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8.
Eine Begegnung.

Nebst vielen anderen Neuigkeiten hatte Zaklika auch in Erfahrung gebracht, daß des anderen Tages in Dresden neuerdings ein venetianisches Maskenfest, und zwar auf dem alten Marktplatze, stattfinden solle. Wie man sieht, lebte man nach wie vor am Hofe August's des Starken herrlich und in Freuden; da verstrich kein Tag, an dem es nicht ein Concert, einen Ball, eine Opern- oder Theatervorstellung, ein großes Souper oder sonst eine Zerstreuung gegeben hätte. Namentlich die Oper wurde sehr gepflegt, denn Frau von Dönhoff und ihre Schwester, Frau von Potzki, sowie die Marschallin Bielinska waren passionirte Musikliebhaberinnen. Man hatte die renommirtesten Componisten, Sänger und Musiker aus Italien her berufen. Es war da eine so auserlesene Künstlerschaar versammelt und man verwendete so große Kosten aus die Unterhaltung des Theaters, daß dieses unbedingt zu den besten in Europa gezählt werden durfte. Lotti lieferte stets neue Compositionen, Tartini gab glänzende Concerte und die Santa-Stella figurirte als Primadonna; außerdem waren noch die berühmteste Sopranistin ihrer Zeit, La Durestante, sowie die Sänger Benesino, Berselli und mehrere andere Sterne ersten Ranges durch hochbemessene Gagen und Pensionsaussichten nach Dresden gelockt worden; die Decorationen malte der unerschöpfliche Aldrovandini und das Orchester wurde von Bach dirigirt. Die gleiche Sorgfalt und ähnlicher Aufwand wurden dem Ballet und dem französischen Schauspiel zugewendet – mit einem Worte: Dresden stand damals in dieser Beziehung hinter keiner der Hauptstädte Europas zurück.

Der König, wie wir wissen, ein großer Liebhaber von Abenteuern und Vergnügungen aller Art, nahm an sämmtlichen Bällen und Maskeraden bei Hofe persönlich theil und mischte sich gerne in allerlei Masken und Vermummungen in das tolle Treiben, sich so allen erdenklichen Quiproquos aussetzend; er machte sich auch nichts daraus, wenn ihm aus dieser seiner Rolle hie und da eine kleine Unannehmlichkeit erwuchs.

Das venetianische Maskenfest, welches für den nächsten Tag angesagt war, sollte mit einem sogenannten »Jahrmarkt« enden, bei welchem echt polnischen Vergnügen Madame Dönhoff ebenso wie ihre Schwester die Rolle der »Gospodyni«, das heißt der die Fremden empfangenden und bedienenden Wirthinnen, zu übernehmen hatten. Die Einladungen, respective die formellen Befehle des Königs, bei diesem öffentlichen Feste zu erscheinen, ergingen an alle Edelleute und Bürger der Stadt, um den Festplatz zu füllen. In der Nacht vorher war bereits mit den Vorbereitungen zu dem glänzenden Schauspiel begonnen worden. Zu diesem Zwecke wurden viele Hundert Bauern aus den benachbarten Dörfern requirirt, denn es verschlug dem guten König sehr wenig, einige Tausend fleißige Hände ihrer Berufsarbeit zu entreißen, wenn es sich darum handelte, seiner Vergnügungssucht zu fröhnen ...

Zaklika war vor Tagesanbruch nach Pillnitz zurückgekehrt und hatte das ganze Haus noch im tiefsten Schlafe gefunden, so daß es ihm möglich war, gänzlich unbemerkt in sein Zimmer zu gelangen.

Die Zeit war kostbar und man durfte keinen Augenblick verlieren; sobald Zaklika daher wahrnahm, daß einer der Fensterläden vom Schlafzimmer der Gräfin sich öffnete, verließ der junge Mann das Haus und ging in ostensibler Weise mehrmals vor demselben auf und ab, um seiner Gebieterin Kunde von seiner Anwesenheit zu geben. Diese hatte ihn kaum bemerkt, so kam sie auch schon in den Garten herunter und wenige Augenblicke später trafen sich Beide am Ufer der Elbe.

Zaklika erstattete nun seiner Herrin genauesten Bericht über die Erlebnisse während seiner nächtlichen Reise und namentlich über seine Unterredung mit dem Bankier Behrendt Lehmann. Der junge Pole machte ihr begreiflich, daß es gefährlich und in hohem Grade hinderlich wäre, wenn sie ihre Kleinodien und das Geld, das ihr geblieben war, mit sich nehmen wollte. Er erbot sich, um keinen Verdacht zu erwecken, die Werthsachen selbst dem Bankier zu überbringen, und zwar sollte dies gegenüber den Hausleuten unter dem Vorwande einer Sendung von Kleidungsstücken und anderen Geschenken an die Kinder der Gräfin geschehen. Das bedeutende Gewicht der Koffer und Cassetten, welche die Kostbarkeiten enthielten, hätte leicht zur Entdeckung, der angewandten List führen können; allein die herkulische Kraft Raimund's erlaubte ihm beim Ausladen derselben auf einen Wagen auf die Mithilfe der Dienerschaft zu verzichten.

Gräfin Cosel gab zu allem ihre Einwilligung.

