Manfred Kyber
Märchen
Manfred Kyber

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Das Männchen mit dem Kohlkopf

Es war in einem alten Park, in dem wilde Schwäne auf den Spiegeln dunkler Weiher ihre Kreise zogen, verblichene Marmorbilder lächelten und die Schatten vergangener Zeiten auf bemoosten Bänken saßen. In dem alten Park lebte ein kleines Männchen, das ein recht sonderbares Gewächs war, denn es war sozusagen allmählich aus allerlei Gewächsen zusammengewachsen. Als Kopf aber hatte es einen Kohlkopf. Das Männchen war ein ganz harmloses Männchen, nur kamen so leicht die Raupen in seinen Kohlkopf, was ja bei einem Kohlkopf weiter nicht verwunderlich ist. Dann hatte es richtige Raupen im Kopf und wurde sehr anmaßend.

Es wackelte durch den ganzen Park und tadelte alles. Es fand die Kreise der wilden Schwäne hässlich, es grüßte die Regenwürmer und Käfer nicht mehr, obgleich das allgemein üblich ist, und es sagte sogar der Nachtigall nach, dass sie keine Stimme besitze und zudem eine schlechte Ausbildung genossen habe. Alles im Park ärgerte sich – nur die Marmorbilder lächelten.

Einmal nun, als das Männchen besonders viele Raupen in seinem Kohlkopf hatte, erblickte es auf dem grünen Rasen ein großes Kompottglas. Es mochte schon lange da gelegen haben, denn der Regen hatte es blank gewaschen, so dass es in der Sonne funkelte und blitzte. »Das ist eine passende Krone für mich«, sagte das Männchen und stülpte sich das Kompottglas auf den Kohlkopf, in dem es von Raupen nur so wimmelte.

Mit dem gekrönten Kohlkopf aber wackelte das Männchen durch den ganzen Park und tadelte alles. Sogar die bescheidensten Leute des ganzen Parks, ein kleines Moosehepaar, ließ es nicht in Ruhe. Das Moosmännchen und das Moosweibchen lebten still und zurückgezogen in einer Mauerspalte. Sie störten wirklich niemand, denn sie gingen selten aus und waren überaus häuslich, fast so häuslich wie ihr Onkel, der Hausschwamm, der bekanntlich das häuslichste aller Wesen ist.

Das Moosmännchen und das Moosweibchen waren auch so genügsam. Sie kochten sich mittags nur eine Heidelbeere in einem Fingerhut und das reichte für alle beide. »Eine widerliche Völlerei«, sagte das Männchen mit dem gekrönten Kohlkopf. »Diese einfachen Leute in der Mauerspalte tun auch tagsüber nichts weiter als Essen kochen. Was würde aus dem ganzen Park werden, wenn ich auch so wäre?« Die armen Moosleute waren tief gekränkt. »Eine Heidelbeere für zwei Personen ist gewiss eine auskömmliche und gute Mahlzeit«, sagten sie. »Aber eine unmäßige Mahlzeit ist es sicherlich nicht. Es ist freilich wahr, dass wir die Heidelbeere in einem Fingerhut kochen, aber das tun wir auch nur, weil wir alte Leute sind und keine rohen Heidelbeeren mehr vertragen.« Mit diesen Worten, die gewiss berechtigt waren, zogen sie sich in ihre Mauerspalte zurück. Alles im Park ärgerte sich – nur die Marmorbilder lächelten.

Die Sonne hatte sich aber auch die ganze Geschichte angesehen und sie beschien nun den Kopf des Männchens Tag für Tag mit besonderer Sorgfalt. Es war, als ob es den Sonnenstrahlen geradezu Spaß mache, sich unter dem Glas zu sammeln und den Kohlkopf des kleinen Männchens zu wärmen. Die Sonnenstrahlen tun das sehr gerne. Der Kohlkopf aber wuchs dadurch immer mehr und mehr, das kleine Männchen hörte auf alles zu tadeln und wurde stiller und stiller, bis es eines Tages mit ganz erbärmlichen Kopfschmerzen auf dem grünen Rasen saß.

»Mein Kopf schmerzt so sehr«, jammerte das kleine Männchen, »er wird immer dicker und dicker. Er wächst und wächst und ich kriege das schreckliche Glas nicht mehr herunter! Lieber will ich ungekrönt bleiben, aber solche Kopfschmerzen möchte ich nicht wieder haben!« Sein Jammergeschrei erfüllte den ganzen Park. Die Einwohner des Parks waren alle freundliche und gute Leute. Die Regenwürmer und Käfer krochen teilnahmsvoll näher und auch den wilden Schwänen tat es sehr leid, dass das kleine Männchen solche Kopfschmerzen hatte. Die Nachtigall war ganz still, denn sie sagte sich, dass ihr Gesang mit solchen Kopfschmerzen nicht mehr zu vereinbaren wäre. Aber helfen konnte niemand.

Endlich drang das Klagen des kleinen Männchens auch in die Mauerspalte zu den Moosleuten, die gerade bei Tisch waren und sich eine Heidelbeere im Fingerhut kochten. Sie vergaßen alle Kränkung und eitlen dem kleinen Männchen zu Hilfe, so schnell sie das nur vermochten. Sie fassten das Kompottglas und zogen aus Leibeskräften daran, um den gekrönten Kohlkopf davon zu befreien. Sie zogen so sehr, dass es in ihren Mooskörpern ordentlich raschelte. Die Regenwürmer und Käfer hielten den atem an vor Spannung.

Endlich ging es! Das Moosmännchen und das Moosweibchen fielen hintenüber, das Kompottglas blieb in ihren Händen – aber der Kohlkopf auch! »Das tut nichts«, sagten sie, »es war ja nur ein Kohlkopf. Wir holen dem Männchen einen neuen und den setzen wir ihm dann auf.« Und das taten sie.

Dem Männchen war nun wieder ganz wohl. »Ich möchte Ihnen aber doch raten«, sagte die Nachtigall, »dass Sie sich in Zukunft die Raupen in Ihrem Kopf rechtzeitig von einem sachverständigen Vogel absuchen lassen.« Das war gewiss ein sehr guter Rat und er sollte von allen befolgt werden, die es angeht.

Die verblichenen Marmorbilder lächelten, Es war ihnen nichts Neues, dass einer den Kopf verlor. Das hatten sie in vergangenen Zeiten in mancher blauen Mondnacht gesehn und es war nicht immer so harmlos abgelaufen wie dieses Mal, wo es ja nur ein Kohlkopf war. Denn es ist viel ungefährlicher, wenn es nur ein Kohlkopf ist, den man verliert, und es schadet darum auch gar nichts, wenn einer bloß einen Kohlkopf hat – aber er muss ihn nicht unter Glas setzen!


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