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1.
Ein Blick in die Zukunft.

Der König von Schweden hatte noch nicht einmal das sächsische Gebiet verlassen, als August schon wieder von neuem, ja in erhöhtem Maße das Leben voll Zerstreuungen und Lustbarkeiten begann, welches er zu führen gewohnt war. Diesem leichtsinnigen Monarchen mangelte es nie an Zeit, wenn es galt sich zu amüsiren. Aber die Staatscassen waren nun vollständig erschöpft; die Schläge, welche Sachsen erlitten, und die schwedische Occupation hatten den finanziellen Ruin des Landes vollendet, welchem eine grenzenlose Verschwendungssucht es schon nahe genug gebracht. König August war jedoch nie um Auskunftsmittel verlegen, wenn es galt, die Lücken des Schatzes auszufüllen, und wir haben bereits gesehen, wie er in solchen Fällen vorzugehen pflegte.

Gräfin Cosel ihrerseits, die zu dieser Zeit im Zenith ihrer Macht und der königlichen Gunst stand, beherrschte in wahrhaft despotischer Weise den König und das Land. Alle Versuche der Höflinge, ihren Gebieter aus dem Joche dieser hochmütigen Frau zu befreien, waren bisher an der blinden Leidenschaft desselben für sie gescheitert. Frau von Cosel war die unzertrennliche Gesellschafterin August's bei allen seinen Vergnügungen; mit seltener Geschicklichkeit erfand sie tagtäglich etwas Neues, um ihn ohne Unterlaß zu beschäftigen und zu fesseln; denn sie kannte seinen Charakter zu genau, um nicht zu wissen, daß sie ihn nicht zum Ausruhen und Nachdenken kommen lassen durfte, wollte sie verhindern, daß Langeweile und Uebersättigung sich seiner bemächtigten. Auf diese Weise gelang es ihr, die unbedingteste Herrschaft auszuüben und zu behaupten. Ihre Schönheit, täglich im neuen Lichte glänzend, überstrahlte alles an dem prachtliebenden sächsischen Hofe; die an denselben kommenden Fremden konnten nicht umhin, die Anmuth und den Geist der Gräfin zu bewundern, und alles war darüber einig, daß sie die verführerischeste Frau ihrer Zeit sei.

Einige Zeit nach dem Rückzuge der schwedischen Truppen, nach einer langen Reihe von Bällen, Carroussels und ähnlichen Vergnügungen, während Dresden überfüllt war von Fremden, Gesandten und allerlei fahrenden Rittern, welche der Glanz des Hofes dahin gezogen hatte, inaugurirte August in feierlicher Weise das berühmte Vogelschießen.

Während der ganzen Dauer dieses Festes begleitete Anna den König, dessen Brust ein kostbarer goldener Küraß bedeckte, auf einem milchweißen Zelter, in einem Amazonencostüme, wie es sich kaum schöner und kostbarer denken läßt. Ihre elegante Haltung zu Pferde, die Sicherheit, mit welcher sie die kühnsten Reiterstückchen executirte, sowie ihre Geschicklichkeit im Fechten und Ringstechen erregten ungetheilteste Bewunderung.

Im Schießen bewies sie einen erstaunlich scharfen Blick und eine ebenso sichere Hand. Lord Peterborough, welcher eines Tages ihren Meisterschüssen zusah, fand nicht genug Worte, um sein Erstaunen und seine Bewunderung auszudrücken. Wenn sie auf dem Festplatze eintraf, wurde sie mit einer Artilleriesalve begrüßt, und der König, welcher sie überallhin führte, schien in der That überall nur der Erste ihrer Vasallen zu sein. Die Elite des hohen Adels, die Edelleute des Hofes und die höchsten Würdenträger des Staates umgaben sie und bildeten so ihren Hofstaat. Welche Frau an ihrem Platze hätte sich nicht dem Wahne hingegeben, daß diese Herrlichkeit ohne Ende sein werde!

Wenn manchmal der ehrliche Haxthausen, ihr aufrichtiger Freund, oder der treue Zaklika, welcher so selten zu sprechen wagte, mit warnenden Worten der Zukunft und der allbekannten Unbeständigkeit und Frivolität des Königs gedachten, runzelte Anna die Stirne und sagte zornfunkelnden Auges: »Ich bin seine Frau! Seine Maitressen konnte er verlassen, aber seine Gemahlin – er wird es nie wagen! Er weiß übrigens sehr wohl, wessen ich in einem solchen Falle fähig wäre. Er ist sich gewiß darüber klar, daß ich selbst im Stande wäre, ihn zu tödten!«

Bei dem diesmaligen Vogelschießen errang sich Mr. Robinson, der englische Gesandte, die Würde des Schützenkönigs. Er empfing den ersten Preis aus den Händen der schönen Gräfin. Der Tag wurde mit einem festlichen Gastmahl zu Ehren des Siegers beschlossen.

So ging das Jahr, welches so unglücklich für Sachsen und seinen König begonnen hatte, unter einer ununterbrochenen Kette von Vergnügungen zu Ende. Anna entwarf das Programm für die einzelnen Festivitäten und August beeilte sich, es nach ihren Wünschen ausführen zu lassen. Der Einfluß der Geliebten des Königs war ein so großer und unumschränkter, daß zu dieser Zeit ihre Feinde kaum mehr wagen durften, den Mund zu öffnen, um ihrer Abneigung gegen die schöne Despotin Worte zu leihen. Der Staatsschatz war geleert und das arme Volk seufzte unter der erdrückenden Last der Steuern und Abgaben aller Art, deren Hoym stets neue ersann.

Zu Ostern begleitete die Gräfin Cosel den König auf die Leipziger Messe. August II. hatte eine große Vorliebe für Vergnügungen der Art, wie sie sich ihm hier darboten. Er entkleidete sich bei dieser Gelegenheit vollständig der königlichen Majestät, mischte sich unter die Menge und ließ sich ohneweiters vom Volke drängen und stoßen. Man sah ihn oft ganze Tage lang, die Pfeife im Munde, in den Straßen der Stadt herumstreifen, die gröbsten Vergnügungen aufsuchend, und sehr oft in Gesellschaft von Leuten, deren Sitten und Gewohnheiten mit den Gebräuchen am Hofe im grellsten Contraste standen.