Zaklika unterbreitete ihr gleichzeitig den Plan für die beabsichtigte Flucht. Der Umsichtige hatte bereits Pferde gemiethet, welche sie am Waldessaume unterhalb Pillnitz, dort wo das Gehölz bis an den Fluß heranreichte, erwarten sollten. Er wollte alles so vorbereiten, daß eine längere Zeit verstreichen mußte, bis man in Pillnitz die Abreise der Gräfin gewahr werden konnte. Die Postrelais sollten an den geeigneten Orten ebenfalls im voraus bestellt werden, und so mußte die Gräfin sich bereits auf Preußischem Gebiete in Sicherheit befinden, bis die Nachricht von ihrer Flucht nach Dresden gelangte.

Der Plan war mit solcher Vorsicht und Klugheit angelegt, daß man mit vollster Sicherheit auf ein Gelingen desselben rechnen durfte. Raimund wollte eben in freudig gehobener Stimmung die Gräfin verlassen, als ihn diese zurückrief und ihm ankündigte, daß sie entschlossen sei, auf der Durchreise in Dresden zu verweilen, um dem angekündigten Maskenfeste beizuwohnen.

Diese Erklärung warf die ganze Zuversicht des jungen Mannes über den Haufen. Er blieb einen Moment wie versteinert stehen und starrte seine Herrin überrascht und ganz erschrocken an.

»Aber das ist ja ganz unmöglich!« rief er dann aus. »Das hieße sich ja freiwillig den Händen seiner Feinde überliefern! Man wird Euch erkennen, Frau Gräfin, und dann ...«

Doch Gräfin Cosel schüttelte eigensinnig den Kopf. »Ich will es einmal so,« sagte sie in befehlendem Tone, »und so soll es geschehen. Du kennst mich lange genug, um zu wissen, daß mein Wille unbeugsam ist und daß ich nicht von dem abgehe, was ich mir einmal vorgenommen. Ich will den König, ich will die Dönhoff sehen; das ist durchaus keine momentane Laune von mir, sondern es ist eine Nothwendigkeit, es ist ein Heilmittel für mich. Ich muß mich mit meinen eigenen Augen von der vollen Wahrheit überzeugen, damit ich mich entschließen kann, meine letzte Hoffnung aufzugeben, und den Mann verabscheuen und hassen lerne, den ich so sehr geliebt habe und noch immer liebe!«

»Aber, Madame, bedenkt doch die Gefahren, welchen Ihr Euch damit aussetzt!« sagte Zaklika.

»Ich weiß sehr wohl, was ich damit wage, und jede Warnung ist da überflüssig,« erwiderte die Gräfin. »Sie können sich meiner bemächtigen, mich nach dem Königstein bringen und in irgend einen finsteren Kerker werfen, ja, sie können mich selbst tödten – aber ich muß ihn sehen, sie sehen, ich muß hingehen. Um mein Leben zu vertheidigen, habe ich Waffen bei mir – alles Uebrige kümmert nur mich allein!«

Zaklika rang verzweifelnd die Hände; er kannte indessen den Charakter seiner Herrin zu gut, um noch weiter in sie zu dringen.

Die Gräfin verfügte sich nun wieder in ihre Gemächer, um in größter Eile all das, was Zaklika nach Dresden in Sicherheit bringen sollte, in Koffer zu packen. Raimund aber suchte Gottlieb auf, um ihm den Befehl zu überbringen, einen leichten Wagen zu bespannen; er erzählte ihm zugleich, daß die Gräfin ihren Kindern verschiedene Effecten und Geschenke schicken wolle. Gottlieb schöpfte nicht den mindesten Verdacht und hatte sicherlich keine Ahnung von dem, was vorging. Der Kutscher, welcher das Gefährt leiten sollte, war ein Schwachkopf, der sich in der Stadt nur sehr wenig auskannte! Raimund hatte überdies sich vorgenommen, ihn unterwegs tüchtig mit Spirituosen zu regaliren. Er brachte also die verschiedenen kleinen Koffer, unter Stoffen und Wäsche versteckt, in den Wagen und wies dann den Kutscher an, die Pferde ordentlich ausgreifen zu lassen.

Die Fahrt ging ohne jeden Zwischenfall von Statten. Bevor man nach Dresden kam, war der Kutscher schon so betrunken, daß er sicher nicht im Stande gewesen wäre, zu sagen, welchen Weg sie nach der Hauptstadt genommen oder an welchen Orten sie Halt gemacht hatten. Zaklika fuhr vorsichtigerweise auf einem abgelegenen, wenig frequentirten Wege seinem Ziele zu, stieg, dort angelangt, ab und öffnete die kleine Pforte des Lehmann'schen Gartens. Dann transportirte er die verschiedenen Koffer einzeln nach der Wohnung des ihn ängstlich erwartenden Bankiers, ohne daß er von irgend Jemandem im Hause bemerkt wurde, drückte dem ehrlichen Juden rasch zum Abschied die Hand und eilte zu dem in einiger Entfernung von der Gartenmauer haltenden Wagen zurück, auf dessen Sitz der Kutscher ruhig fortschlief. Raimund schwang sich eiligst auf den Kutschbock, ergriff die Zügel und nun ging es ohne Aufenthalt und mit thunlichster Beschleunigung nach Pillnitz zurück.

Während dieser Zeit hatte die Gräfin Cosel wehmüthig von den Lieblingsplätzen in ihrem stillen Zufluchtsorte Abschied genommen; dann verbrannte sie alle jene Briefe, die sie nicht mitzunehmen gedachte, und zwar mir der größten Vorsicht, damit niemand von der Dienerschaft etwas davon merken und sie etwa verrathen konnte.

Eben sollte zur gewöhnlichen Stunde das Diner servirt werden, als man der Gräfin einen ganz unerwarteten Besuch ankündigte: Graf Friesen und Graf Lagnasco, die augenscheinlich eigens nach Pillnitz entsendet worden waren, um nachzusehen, was da vorgehe.

