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Drittes Kapitel

Die Wirkung des Krieges

Die aus den geschilderten wirtschaftlichen Tatsachen und inneren Vorbedingungen hervorgehende Entwicklung der Frauenbewegung wurde unterbrochen durch den gewaltigen Einschnitt des Weltkrieges, der mit seinen Nachwirkungen ganz neue wirtschaftliche Bedingungen und vor allen Dingen eine ganz neue seelische Gesamtlage schuf, wenn auch in der Folge die zurückweichenden Wellen der großen Sturmflut die Ufer der vorher gegebenen wirtschaftlichen und seelischen Tatbestände zum Teil wieder hervortreten ließen, so bedeutete doch das Jahrzehnt nach 1914 für die deutsche Frauenbewegung nicht nur, sondern auch für die der ganzen Welt eine Epoche für sich.

Es kann an dieser Stelle nicht versucht werden, die gewaltige Erschütterung darzustellen, die das Volksbewußtsein, das Lebens- und Kulturgefühl der Generation erlitt, über die der Weltkrieg hereinbrach – auch nicht die innere Auseinandersetzung mit den Geschehnissen, zu der sich das Kulturbewußtsein der Frauen gezwungen sah. Denn hier handelt es sich nicht um eine Beschreibung der deutschen Frauenbewegung oder um eine Geschichte der deutschen Frau in dieser Zeit, sondern um gegenwärtige Probleme und ihre Beeinflussung durch den Krieg. Ich spreche daher zunächst von den wirtschaftlichen Wirkungen.

Sie zerfallen in zwei große Gruppen: die unmittelbare Wirkung des Krieges selbst, während dessen die Frauen die Ersatzkräfte der heimischen Volkswirtschaft darstellten und auf diese Art in einem nie gedachten Umfang in männliche Arbeitsgebiete hineingedrängt wurden. Diese Phase, wenn sie auch durchaus vorübergehend und fast ohne irgendwelche sichtbaren Folgen blieb, hatte doch zunächst die zwiefache Bedeutung: einmal die Leistungsfähigkeit der Frauen im positiven und negativen Sinn zu erweisen und damit sowohl gewisse Vorurteile niederzulegen wie gewisse Grenzen der weiblichen Leistungsfähigkeit klarzustellen, andererseits aber auch in ihnen selbst weit über die bisherigen Verhältnisse hinaus ein Bewußtsein ihrer Kraft und eine Gewöhnung an wirtschaftliche Selbstverantwortung entstehen zu lassen, die nicht ohne Folgen für die Zukunft bleiben konnten.

Es ist leider in Deutschland eine erschöpfende Darstellung der Frauenarbeit in der Kriegswirtschaft bis jetzt nicht gegeben worden. Ob es möglich ist, sie nachträglich aus dem statistischen Material der Kriegswirtschaft noch zu schaffen, ist wohl fraglich, so erwünscht es wäre, daß diese große eigenartige Kraftprobe der deutschen Frauen in einem erschöpfenden Gesamtbild festgehalten würde. Es ist darum nicht möglich, etwa in das Schema der Berufszählung von 1907 die Zahlen einzusetzen, die dem Stande der Frauenarbeit im Jahre 1918 entsprechen. Es muß genügen, um die Bedeutung der Frau in der Kriegswirtschaft oder der Kriegswirtschaft für die Frau zu kennzeichnen, auf folgendes hinzuweisen.

