Selma Lagerlöf
Liljecronas Heimat
Selma Lagerlöf

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Der Schmied von Henriksberg

Ein einziges kleines Weilchen lang an diesem Tag dachte Maja Lisa nicht an die Stiefmutter, nämlich am Abend, als sie mit Pastor Liljecrona und allen den andern Hausbewohnern vor einem hellen Holzfeuer in der Wohnstube saßen und dem großen dunklen Schmied von Henriksberg zuhörten, der an einem der hohen Schränke lehnte und auf der Geige des Hausherrn spielte.

Es war sehr gemütlich hier, und Maja Lisa fing an zu verstehen, daß die Tante sich als Bauernfrau glücklich fühlen konnte. Wie außerordentlich behaglich war es, abends mit Mann und Gesinde ums Feuer zu sitzen, jedes mit seiner Arbeit beschäftigt und alle vergnügt und zum Plaudern aufgelegt! Hier redeten Knecht und Hausherr und Hausfrau und Magd miteinander, als gäbe es keinen Unterschied zwischen ihnen. Ach, es war vielleicht gar kein Glück, wenn man sich als Herrschaft hochmütig über die Untergebenen zu erheben suchte! Erntete man jemals etwas anderes als Einsamkeit und Widerwärtigkeiten?

Wo fand sich sonst eine solche Sicherheit und Geborgenheit als in einem alten Bauernhof? Maja Lisa hätte gerne gesagt, man sei da der Erde näher als anderswo, man wohne da auf einem sicheren Grund und sei nicht so vielen Umwälzungen ausgesetzt.

Ach, wie viele Veränderungen, wie viele Gefahren gab es draußen in der Welt! Jetzt, während der dunkle Schmied spielte, fiel ihr wieder ein, was sie eben heute über den Verwalter auf Henriksberg gehört hatte, diesen Verwalter, der früher ein so großer Geigenkünstler gewesen war.

Pastor Liljecrona hatte ihr alles von seinem Bruder erzählt. Er hatte ja den ganzen Tag in Svansskog auf ihn gewartet, und deshalb hatten sie wohl so viel von ihm gesprochen.

Maja Lisa hatte die Genugtuung gehabt, daß der schöne Pfarrer, der sie zuerst nur wie eine Puppe betrachtete, von dem Augenblick an, wo sie ihn sozusagen überfallen und zu ihm gesagt hatte, er müsse in Finnerud bleiben und dürfe gar nicht an Sjöskoga denken, mit den andern kaum noch ein Wort gesprochen hatte.

Er mußte doch wohl gemerkt haben, daß sie auch ein Mensch war. Von da an hatte er sich nicht mehr die Mühe genommen, sie starr anzusehen; statt dessen hatte er den ganzen Nachmittag mit ihr gesprochen, und das war ein großer Genuß für sie gewesen. Der Pfarrer von Finnerud war ein liebenswürdiger, natürlicher und offenherziger Mensch. Sie hatte sich ebenso leicht mit ihm unterhalten können wie mit ihrem Vater daheim. Am Nachmittag war er mit ihr ins Freie gegangen, denn er konnte nicht stundenlang ununterbrochen im Zimmer sitzen. Sie waren dann auf der Landstraße hin und her gewandert und hatten von seinem Bruder gesprochen, bis die Dämmerung hereinbrach.

Die Liljecronas stammten gerade wie Maja Lisa aus einem alten Pfarrergeschlecht. Gerade wie Maja Lisa sich rühmen konnte, daß ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter in derselben Gemeinde Pfarrfrauen gewesen waren, so konnte er sich rühmen, daß sein Vater, Großvater und Urgroßvater in ein und derselben Gemeinde als Pröpste einander gefolgt waren.

Wenn der Vater dieser Brüder länger am Leben geblieben wäre, hätte wohl Sven, der jüngste von ihnen, auch wie die andern studieren dürfen. Aber als die Mutter Witwe geworden war und eine Menge Kinder zu versorgen hatte, konnte sie die Studienkosten nicht aufbringen. Dagegen hatte ein alter Freund des Propstes Liljecrona, der Hüttenbesitzer Altringer auf Ekeby, angeboten, sich des Jungen anzunehmen unter der Bedingung, daß er ihn für das Hüttenwerk erziehen dürfe. Für dieses Anerbieten war die Mutter außerordentlich dankbar gewesen, und als Sven vierzehn Jahre alt war, wurde er nach Henriksberg geschickt, dem Hüttenwerk, das Altringer damals eben gekauft hatte. Auf Altringers Wunsch sollte der Junge den Hüttenbetrieb ganz von unten auf lernen, und der Anfang davon war, daß er das Kontor auskehren, Kohlen herbeischleppen und den Pudel für alle Leute machen mußte.

