Hermann Kurz
Gesammelte kleinere Erzählungen, 3. Teil
Hermann Kurz

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Der Feudalbauer.

In einem Wirtshause der schwäbischen Hauptstadt saß eines Abends im Spätjahr 1837 die gewohnte Gesellschaft, die sich seit einigen Monaten hier behaglich zusammengefunden hatte, Beamte, Künstler, Gelehrte, Schriftsteller, Handwerker, bunt gemischt, ohne Anspruch auf irgend einen anderen Rang als den, welchen die gesellschaftliche Steuerpflichtigkeit und Steuerfähigkeit begründet, beieinander.

Bald war die Unterhaltung zu einem Thema gelangt, das schon mehrere Abende ergötzlich fortgeklungen hatte. Ein angesehener Maler, origineller Hagestolz, aus dem oberen Teil des Landes gebürtig, der als Knabe noch die guten Zeiten des alten Reichs und der vorderösterreichischen Herrschaft mit ihrer Zopfromantik genossen, wurde durch allerlei Sticheleien und Anzüglichkeiten gereizt, den Satz, den er schon mehrmals mit wechselndem Glück verteidigt hatte, wieder aufzunehmen, und war in kurzer Zeit so im Feuer, daß er ganz unumwunden die Behauptung durchführte, das Land habe durch die Akquisition jener Provinzen erst seinen eigentlichen Nerv erlangt, da es vorher innerlich ohne Mark, nach außen ohne Kraft, ja eine wahre Bettlerhaushaltung gewesen.

Dies war das Stichwort zu den lustigsten Wortgefechten, denn da man wohl wußte, daß der jugendlich-lebhafte Mann es mit seinen Scheltworten nicht so bös meinte, war man stillschweigend übereingekommen, die Zustände bloß obenhin zu berühren, Halbwahrheiten gegenseitig für bare Münze anzunehmen und sich mit den verzweifeltsten Kontroversen zu hetzen. Jeder, der dem Staat erst durch die neue Ordnung der Dinge angehörte, schlug sich auf die Seite des Malers, und so entstanden zwei Parteien, die sich unter dem herzlichsten Jubel die Miene gaben, eine unheilbare Fehde auf Tod und Leben durchzufechten.

Von seiten der alten Landeskinder wurde ihm sogleich der Vorwurf entgegengehalten, daß der Mutterstaat durch seine neuen Erwerbungen sich nicht habe bereichern können, da er genötigt gewesen sei, eine unermeßliche Schuldenlast von ihnen zu übernehmen, und es fehlte nicht an Ausfällen auf die schlechte und leichtsinnige Wirtschaft des alten Regiments, – Pfeile, welche natürlich so gerichtet wurden, daß sie zugleich dessen Vertreter als einen sorglosen Künstler treffen sollten, wogegen er sich jedoch durch Vorweisung einer strotzenden Börse (eine humoristische Prahlerei, welche unter vertrauten Bekannten keinen Anstoß erregen konnte) vollkommen rechtfertigte. Er nannte diese seinen Feudalsäckel; denn die altertümliche Verfassung der großen Bauernhöfe im Oberlande war hauptsächlich der Gegenstand, um welchen der Streit sich schon mehrmals gedreht hatte, indem die Unterländer dieselbe als eine barbarische Einrichtung angriffen, welche neben einem einzigen Reichen eine Menge von Armen schaffe.

Dagegen machte der Maler die politische Selbständigkeit geltend, welche aus einer solchen Verfassung stieße, erinnerte an die norwegischen Edelbauern, welche so kräftig als ehrenvoll auf dem Storthing ihre Rechte behaupten, und rief endlich, als er von allen Seiten gedrängt wurde: »Was wollt ihr denn mit der Barbarei sagen? Was haben denn eure Bauern davon, daß ihre Güter verteilt werden? Bei uns ist doch einer im Besitz, und das macht ihn menschlich gegen seine Untergebenen, aber bei euch hat keiner etwas! Wovon leben denn eure Bauern? Mit Haften und dürren Zwetschen müssen sie die paar Kreuzer zu gewinnen suchen, mit denen sie kümmerlich ihr elendes Leben fristen! Dagegen sitzt der Feudalbauer wie ein Fürst auf seinem Gut, und nicht sein geringster Knecht würde mit einem von euren freien Haftenbauern tauschen!«

