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6.
Eine unterbrochene Reise.

Gräfin Cosel hatte sich entschlossen, an das Hoflager des Königs zu reisen, um sich ihm irgendwie in den Weg zu stellen und ihre Sache selbst zu vertheidigen. Dies war der Grund, weshalb sie, von einigen ergebenen Dienern begleitet, sich in größter Eile auf den Weg gemacht hatte, damit ihre Feinde ihr nicht in Warschau zuvorkämen. Der treue Zaklika, welcher niemals von ihr wich, war natürlich auch diesmal ihr Reisebegleiter. Den armen Raimund schmerzte es unendlich, seine Gebieterin nun so unglücklich zu sehen.

Die Schüchternheit und Zurückhaltung, die Zaklika eigen waren, gestatteten ihm nicht, seinen Gefühlen irgendwie Worte zu leihen, und er litt nur umsomehr darunter. Bleich, abgemagert und traurig ritt er neben dem Wagen seiner Gebieterin einher, stets bereit, den geringsten ihrer Wünsche zu erfüllen.

Vor ihrer Abreise hatte ihn die Gräfin zu sich gerufen.

»Alles hat mich verlassen,« sagte sie zu ihm, »und ich habe nun niemanden mehr, auf den ich sicher zählen könnte.«

Bei diesen Worten fixirte sie ihn scharf. Zaklika hörte sie stillschweigend und mit betrübter Miene an.

»Und Du,« fuhr die Gräfin fort, »wirst Du mich ebenfalls verlassen?«

»Ich? – Niemals!« lautete Zaklika's Antwort.

»Ich habe nichts Anderes von Dir erwartet und ich glaube auch, daß ich auf Deinen edlen Charakter und Deine Ergebenheit für mich bauen kann!«

»Immer!« antwortete Zaklika, die Hand wie zum feierlichen Schwure gen Himmel emporstreckend.

»Ich will Dir das Theuerste, was ich habe, anvertrauen,« sagte Anna nun mit gedämpfter Stimme. »Schwöre mir aber zuvor, daß Du das werthvolle Pfand, welches ich Deinen Händen übergeben werde, bis zu Deinem letzten Athemzuge treulich hüten, es Dir nicht entreißen lassen willst. Schwöre mir dies, versprich mir, daß Du ohne Unterlaß, bei Tag und bei Nacht wachen wirst über meinen Schatz, meine Ehre, wie ...«

»Wie über eine heilige Reliquie,« unterbrach Raimund sie in feierlicher Weise. »Ihr könnt darüber vollkommen beruhigt sein, Madame.«

»Keine Menschenseele darf erfahren, daß ich Dir dieses Kleinod anvertraut habe!«

»Soll ich schwören?«

»Dein Wort genügt mir vollkommen. Indessen ist es am Platze, daß Du auch erfahrest, was Du zu vertheidigen haben wirst. Ich habe es Dir schon gesagt und ich wiederhole es: Du sollst der Hüter von Gräfin Cosel's Ehre werden! ... Als der König mich meinem Gatten abwendig machte, legte er ein mit seinem königlichen Siegel und seiner Unterschrift versehenes Papier in meine Hände: das Versprechen, daß er für den Fall des Todes der Königin mich heiraten würde und daß ich dann in alle Rechte seiner Gattin eingesetzt werden solle. Nur unter dieser Bedingung habe ich mich bereit finden lassen, das Leben zu führen, das ich bisher geführt habe! ... Meine Feinde werden sicherlich alles aufbieten, um mir dieses königliche Heiratsversprechen zu entreißen; denn falls es in meinem Besitze bleibt, muß der Wortbruch des Königs diesen mit unverlöschlicher Schande bedecken ... Nun können sie sich allerdings meiner Person bemächtigen, sich an mir vergreifen – aber sie werden nicht im Stande sein, mir den Mund zu öffnen; weder Drohungen, noch selbst Folterqualen werden mich zu dem Geständnisse bringen können, wo ich dieses Schriftstück verborgen habe. Es einzumauern oder in der Erde zu vergraben, ist unthunlich, da es ja möglich ist, daß man mich plötzlich ins Exil schickt; es bei mir zu tragen aber wäre gewiß sehr gefährlich.«

Bei diesen Worten zog Anna einen Schlüssel hervor und öffnete damit eine vor ihr stehende, reich mit Silber und Elfenbein eingelegte Ebenholz-Schatulle; sie entnahm derselben eine goldene Kapsel und zog aus der letzteren eine lederne Enveloppe, die mit einer seidenen Schnur umwunden war, hervor.

»Du wirst mich nicht verrathen?« fragte sie nochmals, Zaklika scharf ins Auge fassend.

Raimund beugte das Knie und ergriff die ihm dargebotene Hand, sie mit Küssen bedeckend, während zwei große Thränen sich aus seinen Augen stahlen; dann nahm er die Enveloppe aus den Händen der Gräfin, betrachtete sie einen Augenblick und barg sie dann rasch unter seinem Wams.

»Nur wenn man mich tödtet, soll man mir dies zu entreißen im Stande sein!« sagte er mit bewegter Stimme.

Eilig verschloß nun die Gräfin die Cassette wieder.

»Wir werden sogleich abreisen,« sagte sie dann zu Zaklika. »Da man niemals der Zukunft sicher ist und wir nicht wissen können, welche Gefahren oder Unfälle unser harren, ist es nöthig, daß Du zur Genüge mit Geld versehen bist.«

Sie überreichte ihm dabei einen mit Gold gefüllten Beutel.

