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Vorworte

Vorwort zur ersten Auflage

Die Ausführungen dieses Bändchens haben es mit den theoretischen Grundlagen, nicht mit den historischen Tatsachen der Frauenbewegung zu tun. Sie sollen in die modernen Probleme der Bewegung einführen und in die Meinungskämpfe, die sich um diese Probleme entsponnen haben. Die Auffassung dieser einzelnen Fragen wird, wenn sie nicht willkürlich und zusammenhanglos bleiben soll, versuchen müssen, sich auf eine Gesamtanschauung von den fundamentalen geistigen und wirtschaftlichen Triebkräften der Frauenbewegung zu gründen. Deshalb habe ich in den beiden ersten Kapiteln versucht, die Linie der wirtschaftlichen und der geistigen Entwicklung nachzuziehen, durch welche Frauenfrage und Frauenbewegung entstanden sind, um dann das Wesen der einzelnen Probleme aus diesen ihren letzten historischen Ursachen zu entwickeln. Eine Zusammenstellung wichtiger und für die verschiedenen Phasen charakteristischer Programme der Frauenbewegung ist dem Buch im Anhang hinzugefügt, um die verschiedenen theoretischen Ausgangspunkte und den gegenwärtigen Stand der Meinungen zu beleuchten.

Der Zweck meiner Ausführungen ist, den Außenstehenden den organischen Zusammenhang der modernen Frauenbestrebungen zu zeigen, über die man so leicht, je nach zufälligen Erfahrungen, hier zustimmend, dort verdammend, urteilt, ohne sich zu vergegenwärtigen, daß eine die andere voraussetzt, eine mit der anderen in den gleichen letzten Ursachen zusammenfließt. Den Frauen aber, die im Feuer der Agitation so leicht im Kurs unsicher werden, hier ihre Prinzipien übersteigern, dort Unwesentliches wichtig nehmen, gibt diese Zusammenfassung unserer Bestrebungen in ihren letzten entscheidenden Antrieben und Beweggründen vielleicht eine Anregung zum Ausbau und zur Vertiefung ihrer Meinungen. Von allen sozialen Reformbewegungen, die alte Formen zerstören, um neue zu schaffen, hat die Frauenbewegung wohl am meisten Ursache, ihre Fundamente fest zu gründen. Denn ihre Probleme berühren die grundlegenden sozialen werte im Familien- und Staatsleben, Werte, um die nur von gewissenhaftesten Händen gestritten werden darf. Dieser Festigung der Fundamente, nicht der Propaganda und Agitation, sollen die folgenden Gedankengänge dienen. Sie fassen, sine ira et studio, zusammen, was eine langjährige praktische und Gedankenarbeit in unserer Bewegung mir als ihren eigentlichen objektiven Gehalt gezeigt hat. Vielleicht vermögen sie in einer Zeit, da die Frauenbewegung der Agitation mehr und mehr entraten kann und es vielmehr darauf ankommt, den stark gewordenen Strom in den richtigen Bahnen zu halten, der Sache auf ihre Weise auch praktisch zu nützen.

Berlin-Grunewald, im November 1907.
Helene Lange

 

Vorwort zur dritten Auflage

Die zweite Auflage dieses Buches erschien 1914 – zu Anfang des Weltkrieges, d.h. zu einer für Bücher dieser Art denkbarst ungünstigen Zeit. Daß die Auflage dennoch bei Ausgang des Krieges vergriffen war, deutet doch auf ein Gefühl des Zusammenhangs der Probleme der Frauenbewegung mit der neu einsetzenden Epoche der Weltentwicklung hin, deren Heranahen man spürte, seitdem fehlt das Buch auf dem Markt. Nicht durch Schuld des Verlags, der wiederholt im Lauf dieser Jahre um die Neuauflage mahnte. Aber es standen ihr allerlei Schwierigkeiten entgegen. Einmal der Mangel einer neuen Berufsstatistik, die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Seite der Frauenbewegung die unerläßliche Grundlage ist; man war damals noch optimistisch genug, eine solche in absehbarer Zeit zu erwarten. Dann die Ungeklärtheit in bezug auf manche der behandelten Probleme, so vor allem auf dem Gebiet der Frauenbildung. Auch schien es wünschenswert, die Auswirkung der neuen Frauenrechte wenigstens auf einigen Gebieten praktisch erprobt zu sehen. Und endlich lagen die Folgen des Krieges für die Probleme der Frauenbewegung noch nicht überall deutlich erkennbar vor.

Heute ist die ganze Lage in bezug auf diese Punkte wenigstens etwas geklärter. Daß wir auf eine neue Berufsstatistik vorläufig nicht rechnen können, ist sicher; auf die Bedeutung, die der alten immer noch zukommt, ist im ersten Kapitel verwiesen. Die Bildungsverhältnisse scheinen für die nächste Zukunft ziemlich festzuliegen. Über die Wirkungen des Krieges auf die Lage der Frauen kann man ein einigermaßen begründetes Urteil haben, und der Zeitraum wenigstens einer Reichstagsperiode läßt ein vorläufiges Urteil über Art und Richtung des politischen Frauenwillens möglich erscheinen.

So mag die kleine Arbeit denn nach gründlicher Umgestaltung aller nicht historischen oder grundsätzlichen Ausführungen abermals hinausziehen. Die Lösung der Probleme, die sie behandelt, liegt immer noch in weiter Ferne; ihre bescheidene Aufgabe soll darin bestehen, sie in ihrer Art und Bedeutung zu kennzeichnen und die Frauen für die Mitarbeit an dieser Lösung zu gewinnen.

Berlin, im Mai 1924.
Helene Lange


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