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7.
Ein Gesuch und seine Folgen.

Es giebt gewisse grausame Naturen, welchen der Anblick fremden Schmerzes Vergnügen bereitet, welchen es Freude macht, Andere klagen zu hören, herzlose Naturen, die sich an den Leiden Unglücklicher ergötzen und mit dem Elend, das sie umgiebt, ihren Spott treiben können. Was immer das Motiv sein mag, welches sie zu so unmenschlichem Verhalten treibt – nichts kann sie entschuldigen, nichts ihnen den Ruf unwürdiger und tief gesunkener Menschen ersparen.

Die Unglücksschläge, welche Frau von Cosel getroffen, weit entfernt, auch nur das geringste Mitleid bei ihren Feinden zu erregen, erweckten bei denselben bloß ein Gefühl der Befriedigung und stachelten sie zu neuen Verfolgungen auf. Es muß indessen zugegeben werden, daß die Gräfin, als sie noch im Besitze der Macht war, durch ihren Hochmuth gar manche Empfindlichkeit verletzt, daß sie diesen verderbten Höflingen zu sehr hatte fühlen lassen, wie wenige unter ihnen sie ihrer Achtung würdig halte. Uebrigens war es an diesem Hofe, wo persönliche Intriguen stets eine so große Rolle spielten, schwer, sich an irgend jemanden enger anzuschließen.

Zu jenen Zudringlichen, die sich weder fortjagen, noch irgendwie aus der Fassung bringen lassen, gehörte auch die Baronin Glasenap. Gräfin Cosel hatte ihr schon einmal verboten, ihr Haus je wieder zu betreten; denn sie hatte erkannt, daß die Schleicherin nur zu ihr kam, um unter dem Scheine erheuchelter Freundschaft bei ihr zu spioniren und sie auszuholen, und daß die Falsche, sobald sie derselben den Rücken gewendet, sich über sie lustig machte und die unsinnigsten Geschichten, die schwärzesten Verleumdungen über sie verbreitete. Seit langer Zeit hatte Gräfin Anna die Baronin nun nicht mehr zu Gesicht bekommen, und die Umstände, unter welchen sich ihr letzter Abschied abgespielt, ließen darauf schließen, daß sie sich wohl niemals mehr werde bei ihr blicken lassen.

Wie groß war daher Gräfin Cosel's Erstaunen, als man ihr am Tage nach ihrer Rückkehr nach Pillnitz den Besuch der Baronin ankündigte. Anna überlegte zuerst, was sie thun solle. Die Dame empfangen, hieß sie ihrem Sarkasmus und ihren Beileidsbezeugungen aussetzen, von deren Unaufrichtigkeit Anna vollkommen überzeugt war ... Während dessen lief die Glasenap, welche sich durch das lange Warten durchaus nicht irre machen ließ, rings um das Haus herum, eifrig nach einer unversperrten Thür forschend, um in das Haus eindringen zu können. Sie kam hierbei auch zu den Fenstern jenes Gemaches, in welchem sich Gräfin Cosel eben aushielt, und erspähte dieselbe sofort. Anna erschrak nicht wenig bei ihrem Anblick und wollte sich schnell in ein anstoßendes Cabinet flüchten.

»Ach, liebe Gräfin,« rief die Baronin ihr zu, »verbergt Euch doch nicht! Ich weiß wohl, daß Ihr mir wenig Vertrauen schenkt, indessen verzeihe ich Euch das ja gerne, denn Euere Lage flößt mir Nachsicht und Mitleid ein. Gebt doch gefälligst Eueren Leuten Befehl, daß sie mich einlassen – ich habe Euch ja tausend Dinge zu erzählen, bringe Euch viel Pikantes aus der Stadt und will Euch nebenbei auch umarmen!«

Gräfin Cosel gab endlich dem Drängen der Baronin nach und empfing sie. Diese warf sich nach ihrem Eintritt ins Zimmer in einen Fauteuil, besah sich in einem gegenüberliegenden Spiegel und machte sich dann daran, ihre Frisur, die während der Reise etwas derangirt worden war, wieder in Ordnung zu bringen.

