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7. Kapitel

Fünfhundert Milliarden Steuern

Eine Minute später trat Saltner ein. Seine Miene verzog sich ein wenig enttäuscht, als er Ell in lebhaftem Gespräch mit La fand. Gleich nach der Begrüßung holte er ein Zeitungsblatt hervor.

»Da«, sagte er, »lesen Sie bitte. Wenn die Nume so sind, weiß man wirklich nicht, ob man lachen soll oder sich entrüsten. Zur Abwechslung werde ich mich einmal entrüsten. Es ist –«

»Sal, Sal«, rief La lachend, »setzen Sie sich, bitte, ruhig her, und dann wollen wir sehen, ob wir nicht lieber lachen wollen.«

Sie faßte seine Hand und zog ihn an ihre Seite. »Der Streit der Planeten soll uns nichts anhaben«, sagte sie leise.

Ell ergriff das Blatt und las:

»Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, soll die Ausrüstung des nach dem Südpol der Erde zu entsendenden Raumschiffs weitere zwanzig bis dreißig Tage in Anspruch nehmen. Man macht angeblich noch Versuche, um die Luftschiffe gegen etwaige Angriffe von Menschen widerstandsfähiger zu machen. Ja, es soll der Bau dieser Schiffe überhaupt stark im Rückstand sein. Wir finden diese Verzögerung seitens der Erdkommission unverantwortlich. Die Erregung gegen die Menschen wächst sichtlich und mit vollem Recht. Man hat aus den Berichten der Augenzeugen erfahren, daß die Darstellung jenes Zwischenfalls mit dem englischen Kriegsschiff von der Regierung viel zu milde gefärbt war. Die den Numen angetane Schmach erfordert eine schnelle Bestrafung der Schuldigen. Wozu überhaupt diese Umstände mit dem Erdgesindel?«

»Erdgesindel! Hören Sie!« rief Saltner, »Da soll doch gleich –«

Ein Händedruck Las hielt ihn auf seinem Platz. »Lesen Sie weiter«, sagte sie zu Ell.

»Wir haben genaue Informationen über die Verhältnisse auf der Erde eingezogen. Sie sind geradezu haarsträubend. Von Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Freiheit haben diese Menschen keine Ahnung. Sie zerfallen in eine Menge von Einzelstaaten, die untereinander mit allen Mitteln um die Macht kämpfen. Darunter leidet die wirtschaftliche Kraft dermaßen, daß viele Millionen im bedrückendsten Elend leben müssen und die Ruhe nur durch rohe Gewalt aufrecht erhalten werden kann. Nichtsdestoweniger überbieten sich die Menschen in Schmeichelei und Unterwürfigkeit gegen die Machthaber. Jede Bevölkerungsklasse hetzt gegen die andere und sucht sie zu übervorteilen. Wer sich mit der Wahrheit hervorwagt, wird von Staats wegen verurteilt oder von seinen Standesgenossen geächtet. Heuchelei ist überall selbstverständlich. Die Strafen sind barbarisch, Freiheitsberaubung gilt noch als mild. Morde kommen alle Tage vor, Diebstähle alle Stunden. Gegen die sogenannten unzivilisierten Völker scheut man sich nicht, nach Belieben Massengemetzel in Szene zu setzen. Doch genug hiervon! Und diese Bande sollen wir als Vernunftwesen anerkennen? Wir meinen, es ist unsre Pflicht, sie ohne Zaudern zur Raison zu bringen durch die Mittel, die ihr allein verständlich sind, durch Gewalt. Es sind wilde Tiere, die wir zu bändigen haben. Denn sie sind um so gefährlicher, als sie Spuren von Intelligenz besitzen. Leider hat man sich, wie es scheint, in der Regierung durch einzelne Exemplare dieser Gesellschaft täuschen lassen, und wir wollen nur hoffen, daß hierbei bloß ein Irrtum und nicht eine Rücksicht auf gewisse Beziehungen vorliegt –«

Ell unterbrach sich.