Der König hatte mit seinem Gefolge im »Gasthof zum Apfel« Absteigequartier genommen. Dort gab man sich Tag und Nacht allen möglichen Tollheiten hin. Hervorragende Fremde und die Mitglieder der verschiedenen Theater nahmen an diesen Orgien theil.

Alles, was Anna dagegen thun konnte, war, daß sie so viel als möglich den Leidenschaften des Königs Zügel anzulegen und zu verhindern suchte, daß er sich ganz und gar den tollen Ausschweifungen überließ. Ihn völlig von diesem Treiben zurückzuhalten, war unmöglich.

Selbst zu der Zeit, da Karl XII. noch in Sachsen weilte und die ausländischen Kaufleute – nachdem sie demselben einige Hunderttausend Thaler gezahlt – die Messe unter dem Schutze der schwedischen Truppen eröffnet hatten, konnte sich August nicht enthalten, dieselbe zu besuchen. Die Leipziger Messe war damals das Rendezvous aller Abenteurer und Abenteurerinnen der Welt. Es genirte indes den Beherrscher Sachsens sehr wenig, daß die Gesellschaft, in die er sich da begab, mehr als gemischt war; er zeigte sich niemals sehr wählerisch in der Wahl seiner Zerstreuungen und nahm sie, wo und wie sie sich ihm boten.

Der 12. Mai, der Namenstag König August's, wurde diesmal glänzender denn je begangen. Prinz Eberhard von Württemberg und Hohenzollern und eine Menge anderer hoher Gäste waren hierzu nach Dresden gekommen. Man trank bis zum Uebermaß, jagte, machte Ausflüge in die Umgegend, und Gräfin Cosel fehlte bei keiner dieser mannigfaltigen Vergnügungen; sie war hierin ebenso unermüdlich wie August selbst.

Nahe bei Niesitz in der Lausitz, dem ehemaligen Wohnsitze eines alten slavischen Volksstammes, liegt seit Jahrhunderten, am Fuße eines Berges hingelagert, ein kleines Dorf, welches früher den Namen Stolpen trug. Hinter demselben erheben sich gigantische schwarze Basaltfelsen, welche aussehen, als wären sie bei einer mächtigen Umwälzung aus dem Schoße der Erde ausgeworfen worden. Symmetrisch nebeneinander gereiht, von regelmäßigen Formen, hat es den Anschein, als hätte eine übernatürliche Kraft sie hier aufgeschichtet. Auf der Spitze dieser Felsen erhebt sich ein Jahrhunderte altes Schloß, welches das Dorf beherrscht, das am Fuße des Berges liegt. Von den Zinnen seiner Thürme öffnet sich dem Auge eine fast unbegrenzte Fernsicht in die Ebene nach allen Richtungen der Windrose. Gegen Süden erblickt man in der Ferne die waldbedeckten Berge Sachsens und Böhmens; im Westen ziehen sich am Horizont, gleich einem Panorama, die zackigen Spitzen jener Gebirge hin, welche die reichen Kupferminen Sachsens bergen, und im Vordergrunde ragen gleich riesigen Pyramiden die Bergkuppen empor, auf denen sich die Festungen Sonnenstein, Dittersbach und Ohorn erheben; im Osten dehnen sich ebenfalls in langen Linien Wälder und Berge aus.

Das alte Schloß Stolpen, in früheren Zeiten Eigenthum der Bischöfe von Meißen, war durch diese verschönert und restaurirt worden. Es bot noch in den Tagen, von denen wir sprechen, einen ganz imposanten Anblick, wenn auch die spitzen Thürme etwas verwittert dreinschauten und der Blitzschlag sie wiederholt beschädigt hatte. Das Schloß war von einer starken Mauer umgeben, die von Bastionen flankirt wurde; als Piedestal dienten ihm die von der Natur verliehenen mächtigen Reihen dunkler Basaltfelsen, welche der Ewigkeit zu trotzen schienen.

Zu Schloß Stolpen gehörten ein prächtiger Park und ausgedehnte Wälder.

König August, den die bei aller Abwechslung auf die Dauer doch etwas eintönigen Vergnügungen der Hauptstadt öfters zu langweilen begannen, liebte es, von Zeit zu Zeit das Land zu durchstreifen und dem edlen Waidwerk obzuliegen.

An einem schönen Julimorgen, ehe noch die Hitze der Jahreszeit sich fühlbar machte, standen königliche Stallmeister und Reitknechte vor dem Schlosse, die ungeduldig den Boden scharrenden Pferde am Zügel haltend. Am Vorabend hatte man in Gegenwart des Königs von jenen mächtigen und merkwürdigen Basaltpfeilern gesprochen, deren wir oben erwähnt. August konnte sich ihrer nicht mehr erinnern und er wollte sie heute besichtigen.

Der Thau lag noch auf den Bäumen und den Spitzen der Gräser und begann eben in den ersten Strahlen der Sonne zu zerfließen, als der König erschien, gefolgt von einer Schaar von Höflingen und Dienern. Er war eben im Begriffe, in den Sattel zu steigen, als Zaklika erschien, um sich im Auftrage der Gräfin Cosel über das Ziel des Ausfluges zu erkundigen.

