Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Die Stellung der Frauenbewegung zu Ehe und Familie

Von den beiden großen soziologischen Kernfragen der Frauenbewegung – die Einordnung der Frau in das Erwerbsleben und die Gestaltung ihres Familienberufs auf der Grundlage der neuen Bedingungen – stellen wir die zweite in den Vordergrund, um damit zugleich zum Ausdruck zu bringen, daß die Mutterschaftsbestimmung der Frau der Grundmaßstab ist, nach dem ihre Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beurteilt und, soweit möglich, reguliert werden sollte.

Dabei handelt es sich wieder um zwei Teilfragen; erstens: um den tatsächlichen Inhalt des neuen, dualistisch gespaltenen Frauenlebens und die Auseinandersetzung seiner beiden Bestandteile, Familienberuf und Erwerbsberuf, miteinander, und zweitens: um die Frage der Stellung der Frau innerhalb der Familie, die Frage, ob und in welcher Form der Umbildungsprozeß der Familie, indem er den Typus der Frau veränderte und ihre Kulturleistungen zum Teil auf ein anderes Feld hinüberschob, auch ihre ethischen und rechtlichen Ansprüche innerhalb der Familie, ihre Beziehungen zum Mann und zu ihren Kindern berührte. Diese Erwägungen umfassen naturgemäß sowohl die gesetzliche Regelung der Beziehungen zwischen der Frau und der Familie, wie auch jenes ganze Gewebe von ungeschriebenen sittlichen und sozialen Gesetzen, nach denen sich das Verhalten der Geschlechter in ihren innerlichsten und persönlichsten Beziehungen zueinander bestimmt.

Wenn wir der Entstehung dieser Probleme in ihrer heutigen Gestalt nachgehen, so sehen wir wieder ihre geistigen Voraussetzungen früher erscheinen als ihre wirtschaftlichen Bestimmungsgründe. Es entsteht zuerst eine neue Auffassung von dem Verhältnis der Geschlechter, von der Art der Einordnung der Frau in die Familie, die unmittelbar mit den geistesgeschichtlichen Vorgängen zusammenhängt, die im zweiten Kapitel als »Entwicklung des Individuums« und »Entwicklung der emanzipatorischen Doktrin« gekennzeichnet sind. Selbstverständlich sprechen auch hier wirtschaftliche Vorgänge mit, aber im Bewußtsein derjenigen Generationen, die das Eheproblem vom Gesichtspunkt der Frau aus zuerst bewußt und reflektierend aufgriffen, spielte die Erkenntnis der wirtschaftlichen Umwandlungen noch gar keine Rolle, konnte sie zeitlich noch gar keine Rolle spielen, vielmehr bietet sich das Eheproblem der Kritik zuerst als ein rein sittliches, als ein Problem des persönlichen inneren Lebens, nicht etwa als ein wirtschaftlich soziales.

In welcher Weise sehen wir nun durch den geschichtlichen Vorgang, den wir als Entwicklung der weiblichen Individualität bezeichnet haben, die Auffassung des sexuellen Lebens sich umgestalten?

Zunächst ist ohne Zweifel die Entstehung und Befestigung der Einehe ein Stück dieses Prozesses. Sie ist, wie Marianne Weber in ihrem ausgezeichneten Buch » Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung« Z.C.B. Mohr, Tübingen 1907. überzeugend darlegt, ein Sieg der Frau über die polygamen Instinkte des Mannes. Dieser Sieg, durch die Ehegesetze der Griechen und Römer verwirklicht, setzt immerhin ein gewisses Gewicht ihrer Persönlichkeit voraus, auch wenn die Monogamie zunächst nur eine rechtliche Institution war, die neben sich verantwortungslosen Geschlechtsverkehr gestattete, und wenn sie auch als sittliche Forderung nur für die Frau galt. Die Minderwertung der Frau kommt nach wie vor darin zum Ausdruck, daß der Mann zwar von ihr unbedingte Treue verlangte, aber gar nicht daran dachte, seinerseits ihr die gleiche Achtung und Rücksicht zu gewähren.