Wenige Stunden später, nachdem Anna noch ihre Pistolen, von denen sie sich niemals trennte, frisch geladen hatte, wurde die Reise nach Warschau angetreten.

Bis nach Widawa, einem kleinen Städtchen an der schlesischen Grenze, verlief die Fahrt ohne jeden Zwischenfall. Die Gräfin fühlte sich hier sehr ermüdet und wollte deshalb einige Stunden der Ruhe pflegen; sie stieg in dem einzigen Gasthofe des Ortes ab und gab Befehl, daß rasch ein Mahl bereitet werde. Vor dem Wirthshause bemerkten die Ankömmlinge zehn Pferde stehen, deren Zügel an hierzu vorgerichteten Pfosten befestigt waren; Gräfin Cosel und Zaklika vermutheten, daß die Thiere Trabanten angehörten, die sich auf der Rückreise nach Sachsen befanden. Der polnische Edelmann hielt an der Thür zu den Gemächern seiner Herrin treue Wache.

Es dauerte nicht lange, so erschienen im Vorzimmer der Gräfin zwei Cavaliere, aus deren Tracht unschwer zu erkennen war, daß sie zum Hofe gehörten. Die Herren baten Raimund, sie seiner Gebieterin zu melden – es waren La Haye und Montargon. Sie gaben vor, daß sie, auf der Durchreise den Gasthof passirend, vernommen hätten, daß Gräfin Cosel hier abgestiegen sei, und daß sie demnach bäten, die Frau Gräfin ehrerbietigst begrüßen zu dürfen.

Der Gräfin war nur der Erstere der beiden Herren bekannt. Sie erstaunte nicht wenig über die Meldung, welche Zaklika im Aufträge der Beiden übermittelte; obgleich sie indessen daran gewöhnt war, alle Welt sich von ihr entfernen zu sehen, statt sie wie früher aufzusuchen, kam ihr doch nicht der geringste Argwohn, daß hinter diesem Besuche irgend eine Falle sich bergen könnte. Sie ließ daher ahnungslos die Herren zu sich bitten.

La Haye war ein äußerst artiger Mann, ein vollendeter Hofmann mit den feinsten Umgangsformen.

Beim Eintritt der beiden Officiere fühlte sich Anna von einer ihr ganz unerklärlichen Unruhe und Beklemmung ergriffen; indessen gelang es ihr bei ihrer gewohnten Selbstbeherrschung rasch, das, was in ihr vorging, zu verbergen. Sie empfing also die Besucher mit aller Liebenswürdigkeit in anscheinend ruhiger und heiterer Gemüthsverfassung, und lud sie, als die Zeit des Diners nahte, höflichst ein, das frugale Mahl, wie es Ort und Umstände boten, mit ihr zu theilen.

Während des Mahles entspann sich nach und nach eine ganz angeregte und lebhafte Conversation; als man aber zum Dessert gelangte, hielt es Montargon für an der Zeit, sich seiner Mission zu erinnern. Er begann so leichthin unter anderen Dingen auch von Warschau zu sprechen und wendete sich endlich geradenwegs mit folgenden Worten an seine liebenswürdige Wirthin: »Mir will scheinen, Madame, als hättet Ihr diese lange Reise ziemlich unnöthigerweise unternommen. So viel ich weiß, ist der König in Warschau sehr in Anspruch genommen, und wer weiß, ob der von Euch unternommene Schritt ihm nicht gerade unangenehm ist. Wenn das Letztere der Fall wäre, so könntet Ihr Euch wirklich großen Widerwärtigkeiten aussetzen.«

Bei diesen Worten runzelte die Gräfin finster die Stirne und ihren Stuhl ein wenig zurückschiebend, erwiderte sie in stolzestem Tone: »Wie, mein Herr, seid Ihr etwa hierher gekommen, um mir gute Lehren zu geben, oder glaubt Ihr meine Lage und das, was ich zu thun oder zu lassen habe, besser als ich beurtheilen zu können?«

Montargon verlor auf diesen heftigen Ausfall hin beinahe seine Fassung und stammelte in größter Verlegenheit: »Entschuldigt, Frau Gräfin!«

»Nein, nein!« rief Anna, welche über die Worte des Fremden immer mehr in Aufregung gerieth, »ich kann Euch Euere Ungeschicklichkeit und Zudringlichkeit durchaus nicht verzeihen. Bleibt mir ein- für allemal mit Eueren Rathschlägen vom Leib, denn ich nehme solche von gar niemanden an. Merkt Euch das!«

Montargon wurde bald roth, bald blaß; er fand aber dann doch seine Kaltblütigkeit wieder und entgegnete: »Ich muß allerdings zugeben, Madame, daß es Euch vollkommen freisteht, auf meine Rathschläge zu hören und sie zu befolgen oder nicht; wenn ich aber nun zum Beispiel im Namen und Aufträge des Königs zu Euch spräche ...«

»Des Königs?« unterbrach ihn die Gräfin betroffen.

