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3.
Feinde ringsum.

Angesichts der Triumphe der Cosel bei den Ringelstechen und Carroussels, in welchen sie eine für ihr Geschlecht ganz ungewöhnliche Geschicklichkeit und Bravour an den Tag legte, fühlte der frivole König August, der an den Siegen der Gräfin regen Antheil nahm, seine Liebe zu ihr wieder von neuem sich entflammen.

Eine große, auserlesene Gesellschaft, darunter natürlich viele Gäste des Hofes und eine große Anzahl von Fremden, wohnte diesen vom herrlichsten Wetter begünstigten Schauspielen bei. In den Logen und den amphitheatralisch aufsteigenden Galerien, welche den großen Turnierplatz umsäumten, sah man Tausende von Neugierigen und die gewähltesten und prächtigsten Toiletten. Die fürstlichen Zuschauer klatschten den Siegern eifrig Beifall, für die Cosel hielten sie herrliche Geschenke bereit. Niemand schien die von Neid und Ingrimm verzerrten Gesichter der Hofdamen und der ihnen ergebenen Cavaliere zu beachten; niemand hörte die hinter den Fächern geflüsterten boshaften Bemerkungen – der Triumph Anna's schien ein unbestrittener zu sein ...

Seitwärts in einer Ecke, inmitten einer Schaar von Angehörigen des königlichen Hofstaates, welche nicht an diesen Spielen theilnahmen, hielt sich der arme Zaklika auf, dieser treue Diener der schönen Gräfin. Er war vielleicht der Einzige in dieser großen Menge, welcher ihr wahrhaft zugethan war und der ihr zum Lohne für ihre Launenhaftigkeit die grenzenloseste Verehrung entgegenbrachte. Wahrlich, der Dienst bei der Cosel war weder leicht, noch angenehm – aber Raimund diente mehr seinem Herzen als der Gräfin. Er liebte sie noch immer hoffnungslos und weder die zur Schau getragene Geringschätzung, noch die Launen und der Hochmuth seiner schönen Gebieterin waren im Stande, ihn ihr abwendig zu machen, während er seinerseits sich nicht im Geringsten Mühe gab, eine so thörichte Leidenschaft, die sein ganzes Sein ausfüllte, aus seinem Herzen zu reißen.

Auch er war im Geheimen stolz auf die Ehren, welche Derjenigen zufielen, die er so sehr liebte – obgleich ihn zu Zeiten auch wieder ein Gefühl der Beunruhigung über die Folgen dieser Triumphe beschlich. Er fürchtete für sie von der Eifersucht der Welt, die nicht leicht ein so übermäßiges Glück verzeiht; er wußte auch, wie wenig man auf das Herz des Königs bauen dürfe, der so leicht und schnell durch ein Paar andere schöne Augen zu entflammen und der so ungnädig und undankbar gegen Diejenigen war, die er einst geliebt hatte, sobald eine neue Leidenschaft sich seiner bemächtigte.

Nicht weit von Zaklika standen, mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt, einige Höflinge. Aus dieser Gruppe hörte man kein Zeichen des Beifalles, keinen Laut der Bewunderung für die Königin des Turniers. Ganz nahe bei Raimund aber standen hinter einem Pfeiler zwei ihm ganz unbekannte Personen, die mit gedämpfter Stimme sich unterhielten. Der Erste war ein Mann reiferen Alters mit schon etwas ergrauendem Haar und glattrasirtem Gesicht, der Zweite schien ein Fremder zu sein. So leise die Beiden auch miteinander sprachen, so verstand Zaklika doch, ohne es eigentlich zu wollen, was sie sagten.

»Sie ist schön, sehr schön, die Maitresse Eueres Königs,« sagte der Fremde. »Mit dieser könnte er sich schon einmal endgiltig zufriedengeben!«

Der Alte lächelte ganz eigenthümlich auf diese Bemerkung und erwiderte dann: »Wenn ich das alles so betrachte und mich der Vergangenheit erinnere, so sehe ich nur zu gut das unvermeidliche Ende, welches auch Dieses nehmen wird. Ich fürchte sehr, daß die heutigen Triumphe die letzten der Gräfin Cosel sein werden. In dieser Beziehung habe ich schon Einiges erlebt. Ich sah die zauberhaft schöne Aurora auf dem Gipfel ihrer Macht; dann die reizende Esterle; ich glaube noch heute die hübsche Spiegel, die so liebenswürdige Teschen zu sehen. Madame Cosel hat sich mit überraschender Sicherheit lange genug im Sattel gehalten. Sie kann vielleicht noch eine Zeit lang ihrem Schicksale entgehen, aber daß es ihr gelingen werde, König August für die Dauer zu fesseln, das glaube ich nicht!«

»Man erzählt sich aber doch, daß der König ihr das Versprechen gegeben habe, sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu erheben?« entgegnete der Fremde.