Trotzdem ihr unter den obwaltenden Umständen dieser Besuch sehr ungelegen kam, besaß die Gräfin doch Selbstbeherrschung genug, um davon nicht das Mindeste merken zu lassen. Sie empfing also die Herren in der freundlichsten Weise, spielte die heitere Wirthin und that so, als ob sie sich bereits vollständig in ihr Schicksal ergeben hätte und an nichts Anderes denke, als sich zu bleibendem Aufenthalt in Pillnitz einzurichten. Sie trug die größte Gleichgiltigkeit gegen das, was in der Stadt vorging, zur Schau und ließ sich nur wie zufällig einige Worte des Bedauerns über ihr Schicksal, aber auch zärtlicher Zuneigung zu dem undankbaren König entschlüpfen – kurz, sie spielte ihre Rolle so geschickt, daß die beiden Besucher vollständig getäuscht wurden und nicht im Entferntesten ahnen konnten, was sich in den nächsten Stunden schon ereignen sollte.

Graf Friesen hatte auch noch eine persönliche Bitte auf dem Herzen; er war eben in Geldverlegenheit und hoffte, eingedenk der vielen Beweise freundschaftlicher Gesinnung, welche ihm die Gräfin schon gegeben, und der Achtung, welche sie stets vor ihm gehegt, daß sie ihm mit einer beträchtlichen Summe, deren er eben bedurfte, aushelfen werde. Indessen hatte er sich hierin getäuscht; lächelnd erwiderte die Cosel auf seine diesfällige Bitte:

»Ach, mein lieber Graf, ich bin viel ärmer, als Ihr vorauszusetzen scheint. Vergesset nicht, daß Seine Majestät die Gewohnheit hat, Denjenigen, welche seiner Gnade verlustig geworden, all die Geschenke, die er ihnen gemacht, wieder abzunehmen. So ist mir denn nur sehr wenig geblieben und das, was ich noch besitze, kann ich von einem Tage zum anderen auch verlieren. So gern ich Euch daher gefällig sein möchte, bin ich doch leider nicht in der Lage, Euerem Wunsche zu entsprechen.«

Als Mann von Welt ließ Friesen keinerlei Verstimmung über das Fehlschlagen seines Planes merken.

Die Besucher blieben, indem man abwechselnd vom König, von der Dönhoff und den verschiedenartigen Vorfällen am Hofe plauderte, bis zum hereinbrechenden Abend in Pillnitz. Glücklicherweise mußten sie diese Nacht auf dem Maskenfeste erscheinen, da der König ihnen ihr Fernbleiben nicht verziehen hätte, und so erhoben sie sich endlich und verabschiedeten sich von der Gräfin, welche bereits mit fieberhafter Ungeduld auf ihr Gehen wartete.

Schon war es dämmerig geworden, die festgesetzte Stunde der Abreise nahte. Ein durch die lange Unterhaltung mit ihren Gästen verursachtes heftiges Kopfweh vorschützend, entließ die Gräfin ihre Leute, indem sie vorgab, daß sie sich sogleich zu Bette begeben werde. Es wurde ausdrücklich anbefohlen, jedes Geräusch im Hause zu vermeiden, da die Herrin dringend der Ruhe bedürfe.

Als die Nacht vollends hereingebrochen war und Zaklika der scharfe Wache hielt, den geeigneten Moment gekommen glaubte, klopfte er sachte einigemale an die kleine Thür, welche in den Garten führte. Die Gräfin harrte bereits mit Spannung dieses Signales ... Nach wenigen Secunden schon öffnete sich die Pforte geräuschlos, ein schwarzer Schatten zeigte sich und auf der Schwelle erschien eine tiefverschleierte, ganz vermummte Frauengestalt. Diese ergriff die Hand, welche ihr Zaklika entgegenhielt, und Beide verschwanden rasch in dem Garten und befanden sich bald am Ufer der Elbe.

Hier angekommen, stieg man in eine bereit liegende kleine Barke, die Zaklika mit einem kräftigen Stoß vom Ufer abtrieb. Lautlos glitt nun das kleine Fahrzeug, hie und da am Schilfe des Ufers streifend, auf den Wellen dahin, sich im tiefen Dunkel der Nacht verlierend.

Nach einer Kahnfahrt von kaum einer Viertelstunde steuerte Zaklika dem Ufer zu; man war an der Stelle angelangt, wohin er den Wagen bestellt hatte. Eine ziemlich unansehnliche Kutsche, mit vier Pferden bespannt, harrte am Rande des Waldes der Flüchtlinge. Raimund half der Gräfin rasch in den Wagen, warf einen langen Domino über seine Schultern, nahm eine Maske vor das Gesicht und setzte sich dann zu dem Kutscher auf den Bock.

Galante Abenteuer aller Art waren zu jener Zeit etwas so Alltägliches, daß bei dem biederen Rosselenker, selbst wenn er nicht ein so verläßlicher Mann gewesen wäre, diese Flucht, oder vielmehr diese Entführung, durchaus keinen Verdacht erweckt hätte.

Bald war man auf die Straße gelangt und nun ging es in größter Eile nach Dresden zu. In der Stadt selbst, und zwar am Ufer der Elbe, hatte Zaklika bereits für ein Passendes Absteigequartier Sorge getragen; auch ein anderer Wagen mit frischen Pferden stand da bereit.