»Ja wohl, Frau Gräfin, im Namen des Königs.«

»Und selbst wenn dem so wäre,« antwortete sie würdevoll, »würde ich mich durchaus nicht veranlaßt sehen, darnach mein Vorgehen einzurichten. Meine Feinde haben sich jetzt seiner bemächtigt und haben ihn dazu vermocht, etwas zu thun, was er nicht hätte thun sollen und was er sicher noch tief bereuen wird. Der König konnte sich wohl für den Moment so von ihnen beeinflussen lassen, allein ich bin überzeugt, daß er mir Dank wissen wird, wenn ich ihre Pläne durchkreuze. Das ist mein Standpunkt.«

So höflich Montargon der Gräfin gegenüber aufzutreten gewillt war, fühlte er sich doch von dem schroffen Tone, in dem die schöne Reisende mit ihm sprach, etwas gereizt, und er erwiderte in zwar anscheinend ruhiger, aber doch sehr sarkastischer und herausfordernder Weise: »Ihr würdet mich unendlich verbinden, Frau Gräfin, wenn Ihr mich nicht zwingen wolltet, zu Mitteln Zuflucht zu nehmen, zu gewaltsamen Mitteln, die Euch gewiß ebenso unangenehm sind als mir.«

»Was,« rief Anna erregt, »Ihr wollt es wagen, mein Herr, Hand an mich zu legen?«

»Ich habe den gemessenen Befehl des Königs, Euch zum Aufgeben Eueres Reiseplanes zu veranlassen,« sagte Montargon, »und meine Pflicht zwingt mich, darnach zu handeln.«

Auf diese Aeußerung war die Gräfin nicht mehr im Stande, an sich zu halten; der Zorn übermannte sie völlig und sich erinnernd, einmal gehört zu haben, daß der Kämmerer der Sohn eines armen Schreibers sei, rief sie ihm wüthend zu:

»Fort von hier, elender Actenschmierer! Mach' schleunigst, daß Du mir aus dem Gesichte kommst, fort, sonst erschieße ich Dich!«

Sie griff bei diesen Worten nach einer ihrer Pistolen. Zaklika war bei dem heftigen Wortwechsel, nichts Gutes ahnend, unter der Thür sichtbar geworden. Montargon, der einsah, daß er die Sache ungeschickt angefangen und keinen Augenblick darüber im Zweifel war, daß die Gräfin ihre Drohung wahr machen würde, falls er sie noch weiter reizen wollte, schlich sich lautlos davon und La Haye, der sich bisher nicht in diesen Diseurs gemischt hatte, blieb allein mit der aufgebrachten Frau im Zimmer zurück.

Er ließ sich die Art und Weise, wie sein Gefährte abgetrumpft worden war, zur Warnung dienen und versuchte nun seinerseits mit der möglichsten Vorsicht und Mäßigung sich der schwierigen Mission, die ihm geworden, zu entledigen.

»Frau Gräfin,« begann er, »verzeihet mir, wenn ich es wage, noch weiter von der angeregten Sache zu sprechen ... Es wäre gewiß ungerecht, einen Abgesandten für den Auftrag, den er zu überbringen hat, bestrafen zu wollen. Beruhiget Euch daher, Madame. Wir sind ja an der ganzen Angelegenheit weiter nicht betheiligt und daher vollkommen schuldlos, denn wir können sicher nichts dafür, wenn man uns mit so unangenehmen Aufträgen betraut. Glaubt mir, daß es mich unglücklich machen würde, Euch auch nur den geringsten Kummer verursachen zu müssen; aber ich beschwöre Euch, gnädige Frau, nehmet Rücksicht auf die Lage, in der wir uns befinden. Befehle des Königs, Befehle, die uns direct aus dem Munde Seiner Majestät zukommen, sind für den Soldaten heilig und er muß sie ohne jede weitere Kritik durchführen, koste es, was es wolle!«

»Habt Ihr den König gesprochen, mein Herr?« fragte die Gräfin, schon etwas beruhigt.

»Gewiß, gnädige Frau, und er selbst hat mir die Befehle ertheilt, nach denen ich handle ... Ich bitte Euch, Madame, wenn Euch schon an Euerer eigenen Person nichts liegt, so bringet wenigstens uns nicht ins Verderben und nehmet Rücksicht auf uns.«

Der sanfte, begütigende Ton seiner Rede begann die Gräfin mehr und mehr zu entwaffnen. Unschlüssig ließ sie sich in ein Fauteuil gleiten.

»Beruhiget Euch, meine Gnädige,« fuhr La Haye fort, »ich sehe bis jetzt durchaus nichts, was geeignet wäre, Euch so in Aufregung oder Furcht zu versetzen.«

»Und die Dönhoff?«

»Die Dönhoff?« erwiderte der Officier lächelnd; »aber Frau Gräfin, das ist ja nur so eine augenblickliche Laune des Königs, eine Intrigue, wie seinerzeit die mit Henriette Duval, welche nun, wie so manche andere, längst wieder vergessen ist. Frau von Dönhoff ist verheiratet. Ihr Mann wohnt gegenwärtig auf dem Lande, er weiß von gar nichts. Es hat durchaus nicht den Anschein, daß seine Frau nach Dresden kommen werde. Der König aber wird nun bald nach Sachsen zurückkehren. Ihr werdet ihn Wiedersehen und es wird nicht lange dauern, so werdet Ihr Eueren alten Einfluß wiedergewonnen haben.«

Die Gräfin hatte sich nach und nach wieder völlig beruhigt und begann nun La Haye über verschiedene, sie interessirende Dinge zu befragen; dieser wußte ihr alles in solch befriedigendem Lichte darzustellen, daß die Sachlage in ihren Augen schließlich viel von dem früheren bedrohlichen Aussehen verlor. Nach einer etwa viertelstündigen Unterredung verzichtete die Gräfin, den inständigen Bitten und Vorstellungen des gewandten Officiers nachgebend, auf ihre Reise und gab sofort die nöthigen Befehle für die Rückkehr nach Pillnitz.

