Hermann Kurz
Gesammelte kleinere Erzählungen, 3. Teil
Hermann Kurz

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Das weiße Hemd.

Es war zu einer Zeit, da wunderbare Dinge in der Welt geschahen, da die abendländische Menschheit wie ein Strom, der gegen seine Quelle fließt, auf das Zauberwort eines armen Einsiedlers nach dem Morgenlande zurückwallte, Löwen schlug oder zu Hunden zähmte, auf einen Streich Mann und Roß in zwei Stücke hieb, oder auch mit schönen Sultanstöchtern aus der Gefangenschaft entfloh, um eine heidenchristliche Doppelehe zu schließen: zu jener Zeit, berichtet die Sage, zog ein edler Ritter aus einer deutschen Reichsstadt mit Kaiser Friedrich dem Rotbart in das heilige Land. Er war vom Reichstage zu Mainz, wo der Kreuzzug beschlossen wurde, nach Hause geritten, um seiner Verlobten dieses Vorhaben zu verkündigen und Urlaub von ihr zu nehmen. Dieselbe war Frau Florentina geheißen, was jedoch nicht besagen will, daß sie zuvor eines anderen eheliche Hausfrau gewesen wäre; sondern die Sitte nannte damals, wie es die Sprache jetzt noch tut jede Jungfrau eine Frau, das unvermählte Weib galt so gut für ein Weib als das vermählte, und die Tochter einer Frau Königin wurde ebenso wie ihre Mutter angeredet, nur hieß man sie, zum Unterschiede von dieser, Frau junge Königin.

Auch ging es nach dem Mainzer Reichstage zwischen den Verlobten in einem Dinge nicht anders denn zwischen den Ehegatten, und war das beinahe allenthalben im Reiche dasselbe Ding: nämlich die Frauen sahen es ungern, daß die Männer sich von ihnen hinweg auf eine so ferne und weit aussehende Fahrt begeben wollten. »Mein Herr Alexander, edler, herzlieber Mann,« sagte Frau Florentina, »müsset Ihr denn bis gen Aufgang ziehen, um Eure Gottesminne und Ritterschaft zu erzeigen? Wir haben ja Kirchen in Stadt und Land, wo Ihr Eure Andacht halten könnet, an Gelegenheit zu Almosen fehlt es leider nirgends, und wenn es Euch gelüstet, Eures Armes Kraft, Eures Schwertes Schärfe zu versuchen, so habt Ihr in der Nähe der Feinde genug. Wollt Ihr mich, die ich doch eine Waise bin, allein in der Welt lassen?«

»Meine Frau Florentina, schönes, tugendreiches Weib,« sprach der Herr Alexander dagegen, »mein ganzes Herze klebt Euch an, und ich weiß nicht, wie ich ohne Euch leben soll, aber dennoch müssen wir uns scheiden, denn ich habe dem gekreuzigten Gotte die Wallfahrt gelobt und dem römischen Kaiser mein Wort zum Pfande gegeben; ich kann jene nicht wenden und dieses nicht brechen. Euch will ich dem Schutze der Gottesgebärerin und dem Schirme meiner Freunde anbefehlen. Gedenket nun allezeit, süß reines Lieb, daß Euer Leben das meine ist, und bewahret mir Eure Treue, Eure Ehre, Eure Keuschheit, derweil ich zum Ruhme Gottes und der werten Christenheit diese ungläubigen Hunde verderben helfe.«

Die edle Frau trug großes Leid, da sie sah, daß sie ihren Bräutigam in seinem Willen nicht wankend machen konnte, auch gefiel es ihr nicht, daß er sie der Tugenden und Würden gemahnte, deren sie doch ungemahnt aus freien Stücken wahrgenommen hätte. Doch schwieg sie still, setzte sich an ihre Rahme und wirkte ihm ein schneeweißes Hemde mit meisterlicher Kunst; denn es war insgemein der Glaube, sie stamme vom Geschlecht der alten Schwanfrauen, die so wunderbar zu spinnen, zu weben und zu wirken verstanden. Manche Träne ließ sie auf das Gewirke fallen, manches Lied von Lieb' und Treue sang sie mit ihrer klaren Stimme dazu, und als sie es vollbracht hatte, gab sie es ihm und bat ihn, es zum beständigen Andenken an ihre treue Liebe zu tragen. Er verhieß ihr das, herzte und küßte sie und zog auf den gebotenen Tag von dannen. Nun verlebte die schöne Frau viele Tage und Nächte in banger Traurigkeit und wartete ihres Freundes. Sie mußte aber lange Zeit warten.

Herr Alexander kam mit dem Kaiser in das Morgenland, wo die Dinge anfangs trefflich wohl gingen. Die Sarazenen wurden besiegt, wobei ein einziger Kriegsmann, einer von Ulm, in einem Angriff zehn Feinde schlug, und der Kaiser eroberte die Stadt Iconium. Bald aber wandte sich alles anders, so daß es ein Feldzug wurde, aus welchem wenige zurückkamen, ja so wenige, daß man in der Heimat nicht einmal recht vernahm, welches Ende der Kaiser genommen hatte. Der Rotbart, begierig, sich mit Saladin, dem Stern des Ostens, zu messen, hatte unter unerhörten Mühsalen des Kreuzheeres schon den Taurus überstiegen, da kühlte ihm ein Fluß in den cilicischen Gefilden das Heldenfeuer mit samt dem Pilgerschweiße, denn in dem eisigen Bade fand sein Leben und alle seine Kreuzfahrt ein Ziel. Das Christenheer war wie eine Herde ohne Hirten, und unter der Zeit, daß Herzog Friedrich von Schwaben die Gebeine seines Vaters, denen die heilige Stadt verschlossen war, zum Begräbnis gen Antiochien geleitete, fielen die Sarazenen über eine Abteilung der christlichen Scharen her, töteten und fingen deren viele und führten die Gefangenen ihrem Sultan zu. Unter diesen war auch Herr Alexander.