»Das ist denn doch zu arg!« rief er. »Das sind Verdächtigungen, die man sich nicht gefallen lassen kann.«

»Meine Befürchtung!« sagte La. »Die Berührung mit den Menschen bringt einen Ton in unser Verhalten, wie er sonst im öffentlichen Leben nicht Sitte war. Nein, Ell, nein, meine lieben Freunde, Sie sind gewiß nicht daran schuld; es liegt in der Sache selbst – die antibatische Bewegung setzt eine Verrohung des Gemüts überhaupt voraus.«

Saltner rieb sich ingrimmig die Hände. »Lesen Sie nur weiter«, sagte er. »Jetzt haben Sie sich entrüstet, und ich werde wieder lachen.«

»Wir halten es für sinnlos«, las Ell weiter, »daß zwischen Wilden wie den Erdbewohnern und zwischen Numen überhaupt eine Verbindung verwandtschaftlicher Art stattfinden könne. Der Fall Ell bedarf entschieden einer näheren Untersuchung und Aufklärung. Wir haben diesen angeblichen Halbnumen noch nicht gesehen. Aber ein richtiges Exemplar der Menschheit hatten wir zu betrachten das zweifelhafte Vergnügen. Wer dieses stupide Gesicht mit den blinzelnden Punkten, die Augen sein sollen, diesen unanständigen, ungefärbten Anzug, diese rohen Bewegungen einmal gesehen hat, der wird sich sagen, diese Rasse kann von uns nur als vielleicht nutzbares Haustier geduldet werden.«

Ell warf das Blatt fort.

La brach in ein herzliches, leises Lachen aus, in das Saltner einstimmte. Sie trat vor Saltner und nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. »Ich muß mir doch einmal unser Haustierchen betrachten«, sagte sie lustig. »Sie sind wirklich ausgezeichnet geschildert.«

Sie sah in seine Augen, ihre Züge wurden ernster, ihr Blick inniger und tiefer. »Mein lieber, braver Freund«, sagte sie. Sie bog seinen Kopf zurück und küßte ihn.

Ell lächelte nun auch. »Wenn man so entschädigt wird«, sagte er, »muß man ja bedauern, nicht auch kräftiger geschildert zu sein. Aber Sie haben recht, man muß auf dieses dumme Zeug keinen Wert legen. Trotzdem bin ich froh, daß man Frau Torm wenigstens aus dem Spiel gelassen hat.«

»Es lohnt sich natürlich nicht, sich darüber zu ärgern«, sagte Saltner, »nichtsdestoweniger kann das Geschreibe Unheil anrichten.«

»Dazu ist es doch zu dumm, das nimmt niemand ernsthaft. Man kennt das Blatt als unzuverlässig.«

»Aber ich habe hier noch etwas anderes, das vielleicht politisch nicht ohne Einfluß sein dürfte. Ich hörte, daß ähnliche Ansichten nicht nur in weiten Kreisen geteilt werden, sondern sogar im Zentralrat Anhänger besitzen. Lesen Sie folgende Vorschläge, die das neugegründete Blatt, die ›Ba‹, macht.«

Ell nahm das Blatt und las: »Es ist bezeichnend für unsre Regierung, die sich 144 Luftschiffe für die Erde bewilligen ließ, daß sie jetzt im entscheidenden Augenblick kein einziges bereit hat. Aber für die Staaten ist es ein Glück. Die Begeisterung der Kolonialschwärmer hat Zeit, sich abzukühlen, und diese Abkühlung schreitet schnell vorwärts. Es wird auffallend still über unsre Brüder im Sonnensystem, die wir mit der Liebe und Freiheit der Nume umschließen sollen. Und es ist gut, daß wir zur Besinnung kommen. Man glaube nur nicht, daß uns die Menschen mit offenen Armen entgegenkommen werden. Unser Stand wird nicht leicht sein, und unsre Opfer werden sich höher und höher steigern. Sowohl die Menschenfreunde als die Antibaten unterschätzen den Widerstand, den wir zu erwarten haben. Deswegen sollen wir von vornherein klar sagen, was wir wollen, und dann rücksichtslos handeln, nicht auf ein Entgegenkommen rechnen, sondern ohne weiteres unsere Bedingungen mit dem Telelyt und Repulsit diktieren. Es mag sein, daß die Menschen sich zur Numenheit erziehen lassen, und wir sind die ersten, welche bereit sind, sie als Brüder anzuerkennen; aber dies wird uns nur möglich sein, wenn sie sehen, daß jeder Widerstand aussichtslos ist.«