La Haye hatte somit den gewünschten Erfolg erzielt. Montargon wagte es gar nicht mehr, sich vor der Gräfin blicken zu lassen; sobald er indessen den Entschluß derselben vernommen hatte, fertigte er sofort einen Courier nach Warschau ab, um der Marschallin von dem glücklichen Ausgange seiner Mission Nachricht zu geben.

Die beiden Officiere fühlten sich indessen doch noch nicht ganz sicher, ob nicht die Gräfin etwa unterwegs wieder anderen Sinnes werden könnte; sie folgten daher mit ihrer Bedeckung in gewisser Entfernung unbemerkt dem Wagen der Cosel, wobei sie stets da Halt machten, wo die von ihnen Ueberwachte sich aufgehalten hatte. Nachdem sie so bis Bautzen gekommen waren, fühlten sie sich ihrer Sache endlich ganz sicher und kehrten um, um so bald als möglich in Warschau den Dank ihrer Auftraggeberinnen einzuheimsen.

Montargon, welcher sich schon lange nicht mehr so nahe vor der Mündung einer Pistole gesehen hatte, blieb jenes Auftrittes mit der Cosel noch lange eingedenk und nahm sich fest vor, nicht sobald wieder sich in so heikle Angelegenheiten zu mischen ...

Inzwischen begann Frau von Dönhoff in Warschau die öffentliche Aufmerksamkeit mehr und mehr auf sich zu lenken und Gegenstand des Tagesgespräches zu werden. Sie kam dabei nicht am besten weg, denn obgleich zu jener Zeit der Einfluß fremder Sitten und Gebräuche in Polen sich bereits recht fühlbar machte und dies nicht gerade der erste Scandal dieser Art war, so fanden doch alle anständigen und rechtschaffenen Leute die Aufführung dieser jungen Frau empörend, welche in Abwesenheit ihres Gemahls so häufig die Besuche des Königs empfing und sich auch ungescheut öffentlich mit ihm zeigte. Die Entrüstung hierüber war bereits auf einen hohen Grad gestiegen.

Noch schärfer als alles Andere aber wurde die Rolle beurtheilt, welche die Mutter der jungen Frau in der Affaire spielte, sowie die Schwester der Letzteren, Frau von Potzki, welche das Benehmen Marien's ganz in der Ordnung zu finden schien. Weit entfernt, sich zu bestreben, ihr frivoles Treiben vor den Augen der Welt zu verbergen oder irgend welches Schamgefühl zu empfinden, rühmten sich diese Frauen noch ganz offen der königlichen Gunst. Die übrigen Glieder der Familie Dönhoff, welche man bisher durch geschickte Manöver auf dem Lande zurückzuhalten gewußt hatte, begannen endlich doch die volle Wahrheit zu ahnen und Lärm zu schlagen. Man drängte den Gemahl Marien's dazu, seine Frau zu sich zu rufen. Dönhoff schrieb täglich Briefe in diesem Sinne nach Warschau, einen dringender und entschiedener als den anderen, ja, er sparte selbst Drohungen nicht. Man fand indessen immer wieder einen Vorwand, um Zeit zu gewinnen.

Doch wie alles endlich ein Ende nimmt, so mußte man auch hier zuletzt keine Ausrede mehr zu finden – es mußte zur Entscheidung kommen. Frau von Bielinska, welche überall und in jeder Affaire sich so gut aus der Schlinge zu ziehen wußte, entschloß sich, selbst ihren Schwiegersohn aufzusuchen.

Am Morgen nach ihrer Ankunft auf dem Gute, wo sich Herr von Dönhoff aufhielt, hatte sie eine längere Unterredung mit ihrem Schwiegersohn. Sie ging geradenwegs auf den Zweck ihres Besuches los.

»Mein lieber Dönhoff,« sagte sie, »quält uns nicht länger mit Euerem Drängen. Ihr wollt, daß Marie zu Euch zurückkehre, ich aber erkläre Euch offen, daß daraus nichts wird! Wir sind durchaus nicht gesonnen, das Wohl unserer ganzen Familie Euerem Eigensinn zu opfern ... Wir haben den König für uns gewonnen und er ist ganz außerordentlich für Marie eingenommen. Es wäre Wahnsinn, wenn ich sie, um Euerem lächerlichen Bedenken zu genügen, hierher brächte und auf diese Weise mit eigener Hand unser Glück zerstörte.«

Dönhoff war noch ein Edelmann von altem Schrot und Korn; die Anschauung der Dinge, wie sie bei der Marschallin gang und gäbe war, entsprach durchaus nicht seinen Ansichten. Seine Stirne verfinsterte sich mehr und mehr.

»Höret mich an, Baron,« fuhr Frau von Bielinska fort. »Ihr habt nun die Wahl: Ihr könnt entweder stillschweigend die Dinge gehen lassen, wie sie sich entwickeln müssen und sich die Gnade Seiner Majestät zunutze machen, was Euch gewiß keinen Schaden bringen würde, oder aber Ihr könnt Euere Einwilligung zur Scheidung geben. Der päpstliche Nuntius Monsignor Grimani will unserer Familie sehr wohl; es wird ihm ein Leichtes sein, in Rom die Scheidung durchzusetzen.«

»Ah, meine Liebe,« antwortete Dönhoff ruhig, »ich habe durchaus keine Lust, das Herz meiner Frau mit dem Könige zu theilen, denn, um die Wahrheit zu sagen, es bliebe dabei weder für ihn, noch für mich etwas, was sich der Mühe lohnte. Wie man hört, macht ja alle Welt Euerer Tochter die Cour. Lasset mich also in Ruhe mit Euerem König, mit seiner Gunst und seinem Gelde! Befreit mich von Marie, das ist alles, was ich verlange und ich habe nur die Bitte hinzuzufügen, daß dies sobald wie möglich geschehe.«

Die Marschallin war nicht wenig erstaunt, als sie sah, daß ihr Schwiegersohn die Sache so leicht nahm und die ihm in Aussicht gestellte königliche Gunst so geringschätzig zurückwies. Nachdem sie von Dönhoff die schriftliche Einwilligung zur Ehescheidung erlangt hatte, begab sie sich nach Warschau zurück, Ihr erster Gang war zu Monsignore Grimani. Der Nuntius schrieb sofort nach Rom und Clemens XII. bewilligte anstandslos die Scheidung.