Der Individualismus aller modernen Weltanschauungen, der Stoa und dann vorzüglich auch des Christentums, demzufolge jede einzelne Seele unter dem Maßstabe der Sittlichkeit gleichwertig und zu gleichen Pflichten und Ansprüchen berufen ist, konnte nicht verfehlen, auf diese Auffassung des Verhältnisses der Geschlechter einzuwirken. Man wird aber behaupten dürfen: stärker noch wirkte die geistige Befreiung, die Entwicklung der Persönlichkeit in der Frau selbst. Ohne diese Entwicklung hätte die bloße Lehre, daß vor Gott »nicht Mann noch Weib« sei, sich nicht in moralisch-rechtliche Forderungen umgesetzt. Man hätte sich mit dem »vor Gott« zufrieden gegeben und im irdisch-menschlichen Dasein alles beim Alten gelassen. Denn man kann in der Geistesgeschichte immer wieder sehen, wie ganz naheliegende praktisch-sittliche Konsequenzen aus allgemein angenommenen Anschauungen nicht gezogen werden, aus dem Instinkt heraus, daß das dadurch geforderte Opfer zu schwer sein würde. So sind, wie schon erwähnt wurde, die Vertreter der Menschenrechte erstaunlich lange um die Frage herumgegangen, was ihr Prinzip für die soziale Stellung der Frau bedeute, und so sind auch heute noch ganz allgemein anerkannte Grundsätze unseres gesamten sittlichen Handelns und Empfindens ohne Einfluß auf die Beurteilung der doppelten Moral. Stärker und gewichtiger als neue Theorien ist also das unmerklich wachsende Persönlichkeitsgefühl der Frau, das unbewußt dem Liebesleben andere Gesetze aufzwingen möchte und die Theorie ergreift und benützt, um sich daran zu halten. Das ist der eine Faktor, der den »zwischen den Geschlechtern anhängigen ewigen Prozeß« (Hebbel) beeinflußt: die Frau, die ihren Persönlichkeitswert empfinden gelernt hat, kann sich nicht mehr damit zufrieden geben, Mittel zum Zweck zu sein, kann das Defizit an persönlicher Achtung schwer ertragen, das naturgemäß da vorhanden ist, wo ihr nicht die gleiche Treue gehalten wird, die man von ihr verlangt. Sie fühlt die Spannung zwischen dem Liebesideal, das man für sie aufstellt und das sie auch aus ihrem tiefsten Empfinden heraus freudig ergreift, und der Sexualethik des Mannes, in der die Norm, deren Erfüllung für sie selbstverständlich ist, bis zum Indifferenzpunkt heruntergeschraubt wird.

Mit dieser Kritik der Frau an der doppelten Moral verknüpft sich die soziale und ethische Beurteilung jenes Ersatzes, den sich der Mann für die von ihm selbst als notwendig erkannte Beschränkung seiner erotischen Freiheit durch die Ehe geschaffen hatte – der Prostitution. Mit Recht hat Rosa Mayreder in ihrem neuen Buch »Geschlecht und Kultur« betont, daß die Frauenbewegung aus ihrem Ethos heraus zu einer scharfen und klaren Stellungnahme gegen die Prostitution kommen mußte, weil sie die vollkommenste Ausschaltung des entscheidenden Prinzips der Frauenbewegung: der Verwirklichung der Persönlichkeitsidee für die Frau ist. Überdies mußte die Frau in dem Augenblick, wo sie zu dem Gefühl der Solidarität ihres Geschlechts erwacht war, einsehen, daß die Hebung ihrer Stellung in der Familie erkauft wurde dadurch, daß eine Schar von Frauen um ebensoviel unter das Niveau persönlicher Achtung herabgedrückt wurde, als sie selbst darüber hinausstieg. Sie mußte empfinden, daß die Nichtachtung, die sexuelle Hörigkeit der Frau, eigentlich gar nicht beseitigt, sondern nur mit ihren Konsequenzen auf eine andere Schicht von Frauen abgeschoben worden war.

Ein anderer, aus dem eigentlichen und ursprünglichen Ethos der Frauenbewegung hervorgehender Impuls richtet sich gegen den Patriarchalismus der Ehe. Die Rechtsordnung der Ehe stellt die Frau fast allgemein unter eine Bevormundung, die heute zu ihrer Urteilsfähigkeit und zu ihrem Willen zur Selbstbestimmung in keinem Verhältnis mehr steht und sich durch nichts anderes mehr begründen läßt, als durch das traditionelle Ansehen der » patria potestas«.

Das ist, in großen Zügen skizziert, die Wirkung der Frauenbewegung auf die Anschauungen über Liebesleben und Ehe. Neben dieser im Gedankenkreis der Frauenbewegung entstehenden »sexuellen Frage«, neben diesen aus ihrem ethischen Gehalt geprägten Forderungen an das Sexualleben und die Rechtsordnung der Ehe entsteht aber nun, von ganz anderen Motiven ausgehend, eine Bewegung, die sich gleichfalls kritisch gegen die Ehe richtet und umgestaltend auf das Sexualleben wirken will. An die Stelle des ethischen Individualismus, von dem die Frauenbewegung in ihrer Kritik der Ehe ausging, setzt diese Bewegung den Individualismus schlechthin, in dem Sinne eines Rechtes auf eine Lebenserfüllung, die allen Seiten der menschlichen Persönlichkeit, den sinnlichen so gut wie den geistigen, Genüge leisten soll. Die Überwindung der doppelten Moral wird in dieser Bewegung darin gesucht, daß man für die Frau die gleiche erotische Freiheit verlangt, die sich der Mann zugesteht. Auch für die Entstehung dieser Forderung haben die äußeren wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst noch nicht mitgesprochen. Der Gedanke, daß die Frau die gleiche erotische Freiheit besitzen sollte wie der Mann, erscheint vielmehr, in erster Linie von Männern geprägt, im Zusammenhang der aristokratischen Moral der deutschen Romantik, als ein Anspruch des Vollmenschen gegenüber dem Philister, als ein Recht der unverantwortlichen genialen Persönlichkeit, der eben um ihres Wertes willen mehr gestattet sein soll als dem Durchschnitt. Es ist mehr ein historischer Zufall als eine innere Notwendigkeit, daß die Entstehung der emanzipatorischen feministischen Doktrin in der französischen Revolution mit dieser Strömung nach dem Ausleben der genialen Persönlichkeit zusammentraf und sich ihr als Mittel der Selbstrechtfertigung darbot. Diese Verbindung finden wir bei Friedrich Schlegel, der, von dem frauenrechtlerischen Radikalismus der französischen Revolution ergriffen, in der »Lucinde« aus der romantischen Forderung der genialen Lebenserfüllung ein Programm machte, das der Frau das gleiche Recht erotischen Sichauslebens zugestand wie dem Manne. Im jungen Deutschland lebte dann diese Moral weiter in der Theorie von der » femme libre«, dem freien Weibe, so genannt nicht sowohl um der sozialen und politischen als in erster Linie um der erotischen Freiheit willen, die man für sie forderte.