Saladin aber trug um jene Zeit den Christen keinen holden Sinn. Sie hatten, noch vor des Kaisers Ankunft, während eines beschworenen Waffenstillstandes Friedensbruch, und Unfug verübt, auch seine Mutter überfallen und beraubt; darum achtete er sie für ein treuloses Volk. Ihn verlangte nach einem Feinde, den er ehren mußte; aber wie hätte er dies vermocht, da er wußte, daß sie durch ihre Entzweiung und Verräterei den Fall Jerusalems, das in seine Gewalt gekommen war, verschuldet hatten. Hieraus erwuchs den Gefangenen manche bittere Frucht. Der Sultan verteilte sie unter seine Kriegsobersten und Landherren, die er nach Gutdünken mit ihnen verfahren hieß. Herr Alexander wurde nebst anderen Leidensgenossen einem Emir geschenkt, der bei dem Sultan in Gnaden stand. Derselbe hatte viel Land und Feld und trug nach sarazenischer Sitte Gefallen am Acker- und Gartenbau. Weil er aber seine edlen arabischen Rosse nicht zu schlechtem Dienst erniedrigen wollte, und des Zugviehs ein großer Teil von den Christen bei einem Überfall gesotten und gebraten oder hinweggeführt worden war, so hieß er die ihm übergebenen Christen, meist adelige Herren, gottwillkommen, so mit Worten als mit Werken: er gebot, sie alsbald in den Pflug zu spannen, und unter harten Geißelhieben mußten sie das Feld ackern, so daß oft das Blut von ihren Leibern lief. Waren etwa Leutschinder unter ihnen, die vordem ihre Leibeigenen im Abendland mit unbarmherzigen Fronen gedrückt hatten, so haben sie zweifelsohne bei diesem Pflugziehen zu allen Heiligen gelobt, sich solcher üblen Gewohnheit nach beglückter Heimkehr für immer abzutun.

Die armen Herren hatten schlimme Tage, und mancher, der einst stolz aus seines Schlosses Pforte auf den Reichstag oder zum Turnier geritten war, sah jetzt schlechter aus denn sonst der geringste seiner armen Leute. Sie magerten zu Gerippen ab, Bart und Haare hingen ihnen ungeschoren, verfilzt und struppig im Gesicht, ihre Gewände verdarben durch Regen, Schweiß und das Blut der Geißelhiebe und fielen ihnen allmählich vom Leib. Nur einer unter ihnen ging aufrecht in einem reinen weißen Hemd einher: es war Herr Alexander, der mit freudigem Staunen sah, wie das Geschenk seiner Freundin den Unbilden des Wetters und des Schicksals widerstand. Der Gedanke an ihre herzinnige Liebe und ausdauernde Treue hielt ihm den Kopf empor; in all seinem Ungemach umschwebte und tröstete ihn das gegenwärtige Bild seiner Getreuen, und obwohl ihm die von der syrischen Sonne verbrannten Wangen nicht minder einfielen als die seiner Mitsklaven, so verrichtete er doch mit ungebrochenem Mute sein hartes Tagwerk und behütete dadurch sein Hemde vor blutigen Flecken, indem er wenigstens den unmilden Hieben der Geißel entging.

Die Reinheit des Hemdes fiel nach und nach sowohl den Sklaven als ihren Treibern in die Augen, und diese taten das seltsame Wunder endlich auch dem Emir zu wissen. Von ihm erfuhr es der Sultan, der einst zu ihm kam, um die Dienste, die er kürzlich in einem Treffen wider Richard Löwenherz geleistet hatte, durch die Ehre seines oberherrlichen Besuchs zu lohnen.

Saladin ließ alsbald den Sklaven vor sich führen. »Wer bist du und wie heißest du?« fragte er, indem er seine durchdringenden Augen auf ihn heftete.

»Mit Namen heiße ich Alexander und bin ein Ritter aus dem Heerbann des großen römischen Kaisers.«

»Des Melek Alaman? Vergebens habe ich mich darauf gefreut, ihm zu begegnen.«

»Gott hat ihn von uns genommen und uns den Kelch der Trübsal gereicht.«

»Wo hast du dieses Hemde her? Man sagt, es habe eine wundersame Eigenschaft.«

»Das Hemd, Herr Sultan, habe ich von einem wonniglichen Weibe; daß es so weiß bleibt, das zeigt mir ihre unwandelbare Treue und Keuschheit an.«

Unter dem ergrauenden Barte, der Saladins Mund beschattete, zuckte es wie ein wunderliches Wetterleuchten. »Eure Weiber, warf er hin, »müssen aus besserem Ton geschaffen sein als Ihr.« Nachdem er seine Herkunft und Heimat näher erfragt hatte, gab er einen Wink, den Sklaven abzuführen. »Wir wollen doch eine Probe machen,« sagte er hierauf, »ob der Christ nicht sein Hemd am Ende waschen muß.«

Er rief einen seiner Emire, der durch Jugendschönheit und eine beredte Schmeichelzunge allen vorging. Mit diesem beriet er sich und entließ ihn, reich mit Gold und Kleinodien ausgestattet. Ali reiste auch zur Stunde ab, während sein Gebieter abermals gegen den Löwenherz zu Felde zog.

Drei Jahre nahezu war Herr Alexander von Hause fern gewesen, da erschien daselbst ein italischer Kaufherr, der kostbare Juwelen zur Schau trug und in königlicher Pracht lebte. Er fand leichten Zutritt bei den Geschlechtern der Stadt, bei denen er auch die edle Florentina kennen lernte, und wußte sich hierdurch auch Eingang bei dieser selbst zu erwirken, die ihn, wie es ihr geziemte, stets von ihren beiden Wienerinnen umgeben, empfing. Da erzählte er ihr nun, wie ihn seine Kaufmannschaft weit herum in den Landen führe, so daß er auch ins Morgenland gekommen sei und da mit Christen und Heiden verkehrt habe; er berichtete von der letzten Kreuzfahrt; von des Rotbarts Kriegstugend und eiserner Mannszucht, die auch seinen Feinden Grauen machte, fast mehr noch als seine Waffentaten; von seinem Tod und Begängnis, wie ihn nämlich die Seinen im Essig kochten und das Fleisch an der Stätte, wo er gestorben war, begruben, die Knochen aber in einem Schreine weiterführten, um sie, wenn es hätte sein mögen, am heiligen Grabe beizusetzen; vom großen Harlemer Schiff, das, den Kiel mit Sägezähnen bewaffnet, in den Hafen von Damiate einlief und die vorgezogenen Ketten zerschnitt; er pries die Heldentaten der Christenritter, schwieg aber auch nicht von dem bittern Leben derer, die, vom Mut getrieben und vom Glück vergessen, in Sarazenenhände gefallen seien. Nach diesem Vorspiel nannte er zögernd und lauernd unter anderen Namen auch den des Herrn Alexander. Die edle Frau erbleichte; sie hatte kein Hehl, daß dies ihr Verlobter sei, und bat den Fremden weinend, ihr zu seiner Lösung zu helfen; alle ihre Schätze wolle sie dem Heidensultan bieten.

»Saladin nimmt kein Geld, auch seine Getreuen nicht!« antwortete da der Fremde, und es klang bei diesen Worten etwas so Stolzes und Höhnisches aus seiner Stimme heraus, daß die schnellsinnige Frau alsbald erriet, dies müsse ein Sarazene sein und keiner von den Geringsten.