Marschall Bieliuski, der schon seit längerer Zeit leidend und von den Aerzten aufgegeben war, wurde kurz nach diesem Vorfall immer kränklicher und starb bald darauf. Er hinterließ seiner Familie eine ganz enorme Schuldenlast; seine Güter waren größtentheils verpfändet und überhaupt seine Angelegenheiten in der denkbar größten Unordnung. Die einzige Hoffnung der Familie, sich wieder zu rangiren, beruhte nun auf der jungen Dönhoff, die von da an nicht verabsäumte, unablässig die eifrigsten Angriffe auf die Casse Seiner Majestät zu unternehmen.

Dem verstorbenen Marschall wurde selbstverständlich eine sehr solenne Leichenfeier veranstaltet, ja, dieselbe gestaltete sich nach den Berichten der Chronisten aus jener Epoche zu einer der glänzendsten des Jahrhunderts. Nachdem die Beisetzung vorüber war, beeilte man sich, zu Gunsten der Witwe und der hinterlassenen unglücklichen Waisen an das Mitleid und die Generosität August's II. zu appelliren, und zwar mit ersichtlichem Erfolg. Die Familie wurde mit Glücksgütern förmlich überschüttet. Indessen wäre es Frau von Dönhoff ohne die Beihilfe ihrer Mutter, nach dem Urtheile von Zeitgenossen, niemals gelungen, so reichliche Hilfe, so viele Schenkungen aller Art zu erlangen. Madame Bielinska war unermüdlich thätig für das Wohl ihrer Familie. Sie hatte immer neue Wünsche und Forderungen zu erheben und sie benahm sich dabei so geschickt, mit solcher Klugheit und solchem Raffinement, die Vorwände, mit welchen sie ihr Anliegen zu unterstützen wußte, waren stets so natürlich, so einleuchtend, die Bedürfnisse, welche befriedigt werden mußten, so unabweislich, sie sprach mit so überzeugendem Tone und wußte so sehr das Herz des Königs zu rühren, daß dieser ihr nichts abzuschlagen vermochte. August bewilligte alles, was man von ihm forderte, obgleich diese Willfährigkeit ihn sehr bedeutende Summen kostete und die Sachsen gar oft über seine Verschwendung murrten.

Das Leichenbegängniß des Marschalls war, wie erwähnt, äußerst prunkvoll gewesen; man hatte dabei aber nicht einmal Trauerkleider getragen. Natürlich fand man dies auch nachher nicht mehr für dringend nöthig ... Sollte man dem König die Gelegenheit benehmen, sich zu unterhalten? Man wagte es nicht, seinen Vergnügungen Hindernisse in den Weg zu legen oder ihn seiner gewohnten Zerstreuungen zu berauben. Es war daher nicht zu verwundern, daß man bald nach dem Tode des alten Bielinski seine Kinder wie früher an all den Bällen und übrigen Vergnügungen des Hofes theilnehmen sah.

Diese Feste reichten indessen in Pracht und Glanz beiweitem nicht an jene hinan, welche man in Dresden gesehen. Es mangelte hier eben fast an allem hierzu Erforderlichen; man war stets gezwungen, das zu demselben nöthige Material aus Dresden herbeischaffen zu lassen; man hatte hier auch nicht jene zahllose Schaar von Dienern und diensteifrigen Geschäftsleuten zur Hand, wie sie in Sachsen zur Verfügung standen, stets bereit, jeden Wunsch des Königs zu erfüllen, bevor er noch recht ausgesprochen war.

Warschau war im Vergleiche zu dem herrlichen Dresden arm und konnte sich, was Luxus und Reichthum anbelangt, mit der sächsischen Hauptstadt entschieden nicht messen. Der König aber wollte durchaus der Dame seines Herzens zeigen, was er ihr zu bieten im Stande war, er wollte ihre Bewunderung und ihr Staunen Hervorrufen; so sprach man denn bald davon, nach Dresden zurückzukehren, und Frau von Dönhoff war diesem Plane durchaus nicht abgeneigt, sobald sie sich versichert hielt, daselbst weder Frau von Cosel, noch ihren Pistolen zu begegnen.