»Ich bin der Meinung, daß die Fürstin Teschen sich der gleichen Illusion hingegeben und daß die schöne Aurora dieselben Hoffnungen gehegt hat. Unsere Königin erfreut sich aber einer ganz ausgezeichneten Gesundheit, und ich glaube bestimmt, daß die bezaubernde Amazone, welche Ihr hier seht, nicht glücklicher sein wird als ihre Vorgängerinnen ...«

»Ich dagegen zweifle sehr, daß sie diesen bald nachfolgen werde,« antwortete der Fremdling, ungläubig lächelnd.

»Wer kann das sagen!« murmelte der alte Herr vor sich hin; dann fuhr er etwas lauter fort: »Betrachtet doch einmal diese lange Reihe hübscher Gesichter, auf welchen sich deutlich Aerger, Neid, Eifersucht abmalen. Mit wenigen Ausnahmen haben so ziemlich alle diese Damen für einen Tag – vielleicht manche für mehrere – das Herz des Königs besessen ... Etwas tiefer, dort an der Ecke der Tribüne, seht Ihr eine Gruppe von französischen Tänzerinnen oder Schauspielerinnen. Unter ihnen befindet sich auch die Duparc, welche augenblicklich noch mit der stolzen Cosel sich in die Gunst des Königs theilt, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil sie, obwohl hundertmal weniger schön als die Gräfin, dafür tausendmal frecher ist. Wer weiß, ob nicht vielleicht morgen schon König August unter jenen Ballerinen eine entdeckt, die ihm wieder besser gefällt und welcher er die Abenteurerin opfert?« ...

Hinter Zaklika befand sich eine andere Gruppe von Höflingen, welche ganz laut und unverholen ihrem Hasse gegen die Favorite Ausdruck liehen.

»Um so besser,« sagte die eine der Creaturen Fürstenberg's, »daß sie so triumphirt und sich so hoch als möglich erhebt; ihr Fall wird dann nur um so empfindlicher für sie sein. In dieser Fluth von Gunstbezeigungen und Ehren wird ihr Hochmuth sich noch mehr steigern, sie wird nun noch anspruchsvoller, ihr Joch unerträglicher sein. Das muß endlich dem König doch zu viel werden, und es ist nicht schwer vorauszusehen, daß der Tag nahe ist, wo ihr Fuß ausgleitet.«

»O, das wird wohl nicht ganz glatt ablaufen,« antwortete ein Anderer, »der Bruch, wenn er eintritt, dürfte sich nicht so friedlich abspielen. Die Gräfin trägt stets eine geladene Pistole und ein vom König unterzeichntes Heiratsversprechen bei sich. Sicher wird sie nur mit irgend einem Eclat, einem Geniestreich vom Schauplatz verschwinden.«

»Drei Jahre sind es nun schon,« nahm ein Dritter das Wort, »daß wir ihren Sturz prophezeihen und all unsere Vorhersagungen haben sich bis jetzt als trügerisch erwiesen.«

Auch der geistreiche Baron Kyau, dem wir schon mehrmals begegnet sind, befand sich in dieser Gruppe. Er hielt sich indessen etwas abseits und vermied es, sich in das Gespräch zu mischen. Einer der Herren fragte ihn nun auch um seine Meinung.

»Ich verstehe zu wenig von der Astronomie, meine Herren,« gab der Baron zur Antwort, »um sagen zu können, wann dieses oder jenes Gestirn in unserem Gesichtskreis erscheint oder daraus wieder verschwindet; überdies soll es ja auch gewisse Sterne geben, welche unveränderlich bleiben ...

Etwas weiter von dieser Gruppe saßen in einer der Logen Gräfin Reuß, Frau von Vitzthum, Fräulein Hülchen und die Baronin Glasenap.