»Sage Deiner Herrin,« antwortete August, »daß ich im Begriffe bin, nach Stolpen zu reiten, und daß sie, wenn sie es wünscht, dort mit uns zusammentreffen mag, denn ich kann nicht warten, bis die Gräfin ihre Toilette beendet hat, weil bis dahin leicht die Hitze unerträglich werden könnte.«

Die Geliebte August's hatte sich heute etwas verstimmt vom Lager erhoben und wartete nun am Fenster, bis Zaklika zurückkam und ihr die Antwort des Königs brachte. Sie fühlte sich tief verletzt dadurch, daß August ihr nichts von dem projectirten Ausfluge mitgetheilt hatte, und noch mehr grollte sie darüber, daß er nun nicht einmal warten wollte, bis sie bereit war, den Ritt mitzumachen. Sie gab Befehl, sogleich ihr Leibpferd zu satteln und Haxthausen, sowie verschiedene andere junge Edelleute zu bitten, sie möchten sich fertig machen, um sie in einer halben Stunde zu begleiten. Die Gräfin wollte dem König zeigen, daß sie nicht nöthig hatte, große Toilette zu machen, um schön zu sein, und sie hatte sich vorgenommen, ihn einzuholen, bevor er noch Stolpen erreicht haben würde.

Noch war die halbe Stunde nicht ganz um, als schon die jungen Höflinge, welche die Suite der Gräfin bilden sollten, im Hofe des Palais versammelt waren. Ihr Reitpferd, ein herrlicher weißer Araber mit wallender Mähne, einen scharlachrothen, reich mit Gold verzierten Sattel auf dem Rücken, wieherte ungeduldig.

Sobald Gräfin Cosel davon benachrichtigt war, daß ihr Gefolge im Hofe versammelt sei, eilte sie herbei. Sie bezauberte Alle durch ihre geschmackvolle und reizende Toilette. Auf dem Kopfe trug sie einen blauen Hut, den eine lange weiße Feder zierte; eine mit Goldstickerei bedeckte Jacke von derselben Farbe umfing ihre Taille, und ein weites und langes Reitkleid, ebenfalls mit Goldborten besetzt, vervollständigte das elegante und reizende Costüm.

Sie schwang sich leichten Fußes in den Sattel; die Zügel ihres vor Ungeduld scharrenden, feurigen Renners ergreifend, wendete sie sich nach ihrer Begleitung zurück und rief, nachdem sie mit graziösem Lächeln gegrüßt hatte, die mit kostbaren Steinen besetzte Reitpeitsche durch die Luft schwingend:

»Meine Herren! Seine Majestät hat mich sozusagen herausgefordert ... Eine halbe Stunde ist verflossen, seit der König von hier abritt, und wir müssen ihn, selbst wenn ich mir dabei den Hals brechen sollte, einholen, bevor er Stolpen erreicht hat. Lasset uns aufbrechen – und ventre à terre! Wer mein Freund ist, folge mir nach!«

Nach diesen Worten lenkte die kühne Amazone ihr Pferd nach dem Ausgange des Schloßhofes, nahm die Zügel fest in die Hand und galoppirte davon. Zaklika und ihr Stallmeister sprengten ihr nach, um sofort bei der Hand zu sein, falls ihrer Gebieterin ein Unfall zustoßen sollte. Der Rest des kleinen Trupps folgte diesen und so jagte die Cavalcade unaufhaltsam über die Brücke und durch die Straßen der Stadt; nachdem man die Altstadt durchschnitten, hielt man sich rechts, in der Richtung der Wälder von Stolpen. Glücklicherweise waren die Pferde gut ausgeruht, die Straßen, welche man passirte, breit, gut erhalten und zu dieser Stunde noch wenig belebt, so daß die tolle Jagd ohne Unfall abging.

Die junge Frau, deren Wangen glühten und aus deren Augen ein eigenthümliches Feuer strahlte, trieb ihren Renner fieberhaft zu rasender Eile an; sie schien eine Wollust an dieser wilden Hetzjagd zu empfinden. Keines der Pferde vermochte ihren Araber einzuholen, alle blieben weit zurück.

So ging der ungestüme Ritt mitten durch Gehölze, Felder und Wiesen. Manchmal bot die Gegend den Anblick trostloser Unfruchtbarkeit. Diese wenig cultivirten, streckenweise fast wüsten Gegenden waren größtentheils noch von den Ueberresten eines alten slavischen Volksstammes, den Wenden, bevölkert, deren Vorväter einst die Herren des Landes gewesen. Man sah von Zeit zu Zeit ein wendisches Dorf auftauchen mit niedrigen, strohgedeckten Hütten, von Baumgärten, namentlich Kirschbäumen, umgeben. Manchmal begegneten die Cavaliere auf ihrem Wege einem dieser armen Bauern, der ehrerbietig die Mütze zog, wenn die glänzende Gesellschaft vor seinen Augen vorbeiflog. Kaum hatte er die ihm zugerufene Frage, ob der König hier vorbeigekommen wäre, beantwortet, als die flüchtige Erscheinung schon wieder seinen Blicken entschwand.

Die Pferde waren bereits buchstäblich mit Schaum bedeckt.

Nachdem diese wilde Hetzjagd etwa eine Stunde gedauert hatte, bat der Stallmeister die Gräfin, zu kurzer Rast Halt zu machen; sie schien ihn nicht zu hören. Endlich aber mäßigte sie doch den Schritt ihres Renners und hielt dann plötzlich bei einer alten Hütte still, die am Wege lag. Die ganze Gesellschaft folgte natürlich ihrem Beispiele und hielt die heftig schnaubenden und wiehernden Pferde an.

Auf der Schwelle der erwähnten Hütte stand eine Frau in vorgerückten Jahren, mit gelbem, runzeligem Gesichte, mit Lumpen bedeckt und auf einen Stock gestützt. Sie richtete mit einer Art verachtungsvoller Theilnahmslosigkeit ihre Augen auf die Cavaliere, gleichsam als gehörten dieselben einer ganz anderen Welt an als sie selbst. Als ihr Blick dem der Gräfin begegnete, schauerte diese unwillkürlich zusammen.

Einer der Cavaliere erkundigte sich bei der Alten nach dem König und seinem Gefolge. Sie schüttelte den Kopf und antwortete mit einem Achselzucken:

»Weiß ich, von welchem König Ihr redet? ... Wir ... wir haben keine Könige mehr – sie sind todt!«

Diese in mürrischem Tone und in fast unverständlicher Weise gegebene Antwort genügte natürlich dem Frager nicht, und eben war er im Begriffe, weiter in die Bettlerin zu dringen, um die gewünschte Auskunft zu erlangen, als ein Mann mittleren Alters, mit langen Haaren, bekleidet mit einer dunkelbraunen, mit mehreren Knopfreihen besetzten Weste und kurzer Hose, aus dem Häuschen herauskam und, respectvoll den Hut ziehend, im reinsten sächsischen Dialekt sich an die Gesellschaft wendete.