»Es liegt mir viel daran,« sagte sie dann, »zu beweisen, daß ich für meine Freunde ein warmfühlendes Herz habe, obgleich man mir in Dresden diese gute Eigenschaft, wie noch so manche andere absprechen will. Wahrhaftig, es giebt gar keine Verleumdung, welche diese häßlichen Menschen nicht auf meine Rechnung setzten ... O, Ihr könnt mir es glauben, liebe Cosel, daß ich Euch um die friedliche Einsamkeit sehr beneide, in der Ihr jetzt lebt, denn an diesem Hofe ist es ja rein zum Tollwerden!«

Die Baronin ließ eine kurze Pause in ihrem Redeschwall eintreten, machte sich es in ihrem Fauteuil bequem und warf dabei neugierige Blicke ringsumher.

»Es ist in der That so übel nicht hier in Pillnitz,« bemerkte sie dann; »der Ort ist recht hübsch, ruhig, friedlich, und Ihr werdet Euch hier nicht gerade schlecht befinden, wenn man Euch wenigstens da einmal in Ruhe läßt. Allein ich befürchte sehr, daß man Euch auch noch aus diesem reizenden Aufenthalt vertreiben wird. Diese schändliche Dönhoff ist zu allem fähig ...«

Die Gräfin antwortete hierauf mit einem verächtlichen Lächeln.

»Ja, ja, diese schöne Dame befindet sich jetzt in Dresden. Sie hat eine ganz höllische Angst, daß Ihr Euere Pistolen an ihr probiren könntet. Der Oberst Chatir begleitet sie mit sechs Gardesoldaten auf Schritt und Tritt. Ich glaube indessen, daß ihr, selbst, wenn sie gar nichts zu befürchten hätte, eine solche Begleitung durchaus nicht mißfallen würde ... Sie bewohnt das Palais Fürstenberg's und soll dort so lange bleiben, bis dasjenige gebaut sein wird, welches ihr der König versprochen hat; ich vermuthe aber, daß ihr Regiment früher als jener Bau zu Ende sein wird.«

»Sie haben ja doch den Palast, welchen man mir weggenommen hat!« warf Anna ein.

»O, der ist schon für den jungen Kurfürsten bestimmt,« erwiderte Glasenap. »Chatir ist Hofmarschall, Minister, Freund und wie ich glaube, sogar Kammerfrau der Madame Dönhoff ... General Flemming giebt ganz charmante Soiréen zu Ehren des Königs mit seiner Favorite, und man behauptet, daß sie niemals mit ganz klarem Kopf die Flemming'schen Salons verlassen. Auf einer dieser Soiréen, so wurde mir berichtet, nahm der König, der etwas angeheitert war, Frau von Dönhoff beim Kinn und bedachte sie mit einem jener ebenso zärtlichen als gewagten Kosenamen, wie sie ihm geläufig sind – und wie sie, unter uns gesagt, diese Dönhoff auch vollauf verdient; sie nahm die Sache jedoch gar nicht schlimm auf. Im Uebrigen ist sie, wie man sagt, so gutherzig, daß sie sich durchaus nichts daraus machte, die Gunst des Königs mit wem immer zu theilen – Ihr, liebe Cosel, würdet natürlich in eine solche Theilung niemals einwilligen, Ihr, die Ihr das Herz des Königs ganz allein besitzen möchtet.«

Als die Baronin bei diesem Punkte ihrer vertraulichen Mittheilungen angelangt war, rückte sie mit ihrem Sessel einen Schritt weiter vor, warf einen vorsichtigen Blick rings umher und fuhr dann, den Finger auf die Lippen legend, fort:

»Der König hat sich jetzt sehr verändert; wir kannten ihn früher doch stets als einen recht guten Herrn, allein er fängt jetzt an, bösartig und hartherzig zu werden.«

Die Gräfin warf der Schwätzerin einen scharfen Blick zu und sagte dann: »Mit mir ist er nicht so.«

»O, das ist ja ganz natürlich,« antwortete die Baronin, »große Liebe endet ja niemals ganz; aber Ihr habt wahrscheinlich schon von Jablonowski sprechen gehört?«

»Nein,« sagte Anna, »ich sehe ja hier niemanden.«

»Aber es ist Euch gewiß erinnerlich, welche wichtigen Dienste der oberste Hetman und der ruthenische Wojwode dem König in der polnischen Sache geleistet haben ... und wißt Ihr, wo sich der Wojwode jetzt befindet?«

Neugierig und voll Beunruhigung harrte die Gräfin der weiteren Aufschlüsse.