»Es kommen nun einige Stellen«, sagte Saltner, »die eigentlich nichts andres verlangen, als was die Regierung selbst wollte, nämlich warten, bis die Martier überall zugleich losschlagen können. Aber lesen Sie, bitte, die Vorschläge hier unten.«

»Wir warnen davor, von der Erde zu viel zu erwarten. Wir werden sie niemals besiedeln können. Die Schwere und die Atmosphäre machen uns den dauernden Aufenthalt unmöglich. Wir werden immer nur einzelne Stationen mit wechselnder Besatzung drüben erhalten können. Die Ausnutzung des Reichtums der Erde muß durch die Menschen für uns geschehen. Etwa in folgender Weise. Die Gesamtstrahlung der Sonnenenergie auf die Erde beträgt –« Ell unterbrach sich.

»Ja«, sagte Saltner, »die Zahlen verstehe ich nicht. Aber es wäre mir doch ganz interessant zu wissen, wie hoch uns die Herren Nume eigentlich einschätzen.«

»Ich will sie schnell umrechnen«, rief La. »Es ist ganz leicht. Sie wissen, unsere Münzeinheit gründet sich auf die Energiemenge, die von der Sonne während eines Jahres auf die Einheit der Fläche des Mars ausgestrahlt wird.«

»Gehört hab ich's schon«, sagte Saltner, »als man mir meinen ›Energieschwamm‹ ausgezahlt hat, aus dem ich alle Tage mein Taschengeld abzapfe. Aber warum Sie so rechnen, das weiß ich nicht.«

»Es ist das Einfachste. Einen vergleichbaren Preis mit allen Kräften der Natur hat doch nur die Arbeit, eine gleichbleibende Arbeitsmenge können wir leicht mechanisch definieren und herstellen, und alle Arbeitskraft, die wir zur Verfügung haben, stammt von der Sonne. Wir fangen die gesamte Sonnenstrahlung auf, benutzen sie, um eine bestimmte Menge Äther zu kondensieren, und so besitzen wir eine überall verwertbare Einheit der Arbeit. Die Sonnenstrahlung haben wir mit der Erde gemeinsam, hier muß sich also auch eine Vergleichbarkeit unserer Währungen ergeben.«

»Verzeihen Sie«, unterbrach sie Ell, »es besteht dabei noch eine Schwierigkeit. Ich habe nämlich die Umrechnung schon gemacht, um ein Urteil über das Budget der Erde aufzustellen. Aber auf der Erde vermögen wir Menschen nur einen sehr beschränkten Teil der Sonnenstrahlung, eigentlich nur die Wärme zu verwerten, während Sie auf dem Mars auch die langwelligen und die kurzwelligen Strahlen, die gar nicht durch unsere Atmosphäre gehen, in Wärme umwandeln und daher mitrechnen. Ich muß gestehen, daß ich nicht weiß, wie groß dieser Betrag ist.«

»Das schlagen wir nach«, sagte La. Sie hatte schon das physikalische Lexikon ergriffen. »Hier steht es. Wir können rechnen, daß die Ihnen bekannte Strahlung der Sonne etwa den zwölften Teil der von uns benutzten beträgt.«

»Dann ist es sehr einfach«, meinte Ell. »Die übrige Umrechnung habe ich schon früher für mich in Tabellen gebracht. Hier ist sie. Wir wollen also von den Angaben für den Mars nur ein Zwölftel rechnen. Dann kommt die Einheit der Sonnenstrahlung auf dem Mars etwa gleich 500 000 Wärmeeinheiten auf der Erde, was ungefähr, soweit sich der Kohlenpreis fixieren läßt, einem Wert von fünfzig Pfennig entsprechen dürfte. So – nun will ich Ihnen die Berechnungen gleich in Mark vorlesen –«

»Hören Sie«, warf Saltner ein, »der Wert einer Wärmeeinheit ist doch aber sehr schwankend, je nachdem –«