Die ersten zwei Meilen wurden in leichtem Galopp zurückgelegt; als man sich der Stadt näherte, hieß Raimund den Kutscher etwas langsamer fahren, stieg ab und machte, neben dem Wagen hergehend, noch einen letzten Versuch, die Gräfin von ihrem unglückseligen Entschluß abzubringen, das Maskenfest zu besuchen – allein all sein Reden war umsonst, die eigensinnige Frau hatte darauf nur eine abwehrende Handbewegung und befahl dem jungen Polen endlich entschieden, nicht weiter von der Sache zu sprechen. Traurig nahm Zaklika seinen früheren Platz wieder ein und man fuhr nun ohne Aufenthalt bis zur großen Brücke, wo die Flüchtlinge den Wagen verließen, um ihren Weg zu Fuß fortzusetzen.

Die sächsische Hauptstadt bot an diesem Abend einen überaus blendenden und animirten Anblick, sie strahlte in Festesfreude. Eine dichte Menschenmenge füllte die Straßen; Edelleute, Burger, Dienstleute – kurz, die ganze Einwohnerschaft nahm an dem Vergnügen theil. Lachen, Schreien, Scherzen ertönte von allen Seiten. Das Volk fand natürlich großen Gefallen an diesen verschwenderischen Hoffesten, die ihm nicht nur selbst Zerstreuung, sondern auch materiellen Gewinn brachten.

Die Häuser der Schloßstraße waren festlich geschmückt und die Fenster hell erleuchtet; an vielen Orten hingen farbige Lampions. Auf der Straße selbst herrschte ein solches Gedränge von Wagen, Tragsesseln und neugierigen Fußgängern, daß es schwer fielt, sich einen Weg durch das Gewühl zu bahnen.

Dieses Schreien und Lärmen machte anfangs einen peinlichen Eindruck auf die Gräfin, welche seit ihrer Verbannung vom Hofe an derlei nicht mehr gewöhnt war. Mehrmals blieb sie zitternd stehen, als ob die Kräfte ihr versagten oder der Muth sie verlassen hätte; aber wie von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, eilte sie immer von neuem wieder vorwärts. Zaklika wich ihr nicht von der Seite und war bestrebt, sie so viel als möglich neugierigen Blicken zu entziehen.

Als sie auf dem großen Festplatze anlangten, war das Gedränge geradezu lebensgefährlich geworden. Von dem Balkon des Stadthauses herab schmetterte ein in wunderliche Costüme gestecktes Musikcorps seine Fanfaren, während unten die große Menge von Masken in den buntesten und sonderbarsten Anzügen hin und her wogte.

Rings um den Marktplatz erhoben sich allerlei Schaubühnen, Baracken und Stände, welche mit Blumen- und Laubgewinden reich geschmückt waren und in denen Damen in orientalischen Costümen tausenderlei Kleinigkeiten, Kuchen, Bonbons, Leckereien und Erfrischungen aller Art feilboten. Um einzelne dieser Boutiquen, welche glänzender und reicher ausgestattet als die anderen waren, drängten sich besonders zahlreiche Gruppen, aus denen unaufhörlich Lachen und Scherzen ertönte. Die Häuser, welche den Platz umgaben, waren festlich beleuchtet und übergossen denselben mit einem wahren Lichtmeere. Die Verschiedenartigkeit der Masken, die oft bizarren Formen derselben und die reiche Abwechslung in den Farben boten einen überaus malerischen Anblick.

Auf einem eigens zu diesem Zwecke improvisirten Theater belustigten Harlekins und Pulcinelle die Menge mit ihren Späßen. Hier herrschte der größte Zulauf; die Zuschauer drängten und stießen sich da unaufhörlich hin und her. Das Lachen, Kreischen und Beifallklatschen steigerte sich hier mitunter bis zu einem Grade, daß alles, selbst die schmetternden Fanfaren der Musik, übertönt wurde.

Das Singen, die Musik, das Bravorufen, Schreien, Lachen und Schellengeklingel bildeten zusammen einen so wüsten Lärm, daß man buchstäblich davon betäubt wurde. Und solch wildes Treiben nannte man Vergnügen! Dieser »Jahrmarkt« mit seinem wogenden Meer von Köpfen, von in der Luft herumfuchtelnden Armen, mit all diesen wie wahnsinnig umhertanzenden, springenden und sich heiser schreienden Menschen in seidenen, spitzenbesetzten Gewändern, mit Flitter und allerlei bunten Lappen übersäet, mußte indessen jedem denkenden Menschen nichts weniger als anziehend erscheinen.

Manchmal löste sich aus dem in unaufhaltsamer Bewegung befindlichen Menschenknäuel irgend eine hübsche graziöse Erscheinung ab, die das Auge des Zuschauers zu fesseln vermochte, um schon im nächsten Moment, von einer Woge davongetragen, dem Blicke zu entschwinden, vor dem dann wieder irgend eine monströse Mißgeburt menschlicher Phantasie auftauchte.

Auf den Balkons und an den Fenstern der nächsten Häuser sah man reichgeschmückte Frauen, die das wirre Schauspiel betrachteten, während in den Fenstern der oberen Stockwerke und den Dachluken der entfernter gelegenen Gebäude die Silhouetten jener Armen mit fahlen Gesichtern sich zeigten, welchen das Schicksal es versagt hatte, sich zu schmücken, zu vergnügen und zu jauchzen wie die tolle Menge, auf welcher ihre Augen sehnsüchtig hafteten.