Er theilte mit, daß König August bereits einen Vorsprung von drei Viertelstunden habe und daß es wohl kaum möglich sein werde, ihn noch einzuholen, falls er nicht etwa noch unterwegs Halt gemacht haben sollte. Das erschien aber wenig wahrscheinlich, da von der Stelle, auf welcher man hielt, bis nach Stolpen sich kaum ein zum Verweilen passender Ort fand.

Gräfin Cosel, welche allmählich die Hoffnung, den König noch unterwegs zu erreichen, schwinden sah, erkundigte sich, ob es nicht einen kürzeren Weg gäbe, um auf diese Weise vielleicht doch noch ihren Willen durchzusetzen; sie erhielt jedoch die Auskunft, daß kein solcher vorhanden und daß das zur Rechten sich hinziehende Thal sehr sumpfig und mit dichtem Gestrüppe bewachsen sei, so daß es unmöglich wäre, da zu Pferde zu passiren.

Die Gräfin stieg nun ab und gestattete ihrem Gefolge, sich hier einen Augenblick auszuruhen. Die Hitze war bereits fast unerträglich geworden. Die Gefährten der Gräfin, welche heftigen Durst empfanden, verlangten Wasser von dem Bauer. Dieser bot ihnen einen Trunk Bier an. Das ländliche Getränk, so wenig es für die verwöhnten Gaumen der Höflinge gebraut sein mochte, däuchte ihnen doch, trotzdem es etwas sauer schmeckte, ganz ausgezeichnet und erfrischte sie jedenfalls.

Inzwischen waren die Blicke Anna's neuerdings auf die alte Bettlerin gefallen, welche noch immer, auf ihren Stock gestützt, neben der Thür der Hütte stand und sich nicht im Geringsten um das zu kümmern schien, was um sie herum vorging.

»Wer ist diese Frau?« fragte die Gräfin den Bauer, mit dem Finger auf das alte Weib zeigend.

Dieser antwortete mit verächtlichem Achselzucken:

»Es ist eine Slavin, eine Wendin. Sie treibt sich immer hier herum und es ist mir nicht möglich, sie mir vom Halse zu schaffen. Dieses Anwesen habe ehedem ihrem Vater gehört, behauptet sie. Gegenwärtig bewohnt sie eine elende, halb in die Erde eingegrabene Hütte am Fuße jenes Berges. Niemand weiß, wovon sie lebt. Ich sehe sie täglich durch die Felder schleichen, unverständliche Worte vor sich hinmurmelnd. Wer weiß – vielleicht ist sie behext oder noch wahrscheinlicher ist sie selbst eine Hexe. Ich wollte ihr gerne Geld geben, damit sie nicht mehr hierherkomme; aber sie will nichts davon hören und sagt, daß sie diese Gegend niemals verlassen werde, daß dies die Erde ihrer Väter sei, daß ihre Gebeine da ruhen müßten. Manchmal, wenn der Sturm heftig braust und tobt, hört man sie singen. Man schaudert bis ins Mark, wenn man ihre Stimme vernimmt ... Es wäre gefährlich, sie davonzujagen,« setzte der Mann leise hinzu, »denn sie weiß mehr als andere Leute und es könnte böse Folgen für Einen haben. Sicherlich steht sie mit bösen Geistern in Verbindung ... Sie hat von diesen auch die Gabe der Weissagung,« schloß der Bauer nach einer kurzen Pause, »wenn Die etwas vorhersagt, trifft es immer ein.«

Die Gräfin, durch diese Erzählung erst recht neugierig gemacht, wendete sich um und that einige Schritte gegen das alte Weib zu.

Die Leute ihres Gefolges, welche etwas von Hexerei und Zauberei sprechen gehört, traten scheu zurück.

»Wie nennt sie sich?« fragte die Cosel den Bauer.

Dieser besann sich einige Augenblicke; endlich sagte er, jedoch so leise, daß die Gräfin es kaum verstehen konnte: »Mlawa!«

So leise aber auch der Mann diesen Namen ausgesprochen, die Alte hatte es dennoch gehört, denn sie fuhr aus ihrer Lethargie auf, erhob stolz das Haupt, und während sie mit einer raschen Kopfbewegung ihr langes graues Haar zurückwarf, nahm ihr Gesicht einen strengen Ausdruck an und ihre Augen suchten den, der eben ihren Namen genannt.

Die Cosel näherte sich der Bettlerin, ohne auf die betroffenen Mienen ihrer Umgebung zu achten.

Die beiden Frauen maßen sich einige Secunden lang mit ihren Blicken.

»Wer bist Du, arme Alte?« fragte endlich die Gräfin. »Deine silbergrauen, allen Unbilden des Wetters und allen Stürmen ausgesetzten Haare und Dein Elend rühren mich. Sage mir doch, was ist Schuld an Deinem Unglück?«

Mlawa schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht unglücklich,« sagte sie trotzig; »denn in mir lebt noch die Erinnerung an schönere Zeiten. Hier bin ich noch, was meine Ahnen waren – Königin.«

»Du – eine Königin?« rief die Cosel.

»Ja, ich könnte es sein,« fuhr die Alte fort, »denn in meinen Adern rollt ja noch das Blut der alten Könige dieses Landes ... Wenn Du auch heute Königin bist, vergiß nicht, daß Du morgen ebenso arm, ebenso tief gesunken sein kannst, wie ich! Es ist alles möglich auf dieser Welt.«

»Von welchen Königen, von welchem Lande sprichst Du?« fragte die Gräfin verwundert.