Nun hatte er einen harten Kampf zu bestehen, aber er wehrte sich wie einer der alten Kämpen, von welchen wir lesen, daß sie oft mit einem ganzen Heerhaufen im Kampfe sich herumgetummelt haben. Der liebenswürdige Mann war gewohnt, stets dem herrschenden Wesen Widerpart zu halten. Wie er während seines Künstlerlebens in Rom, obwohl selbst Romantiker, gegen jedermann den hartnäckigen Protestanten gemacht hatte, so gab er sich unter seinen protestantischen Landsleuten als eingefleischter Katholik, und in gleicher Weise verteidigte er in den Kreisen des modernen Erbrechts ein Herkommen, dem er vielleicht an Ort und Stelle ebenso lebhaft die Kehrseite vorgehalten haben würde.

Als vermöge einer stillschweigenden Übereinkunft die Waffen ruhten, nahm ein Beamter das Wort; man wußte, daß er erst vor kurzem aus einem der oberen Landesbezirke in die Stadt befördert worden war. »Meine Herren,« sagte er, »das Gespräch bringt mich auf eine Geschichte, die unserem Professor Wasser auf seine Mühle sein wird. Zwar dürfen Sie Ihre Erwartung nicht allzu hoch spannen; was aus dem Leben geschöpft ist, das pflegt nicht eben übermenschlich zu sein; doch wird Ihnen meine Erzählung von den Bauern da droben einen Begriff geben, den man mit dem ›schlichten Landmann‹ unserer unteren Gegenden nur selten verbindet.

Ich bekleidete bis vor einem Monat einen Posten bei der Verwaltung im Oberlande, und bei dieser Gelegenheit hab' ich mit einem der Bauern, von welchen die Rede ist, allerlei zu tun gehabt. Der Bezirk, in dem ich angestellt war, hatte während des französischen Wirrwarrs unter anderem ein Jahr lang dem Prinzen von O ... gehört, und Blomsperger – so will ich meinen Mann nennen – war eben zu der Zeit, als Land und Leute an unsere Regierung übergingen, eines leichten Waldfrevels wegen in Haft. Nun kennen Sie alle die Strenge unseres vorigen Herrn, namentlich in diesem Punkte: ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß der Angeschuldigte in dem Augenblicke, wo sein Vergehen stattfand, eine ganz geringe Strafe riskiert hatte, wurden die jetzt bestehenden Gesetze auf einen Fall, der gegen andere Gesetze und eine andere Obrigkeit verstoßen, angewendet, und – vergebens bot er Geld auf Geld – mein Blomsperger kam vier Jahre unter die Galioten.

Er hielt seine Zeit ruhig aus, wurde endlich wieder frei, kam zurück und war wieder der respektable reiche Mann, der er zuvor gewesen war. Darüber vergingen lange Jahre, der alte Herr war längst gestorben, die Sache tot und vergessen, und Blomsperger wurde in seinem Dorfe zum Schulzen gewählt. Ich muß auf Pflicht und Gewissen erklären, daß ich in meinem ganzen Amtsbezirke keinen vernünftigeren Schulzen gehabt habe: er ging den anderen mit einem guten Beispiel voran und wußte mehr als einmal die störrigen Gemüter den Neuerungen unseres Staatswesens geneigt zu machen. So lernt' ich ihn näher kennen und stand gar gut mit ihm, denn es war eine Freude, wenn man mit ihm zu verkehren hatte.

Aber seine Überlegenheit zog ihm Feinde zu, auch der Oberamtmann war ihm nicht grün, denn er verstand sich nicht auf Komplimente und hatte eine unerbittlich ehrliche Zunge, ein Ding das zu heißen, was es eben war. Nun kam ein Anschlag gegen ihn zustande, und ein schlauer Kopf besann sich, daß dieser Schultheiß einst eine entehrende Strafe erlitten habe, mithin zu keinem bürgerlichen Amte fähig sei.

Hiegegen war nichts weiter einzuwenden, und ich ließ daher meinen Mann in der Stille kommen. Blomsperger, sag' ich ihm, seht Euch beizeiten vor und blast zum Rückzug, es zieht ein Ungewitter gegen Euch auf.