»Ganz gewiß, ich will auch nur zur Bequemlichkeit statt einer Million Kalorien, was das genaue Maß des Arbeitswertes wäre, der Anschaulichkeit wegen eine Mark sagen; ein ungefähres Bild der Größenverhältnisse gibt es doch. Nach meiner Umrechnung also lautet der Artikel weiter:

›Die Gesamtstrahlung der Sonnenenergie auf die Erde beträgt im Laufe eines Erdenjahres 3000 Billionen Mark, wovon aber nur 1200 bis auf die Erdoberfläche gelangen. Wir können indessen auf der Erde nur einen relativ viel kleineren Teil mit Strahlungssammlern besetzen als auf dem Mars, für den Anfang sicher nicht mehr als ein Prozent. Das gibt eine Billion Mark, die wir durch diese Anlagen den Menschen jährlich schenken. Allerdings müssen sie dafür arbeiten, aber die Arbeit wird ihnen reichlich bezahlt, wenn wir jährlich nur 500 000 Millionen Mark für uns als Steuer beanspruchen. Sie werden sich immer noch zehnmal besser stehen als bei ihren bisherigen Hilfsquellen, die ihnen außerdem noch zum großen Teil bleiben. Außer der Strahlungsenergie können wir uns noch Luft, Wasser, kohlensauren Kalk und andere Mineralien liefern lassen. Wir müssen nur die Lieferungen an Arbeit und Stoffen auf die einzelnen Staaten nach ihrer Bevölkerungszahl verteilen. Es wird sich empfehlen, dies so zu tun, daß die einzelnen Marsstaaten sogleich die betreffenden Erdgebiete zugeteilt erhalten, an die sie sich zu halten haben. Eine Vorschlagsliste gedenken wir demnächst zu veröffentlichen. Doch müssen wir den Anspruch unseres Nachbarstaates Berseb, die gesamten Vereinigten Staaten von Nordamerika für sich zu verlangen, schon heute zurückweisen; wenn diese große Ländermasse nicht geteilt werden soll, so wäre jedenfalls unser Hugal als der volkreichste Marsstaat am meisten berechtigt.‹«

»Sackerment, das nenn ich bescheiden«, sagte Saltner nach einer Pause. »Fünfhundert Milliarden jährlich, ohne das übrige! Da haben Sie uns eine schöne Suppe eingebrockt, Meister Ell, mit Ihren berühmten Numen.«

»Ich bitte Sie, Saltner«, antwortete Ell ärgerlich, »erstens sind das vage Projekte, auf die nicht viel zu geben ist; und zweitens, wenn der Mars Revenuen von der Erde zieht, so macht er sich eben nur für das Kapital und die Arbeit bezahlt, die er für die Kultur der Erde aufwendet, die Menschheit aber wird davon den größten Vorteil haben. An dieser meiner Überzeugung können alle die Auswüchse nichts ändern, die sich natürlich im Anfang einer so gewaltigen Unternehmung in der Phantasie unserer Landsleute bilden. Sie müssen sich nicht wundern, daß selbst den Numen der Gedanke zu Kopf steigt, durch die Erde auf einmal das Zehnfache derjenigen Energie zur Verfügung zu haben, welche die Sonne unserm Planeten allein spendet. Denn daß die Martier über die Erde verfügen können, ist doch nun nicht mehr zu leugnen.«

»Na, darüber ließe sich doch noch Verschiedenes sagen. Ich würde den ersten martischen Satrapen, der mir meine Million Kalorien abknöpfen wollte, mir doch erst ein wenig mit meinen Fäusten betrachten. Darin sind wir halt eigen.«

Ell zuckte die Achseln. »Es wird Ihnen wenig nützen«, sagte er.

»Vielleicht doch«, entgegnete Saltner trocken, »wenn alle so dächten, oder wenigstens viele. Es könnte nützen. Zunächst denen, die etwa Lust hätten, sich auf die Seite der Martier zu stellen; die könnte es zur Besinnung bringen, wenn sie sehen, wie ehrliche Menschen über die Treue zum Vaterland denken. Und im Notfall mir selbst. Denn besser ist es, mit ein bissel Repulsit ausgelöscht zu werden, als unter die Fremdherrschaft sich beugen, und wenn sie sich noch so sehr mit dem Namen der Freiheit ausstaffiert. Aber wir wollen uns nicht erhitzen. Darf ich mir ein Pik nehmen?« sagte er zu La.