Die alte Frau erhob ihre Hände und indem sie auf die ganze Gegend ringsum wies, rief sie aus:

»Dies alles gehörte uns, bevor Ihr gekommen seid! ... Ja, dieses Land war frei, bis die Eueren es in Ketten und Bande schlugen. Sie haben uns behandelt wie wilde Thiere, während wir doch gute und gastfreundliche Menschen waren. Brot und Salz in den Händen, kamen wir jedem Fremdling freundschaftlich entgegen, wir hatten kaum eine andere Waffe als unsere Leier, unsere Gesänge. Ihr aber – Ihr habt unser Volk ausgerottet mit Feuer und Schwert, und im frevelhaften Uebermuthe habt Ihr uns noch verspottet in unserem Elend! Euere Race hat sich hier festgesetzt, sich vermehrt und hat uns als Parias von dem Boden unserer Väter, von der Erde der Wenden vertrieben! ... Ja wohl!« fuhr Mlawa nach einer Pause in traurigem Tone fort, »das ist die Erde, die Gott meinen Vorfahren gegeben und welche die Fremdlinge uns geraubt haben. Aber wenn es mir nicht vergönnt sein soll, darauf zu leben, so wird mich doch kein Mensch daran hindern können, hier zu sterben! Von hier aus wird meine Seele leichter den Weg zu den Meinigen finden!«

»Kannst Du die Zukunft voraussagen?« fragte die Gräfin, von einer unwiderstehlichen Neugier ergriffen.

»Das kommt darauf an, wem und wann,« antwortete Mlawa in gleichgiltigem Tone.

»Mir zum Beispiel?«

Die Alte betrachtete die vor ihr stehende schöne Frau eine Weile und sagte dann mit einem gewissen Mitleid im Blicke:

»Was soll es Dir nutzen, Deine zukünftigen Geschicke im Voraus kennen zu lernen? Diejenigen, welche sich so hoch emporgeschwungen haben wie Du, können nur wieder herabkommen oder herabstürzen ... Verlange nicht mehr darüber zu hören ...«

Anna erbleichte bei diesen Worten und ihre Lippen zitterten merklich; allein sie wollte nicht schwach und muthlos erscheinen, darum zwang sie sich zu einem Lächeln, obgleich ihr Thränen in die Augen traten.

»Sprich!« sagte sie, »ich habe vor gar nichts Furcht. Ich weiß dem Glück ins Gesicht zu sehen, wie der Adler in die Sonne; ich weiß aber auch dem Ungewissen, ja dem Schrecklichsten entgegenzugehen ...«

»Wenn nun aber die Nacht des Unglücks lange, sehr lange dauerte?«

»Sie wird wohl nicht ewig währen – wie?«

»Wer weiß, wer weiß!« erwiderte Mlawa auf diese Frage der Gräfin, indem sie die Hand gegen sie ausstreckte.

Anna trat einen Schritt zurück, als wollte sie verhüten, daß die alte Bettlerin sie berühre – war doch in jener Zeit der Glaube an Hexen, Zauberei und böse Geister noch ein allgemein verbreiteter.

»Du brauchst keine Angst zu haben, meine Schöne!« bemerkte Mlawa ruhig; »ich werde Deine hübschen weißen Finger nicht beflecken. Ich bedarf nur der Augen, um aus Deiner Hand zu lesen.«

Die Gräfin zog ihren Handschuh aus und streckte Mlawa ihr reizendes Händchen mit den zarten Fingern, an welchen kostbare Ringe blitzten, entgegen.

»Was das für ein hübsches Händchen ist!« sagte Mlawa, dasselbe mit ihren Blicken fixirend. »Es verdient wahrhaftig, daß Könige ihre Lippen darauf drücken! ... Aber, mein Kind, ich sehe da schreckliche Dinge ... Diese Hand hat schon mehr als Ein Gesicht getroffen, dessen Augen zu kühn waren – nicht wahr?«

Anna erröthete, blieb aber die Antwort auf die Frage schuldig. Mlawa fuhr fort, nachdenklich und kopfschüttelnd ihre Hand zu betrachten; der Ausdruck ihres Gesichtes wurde dabei immer düsterer.

»Nun?« rief endlich die Gräfin ungeduldig aus.

»Du gehst dahin, wohin Dein Schicksal Dich ruft,« sagte Mlawa mit Nachdruck. »Konnte je ein Sterblicher seiner Bestimmung entgehen? ... Nach einer langen Reihe glücklicher Tage erwartet auch Dich das Verhängniß! Du wirst Dein Glück mit langer Strafe büßen. Gefangenschaft, traurige Tage ohne Ende, Nächte ohne Schlaf, ewige Thränen werden Dein Los sein. Mutter bist Du und wirst ohne Kinder sein, Frau ohne Ehegatten, Du bist Königin – und wirst zur Sklavin werden! ... Deine Freiheit erlangst Du wieder und Du wirst sie verwünschen – Du wirst ... Nein, nein, frage nicht weiter! ...«

Anna stand nach diesen schrecklichen Worten wie versteinert da; ihr Antlitz war marmorblaß. Sie versuchte zwar zu lächeln, aber ihre Lippen weigerten sich, ihr den Willen zu thun und preßten sich schmerzlich aufeinander.

»Was habe ich Dir gethan,« sagte sie mit zitternder Stimme, »daß Du mich so erschreckst mit Deinen Prophezeihungen?«

»Ich bemitleide Dich!« erwiderte Mlawa. »Doch warum wolltest Du im Innersten meiner Seele lesen? Weißt Du nicht, daß der herbste Kummer in mir wohnt und daß meine Worte, von einer Verbitterten kommend, nur bitter lauten, nur verwunden können? Geh' – ich beklage Dich!«

Mlawa versank nun wieder in ihre Träumerei.