Hoho, sagt' er (denn er hatte einen schnellen Merks), ich weiß schon, woher der Wind geht. Ist es vielleicht gewissen Leuten eingefallen, daß der Schulz von R... einmal Manschetten getragen hat? Nun, da will ich den Ulmer Kühhirten machen und diesen Spitzköpfen zuvorkommen!

In der nächsten Amtsversammlung stand er auf und begehrte bescheidentlich seinen Abschied. Der Oberamtmann zog die Stirn zusammen und sprach lateinisch mit mir, ich erwidert' ihm aber, ich hätt' meinen Schulsack schon längst verschwitzt, er sollte nur deutsch reden. Da sagt' er lachend: Ihr müßt Wind gehabt haben, Blomsperger. Es war allerdings an dem, daß man Euch den Marsch gemacht hätte; nun spielt Ihr, sozusagen, das Prävenire und zieht Euch gerade noch zur rechten Stunde zurück.

Damit war die Sache gut, aber der Bauer war fuchsteufelswild, und schwur Stein und Bein, es müsse anders werden und wenn er sein ganzes Vermögen dranrücken müßte. Ich war auf seiner Seite, denn es ließ sich nicht leugnen, daß man eine große Ungerechtigkeit gegen ihn begangen hatte. Also setzt' ich ihm eine Schrift auf und schickte ihn mit allerlei Instruktionen in die Residenz. Geld müßt Ihr mitnehmen, Blomsperger, sagt' ich ihm, Geld vollauf, denn es ist ein teures Pflaster dort, Ihr versteht mich schon!

Mein Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen, er steckte ein ganzes Kapital in seine Taschen und so marschierte er hierher. Vor dem Schloß angekommen, trat er, wie ich ihn unterwiesen hatte, zu dem roten bordierten Hahn, der dort auf und ab spazierte, drückt' ihm einen Kronentaler in die Hand und bat, er möcht' ihn hineinlassen, er habe eine wichtige Sache abzumachen. Also ließ der ihn durch. Er ging aber nicht ganz oben hinauf, sondern zu einem gewissen andern Herrn im Kabinett, den ich jetzt nicht nennen darf und dem er meine Supplik zu übergeben hatte.

Dort stellte er sich nach Art der Bauern, wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, rindshagelsdumm, richtete dem Herrn einen schönen Gruß von mir aus, was ihm Gott vergeben wolle, und bot ihm gleichfalls einen Kronentaler dar. Der Herr wurde bitterböse und wollte wissen, ob schon jemand Geld von ihm genommen hätte. Nun war er doch so gutmütig, das nicht zu verraten, nur, sagt' er, habe er gehört, daß man ohne zu schmieren nicht wohl durchkommen könne. Da lachte der Herr, daß er sich den Bauch halten mußte, sah die Schrift durch und sagte: Eure Sache ist gerecht; geht nur wieder nach Hause, guter Mann, Euch soll bald geholfen sein!

So kam er wieder zu mir, erzählte mir seine Gänge und hielt sich stille. Lange Zeit verging und es kam nichts. Da trat er mich wieder an und fragte, was zu tun sei. Nichts habt Ihr zu tun, sag' ich ihm, bleibt nur ruhig, ich merke schon, an welchem Nagel die Sache hängen geblieben ist; in vierzehn Tagen muß ich einer Angelegenheit halber in die Stadt und da will ich auch nach Euren Rüben sehen.

Als ich hierher kam, ging ich gleich ins Kabinett zu dem bewußten Herrn, entschuldigte mich wegen des unberufenen Grußes und fragte, ob die Sache noch nicht im reinen sei. Teufel! wie war der Herr so zornig! Nun erfuhr ich, was ich längst geahnt hatte: das Restitutionsdekret für den Blomsperger war schon vor sechs Wochen hinaufgeschickt worden, und der Oberamtmann hatte es mala fide liegen lassen. Ich bat, von meiner Mitteilung keinen Gebrauch zu machen, besorgte meine Geschäfte und reiste zurück.