Schon seit der Wende des Jahrhunderts haben Naturalismus und Neuromantik in gleichem Maße, wenn auch in verschiedener Weise, dazu geführt, die Erotik abermals zu betonen. Aus Ursachen, die zu erörtern hier zu weit führen würde, ist die Welle der elementaren menschlichen Instinkte einmal wieder gestiegen, und die erotische Befriedigung nimmt im Begriff des modernen Menschen von Glück und Lebenserfüllung einen sehr großen Raum ein. Diese Reaktion auf eine Zeit nüchterner, aber ethisch kräftigerer Lebensanschauungen hat sich nun in einer nach innen und außen verwirrenden Weise mit der Frauenbewegung verquickt. Es kam da Inneres und Äußeres zusammen, selbstverständlich liegt ein schweres soziales Problem in der Tatsache, daß eine erhebliche Zahl von Frauen nicht zur Ehe gelangen und von der Lebenserfüllung in Liebe und Mutterschaft ausgeschlossen sind. Die moderne Sexualwissenschaft hatte die Tendenz, die Erotik in stärkerem Maße als Lebenszentrum schlechthin hinzustellen und in dem Verzicht eine Verkümmerung der Gesamtpersönlichkeit zu sehen. Der Krieg hatte auf diesem Gebiet einen ungeheuren Einfluß, sowohl in den unnatürlichen Zuständen für das Sexualleben, die er schuf, wie auch in der Rückwirkung allgemeiner Erregung, Verrohung und Auflösung auf die Formen der Erotik. Die bürgerliche Gesittung, sofern mehr äußere Gewohnheit als tiefere Motive sie aufrecht erhielt, verfiel mit der Auflösung der äußeren Lebensordnung. Dieser Verfall hat vielleicht sein stärkstes Symptom darin, daß die Frauen in größerer Zahl und unbedenklicher als je zuvor einen Teil der sexuellen Freiheit des Mannes als Lebensrecht in Anspruch nahmen. Nicht prinzipiell, aber tatsächlich. Und daß sie weniger als je geneigt waren, Normen anzuerkennen, die sie von einer Seite weiblicher Lebenserfüllung ausschlossen. Als soziale Erscheinung gesehen, äußerte sich diese Entwicklung darin, daß sexuelle Ungebundenheit der Mädchen bis weiter in die Kreise auch des eigentlichen Bürgertums um sich griff und dort – wenigstens in den Großstädten – eine traditionelle Gesittung angriff. Diese Verhältnisse, so wenig sie unter dem Einfluß bewußter neuer Lebensnormen entstanden waren, zwangen doch weiter zur Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Fragen der Sexualmoral und belebten die Diskussion wieder, die, wie erwähnt, schon seit der Wende des zwanzigsten Jahrhunderts die Kreise der Frauenbewegung beschäftigt hatte. Es handelt sich um die Frage, ob die Ehe, die, an ökonomische Bedingungen geknüpft und mit einem starken Gewicht sozialer Verantwortlichkeit belastet, nicht allen zugänglich ist, die einzig anerkannte Norm sexueller Beziehungen bleiben könne. Die Ehe in ihrer heutigen legitimen Gestalt, so argumentieren die Vertreter einer »Neuen Ethik«, Zwingt nur einen Teil des Geschlechtsverkehrs in soziale Formen – sie hat die Prostitution neben sich, die der Zügellosigkeit um so viel mehr Raum gibt, je strenger die Ehe sich als einzig einwandfreie Geschlechtsverbindung zu behaupten trachtet. Wäre es nicht besser – so fragt man – für unser moralisches Urteil und unsere rechtlichen Institutionen, von dieser Tatsache zu lernen und Beziehungen zu sanktionieren, die, ohne die Rechtsform der Ehe annehmen zu können, doch himmelhoch über der Prostitution stehen? Denn die auf Lebenszeit geschlossene Ehe sei auch in psychologischer Hinsicht ein schwer erträglicher Zwang. Mit der Erstarkung der Persönlichkeit, mit der Differenzierung der Individualitäten entwickeln sich in wachsendem Maße Beziehungen und Verhältnisse, die in irgendwelcher Weise über die für die Gattung gesetzten Ordnungen hinauswachsen. Je entwickelter aber die Menschen in seelischer Hinsicht werden, je subtiler ihre Ansprüche aneinander, um so schwerer wird es für sie, sich dem Prinzip der Dauerehe zu unterwerfen, und es in ihrem Zusammenleben ohne unerträgliche Einbußen auf der einen oder anderen Seite, ohne Degradierung der ehelichen Gemeinschaft selbst, zu verwirklichen. Ist es nicht möglich, so fragt man wieder, der seelischen Reizbarkeit des modernen Menschen durch eine Lockerung dieses Zwanges entgegenzukommen?

