Manfred Kyber
Märchen
Manfred Kyber

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Die Postkutsche

Der Bär Tobias Muffelfell saß behaglich vor seiner Höhle und drehte die Daumen seiner Tatzen umeinander. Dazwischen aß er Knusperchen, die ihm seine Frau gebacken hatte und durch seine Seele zogen liebliche Bilder des Winterschlafes. Jeder, der den Winterschlag kennt und liebt, wird Tobias Muffelfell das nachfühlen können.

Seine Kinder spielten Fußball mit einem Kürbis, während Frau Muffelfell in der Höhle Knusperchen backte, wie sie es stets zu tun pflegte. Sie hatte sich eine große weiße Schürze umgebunden und trug eine Haube auf dem Kopf, denn es ist sehr unangenehm, wenn der Küchendampf sich einem so stark ins Fell setzt. Niemand konnte so schön Knusperchen backen wie Frau Muffelfell und es war eine Freude, ihr zuzusehen, wenn sie den Teig mit den Tatzen knetete und allerlei hübsche Muster mit ihren Krallen hinein drückte.

Als Frau Muffelfell fertig war, wischte sie sich die Tatzen mit der Schürze ab und trat vor die Höhle hinaus. »Tobias«, sagte sie, »der Honig ist alle. Du musst den neuen Honig bringen. Sonst kann ich keine Knusperchen mehr backen.« Tobias Muffelfell verzog höchst unangenehm berührt die Schnauze und brummte ungnädig. »Es gibt keinen Honig mehr in der ganzen Nachbarschaft«, sagte er, »wie soll ich welchen beschaffen?« »Du bist ein Mann, Tobias«, sagte seine Frau, »mache eine Erfindung.« Tobias Muffelfell stützte den Kopf in die Tatzen und dachte nach. Es dauerte sehr lange.

»Jetzt weiß ich, was ich machen werde«, sagte er endlich und ging zu seiner Frau in die Küche, »ich werde eine Postkutsche bauen und die Leute von einem Ende des Waldes zum anderen fahren. Dafür müssen sie mir Honig geben. Ist das nun eine Erfindung?« – »Ich weiß gar nicht, was eine Erfindung ist«, sagte Frau Muffelfell. »Aber du sagtest doch, dass ich eine Erfindung machen soll?«, sagte Tobias Muffelfell erstaunt. »Du bist ein Mann, Tobias«, sagte Frau Muffelfell, »ich dachte, du wirst schon wissen, was eine Erfindung ist.« – »Dann ist es bestimmt eine Erfindung«, sagte Tobias Muffelfell und baute gleich eine Postkutsche aus einem hohlen Baumstamm und vier Rädern. Das Innere polsterte er sorgsam mit Heu und Moos aus, so dass es wirklich sehr hübsch und bequem aussah.

Dann malte er große Anzeigen über sein neues Unternehmen auf Birkenrinde und klebte sie mit Harz an die Bäume in der ganzen Nachbarschaft. Am Tage der ersten Abfahrt hatten sich auch wirklich Fahrgäste eingefunden. Es waren ein Fuchs, eine Ente, ein Frosch, eine Fliege und ein Pfifferling. Tobias Muffelfell musterte die Gesellschaft misstrauisch. »Habt ihr auch Honig?«, fragte er. »Wenn ihr keinen Honig habt, fahre ich euch nicht in der Postkutsche.« Alle versicherten, sie würden bestimmt Honig beschaffen, sie hätten ihn nur eben nicht bei sich, denn das ganze Unternehmen sei ihnen zu überraschend gekommen.

Tobias Muffelfell gab sich zufrieden. Er ließ die Fahrgäste einsteigen und wollte abfahren. »Tobias«, sagte Frau Muffelfell, »das sind fast alles Leute, die einander verspeisen. Wenn sie sich unterwegs aufessen, dann kriegst du keinen Honig mehr.« – »Das ist wahr«, sagte Tobias Muffelfell. »Also dies ist eine Postkutsche und hier darf keiner den anderen fressen!«, brüllte er unhöflich in den Wagen hinein. Dann spannte er sich vor und die Fahrt ging los.