Da die Frauen bei der sehr raschen Entleerung der Volkswirtschaft von männlichen Kräften und der ebenso raschen einseitigen Ausweitung der eigentlichen Kriegsindustrien als Nothilfe herangezogen wurden, mußte man versuchen, sie vor allem in ungelernter Arbeit zu beschäftigen. Es hängt mit dieser Tatsache wesentlich zusammen, daß sich aus der Kriegswirtschaft keine Verwurzelung der Frauen auf neuen Arbeitsgebieten ergeben konnte und daß überhaupt die Einstellung der Frauen in die Kriegswirtschaft in verhältnismäßig geringem Umfang auf dem Gebiet der Qualitätsarbeit sich vollziehen konnte. So war die Kriegswirtschaft für die Frauen im ganzen gesehen weniger eine Erprobung höherer qualitativer Befähigungen als eine Leistungsprobe ihrer körperlichen Kraft und ihrer Berufsdisziplin als solcher. Einen Fortschritt zur Lösung der Frauenberufsfrage, so wie sie unter den normalen wirtschaftlichen Verhältnissen eines Industrievolks sich gestaltet, konnte die Kriegswirtschaft unter diesen ihren besonderen Bedingungen nicht bieten. Es war – auf die Masse der in der Kriegswirtschaft beschäftigten Frauen hin gesehen – vielleicht sogar ein Glück, daß die Demobilmachung in dem Bestreben, die Männer in die Volkswirtschaft so schnell wie möglich wieder einzuordnen, die Frauenarbeit sehr radikal wegwischte, denn die Formen, die die Frauenarbeit in der Kriegswirtschaft im allgemeinen angenommen hatte, stellten auf die Dauer einen Raubbau an Frauenkraft in ebenso tiefstehenden wie auch körperlich ungeeigneten Arbeiten dar. Vielleicht sind so gewisse Gefahren abgeschwächt, die in einer Verlängerung kriegswirtschaftlicher Formen der Frauenarbeit bestanden hätten: der starke Druck zur Vermehrung der ungelernten Arbeit auf Kosten der gelernten, um Frauen rasch einstellen zu können, die ungeheure Beschleunigung der Normalisierung und damit der mechanisierten Massenherstellung.

Der starke Frauenbedarf der Kriegswirtschaft auf dem Gebiete der ungelernten Arbeit hatte auch insofern den Fortschritt der Frauenarbeit zur Qualität ungünstig beeinflußt, als die Mädchen (wie übrigens die schulentlassenen Knaben auch) infolge der Möglichkeiten früher und hoher Verdienste in ungelernter Arbeit weniger als vorher gelernten Berufen zugeführt wurden.

Auf der anderen Seite darf selbstverständlich nicht verkannt werden, daß die Kriegswirtschaft den Frauen auch die Bewährung auf höheren Stufen qualitativer Leistung ermöglicht hat, als sie früher zu erreichen vermochten. Dies gilt in zwei typischen Formen. Die eine ist die Wahrnehmung des Berufs des Ehemanns durch die Frau, vor allen Dingen in der Landwirtschaft. Es ist keine Frage, daß die während des Krieges für Hunderttausende von Gutsbesitzers- und Bauernfrauen bestehende Notwendigkeit, den Betrieb unter schwierigsten Bedingungen selbständig zu leiten, diese Frauen auf die Dauer und unverlierbar auf eine höhere Stufe der Mitarbeit im Betrieb des Mannes gehoben hat. Der starke Aufschwung, den in dieser Zeit und unmittelbar nachher die Organisationen der landwirtschaftlichen Frauen genommen haben, ist ein Beweis dafür. Die andere Form der Förderung weiblicher Berufsarbeit durch die Kriegswirtschaft ist die Betrauung mit höheren Stellungen insbesondere in den Angestelltenberufen, in der Verwaltungstätigkeit von Kommunen, Ämtern, Verbänden. Zahlenmäßig fällt dieses Aufrücken der Frauen zu höherer Arbeit selbstverständlich nicht so sehr ins Gewicht wie grundsätzlich. Und wenn auch die Grundsätze bei der Demobilmachung und der starke Druck der männlichen Berufsorganisationen die Frauen hier – und insbesondere hier – im ganzen schnell und energisch wieder zurückdrängte, so behauptete sich doch ein Teil von ihnen, und so blieb als Gesamtergebnis die Tatsache der Bewährung als solcher.

Alles dies läßt sich leider zahlenmäßig nicht belegen, weil wir weder eine Statistik der Kriegswirtschaft noch seitdem eine Berufsstatistik haben, die im Vergleich zu der von 1907 etwa ein Bild der Veränderungen zeigte.

Viel einschneidender für die wirtschaftliche Frauenfrage als die Episode der Kriegswirtschaft sind die Veränderungen, die der Krieg in der Volkswirtschaft und in der Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland hinterlassen hat.