Zu diesen psychologischen fügt man wirtschaftliche Argumente. Durch die Veränderung der Berufsverhältnisse sei für den Mann bestimmter Gesellschaftskreise die Möglichkeit der Familiengründung in ein so hohes Alter hinaufgerückt, daß er zur Zeit stärkster erotischer Bedürfnisse auf eine ungesunde Askese oder auf die Prostitution angewiesen sei, während die Mädchen derselben Schicht in ungesund hohem Prozentsatz Zur Ehelosigkeit verurteilt wären, ein Argument, das durch die Todesernte des Krieges unter den jungen Männern zeitweise an Gewicht sehr gewonnen hat.

Andererseits stützt man sich auf die wirtschaftliche Entwicklung, um die Entbehrlichkeit einer auf Dauer begründeten, dem wirtschaftlichen Schutz der Frau und der Kinder dienenden Familiengemeinschaft zu erhärten. Die voll erwerbstätige Frau bedarf dieses Schutzes allerdings in weit geringerem Maße, ja sie könnte unter Umständen auch die Erhaltung der Kinder auf sich nehmen, und tut das ja oft genug. Damit ist ihre wirtschaftliche Gebundenheit in den Familienkreis tatsächlich aufgehoben. Unter der Voraussetzung, daß die allgemeine Durchführung außerhäuslicher Erwerbsarbeit der Ehefrau diese Emanzipation vollständig machen wird, hatten Bebel und seine Anhänger eine freiere Gestaltung der Ehe im Zusammenhange jener Sozialisierung der Familie gefordert, bei der die Frau gleich dem Manne berufstätig und die Haushaltführung und Kinderwartung genossenschaftlich sein wird. Wir kommen auf die Kritik dieser Theorie noch im Zusammenhang des Problems »Beruf und Mutterschaft« zurück. Sie muß hier nur erwähnt werden, weil sie nach Ansicht ihrer Vertreter ein Mittel zur Lösung der sexuellen Frage darstellt; es kann aber gleich dazu erwähnt werden, daß die Kriegserfahrungen die Annahme, die Frau könne normalerweise Kindererziehung, Haushalt und eine selbständige Erwerbsarbeit vereinigen, als utopisch erwiesen haben. Vergleichen wir diese Gedankenreihen mit denen, die sich aus den geistigen Grundlagen der Frauenbewegung ergeben!

Ein solcher Vergleich kommt einer Kritik der »neuen Ethik« aus dem Prinzip der Frauenbewegung heraus gleich. Denn den Ausgangspunkt für die Frauenbewegung bildet das Festhalten an der Dauerehe als der einzigen rechtlichen und sittlichen Norm des Geschlechtslebens. Fühlt sich die Frau heute in ihrer ganzen »Befreiung«, in ihrem Persönlichkeitwerden, getragen von einer Kulturentwicklung, die der Linie wachsender Individualisierung alles Menschentums folgt, so kann ihr auch das Kulturideal des Geschlechtslebens nur sein: Durchgeistigung und Individualisierung bis zu der Höhe, auf der es an das Korrelat einer die ganze Persönlichkeit ergreifenden seelischen Gemeinschaft geknüpft ist. Steigende Individualisierung bedeutet steigende Unterwerfung animalischer Triebe unter das Geistige. Die Einsicht, daß es sich hier, auf dem Gebiet des Sexuallebens, um einen zentralen Kampf handelt, bei dem in gewisser Weise alle Kräfte geistig-sittlichen Fortschritts mit den Naturgewalten im Menschen ringen, diese Einsicht entfernt uns gleich weit von einem pharisäischen Richten über das, was heute ist, von jeder Illusion über die Größe des Schrittes, den eine Generation nach diesem Ziel hin tun kann, wie auch von jeder Laxheit dem Ziel selbst gegenüber.

Eine solche Laxheit aber liegt in der gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung des Surrogats der »freien Verhältnisse«. Man meint, durch sie die Prostitution einschränken zu können, die man immer gern als die naturnotwendige Kehrseite strenger Begriffe von der Unerschütterlichkeit der legitimen Ehe hinzustellen pflegt. Man sieht den ethischen Wert solcher Verhältnisse gegenüber der Prostitution darin, daß hier nicht jene unglückselige und das erotische Empfinden für immer vergiftende Ausscheidung des seelischen Elements aus der sexuellen Sphäre stattfindet. Das »Verhältnis« sei auf seelische Anziehung, auf eine Seele und Sinne verschmelzende Leidenschaft aufgebaut. Versucht man aber sich eine Leidenschaft psychologisch zu definieren, die ihrer eignen Dauer nicht traut und – um sich selbst den Rückzug offen zu halten – für den Menschen, dessen Hingabe sie verlangt, keine Verantwortungen übernehmen möchte, so erscheint ihr seelischer Feingehalt doch recht dürftig. Und es wird fraglich, ob man dieser Leidenschaft ein Recht über einen andern Menschen, ein Recht auf sozial folgenschwere Handlungen zugestehen darf, und ob die allgemeine und a priori gewährte Sanktion solcher »Verhältnisse« als ein sittlicher Fortschritt zu bewerten wäre. Wenn man bedenkt, daß es ja doch schon heute lediglich eine Frage der Geldmittel ist, ob ein Mann mit der Prostitution vorlieb nimmt oder sich eine Maitresse leisten kann, so wird man geneigt sein, anzunehmen, daß eine Sanktion der freien Verhältnisse eher das bisher noch von der Ehe behauptete Gebiet angreifen, als der Prostitution Terrain abgewinnen wird.

