieselbe ohne Gefahr anordnen zu können, weil trotz des sorgfältigsten Nachrichtendienstes noch keinerlei Spur einer feindlichen Annäherung gefunden worden war.

Nun war der Feind dennoch da. Jeder sah ein, daß man nichts tun konnte, als der ursprünglichen Anordnung zu folgen. Auf die feindlichen Luftschiffe schießen oder gegen sie anstürmen wäre Unsinn gewesen. Das ganze große Feld war noch von Zuschauern überflutet, die sich jetzt in eiliger Flucht nach der Stadt zurückwälzten. Auf den Chausseen drängten sich die Wagen, darunter die Equipagen, welche die fürstlichen Gemahlinnen und Prinzessinnen vom Paradefeld fortführten. So taten die Truppen ihre einfache Pflicht. Sie marschierten, so schnell sie konnten, auf den im voraus festgesetzten Wegen nach ihren Bestimmungsorten. Nur das erste Gardegrenadierregiment und das Gardekürassierregiment blieben zur persönlichen Bedeckung des Kriegsherrn zurück.

Der Monarch blickte mit finsterem Ernst auf seine Umgebung, auf die feindlichen Schiffe und die betäubt oder tot am Boden liegenden Offiziere, um welche jetzt Ärzte und Krankenträger bemüht waren. Dann riß er den Degen aus der Scheide und rief:

›Meine Herren! Hier gibt es nur einen Weg hindurch!‹

Er spornte sein Pferd an. Seine Begleitung warf sich ihm entgegen und beschwor ihn, sich dem sichern Verderben nicht auszusetzen. Er wollte nicht hören.

›Nun denn‹, rief da der greise General von Dollig, ›zuerst wir!‹

Und einen Teil der Offiziere mit sich fortreißend, jagte er im Galopp gegen die unsichtbare Schranke, die sich nur durch eine Staubschicht über dem Boden verriet.

Sobald man bei den außerhalb des Ringes der Marsschiffe haltenden Schwadronen der Gardekürassiere die Bewegung in der Begleitung des Feldherrn wahrgenommen hatte, ließen sie sich nicht länger zurückhalten. Unter brausendem Hurraruf sprengten die glänzenden Reitermassen heran, um ihren Feldherrn aufzunehmen oder mit ihm unterzugehen. Es war ein furchtbarer Moment. Starres Entsetzen faßte alle, die den Vorgang zu bemerken vermochten. Und als ob die Kühnheit des Entschlusses den übermächtigen Feind bezwänge, so kam jetzt neue Bewegung in seine Schiffe. Sie erhoben sich, als wollten sie den Weg freigeben. Gleichzeitig aber senkte es sich von oben herab wie eine dunkle, langgestreckte Masse, die eben erst auf dem Feld erschien. Wie ein breites, schwebendes Band, von den Luftschiffen begleitet, dehnte sich diese Masse jetzt in den kurzen Sekunden aus, welche die heranstürmende Kavallerie zur Annäherung brauchte. Und nun kam die erste Reihe der Reiter in den Bereich ihrer Wirkung, und gleich darauf zog die seltsame Maschine über das ganze Regiment hinweg.

Die Wirkung war so ungeheuerlich, daß die Schar der ansprengenden Fürsten und Generale stockte und ein Schrei des Entsetzens vom weiten Feld her herüberhallte. Kein einziges Pferd mehr stand aufrecht. Roß und Reiter wälzten sich in einem weiten, wirren Knäuel, eine Wolke von Lanzen, Säbeln, Karabinern erfüllte die Luft, flog donnernd gegen die Maschine in der Höhe und blieb dort haften. Die Maschine glitt eine Strecke weiter und ließ dann ihre eiserne Ernte herabstürzen, wo die Waffen von den Nihilitströmen der Luftschiffe vernichtet wurden. Noch zweimal kehrte die Maschine zurück und mähte gleichsam das Waffenfeld ab. Keine Hand vermochte Säbel oder Lanze festzuhalten, und wo die Befestigung an Roß und Reiter nicht nachgab, wurden beide eine Strecke fortgeschleift. Die Hufeisen wurden in die Höhe gerissen, und dadurch waren sämtliche Pferde zum Sturz gebracht worden. Jene Maschine war die neue, gewaltige Erfindung der Martier, eine Entwaffnungsmaschine von unwiderstehlicher Kraft für jedes eiserne Gerät ein magnetisches Feld von kolossaler Stärke und weiter Ausdehnung. Mit Hilfe dieses in der Luft schwebenden Magneten entrissen die Martier ihren Gegnern die Waffen, ohne sie in anderer Weise zu beschädigen, als es durch das Umreißen unvermeidlich war.