Von Zeit zu Zeit stiegen Raketen auf und erfüllten zischend die Luft mit ihren Feuergarben oder zerplatzen hoch oben, farbige Sterne herniedersendend. Aus den Häusern und den Boutiquen ging hin und wieder ein Regen von Bonbons auf die Volksmenge nieder, stets mit erneutem Schreien und Lachen beantwortet ...

Angesichts dieses ihr völlig fremd gewordenen Schauspieles fühlte Gräfin Cosel ihren Muth und ihre Kräfte schwinden und unschlüssig blieb sie am Eingänge zum Festplatze stehen. Zaklika, der ihr Zögern bemerkte, beeilte sich, dasselbe zu benutzen und nochmals einen Versuch zu unternehmen, seine Herrin von ihrem unseligen Vorhaben abzubringen.

»Ich beschwöre Euch, gnädige Frau, kehren wir um!« flüsterte Zaklika seiner Gebieterin ins Ohr.

Statt jeder Antwort mischte sich nun die Gräfin, als ob es nur dieses Anstoßes bedurft hätte, um sie ihre ganze Energie wieder finden zu lassen, entschlossen in die tobende Menge, neugierige Blicke rings umher sendend.

Plötzlich erbebte sie und blieb wie versteinert stehen. Einige Schritte vor sich sah sie einen jener venetianischen Edeln stehen, welche auf den Maskeraden jener Zeit so sehr beliebt waren.

Auf dem Kopfe ein Barett mit schwarzer Feder, in eine dunkle Sammtrobe gekleidet, eine goldene Kette über die Brust und eine schwarze Maske vor dem Gesicht, nahm der Mann, die eine Hand auf die Hüfte gestützt, eine so malerische und gutstudirte Stellung ein, daß er wohl einem Künstler als Modell dienen konnte. Eine ganze Menge von Masken wogte um ihn her; in einiger Entfernung von ihm hielten sich zwei beinahe ganz gleich gekleidete Männer.

Die Cosel hatte in dem Venetianer auf den ersten Blick August den Starken erkannt. Der herkulische Apollo Sachsens hatte in seinem Königreiche Keinen seinesgleichen, obwohl dort die schönen Männer nicht eben allzu selten waren.

Gräfin Cosel überlegte einen Augenblick, was sie thun solle; sie fand indessen bald ihren Muth wieder und näherte sich festen Schrittes dem Venetianer.

Ungeachtet ihrer Verkleidung und trotzdem weite Gewänder ihre schönen Formen vollständig verhüllten, war es doch einem geübten Auge möglich, die Gräfin zu erkennen, denn sie hatte nichts von ihrer majestätischen Haltung und der Eleganz ihrer Bewegungen verloren, gleichwie ihre unvergängliche Jugend und Schönheit ihr bis zum Tode bewahrt blieben.

Der König, welcher sie ebenso plötzlich erblickte, schrak sichtlich zusammen; er wendete sich rasch nach ihr um, betrachtete sie aufmerksam und schien seinen Augen nicht zu trauen.

Die Gräfin ging mehrmals an ihm vorüber, ohne stehen zu bleiben. August, dessen Neugier auf das höchste gespannt war, ging ihr, als sie sich ihm wieder näherte, einige Schritte entgegen. Es schien, als wolle er sie anreden; plötzlich blieb er jedoch, wie von einer geheimen Furcht zurückgehalten, wieder stehen. Wiederum schritt nun Anna an ihm vorüber und fixirte ihn in herausfordernder Weise. Diesmal konnte sich August nicht mehr zurückhalten, er ging auf die räthselhafte Unbekannte zu. Am sächsischen Hofe wurde stets französisch gesprochen; in dieser Sprache entspann sich denn auch das nachfolgende Gespräch. Die Gräfin war bestrebt, ihre Stimme zu verändern, August gab sich diesfalls keine Mühe.

Wer mag es ermessen, was in diesem Augenblicke in der Seele der schwergekränkten Frau vorging? ...

»Auf Ehre, hübsche Maske, begann der König, nachdem er sie aufmerksam vom Kopf bis zum Fuß gemustert hatte, »ich kann mich rühmen, alle Leute hier zu kennen ... und doch ...«

»Und doch kennst Du mich nicht, wie?«

»Weißt Du etwa, wer ich bin?«

»Ich weiß es!«

»Pah! ... Wer glaubst Du denn, daß ich sei?«

Mit leicht zitternder Stimme, jedoch scharfer Betonung, schlug die Antwort: »Ein elender Henker!« an sein Ohr.

August hob stolz den Kopf. »Oho, das ist ein schlechter Witz!« sagte er rasch.

»Es ist die volle Wahrheit, was ich gesprochen.«

Durch diese Kühnheit betroffen, betrachtete König August aufs neue aufmerksam die vor ihm Stehende von allen Seiten.

»Wenn Ihr mich wirklich kennt und trotzdem es wagen würdet, mir ein solches Wort ins Gesicht zu schleudern, so glaube ich wohl sagen zu dürfen, daß ich Euch kenne, Madame!« sagte er nach einer Weile. »Aber nein – nein, das ist unmöglich!«

»Ich bin dessen sicher, daß Ihr mich nicht kennt,« erwiderte die Gräfin lachend.

»Ich glaube wirklich, daß Ihr Recht habt. Ihr könnt in der That nicht jene Person sein, auf die ich einen Augenblick rieth; denn diese würde es nicht wagen, hierher zu kommen, sicherlich nicht ohne meine Erlaubniß.«

»Ist es eine Frau?«

»Ja, Madame!«

»Und Ihr sagt, daß eine Frau es nicht wagen würde, hierher zu kommen – ohne Erlaubniß? Ah, das wäre schön!«

Nach diesen Worten brach Anna in lautes Lachen aus.