»Wir tragen ganz allein die Schuld an dem, was da vorgeht,« sagte die Gräfin Reuß, indem sie einen tiefen Seufzer ausstieß, zu Frau von Vitzthum gewendet. »Seit zwei oder drei Jahren hat der König ja nicht ein einziges nennenswerth hübsches Gesichtchen zu sehen bekommen. Wir haben uns zu wenig Mühe gegeben, ein solches ihm zu zeigen.«

»Ich kann diese Cosel durchaus nicht leiden,« erwiderte die Angeredete, »aber ich muß gestehen, daß es schwer sein wird, Jemanden ausfindig zu machen, der nach ihr noch Gefallen finden könnte ...«

Gräfin Reuß lächelte ironisch.

»Ihr kennt weder die menschliche Natur, noch den Charakter und den Geschmack des Königs zur Genüge,« sagte sie ruhig. »Nach der blonden Teschen mußte Euere Schwägerin dem König gefallen: nach den blonden Haaren kommen die schwarzen, nach diesen aber werden von neuem die goldblonden Flechten ihren Cours haben ... Die Cosel geberdet sich ja förmlich als Göttin – sicher wird er nun nach der Liebe einer einfachen Sterblichen trachten – einer Bäuerin, einer Duparc, welche mit ihm in der Sprache der Schenken und der Fischweiber spricht.«

»Daß König August sich nicht aus ihren Netzen herauszuwickeln vermag, das setzt mich nicht gerade in Erstaunen, aber daß dieser König von Dänemark sich nachgerade auch darin zu fangen scheint, das ist denn doch zu viel. Seht doch, welch zärtliche Blicke er ihr zuwirft!«

»Und mit welch hochmüthiger Geringschätzung sie ihn behandelt!«

»Wahrlich, wenn ich nicht eher zum Weinen gestimmt wäre,« sagte Fräulein Hülchen vor sich hin, »so könnte ich lachen über diese tolle Abenteurerin!«

»Diese Perle Sachsens ist in ihrem heutigen Anzug mehr als eine Million werth!« meinte die Glasenap.

Man konnte überall derartige Bemerkungen unter der Zuschauermenge hören; aber diese geflüsterten und gemurmelten Ausbrüche des Neides und der Eifersucht erreichten das Ohr des Königs nicht. August errieth indessen so ziemlich, was in den Herzen seiner scheelsüchtigen Höflinge vorging; er fand ein Vergnügen daran, die Leidenschaften der Menschen zu erregen und die Kämpfe, die sich daraus entspannen, zu beobachten.

Nachdem das Turnier, das Preisschießen und das glänzende Abschiedssouper, welches August seinem Gaste zu Ehren gab, beendet waren, kehrte Anna von Cosel in ihr Palais zurück. Ihr Gesicht trug noch den Ausdruck des Triumphes, aber sie fühlte sich doch sehr ermüdet, ja, wie von einem Fieber ergriffen. Nachdem sie ihren Schmuck abgelegt und sich ihrer Oberkleider entledigt hatte, warf sie sich auf ein Sopha, um auszuruhen, und versank in eine Art Träumerei.

Tiefe Ruhe herrschte in dem Palast. Von Zeit zu Zeit hörte man in einem der Vorzimmer oder Gänge verhallende Schritte, dann war alles wieder wie ausgestorben.

Die Stille der Nacht machte auf Anna nach all dem Tumult, dem Beifallsgeschrei, dem Schmettern der Musik einen ganz eigenartigen Eindruck. Sie empfand eine gewisse Leere um sich und fühlte sich ebenso geistig wie physisch abgespannt; eine unendliche Traurigkeit bemächtigte sich ihrer.

Wiederholt waren heute inmitten ihrer Erfolge ihre Augen dem höhnischen Blicke Flemming's begegnet und dieser Blick hatte ihr Innerstes getroffen. Ihr Herz erbebte unter demselben, und Zorn und Furcht stritten sich um die Herrschaft in ihr. Obgleich gar kein äußerer Anlaß für solche Empfindungen vorlag, konnte sie sich ihrer doch nicht erwehren.

Vergeblich rief sie sich alle die Erlebnisse dieses Tages ins Gedächtniß zurück: die Beweise hoher Achtung und Zuneigung von Seiten des Königs, ihren unbestrittenen Sieg über alle Nebenbuhlerinnen – es gelang ihr nicht, den Eindruck zu verwischen, den jene Blicke auf sie ausgeübt hatten; es war ihr, als schwebte eine große Gefahr über ihrem Haupte. Ihre Augen füllten sich unwillkürlich mit Thränen und bange Besorgniß befiel sie. – So überkommt uns oft mitten in den glücklichsten, fröhlichsten Augenblicken des Lebens ein Vorgefühl von dem, was uns die Zukunft Trübes bringt.