»Der Fürst-Wojwode sitzt gegenwärtig auf dem Königstein, in dem gleichen Gefängniß wie Beichling,« fuhr die Erzählerin fort. »In demselben Hause zu Warschau, wo sein Vater ihn für unsere Sache gewonnen hatte, an demselben Tage, da einst Vater und Sohn den ›Kurfürsten‹ in der Fremde begrüßten, hat man ihn fortgeschafft.«

»Ist das möglich?« rief Anna ganz bestürzt.

»Ja, es ist möglich, denn es ist thatsächlich so,« erwiderte die Glasenap. »Wenn man mir vor noch ganz kurzer Zeit ähnliche Dinge erzählt hätte, würde ich mich sicher auch darob entsetzt haben – aber heute, ich wiederhole es Euch, muß man auf alles vorbereitet sein.«

»Aber ums Himmelswillen, was hat sich denn der Wojwode zu Schulden kommen lassen?« fragte die Gräfin wieder.

»Darüber weiß ich nur sehr wenig. Man erzählt sich, daß er in einer Versammlung polnischer Hitzköpfe, gerade zu der Zeit, als der König die Dönhoff zu seiner Favorite erhob, sich in äußerst kühner Weise über August ausgesprochen, diesem vorgeworfen habe, daß er die Frauen ihren Männern abwendig mache, daß er ganz ungescheut und vor aller Welt mit Concubinen zusammen lebe, und daß er überhaupt durch sein Verhalten öffentlichen Scandal verursache und die Bevölkerung verderbe. Der Wojwode soll sogar gesagt haben, daß dies ein Staatsverbrechen sei ... Ein Staatsverbrechen,« fuhr die Baronin laut lachend und die Hände zusammenschlagend fort, »ein Staatsverbrechen! O, dieser köstliche, dieser unvergleichliche Jablonowski! ... Man soll vorausgesetzt haben, daß der Wojwode politische Zwecke verfolgte und daß er, indem er so gegen August loszog, die Geschäfte Leszczynski's besorgen wollte, welcher ihnen wenigstens ihre Weiber in Ruhe läßt. Der König war über die Sache umsomehr aufgebracht, als man ihm seine Dönhoff entreißen wollte. Man ließ den Unvorsichtigen strengstens überwachen, man verhaftete seinen Secretär, man fand Briefe oder man ließ solche finden, die ihn compromittirten, und das Ende vom Lied war, daß man sich eines schönen Tages seiner bemächtigte, ihn ohne Richterspruch, ohne ihm weiter einen Proceß zu machen, nach Sachsen schaffte und auf dem Königstein einkerkerte.«

Die Gräfin hatte nach und nach ihre volle Ruhe wiedergefunden und hörte dem Berichte der Glasenap aufmerksam zu.

»Seht, meine Liebe,« fuhr die Letztere fort, »wenn man so wenig Umstände mit Fürsten und Wojwoden machen sieht, so kann Einem leicht die Besorgniß beschleichen, daß wir anderen, so viel geringfügigeren Menschen uns auf alles Mögliche gefaßt halten müssen, und daß wir gar nichts dagegen zu thun vermöchten, wenn man es für gut finden sollte, sich unser zu entledigen.«

Obgleich Anna während der Erzählung der Glasenap die größte Gleichgiltigkeit zur Schau getragen hatte, konnte sie sich doch innerlich einer gewissen Beängstigung nicht erwehren. Der Wojwode aus dem Königstein, ohne Urtheil, ohne jeden Schuldbeweis und wegen einer rein Politischen Angelegenheit in Sachsen gefangen gesetzt – das alles war ihr ganz neu und gab ihr viel zu denken.

Die Baronin sprang nun rasch von diesem unangenehmen Thema auf ein anderes, heiteres über.