Dem König lief es eiskalt über den Rücken, als er dieses Lachen hörte. Neuerdings wurde sein Verdacht rege; er versuchte rasch die Hand der jungen Frau zu ergreifen. Diese aber entzog sie ihm heftig und wich einen Schritt zurück.

»Ich vermuthe, schöne Maske, Du willst mich nur zum Besten halten ... Du sagst, daß Du mich kennst,« murmelte August.

»Nein, Euch kenne ich nicht,« erwiderte Anna; »wohl kannte ich einmal einen Mann, der Euch gleichsah, aber dieser besaß ein wahrhaft königliches Herz, echte Herrscherwürde und eine Heldenseele, während Ihr ...«

Wie immer, wenn der Zorn ihn übermannte, fühlte der König, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.

»Holla, schöne Maske!« schrie er, »das überschreitet denn doch die Grenzen der Maskenfreiheit!«

»Ich glaube, die Maskenfreiheit ist eine unbeschränkte.«

»Nun, so beende denn Deinen vorhin begonnenen Satz,« erwiderte August; »während ich ...?«

»Ihr? ...« Die Gräfin schien nach dem richtigen Worte zu suchen; rasch aber fügte sie hinzu:

»Ihr, mein Herr, wenn Ihr nicht ein Henker seid, so seid Ihr ein Spielzeug in den Händen der Knechte des Henkers!«

»Cosel!« rief August nun heftig, sie am Arme ergreifend.

»Nein,« sagte die Maske, ihren Arm mit einer raschen Wendung wieder losmachend, »nein, ich bin nicht Cosel. Sicherlich könnte die unglückliche Frau, wenn sie hier wäre, nicht mit ansehen, was hier vorgeht ... Ich habe die Frau, deren Namen Du eben genannt, früher öfter gesehen, habe sie ziemlich gekannt – aber Du magst mir glauben, daß ich nichts mit ihr gemein habe. Sie ist todt, denn die Elenden haben sie getödtet – ich aber lebe und ich fürchte diese Elenden nicht!«

Während dieser Worte war der König ruhig stehen geblieben, unverwandten Auges die Maske anblickend und kaum im Stande, die Aufregung zu verbergen, die sich seiner bemächtigt hatte. Anna aber näherte ihren Mund nun Plötzlich seinem Ohre, flüsterte ihm ein paar Worte zu und entsprang dann unter höhnischem Gelächter mit einigen flinken Sätzen.

Bevor noch der König genug Zeit gefunden hatte, sich von seiner Ueberraschung zu erholen, war sie verschwunden. Sogleich machte er sich daran, sie zu verfolgen, aber vergeblich; sie hatte sich geschickt mitten durch die wogende Menge geschlichen und Zaklika, der ihr folgte, trug dafür Sorge, sie möglichst den Blicken der Verfolger zu entziehen. Als sie bei den Buden angelangt war, nahm sie eiligst ihren schwarzen Mantel ab und hing ihn verkehrt über die Schultern. Die Innenseite desselben war scharlachroth, so daß sie im Augenblick für Diejenigen, welche sie vorher sahen, ganz unkenntlich wurde. So durfte sie es ohne Furcht, sich zu verrathen, wagen, nochmals den ganzen Platz zu überschreiten und die Verkaufsbude aufzusuchen, wo sich ihre Rivalin aufhielt.

Die Gräfin war mit dieser Art von Festen wohl vertraut; sie hatte gar manchmal die erste Rolle bei solchen Maskeraden gespielt und kannte daher die Anordnung und das Programm derselben genau genug. So brauchte sie auch nicht lange, bis sie das Gesuchte gefunden hatte. In einer der drei gegenüber dem Stadthause aufgeschlagenen Buden, welche reich mit Guirlanden von Citronen geschmückt war, hatte sich Madame Dönhoff in einem mit Edelsteinen übersäeten neapolitanischen Costüme niedergelassen.

Nicht weit davon bot ihre Schwester, Frau von Potzki, in Gesellschaft des Grafen Friesen Erfrischungen an. Der liebenswürdige Cavalier unterstützte sie in galantester Weise; eine Guitarre umgehängt, ging er unermüdlich ab und zu. Die Marschallin Bielinska, als Venetianerin gekleidet, vervollständigte das Tableau; an ihrer Seite hielt sich selbstverständlich der von ihr unzertrennliche Montargon.

Die Dönhoff war eine kleine, noch sehr junge Frau, mit einem ziemlich abgelebten, jeder natürlichen Frische entbehrenden Gesichte, das nur durch Schminken künstlich einige Färbung erhalten hatte. Unter einem erheuchelten Ausdrucke von Melancholie barg sich bei dieser Frau ein äußerst genußsüchtiges und leichtfertiges Wesen. Das Comptoir, an dem sie ihren Platz eingenommen hatte, war von einer Menge junger Edelleute buchstäblich belagert. In erster Linie sah man unter dieser Schaar von Bewunderern den französischen Gesandten Besenaul, dessen Schwänke und Bonmots bei der Geliebten des Königs Ausbrüche der tollsten Heiterkeit hervorriefen.

Es gelang Gräfin Cosel, einen Platz an der Credenz zu finden, von wo aus sie ihre Rivalin bequem zu betrachten im Stande war. Unter ihrer Maske hervor schleuderte sie derselben haßerfüllte Blicke zu. Es schien, als ob die Dönhoff diese Blicke fühlte, denn sie erzitterte förmlich unter dem Eindruck derselben und wendete sich ganz betroffen nach der Gräfin um.