Um sich von ihrer Rivalin, deren Grimm sich, wie sie annahm, mehr gegen sie selbst als gegen den König kehrte, zu befreien, heuchelte Frau von Dönhoff unausgesetzte Furcht und Schrecken, die sie durchaus nicht in so hohem Maße empfand, sie umgab sich mit Wachen und sah überall und bei jeder Gelegenheit Gefahren, die in Wirklichkeit niemals bestanden.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Frau von Dönhoff bei ihrem Vorgehen nur nach den Weisungen von Gräfin Cosel's Feinden handelte, und daß diese, welche die Rückkehr der ehemaligen Favorite, sowie die Folgen fürchteten, welche sich daraus für sie ergeben konnten, die junge Polin aufstachelten, allen Einfluß, welchen sie jetzt auf den König besaß, geltend zu machen, um ihre Rivalin endgiltig und gänzlich zu verderben. So kam es, daß August, der aufrichtig geneigt war, Anna in schonendster Weise zu behandeln, wie er überhaupt gegen seine Favoritinnen, wenn er sie verließ, wenn auch nicht gerade mit übertriebenem Zartgefühl, so doch mit einem gewissen Anstand sich benahm, durch die ihn umgebende Coterie fast tagtäglich zu neuen Schritten und Maßregeln gegen die Gräfin Cosel angespornt wurde.

Flemming hatte seine guten Gründe, die arme Frau nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Er sah wohl ein, daß er und sein ganzer Anhang verloren waren, wenn sie jemals den König wiedersah. Er fühlte, daß es, um vollständig ans Ziel zu gelangen, nöthig war, zwischen dem König und der Gräfin eine unüberbrückbare Kluft zu schaffen. So erschien ihm denn auch die Entfernung zwischen Dresden und Pillnitz als zu gering, um die genügende Sicherheit für seine Zwecke zu bieten. Es konnte sich ja doch fügen, daß König August der Gräfin dort zufällig begegnete, und es wäre unklug gewesen, dem nicht bei Zeiten vorzubeugen.

Zuerst mußte Frau von Dönhoff dem König einreden, daß die Nachbarschaft von Pillnitz – natürlich so lange die Cosel dort weilte – sehr gefährlich werden könnte; Flemming erinnerte dann seinerseits den König daran, daß er in einem Moment der Leidenschaft in unüberlegter Weise sich ein geschriebenes Heiratsversprechen hatte entreißen lassen, daß die Gräfin sich überall rühmte, August's Gattin zu sein, und daß man diesem den König mit Lächerlichkeit bedeckenden Scandal um jeden Preis schleunigst ein Ende machen – daß man mit einem Worte die Cosel zwingen müsse, das compromittirende Document herauszugeben.

August fand das ganz in der Ordnung. Nachdem er sich einmal so weit hatte fortreißen lassen, den Verfolgungen gegen seine einstige Geliebte zuzustimmen, war es schwer, denjenigen, die ihn auf diesem Pfade vorwärts drängten, fernerhin Widerstand zu leisten.

Von da ab ließ man die unglückliche Frau in Pillnitz nicht mehr zur Ruhe kommen.

Eines Tages erschien Watzdorf neuerdings bei der Gräfin. Obgleich ihr dieser Mensch den größten Widerwillen einflößte, empfing sie ihn doch höflich. An die unablässigen Verfolgungen bereits gewöhnt, hatte sie sich vorgenommen, ihren Feinden in keiner Weise zu zeigen, wie sehr sie sich gekränkt fühlte, vielmehr allen Schritten derselben gegenüber die größte Gleichgiltigkeit zur Schau zu tragen. Watzdorf trat diesmal behutsamer und mir mehr Respect auf als bei seinem ersten Besuche.

»Seid überzeugt, verehrte Gräfin,« begann er nach einer sehr höflichen Begrüßung, »daß ich von den besten Gesinnungen für Euch beseelt bin. Einen Beweis hiefür möget Ihr darin erblicken, daß ich auch heute mit der Absicht hierher komme, ein besseres Verhältniß zwischen Euch und dem König herbeizuführen. Es ist unser sehnlichster Wunsch, den König Euch gegenüber in versöhnlicher Stimmung zu sehen – allein ...«

»Nun ... allein ...?« fragte Anna, ihn scharf fixirend.

»Allein Ihr müßt Euererseits, Frau Gräfin, zu einigen Concessionen Euch herbeilassen.«

»Höret mich an, mein Herr!« unterbrach ihn Anna bei diesen Worten. »Ich bin zur Königin erhoben worden, ich bin die Mutter dreier vom König anerkannter Kinder und ich habe demselben niemals irgend einen Anlaß zur Eifersucht gegeben, nie etwas gethan, was mir oder ihm Schande gemacht hätte, und all die vielen gegen mich ausgestreuten Verleumdungen mußten am Panzer meines makellosen Wandels abprallen. Ich bin mir gar keines Unrechtes bewußt – wenn nicht meine allzu große Liebe für den König mir als Unrecht angerechnet werden soll. Nach acht Jahren ruhigen Zusammenlebens ist es indessen elenden Intriguen gelungen, wenn nicht das Herz des Königs mir ganz zu entfremden, doch die Neigung desselben für mich erkalten zu machen. Er befiehlt mir, aus meine Liebe Verzicht zu leisten – ich unterwerfe mich ohne ein Wort der Erwiderung. Man verjagt mich aus einem Palaste, den er mir geschenkt hatte – ich ergebe mich auch darein und räume ihn ruhig. Man befiehlt mir, Dresden zu verlassen – ich ziehe mich nach Pillnitz zurück. Unaufhörlich von meinen Feinden gequält und verfolgt, will ich endlich den König sehen, um mich selbst gegen alle Angriffe zu vertheidigen, ich mache mich auf den Weg nach Warschau – lasse mich aber ruhig dazu bestimmen, die Reise wieder aufzugeben und auf halbem Wege umzukehren. Ungeachtet all dieser Thatsachen, ungeachtet all dieser Proben von Unterwerfung und Achtung vor dem Willen des Königs entblödet man sich nicht, mich überall als eine hochmüthige, rachsüchtige, gefährliche Frau auszuschreien; man fürchtet sich angeblich vor meinem Zorn, man sagt, ich wäre fähig, einen Angriff auf das Leben Seiner Majestät zu unternehmen ...«

»Es ist wahr,« sagte Watzdorf lachend, »man sagt alles das; allein Ihr könnt die Leute ja leicht zum Schweigen bringen, gnädige Gräfin, und Euch in die gleiche Lage versetzen, in der sich die Königsmark und die Teschen befinden.«

Anna, aufflammend vor Zorn, schrie auf diese Bemerkung heftig: »Die Teschen sowohl als die Königsmark waren Maitressen des Königs, mein Herr, ich aber bin seine Frau – ich habe sein Heiratsversprechen schwarz auf weiß!«

Auf diesen Einwurf antwortete Watzdorf mit lautem Gelächter.