Still vor sich hinbrütend, auf jedes Geräusch aufmerksam lauschend und die Augen auf die gegenüberliegende Wand geheftet, wo das Porträt August's angebracht war, überließ sich die Gräfin lange ihren Gedanken. Sie erwartete heute den König nicht mehr. Er sollte am anderen Morgen Dresden verlassen, um seinen Gast nach Berlin zu begleiten. Dort harrten seiner neue Feste, dort sah er wieder neue Gesichter, andere Leute ...

Plötzlich ließen sich in dem Corridor, der durch eine Treppe mit der nach dem königlichen Schlosse führenden Galerie in Verbindung stand, Schritte vernehmen. Das konnte nur August sein. Rasch flog Anna zu einem Spiegel, um ihre Toilette ein wenig zu ordnen. Ihr üppiges Haar ließ sich nicht leicht durch eine ungeübte Hand bemeistern. Mit einer ihrer reizenden weißen Hände hielt sie ihr dunkles Haar, während die andere bemüht war, den lose übergeworfenen Schlafrock festzuhalten, als der König eintrat. Auf den ersten Blick erkannte sie, daß August sich in einem Zustand befand, in dem sie ihn selten sah und in welchem er sich in der Regel hütete, sich bei ihr blicken zu lassen.

Das feierliche Abschiedsgelage, das er seinem Neffen zu Ehren gegeben, den soeben zwei Hofbedienstete mit allen einem so hohen Gaste gebührenden Rücksichten zu Bette gebracht, dieses Abschiedsgelage hatte mit einem gegenseitigen Zutrinken aus großen Humpen geendigt, und so sehr König August sich auch an derlei Forcetouren gewöhnt hatte, war er doch bei diesem Wetttrinken nicht ganz ungestraft geblieben. Ohne die Unterstützung des Kammerdieners, der discreterweise am Fuße der Treppe zurückgeblieben war, hierher gekommen, kostete es dem König so große Anstrengungen, sich im Gleichgewichte zu erhalten, daß er sich beim Eintreten in das Zimmer der Gräfin sofort nach einem Sitz umsah, auf den er sich mit Wohlbehagen niederließ. Sein Gesicht glühte, sein Auge war umschleiert, und die ersten Worte, die er hervorbrachte, klangen fast unverständlich.

»Anna,« sagte er, »wie Du siehst, bin ich noch gekommen, um Dir Lebewohl zu sagen ... Du hast heute einen so erfolgreichen Tag erlebt, wie kaum jemals wieder ein Weib! ... Ich hoffe, daß Du Dich mir dafür dankbar bezeigen wirst.«

Bei diesen Worten brach er in lautes Lachen aus.

Die Gräfin wendete ihm ihr schönes Antlitz zu, auf dem tiefe Betrübniß lagerte.

»O, mein Herr und Gebieter,« antwortete sie, »bin ich Euch nicht für jeden Tag gleichen Dank schuldig? Doch scheint Ihr weder die haßerfüllten Blicke, welche mir ringsum zuflogen, noch das unverschämte spöttische Lächeln meiner Feinde gesehen zu haben, denn wenn Ihr das bemerkt hättet, würdet Ihr sicher begreifen, daß ich durchaus nicht in freudiger Stimmung nach Hause zurückgekehrt bin.«

August lachte immer noch fort.

»Das ist die Tragikomödie des Lebens,« sagte er dann mit philosophischem Gleichmuth; »ich habe meinen Karl XII. und Du hast Deinen Flemming. Irgend etwas hat Jeder auf dieser Welt, was ihm das Leben sauer macht. Doch man muß eben die Welt nehmen, wie sie ist ... Vergiß auf diese Dinge – komm', sei heiter und fröhlich!«

»Ich kann nicht!« antwortete Anna.

»Auch nicht aus Liebe zu mir?« fragte August.

Die Gräfin warf einen langen Blick auf ihn und trotz ihrer gedrückten Stimmung trat ein leises Lächeln auf ihre Lippen, indem sie entgegnete:

»O, mein theuerer Freund, wenn Ihr immer bei mir, immer an meiner Seite wäret, wenn ich nur auf Euch zu achten hätte – wahrlich, mein Leben würde nur Freude und Lust sein!« Sie trat bei diesen Worten auf August zu, ergriff seine Hand und fuhr dann fort: »Ich würde keinen Schritt von Euch weichen, Euch nicht aus meinen Armen lassen ... Doch leider ist das nur ein schöner Traum, denn Ihr entfliehet mir ja selbst, um in der Welt herumzuflattern, und wer weiß, wann ich Euch wiedersehen werde!«

»An dem Tage werde ich gewiß nüchterner sein als heute,« antwortete der König mit einem leichten Lächeln. »Ich liebe den Wein sehr, aber es verdrießt mich stets, wenn er die Herrschaft über mich gewinnt.«

»Wann wird mein geliebter Gebieter wiederkehren?« fragte Anna zögernd.