Was ihn zu dieser Verkleidung bewogen, konnte sie sich freilich nicht einbilden: aber ihr erster Gedanke war, ihn auf der Stelle handfest zu machen, um ihn dem Sultan zur Auswechslung gegen ihren Herrn anbieten zu können. Allein sie wußte nicht, wem sie diese weitschichtige Verrichtung anvertrauen sollte: der Rotbart war tot, der neue Kaiser waltete in Apulien, und in Deutschland wußte sie, auch unter Herrn Alexanders Gefreundschaft, niemand, den sie für fähig gehalten hätte, eine solche Sache nach Gebühr an die Hand zu nehmen. Sie achtete es also für besser, ihr Gemüt zu verbergen und den Fremden weiter auszuforschen. An eine Auslösung des Gefangenen, wiederholte dieser, sei nicht zu denken; nur durch listige Anschläge und durch Bestechung des Sklavenaufsehers, sagte er, möchte es gelingen, ihn heimlich zu befreien und auf das Meer zu entführen. Zu diesem Wagestück erbot er sich selbst, da er als Kaufmann in der Heidenschaft Zugang habe, auch alle Tritte und Schliche daselbst kenne, und wie die hocherfreute Florentina ihm alles, was er nur begehren möge, als Preis versprach, so meinte er mit einem losen Lächeln, über den Preis könnte sie leicht mit ihm einig werden, da schon ein freundlicher Blick ihrer Augen ihm höher als alle ihre Schätze dünke. Die edle Frau errötete, verschloß aber ihren Unmut, so gut sie vermochte. Der freundlichen Blicke, erwiderte sie, habe sie genug für ihn, da er ihr so trostreiche Aussicht eröffne; er möge daran ermessen, wie freundlich sie ihn erst nach vollbrachter Freundestat ansehen werde. Eine Freundestat sei es allewege, gab er ihr hinwieder zu bedenken, eine Tat, die er nur aus großer, Gut und Blut opfernder Liebe zu ihr unternehme; er malte ihr aus, wieviel er dabei wage, und unterstand sich endlich zu sagen, eine so heiße Liebe wäre wohl eines ebengleichen Lohnes wert, und wer sein Leben daran setze, einer schönen Frau ihren liebsten Freund aus der Gefangenschaft wiederzubringen, der sollte in ihrem Herzen nicht enger noch niedriger wohnen, als dieser selbst. Frau Florentina lächelte sein, indem sie entgegnete, wenn das Spiel so stehe, da möchte es ja geratener sein, den Gefangenen in Syrien zu lassen, denn seine Befreiung würde im Grund dem Preise, um den dieselbe erkauft sein sollte, zuwiderlaufen. Der Heidenritter sah ihr in die klugen Augen und wußte nicht, wie er sich diese schalkhaften Worte zu deuten habe; im Herzen gab er ihr vollkommen recht und wünschte nur, daß es ihr Ernst sein möchte. Sie entließ ihn aufs freundlichste, indem sie ihn wiederzukommen bat.

Der Heide, der sich solch Reden und Gebaren zu seinen Gunsten auslegte, betrat nun ernstlich der Minne Pfad. Er machte großen Aufwand und gab Feste, zu welchen er die ganze Stadt einlud, Frau Florentina erschien selten dabei, obwohl sie es geschehen ließ, daß er die Lustbarkeiten ihr zu Ehren veranstaltete; denn sie war Ursache von allem, wahrend sie ihn doch zu nichts verleitete. Wenn er sie besuchte, war sie niemals allein, empfing ihn aber stets mit so holdseliger Gastlichkeit, daß er, obgleich jedesmal in seinen Wünschen getäuscht, doch immer wiederkehren mußte. Die Tränen, die sie in der Stille um ihren Verlobten weinte, verbarg sie weislich und zeigte einen Tag wie den anderen ein so heiteres Gesicht, daß der Sarazene in Zweifeln und Gedanken wie auf einem ungewissen Meere umgetrieben ward. Am meisten schien es sie zu erfreuen, wenn er ihr von der fremden Sitte und Weise des Morgenlandes, vor allem von dem großen Sultan Saladin, dem unbesiegten Krieger, dem scharfsinnigen Weisen, dem Freund der Künste, des Saitenspiels und Gesangs, erzählte. Sie konnte nicht müde werden, ihn immer wieder zu neuem Schildern und Ausmalen anzureizen. Der Gast, von der anmutigen Wißbegier seiner schönen Zuhörerin hingerissen, konnte gleichfalls nicht müde werden, immer wiederzukommen und zu erzählen. Wochen und Monde verstrichen; da der Sarazene nicht wankte noch wich, so kam sie zuletzt auf den Gedanken, Herr Alexander möchte in der Gefangenschaft eines Tages von ihr gesprochen und ein so lichtes Bild von ihr aufgestellt haben, daß dieser Heide dadurch zu seinem wunderlichen Unternehmen entzündet worden sei – und damit hatte sie auch die Wahrheit nahezu getroffen.

Endlich kam die Stunde, die sie schon lang' mit Sehnsucht erwartet hatte. Der Fremde sah den Boden seines einst so wohlgefüllten Geldscheins, ohne etwas anderes erlangt zu haben, als große Ehre und Würde, die ihm ohne Unterlaß von den edlen Geschlechtern der Stadt und von der benachbarten Ritterschaft erzeigt worden war. Seine Habe war so geschwächt, daß er keinen Tag länger weilen durfte, wollte er nicht zu Fuße heimkehren. Niemals in der ganzen Zeit seines Aufenthalts hatte ihm die schöne Frau so wonnesam gelächelt, wie bei dem Urlaube, den er von ihr nahm, so daß ihm ihre Huld zur Pein wurde, denn er hielt sich jetzt versichert, die Burg müßte, wenn er nur noch eine Woche die Belagerung fortsetzen könnte, unfehlbar in seine Hände fallen. Doch unternahm er eine letzte Berennung, stellte ihr vor, daß er eben jetzt mit seinem Kaufrat gerades Weges gen Syrien ziehe, und erbot sich abermals zur Befreiung des Ritters: er wolle keine Kosten sparen und keine Gefahren scheuen, sagte er, wenn sie nur endlich einmal aufhören wollte, so karg gegen ihn zu sein. Sie lächelte und wiegte das Haupt, ihm seine Raschheit verweisend, und als er ihr vorrechnete, wie oft sie ihn schon mit solchen Worten ermahnt und wie lang' er nunmehr in Geduld ausgeharrt habe, so antwortete sie mit strahlenden Augen: »Geduld, Herr, überwindet alles, das glaubt mir, die ich in meiner Verlassenheit einzig durch Geduld ein Großes gewonnen habe. Darum,« setzte sie mit schalkhaftem Lächeln hinzu, »wenn Ihr, in Hoffnung, durch fernere Ausdauer Euer Ziel zu erreichen, noch länger weilen wollt, so sollt Ihr mir nun und immer unvertrieben sein.« Da er ihr aber unmutig erwiderte, daß seine Frist schon längst abgelaufen und kein längeres Verbleiben möglich sei, so erkundigte sie sich teilnehmend nach dem Wege, den er ziehen wolle, sagte ihm freundlichen Dank für die viele Zeit, die er an eine arme, einsame Verlassene gewendet habe, und entließ ihn, da sie ihn nicht mehr zurückhalten zu können schien, mit tausend guten Reisewünschen und Segensworten. Er zog auch noch in derselben Stunde hinweg, indem er den Verlust an Zeit, Gut und Mühe verfluchte und doch im gleichen Atem zu seinem Propheten schwur, er wolle alsbald wiederkehren, um auf eigene Gefahr eine zweite Glücksfahrt zu unternehmen.