»Bist Du hiernieden etwa die einzige Unglückliche ...?« murmelte sie vor sich hin. »Millionen bejammernswerther Geschöpfe sind in Elend über die Erde gegangen und gestorben, ohne ein Grabmal, ohne ein Andenken zu hinterlassen ... Der Wind hat ihre Asche verweht! Wie Du haben Tausende in Gefangenschaft, in langer, langer Sklaverei geseufzt ... Meine Vorfahren, die Könige, meine Väter sind in Eisen gestorben – und ich, Mlawa, ich bin die Letzte – und die Deutschen verjagen mich von dem Herde meiner Väter!«

Gräfin Cosel nahm schweigend ein Goldstück und hielt es der alten Wahrsagerin hin, aber diese wies es mit einer stolzen Handbewegung zurück und sagte:

»Nein nein, ich nehme kein Almosen an ... Dort oben« – fügte sie hinzu, indem sie zum Himmel emporwies – »dort oben könnt Ihr einstens Euere Schuld abtragen.«

Nach diesen Worten ergriff die Alte ihren Stock und entfernte sich langsam nach der weiten Ebene zu.

Die Gefährten der Gräfin hatten sich während dieser ganzen Unterhaltung in ehrerbietiger Entfernung gehalten und waren ganz erstaunt über den Muth oder vielmehr die Verwegenheit ihrer Gebieterin. Nach ihrer Ansicht war es geradezu verwegen, mit einer solchen Hexe zu verkehren. Auch der Bauer, welcher an Cosel's Seite stehen geblieben, war nicht wenig verwundert über den seltsamen Vorgang.

Als die Gräfin zu ihrem Gefolge zurückkehrte, war sie sehr bleich; niemand wagte es aber, sie über die Ursache hiervon zu befragen. Nachdenklich und ernst bestieg sie ihr Pferd, und langsam setzte der kleine Reitertrupp seinen Weg fort. Die Gräfin ließ die Zügel achtlos über den Hals ihres Pferdes hängen.

Bald erschienen am Horizont vor ihnen die hohen Thürme von Stolpen mit ihren spitzen Dächern, malerisch auf den imposanten Basaltstützen sich erhebend. Bei diesem Anblick unterbrach der Stallmeister das bisher herrschende Stillschweigen und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Stolpen!«

Eine kleine Stunde später hielt man vor den Mauern des Schlosses, wo der König sammt seinem Gefolge die Gräfin erwartete; denn die Cavalcade war ihm schon längere Zeit vorher signalisirt worden.

August trat lächelnd auf seine Geliebte zu mit den Worten:

»Wenigstens eine Stunde schon ist es, daß wir Euch erblickten und erwarteten.«

»Und ich,« erwiderte Anna, »ich habe mindestens eine halbe Stunde im Gespräch mit einer alten Bettlerin verloren, welche mir die Zukunft enthüllte.«

Der König betrachtete sie aufmerksam.

»Und was hat sie Dir vorausgesagt?« fragte er.

Anna blickte ihn traurig an, während zwei große Thränen über ihre Wangen rollten. Ihre ungewöhnliche Bewegung, welche August nicht entging, verstimmte ihn. Er versuchte sie durch zärtliche Worte zu beruhigen und in ihre gewohnte fröhliche Laune zu versetzen, doch vergeblich.

Als sie dem Schlosse entlang gingen, trachtete er, ihre Gedanken von dem, was sie so trüb stimmte, abzulenken und sagte:

»Was doch dieses Stolpen, die alte Residenz der Bischöfe von Meißen, für ein prächtiger Wohnsitz ist!«

Anna überlief ein Schauer, als sie die finsteren Mauern betrachtete.

»Abscheulich,« sagte sie, »ganz abscheulich! Ich bin erstaunt, daß Ihr darauf verfallen konntet, hierher zu kommen, um Euch zu zerstreuen. Dies ist wahrlich ein hierzu wenig geeigneter Ort, mein König. Man athmet hier eine Atmosphäre, welche mit dem Andenken an Kriege, Foltern und ähnliche traurige Dinge geschwängert ist.«

»Geliebte!« versetzte August hierauf, »Euere schönen Augen vermögen die düsterste Gegend für mich zu einem Paradies zu gestalten. Wo Ihr weilt, ist überall Lust und Freude!«

Galant bot er nun seinen Arm der Gräfin, welche sich nachdenklich auf denselben stützte. So machte man die Runde um das düstere Gebäude. Die Züge Anna's blieben bleich und träumerisch, während August's Gesicht in Heiterkeit erstrahlte. Vielleicht dachte der mildherzige Monarch in diesem Augenblicke an die Gefängnisse auf dem Königstein und dem Sonnenstein und sagte sich in Gedanken, daß, wenn deren Räume für die stets anwachsende Menge der Gefangenen nicht mehr ausreichen sollten, man für dieselben in Stolpen Platz finden könnte ... Ohne Zweifel mochte das einer von den Gründen sein, welche ihn bestimmten, nachdem man das Schloß von außen besichtigt hatte, den Wunsch zu äußern, nun auch das Innere desselben näher in Augenschein zu nehmen.

Anna lehnte es ab, ihn dabei zu begleiten, und blieb auf der Terrasse vor dem Gebäude. August aber verfügte sich in das Schloß. Er besuchte zuerst den Sanct Donatus-Thurm, stieg dann in die Gemächer hinunter, welche ehemals die Henker mit ihren Knechten bewohnt hatten, begab sich hierauf, geführt von dem Beschließer, in den aus späterer Zeit stammenden, von dem Bischof Johann VI. erbauten Sanct Johannes-Thurm und von da in eine große düstere Halle, die einst als Folterkammer gedient hatte. Von da stiegen sie in die unterirdischen Kerker hinunter, in welche man seinerzeit unbotmäßige Mönche und Missethäter geworfen hatte. Der Führer zeigte dem König hier nacheinander das sogenannte »Mönchsloch«, das mit dem Namen »Richtergehorsam« belegte und das »Burgverließ« benannte Gefängniß, in welch letzteres die Verurtheilten auf einer Leiter, die dann zurückgezogen wurde, hinabsteigen mußten. Alles war hier noch ziemlich gut erhalten. König August besah mit lebhafter Neugier jeden Winkel der schauerlichen Gelasse, wie wenn er nach Spuren der armen Opfer, welche hier geschmachtet, gesucht hätte. Nachdem man endlich wieder ans Tageslicht emporgestiegen war, warf er noch einen prüfenden Blick auf die starken Umfassungsmauern und ging dann langsam nach dem Ausgang.