»Wir wollen uns allerdings nicht erhitzen«, erwiderte Ell mit eisiger Miene. »Darum sollten Sie sich selbst etwas vorsichtiger ausdrücken. Man könnte auch auf dem Mars fragen, was ein jeder, der auf seiner Oberfläche wandelt, der Sache der Nume schuldig ist. Und was den Begriff der Fremdherrschaft anbetrifft, so kommt es doch ganz darauf an, was man als fremd ansieht. Die Staatsangehörigkeit jedes einzelnen würde unangetastet bleiben; wenn aber der Staat selber der Leitung einer höheren Vernunft unterliegt, so würde das für jeden Bürger nur eine größere bürgerliche Freiheit, einen weiteren Schritt zur Selbstregierung bedeuten.«

»Die sich in der Freiheit äußern würde, mehr Steuern zu zahlen. Oder meinen Sie vielleicht, man würde uns das Wahlrecht in den Marsstaaten oder einen Sitz im Zentralrat gewähren? Man wird uns immer nur als die Handlanger betrachten, die man vielleicht anständig füttert und im übrigen nach Belieben gängelt. Aber ein Haustier bin ich nit und werd ich nit. Ich nit!«

»O ihr Blinden!« rief Ell. »Seht ihr denn nicht, daß ihr nichts anderes seid als Sklaven, Sklaven der Natur, der Überlieferung, der Selbstsucht und eurer eigenen Gesetze, und daß wir kommen, euch zu befreien, daß ihr nur frei werden könnt durch uns?«

»Ich glaub nicht an die Freiheit, die nicht aus eigner Kraft kommt.«

»Wir wollen ja nur diese eigne Kraft stärken. Und nun weigert ihr euch wie ein Kind, das Arznei nehmen soll.«

La hatte schweigend zugehört. Ell hatte sie wiederholt angeblickt, als wollte er sich ihrer Zustimmung versichern, aber ihre Augen ruhten auf Saltner. Was er sagte, war ihr aus dem Herzen gesprochen, sie freute sich des kräftigen Ausdrucks seiner einfachen, natürlichen Gesinnung, aber durch ihre Seele zog es schmerzlich. War es nicht eine verlorene Sache, für die er kämpfte? Das große Schicksal, das über die Planeten rollte, mußte es nicht diese trotzigen Erdenkinder zermalmen? Ell hatte doch recht, die Numenheit ist die Vernunft, ist die Freiheit, und ihr Sieg ist gewiß, wie auch der edle Irrtum des einzelnen sich sträube. Und dennoch! Was ist denn das Schicksal, wenn nicht die Festigkeit im ehrlichen Willen der Person? Was ist denn die Freiheit, wenn nicht der Entschluß, mit dem ein jeder nach seinem besten Wissen und Gewissen handelt, was ihm auch geschehe? Und welch höhere Freiheit konnten die Nume geben?

»Nein, Ell«, sagte La jetzt langsam, als Saltner auf Ells letzten Vergleich nicht antwortete, »nein – nicht wie ein Kind. Saltner hat wie ein Mann gesprochen. Ein Nume mag es besser verstehen, aber besser wollen und fühlen kann man nicht. Und ich weiß, er wird auch so handeln.«

Sie reichte Saltner die Hand. Ihre dunklen Augen schimmerten feucht, als sie sagte:

»Warum muß es denn zum Streit kommen? Lassen Sie uns alles versuchen, daß Nume und Menschen Freunde werden. Es ist ja doch nur notwendig, daß sie sich kennenlernen, ehrlich kennenlernen. Lassen Sie uns den Irrtum, die Verleumdung bekämpfen, die sich einzuschleichen drohen. Noch ist es vielleicht Zeit! Nicht wahr, auch Sie wollen es, Ell?«