Wie er nun in Genua ankam, wo er auf guten Wind warten wollte, fand er daselbst abends am Hafen viel Volks um einen jugendlichen Pilger versammelt, der zu seiner Harfe sang. Bald wußte er so lustige und scherzhafte Lieder, daß niemand aus dem Lachen kam, bald klangen sie so traurig, daß allen die Tränen in den Augen standen. Seine Stimme war überaus süß, rein und reich: nun ließ er die Töne wie Perlen vom Munde fallen, nun wehten sie wie ersterbende Hornweisen hin, nun flatterten sie wieder wie mutwillig jauchzende Vögel umher. Er erschien jeden Abend mit seiner zierlichen Harfe, und da er keine Gabe begehrte, so fehlte es ihm niemals an Zulauf. Ja, er schlug alle Geschenke aus: sein einziges Trachten, sagte er, sei, an den Hof eines preiswürdigen Königs zu kommen und dem seine besten Lieder zu singen. Auch warben viele um ihn mit lockenden Erbietungen, denn die Anlände wimmelte stündlich von fahrenden Leuten und Boten aus der ganzen Christenheit, und mancher hätte ihn gerne, um Lob zu erwerben, seinem Herrn gebracht, aber der Sänger erzeigte sich sehr kostbar und tat, als wäre ihm kein König noch Kaiser gut genug. Der Sarazene aber hatte kaum von seinem Vorhaben gehört, so kam ihm in den Sinn, daß dies eine gute Gelegenheit wäre, bei dem gesangliebenden Sultan die erlittene Scharte auszuwetzen. Behende trat er den Pilger an, warb ihn, wie er vorgab, für den Hof von Cypern, wo er mit großer Huld und Ehre aufgenommen werden würde, und der Jüngling sagte auch, zur Verwunderung aller anderen, die ihn so wählerisch gesehen hatten, ohne Verzug und Bedenken zu.

Auf dem Weg zum Gestade, nachdem der Wind umgesprungen war und die beiden Reisenden sich anschickten, an Bord ihrer Galeere zu gehen, hielt der Pilger inne und sprach: »Messere, Ihr sehet, daß ich mich mit gutem Vertrauen in Eure Hände gegeben habe; nun hoffe ich auch, daß Ihr als ein redlicher Edelmann, aus dessen Munde kein falsch Wort geht, an mir handeln werdet.«

Der Sarazene errötete, nahm seinen gestutzten Bart in die Hand und wandte sich dann mit Lächeln zu seinem Genossen: »Sieh, du hast recht, lieber Sänger, der Mann muß dem Manne Treu' und Glauben halten.« – Bei welchen Worten der Pilger sein Angesicht, gar schelmisch lächelnd, auf die Seite wandte. – »Darum,« fuhr jener fort, »will ich dir auch jetzt, wo du den Fuß noch auf dem Lande hast, die volle Wahrheit sagen. Ich führe dich nicht gen Cypern, und habe das auch nicht vorgegeben, um dich zu täuschen, sondern um von den anderen, mit denen wir im Kriege leben, nicht angefochten zu werden. Ich führe dich vielmehr, wenn es dir genehm ist, an den Hof des großen Sultans Almalich Alnasir, genannt Saladin, der Gesang und Harfe liebt und dich wie einen Fürsten empfangen wird.«

»Den großen Sultan Saladin zu sehen und vor ihm zu spielen,« erwiderte der Pilger freundlichen Antlitzes, »ist der Wunsch aller Wünsche. Nichts Besseres und Lieberes könnte mir werden. Aber Saladin haßt die Christen.«

»Er haßt die Christen nicht, er haßt nur die Meineidigen, die Verräter, und als solche haben sich manche deiner Glaubensgenossen vor ihm erwiesen. In dir zumal sieht er nur den Sänger, und der steht unter seinem besonderen Schutze,«

»Schwöre mir denn bei der Ehre, an die ja auch die Sarazenen glauben, daß ich frei, wie ich gekommen bin, von Saladins Hofe wieder gehen werde.«

»Ich schwöre dir's,« rief der Emir, indem er die Hand des Pilgers ergriff, »und verpfände meine Ehre, die dem Moslem so teuer ist wie Euch.«

Unter diesen Reden gingen sie miteinander zu Schiffe, stießen ab und fuhren wohlbehalten gen Syrien hinüber.

Saladin empfing seinen Abgesandten sehr wohlgemut. Er war soeben eines tapfern Gegners ledig geworden: denn der englische König hatte sich mit den andern christlichen Herren veruneinigt, und da er ohne die Deutschen und Franzosen zu schwach war, den Krieg allein fortzusetzen, so hatte er mit dem Sultan Frieden geschlossen und das hohe Meer gesucht, um fortan seine abendländischen Händel auszumachen. Saladin aber konnte nach seiner Abfahrt wenig zweifeln, daß er nun auch die letzten Plätze, welche die Christen noch inne hatten, Joppe, Tyrus, Ptolemais, in seine Gewalt bekommen würde.

»Wie nun, Ali?« rief er neckend seinem Emir entgegen; »gestern noch ließ ich nach dem Christensklaven schauen, aber sein Hemd war weiß wie der Schnee des Libanon.«

»Das glaube ich wohl, Beherrscher der Gläubigen,« antwortete jener kleinlaut; »ich wenigstens habe es nicht schwarz gemacht.«

Saladin lachte und hieß ihn Bericht über seine Reise erstatten. Der Emir erzählte. Am Ende seiner Rede war es ihm tröstlich, dem Sultan sagen zu können, welch eine Nachtigall er, um wenigstens nicht ganz vergebens in der Christenheit gewesen zu sein, für seinen Gebieter mitgebracht habe.