Im nämlichen Moment streckte diese ihre feine, aristokratische Hand aus, um ein Glas Limonade in Empfang zu nehmen, welche die Dönhoff eben für ihre Gäste bereitete.

»Schöne Wirthin,« sagte Gräfin Cosel in ironischem Tone, aber mit vor Aufregung zitternder Stimme, »ich bitte Dich, habe Mitleid mit einer armen, aufgeregten Frau. Ich verlange kein Almosen von Dir, denn ich weiß, daß Du nichts umsonst zu geben liebst und Dir alles, was Du giebst, theuer bezahlen läßt.«

Während sie diese Worte sprach, ließ die Gräfin einen Louisd'or auf den Tisch fallen.

Frau von Dönhoff war in hohem Grade verwirrt durch die Ansprache; sie begriff instinctmäßig, daß die eben gehörten Worte eine Drohung gegen sie enthielten. Eilig reichte sie der mysteriösen Unbekannten das Glas mit dem Getränke und ihre Hand zitterte dabei derart, daß sie dasselbe verschüttete.

»Auf ein Wort!« sagte nun die Gräfin, indem sie sich zu dem Ohr der Geliebten des Königs neigte und dieselbe beiseite zog. »Sieh' mich einmal an!« Dabei hob sie ihre Maske ein wenig in die Höhe, jedoch so, daß niemand als die Dönhoff ihr Gesicht sehen konnte.

»Betrachte mich wohl,« fuhr sie fort, »und präge Dir diese Züge gut ins Gedächtniß ein, denn es sind diejenigen Deiner unerbittlichsten Feindin, welche Dich mit ihrem Fluche bis zur Stunde Deines Todes verfolgen wird, schamlose Kokette! Betrachte mich – ich bin Diejenige, vor welcher Du so sehr Furcht hast und welche Du am liebsten in einen tiefen Kerker werfen ließest. Ich bin Diejenige, welcher Du das Herz des Königs gestohlen hast und welche Dich unausgesetzt, Tag und Nacht, verflucht und verwünscht. Erinnere Dich, daß ein gleiches Schicksal wie das meinige auch Dich erwartet! ... Ich bin nur durch Verrath unterlegen; mein Fall fand mich rein von Schuld und ich habe mir dabei die Achtung der Welt bewahrt – während Du einst entehrt, beschimpft und mit der Verachtung aller anständigen Leute beladen, von hinnen gehen wirst, wie die Niedrigste unseres Geschlechtes! Nur um Dir das zu sagen, habe ich Dich ausgesucht. Denk' an diese meine Worte, Unglückliche!«

Von unsagbarem Schrecken ergriffen, fühlte Frau von Dönhoff ihre Knie heftig zittern; die Erwiderung erstarb ihr auf den Lippen und alles Blut war ihr aus den Wangen gewichen. Der Auftritt zwischen den zwei Frauen hatte inzwischen großes Aufsehen erregt. Rings um die Bude, in welcher sich die Scene abspielte, war ein förmlichen Tumult entstanden. Auch der König war unterdessen herbeigekommen. Die Gräfin aber entschlüpfte mit Hilfe ihres getreuen Zaklika rasch wie ein Aal, verlor sich in der Menge und gewann so den Ausgang des Festplatzes. Hier angelangt, zog ihr Begleiter sie rasch in ein Seitengäßchen und sie eilten nun, so schnell es anging, dem nächsten Stadtthore zu.

Hinter den Flüchtlingen erreichte der Lärm nun seinen Höhepunkt. Aus der wogenden Menge auf dem Marktplatze ertönten unausgesetzt Rufe aller Art und in allen Modulationen; die Trommler schlugen Appell und die Trompeter ließen Alarmsignale ertönen – kein Zweifel, daß man die Flüchtige sogleich verfolgen werde. Zaklika, im höchsten Grade beunruhigt über den Ausgang dieses unklugen Abenteuers, zog seine Pistolen unter dem Mantel hervor und folgte in raschem Laufe der vor ihm her eilenden Gräfin. Nach und nach verschwamm der bis zu ihnen dringende Lärm mehr und mehr und wurde zu einem dumpfen, entfernten Murmeln. Die Gräfin hatte während des Dahineilens ihren Mantel wieder umgedreht. Zum Glück war den beiden Flüchtlingen bisher fast niemand begegnet, denn Raimund, der die Stadt genau kannte, führte die Gräfin durch ein Gewirr enger, finsterer Gäßchen, die selbst bei Tag wenig belebt waren. Zuweilen, wenn sich ihnen ein Blick in eine der benachbarten Hauptstraßen eröffnete, bemerkten sie eine Patrouille, eine Carrosse oder einen Reiter, welche denselben Weg zu nehmen schienen.

Als sie endlich in die Nähe des Stadtthores gelangt waren, vernahmen sie zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß der Befehl ergangen war, alle Thore zu schließen, und ein ausdrückliches Verbot vorlag, irgend einer Frau den Austritt aus der Residenz zu gestatten. Viele, welche eben die Stadt hatten verlassen wollen und denen sie auf dem Rückweg begegneten, besprachen laut dieses Verbot und beklagten den unangenehmen Vorfall, welcher sie zwang, bis zum anderen Morgen in Dresden zu verbleiben.

Zaklika ging auf einen Vorübergehenden zu und fragte, um sich genau zu versichern, ob sich das Verbot ohne Unterschied auf Männer und Frauen erstrecke.