Während die Kavallerie aus ihrer Verwirrung sich aufzuraffen versuchte, war der Luftmagnet schon weitergezogen und hatte sich der Infanterie genähert. Vergeblich umklammerten die Soldaten mit beiden Händen ihre Gewehre, eine unwiderstehliche Gewalt zerrte sie in die Höhe, und mancher, der nicht nachgeben wollte, wurde ein Stück in die Luft geschleudert, um dann schwer zu Boden zu stürzen. In wenigen Minuten war das 1.Garderegiment entwaffnet. Die Maschine flog weiter, um die auf dem Marsch befindlichen Regimenter einzuholen und dasselbe Manöver an ihnen vorzunehmen. Binnen kurzem mußte so selbst die stärkste Armee kampfunfähig gemacht sein. Auch die Geschütze der Artillerie wurden fortgerissen.

Während der Monarch und seine Begleitung in tiefer Erschütterung auf das Unfaßliche starrten, senkte sich aus der Höhe dicht vor ihnen ein schlankes Schiff hernieder, das ein leuchtender Stern als das Admiralsschiff bezeichnete. Demselben entstieg, während die übrigen die Absperrung aufrecht erhielten, der Befehlshaber der Martier. Zwei Adjutanten begleiteten ihn. Über ihren Köpfen glänzten die diabarischen Helme. So traten sie langsam einige Schritte vor, die großen Augen scharf auf die Offiziere gerichtet. Unwillkürlich wichen alle zur Seite, eine Gasse öffnete sich, und der Nume stand dem Monarchen gegenüber.

Der Martier grüßte mit einer ehrfurchtsvollen Handbewegung und sagte:

›Mein Auftraggeber, der Protektor der Erde, lädt Ew.Majestät und Ihre hohen Verbündeten zu einer Besprechung ein und bittet, zu diesem Zwecke dieses Schiff allergnädigst besteigen zu wollen. Ich bemerke, daß es unmöglich ist, diesen von unserer Repulsitzone umgebenen Platz auf andere Weise zu verlassen.

Niemand wagte sich zu bewegen. Lange blickte der Fürst mit strenger Miene in das Auge des Numen, der den Blick ruhig erwiderte; keiner zuckte mit einer Wimper. Dann steckte der Monarch mit einer entschlossenen Bewegung den Degen in die Scheide und sprach nachdrücklich:

›Sie haben einen General gefangengenommen, nichts weiter. Seine Majestät, mein Herr Sohn, befindet sich nicht unter uns.

›Ew. Majestät werden ihn im Schiffe finden, sagte der Nume mit einer Verbeugung.

Der Feldherr schwang sich vom Pferd. Hoch aufgerichtet, die Hand auf dem Griff des Degens, stieg er die herabgelassene Schiffstreppe hinan.

Das Luftschiff, das bereits vor einer Stunde die Kommandierenden der Armeekorps in Königsberg, Breslau und Posen aufgehoben hatte, entfernte sich nach Westen«

Torm ließ die Blätter aus seiner Hand sinken.

Das also war das Unglück vom dreißigsten Mai!

Er nahm die Broschüre wieder auf, er blätterte weiter, er blickte auch in die übrigen Hefte.

An demselben Tag waren die Festungswerke von Spandau durch die Martier zerstört, die Kriegsvorräte unbrauchbar gemacht worden. Man hatte die Fürsten nach Berlin geführt, die ganze Stadt wurde jetzt zerniert. Wo sich Truppen im Freien zeigten, erschienen alsbald die Elektromagnete der Martier und entrissen ihnen die Waffen. Nach drei Tagen waren alle größeren Waffenplätze außer Funktion gesetzt.

Jetzt liefen die Nachrichten aus Wien, Paris, Rom ein. Die Martier waren überall in ähnlicher Weise vorgegangen. Zuerst hatten sie sich der Personen der Fürsten, Präsidenten und Minister bemächtigt. Man hatte den Kaiser von Österreich auf der Jagd, den König von Indien während eines großen Empfanges aufgehoben, der Präsident der französischen Republik spielte gerade mit dem Kriegsminister eine Partie Billard, als er in das Luftschiff der Martier eingeladen wurde. Die Kammer wurde im Palais Bourbon eingeschlossen, bis der Friedensvertrag unterzeichnet war. Die gefangenen Fürsten dankten zugunsten ihrer Thronerben ab, und die jungen Nachfolger konnten zuletzt nichts anderes tun, als in die Friedensbedingungen der Martier willigen, da ihre Armeen machtlos waren und ein längerer Widerstand nur zu einer Auflösung der staatlichen Ordnung geführt hätte.