Zunächst in der Wirkung der Kriegsverluste an Männern auf die Heiratsaussichten der Frauen. Deutschland hat einen Kriegsverlust von rund 1 800 000 Toten gehabt. Die Zahl der als Kriegsbeschädigte erwerbsunfähigen oder nachträglich an den Kriegsfolgen zugrunde gegangenen Männer läßt sich genau nicht angeben, schon allein aus dieser Gefallenenziffer ergibt sich einerseits ein großer Witwenüberschuß – und zwar der bis dahin im Rahmen der Frauenfrage nicht existierende Überschuß von jungen Witwen, der ein ganz anderes Frauenproblem sowohl wirtschaftlich wie sozial und seelisch darstellt, als das normale Witwenproblem, andererseits eine starke Verminderung der Heiratsaussichten der Mädchen der entsprechenden Jahrgänge. Man muß hinzunehmen, daß für nahezu alle jugendlichen Kriegsteilnehmer die Berufslaufbahn durch den Krieg so lange und so nachdrücklich unterbrochen worden ist, daß auch darin eine Hinausschiebung der Möglichkeit der Eheschließung und damit eine Verminderung der Heiratsmöglichkeit überhaupt verbunden ist.

Die in diesen Tatsachen zum Ausdruck kommende Frauenproblematik erschöpft aber keineswegs die tatsächlichen Beschwerungen der Frauenfrage in Deutschland, die wir als Kriegsfolge erleben. Diese Beschwerungen bestehen insbesondere aus den der deutschen Volkswirtschaft durch den Frieden von Versailles auferlegten Existenzbedingungen. Die unmittelbare Wirkung der Gebietsabtretungen auf die Frauenfrage ist deshalb nicht so erheblich, weil die Industrien dieser Gebiete nur in geringem Maße Frauen beschäftigen. Viel stärker jedoch wird die Frauenfrage berührt durch die allgemeinen Wirkungen der Einschnürung des deutschen Wirtschaftslebens. Die von unseren Feinden in den Vordergrund ihrer Politik gestellte Tatsache, daß es einige Millionen Deutsche zuviel gibt, wird sich im Wirtschaftskampf vorzugsweise gegen die Frauen auswirken. Denn dieses Plus an Menschen sind diejenigen, die von Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft direkt und indirekt gelebt haben – sind die in Industrie, Handel, freien Berufen und öffentlichem Dienst beschäftigten Männer und Frauen. Nicht in der Landwirtschaft wird der bittere Existenzkampf der nächsten Zeit ausgefochten werden, sondern auf dem Boden einer eingeengten, mit hohen Produktionskosten vorbelasteten Industrie und des von ihr und der weltwirtschaftlichen Lage Deutschlands abhängigen Handels. Hier aber ist auch der Standort der wirtschaftlichen Frauenfrage. Die Bedrohung der deutschen Textilindustrie in ihren Exportmöglichkeiten trifft ein Hauptgebiet der industriellen Frauenarbeit. Der schwere weltwirtschaftliche Konkurrenzkampf der deutschen chemischen Industrie ebenso. Insbesondere aber dürfte die Krisis, von der die Erwerbstätigen im Handel und Bankwesen in der nächsten Zeit bedroht sind, die Frauen sehr empfindlich treffen. Es ist keine Frage, wenn auch durch berufsstatistische Feststellungen noch nicht belegbar, daß Handel und Bankgewerbe sich infolge von Kriegswirtschaft und Finanzkrise unverhältnismäßig aufgebläht haben und zurzeit viel mehr Menschen beschäftigen als ihrer dauernden wirtschaftlichen Bedeutung entspricht. Wäre eine Berufsstatistik zurzeit möglich, so würde sie vermutlich zeigen, daß hier das Hauptgebiet der vom Hause gelösten weiblichen Erwerbstätigkeit überhaupt liegt: das Gebiet, in das von unten und von oben her: aus der ausgesprochen proletarischen und aus der Bildungsschicht im engeren sinne des Wortes sich die weiblichen Kräfte vor der Ungunst der Verhältnisse gerettet haben.