Die Geschichte bestätigt diese Vermutung durchaus. Sie zeigt, daß niemals die Laxheit illegitimen Beziehungen gegenüber einen Rückgang der Prostitution bewirkt hat, sondern gerade das Gegenteil. Sie zeigt, daß die menschliche Gesellschaft nun einmal gewisser unverrückbarer einfacher sittlicher Gesetze bedarf, die der Willkür des einzelnen Schranken setzen, wenn sie nicht in Unkultur zurücksinken soll, und daß immer gerade die Rohesten und Brutalsten, die, die nicht mit gemeint waren, den stärksten Vorteil aus solchen Herabminderungen der sittlichen Forderungen ziehen.

Und diese Tatsache legt der Frauenbewegung die Frage nahe: was hat die Frau von einer Sanktion freier Verhältnisse zu erwarten? Positiv vielleicht das eine: die Aussicht, daß die Zahl der Frauen sich vermindert, die heute auf erotische Befriedigung verzichten müssen. Es gibt Männer und Frauen, die diesen Gewinn so hoch einschätzen, daß sie ihm zuliebe manches Bedenken in Kauf nehmen würden, und es gibt Frauen, die es sich leichter denken, den Lebenskampf für sich und ein Kind eventuell allein auf sich zu nehmen, als überhaupt auf Liebe und Mutterschaft zu verzichten. Von dieser Seite her wird es gern als kleinliche und spießbürgerliche Berechnung gebrandmarkt, daß die Frau ihre Hingabe an die Sicherheit dauernder Lebensgemeinschaft knüpft. Und doch liegt gerade hierin ein Moment seelischer Kultur, der natürliche Ausdruck für die unlösliche Bindung des Sinnlichen an das Seelische und der höchste Beweis für die Herrschaft des persönlichen Moments in der Liebeswahl. Es ist eben nicht jene höchstpersönliche, von dem ganzen Wesen getragene große Liebe, die nach der »Zeitehe« verlangt, sondern wie es einmal Fr. W. Förster genannt hat, die »kleine Passion, der Sinnenrausch, die Lust am Wechsel, die vergängliche Leidenschaft, der treulose Egoismus«. Wo all solchen Stimmungen ein Recht auf Erfüllung und Befriedigung gegeben wird, da ist es, im ganzen betrachtet, naturgemäß immer die Frau, auf welche die Lasten fallen; rein äußerlich, weil sie die Lasten der Mutterschaft zu tragen hat, aber auch innerlich, um all der psychologischen Momente willen, die man als ihre »monogame Veranlagung« etwas allzu summarisch und naturalistisch zusammenfaßt.

Das eigentliche Kriterium aller Vorschläge zur Umgestaltung der Ehe wird aber selbstverständlich durch die Frage nach dem Schicksal des Kindes in die Wagschale geworfen.

Die Beurteilung der Ehe nach dem Maße der Lebenserfüllung, die sie den Gatten gewährt, ist eben an sich einseitig, ja verfehlt, denn ihren sittlichen und kulturellen Zweck erfüllt sie erst, indem sie der jungen Generation sowohl materielle Versorgung als auch die geistige Atmosphäre bietet, in der sie in die jeweilige Kultur hineinwächst. Wie steht es in dieser Hinsicht mit dem sozialen Wert freier Verhältnisse? Wer trägt – vorausgesetzt, daß es sich nicht nur um folgenlosen Geschlechtsverkehr handeln soll (womit jede ethische und soziale Diskutierbarkeit des Vorschlags überhaupt fiele) die Verantwortung für die Kinder? Wenn darauf geantwortet wird, wie das gewöhnlich geschieht: selbstverständlich die Eltern, so erhebt sich die weitere Frage, wie Recht und Sitte diesen Kindern sichern soll, was es den ehelichen sichert, ohne zu einer Bindung für die Eltern zu kommen, die der bürgerlichen Ehe von heute gerade in den Punkten, die als eine zu starke Beeinträchtigung der erotischen Freiheit angesehen werden, so ähnlich sieht wie ein Ei dem andern.