»Einen Sänger?« rief Saladin vergnügt, »Geschwind, Ali, führ ihn herein. Wir wollen ihn unverzüglich hören.«

Der Pilger trat ein; er verneigte sich tief vor dem Sultan und griff in die Saiten. Dann ließ er seiner Stimme den Lauf, und gleich bei dem ersten Liede strich sich der alte Held wohlgefällig den Bart, rief ihm in der Frankensprache zu und hieß ihn singen, solang' er einen Ton in seiner klangreichen Kehle habe. Nun strömten Lieder auf Lieder aus des Sängers Munde, die Lays und Chansons von Frankreich, die künstlich gefügten welschen Pastoralen und Rondaten, dann die leichten Weisen vom Rhein, die langgezogenen aushallenden Klagetöne des schäbischen Gesangs und zuletzt, nach einem fröhlichen Fluge durch die Saiten, die keck quellenden, gemsenartig hüpfenden Liederbrünnlein, die den süddeutschen Hochgebirgen entsprungen sind. Der feinhörende Saladin begleitete alle diese Gesänge mit seinem scharfsinnigen Urteil, von jedem Liede wollte er wissen, aus welchem Land es stamme, und stellte seine Vergleichungen darüber an. Nun folgte er sparsam den leise wandelnden Wendungen der Kunst, nun ergötzte er sich wieder an den ungezwungen sprudelnden Sangwellen, die der Pilger, wie er sagte, dem Volksmund abgelauscht hatte. Dann ließ er ihm sarazenische Weisen vortragen, um auch diese von seinem liedermächtigen Munde nachgesungen zu hören. »Seine Seele wohnt auf seiner Zunge!« rief er, als der Pilger sie noch reiner und schöner, als er sie vernommen hatte, wiedergab, und er überhäufte den Heimatlosen mit Ehre, Gunst und Liebe.

Der Pilger aber griff von Tag zu Tag tiefer in seine Harfe und in seinen Liederschatz, und eines Abends, als er das Glück und das Leid der Liebe sang, die Sehnsucht, die Geduld, die Hoffnung, die Treue pries, da drangen die bald zarten, bald starken Klänge der Harfe und des Liedes durch jedes Herz, auf manchem Barte schimmerte es wie frischgefallener Tau, und Saladin rief, nachdem er geendigt hatte: »Bei Allah sei es geschworen, Knabe! was du von mir begehren magst –«

Da stieß der Pilger seine Harfe zur Seite; ehe der Sultan die Rede vollenden konnte, kniete er vor ihm, seine Bitte auszusprechen, und seine hellen Augen waren von Tränen verdunkelt.

Saladin besann sich schnell. »Halt,« sagte er vorsichtig, »wir müssen unser Versprechen im voraus ein wenig beschränken. Du hast so schwärmerische Augen, daß du wohl gar imstande wärest, Jerusalem von meinen Händen zurückzufordern. Darum, wenn dir nach meiner Schatzkammer gelüstet, so soll mein unterbrochener Schwur seine volle Kraft haben, ist es aber etwas anderes, worauf dein Sinn gerichtet ist – und deine Augen scheinen mir nicht nach Gold zu funkeln – dann müssen wir uns vorher in Güte miteinander vertragen.«

»Herr, gebt die armen, gefangenen Christen frei!« rief der Pilger und drückte die Hände vor die Augen, um seine Tränen zu verbergen.

»Alle?« versetzte Saladin kopfschüttelnd. »Fürwahr, es ist gut, daß ich den Schwur nicht vollendet habe. Nein, Freund Sänger, das geht nicht. Schon einmal habe ich es getan, will aber nicht mehr meine Hände in Dornen und Disteln stecken. Ja, wenn sie Wort hielten, wie wir! Aber ihre Priester würden sie ihres Eides wieder entbinden, und ich werde doch nicht abermals ein Feindesheer wider mich selbst ins Feld stellen sollen. Bitte etwas anderes, Knabe. Es ist mir leid, daß auch die Macht der Töne ihre Grenzen hat; aber sieh, diesmal hast du falsch gegriffen.«

Der Pilger antwortete nichts, er blieb unbeweglich auf den Knien liegen und sah den strengen Sultan flehend an.

»Hast du vielleicht einen Landgenossen, einen Freund darunter?« fuhr Saladin liebreich fort. »Einen will ich dir schenken, er sei hoch oder nieder, und will es seinem Herrn nach Gebühr entgelten. Geh hin und sieh dich um, ob du einen unter ihnen erkundest. Du scheinst nun einmal deinen Sinn darauf gesetzt zu haben.«

Der Pilger erhob sich in Freude und Trauer; zitternd legte er, ohne ein Wort zu sprechen, zum Zeichen seines Dankes die Hand aufs Herz. Der Sultan, gab ihm einen seiner Diener mit, der ihm durch Vorzeigung des königlichen Befehls den Willen der Sklavenherren geneigt machen sollte.

Der Pilger ritt voraus, und es war, als ob er seinem Rößlein etwas ins Ohr geraunt hätte – denn es ging geraden Weges, ohne rechts oder links zu treten, durch die Ebene auf die Hügel zu. Vergebens unterwies ihn sein Begleiter, daß hier ringsum in der Landschaft Sklaven, junge und alte, zu finden seien. Der Pilger schüttelte den Kopf. »Gott hat mir meine Straße bereitet,« sagte er, »und warum sollte ich ohne Not so viele Hoffnungslose sehen, da ich doch nur einen lösen darf.«

Am Fuße des Gebirges, auf urbarem Boden, lag ein großes Ackergut, vor allen anderen wohl gebaut. Dorthin lenkte der Pilger sein Roß und stieg mit dem Gewaltboten ab. Dann nahten sie sich den Sklaven, die unterschiedliche Felddienste verrichteten, zumeist aber im Pfluge gingen. Der Pilger hatte seinen Muschelhut tief in die Augen gedrückt, als er herantrat, um sich unter ihnen umzuschauen. Mit weinendem Herzen mußte er zusehen, wie die Armen, voll Wunders und Freude, einen Christenpilger zu gewahren, die einen auf ihn zueilen, die anderen im Ziehen innehalten wollten, aber von den Aufsehern gescholten und zu ihrem Tagwerk angetrieben wurden. Der Pilger ging bei ihnen umher, fragte sie nach ihren Namen und Begebenheiten, und sprach ihnen tröstlich zu, so gut er es vor Leid vermochte. Auf einmal aber schrak er zusammen, gab seinem Gefährten einen Wink und trat zu einem Rain, an welchem ein Mann in weißem Hemde den Pflug zog. Es war Herr Alexander, der, weniger hart gehalten als die anderen, seinem rüstigen Werke oblag; er sah verblichen und eingefallen aus, nur seine Augen hatten noch den alten kühnen Blick. Der Pilger senkte das Haupt mit dem Hute, so daß ihm niemand ins Angesicht sehen konnte, »Diesen will ich,« sagte er leise zu dem Sarazenen, »laß ihn mir losgeben.« Er verweilte, nachdem er dies gesagt und noch einen fliegenden Blick auf den Sklaven geworfen hatte, nicht weiter mehr, sondern schlug sich hinter eine Palme und wurde eine Zeitlang nicht gesehen.