Dies ging ununterbrochen so fort, bis er siebzehn Jahre alt war. Aber da geschah es eines Tages, daß einer der Hammerschmiede erkrankte. Man schickte nach dem Hüttenverwalter. Dieser begab sich ins Hüttenwerk hinüber, stellte sich an die Tür des kranken Schmieds, sah ihn eine Weile an und ging dann geradeswegs ins Kontor, wo der Inspektor an seinem Pult saß und schrieb.

»Sie müssen die Verwaltung ein paar Tage übernehmen, Herr Inspektor,« sagte der Verwalter. »Ich muß hinauf in den Finnenbezirk und Kohlen einkaufen.«

Er machte sich gleich auf den Weg; der Inspektor aber dehnte sich behaglich auf dem Kontorsofa und dachte, es sei doch recht schön, für eine Weile der Herr im Haus zu sein. Aber es währte nicht lange, da wurde auch er ins Hüttenwerk gerufen. Jetzt war einer der Kleinschmiede in derselben Weise wie der Hammerschmied erkrankt. Der Inspektor begab sich sofort ins Hammerwerk, um nach dem Kranken zu sehen. Er stellte sich an dessen Tür, sah ihn eine Weile an und ging dann schnurstracks nach dem Wasserfall, wo der Lehrling meistens saß und Unkelejen fischte.

Er traf richtig Sven und sagte, er solle gleich mit ihm aufs Kontor kommen.

»Hör, Liljecrona,« sagte er da, »der Verwalter ist fort, und ich bin nach Björnidet eingeladen. Du mußt das Hüttenwerk ein paar Tage versehen. Hier hast du die Schlüssel, und hier ist die Kasse. Du hast nichts weiter zu tun als aufzupassen, daß die Leute wie gewöhnlich arbeiten.«

Damit stand er auf; der Lehrling aber setzte sich auf den Kontorstuhl, und es kam ihm großartig vor, daß er jetzt Herr auf Henriksberg sei.

Aber er hatte noch nicht lange so dagesessen, als ein Bote vom Hüttenwerk kam und meldete, den Kranken gehe es schlechter. Sven eilte ins Hüttenwerk hinunter und ging gleich in die Wohnung des Hammerschmieds; aber er blieb nicht an der Türe stehen, wie die beiden andern, sondern trat zu dem Kranken, der ganz rot und aufgeschwollen dalag und schrecklich anzusehen war.

»Wißt Ihr, was Ihr für eine Krankheit habt?« fragte er den Schmied.

»Die Pocken sind's,« antwortete dieser. »Geh nur gleich an den Schrank im Kontor, wo der Verwalter die Arzneimittel aufhebt, und gib uns Kampfer und saure Tropfen, wenn du überhaupt dazubleiben wagst und nicht eiligst auf und davon gehen willst wie die andern.«

Aber Sven war geblieben, obgleich schließlich fast alle Leute im Hüttenwerk erkrankten. Verwalter und Inspektor ließen nichts von sich hören, im Umkreis von zehn Meilen war kein Arzt aufzutreiben. Sven und eine alte Haushälterin gingen umher und gossen den Kranken alle die Arzneien ein, die sie zur Hand hatten. Einige starben und einige genasen; aber die Seuche konnte ja nicht ewig andauern, schließlich hörte sie von selbst auf. Und dann kam alles wieder ins alte Geleise. Der Inspektor blieb fünf Monate fort und ließ sich's wohl sein. Der Verwalter kaufte ein halbes Jahr lang Kohlen auf, dann hielt er seinen Einzug im Hüttenwerk. Und nun durfte der Lehrling wieder das Kontor auskehren und Unkelejen in der Stromschnelle fischen, gerade wie vorher.