Rußland allein war vorläufig von einem Angriff der Martier verschont geblieben. Die Gründe dafür wußte man nicht, doch nahm man allgemein an, daß die Martier nur eine günstige Gelegenheit abwarteten, bis ihnen die Zustände in den westlichen Staaten mehr freie Hand ließen. Das Protektorat über die Erde blieb erklärt, war aber zunächst nur für die westlichen Staaten Europas durchgeführt. Hier wartete in jeder Hauptstadt ein Resident der Marsstaaten und ein Kultor seines Amtes. Zwar war die Freiheit der Verwaltung im Innern garantiert, doch tatsächlich war auch in bezug auf Gesetzgebung und Regierungsmaßregeln der Wille der Marsstaaten im letzten Grunde ausschlaggebend. Die allgemeine Entwaffnung bis auf eine Präsenzstärke von ein halb Promille der Bevölkerung war eine der Friedensbedingungen gewesen. Trotz allen Sträubens mußten die Fürsten sie annehmen, da es tatsächlich unmöglich gewesen wäre, den technischen Machtmitteln der Martier gegenüber ohne ihren Willen eine Truppe auszubilden.

Eine Reihe von Vorteilen in volkswirtschaftlicher Beziehung wurde nun angebahnt. Produkte des Mars wurden eingeführt, neue Betriebsformen von Fabriken, vor allem die Herstellung künstlicher Nahrungsmittel. Die Landwirte wurden vorläufig damit beruhigt, daß ihnen aus den Fonds der Marsstaaten große unverzinsliche Darlehen gegeben wurden, um die Kosten der Umwandlung des Fruchtbetriebs in Maschinenbetrieb durch Sonnenstrahlung zu bestreiten. Ingenieure der Martier leiteten die Einrichtung der Strahlungsfelder, zu denen vorläufig nur unfruchtbarer Boden benutzt wurde. Alles dies aber waren bloß vorbereitende Schritte, die eigentlich mehr erziehen als wirtschaftlich nützen sollten. Die Ausbeutung der Sonnenenergie suchten die Martier auf den großen Wüsten und Steppen Asiens, Afrikas und Nordamerikas. Sie hatten deshalb mit Rußland und den Vereinigten Staaten neue Verhandlungen angeknüpft.

Inzwischen erstrebten sie in Europa rein ideale Ziele. Kriegskostenentschädigung verlangte man nicht, die großen Summen, die für das Militär erspart wurden, kamen den Fortbildungsschulen zugute. Die Martier wollten die Menschheit für ihre höhere Auffassung der Kultur und Sittlichkeit erziehen, und dem sollte die Einsetzung der Kultoren, die Einrichtung obligatorischer Fortbildungsschulen dienen.

Torm war zu abgespannt, um weiterzulesen. Er legte die Papiere beiseite. Ein einzelnes Blatt schob sich vor. Er sah alsbald, daß es ein Flugblatt sei, zu irgendeinem bestimmten Zweck verbreitet, und sein Blick richtete sich nur noch einmal darauf, weil er mit fetten Lettern die Worte gedruckt sah: »Glaubt nicht an ihren Edelmut«, »Die Mörder von Podgoritza«, »Aber auch sie sind sterblich«. Er las das Blatt jetzt durch, einmal, zweimal. Es handelte von der sogenannten Bestrafung von Podgoritza in Montenegro. Diese Stadt war tatsächlich von den Martiern dem Erdboden gleichgemacht worden. Allerdings hatte man den Einwohnern Zeit gelassen, sie zu räumen, aber nicht alle hatten gehorcht; da waren die Nume zum erstenmal auf der Erde schonungslos vorgegangen und hatten ohne Rücksicht auf Menschenleben ihre Drohung ausgeführt. Es waren wohl einige hundert Personen dabei umgekommen, wütende Männer, die sich den Luftschiffen entgegengeworfen hatten. Aber warum war dieses ungewöhnliche Strafgericht ergangen? Es war kurz nach der Unterwerfung der westeuropäischen Staaten gewesen, als ein großes Luftschiff der Martier, das von einer wissenschaftlichen Expedition zurückkam und zum Zweck einer kleinen Ausbesserung in der Nähe von Podgoritza anlegte, in der Nacht unvermutet von bewaffneten Bewohnern der Stadt und Umgegend überfallen worden war. Die Martier waren überrascht und bis auf den letzten Mann, zum großen Teil im Schlaf, niedergemacht worden. Es war der einzige Verlust, den die Nume bisher auf der Erde erlitten hatten und die Empörung in den Marsstaaten war ungeheuer. Man war nahe daran, die ganze Menschheit für die Bluttat unzivilisierter Albaner verantwortlich zu machen. Etwas Derartiges war den Martiern bisher undenkbar gewesen; und so wurde bestimmt, daß die Strafe ausnahmsweise nach menschlicher Art, das heißt durch Vernichtung des Gegners, vollzogen werde, weil man glaubte, sonst bei der barbarischen Bevölkerung keinen Eindruck zu erzielen. Diese Handlungsweise der Martier wurde nun in Europa ausgebeutet, um sie in üblem Licht darzustellen.

Aber warum machte die Tat auf Torm einen so tiefen Eindruck? Immer und immer wieder beschäftigte ihn die Frage, welches Schiff es wohl gewesen sei, von dem kein Lebender zu den Martiern zurückkehrte. Und eine Vermutung stieg in ihm auf, an die er kaum zu glauben wagte.


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