Diese Ungunst der Verhältnisse in der Bildungsschicht bildet einen weiteren sehr wesentlichen neuen Faktor der Frauenfrage nach dem Kriege, dessen seelische Wirkungen später zu berühren sein werden, über dessen wirtschaftliche hier zur Kennzeichnung der Sachlage noch einige Bemerkungen notwendig sind. Die Frauenfrage ist in gewisser Beziehung stets verbunden gewesen mit einer Verarmung des Mittelstandes. Das arme Mädchen, dessen Vermögenslosigkeit ihr zum Ehehindernis wird und das doch im verwandtschaftlichen Haushalt nicht mehr aufgenommen werden konnte, ist ja in den europäischen Ländern der Typus, in dem sich das Bewußtsein einer Frauenfrage zuerst entwickelte. Der Eintritt in den Beruf löste diese Frage um so besser, je angemessenere Berufsmöglichkeiten sich für diese Mädchen fanden. Heute steht ihnen zwar theoretisch alles offen, praktisch aber fehlt es den Familien der Bildungsschicht an der Möglichkeit, eine längere Berufsausbildung der Mädchen zu bezahlen. Das Rentenvermögen, der wirtschaftliche Rückhalt für den gebildeten Mittelstand, aus dem Berufsausbildung und Eheausstattung der Kinder bestritten wurde, ist so gut wie zerstört. Die Gehälter sind bis an die Grenze des Existenzminimums der kleinen Familie gesunken. In der Verteilung der kleinen Summen, die für die Ausbildung gezahlt werden können, an Söhne und Töchter werden ohne Zweifel durchschnittlich die Söhne bevorzugt. So stehen die Töchter in Gefahr, heute wieder wie ehemals untergeordnete Berufe wählen zu müssen, die schnell zum Erwerb führen, oder unter Entbehrungen und Überanstrengung, die häufig ihre Kraft und ihr Selbstvertrauen erschüttern, sich den höheren Beruf erkämpfen zu müssen.

Die Verarmung des Mittelstandes übte zugleich eine sehr bedeutsame und bedrückende Wirkung auf die Lage der Hausfrau. Der gebildete Mittelstand war vor dem Kriege zu einem Grade von Wohlhabenheit gelangt, der der Hausfrau in weitem Maße gestattete, die äußere Arbeit des Haushaltes auf Dienstboten abzuwälzen. In dieser Möglichkeit beruhte zum großen Teil die Grundlage sowohl der feineren Kultur des Hauses wie auch der Freiheit der Frau für die Teilnahme an weiteren geistigen, künstlerischen oder sozialen und politischen Interessen. Jetzt schränken sich die Kulturmöglichkeiten des Hauses auf das soziale Existenzminimum ein; die Hausfrau muß nicht nur einen großen Teil rein körperlicher Arbeit übernehmen, den sie früher anderen überlassen konnte, sondern ihre Mühe vermehrt sich auch durch die Instandhaltung verschleißender Sachen, die nicht ersetzt werden können, durch sehr viel mehr Sorgfalt und Arbeit, die an das Erhalten und Ausbessern gewendet werden muß – noch ganz abgesehen von der qualvollen Episode der Geldentwertung, die die Haushaltsführung zu einem Martyrium von Angst und Hetzerei machte. Es wird vielleicht noch lange dauern, bis die Verhältnisse die Hausfrauen wieder entlasten werden, und bis dahin kann auf jenen Überschuß an Zeit und Kraft, von dem die Frauenbewegung zum Teil lebte, nicht gerechnet werden. Diese Überlastung der Hausfrau stellt ein besonderes Frauenproblem, eine neue Frauenfrage dar, insofern Wohnungsgestaltung, Haushaltungsorganisation, ja letzten Endes die Formen des Familienlebens überhaupt durch diese veränderten Verhältnisse neue Aufgaben stellen.