»Aber, meine liebe Gräfin,« sagte er dann mit verletzender Vertraulichkeit, »das sind ja lauter alte Geschichten. Zu was vermöchte die Leidenschaft einen Menschen nicht zu bringen? Ja, die Liebe ist ein Despot und der Mann, welcher sich unter ihr Joch gebeugt hat, ist nicht mehr Herr seiner selbst, er vergißt auf sich und seine Umgebung und weiß nicht mehr, was er thut. Wurde denn unser vielgeliebter König August der Starke nicht auch gezwungen, den Frieden von Altranstädt zu unterzeichnen, und doch läßt er heute überall verkünden, daß jener Vertrag werthlos, daß er null und nichtig sei. Wenn er Euch also ein Heiratsversprechen gegeben hat, so könnt Ihr überzeugt sein, daß dies durchaus von keiner Bedeutung ist.«

Anna gab sich alle mögliche Mühe, um ihren Unmuth über eine solche Sprache niederzukämpfen.

»Es ist vielleicht dem König gestattet,« rief sie, »seinen Worten und seinen feierlichen Schwüren weiter keinen Werth beizulegen? – Nein, ich kann es nicht glauben! Ich betrachte ihn noch immer als einen ehrenhaften Mann, der weiß, was er thut, und weder sich noch Andere zu täuschen versteht ... Mir ist und bleibt sein gegebenes Wort heilig und unantastbar.«

Gräfin Cosel, die ihre Erregung kaum noch zu beherrschen vermochte, begann nun mit raschen Schritten das Zimmer zu durchmessen.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens fand Watzdorf endlich den Muth, die delicate Frage des vom König Unterzeichneten Schriftstückes, das sich in Anna's Händen befand, direct anzufassen.

»Sagt einmal aufrichtig, Madame,« begann er, »welche Ansprüche Ihr erhebt.« ... Hier räusperte sich Watzdorf; er war sichtlich verlegen. Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Welche Entschädigung verlangt Ihr für das Unrecht, das man Euch angethan? Der König hat Euch sehr viel Erkenntlichkeit und Wohlwollen bewahrt. Er wird alles aufbieten, um Euch zufriedenzustellen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr nicht unmögliche Dinge verlangt und daß Ihr ohne böse Absicht unternommene Scherze nicht zu ernst nehmt ... Folgt meinem Rathe, gnädige Frau, und gebt dem König jenes Papier zurück.«

Anna wendete sich lebhaft gegen den Sprecher: »Ah, ah,« rief sie, »also darum seid Ihr hierher gekommen, mein Herr?«

»Ja wohl, Madame, wozu sollte ich es leugnen?«

»Nun wohl, so kehret dahin wieder zurück, von wo Ihr gekommen seid!« rief Anna nun wüthend; »so lange ich lebe, werde ich dieses Papier Niemandem ausliefern – denn dieses Stück Papier bedeutet meine Ehre und meine Ehre ist mir theuerer als mein Leben. Glaubt Ihr vielleicht, daß ich alle diese Geschenke, diese Paläste vom König angenommen hätte, wenn ich dafür einfach seine Maitresse geworden wäre? Glaubt Ihr, daß ich ihm auch nur die Hand entgegengestreckt hätte, wenn ich nicht jenes schriftliche Heiratsversprechen von ihm erhalten haben würde? ...«

»Aber ein solches Versprechen kann ja doch nicht ernsthaft genommen werden, Madame,« erwiderte Watzdorf; »Ihr werdet ja selbst zugeben müssen, daß das gar keinen Werth hat – denn nicht nur lebte die Königin damals noch, sondern sie weilt auch heute noch unter uns! Wer kann sich denn das Recht anmaßen, im voraus über eine Zukunft zu verfügen? ... Nein, Frau Gräfin, solche Schwüre und Versprechungen haben weder vor dem Gesetze noch vor der Welt überhaupt irgend einen Werth.«

»So – und warum wollt Ihr denn nun dieses Papier wieder zurück haben? ... Ihr schämt Euch heute Alle darüber, zu sehen, wie eine arme, schwache und in Euere Schliche nicht eingeweihte Frau durch Eueren Herrn und Gebieter betrogen wurde! Ihr befürchtet, daß diese Leichtfertigkeit, dieser Verrath ihn in den Augen der Welt brandmarken könnte, wie er es verdient.«

»Madame,« fiel ihr Watzdorf ins Wort, »ich kann für den König, meinen Herrn, so tief verletzende Worte nicht länger mit anhören.«

»Nun gut, so gehet nur schnell wieder dahin, woher Ihr gekommen seid,« sagte Anna, indem sie sich anschickte, das Zimmer zu verlassen. Der Unterhändler erhob sich rasch von seinem Sitze, um sie zurückhalten.