Der Ritter wußte kaum, wie ihm geschah, als man ihn aus dem Pfluge nahm. Erst als ihn der Bote zu dem Emir führte, dem er eigen war, und mit diesem über das Lösegeld handelte, wurde es ihm offenbart, daß er frei werden sollte. Der Emir hielt ihn nicht viel mit dem Urlaube hin; er sah ein wenig sauer dazu, daß er ihn missen sollte; doch ließ er sich nichts anmerken und gab ihm noch ein mageres Rößlein mit auf den Weg. Der Pilger war, nachdem er Geschenke unter die zurückbleibenden Christen verteilt halte, hinweggeritten; er hielt in der Ferne an einem Hügel, winkte den beiden anderen und trabte wieder schnell voraus. So blieb er immer im Vorsprung und ließ sie nicht an sich herankommen. Herr Alexander fragte den Sarazenen aus und wunderte sich nach dessen Bescheide sehr, wer wohl der Pilger und Sänger sein möge, der ihn losgebeten habe.

Als sie zu Saladins Hoflager kamen, richtete der Sultan sein Auge zuerst auf den freigegebenen Sklaven, denn ihn verlangte zu wissen, wen sich der Sänger erkoren habe, und nicht lang', so hatte sein scharfer Blick denselben wieder erkannt. Lächelnd und forschend ließ er nun die Augen auf dem Pilger ruhen; dann rief er ihn näher zu sich, während dem Befreiten auf sein Geheiß ein Bad bereitet und reichliches Gewand gegeben wurde. Das Hofgesinde sah, wie der Sultan den Pilger mit schlauem Lächeln anredete, worauf dieser, das Gesicht mit den Händen deckend, betreten und verwirrt vor ihm in die Knie sank. Der greise Saladin drohte ihm mit dem Finger, hob ihn auf, setzte ihn zu sich auf das goldgestickte Polster und legte ihm hold wie ein Vater die Hand auf das Haupt. So sah man beide lang' miteinander sprechen. Zuletzt wurde auf Saladins Geheiß dem Pilger seine Harfe gebracht; die sarazenischen Herren, die bisher der Unterredung nur von weitem hatten zusehen dürfen, traten, durch einen Wink des Sultans eingeladen, hinzu, und der Sänger begann noch einmal jenes Lied, das ihm alle Herzen gewonnen hatte. Er sang es, die Augen, je nach dem Laut der Worte und Töne, bald dankend, bald bittend, bald vertrauend auf den Sultan gerichtet. »Ich verstehe dich,« sprach dieser, als das Lied zu Ende war: »du hast noch immer einen Wunsch auf dem Herzen. Nun, beruhige dich. Freilassen kann ich sie nicht, aber ich verspreche deinen Brüdern ein menschlich Los, und damit will ich meinem unausgesprochenen Eide Geltung geben.«

Bei diesen Worten trat die hohe Gestalt des deutschen Ritters herrengleich wie je zuvor, in das Gemach. Er vereinigte seinen Dank mit dem des Pilgers, während ihm Saladin prüfend in die Augen sah. Dann reichte ihm der Sultan ein kostbares Schwert: »Brauche es wider deine Feinde,« sagte er, »und vergiß nicht, daß du mich zum Freunde hast. Da ich jedoch weiß, daß bei euch keine Vergabung geschehen kann ohne Gegenleistung, so will ich dir für die Freiheit und Wehrhaftigkeit, die ich dir wieder geschenkt habe, gleichfalls eine Lehnspflicht auferlegen, doch mit dem Recht, daß es bei dir selbst stehen soll, dich von ihr loszuzählen, wenn sie dir gegen deinen Glauben oder deine Ehre zu streiten scheint. Wenn es an der Zeit ist, wird dir ein Bote von mir sagen, was ich an dich begehre.«

Der Ritter legte seine gefalteten Hände zwischen die Hände des Sultans und schwur ihm auf diese Bedingung den Lehenseid.

Der Pilger war indessen unruhig geworden, als ob seines Bleibens nicht länger sein konnte. Saladin sah es und erhob abermals den Finger gegen ihn: »Freund Sänger,« sagte er, »es tut mir leid, daß sich Ali so stark mit Beteuerungen gegen dich herausgelassen hat; sonst würde ich euch beide bei mir behalten.« – Er erbat sich seine Harfe zum Andenken und ließ ihm dagegen eine andere bringen, deren Gestell aus arabischem Golde getrieben war und oben mit einem großen Edelstein geziert. Da es nun zum Scheiden kam, das der Pilger immer mehr beschleunigte, so schloß der Sultan diesen in die Arme und küßte ihn auf die Lippen. Die Sarazenenritter standen mit stummer Verwunderung dabei; selten hatten sie ihren Herrn so bewegt gesehen.

Nach der Abreise der beiden Deutschen ließ Saladin seinen Gesandten rufen, »Hast du mich wissentlich oder unwissentlich betrogen?« redete er ihn mit strengem Tone an.

»Beherrscher der Gläubigen, wessen hat sich dein Knecht schuldig gemacht? Ich will des Todes sterben, wenn ich dich verstehe.«

»Hast du diesen Pilger gekannt oder nicht?«

»Ich sah ihn zu Genua und gedachte, Ehre bei dir zu erlangen, wenn ich dir ihn brächte, Gebieter.«

Saladin sah ihn noch schärfer an. »Weißt du denn nicht, wen er sich aus den Sklaven erwählt hat? Wie, Ali, hast du ihm nicht ein einzigmal in die Augen geblickt? Solche Augen sieht man doch nicht alle Tage.«

»Diese Augen!« rief der Emir, lauter, als es sich vor dem Angesichte des Sultans geziemte, »O, wo habe ich doch die meinigen gehabt!«

Saladin weidete sich an seiner Bestürzung, »Ich sehe dir an, daß du unschuldig bist.« sagte er. »Um so schlimmer für dich! Aber ihr alltäglichen Menschenkinder achtet auf jedes Merkzeichen eher, als auf die Augen, die treuesten Spiegel des verborgenen Lebens; sonst hättest du schon in ihrem Frauengemache vorausgewußt, daß diese Taube dir mit verwandeltem Gefieder nachfliegen würde.«

»Sie hat aber auch ihre Augenbrauen und Haare so dunkel gefärbt, daß ich wette, es wird eine gute Weile dauern, bis ihr eigener Verlobter sie erkennt, die doch der nie fehlende Blick meines Gebieters erkannte, ohne sie je gesehen zu haben. Mußte mir auch dieser zweite Betrug widerfahren! ach, und der zweite ist noch ärger, denn der erste war!«

Saladin lachte, dann ging er nachdenklich auf und ab. »Höre, Ali,« hob er endlich an, »ich bin in Gefahr, ein Irrgläubiger zu werden.«

»Beherrscher der Gläubigen?« rief Ali verwundert.