Die Wirkung dieser wirtschaftlichen Kriegsfolgen entfaltet sich nun innerhalb einer von Grund aus umgestalteten seelischen und politisch-sozialen Gesamtlage der Frauen. Die seelische Gesamtlage wird durch zwei Tatsachengruppen gekennzeichnet. Die eine besteht in der ungeheuren Wucht, mit der der Krieg die Frauen aus ihrem Einzelschicksal und der Einkapselung in die Angelegenheiten der Familie in das Gesamtschicksal hineinriß. Die Form, in der sich die Anteilnahme der Frauen an diesem nationalen Schicksal im Weltkriege zeigte, ist durch die vorangegangene Entwicklung der Frauenbewegung deutlich mitbestimmt. Niemals zuvor hatten Frauen mit so starker und selbständiger Initiative in der Organisation des Heimatdienstes mitgearbeitet. Die unmittelbarere Teilnahme an Ereignissen und Leistungen des Krieges wurde gestützt durch die besonderen Anforderungen, die im Heimatdienst an die Mitwirkung jeder einzelnen Frau gestellt wurden und deren Erfüllung gleichfalls organisierte Aufklärung und Unterstützung nötig machte. Andererseits enthüllte der Krieg naturgemäß auch das Maß von Rückständigkeit, das eine breite Masse von Frauen den Ansprüchen an ihre staatsbürgerliche Einstellung und ihren Gemeinsinn entgegensetzte. Die Schwierigkeiten, diese Frauen für eine gemeinwirtschaftlich richtige Haushaltsführung, überhaupt für das »Durchhalten« in jedem Sinne zu gewinnen, enthüllten die Unzulänglichkeit der bisherigen Frauenerziehung und bestätigten zugleich die von der Frauenbewegung immer behauptete Tatsache, daß unter den heutigen Verhältnissen die Frauen mit dem Gemeinschaftsleben fester und unmittelbarer verbunden werden müßten, um ihrer Bestimmung im Ganzen richtig zu dienen. So traten die von der Frauenbewegung geschaffenen Tatsachen eines verstärkten staatsbürgerlichen Bewußtseins eines Teils der Frauen durch den Krieg ebenso stark hervor wie andererseits die von der Frauenbewegung betonte, aber bis dahin verkannte Tatsache einer neuen unmittelbareren Wichtigkeit der Frau für Staat und Volksgemeinschaft. In dieser Hinsicht war der Krieg eine gewaltige Bestätigung der Frauenbewegung und bekehrte manchen Gegner. Gerade die Art, wie in Deutschland der Weltkrieg geführt werden mußte, dessen Entscheidungen ebenso sehr in der Heimat wie an den Fronten lagen, hob die Besonderheit der weiblichen Aufgaben neben den männlichen stark ins Bewußtsein und verhinderte, daß etwa, wie man anfangs wohl erwarten konnte, unter dem Eindruck der militärischen Vaterlandsverteidigung die Bewertung der Frauenleistung, wie bisher immer in Kriegszeiten, zugunsten des Mannes sank. So ist die eigentümliche Tatsache zu verzeichnen, daß in sämtlichen am Kriege beteiligten Ländern schon vor seinem katastrophalen Ende die Frauenbewegung durch den Krieg ihren Zielen näher kam, insofern als den Nationen das Bürgertum der Frau durch die Formen ihrer Mitwirkung im Heimatdienst verständlicher und natürlicher geworden war, und als bei ihnen allen der Widerstand gegen das Frauenstimmrecht der Bereitwilligkeit Platz machte, den Frauen staatsbürgerliche Verantwortungen mit zu übertragen.