»Ich beschwöre Euch, Madame, bedenket, wohin das führen wird. Wollt Ihr denn den König förmlich dazu zwingen, die äußersten Mittel in Anwendung zu bringen? Wollt Ihr es so weit treiben, daß er ohne alle Rücksicht gegen Euch vorgeht? ... Bedenket doch, welche Macht dem König zur Verfügung steht! Ihr werdet nicht im Stande sein, jenes Papier so gut zu verbergen, daß es ihm nicht gelingen sollte, es Euch zu entreißen!«

»Er möge es versuchen!« antwortete die Gräfin kalt.

»Das wäre eine für Euch sehr traurige Sache, Madame,« fuhr Watzdorf fort, »und Jene, die es gut mit Euch meinen,« können nicht zugeben, daß Ihr blind und unaufhaltsam in Euer Verderben rennet. Ich möchte Euch eben solches Unglück ersparen, deshalb bin ich hier. Bedenket wohl, daß Ihr, wenn Ihr den König zum Aeußersten treibt, nicht mehr von ihm zu erwarten habt als unnachsichtliche Strenge, während durch Nachgiebigkeit und Gehorsam ...«

Anna ließ ihn nicht zu Ende kommen. »Ihr wollt also,« rief sie, »daß ich meine Ehre verkaufen und den Preis dafür nennen soll? Nun gut, so vernehmt denn, daß alle Schütze des Königs nicht hinreichen würden, um die Ehre einer Frau, wie ich bin, um die Ehre der Gräfin Cosel zu bezahlen. Nicht für alle Güter der Welt wäre sie mir feil!« Sie sprach diese Worte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Stolz und Verachtung. »Ich will,« fügte sie dann hinzu, »daß die ganze Welt erfahre, wie man mich betrogen und welch unwürdiges Spiel man mit mir getrieben hat!« Heiße Thränen rannen ihr über die Wangen ... »Nein, nein!« rief sie dann plötzlich in wildem Schmerz, »Ihr lügt, mein Herr! Es ist geradezu unmöglich, daß der König Euch einen solchen Auftrag gegeben hat – es ist nicht wahr, ich glaube es nicht! Ihr verleumdet den König, Ihr setzt ihn tief herab, indem Ihr seinen Interessen zu dienen glaubt. Ja, er hat Augenblicke des Leichtsinns, in denen er sich vergißt – allein ich setze zu viel Vertrauen in sein edles Herz, als daß ich ihn einer solchen Handlungsweise fähig halten könnte.«

Schweigend griff Watzdorf in die Brusttasche seines Wamses und zog daraus ein Packet Papiere hervor, unter welchen er rasch nach einem Briefe des Königs mit dessen Siegel und Unterschrift suchte; einige Augenblicke später hielt er ihn, ohne ein Wort zu sagen, der Gräfin hin – diese aber stieß das Papier durch eine Handbewegung mit einem verachtungsvollen Blicke von sich.

»Wenn das,« sagte sie, »was August mir geschworen und mit eigener Hand unterschrieben hat, für ihn nichts ist, dann kann ich diesem Schreiben auch keine größere Bedeutung beilegen. Morgen schon, mein Herr, kann Euch der König diesen Brief wieder abfordern und das, was darin enthalten ist, ableugnen.«

Sichtlich verwirrt nahm Watzdorf den Brief an sich und verbarg ihn wieder in seiner Tasche. Ein Ausdruck des Mitleids flog über sein Gesicht.

»Madame,« sagte Watzdorf ernst. »Euere Haltung zwingt mich, Euch alle Achtung zu zollen, und ich beklage Euch tief, Ihr mögt es mir nun glauben oder nicht – das ist aber leider alles, was ich für Euch thun kann ... Aber, beim Himmel, überlegt Euch die Sache noch einmal. Bedenkt, Gräfin, welchen Gefahren Ihr Euch aussetzt! ... Ich würde mir niemals erlauben, ein verletzendes Wort gegen den König zu gebrauchen, denn er ist der edelste und beste der Herrscher – aber er ist auch König und verpflichtet, in seiner Person die königliche Würde zu vertheidigen, für welche er den Völkern und den anderen Monarchen gegenüber Rechenschaft ablegen muß ... Erinnert Euch an das traurige Ende all Jener, welche wie Ihr das königliche Mißfallen auf ihr Haupt herabbeschworen haben. Es ist gefährlich, sich August dem Starken in den Weg zu stellen!«

»Ich kenne ihn besser als Ihr,« antwortete Anna ruhig.

»Seine Majestät ist gewiß ein gütiger und huldvoller Herr, aber er kann auch unerbittlich werden.«

»Ich weiß das.«

»Ich bitte Euch daher nochmals, Madame ...«

»Spart Euere Zeit und Euere Mühe,« antwortete die Gräfin mit eisiger Kälte, »es ist ja doch alles umsonst. Mit Drohungen kann man bei mir noch viel weniger ausrichten als mit Bitten, denn ich würde mich schämen, vor jenen zurückzuweichen!«

Nochmals versuchte Watzdorf die Gräfin zu überreden, jedoch vergeblich; sie wollte nichts mehr hören und ließ ihn endlich, indem sie ihm noch einen Blick voll Verachtung zuwarf, ohneweiters stehen, indem sie sich in ihre Gemächer zurückzog.

Es blieb Watzdorf unter solchen Umständen nichts übrig, als nach Dresden zurückzukehren und dort über den Mißerfolg seiner neuerlichen Mission Bericht abzustatten.


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