Noch in derselben Nacht, in der ich ankam, schickt' ich hinaus (es war drei Viertelstunden weit) und ließ dem Blomsperger sagen, morgen mit dem frühesten solle er sich bei mir einfinden und alle Taschen voll Geld mitbringen, es stehe nicht gut und er werde unchristlich zahlen müssen; dem Boten aber habe er einen Sechsbätzner zu geben wegen der späten Nachtzeit, und zwei Schoppen vom Besten dazu. Das geschah.

Morgens um fünf Uhr – ich lag noch tief in den Federn – kommt mein Knecht herein: der Blomsperger stehe schon draußen! Laß ihn herein, rief ich lachend, und wie er vor meinem Bette stand, hub ich an: Hört, Mann, es tut mir leid, Euer Sach' steht schief und Ihr werdet noch obendrein gestraft. Habt Ihr Geld bei Euch?

So ziemlich, sagt' er gleichmütig, und zog rechts zweihundert Gulden und links zweihundert Gulden aus den ledernen Taschen.

Reicht nicht, sagt' ich bedenklich, Ihr werdet mehr brauchen. Versucht's einmal und geht ins Amthaus hinüber, heißt das, wenn die Leute erst auf sein werden, und fragt, ob nichts für Euch da sei, jetzt aber schiebt Euch fort und laßt mich noch ein wenig schlafen, ich bin noch müd' von der Reise.

Neun Uhr schlägt's, da stund mein Blomsperger schon wieder vor mir und hieß mich einen Kujon über den andern.

Als er vor den Oberamtmann getreten war, mochte diesem schon ein Vögelein gepfiffen haben. Er war sehr freundlich und sagte: Blomsperger! ich habe Euch eine angenehme Neuigkeit mitzuteilen. Das Dekret ist eigentlich schon vor einiger Zeit angekommen und durch ein Versehen, das ich recht sehr bedaure, unter andere Akten verlegt worden. Eure Strafe ist aufgehoben, Ihr seid in Eure bürgerlichen Ehren wieder eingesetzt, ich gratulier' Euch, jetzt könnt Ihr Schulz oder Bürgermeister werden, was Ihr wollt. – Nichts will ich werden, Herr! hatte er erwidert, mir ist's genug, daß ich wieder ein ehrlicher Mann bin.

Nun, und was habt Ihr bezahlen müssen? fragt' ich ihn.

Fünfzehn Gulden Sporteln. (Das war von Rechts wegen.)

Hat Euer Geld gereicht?

Und's reicht doch nicht! rief er, indem er an seine Taschen schlug, denn jetzt muß ich fragen, was ich Euch schuldig bin!

Hab' ich Euch denn die Zeche schon zu machen begehrt? rief ich, während er seine Rollen herauszuziehen und auf den Tisch zu legen anfing. Eingesteckt, wenn wir gute Freunde bleiben sollen! Wollt Ihr aber mit Gewalt wissen, was Ihr mir zu bezahlen habt, so will ich's Euch sagen. Meine Auslagen für Euch betragen einen Gulden und vierzig Kreuzer; damit könnt Ihr auf der Stelle herausrücken, wenn's Euch so darnach juckt.

Nein, das geb' ich Euch nicht, der Teufel soll mich holen! rief er wild; Ihr seid mein Vater, Ihr habt mich wieder zu einem Mann gemacht, und das sollt Ihr nicht umsonst getan haben.

Er wiederholte den Versuch noch mehrmals; da er aber sah, daß bei mir nichts anzubringen war, führte er sich ab und ging zu meiner Frau. Diese war schon von mir instruiert und wies ihn ebenfalls ab. Nun versteckte er noch eine Kronentalerrolle in einem Wandschrank, wo das Geld sogleich nachher aufgefunden und ihm ins Wirtshaus zur Traube nachgeschickt wurde; denn dort hatte er sein Standquartier genommen und trank nach Herzenslust.

Nachmittags um zwei Uhr machte ich einen Spaziergang mit zwei Bekannten und kam zufällig an der Traube vorüber. Ich dachte, er sei längst fort, aber er lag unter dem Fenster mit feuerrotem Gesicht und rief uns hinein. Da half kein Widerstreben. Ich verlangte ein Glas Bier, aber er schlug dem Traubenwirt das Glas aus der Hand und ließ Champagner kommen. Ich trank ein paar Kelche und ging nach Hause zurück an meine Geschäfte.