»Bei uns,« erzählte sie, »folgt gegenwärtig Fest auf Fest, eines immer glänzender als das andere. Der König überbietet sich selbst darin. Man sieht die Dönhoff dabei niemals, obgleich Jedermann weiß, daß sie zugegen ist, denn – es wird Euch das gewiß interessiren – bis heute hat sie es noch nicht gewagt, sich vor der Königin mit unverschleiertem Gesichte sehen zu lassen. Sie macht es wie die Teschen, sie maskirt und verkleidet sich stets, und zwar immer in Gesellschaft ihrer Schwester, der Frau von Potzki; daher kommt es auch, daß wir nichts als Maskeraden und costumirte Bälle haben. Man bemerkt bei denselben den König nur sehr selten und flüchtig; meistens bleibt er mit seiner Flamme in einem Appartement abgesondert ... Neulich bei einem Souper bat der witzige Kyau die Tischgesellschaft, nicht auf das Wohl des Königs zu trinken, sondern öffentliche Gebete zu veranstalten, um von dem Allmächtigen die Befreiung Seiner Majestät, welcher unter der Last polnischer Ketten seufzte, zu erflehen.«

Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf den Lippen der Gräfin, das aber bald wieder dem früheren ernsten Gesichtsausdrucke wich.

»Am nächsten Morgen,« fuhr die Baronin fort, »war der Vorfall Stadtgespräch und ein übermüthiger Spaßmacher ließ an den Mauern des Georgs-Thores, sowie an den Kirchenthüren eine Einladung an alle Gläubigen zu solchem Gebet anschlagen. Man sagt zwar, daß der König darüber gelacht habe; es ist indessen sicher, daß sehr lebhaft nach dem kühnen Spaßvogel gefahndet wird. Ich bezweifle aber, daß man ihn finden wird.«

Die unermüdliche Glasenap schwatzte und medisirte in dieser Weise fort, bis ein Lakai ankündigte, daß das Diner servirt sei. Die Baronin lud sich ohne viel Umstände selbst zu Gast. Nach aufgehobener Tafel äußerte sie sodann den Wunsch, sich ein wenig im Garten in den Prächtigen Lindenalleen zu ergehen.

Die beiden Frauen wandelten nun Plaudernd in dem herrlichen Park und kamen endlich zu einem Rondeau, wo mehrere Alleen zusammenliefen und das dichte Geäste der uralten Linden sich zu einem undurchdringlichen Laubgewölbe verwoben hatte. Der Ort war recht einsam und ganz besonders zu vertraulichen Eröffnungen einladend. Die Baronin warf einen spähenden Blick rings um sich, zog den Arm der Gräfin fester an sich und sagte dann in fast flüsterndem Tone:

»Ihr haltet mich alle für eine bösartige Person, welche ein Vergnügen daran findet, überall Zwietracht zu säen und anderen Leuten Posten zu spielen. Und doch täuscht Ihr Euch sehr darin. Es ist wahr und ich leugne es gar nicht, daß ich Solchen, welche auch mich nicht schonen, gern einen Schabernack anthue; ebenso wahr aber ist es, daß ich Jenen, welche so wie Ihr, immer nachsichtig und duldsam gegen mich waren, gerne, wo ich immer kann, einen Dienst erweise ... Ja, Ihr könnt es glauben, liebe Gräfin, ich habe eine lebhafte Zuneigung zu Euch gefaßt ... Ich will es Euch daher auch nicht verschweigen, daß man gegenwärtig bei Hofe Berathungen und Conventikel abhält, denen Euere Person nicht fernsteht; man Plant irgend etwas gegen Euch für den Fall, als Ihr – das bewußte Papier nicht herausgeben wolltet.«

»Welches Papier?« fragte Anna anscheinend ganz gleichgiltig.

»O, Ihr wißt recht gut, wovon ich spreche. War nicht Watzdorf bei Euch, um es im Aufträge des Königs Euch abzufordern? Es geht das Gerücht, liebe Gräfin, daß, wenn Ihr jenes Document nicht gutwillig herausgeben würdet, man gegen Euch Gewalt anzuwenden entschlossen sei.«

»Ich danke Euch sehr für diese Warnung, Baronin,« sagte die Gräfin hierauf ganz ruhig; »ich war auf so etwas schon gefaßt. Uebrigens befindet sich das Papier, wie Ihr es nennt, in sicheren Händen; ich habe mich desselben entledigt, denn ich sah solch eine neue Schurkerei voraus – da, wo es sich gegenwärtig befindet, wird niemand es suchen, dessen könnt Ihr versichert sein.«

Die Baronin betrachtete sie mit prüfenden, ungläubigen Blicken, gleichsam als wollte sie in den Augen Anna's lesen, ob ihren Worten Glauben zu schenken sei. Aber diese hielt dem forschenden Blicke ruhig Stand und ihr Gesicht war ganz undurchdringlich. Sie verbarg unter dem Ausdruck des Stolzes und äußerer Ruhe den Unmuth und Grimm, der in ihrem Inneren kochte.