Aber wenn auch das Henriksberger Hüttenwerk noch so weltverlassen in der Wildnis lag, so wurde die Geschichte doch ruchbar und weitum bekannt. Und eines Tages kam Hüttenbesitzer Altringer angefahren. Er sagte kein Wort über die Sache, weder zum Verwalter noch zum Inspektor, sondern fragte nur, wie sich der junge Liljecrona anlasse. Der Hüttenverwalter stellte ihm ein ziemlich gutes Zeugnis aus und meinte, der Junge könnte mit der Zeit recht tüchtig im Hüttenberuf werden, wenn er nur mehr Interesse dafür zeigte. Er sei durchaus nicht unbrauchbar, aber ein Träumer, und er gehe oft umher, als ginge ihn der ganze Hüttenbetrieb gar nichts an.

Altringer verlangte nun Liljecrona selbst zu sprechen und sagte, er solle ins Kontor gerufen werden. Als Sven kam, stellte Altringer ihn vor sich hin, sah ihm fest in die Augen und fragte ihn, warum er nicht wie die andern davongegangen sei, so lange die Pockenseuche wütete.

Sven gab keine Antwort, wurde aber dunkelrot, wie wenn dies die schlimmste Frage wäre, die an ihn gestellt werden könnte.

»Hatte Er denn keine Angst?«

»Doch.«

»Meinte Er, Er habe die Verantwortung für das Hüttenwerk?«

»Ach nein!«

Aber schließlich brachte Altringer die Wahrheit doch aus ihm heraus. Sven war dageblieben, weil des Verwalters Geige im Kontor an der Wand hing. Da hatte er, so lange er allein war, jeden Tag darauf spielen können.

»Ach so, Er geigt also gerne?« fragte Altringer. »Komm Er, wir wollen den Verwalter bitten, Ihm seine Geige noch einmal zu leihen, dann spielt Er mir etwas vor.«

O, davor hatte Sven keine Angst! Er stimmte die Saiten und geigte ein altes Liedchen, das er von den Schmieden gelernt hatte.

Altringer lachte zuerst, aber bald wurde er ernsthaft. Er fühlte, der Junge legte etwas in die Musik hinein, davon der alte Gassenhauer in einer ganz neuen Weise erklang.

»Hör' Er,« sagte Altringer, »Er soll morgen mit mir kommen. Er soll nach Stockholm und Geigenspielen lernen.«

Maja Lisa fand die Geschichte wunderschön. Aber eines konnte sie nicht verstehen; und so fragte sie, ob es ihm denn in Stockholm nicht gefallen habe? Warum er denn jetzt wieder auf Henriksberg sei?

Doch, es sei ihm sehr gut dort gegangen, erwiderte Pastor Liljecrona. Fünf Jahre lang habe er in Stockholm studieren dürfen, dann sei er aber auch ein ganzer Künstler gewesen, wenigstens insofern, als ihn im Vaterlande niemand mehr etwas lehren konnte. Altringer sei zufrieden mit ihm gewesen und habe schon gedacht, er wolle ihn ins Ausland schicken, damit er später vor keinem andern zurückzustehen brauchte.

Aber vor drei Jahren sei Sven eines Tages ganz unerwartet nach Ekeby gekommen und habe Altringer gefragt, ob nicht auf einem seiner Hüttenwerke eine Inspektorstelle frei sei.

»Doch, das ist nicht unmöglich,« sagte Altringer. »Hat Er einen guten Freund, für den Er sie gerne haben möchte?«

Nein, Sven wollte für sich selbst darum bitten. Er sei ja jahrelang im Hüttenbetrieb gewesen und meine, eine Inspektorstelle ausfüllen zu können.

»Na, und die Musik?« fragte Altringer.

Mit der Musik sei es aus und vorbei. Er glaube nicht, daß er je wieder einen Bogen führen könne.

Nun sah sich Altringer den jungen Mann genauer an. Sven hatte immer etwas Trauriges in seinem Blick gehabt, aber jetzt war der ganze Mensch die verkörperte Melancholie.

»Ich sehe, daß Ihm etwas Trauriges widerfahren ist,« sagte Altringer. »Sag Er mir, was es ist. Ich muß Ihm nämlich sagen, eben vorhin, als Er bei mir eintrat, hatte ich ausgerechnet, ob ich Ihn zu seiner weiteren Ausbildung ins Ausland schicken könnte.«

Sven konnte kaum mit der Sprache heraus. Er biß sich auf die Lippe, während er sich alle Mühe gab, seine Stimme fest zu machen.

»Hat der Herr Altringer nicht gehört, wie es mir gegangen ist?«

Nein, antwortete Altringer, er habe nichts gehört, und Sven solle ihm erzählen, was geschehen sei.