Abends acht Uhr, es fing an zu dämmern, ging ich wieder denselben Weg vorbei. Wer sieht zum Fenster heraus? Mein Blomsperger, der mich gleich wieder drin haben wollte. Jesus, Mann! rief ich, warum denkt Ihr nicht ans Heimgehen? Ihr habt so viel getrunken, seht zu, daß Euch kein Unglück widerfährt!

Heimgehen? rief er. Ja, daß ich ein Narr wäre! Holen sollen sie mich! ich habe schon nach dem Wagen geschickt. Nun ich wieder ein ehrlicher Mann bin, will ich heimfahren wie ein Herr!

Ich mußte lachen und blieb unter dem Fenster stehen; hinein zitieren ließ ich mich nicht. Unterdessen kam sein Sohn mit dem Wagen und einem stattlichen Geschirr angefahren. Vorzüglich gefiel mir das eine Pferd, ein Rappe, jung, glänzend, wohlgenährt, groß und von der besten Haltung. Der Junge mußte ein paarmal vor mir auf und ab fahren, um mir die feurigen Bewegungen des Rosses zu zeigen. Ich wünschte ihm glückliche Reise und ging meiner Wege.

Morgens in aller Frühe kommt der Knecht vor mein Bett: Von wem haben Sie denn das schöne Pferd gekauft, Herr?

Esel! sag' ich, was werd' ich ein Pferd kaufen? Reib' dir die Augen aus!

Aber er blieb bei seiner Aussage und versicherte, es stehe ein prächtiger Rappe im Stall, und ein nagelneues Geschirr hänge über der Krippe.

Ich zog mich schnell an und ging hinab; siehe da, es war Blomspergers Rappe. Der kommt mir wie gerufen, sagt' ich, geh und spann ihn gleich ein! Nun macht' ich mit meiner Frau ein paar Tage lang Spazierfahrten zu benachbarten Bekannten, denen ich Besuche schuldig war. Wie dies abgetan ist, sag' ich meinem Knecht: Heut nacht führst du das Pferd nach R –, stellst es ihm ganz leise in den Stall und hängst das Geschirr über die Krippe, gerade wie er's gemacht hat.

So geschah es. Am anderen Morgen kam er und sagte mir vollwichtige Grobheiten: ich wolle ihn zu einem schlechten Manne machen, er habe das Pferd selbst aufgezogen, es koste ihn nicht so viel, und dergleichen mehr.

Blomsperger, sagt' ich ihm, wenn ich ein Pferd nötig hätte, auf mein Wort, ich hätt' Euren Rappen behalten, aber ich brauch' ihn nicht und die Fütterung ist mir zu teuer.

Nun wiederholte er das alte Manöver mit dem Geld, und ich hatte Mühe, ihn zu überzeugen, daß ich mich nicht von ihm belohnen lassen könne. Endlich gab er sich zufrieden, aber die Geschichte ist noch nicht ganz aus.

Nach einigen Tagen hatt' ich Geschäfte in W –, einem meiner Amtsorte. Wie ich fertig bin, geh' ich vom Rathaus in den Hirsch, lass' mir einen Schoppen und etwas zu essen geben: Hirschwirt, was bin ich schuldig?

Nichts, Herr! der Blomsperger hat's schon bezahlt.

Ei, zum Teufel, so macht mir die Zeche!

Kann nicht sein! sagte er kopfschüttelnd: Heilige Mutter Gottes! er tät' mir das Haus einreißen, wenn ich einen Kreuzer von Ihnen nähme.

Der Hirsch war meine gewöhnliche Herberge. Ich ging ins goldene Roß, trank einen Schoppen Bier, fragte nach der Zeche – mein Blomsperger war auch dort gewesen und hatte mir den Paß verrannt. Um es kurz zu sagen, alle Wirtshäuser in meinem ganzen Amtsbezirk, von denen er nur im entferntesten denken konnte, daß ich sie besuchen würde, hatten den Auftrag, mich auf seine Kreide zu schreiben, so daß ich in die größte Verlegenheit kam und in meiner eigenen Amtsstadt nicht mehr zum Bier gehen konnte, bis mit meiner Versetzung, die mich gerade um jene Zeit hierher führte, das Wesen ein Ende nahm. Aber auch hier bin ich nicht sicher vor ihm, denn, wie er mir zum Abschied sagen ließ, muß ich jeden Tag seines Besuchs gewärtig sein.«