Es fiel Gräfin Cosel nicht schwer, herauszufinden, daß die Baronin nur zu dem Zwecke ihr alle die verschiedenen Neuigkeiten erzählt und über dem König so ungünstig sich ausgelassen hatte, um bei der jungen verlassenen Frau Vertrauen zu erwecken. Anna errieth denn auch bald, daß die Glasenap eine Botschaft für sie selbst habe, daß sie nur als Abgesandte von Watzdorf, Flemming und Consorten nach Pillnitz gekommen sei. Diese konnten übrigens kaum Jemanden schicken, der weniger fähig war, Vertrauen einzuflößen.

Alle Kniffe der verschlagenen Dame blieben denn auch bei der Cosel ohne den gewünschten Erfolg und nachdem Letztere ruhig und gelassen alle die vertraulichen Mitteilungen und Andeutungen der Abgesandten hatte über sich ergehen lassen, konnte diese abziehen, ohne daß ihre Ausforschungen auch nur das geringste Resultat ergeben hätten.

Kaum war der Wagen der zudringlichen Dame auf der Straße nach Dresden zu den Augen der Gräfin entschwunden, so ließ diese Zaklika rufen.

Wenige Secunden später stand der treue Diener vor ihr.

In dem dunklen Gefühl, daß sie unter ihrem eigenen Dache von Spionen belauscht werden könnte, führte die Gräfin Raimund in den Vorhof, und indem sie sich anstellte, als ob sie ihm hier einige die Anordnung des Gartens betreffende Aufträge ertheilen wolle, begann sie folgendermaßen:

»Wir werden hier ausspionirt – hast Du nichts davon bemerkt?«

»Gewiß, Madame, es befindet sich eigentlich niemand hier, dem ich ganz trauen möchte.«

»Und wäre es nicht möglich, diese Aufpasser hinters Licht zu führen?« fragte die Gräfin.

»O freilich, Gräfin, vor allen Gottlieb! Wie mir scheint, unterläßt er es nicht, so oft Ihr ihn mit Aufträgen in die Stadt schickt, dort an gewissen Stellen Bericht zu erstatten über das, was hier vorgeht. Indessen ist er nicht sehr pfiffig, man könnte ihn wohl dazu bringen, etwas über den Durst zu trinken, und dann leicht seine Wachsamkeit täuschen.«

»Also auch Gottlieb! ...« murmelte die Gräfin.

»Ja, Madame, mißtrauet diesem Menschen, der sich so oft mit seinen Ergebenheits- und Anhänglichkeitsbetheuerungen an Euch herandrängt; er sucht darunter nur sein Spiel zu verdecken und sich in Euer Vertrauen einzuschleichen.«

»Dich kennen wohl sehr viele Leute in der Stadt, Raimund?« fragte die Gräfin nach einer kleinen Pause leise.

»Nun, Viele werden mich schon vergessen haben, und was die Anderen betrifft, so könnte man wohl, wenn man sich ein wenig maskirte ...«

»Hast Du da unten Jemanden, welcher Dir über alles, was Du ihn zu fragen hättest, Auskunft geben könnte und wollte.«

»Der ließe sich nöthigenfalls schon finden.«

Die Gräfin fühlte sich in der That sehr beunruhigt. Ein leichter Schauer überlief sie. »Ich bin hier nicht mehr in Sicherheit,« fuhr sie fort; »ich muß aus Pillnitz fliehen – aber wie das anfangen? Du bist der Einzige, zu dem ich noch Vertrauen habe, Raimund. Rathe mir, was ich thun soll!«

Zaklika dachte eine Weile nach. »Das ist ziemlich schwer,« sagte er darauf, »aber wenn es sein muß ...«

»Das ist aber noch nicht alles,« sagte Anna, »ich will auch das, was ich an Werthsachen besitze, den letzten Rest meines Reichthums, mit mir nehmen, nämlich meine Diamanten, meinen Schmuck, mein Geld; denn alles, was hier bleibt, wird die Beute dieser elenden Menschen werden, sie werden rasch die Hand auf das legen, was sie hier vorfinden.«

Zaklika wurde immer nachdenklicher; er ließ den Kopf hängen, drehte seinen Schnurrbart und verharrte eine geraume Weile in Schweigen.