»Darüber mußt Du die Sterndeuter fragen, denn ich weiß es in der That nicht. Wir gehen nach Berlin, und das Einzige, worauf ich mich freue, ist das, daß nach den Festen in Dresden diejenigen, welche uns in Berlin erwarten, sich wohl recht ärmlich ausnehmen werden. Der kleine Friedrich wird uns mit seinen großen Soldaten amüsiren, bei Tisch uns aber sicherlich halb verhungern lassen ... Berlin nach Dresden! Hahaha!« lachte August. »Das wird lustig werden! Ich gehe eigens dahin, um mich an dem Unterschied und an unserer Ueberlegenheit zu ergötzen.«

»Kommt Ihr mir aber ja treu und beständig zurück, Sire!« sagte Anna, immer noch von den nämlichen trüben Gedanken beherrscht.

»Von Berlin?« rief August lachend. »Ueber diesen Punkt kannst Du ganz ruhig sein, Theuerste; meine Tugend wird dort nicht Gefahr laufen, denn der brandenburgische Hof ist wohl der keuscheste und langweiligste, der auf der Welt existirt.«

»So?« fragte Anna, »und die Dessau?«

Der König erwiderte darauf kopfschüttelnd: »Es ist wahr, sie ist sehr schön – aber wenn sie katholisch wäre, könnte sie nichts Besseres thun, als in ein Kloster gehen und Nonne werden. Sie hat auch nicht das geringste Verständniß für Galanterie; beim mindesten Worte zieht sie sich stets scheu zurück. Es giebt für mich nichts Unerträglicheres als Frauen dieser Art!«

August machte nach diesem Ausruf eine Bewegung, um sich zu erheben, und fuhr sich dabei so unbehutsam über die Stirne, daß seine Perrücke ganz auf die Seite geschoben wurde.

Die Gräfin bemühte sich rasch, sie wieder an ihre richtige Stelle zu bringen, und der König, ganz gerührt über diese Aufmerksamkeit, küßte ihr die Hand.

»Ich reise morgen, meine liebe Cosel,« sagte er dann, »und habe vor meinem Weggehen noch eine kleine Bitte an Dich zu stellen. Ich habe zwischen Dir und Flemming den Vermittler gemacht, Ihr habt nun Frieden miteinander geschlossen. Ich wünsche, daß dieser Friede ein dauerhafter, daß er ein ewiger werde. Mir zuliebe hört endlich auf, Euch gegenseitig auffressen zu wollen.«

Anna runzelte die Stirne.

»Sire,« erwiderte sie, »diese Mahnung müßt Ihr an Flemming richten und nicht an mich. Er läßt es tagtäglich an der mir schuldigen Rücksicht fehlen, er ist mein bitterster Gegner. Es ist nicht Sache der Gräfin Cosel, der Gemahlin August's ...«

Der König lächelte bei diesen Worten ganz eigentümlich; wie ein Blitz zuckte es in seinen Augen.

»Es ist nicht an mir,« fuhr Anna würdevoll fort, »einem Flemming zu weichen. Ich werde ihm niemals die Ehre erweisen mich vor ihm zu fürchten oder mich vor ihm zu beugen! ...«

»Aber ich dulde diese ewigen Zänkereien einmal nicht ...«

»Befehlt ihm, Sire, daß er nachgebe und in mir die Mutter Euerer Kinder ehre!« erwiderte Anna voll Hoheit, »das wird das sicherste Mittel sein, einen Frieden zu erlangen und zu befestigen, welchen niemand sehnlicher herbeiwünscht als ich.«

Nach diesen Worten, auf welche der König nichts zu erwidern wußte, folgte ein stummer Abschied. Die Cosel hing voll Zärtlichkeit am Halse August's, welcher sich bei seinem etwas unsicheren Stande auf die Lehne eines Sessels stützen mußte, um nicht zu wanken. Die Gräfin bot ihm sodann ihren Arm und führte ihn die wenigen Schritte bis zur Thür.