Die Fahrgäste begannen sich über den Zweck ihrer Reise zu unterhalten. Der Fuchs fuhr zur Jagd zu seinem Vetter, dem Wolf. Die Ente reiste in einen anderen Teich, um sich einmal gehörig über ihre ganze Verwandtschaft aussprechen zu können. Der Frosch reiste in Regierungsangelegenheiten. Er hatte ein Krönchen auf dem Kopf und war von kaltem und königlichem Geblüt. Die Fliege fuhr nur aus Leichtsinn mit und der Pfifferling überhaupt ohne den allergeringsten Grund.

Leute, die aufeinander Appetit haben, dürfen nicht zusammen in einer Postkutsche fahren. Der Fuchs war der erste, der das einsah. Er bekam einen solchen Appetit auf die Ente, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Er hatte in der Eile überhaupt schon schwach gefrühstückt. »Ich kann es nicht mehr aushalten«, sagte er und sprang von der Postkutsche ab – nur aus Appetit.

Es dauerte nicht lange, da sprang auch die Ente ab. Sie konnte den Frosch nicht mehr ansehen. Lieber wollte sie den Weg zu Fuß weiter watscheln, als neben jemand zu sitzen, der ihrer Meinung nach in ihren Magen, aber nicht in eine Postkutsche gehörte.

Nach einer Weile wurde dem Frosch, der an sich schon grün war, grün vor Augen. Sein Mund erweiterte sich unangenehm beim Anblick der Fliege und er sprang ab – auch aus Appetit.

Der Bär Tobias Muffelfell hatte nichts von alledem bemerkt. Es war ihm wohl so vorgekommen, als wäre die Postkutsche leichter geworden, aber er dachte, das käme von der Übung beim Ziehen. Jetzt hielt er an. »Erste Haltestelle!«, schrie er und guckte in die Postkutsche hinein.

Die Fliege flog davon und in der Postkutsche saß einzig und allein nur noch der Pfifferling. »Die anderen sind alle ausgestiegen«, erklärte er, »weil einer auf den anderen Appetit hatte und es nicht mehr aushalten konnte. Die Fliege ist davongeflogen, weil sie leichtsinnig ist. Nur ich bin sitzen geblieben, um das neue Unternehmen zu stützen.«

»Wer sind Sie denn überhaupt?«, schrie Tobias Muffelfell. »Ich bin Pilz von Beruf«, sagte der Pfifferling freundlich. »Können Sie denn überhaupt bezahlen?«, fragte Tobias Muffelfell. »Nein, das kann ich nicht«, sagte der Pfifferling, »ich bin ja eigentlich auch ganz ohne jeden Grund mitgefahren.«

»So«, sagte Tobias Muffelfell, »das ist eine unerhörte Unverschämtheit von einem so knirpsigen Kerl mit einem so piepsigen Stimmchen. Dafür kippe ich Sie hier einfach aus und Sie können sehen, wie Sie auf Ihren kurzen Beinen allein wieder zurück wackeln.« – »Das tut nichts«, sagte der Pfifferling, »ich bin Pilz von Beruf und bleibe ruhig hier sitzen. Ich warte den ersten warmen Regen ab und dann kriege ich Kinder. Alles übrige ist mir einerlei.« Da zerschlug Tobias Muffelfell seine Postkutsche und ging sehr erbost nach Hause.

Seine Bärenkinder kamen ihm schon von Weitem entgegen gelaufen: »Papa«, riefen sie heulend, »wir können nicht mehr Fußball spielen. Wir haben keinen Fußball mehr.« – »Warum habt ihr keinen Fußball mehr?«, fragte Tobias Muffelfell böse. »Wir haben ihn aufgegessen, Papa«, sagten die Kleinen. Da gab Tobias Muffelfell jedem seiner Bärenkinder eine Tatzenohrfeige. »Tobias«, sagte Frau Muffelfell, »du siehst aus, als wären die Motten in deinen Pelz gekommen. Ich denke mir, du solltest doch lieber keine Erfindung mehr machen.«

Ein Bär kann ruhig Erfindungen machen. Man muss bloß nicht alles durcheinander in einer Postkutsche fahren wollen – sonst bleibt am Ende nichts weiter übrig als nur ein Pfifferling!


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