»Was könnte ich Höheres wollen?« erwiderte Ell warm. »Es war der Wunsch meines ganzen Lebens, die Versöhnung, das Verständnis der Planeten herbeizuführen, ihre Kulturarbeit zu vereinen. Seit ich die Nume persönlich kennengelernt habe, ist mein Wunsch lebhafter als je. Daß die Nume die Überlegenen sind, ist eine Tatsache. Wenn es zum Kampf kommt, werden die Menschen unterliegen, das folgt daraus. Daß ich trotzdem in diesem Fall auf der Seite der Nume stehen würde, ist ebenso natürlich wie der entgegengesetzte Standpunkt Saltners. Was ich nicht billige, ist nur das Mißtrauen, mit dem die Menschen uns begegnen, weil sie von einem Teil der Martier von oben herab behandelt werden. Aber diese Zeitungen sind doch nicht die Marsstaaten. Ich hoffe wie Sie, daß die entgegengesetzten Stimmen bald durchdringen werden. Hätte Saltner andere Blätter gelesen, er wäre sicherlich weniger bitter gestimmt.«

»Ich habe auch die andern gelesen«, sagte Saltner, »den ganzen Vormittag habe ich mich mit den Zeitungen herumgeschlagen. Leider haben sie einen schweren Stand, zu beweisen, daß die Menschen anständige Leute sind. Was sie für uns sagen können, das müssen ihnen die Martier halt glauben. Aber was sich gegen uns sagen läßt, das haben sie in einem einzelnen Fall gesehen. Daran sind die sakrischen Engländer schuld. Aber auch die beiden vorlauten Matrosen vom Luftschiff und ihre Helfershelfer, die die Sache im Theater aufgebauscht haben. Dagegen müßte die Regierung mehr tun, als die bloße Berichtigung loslassen, die heute in den Zeitungen steht.«

»Es wird auch geschehen«, sagte Ell. »Ich will eben deshalb jetzt zu Ill, der gestern in Erwägung zog, ob sich nicht ermitteln lasse, wie die Engländer dazu gekommen sind, unsere Leute anzugreifen. Vielleicht lag nur ein Mißverständnis vor. Und wenn sich das beweisen ließe, wenn sich außerdem zeigte, daß die Darstellung im Theater und so weiter übertrieben ist, so wird die Gerechtigkeit bei den Martiern siegen.«

»Wie wollen Sie das nachweisen, da Sie keine andern Zeugen haben als die beiden Martier, von denen ich gar nicht behaupten will, daß sie absichtlich übertreiben, die aber in ihrer Bedrängnis nicht objektiv urteilen können?«

»Es käme darauf an zu sehen, was an dem Cairn – an dem Steinmann, den die Engländer errichtet hatten – eigentlich vorging bis zu dem Augenblick, in welchem die Seeleute dem Offizier zur Hilfe kamen. Auch wäre es sehr gut, wenn unsere Landsleute sich durch den Augenschein überzeugen könnten, wie europäische Matrosen und ein europäisches Kriegsschiff eigentlich aussehen –«

»Das ist wahr«, sagte Saltner. »Am Ende ginge ihnen doch ein Licht auf, daß die Menschen keine Wilden sind, mit denen zu spaßen ist. Aber wie sollte so ein Nachweis möglich sein über einen Vorgang, der in der Öde des Kennedy-Kanals vor Wochen stattgefunden hat?«

»Durch das Retrospektiv.«

Saltner machte ein erstauntes Gesicht.

»Das ist ein glücklicher Gedanke«, rief La.

»Ich habe dabei gar keinen Gedanken«, sagte Saltner kopfschüttelnd.

La erklärte das Verfahren. Saltner wurde wieder kleinlaut. Bedrückt setzte er sich nieder und murmelte für sich hin:

»Medizin! Wir sind ja doch arme Rothäute!«

Ell verabschiedete sich.

»Wenn es noch zur Anwendung des Retrospektivs kommt«, sagte La, »dann müssen Sie mir aber einen guten Platz verschaffen.«

»Ich wäre glücklich, Ihnen gefällig sein zu können.«

Ell sprach es wärmer als gewöhnlich und ließ seinen Blick lange auf La ruhen, die ihn lächelnd ansah. Dann ging er.

La wendete sich zu Saltner. Sie faßte seine Arme und blickte ihn an. »Wie bin ich froh, daß ich dich hier habe, du geliebter Mensch!« sagte sie.


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