August fand die Gräfin noch auf der nämlichen Stelle sitzen, wo er sie verlassen hatte. Sie war in ein bei ihr ganz ungewöhnliches Nachdenken versunken und betrachtete mit einem gewissen Entsetzen die finsteren Mauern und Thürme des festen Schlosses.

»Das ist wahrhaftig ein schlecht gewählter Ort für eine Vergnügungstour,« sagte sie, »und der heutige Ausflug dürfte den Fröhlichsten verstimmen. Ich habe das Innere dieses Gebäudes nicht gesehen, aber schon was ich von hier aus wahrnehme, macht einen recht unangenehmen Eindruck auf mich. Es ist mir, als hörte ich die Klagen und das Wimmern Derjenigen, welche in diesen Mauern zu leiden hatten.«

August lächelte.

»Diejenigen, welche hier weilten, haben nicht ungerecht gelitten. Man kann nicht mit allen Verurtheilten Mitleid haben ... Aber, theuere Freundin, warum setzt Ihr Euch so finstere Gedanken in den Kopf? Wenden wir diesen Mauern den Rücken und gehen wir, wenn es Euch beliebt, in den Park. Ich habe Zelte dahin bringen lassen und dort erwartet uns ein köstliches Mahl. Nach dem Dessert wird man eine kleine Jagd veranstalten und Ihr werdet uns gewiß hierbei aufs neue Proben jener Geschicklichkeit geben, welche wir schon so oft zu bewundern Gelegenheit hatten.«

Die Anordnungen des Königs waren aufs beste ausgeführt worden. Nahe dem Eingange des Parkes war ein prachtvolles türkisches Zelt aufgeschlagen – eine Trophäe, welche sich Sobieski unter den Mauern Wiens von den Osmanen geholt hatte – und unter dem Zelte stand die gedeckte Tafel. Anna nahm den Ehrenplatz neben ihrem königlichen Geliebten ein. Aber die sonst so lustige, ja ausgelassene Gesellschaft konnte heute nicht recht in Zug kommen. Die Schwüle des Tages schien sich schwer auf die Gemüther der Höflinge gelegt zu haben. Selbst Kyau, der unerschöpfliche Kyau, schien heute mit seinem Witze zu Ende zu sein – er brütete still über seinem Glase. August liebte es nicht, seine Umgebung in solcher Stimmung zu sehen; er beendete rasch das köstliche Frühstück und erhob sich sodann von der Tafel. Sogleich wurden von den Piqueurs die Jagdflinten herumgereicht. Man drang in den schattigen Park ein und die Jagd nahm ihren Anfang.

Nichts war aber heute im Stande, die Wolke zu verscheuchen, welche sich auf die Stirne der schönen Anna gelagert hatte. Unausgesetzt klangen die unheilverkündenden Worte der alten Wahrsagerin in ihren Ohren. Obwohl sie sich sagen mußte, daß gar nichts darauf hindeute, daß sie jemals bei dem König in Ungnade fallen könnte, war sie doch nicht im Stande, der traurigen Gedanken, welche sich ihrer bemächtigt hatten, Herr zu werden. August dagegen trug an diesem Tage eine geradezu tolle Lustigkeit zur Schau, und als ob er es darauf angelegt hätte, sich mit der Cosel in Widerspruch zu setzen, wurde er nicht müde, die Schönheiten Stolpens zu rühmen und die Wichtigkeit hervorzuheben, welche ein so fester Platz nahe der Grenze des Königreiches für ihn habe.

Der Tag war schon weit vorgerückt, als der Monarch, nachdem er mehrere Rehe und einen Eber erlegt hatte, das Zeichen zum Rückzug gab.

Der König stieg zu Pferde, Anna that desgleichen und ritt an seiner Seite. Die übrigen Theilnehmer an dem Ausfluge folgten. Man hatte indes kaum den Fuß des Berges erreicht und die letzten Häuser des Marktfleckens Stolpen hinter sich, als sich von Westen her ein heftiger Sturm erhob und ein Gewitter losbrach, welches die Gesellschaft nöthigte, sich nach einem Zufluchtsorte umzusehen. Da es in dem kleinen Flecken, welchen man eben passirt hatte, schwer möglich gewesen wäre, für den König und sein Gefolge ein passendes Obdach zu finden, sah man sich wohl oder übel gezwungen, nach dem Schlosse zurückzukehren. Das Schloß, das schon seit langer Zeit keine Gäste mehr gesehen hatte, mußte nun seine Pforten dem Könige öffnen, der sich mit der Gräfin nach dem Johannes-Thurme begab; die Höflinge ihrerseits zogen sich in die Räume des Sanct Donatus-Thurmes zurück.

Einige Strohsessel, an den Wänden hinlaufende Bänke und ein großer eichener Tisch bildeten die ganze Ausstattung des feuchten und dumpfigen gewölbten Saales, in welchem der König mit Anna ein Asyl gefunden hatte. Die Gräfin schmiegte sich fröstelnd an August an und rief aus:

»O, mein Geliebter, wie schaurig ist es hier! Wie bedrückend diese Mauern sind! Man fühlt ordentlich den Hauch des Todes durch dieses öde Gemach ziehen.«

»Wenn ich hätte voraussehen können, daß wir genöthigt sein würden, ein Obdach in diesem alten Thurme zu suchen, so wäre eines dieser Gemächer auf meinen Befehl etwas wohnlicher eingerichtet worden. Was wollt Ihr, Gräfin – in diesen Mauern hauste eben lange niemand anders als Mönche, Gefangene und Kerkermeister. Das war niemals eine Stätte des Vergnügens; deshalb darf es Euch nicht wundernehmen, wenn die Wände und Möbel sich etwas schmucklos und altmodisch präsentiren.«