Was zunächst die Rücksicht auf die materielle Sicherung des Kindes angeht, so wäre es nur in bemittelten Schichten denkbar, eine ausreichende wirtschaftliche Versorgung zu erreichen ohne die Voraussetzung einer durch Mann und Frau begründeten, bis zur Volljährigkeit des Kindes aufrecht erhaltenen Familiengemeinschaft. Die Möglichkeit, Zeitehen einzugehen und für die daraus stammenden Kinder einzutreten, würde ökonomische Grenzen haben – wie die Vielweiberei im Orient. Es ist aber mehr als wahrscheinlich, daß die einmal mir einer Gloriole umwundene Leidenschaft es für unter ihrer Würde hält, sich nach diesen ökonomischen Grenzen zu richten, und so würde voraussichtlich die Jagd der Vormundschaftsgerichte nach den verpflichteten Vätern bzw. Müttern gegen heute an Erfolglosigkeit ins Ungemessene steigen. Dazu käme die vollständige oder partielle Heimatlosigkeit, zu der Kinder aus solchen Zeitehen verurteilt wären; es wäre ein Wunder und ein Zeichen übernormaler Lebenstüchtigkeit, wenn sie wertvolle Glieder der Gesellschaft würden. In den Akten unserer öffentlichen Armenpflege figurieren Tausende und Abertausende von eheverlassenen Frauen, die unterstützt werden müssen. Geschieht das schon am grünen Holz – unter der immerhin doch vorhandenen gesetzlichen Möglichkeit, die Versorgung der Familie durch den Mann zu erzwingen, was würde erst geschehen, welchen Umfang würde die Not der Frau und des Kindes annehmen, wenn wir die Möglichkeiten eines solchen Zwanges verringerten! Es hat ja auch bis jetzt noch niemand behaupten wollen, daß das Verantwortungsgefühl der unehelichen Väter den Kindern gegenüber durchschnittlich höher sei als das der Ehemänner.

Solange die Familie noch wie heute der Träger der höchsten moralischen und wirtschaftlichen Verantwortung für die junge Generation ist, muß die Frauenbewegung bestrebt sein, sie zu erhalten und zu festigen. Sie muß als Anwalt der Frau und des Kindes aufs schärfste gegen das Recht protestieren, um persönlicher Befriedigung, persönlichen Genusses willen sich der mit der Ehe verbundenen Verantwortung zu entziehen. Ernsthaft diskutierbar wäre eine solche ohne Rücksicht auf das Kind normierte Ehe nur, wenn sie sich an die Bedingung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung knüpfte, in der der Staat Vater und Mutter von der Verantwortung für das Kind überhaupt befreite und diese Fürsorge auf sich nähme. Das ist sine utopische Vorstellung, mit deren Kritik man sich zunächst kaum zu befassen braucht, sonst könnte man – wie das z. B. Herbert Spencer tut – auf die kulturgeschichtliche Tatsache hinweisen, daß zu allen Zeiten und unter allen Lebensformen die Fürsorge für den Nachwuchs den Eltern aufgelegt ist, und daß gerade auf den höchsten Stufen diese Fürsorge am intensivsten und hingebendsten zu sein pflegt, so daß es sich fragt, ob durch den Gedanken der Staatserziehung nicht ein primäres psychologisches Gesetz übersehen wird.

Die Frauenbewegung, innerhalb deren die Frau zur Selbstbesinnung über die ihr zugewiesenen Kulturaufgaben kommt, kann den Hebel nur an einem Punkt ansetzen. Sie wird in der Verstärkung der sittlichen und sozialen Position der Frau, die dem Kulturideal der Einschränkung des Geschlechtsverkehrs auf die Einehe biologisch näher steht als der Mann, das Mittel zur Lösung der sexuellen Frage sehen, das in ihre Hand gelegt ist. Und wenn die Frau die Macht, die sie im Fortschritt der geistigen Entwicklung gewinnt, nicht an der entscheidenden stelle wieder preisgeben will, so darf sie sich auf sexualethischem Gebiet nicht der männlichen Ungebundenheit beugen oder gar selbst überlassen, sondern sie muß den hier maßgeblichen Ordnungen ihre Form aufprägen, die sie vor allem bestimmen muß aus ihrer Verantwortung als Mutter heraus.

In diesem Zusammenhange erhebt die Frauenbewegung die Forderung, daß aus den gesetzlichen Institutionen alle Spuren einer sexuellen »Hörigkeit« der Frau beseitigt werden, alle Bestimmungen des Eherechts, durch die dem Manne als Mann eine Macht über die Frau zugestanden wird, und alle Bestimmungen, durch die der Staat selbst die doppelte Moral sanktioniert.

Eine solche Sanktion der doppelten Moral findet die Frau in der bisherigen Stellung des Staates der Prostitution gegenüber. Die ethische Formel für diese Stellung ist offensichtlich und unbestreitbar diese: Der Staat tritt mit dem ganzen Apparat seiner Schutzmaßregeln für die Männer ein, die die Prostitution benutzen; er stellt ihnen seine Dienste dafür zur Verfügung, er übernimmt dabei besondere Aufgaben eines positiven Schutzes, fast als wenn es sich um mehr als die Verfolgung persönlicher Zwecke, als wenn es sich um ein wünschenswertes und im allgemeinen Interesse liegendes Verhalten handelte. Und all diese Maßnahmen dienen zugleich dazu, die Tage der Prostituierten zu verschlimmern, sie nachdrücklicher aus der menschlichen Gesellschaft auszuscheiden und fester an ihr Gewerbe zu ketten. Diese sittliche Unhaltbarkeit der Reglementierung ist, wie gesagt, unbestreitbar. Man kann um ihrer angeblichen »hygienischen« Bedeutung willen ihre ethische Anfechtbarkeit in den Kauf nehmen wollen, aber man muß dann wenigstens ehrlich zugeben, daß der Staat mit der Reglementierung seinen Charakter als Rechtsstaat verleugnet, und zwar auf Kosten der Frau. Seit der Revolution hat sich hier ein bemerkenswerter Wandel in der Stellung des Staates vollzogen. Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, das den letzten Reichstag beschäftigte und leider infolge eines Einspruchs des Reichsrats an einem unwesentlichen Punkt nicht verabschiedet wurde, brach mit dem Prinzip der Reglementierung, hob den sie begründenden § 361, 6 des Reichsstrafgesetzbuches auf und ersetzte ihn durch Maßnahmen zum Schutze des öffentlichen Anstandes und der Jugend gegen die moralische Infektionsquelle der Prostitution. Aber es bleibt abzuwarten, ob der neue Reichstag (von 1924) das Gesetz wieder aufnimmt.