Da erzählte Sven seine Geschichte: Auf einem großen Hof in Näset drunten war Tanzgesellschaft gewesen, und Sven war auch dabei. Aber es wurde nur auf einem sehr alten, verstimmten Klavier aufgespielt, und so kam kein rechtes Leben in den Tanz. Da nahm Sven seine Geige zur Hand, und dann wurde es bald anders. Die Jungen und die Alten tanzten nach Herzenslust, und so oft Sven aufhören wollte, klatschten sie in die Hände, stampften auf den Boden und riefen ihm zu, er müsse wieder anfangen. Aber es nahm ein schreckliches Ende. Eine von den Töchtern des Hauses hatte zu eifrig getanzt. Mitten im wildesten Tanz wurde sie plötzlich ganz schwer im Arm ihres Tänzers, und dann sank sie zu Boden und war tot.

Altringer sagte, er begreife wohl, daß dies schwer für Sven war, meinte aber doch, darum brauchte die Laufbahn eines jungen Mannes nicht zu Ende sein.

»Er muß darüber wegkommen, Sven,« sagte er. »Meiner Ansicht nach hat der, der mit ihr tanzte, die meiste Schuld.«

»Ach nein,« entgegnete Sven, »ich, ich hab' sie zum Tanzen gezwungen. Den ganzen Abend hab' ich nur für sie gespielt. Es war gar so schön, wenn sie tanzte. Sie war lebhaft und leicht wie eine Feuerflamme. Und sie tanzte nur für mich, wie ich auch nur für sie spielte.«

Altringer zuckte die Achseln.

»Das sind nur Grillen, versteht Er. Es ist vielleicht nicht verwunderlich, daß Er jetzt, gleich nachher, so denkt, aber in der nächsten Woche schicke ich Ihn ins Ausland, dann wird es schon vorübergehen.«

»Nein, Herr Altringer, es geht nicht vorüber. Wohin mich der Herr Hüttenbesitzer auch schicken mag, nie werde ich vergessen können, daß ich mit meinem Spiel einen Menschen in den Tod geschickt habe.«

Altringer sah Sven noch einmal fest an und fragte: »Hat Er sie lieb gehabt?«

»Ja,« antwortete Sven; »ich hatte an demselben Abend um sie gefreit.«

Nun sagte Altringer kein Wort mehr davon, daß Sven ins Ausland reisen solle.

»Er soll jetzt so lange Verwalter auf Henriksberg bleiben, bis dies vergessen ist,« entschied er. »Zwar glaube ich nicht, daß Er alles kann, was nötig ist, um die Stelle auszufüllen, aber Er wird es wohl lernen können, und überdies weiß ich ja, daß ich mich auf Ihn verlassen kann.«

Auf diese Weise war es also zugegangen, daß Sven Liljecrona sein Geigenspiel aufgegeben und dafür Hüttenverwalter geworden war.

Maja Lisa hatte schweigend zugehört, ohne den Pfarrer ein einziges Mal zu unterbrechen. Ach, es kam ihr ganz merkwürdig vor, daß sie nun den bald sehen sollte, der so Trauriges erlebt hatte und der eine so tiefe Liebe dauernd bewahren konnte!

Eine ganze Weile brachte sie kein Wort heraus; dann aber wendete sie sich plötzlich an Pastor Liljecrona und fragte, ob sein Bruder dunkel sei.

»Ja, gewiß, schwarz wie die Nacht.«

Gleich nachher fiel ihr ein, daß dies eine recht dumme Frage gewesen war. Aber während Pastor Liljecrona von seinem Bruder sprach, hatte sie sich immerfort gefragt, ob er nicht vielleicht wie der große dunkle Schmied von Henriksberg aussehe? Hatte nicht dieser ebenso tieftraurige Augen gehabt? Sie konnte nicht sagen, warum, aber die beiden waren in ihren Gedanken zu einer Person zusammengeschmolzen.

Und auch jetzt, während der Schmied dort drüben am Schrank stand und eine lustige Polka spielte, wurde es ihr schwer, sich von dem Gedanken freizumachen, daß er nicht der sei, der alles, was ihr vorhin mitgeteilt worden war, durchgemacht hatte.