»Du weißt, die Christen haben mich noch nie in die Versuchung gebracht, nach einer Gemeinschaft mit ihnen zu verlangen. Wenn aber ihre Frauen dieser einen gleichen, dann ist es ein Glück, daß meine Jahre mich schützen, »sonst könnte ich leicht des Paradieses verlustig gehen.«

»Herr,« wagte der Emir zu bemerken, »hat nicht auch der große König Daud, da er älter und betagter war als du, an allen Enden nach einer Schönheit suchen lassen, auf daß sie seines Alters pflege? Und wenn du sie aus der Christenheit nimmst, brauchst du darum ein Christ zu werden?«

»Du wärest alsdann wohl der erste, der sich bei mir um die Gesandtschaft bewerbe, nicht wahr, Ali?«

»Nein,« rief der Emir und wehrte den Gedanken mit beiden Händen ab, »nein, Beherrscher der Gläubigen, verschone deinen Getreuen mit dem dornenvollen Amte! Denn, Herr, laß mich nicht vergessen, daß diese Tauben, da du sie einmal so nennst, die Klugheit der Schlange haben. Sende den weisen Musa Ben Waimun, deinen berühmten Leibarzt, oder den anschlägigen Bohadin Ben Sjeddab, deinen vertrauten Rat, sende, wen du willst, nur mich nicht, der ich bereits genug zuschanden worden bin.«

Abermals lachte Saladin, der noch oft hernach den armen blinden Ali neckte. Aus der Sendung aber wurde nichts; denn nicht allzulang' nach dieser Begebenheit starb der hochgesinnte Sarazenenheld, dessen Hände an Freund und Feind so freigebig gespendet hatten, daß er in seiner Schatzkammer nicht mehr als siebenundvierzig Silberdrachmen und einen goldenen Tyrier hinterließ. Sterbend gebot er, daß man ihn ohne Gepränge begraben und vor seiner Leiche weder Fahnen noch Siegeszeichen hertragen solle, sondern nur sein Totenhemde, mit dem Ruf: »Saladin, der große Sultan von Ägypten und Syrien, Befreier des Morgenlandes, bringt von allen seinen Königreichen und Fürstentümern nichts davon, als dies. Allah gebe, daß er es rein davonbringe.«

Mittlerweile war Herr Alexander mit seinem Nothelfer in die Lagunen von Venedig eingelaufen. Von da eilten sie vollends dem Festlande zu, wo sie auf Saladins fürstlichen Rossen, der Pilger auf einem zarten Zelter, der Ritter auf einem hohen Renner, weiter zogen. Schon auf dem Schiffe hatte der Ritter den Pilger gefragt, warum er gerade ihn aus so vielen erlesen habe, »Der Ruf von eurem Hemde, der an des Sultans Hof erscholl, bewog mich dazu,« hatte der Pilger geantwortet, und Herr Alexander hatte sich diese Antwort genügen lassen, wie es ihm auch gefiel, daß der Jüngling stets demütig von ferne stand als ein fahrender Sänger, dem es nicht gebühre, mit einem hochgeborenen Ritter, auch wenn er ihm noch so wohl getan hätte, Freundschaft zu bauen. Er gedachte ihn daher mit nach Hause zu nehmen und als Diener zu behalten oder, wenn ihm dies nicht anstünde, ihn reich belohnt seine Straße ziehen zu lassen. Doch schwieg er noch davon, ließ es auch geschehen, daß der Knabe in den Herbergen, wo sie einritten, mit einem schlechten Nachtlager zufrieden war und nicht begehrte, seine Schlafkammer mit ihm zu teilen. Auf diese Weise sprachen sie wenig miteinander, denn der Ritter hatte alle seine Gedanken in der Heimat, und der Pilger ritt still neben ihm her, hatte den Hut ins Gesicht gerückt und trieb sein Tier beständig zur Eile an.

Als aber die Alpen hinter ihnen lagen, machte der Pilger auf einmal Halt. »Bruder,« sagte er, »unsere Wege scheiden sich: Nun gebt mir zum Andenken ein Stücklein aus Euerem Hemde, von dessen Tugend ich so viel habe reden hören, damit ich das auch anderen erzählen und beglaubigen kann.«

Herr Alexander, der sich des plötzlichen Scheidens nicht versehen hatte, bat ihn nun inständig, daß er mit ihm käme, und verhieß ihm größere Dinge, als er selbst ihm von Anfang zugedacht hatte. Aber der Pilger weigerte sich und sagte, er bedürfe keines Lohnes, außer der kleinen Gabe, woran ihm genüge. Der Ritter, der ohne Säumen nach Hause trachtete, willfahrte ihm zuletzt, schnitt ein Stück aus seinem Hemde, gab es ihm mit innigem Dank, wiewohl der Pilger, da er es nahm, wenig Dank und kühle Freude kund werden ließ, und so schieden sie, mit kurzem Gruße zwar, doch in Frieden und Güte voneinander. Herr Alexander wunderte sich in seinem Herzen, während er allein fürbaß zog, warum doch dieser Jüngling, der erst so Großes an ihm getan, sich darnach so sauertöpfisch gegen ihn erzeigt und alle angebotenen Ehren und Geschenke ausgeschlagen habe; doch dachte er, das eine werde einem Gelübde und das andere einer unlieblichen Sinnesart zuzurechnen sein.

Wie er endlich wieder in die Heimat kam und durch das Tor einritt, wurde er alsbald erkannt, und es erhob sich viel Freude und großer Zusammenlauf. Durch die ganze Stadt war es im Fluge lautbar geworden, daß Herr Alexander, der werte Degen, aus der heidnischen Gefangenschaft wiedergekommen sei. Da drängten sich auch seine Gefreunden und Gesippen zu, um ihn zu begrüßen, und der Ritter umfing und küßte sie und hieß alsbald ihnen allen ein fröhliches Gastmahl anrichten. Sie aber vergalten ihm nicht Gleiches mit Gleichem, denn noch ehe er sein Haus erreichte, hatten sie ihm eine böse Märe ins Ohr geblasen. Seine Verlobte, sagten sie und wetteiferten miteinander und konnten es ihm nicht schnell genug zu wissen tun, – Frau Florentina habe sich nicht so gehalten, wie es einer ehrbaren Magd gebühre; vielmehr habe sie einen welschen Ami bei sich gehabt, und wenn sie ihm auch nicht öffentlich zugetan gewesen sei, so müsse dies doch im geheimen geschehen sein; denn sie sei ihm nachgezogen und habe wohl in zwölf Monden, bis gestern, da sie unversehens heimgekehrt sei, nichts von sich vernehmen lassen. – So sprachen sie, und die mit dem verkappten Sarazenen am meisten geschmaust und geschlemmt hatten, die wußten nun am meisten Schande und Laster von ihr zu sagen.