Eine andere quasi Sanktion der doppelten Moral liegt zweifellos in der heutigen Rechtsstellung der unehelichen Mutter und ihres Kindes, in der Mehrbelastung der Mutter gegenüber dem Vater. Das Recht wurzelt hier einerseits in der vulgären Moral, die immer geneigt ist, in ihr Urteil nicht die Motive allein, sondern die rein äußeren und zufälligen Konsequenzen einer Tat hineinzunehmen und auf den ihre Steine zu werfen, an dem sich eine Handlung am härtesten rächt. Stärker als solche Elemente materialistischer Gesinnung sind in den Anschauungen über die uneheliche Mutter noch die Überreste der geschlechtlichen Hörigkeit der Frau und der Herrenmoral des Mannes. Damit, daß wir diese Rückstände aus unserem Urteil über die uneheliche Mutter ausscheiden, kommen wir natürlich keineswegs zu jener sentimentalen Verherrlichung der unehelichen Mutterschaft, in die heute das berechtigte soziale Mitgefühl so oft umschlägt. Eine Schuld, über die im einzelnen Fall zu richten wir natürlich nicht berufen sind, trägt die uneheliche Mutter dem Kinde gegenüber, für das in den seltensten Fällen in vollwertiger Weise materiell und seelisch gesorgt werden kann, und eine Schuld natürlich auch gegenüber der Institution der Ehe, die als ein Kulturgut von jedem zur sozialen Gemeinschaft Gehörenden gestützt werden muß. Freilich, in jeder Beziehung trifft diese Schuld den Mann auch, und in der ersten sogar schwerer, da er die soziale Verantwortung für seinen Schritt nicht etwa nicht übernehmen kann, sondern einfach nicht übernehmen will. Diese gerechte Abwägung der moralischen Verantwortlichkeit läßt das deutsche Familienrecht vermissen, indem es dem Vater eine Unterhaltspflicht nur nach dem Stande der Mutter auferlegt, die in der Praxis dann auch zumeist noch sehr niedrig bemessen wird. Im Verhältnis zu dem, was die Frau an dem Kinde zu tun verpflichtet ist, bedeutet die Alimentationspflicht ohne Zweifel die ungleich geringere Last – ganz abgesehen davon, daß diese geringere Last dann auch noch auf die viel kräftigeren Schultern fällt, häufig genug ja auf die eines reichen Mannes. Aber auch in anderen Punkten, insbesondere in der Befreiung des Vaters von jeder Verpflichtung für das Kind, wenn die Mutter mit mehreren Männern Verkehr gehabt hat, verrät die Regelung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes noch stark das Bestreben, den Mann möglichst zu entlasten. Auch hier ist heute damit zu rechnen, daß Deutschland bald dem Beispiel anderer, insbesondere der nordischen Staaten folgen und zu einer Neuregelung kommen wird. Das Prinzip dieser Neuregelung ist in der Verfassung (im Artikel 525) bereits festgelegt, der unter dem Einfluß der weiblichen Abgeordneten in der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung den Wortlaut erhielt: »Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.«

Vor allem aber fordert die Frau, die dem Patriarchalismus innerlich entwachsen ist, eine Umgestaltung der Ehe, die ihrem Persönlichkeitsgefühl gerecht wird. Es ist allerdings eine durch die Erfahrung aller Kulturländer bestätigte Tatsache, daß die Rechtsordnung der Ehe für die tatsächliche Gestaltung des Verhältnisses der Ehegatten zueinander eine relativ geringe Bedeutung hat. Die Stellung z. B., die der Amerikaner seiner Frau innerhalb der Familie zugesteht, hat ihren Ausdruck im Ehegesetz bei weitem nicht gefunden, und auch in England haben die eigentümlichsten, aus puritanischen Zeiten stammenden gesetzlichen Vorschriften über die Abhängigkeit der Frau vom Manne bestanden neben einem durchgehend über dieses durch das Gesetz gegebene Niveau sich erhebenden sozialen Ansehen der Frau. Aber diese Tatsache, daß in der persönlichsten und engsten Gemeinschaft, in die Menschen miteinander treten können, die Rechtsordnung durch die in den Persönlichkeiten selbst liegenden Bedingungen mannigfach verwischt wird, diese Tatsache darf uns doch von der Forderung nicht abdrängen, daß die Rechtsordnung in der Ehe dem Rechtsbewußtsein genüge und sich nicht als ein Mittel darstellen darf, die ethische Entwicklung zurückzuhalten.