»Seht, ihr Herren!« rief der Maler triumphierend, »das ist der Feudalbauer! das kann keiner von euren Zwetschenbauern tun! Die halten den Lederbeutel fest zugeschnürt, auch die Vermöglicheren unter ihnen, die sich sehen lassen könnten.«

»Ei nun, sie sind doch auch wärmerer Regungen fähig,« bemerkte ein anderer. »Vor fünf Jahren, als wir den Polenbesuch hatten, kamen ein paar von den Flüchtlingen auf ein Dorf. Dort geriet alles in freudige Aufregung, die ganze Gemeinde war stolz, ihre Polen zu haben, so gut wie die umliegenden Städte. Sie wurden bestens bewirtet und beim Abschied mit einer Zehrung entlassen. Die Weiber hatten Leinwand beigesteuert, die dem Heimatlosen gar willkommen ist, und unter den tragbaren Lebensmitteln war, zur Erbauung unseres Freundes hier, ein Säcklein mit dürren Zwetschen nicht vergessen; auch etwas Geld lag dabei. Nur die Übergabe verursachte einige Schwierigkeit, denn der Schultheiß, der den Zeremonienmeister machte, begnügte sich nicht mit der stummen Sprache des Augenscheins, sondern glaubte eine Art Anrede halten zu müssen. Er führte daher die Gäste vor die Bescherung hin, deutete auf sich und die anderen Geber, dann auf die Gaben, zuletzt auf sie, die Empfänger, und sagte dazu deutlich artikulierend: G'schenkt – von uns! Die Polen, in der Meinung, er wolle ihnen noch was Besonderes sagen, zuckten die Achseln. Der Schultheiß wiederholte seine Rede lauter, indem er sie mit freundschaftlichen Rippenstößen begleitete. Da aber die Fremden auf ihrem Kannitverstahn beharrten, so schritt er zur äußersten Deutlichkeit, drückte ihnen die Köpfe zusammen und schrie ihnen aus Leibeskräften in die Ohren: G'schenkt, g'schenkt – von uns!« Alle lachten. »Die Methode wäre unseren Übersetzern zu empfehlen,« bemerkte ein junger Schriftsteller.

»Ich hab' einmal anders erfahren, wie der Bauer schenkt,« begann ein Landwirt, der sich zuzeiten in der Stadt aufhielt. »Durch den Tod eines Verwandten unvermutet Gutsbesitzer geworden, kam ich an einem schönen Sommerabend einen Fußweg dahergewandert, um in mein neues Eigentum einzuziehen. Die Felder, durch die mein Weg führte, waren mein und standen prächtig – das war alles, was ich von ihnen wußte, denn, bei der Feder aufgewachsen, mußte ich jetzt ein neues Leben beginnen. Wie ich so mich umsehe, bemerke ich ein altes Bäuerlein, dem das Hemd aus den Hosen schaut, mitten in der grünen Gerste am Boden beschäftigt. Da es etwas ängstlich tat und heimlich nach allen Seiten lugte, so duckte ich mich hinter den Rain und spionierte. Mein Männlein grapst und bekommt etwas in die Hand, das in schrillenden Tönen heftig schrie, wickelt das Ding ins Grastuch, steckt es in die Tasche und wuselt eilig fort, die Furche hinauf. Ich dachte: was mag das wohl für eine Grille sein, die so zirpt? Indessen kam ich bei dem alten Maier an, der mein Hofgut verwaltete, gestand ihm meine Unwissenheit, bat um Rat und Lehre und fing meine Einrichtungen mit ihm zu treffen an. Dazwischen fiel mir wieder ein, was ich gesehen hatte, und ich fragte ihn, welch Tierlein es wohl gewesen sein möge, das so geschrillt habe. Was anders als ein junger Hase? antwortete er lachend. Ehe er aber weiter reden konnte, klopft's an der Türe und herein wackelt das Bäuerlein. Es habe gehört, sagt' es, daß der junge Herr angekommen sei, und wolle ihm da nur ein Häslein verehren. Hatte der Spitzbub' auf meinem eigenen Jagdgrund und in meiner eigenen Gerste das Präsent gefangen, womit er sich mir empfehlen wollte!«

»Oder,« bemerkte der Beamte, »hatte er vielleicht doch gesehen, daß Sie ihn beobachteten, und hat sich so mit guter Art aus der Affäre gezogen; sonst würde er wohl das Präsent in seine eigene Küche getragen haben.«

»Kann auch sein,« erwiderte der Gutsbesitzer lachend.