Er war an ihnen vorbeigefahren, als sie mit Pastor Liljecrona auf der Straße draußen spazieren ging, gerade als die Dämmerung richtig hereinbrach und sie vom Hineingehen gesprochen hatten. Der Schlitten war so rasch an ihnen vorübergeeilt, daß sie nicht erkennen konnten, wer darin saß. Pastor Liljecrona hatte geglaubt, es sei sein Bruder von Henriksberg, der sich endlich einstellte. Maja Lisa aber hatte gemeint, der schwarze Schmied sitze im Schlitten; sie hatte aber nichts gesagt.

Und ganz richtig! Als sie auf den Hof zurückkamen, stand der Hausherr aus der Treppe und berichtete, es sei ein Mann von Henriksberg gekommen mit dem Bescheid, der Verwalter könne seinen Bruder heute nicht mehr in Svansskog treffen. Statt dessen bringe er einen Brief. Ja, der Mann sei eben mit dem Pferd im Stall drüben, falls der Herr Pfarrer mit ihm sprechen wolle.

Pastor Liljecrona begab sich gleich nach dem Stall, und Maja Lisa ging zur Tante in die Wohnstube. Diese saß schon mit ihren Mägden vor einem großen Holzfeuer an ihrem Spinnrädchen, Maja Lisa setzte sich neben die Tante und reichte ihr die Wollkämme. Gleich darauf kamen der Hausherr und die Knechte mit ihren Arbeiten, und der Kreis ums Feuer erweiterte sich. Ganz zuletzt trat Pastor Liljecrona herein und mit ihm der Schmied. Sie wollten noch an diesem Abend miteinander nach Henriksberg fahren, aber das Pferd mußte erst ausruhen. Der schöne Pfarrer setzte sich so dicht neben Maja Lisa, als es anging, der Schmied aber ließ sich im dunkelsten Winkel, möglichst weit entfernt von den andern, nieder. Und nun ging die Unterhaltung lebhaft im Kreise; das Lachen und Schwatzen und Geschichtenerzählen nahm kein Ende, bis Tante Margreta sich an den Schmied wendete und ihn fragte, ob er ihnen nicht ein paar von seinen Liedern spielen wolle. Sie habe gehört, er könne gut geigen.

Er hatte sich nicht sehr lange gesträubt. Der Hausherr hatte ihm seine schrille Geige gegeben, und nun stand er dort drüben und spielte Polkas und alte Reigen, weder besser noch schlechter als ein gewöhnlicher Spielmann vom Lande.

Maja Lisa konnte sich nicht helfen, sie fühlte sich etwas enttäuscht. Das kam daher, daß sie von einem Traum befangen war und Einbildung von der Wirklichkeit nicht recht unterscheiden konnte. Den ganzen Abend mußte sie immerfort an den denken, der seine Braut vom Leben zum Tod gespielt hatte, und immer tauchte er in der Gestalt des Schmieds vor ihr auf. Und so hatte sie ganz sicher erwartet, auch dieser werde eine so große, gefährliche Macht in seinem Bogen haben, daß er die Menschen aus dem Leben in den Tod geigen könnte.

Nein, sie konnte sich nicht von dem Traum freimachen; wieder und wieder ertappte sie sich darauf, daß sie nach dem Schmied hinüberschaute und sich fragte, ob er nie und nimmer an jemand anders denke, als nur an sie allein, die er verloren hatte.

Der Schmied hatte den steifen, dicht anliegenden Fuhrmannspelz abgeworfen, um die Arme besser bewegen zu können, und jetzt, bei einem von diesen kurzen Blicken, die Maja Lisa auf ihn warf, sah sie, daß an seiner Uhrkette, die ihm aus der Tasche heraushing, eine große glänzende Silbermünze befestigt war.

Maja Lisa fuhr leicht zusammen. War dies der Speziestaler, den sie ihm geschickt hatte? Ein Schmied war doch meistens arm. Wie kam es denn, daß dieser eine Uhr besaß? Hatte vielleicht der Verwalter sie ihm geschenkt? Und selbst wenn es so war, wie konnte er einen Speziestaler ganz nutzlos an seiner Uhrkette baumeln lassen? Er war doch wohl kein – –

Maja Lisa erstaunte über sich selbst, ja sie wunderte sich, daß sie ruhig sitzen blieb und nicht aufsprang und laut verkündigte, nun verstehe sie plötzlich, wie alles zusammenhänge.