Entbrannt von Zorn, kam Herr Alexander mit dem ganzen Gefolge von Nesselzungen in sein Haus, und als seine Braut aus dem ihrigen Botschaft sandte und ihn fragen ließ, ob sie allein von allen ungeladen bleiben solle, so entbot er ihr, er gedenke sie fürder mit keinem Zwange zu beschweren, sondern stelle es ihr frei, in der Welt umherzufahren, wo und mit wem sie wolle. Aber die Dienerin kam eilends wieder zurück und verkündete, ihre Frau habe sich einen Bürgen erlesen, der dem edlen Herrn sonder Zweifel genehm sein werde, und der Bürge stehe auch schon vor der Tür.

Während nun Herr Alexander und seine Gäste sich über diese Rede wunderten, ertönte von draußen ein Harfenklang. »Das ist der Pilger!« rief er und sprang empor. »Öffnet die Türe, daß ich ihn empfange!«

Die Türe wurde weit aufgetan, und herein trat Florentina. Sie hatte den Muschelhut aufgesetzt, über dem Arme hing ihr Pilgergewand, in der einen Hand trug sie die Goldharfe und in der anderen das Stück, das der Ritter aus seinem Hemde geschnitten hatte. Alles dieses legte sie getrost vor ihm nieder und sprach: »Hier ist meine Beglaubigung, Herr. Nehmet Ihr den Pilger zum Bürgen an? Er ist Euch ja, bei all Eurem Stolze, so wert, daß es Euch ein Kleines zu sein dünkte, ihm zu Ehren ein Werk meiner Hände zu zerstücken.«

Sie konnte nicht weiter reden, denn schon lag ihr ihr Bräutigam weinend zu ihren Füßen und umfaßte ihre Knie. Es war ihm wie Schuppen von den Augen gefallen, und er schämte sich bitterlich. Auch Florentina mußte weinen, doch trocknete sie schnell ihre Tränen, hob ihn auf und drückte ihn an ihre Brust.

Nachdem die beiden sich geherzt und versöhnt hatten, trat der Ritter vor die Ankläger seiner Verlobten und erzählte, was sie in diesen zwölf Monden getan hatte und wo sie gewesen war. Sie aber offenbarte ihnen, wer der italische Kaufherr war, mit dem sie so manchen Tag herrlich und in Freuden gelebt hatten. Da fielen auch sie ihr zu Füßen und baten mit großem Schall um Vergebung. Die wohlgezogene Frau verzieh ihnen allen. Herr Alexander aber ordnete noch in derselben Stunde die Brautleute an und ließ das Mahl nicht eher auftragen, als bis ihm sein getreues Lieb zur Ehe bestätigt war.

Nachdem man nun zum Hochzeitmahle niedergesessen war, und die Gäste fröhlich aßen und tranken, und ihre tugendsame Wirtin priesen, zog er die minnigliche Frau an sein Herz und fragte sie, warum sie sich ihm nicht früher zu erkennen gegeben habe.

»Ich weiß nicht,« antwortete sie, »warum ich's bei unserem ersten Wiedersehen nicht vermochte; ich meinte, ich müsse warten, bis Ihr im ritterlichen Gewand und Wesen vor mir stündet. Nachher aber hat mir's Saladin verboten. Ich habe ihm mein Wort darauf geben müssen, Euch auf dem ganzen Wege, dafern Ihr mich nicht von selbst erkennen würdet, fremd zu bleiben. Zürnet mir nicht, lieber Herr, daß ich das getan habe. Ich hatte keine Wahl, denn der Sultan sagte, er habe mir als einem Manne geschworen, und sei mir nun nicht schuldig den Eid zu halten, außer auf neue Bedingungen. Wohl sagte er's mit Scherz und Glimpf, aber in seinen spielenden Worten gab sich sein ernstlicher Wille zu vernehmen.«

»So habt Ihr Euch dem Sultan eher zu erkennen gegeben, denn mir?« fragte Herr Alexander und zog die Stirne in Falten.

»Mit keinem Worte!« beteuerte sie. »Erst als er mich mit Euch aus dem Gebirge zurückkommen sah, wußte er, wer ich wäre.«

Der Ritter schlug die Augen zu Boden. »So seid Ihr denn wohl auch der Bote, den er mir zu senden verhieß?« hob er nach einer Weile wieder an. »Und was ist die Leistung, die er mir angesonnen hat?«

Sie stockte, und ihre Botschaft wollte ihr nicht über die Lippen gehen. »Wenn ich nicht so eilig mit der Abfahrt gewesen wäre, so hätte er Euch wohl noch spitzere Rätsel ersonnen,« erwiderte sie ausweichend.

Er aber ließ nicht ab und bat, sie wolle ihm nichts verhehlen, was es auch sein möge. Auch gab er ihr zu bedenken, sie habe ja dem Sultan ihr Wort verpfändet, und ein gegebenes Wort müsse gehalten sein.

Darauf nahm sie ihm das Versprechen ab, daß er ihr ob Saladins Begehren nicht zürnen noch gram bleiben wolle, und als er ihr dies zugeschworen hatte, so tat sie ihm mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme des Sultans Willen kund. »Wenn es so verlaufen würde, wie es sich unterwegs und heute bei Eurer Heimkunst zugetragen hat,« sagte sie, »so legt er Euch auf, zu tun, was Frauenhänden obliege, nämlich Euer Hemd zu waschen,«

Der Ritter fuhr empor und schlug an sein Schwert, daß es klirrte. Blässe und Röte wechselten auf seinem Angesichte.

»Gedenket des Wortes, das Ihr mir soeben gabet, mein Herr und Gemahl!« sagte die schöne Frau ein wenig erschrocken und fuhr dann mit lieblichem Lachen fort: »Merket Ihr denn nicht, daß Ihr Euerer Pflicht entledigt seid, denn wo habt Ihr je gesehen, daß Frauen reine Hemden waschen?«

Nun verstand er auf einmal des Sultans Meinung, und war so betroffen, daß er nicht reden konnte, sondern beschämt in sich versank. Da sie aber seine Hand ergriff und ihm holdselig in die Augen sah, so schmolz ihm vollends alles Eis vom Herzen weg. »Krone der Frauen, herzliches Gemahl,« sagte er, »wenn Ihr mich je wieder unweise und unhold sehet, so gemahnet mich nur des Lehens, das ich von Saladin trage, und Ihr werdet mich wie Eueren Ärmel umwenden, ja gar, wenn es Euch gefiele, in den Pflug spannen können.«


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