Als der König langsam die Galerie entlang nach dem Schlosse ging, sah er etwas ernst darein.

Wer mag errathen, was dabei in seiner Seele vorging? Wünschte er wirklich, daß zwischen der Cosel und Flemming aufrichtiger Friede herrsche, oder lag es nicht vielleicht in seiner Absicht, mit jenem gewissen Macchiavellismus, den wir bereits an ihm wahrzunehmen Gelegenheit hatten, zwischen diesen Beiden eine fortgesetzte Fehde zu unterhalten? ... Wir werden das später sehen ...

Kaum war August in seine Gemächer zurückgekehrt, als er sogleich Flemming rufen ließ.

Als dieser bald darnach erschien, nahm August eine aufgebrachte und zugleich etwas spöttelnde Miene an.

»Die Cosel beklagt sich über Dich, Alter,« sagte er nach einer Weile, »man muß ihr etwas nachgeben, muß auf das hören, was sie sagt und ihr nichts nachtragen. Du kennst ihren Charakter und weißt auch, wie viel ich selbst von ihr zu erdulden habe.«

»Sire,« sagte Flemming, welcher mit dem König auf ziemlich vertrautem Fuße stand und zur rechten Zeit manchmal auch geistreich und witzig zu sein wußte, »Euere Majestät und ich können in diesem Falle nicht in eine Parallele gezogen werden; unsere Position ist dazu eine zu sehr verschiedene. Wenn Ihr hie und da von Seite der Gräfin Unangenehmes über Euch ergehen lassen müßt, so werdet Ihr dafür wenigstens durch ihre Liebe entschädigt.«

»Und meine Freundschaft,« versetzte der König, »zählst Du diese für gar nichts?«

»Sire,« antwortete Flemming mit einer tiefen Verbeugung, »die Arithmetik ist, wie Ihr wißt, nicht meine starke Seite. Es dürfte daher gerathen sein, wenn wir von Ziffern ganz absehen ...«

»Um zu Ende zu kommen,« sagte der König, »ich wünsche, daß Du mit der Cosel Frieden haltest.«

»Das ist ziemlich schwer,« antwortete der General, »schmeicheln und mich verstellen ist nicht meine Sache, mich ihr zu beugen, das bin ich vollends nicht im Stande, denn mein Rückgrat ist schon etwas alt und steif.«

Bei diesen Worten brach der König in lautes Lachen aus. »Du hast es da übrigens,« rief er aus, »durchaus nicht mit einer Undankbaren zu thun; denn ich kann Dich versichern, daß sie Dich zum mindesten ebenso sehr hasset, wie Du sie hassest. Sie behauptete neulich, daß Du ein veritables Affengesicht besitzest ... Ich finde, daß sie dabei doch etwas übertreibt.«

Flemming hob rasch den Kopf; seine Augen funkelten vor Wuth. Er brummte einige unverständliche Worte vor sich hin, die sicherlich keine Lobeshymne auf die Geliebte des Königs waren. Wenn der König die Absicht hatte, jede Verständigung zwischen ihm und der Cosel unmöglich zu machen, so konnte er wirklich nicht geschickter dabei zu Werke gehen.

Es ist an der Zeit, uns ein wenig näher mit dem Manne bekannt zu machen, welcher einen so entscheidenden Einfluß auf die Geschicke der Heldin unserer Erzählung nehmen sollte.

Graf Jakob Heinrich von Flemming war einer der gewandtesten Höflinge seiner Zeit. Es wurde ihm mit Recht nachgerühmt, daß er zu den Wenigen zähle, welche sich eine lange Zeit hindurch in der Gunst des wankelmüthigen Sachsenfürsten zu erhalten wußten, ja er verstand es, sich ihm förmlich unentbehrlich zu machen. Man behauptete allgemein, daß der Kurfürst von Sachsen die Krone Polens namentlich seinen Bemühungen zu verdanken hatte.

Eine seiner nächsten Anverwandten hatte sich im Jahre 1684 mit Przebendowski, dem Krongroßschatzmeister und Castellan von Kulm, verheiratet und durch dessen Vermittlung hatte der General in Polen viele Verbindungen angeknüpft, welche ihm in der Folge gute Dienste leisteten. Für die damalige Zeit ziemlich unterrichtet, mehr Diplomat als Soldat, obgleich er sich dem Waffenhandwerk als Beruf zugewendet hatte, stand er an Schlauheit und Geschicklichkeit keinem der Staatsmänner jener Epoche nach. In der Politik war er ein eifriger Schüler Macchiavelli's und es galt ihm als Princip, daß jedes Mittel erlaubt und gut sei, wofern es nur zu dem gewünschten Ziel führe.