»O nein!« erwiderte lachend eine junge Frau, welche die Frage gehört hatte, »die Herren bleiben unangefochten. Ohne Zweifel fehlt es in Dresden an Tänzerinnen, und dies ist der Grund, daß der König uns zwingt, diese Nacht in der Stadt zu bleiben.«

Bis zu diesem Augenblicke war es ein Leichtes gewesen, zu verhüten, daß jemand die Gräfin Cosel erkannte: die Dunkelheit und Abgelegenheit der Gassen, welche sie passirt hatten, verringerte diese Gefahr wesentlich. Wollte sie aber in ihrem Costüme noch weiter Vordringen, so hieß das dem sicheren Verderben entgegengehen; denn die Straßen des Viertels, in dem man sich eben befand, begannen sich bereits mit Patrouillen und Neugierigen zu füllen. Wie leicht konnte irgend ein Officier sie erkennen!

Zaklika, dem jede Minute ein Jahrhundert zu dauern schien, hatte bald seinen Plan gefaßt. Er führte die Gräfin zu Lehmann. Er war fast sicher, daß er jetzt den Bankier allein zu Hause antreffen werde, denn seine Leute waren vermuthlich insgesammt zu dem Feste gegangen. In der That fand er seine Vermuthung bestätigt und der Gesuchte war allein mit seiner Familie.

Nachdem Raimund ihn von der Anwesenheit der Gräfin in seinem Hause benachrichtigt hatte, beeilte sich Lehmann, sie zu empfangen. In wenigen Worten setzte nun Zaklika dem Juden auseinander, was er von ihm begehre, nämlich einen Männeranzug für die Gräfin Cosel, damit selbe ungehindert Dresden verlassen könne.

Der Bankier, welcher durch die Anwesenheit dieser Gäste in eine wahre Todesangst versetzt worden war, gab dem Polen, was ihm gerade in die Hände fiel; ein schwarzer Mantel und ein Dreispitz vollendeten die in einem Seitencabinet rasch vollzogene Verkleidung und die Gräfin trat wieder in das Zimmer, wo die beiden treuen Freunde, Einer so blaß wie der Andere, ihrer harrten. Ein trauriges Lächeln trat auf die Lippen der schönen Frau, als diese sich vor einem Spiegel in ihrer neuen Gestalt betrachtete. Indessen war keine Zeit zu verlieren, und nachdem Lehmann sich vergewissert hatte, daß sich in der Umgebung seines Hauses nichts Verdächtiges zeigte, führte er die beiden Flüchtlinge zu der kleinen Gartenpforte, durch welche sie wieder auf die Straße gelangten.

Als sie zum Stadtthor kamen, mußten sie mehrere Gruppen von Soldaten, Officieren und Bürgern passiren, welche lebhaft disputirten, und nächst dem kleinen Einlaßpförtchen, das durch einige große Laternen grell beleuchtet war, saßen ebenfalls mehrere Soldaten. Festen, sicheren Schrittes, den Kopf ein wenig vorgeneigt und das Gesicht zur Hälfte unter dem Kragen ihres Mantels versteckt, ging die Gräfin mit Zaklika dem Thore zu. Als sie die Gruppe der Soldaten passirten, näherten sich ihnen einige derselben, ließen sie jedoch, nachdem sie Zaklika aufmerksam betrachtet hatten, ungehindert vorübergehen. Nur wenige Schritte trennten sie noch von dem Pförtchen, das ins Freie führte; sie mußten noch an einigen Officieren vorbei, welche indessen glücklicherweise so sehr in ihr Gespräch vertieft waren, daß sie den Beiden nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten.

»Man könnte wahrhaftig nicht mehr Aufhebens machen,« sagte der Eine von ihnen lachend, »wenn das kostbarste Juwel aus der königlichen Krone verloren gegangen wäre!«

»Aber diese Cosel,« meinte ein Anderer, »ist in der That ein kühnes Weib! Es gehört etwas dazu, sich so öffentlich am König und an ihrer Rivalin zu rächen! ... Aber wenn man sie erwischt ...«

»Die Cosel?« sagte ein Dritter, »was schwatzt Ihr da? Die ist ja gar nicht mehr auf der Welt!«

»Und doch wird sie wieder kommen, das ist sicher! ... Ja, sie wird wieder kommen, denn umsonst fürchtet man sich nicht so vor ihr!«

»Als die Teschen fiel, sagte man, daß sie gestorben sei, denn kein Mensch sprach mehr von ihr; diese aber übt im Gegentheile, trotzdem sie längst in Ungnade gefallen ist, noch immer ihre Herrschaft aus, denn man zittert ja schon vor ihrem Namen!«

Die Officiere brachen in lautes Lachen aus; unterdessen passirten die beiden Flüchtlinge ganz unbefangen die Gruppe und gewannen glücklich den gewölbten Thorbogen, ohne auf ein Hinderniß zu stoßen. Wenige Minuten später hatten sie die Zugbrücke überschritten und befanden sich nun in der Vorstadt.

Erleichtert athmete die Gräfin auf, denn nun fühlte sie sich schon halb und halb außer Gefahr.

Eine Stunde später rollte unter dem Schutze der finsteren Nacht ein Wagen mit größter Geschwindigkeit auf der Straße nach der preußischen Grenze dahin; er barg die Gräfin Cosel, während Zaklika, die Pistole in der Hand, neben dem Kutscher saß und ängstlich horchte, ob er nicht den Hufschlag hinter ihnen her galoppirender Reiter vernehme. Alles blieb ruhig – sie wurden nicht verfolgt, denn man suchte die Cosel noch in Dresden und in Pillnitz.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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