Gleichsam als wollten die Elemente das Ihrige dazu beitragen, den düsteren Eindruck zu verstärken, den dieser Ort auf die Gräfin machte, die heute zum erstenmale das Gefühl der Furcht kennen lernte, fiel nun schwerer Hagel nieder, der die in Blei gefaßten kleinen Scheiben der hohen Fenster zertrümmerte und prasselnd von den Dächern des Schlosses abprallte. Die Blitze zuckten fast ununterbrochen durch die graue Finsterniß und schauerlich wiederhallte das dumpfe Rollen des Donners in dem hohen Saale. Plötzlich fuhr ein Blitzstrahl an dem Donatus-Thurm hernieder und hüllte ihn von oben bis unten in ein grelles Feuermeer. Anna stieß einen Angstruf aus, der König aber blieb dabei ganz ruhig. Der Blitzschlag hatte nicht gezündet und an Stelle des Hagels ging nun ein ausgiebiger Platzregen nieder. Nachdem das Unwetter beiläufig eine halbe Stunde das Bergschloß umtobt hatte, verzog es sich langsam und bald zeigte sich am Firmamente ein herrlicher Regenbogen. Es fiel nun noch ein feiner Sprühregen, während sich das zerrissene Gewölk purpurroth zu färben begann und die Strahlen der untergehenden Sonne die erfrischte Natur in prächtiger Beleuchtung zeigten.

Anna athmete erleichtert auf.

»Gehen wir, gehen wir, mein theuerer Freund,« sagte sie zu August, »die Luft, die ich hier athme, lastet mir centnerschwer auf der Brust.«

Bald darauf saßen Alle wieder zu Pferde. Die durch das Gewitter gereinigte Luft war nun von angenehmster Frische und die Reiter sogen sie in gierigen Zügen ein, während sie von neuem den Weg nach der Stadt einschlugen.

Als man an der Hütte vorbeikam, bei welcher des Morgens die Begegnung der Gräfin mit der alten Wendin stattgefunden hatte, sah sich Anna forschend nach Mlawa um – doch diese war nicht zu sehen. Als man aber eine Strecke weit geritten war, erblickte Anna die Alte, die am Rande der Straße stand, als erwarte sie den Zug, um, wie so viele andere Neugierige da und dort, den König zu sehen. Als Gräfin Cosel an ihr vorbeikam, warf Mlawa der Favoritin einen langen mitleidsvollen Blick zu und lächelte ihr wie einer alten Bekannten traurig nach. August wendete sich mit Abscheu von der alten zerlumpten Bettlerin ab, als er ihrer ansichtig wurde, und gab seinem Pferde die Sporen ...

In solcher und ähnlicher Weise suchte sich König August II., der eben eine Krone verloren, die ihn so viel gekostet hatte, die Zeit zu vertreiben. Er haßte Karl XII. aus ganzer Seele und beklagte sich bitter über das schwere Schicksal, das ihn getroffen. Noch mehr aber war er ungehalten über die undankbaren Polen. Ihnen allein schrieb er all sein Unglück zu, und selbst Diejenigen unter ihnen, welche, auf eine andere Wendung der Dinge in der Zukunft bauend, im Geheimen noch zu seiner Partei gehörten, wurden von ihm nur mit Zornesausbrüchen empfangen. Der königliche Athlet, der die Helden und großen Krieger um ihren Ruhm beneidete und der sich als geharnischter Ritter in allerlei martialischen Stellungen malen ließ, konnte es nicht verwinden, daß ein bartloser, junger Mann ihn besiegt, ja ihm in seinem eigenen Lande Gesetze dictirt hatte.

August fühlte das Bedürfniß, seinen verdüsterten kriegerischen Ruhm durch irgend eine kühne That wieder etwas aufzufrischen. In dieser Absicht stellte er dem Kaiser von Oesterreich seinen Degen zur Verfügung und begab sich nach Flandern, um dort gegen die Franzosen zu kämpfen. Unter dem strengsten Incognito trat er in den Stab des Prinzen Eugen von Savoyen ein. Hier wollte er nun durchaus Proben seines Muthes und seiner persönlichen Tapferkeit ablegen und setzte sich so oft unnöthigerweise jeder Gefahr aus, daß Marlborough und Prinz Eugen gezwungen waren, ihm das ihm anvertraute Commando wieder abzunehmen, damit nicht unnützerweise ein so kostbares Leben zum Opfer falle.

August pflegte öfter zu sagen, im Kriege müsse man ein wenig Fatalist sein und an eine Vorausbestimmung glauben.

Die bösen Zungen nahmen daraus Anlaß, zu verbreiten, daß der König, namentlich seit er dem Protestantismus abgeschworen hatte, an gar nichts mehr glaube. »Man sagt« – schrieb Loen – »daß der König seine Religion gewechselt habe; ich könnte leichter daran glauben, wenn er jemals eine solche gehabt hätte.« Sicher ist, daß August wenig Aufhebens von dem neuen Glauben machte, den er angenommen hatte. Man erzählt sich, daß er seinen Lieblingshund – wahrscheinlich der nämliche, welcher den Flacon mit Böttcher's Tinctur umgeworfen hatte – einen geweihten Rosenkranz um den Hals hing.

Nach einem kurzen Aufenthalte im Lager der Kaiserlichen bekam August Heimweh, und in Voraussicht, daß die Belagerung von Lille geraume Zeit in Anspruch nehmen werde, beschloß er, Sachsen und seine Cosel wiederzusehen. Aber bevor er in seine Staaten zurückkehrte, hielt er sich – immer unter dem Incognito eines Grafen von Torgau – in Brüssel auf, und das Erste, was er daselbst that, war, die reizende Tänzerin Duparc zu einem Souper bei dem berühmten Restaurateur Vernus »zum Füllhorn« zu laden.

Vier Koryphäen der Oper, König August, Vitzthum, Bauditz und der Graf W…, tafelten da bis zum frühen Morgen. Beim Abschied mußte die hübsche Tänzerin dem König versprechen, daß sie nach Dresden kommen werde. Man sieht, daß die Gräfin Cosel ihm bereits etwas gleichgültiger zu werden begann.


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