Nun wurden eine Menge Züge aus dem Volksleben erzählt, wobei Verschmitztheit und herzloser Geiz die Hauptrollen spielten. Dagegen wurde von anderer Seite hervorgehoben, welche bittere Armut in manchen unserer Gegenden herrsche, und mit wie ergebenem Gleichmut sie ertragen werde. »Es gibt Albtäler,« sagte einer, »wo der Morgen Feld einen Gulden gilt. Da schafft mancher Mann den ganzen Tag mit nichts als einem Stück Brot in der Tasche, wozu er nicht einmal Most hat. An den steilen Bergabhängen mähen sie das Gras weg mit Lebensgefahr, denn der von der Sonne gedörrte Boden ist dort so glitschig, daß man wie auf Glatteis geht. Oder sie machen mit unsäglicher Mühe die verkrüppelten Bäume und Stumpen heraus, die ins Gestein gewachsen sind. Erst kürzlich hat ein grundbraver Mann, den ich kannte, bei dieser Arbeit das Leben eingebüßt. Arm, wie seine ganze Gemeinde – er war gleichfalls Schultheiß, aber kein oberschwäbischer – mühte er sich an einer Steinlinde ab, die plötzlich über ihn herrollte und ihn erdrückte, so daß er nur noch einen Jammerblick nach seinem anwesenden Sohn senden konnte. Und als man den Baumstorren von den schweren Steinen gesäubert hatte, gab er kaum ein Viertelmeß Holz.«

»Da vergeht einem die Lust,« rief einer aus der Gesellschaft, indem er das aufgehobene Glas wieder niedersetzte.

»Unsere Weingärtner nicht zu vergessen!« sagte ein anderer. »Wo gibt es einen Menschenschlag, der an Ausdauer diesen überträfe? Fleißig, sparsam, genügsam, von Fehljahr zu Fehljahr auf einen besseren Herbst hoffend, so daß man wohl von ihm sagen kann: Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf! Und wenn auf das fast regelmäßige Halbdutzend Fehljahre einmal ein gutes kommt, so hat der größte Teil kaum so viel gewonnen, um seine Schulden zu zahlen und knapp wieder fortzuleben.«

»Ja, ihre Genügsamkeit ist groß. Ich ging einmal an einem heißen Tage die Weinsteige hinauf spazieren. Von ungefähr zog ich die Dose heraus und schnupfte. Da rief es hoch über mir, ich möchte doch ein wenig verweilen, und ein alter Weingärtner kam eilig die langen Staffeln herab. ›Herr,‹ sagte er, ›Sie könnten mir eine Wohltat erweisen, wenn Sie mir eine Prise gäben, es ist so gut für den Durst.‹ Und kindlich vergnügt stieg er, als ich ihm meine Dose in ein Papier ausgeleert hatte, wieder zu der obersten Höhe des Weinbergs zurück.«

»Ihre Sparsamkeit,« hob ein vierter an, »steht besonders unter der Obhut ihrer Weiber. Ein Weingärtner hatte einen Schillerwein im Keller, der sein ein und alles war. Er liebte ihn wie seinen Augapfel, und liebte ihn viel zu sehr, um sich auch nur einen Tropfen davon zu gönnen; im Gegenteil, das Faß lag wohlverspundet und unberührt im Keller, ein stilles Heiligtum. Als aber der Mann krank wurde und zu sterben kam, sagte er zu seinem Weibe: Ich hab' eine wunderbare Lust, vor meinem Ende auch einmal meinen Schiller zu versuchen, gang, Weib, und hol mir einen Schoppen herauf. Sie aber sah ihn wehmütig und bedächtig an. O Johannesle, b'hilf di vollends, sagte sie. Und er behalf sich und starb, ohne von seinem Schiller gekostet zu haben.«