Er war es selbst! Sven Liljecrona war's! Er, der seiner Liebsten jenen Todestanz gespielt hatte, er stand dort drüben! In einem einzigen Augenblick ward sie ihrer Sache so ganz und gar gewiß, daß sie gleich zu ihm hätte treten und sagen können, er solle sich nicht länger verstellen, sie wisse, wer er sei.

Aber warum war er vor ein paar Wochen in der einfachen Tracht eines Vorarbeiters vom Hüttenwerk nach Loby gekommen? Darüber konnte sie sich nicht recht klar werden. Vielleicht weil ihm diese Kleidung am bequemsten dünkte, wenn er auf einen Bauernhof fuhr! Und da ihn niemand erkannte, sondern alle ihn für einen Schmied hielten, hatte er sie eben auf dem Glauben gelassen; vielleicht hatte er sich auch gescheut, ihnen zu sagen, wer er sei, als er da mitten in die Hochzeitsfeier hineingeraten war.

Maja Lisa hörte auf, der Tante die Wollkämme zu reichen, und bedeckte die Augen mit der Hand. Warum hatte er sich auch heute so verkleidet?

Sie brauchte nicht lange zu grübeln. Gleich stand alles deutlich vor ihr. Jetzt wollte er etwas. Diesmal hatte er eine bestimmte Absicht. Er wünschte, daß sie und sein Bruder – –

Ach, das war gar so schön, und es war höchst wundersam! Nun begriff sie: er hatte gewollt, sie und Pastor Liljecrona sollten sich sehen und sprechen. Ja, so mußte es sein! Als ihm gestern abend der Speziestaler von ihr gegeben worden war, hatte er den Skiläufer zu seinem Bruder geschickt, um ihn nach Svansskog zu locken. Hier hatte er ihn dann den ganzen Tag auf sich warten lassen, und als er am späten Abend eintraf, kam er in dieser Tracht. Er wollte nichts vorstellen. Nein, sie sollte an niemand denken als an den Bruder.

Und jetzt stand er dort drüben und spielte Bauerntänze auf Bauernweise, um die Bauersleute zu erfreuen. Er hatte ja einst gesagt, er könne nie wieder einen Bogen führen, aber dies betrachtete er natürlich gar nicht als Geigenspiel.

Es war nicht der Verstand, der Maja Lisa dies alles sagte. Nein, das Gefühl war's, mit diesem konnte sie alle seine Gedanken erraten. Und sie wußte nicht, ob sie über ihn lachen oder weinen sollte.

Eines war sicher, sie mußte ihm gefallen haben, wenn er diese Zusammenkunft mit seinem Bruder ins Werk gesetzt hatte. Oder hatte sie ihm nur leid getan, weil es ihr daheim so schlecht ging? Hatte er ihr einen guten, klugen Freund verschaffen wollen, der sie von aller Bedrängnis fortführen könnte?

Ja, ja, er selbst hatte seinen großen Kummer. Den konnte er nie überwinden. Seine Liebste war tot, und er würde sie nie vergessen. Maja Lisa war für ihn nur ein armes Mädchen, die, als er mit ihr zusammengetroffen war, im Ofenwinkel gesessen und geweint hatte, und der er nun zu Ehre und Glück verhelfen wollte.

Maja Lisa mußte den Kopf aufrichten und die andern ansehen. Denn wirklich, war sie nicht auf dem Punkt, in Tränen auszubrechen, als sie bedachte, daß er für sich selbst gar nichts mehr vom Leben verlangte!

Aber gerade da, als sie die Augen aufschlug, als ihre Gedanken am eifrigsten arbeiteten und ihr Herz von Schmerz und Freude zugleich erfüllt war, als sie weit, weit weg war von allem, was ihr an andern Tagen Not bereitete, wurde wieder nach der Klinke gefaßt, und jemand steckte den Kopf zur Tür herein.

Maja Lisa starrte der Eintretenden entgegen, als sei es eine ganz unbekannte Person, und sie ging auch nicht auf sie zu. Tante Margreta schob den Spinnrocken zurück und stand auf, aber Maja Lisa blieb unbeweglich sitzen und konnte nicht aus ihren Träumen erwachen. Sie begriff auch kaum, wer eigentlich gekommen war, als sie den Gast mit rauher Stimme sagen hörte, sie habe den langen Bengt begleitet, Maja Lisa abzuholen, und als die Tante antwortete, die Frau Pfarrer werde es doch nicht so eilig haben, daß sie nicht ablegen und zu Abend mit ihnen essen könnte, ehe sie wieder heimfahre.

 


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