wenn einerseits das Bürgertum der Frau durch das Kriegserlebnis subjektiv in ungekanntem Maße vertieft wurde und als objektive Notwendigkeit sowohl durch die Leistungen wie durch das Versagen der Frauen hervortrat, so hat doch der Krieg auch noch in anderer Weise die seelische Gesamtlage der Frauen beeinflußt. Das Wort, daß der Krieg als Vater aller Dinge die einen zu Göttern und die anderen zu Sklaven mache, hat sich auch in den moralischen Wirkungen des Krieges auf die Frauen gezeigt. Stärkte er bei den einen die Kraft und die Leistung, erhöhte er das Maß der Verantwortung, weitete er das Einzelschicksal zum Volksschicksal, erzog er in Sturm und Leid die Bürgerin, so hat doch auch auf der anderen Seite sich die demoralisierende Wirkung der Auflösung aller geordneten, gesunden Lebensverhältnisse auch bei den Frauen gezeigt. Gerade in den breiten Volksschichten konnte diese Auflösung der Familie und ihres für die gesamte Gesittung so wesentlichen gegebenen Lebens- und Arbeitsrhythmus nicht ohne entsittlichende Wirkungen bleiben. Die sexuelle Frage ist durch den Krieg in jeder Weise verschärft. Auf der einen Seite durch die Notbehelfe an der Front, auf der anderen Seite durch die Versuchungen in der Heimat. Eheliche Treue lockerte sich vielfach, innere Entfremdung, Reibungen als Folge der erhöhten Selbständigkeit der Frau schufen neue Schwierigkeiten. Besonders aber wuchs die Jugend ohne den Schutz einer festen, gesunden Lebensordnung in ungewöhnlichen, unberechenbaren Verhältnissen auf und entwuchs sehr vielfach viel früher als sonst wirtschaftlich und seelisch der häuslichen Beeinflussung. Die Lockerung der Volksmoral durch die Umkehrung aller Verhältnisse und Begriffe auf wirtschaftlichem Gebiet, die Gewöhnung an eine chronische Gesetzesumgehung im Rahmen der Zwangswirtschaft – das alles kam hinzu, um eine innere Ungebundenheit zu begründen, die das sexuelle Gebiet um so stärker ergriff, als Wohnungsnot, Hunger und Armut den Durst nach Betäubung weckte und zugleich die Voraussetzungen von Eheschließung und Familiengründung nicht vorhanden waren. Wurde am Ende des Krieges die moralische Last des Durchhaltens für die Masse der Bevölkerung zu schwer, so kam dann mit dem katastrophalen Zusammenbruch auch noch die Verzweiflung über die Vergeblichkeit aller Anstrengungen, Opfer und Leiden. Dieser Zusammenbruch in der Revolution schuf eine Stimmung, in der vollends alle traditionellen Hemmungen und Moralbegriffe über Bord geworfen wurden aus Enttäuschung, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, in der nur noch die zynische Parole: »Darum laßt uns heute leben« als einzig unangreifbare Wahrheit übrig zu bleiben schien.

Jeder klarsehende Beobachter weiß, daß die Grundlagen insbesondere der weiblichen Gesittung unter all diesen äußeren und seelischen Wirkungen in hohem Maße gelitten haben, daß die weibliche Jugend in einem früher nicht gekannten Maße bewußt und unbewußt auf dem Gebiet der Sexualmoral Auffassungen huldigt, die bisher den Männern allein vorbehalten waren.

Es darf andererseits natürlich nicht verkannt werden, daß auch etwas von den moralischen Impulsen des Krieges in die Nachkriegszeit hinüber gerettet worden ist und daß andererseits in dem Versuch, nach der Revolution zum Wiederaufbau zu kommen, eine Summe starker neuer und schwungvoller sittlicher Kräfte eingesetzt wurde, auch von den Frauen. Es wäre ja merkwürdig gewesen, wenn der Eintritt in das volle Staatsbürgertum nicht mit diesen starken sittlichen Impulsen verbunden gewesen wäre. In allen Schichten und in allen Generationen der Frauen finden wir Keime, Ansätze zur »Erneuerung«, sei es, daß sie aus der Jugendbewegung, sei es daß sie aus den Verantwortungen des neuen Staatsbürgertums oder aus der neuen Energie der im Kriege tausendfach verwundeten Mütterlichkeit hervorgingen.

Auch in der Kulturschicht aber sind durch den Krieg, der als ein Zusammenbruch der europäischen Zivilisation empfunden wird, die bisherigen Grundlagen der sittlichen Lebensgestaltung vielfach in Frage gestellt, und es beherrscht die Jugend dieser Schicht ein gärendes Suchen nach von Grund aus erneuerten sittlichen Ideen. Diese gärende Bewegung unterwirft sich auch die Probleme der Geschlechter, ihrer Beziehungen und ihrer Bestimmung. Bis jetzt ohne zu klaren Forderungen gekommen zu sein, aber doch so, daß man sieht, wie die alten Probleme sämtlich wieder neu gestellt werden und neu durchlebt werden müssen.

Die Auswirkungen dieser seelischen Gesamtlage und der Bewegung, die sie hervorruft, auf den einzelnen Gebieten der Frauenfrage wird nun in den besonderen Kapiteln weiter zu erörtern sein. In ihrer Gesamtheit darf man diese Lage so kennzeichnen, daß keines der alten Frauenprobleme verschwunden ist, daß sie vielmehr in derselben oder wenig veränderter objektiver Gestalt, wenn auch subjektiv vielfach anders erlebt, erscheinen und ihre Lösung fordern, die durchweg problematischer und schwerer geworden ist.


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