Nachdem der Eindruck dieser Erzählung, die unwiderstehlich wirkte, sich etwas gelegt hatte, nahm ein Arzt vom Lande das Wort. Er wurde häufig zu Kranken in die Stadt gerufen und brachte deshalb manche Abendstunde bis zum Postabgang in dieser Gesellschaft zu. »Aus unserem Bauernleben,« sagte er, »ist mir im Augenblick kein Zug von Großmut oder Splendidität gegenwärtig, den ich jenem flotten Oberschwaben gegenüberstellen könnte – wiewohl auch dem Unterländer ein Opfer auf dem Altar der Menschheit zuzutrauen ist, nur daß er vielleicht eher seine Haut zu Markte trägt als sein Klingendes – aber aus dem soeben mehrfach besungenen Stande kann ich mit einem Exempel aufwarten. Vorigen Herbst, in einem Dorfe meiner Nachbarschaft, über dem verdammten Schießen trug sich's zu. Der Schreiner des Orts schlägt das Gewehr auf einen Weingärtner an: Soll ich? Schieß! ruft der andere. Der Schreiner drückt ab; auf sechzig Schritte und mit einem Pfropfen im Laufe dachte er an nichts Arges. Aber der Weingärtner schlägt die Hände vor das Gesicht und stürzt mit einem Schrei zu Boden. Der Schütz hatte, wie so oft, die Schrote von der letzten Wilderei auszuziehen vergessen. Dieser warf die Flinte weg und rannte fort, ohne nachts heimzukommen. Man holte mich zu dem Verwundeten, aber ich konnte ihm sein Auge nicht wiedergeben. Den anderen Tag stellte sich der Täter ein und trat in Verzweiflung an das Krankenbette. Aber mitten in den ärgsten Schmerzen, streckte ihm der Weingärtner freundlich die Hand entgegen, tröstete ihn, so gut er konnte, und auch sein Weib stand ihm bei diesem Benehmen treulich bei. Ja, was nach dem bisher Besprochenen die Hauptsache ist, sie nahmen von dem Beschädiger, was er auch tun mochte, nicht einen Kreuzer Schmerzengeld. Ich muß ihm das Zeugnis geben, daß er sich alle redliche Mühe gab, sie dazu zu bewegen, aber es war vergebens; und von den beiden Teilen, die in geringem Wohlstande leben, ist er immerhin noch der reichere. Jetzt sind beide noch bessere Freunde als zuvor.«

»Das geht über unseren Feudalbauer,« sagte der Maler zu dem Beamten, indem er mit ihm anstieß.

Die Gesellschaft ließ den wackeren Weingärtner leben. »Eine solche Geschichte,« bemerkte einer, »erhält ihren Wert und Reiz vornehmlich dadurch, daß sie, wie in diesem Falle nicht zu zweifeln, eine wahre Geschichte ist«.

»Allen Respekt vor einem solchen Beispiele des Edelmuts!« versetzte ein anderer. »Und dennoch, da wir einmal ans Anekdotenerzählen gekommen sind, ist mir bei der Frage vom Schmerzengeld ein Gegenstück eingefallen, das ich nicht unterdrücken kann. Zwei Bauernbursche ringen miteinander; der eine stürzt und bricht dabei den Fuß. Aber schnell gefaßt: Da hast's, ab ist er! ruft er schadenfroh vom Boden dem Sieger zu. Der Gedanke an den Schadenersatz und all den Verdruß, der diesem bevorstand, half ihm den Schmerz verbeißen.«

Ein schallendes Gelächter erfolgte. »So etwas kann doch auch nur bei uns vorkommen!« rief man nationalstolz durcheinander.

»Aber seht ihr wieder einmal,« sagte der Maler, »wie der Satan in den verkehrten Menschengemütern seinen Sitz aufgeschlagen hat? Die schönste moralische Geschichte muß die Segel streichen, wenn eine andere aufs Tapet kommt, die mit etwas Teufelei gepfeffert ist.«

»Ja, aber je dümmer der Teufel, desto unterhaltender ist er gemeiniglich, und darin liegt doch auch wieder eine Art Theodizee.«

»Gute Nacht für heute!« hieß es von allen Seiten, und der erste Erzähler mußte noch versprechen, seinen Feudalbauer, so bald er den angekündigten Besuch machen würde, in die Gesellschaft mitzubringen.


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