Gegen diese Forderung verstößt unser deutsches Familienrecht, indem es trotz der Zugeständnisse, die es dem veränderten wirtschaftlichen Grundriß der Hauswirtschaft und des Frauenlebens macht, doch im Prinzip am Patriarchalismus festhält. Die Ehegatten stehen weder in bezug auf ihre persönlichen Angelegenheiten, noch den Kindern gegenüber als gleichberechtigte freie Persönlichkeiten nebeneinander, sondern das Entscheidungsrecht der Frau ist in all diesen Beziehungen dem des Mannes nachgestellt. Ganz besonders empfindlich berührt die Herleitung dieser Autorität des Mannes aus seiner Rolle als »Ernährer« der Familie. Denn einmal ist die Frau nicht nur zur Beschaffung des Familienunterhalts mit verpflichtet – wenn auch erst an zweiter Stelle – sondern auch zur Mitarbeit im Beruf des Mannes, wo eine solche Mitarbeit möglich und üblich ist. Auf den Ertrag der gemeinsamen Arbeit aber gewinnt sie dadurch keinen Anspruch. Andererseits aber legt ihr das Gesetz ausdrücklich die Pflicht zur Leitung des Hauswesens auf und entzieht ihr dadurch die Möglichkeit eigenen Erwerbs, mindestens in dem Umfange, in dem diese häusliche Pflicht sie in Anspruch nimmt. Je mehr Frauen vor der Ehe einem Beruf nachgegangen sind und sich dadurch imstande fühlen, ihrerseits auch »Ernährer« der Familie in dem früher ausschließlich dem Manne zugesprochenen Sinne sein zu können, um so unsicherer wird die Begründung der patriarchalischen Autorität auf die Eigenschaften des Mannes als Ernährer. Es wird sich auf Grund dieser neuen wirtschaftlichen Stellung der Frau mit Recht das Bewußtsein verbreiten, daß ihr aus dem Verzicht auf eigenen Erwerb um der Übernahme der häuslichen Pflichten willen ein Unterhaltsanspruch an den Mann erwächst, ohne daß sie ihre Selbständigkeit mit in den Kauf geben müßte. Wir werden auf die tatsächliche Bedeutung dieses Anspruchs noch einmal im Zusammenhange des Problems: Beruf und Mutterschaft zurückkommen. An dieser Stelle sei dem modernen Empfinden nur noch einmal mit den treffenden Worten Ausdruck gegeben, die Marianne Weber in ihrem Buch »Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung« dafür gefunden hat. »Alle diejenigen, welche die Erhaltung der Familie und der Familienerziehung für kulturnotwendig halten, sollten deshalb darauf hinwirken, daß jene widerwärtig-banausische Ideenverbindung zwischen dem Herrenrecht des Mannes – ›der ihm zukommenden Stellung‹ – und einer primären Unterhaltungspflicht, zufolge deren ihm als ›Ernährer‹ der Frau, d. h. als Gelderwerber, ein Anspruch auf ihre persönliche Unterordnung zugesprochen wird, durch die Idee der im Interesse eines gesunden Familienlebens notwendigen Pflichten- und Arbeitsteilung zwischen den Gatten und ihrer vollkommenen Kameradschaftlichkeit verdrängt wird.« (S. 427)

Diese Kameradschaftlichkeit, bei der die Entscheidungen über gemeinsame Angelegenheiten durch gegenseitige Verständigung und nicht ein für allemal durch Auslöschen des Willens der Frau zustande kommen, kann auch allein den geistigen Ansprüchen aller der Frauen genügen, die heute das weibliche Kulturniveau tatsächlich repräsentieren. Sowohl die äußere Selbständigkeit, die heute normalerweise jede Frau als berufstätiger Mensch vor der Ehe besessen hat, wie auch die innere Entwicklung der Frau hat sie der Rolle entwachsen lassen, die ihr der Patriarchalismus zuweist. Und insofern das Gesetz dazu hilft, den Mann – und die Frau – über diese Tatsache zu täuschen, insofern wird es die Entwicklung der Ehe zu dieser neuen, in der allgemeinen Kultur gegebenen Phase aufhalten. Erst die Beseitigung jeder Form von Hörigkeit in dem Verhältnis von Mann und Frau wird die Atmosphäre schaffen, in der ein reineres und gesunderes Sexualleben gedeihen kann. Die Frauen können nicht anders als von dieser Seite aus die Lösung der sexuellen Frage an ihrem Teil in Angriff nehmen. Nicht nur um ihre eigene Lage zu verbessern; das Verlangen nach höherer Achtung für ihr eigenes Eheideal entspringt vielmehr der festen Überzeugung, daß die Familie nach wie vor die Stätte ist, wo die Wurzeln unserer Kultur liegen. Sie kann es aber nur bleiben und immer mehr werden, wenn einerseits der Mann durch seine Anschauungen und sein Verhalten auf sexuellem Gebiet sie mehr stützt als bisher und wenn andererseits die Frau sich ihrer persönlichen Würde als Hüterin des Hauses in immer feinerem und höherem Sinne bewußt wird.

Die neue deutsche Reichsverfassung hat sich auf diesen Boden gestellt in ihrem Artikel 119, der lautet: »Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Diese beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.« Die Gesetzgebung wird sich der Aufgabe, das Familienrecht im Geiste dieses Artikels umzugestalten, nicht mehr lange entziehen können.


 << zurück weiter >>