Natürlich suchte Flemming, dessen Streben dahin ging, am Hofe August's allen politischen Einfluß an sich zu reißen und den König sozusagen unter seine Vormundschaft zu stellen, in geschickter Weise alle Diejenigen von den Staatsgeschäften fernzuhalten, welche er im Verdacht hatte, daß sie ihm als Rivalen gegenübertreten könnten. Hoym war ihm unbequem, daher arbeitete er unausgesetzt im Stillen an seinem Sturz, er fürchtete den Einfluß der Gräfin Cosel und war deshalb bemüht, an ihre Stelle irgend eine unbedeutende Person zu bringen; Schulenburg erschien ihm als gefährlich und er hatte daher schon lange ein wachsames Auge auf ihn.

Er hielt stets ihm passende Leute in Reserve, um sie bei erster Gelegenheit auf die Plätze der ihm Mißliebigen zu bringen; es waren Creaturen, die ihm alles zu verdanken hatten, ihm mit Leib und Seele ergeben waren und gierig auf eine freigewordene Stelle lauerten. Wackerbart, Watzdorf, Manteuffel waren auf diese Weise seine Anhänger und treu ergebenen Diener geworden. Voll Eigendünkel und mit großem Selbstbewußtsein begabt, Pflegte er zu Zeiten, wo er redseliger als gewöhnlich war, zu seinen Vertrauten zu sagen: »Es ist meine festeste Ueberzeugung, daß die Gelegenheit den Menschen zu dem macht, was er ist. Es giebt Niemand, der nicht für irgend eine Sache die erforderliche Befähigung besäße, sobald sich ihm die Gelegenheit bietet, seine Kräfte daran zu versuchen und sie durchzuführen. Ich vermöchte dafür keinen überzeugenderen Beweis beizubringen, als meine eigene Geschichte. Als ich in die Welt trat, wendete ich mich der militärischen Laufbahn zu, ich hatte keinen anderen Ehrgeiz, als in der Folge ein Regiment zu erhalten – und nun seht Ihr mich heute als ersten Minister und Feldmarschall« – er wurde im Jahre 1711 mit dieser Charge bekleidet – »obgleich ich niemals ein Collegium gehört habe. Ich kann füglich sagen, daß ich Sachsen und Polen regiere, ohne auch nur die Gesetze dieser beiden Länder ordentlich zu kennen, und trotzdem wird niemand behaupten können, daß ich meinen Posten nicht ehrenvoll ausfülle.«

Diesem stolzen Selbstgefühle im Vereine mit seiner Kühnheit hatte er seine glänzende Carrière zu verdanken. Allerdings war gar bald nicht zu verkennen, daß seiner militärischen Begabung jede Erfahrung mangelte und daß seine Thätigkeit als Minister gar häufig die nöthige Schulung und Formgewandtheit vermissen ließ. Sehr lebhaften und aufgeweckten Temperamentes, heiteren Sinnes und voll Lebenslust, hatte er doch ein sozusagen martialisches Aussehen; seine Anordnungen und Befehle waren stets sehr bestimmt und kurz, und er duldete durchaus keinen Widerspruch. Sehr reizbar, ließ er sich leicht vom Zorn hinreißen, doch konnte ihn ein witziges Wort sogleich wieder entwaffnen, denn er liebte geistreiche Leute und schlagfertige Einfälle. Er war August's Freund, Vertrauter und Genosse bei seinen Vergnügungen. Es passirte ihm nicht selten, daß er in seiner Familiarität, die ihm dem König gegenüber gestattet war, etwas zu weit ging, doch verstand er es stets, solche Verstöße rasch wieder gutzumachen.

Flemming führte ein wahrhaft fürstliches Haus. Er hatte eine sehr zahlreiche Dienerschaft und hundert Pferde in seinen Ställen stehen. Er sprach außer der deutschen Sprache auch fertig französisch und polnisch und war auch im Lateinischen nicht unbewandert; er wußte das Leben zu genießen, ohne deshalb seine Geschäfte dabei zu vernachlässigen, konnte ungestraft ganze Nächte hindurch an Trinkgelagen sich betheiligen und auf solche durchschwelgte Nächte nach einem kurzen Schlafe von kaum einer halben Stunde sich vollständig erfrischt wieder erheben. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, konnte es ihm nicht fehlen, daß er großen Einfluß gewann an einem Hofe, an dem Vergnügungen und Intriguen die hauptsächlichsten Beschäftigungen waren. Flemming war ein Mann von Eisen, trotz seiner Lebhaftigkeit dem äußeren Anschein nach ein Phlegmatiker und stets Herr seiner selbst.

Sein Aeußeres bot übrigens nichts besonders Bemerkenswerthes; er war ziemlich klein von Gestalt, untersetzt, hatte ein rothes Gesicht und wenig ausgeprägte Züge. Er trug, obwohl dies bei Leuten von Stand in jenen Tagen nicht Sitte war, keine Perrücke, sondern lange Locken. Flemming häufte sich große Schätze an und vermehrte stets seine Güter; er that nichts umsonst und wußte sich bei wichtigen Geschäften stets sein Trinkgeld zu sichern – oft so ansehnliche Trinkgelder, daß König August eines Tages, als er erfahren hatte, es seien Flemming bei einer solchen Transaction fünfzigtausend Thaler in die Tasche gefallen, zu ihm sagte: »Höre, Flemming, ich weiß, welche Summe Du erhalten hast – das ist zu viel für Dich allein, Du wirst mir die Hälfte davon abtreten.«

Der Minister willigte ein. Dieser Zug kennzeichnet den Gebieter und seinen ersten Diener wohl am besten ...

Gegen einen Mann von dem Charakter Flemming's, welcher derartig begabt war und sich so meisterhaft zu beherrschen verstand, anzukämpfen, das war gewiß ein gefährliches Unternehmen für eine Frau von so leidenschaftlichem und heftigem Temperament, wie die Gräfin Cosel, welche überdies jahrelange Erfolge und Triumphe verblendet und verwöhnt hatten. Ueberdies standen ja hinter Flemming als seine natürlichen Verbündeten alle die Feinde der Gräfin und, was noch mehr sagen will, ihre giftigen Rivalinnen.

Die lange Dauer ihres Glückes hatte die Eifersucht des ganzen weiblichen Hofstaates aufs heftigste erregt, umsomehr, da man nicht im Stande war, irgend etwas aufzufinden, was der Cosel schaden oder sie in den Augen des Königs herabsetzen konnte. Inmitten dieses verderbten Hofes, wo Liebschaften so leicht angeknüpft und so rasch wieder gelöst wurden, konnte ihr niemand auch nur das geringste Vergehen vorwerfen, obwohl sie fortwährend von einer ganzen Schaar Bewunderer und Anbeter umringt war. Die eifrigsten Spione vermochten keinen Anhaltspunkt zu entdecken, der sich gegen sie verwenden ließ, ja selbst die Verleumdung war nicht im Stande, ihr etwas anzuhaben. Die Cosel konnte in der That stolz auf sich selbst sein, denn an Charakter und Anstand, im Benehmen und Lebenswandel übertraf sie alle Frauen ihrer Umgebung. Ihre Feinde geriethen in gelinde Verzweiflung, da sie tagtäglich hören mußten, daß die Gräfin sich durchaus nicht als Maitresse des Königs, sondern vielmehr als seine Gemahlin betrachte.

Die tadellose Aufführung der Cosel, weit entfernt, ihre Feinde zu entwaffnen, war indessen nur geeignet, ihren Haß und ihre Verbitterung zu vermehren. Man hetzte fortwährend General Flemming gegen sie auf, und selbst Vitzthum wurde von seiner Frau schließlich dahin gebracht, weniger aus Bosheit als aus Leichtsinn, die Reihen ihrer Feinde zu vermehren ...

Der Feldzugsplan war entworfen. Es handelte sich nur noch darum, eine entsprechend schöne und gewandte weibliche Persönlichkeit zu finden, welche vor dem Schicksal, das man eben der Gräfin Cosel zu bereiten sich anschickte, nicht zurückschreckte, und die sich entschließen konnte, die traurige und erniedrigende Rolle einer Eintagsfavoritin August's II. zu übernehmen. Wußte man doch, wie schwach der König war und daß er jeder nur ein wenig koketten Frau unterliegen mußte! Man mußte ihm auf halbem Wege entgegenkommen, ihm eine neue glänzende Erscheinung zuführen, ihn vorbereiten für eine neue Eroberung, welche die alte seinen Wünschen entrückte.

So begann denn die neue Campagne gegen die Gräfin Cosel.


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