»Verfügt über mich, gnädige Frau,« sagte er endlich, als er sah, daß die Gräfin seiner Antwort harrte.

»Bist Du sicher, daß wir die Grenze erreichen werden, ohne in die Hände meiner Feinde zu gerathen?«

»Frau Gräfin,« versetzte der junge Pole, »man wird thun, was menschenmöglich ist.« Der arme Junge hatte Mühe, bei diesen Worten seine Beunruhigung zu verbergen und große Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. »Wir hätten diesen Schritt schon längst unternehmen sollen,« fügte er hinzu, »indessen ist jetzt nicht die Zeit, über das Versäumte zu klagen – es heißt eben jetzt noch retten, was zu retten ist.«

Zaklika war stets sehr lakonisch in seinen Auslassungen. Seine Haltung, sein Mienenspiel sagten mehr als seine Worte. Anna betrachtete mit einer gewissen mit Beängstigung gemischten Neugier diesen von den verweichlichten Höflingen, die bisher meist ihre Umgebung gebildet hatten, so ganz verschiedenen Mann.

Während der eben geschilderten Unterredung war Raimund nicht ruhig stehen geblieben; er machte sich allerhand zu schaffen, ging ab und zu, als führte er Befehle der ihm zusehenden Herrin aus. Jetzt näherte er sich der Gräfin wieder, immer mit seiner Arbeit beschäftigt und murmelte mit unterdrückter Stimme vor sich hin: »Ich gehe noch diese Nacht nach Dresden. Auch werde ich dafür sorgen, daß man mich hier so wenig als möglich vermißt. Bis ich mich Euch wieder vorstelle, bitte ich nicht nach mir zu fragen, Frau Gräfin. Man wird glauben, daß ich mich in mein Zimmer eingeschlossen habe, wie dies schon öfter der Fall war, und es wird das Niemandem auffallen. In einem der Gebüsche, welche die Insel dort umsäumen, habe ich einen Kahn verborgen; den werde ich ruhig die Elbe Hinuntertreiben lassen bis nach Dresden. Um zurückzukommen, brauche ich freilich länger, weil ich gegen den Strom arbeiten muß. Ich werde da unten sehen, ob ich nicht etwas vom Hofe erfahren kann; dort will ich mich auch über die Mittel erkundigen, welche für unsere Flucht dienlich sind.«

All das wurde in kurzen, abgebrochenen Sätzen vorgebracht. Während Zaklika noch sprach, hatte die Gräfin Gottlieb bemerkt, der aus einiger Entfernung herüberspähte, ohne sie gerade direct im Auge zu behalten. Da sie befürchtete, daß eine längere Unterhaltung mit dem jungen Polen Verdacht erregen könnte, winkte sie Gottlieb herbei, der eilends ihrem Rufe folgte.

»Glaubt Ihr nicht auch, Gottlieb,« sagte sie zu dem eben Hinzugekommenen, »daß man aus Pillnitz einen ganz reizenden Landsitz machen könnte? ... Indessen fehlt es hier noch stark an Blumen und ich liebe die Blumen sehr; deshalb möchte ich auch einen recht hübschen Blumengarten anlegen lassen, denn ich glaube, daß ich Pillnitz nun nicht so bald wieder verlassen werde. Wenn Ihr wieder in die Stadt kommt, Gottlieb, so vergesset nicht, mir einen tüchtigen Gärtner zu besorgen. Ich wollte den Polen mit diesem Aufträge betrauen, allein er kennt sich in der Stadt nicht so gut aus, wie Ihr, und ich fürchte auch, daß seine Wahl keine glückliche sein würde.«

Gottlieb ließ mehrmals den Blick von seiner Herrin auf Zaklika hinüberschweifen, als wollte er Beider Gedanken errathen; dann versicherte er mit einer tiefen Verbeugung und großem Wortschwall, daß er alles aufbieten werde, um den Wünschen der Gnädigen zu genügen.

So endete diese wichtige Unterredung; die Gräfin zog sich in ihre Gemächer zurück; Gottlieb aber hielt Zaklika noch eine Weile auf, um womöglich etwas aus ihm herauszulocken.

Beim Eintritt der Nacht verschwand »der Pole«, wie man Zaklika in Pillnitz schlechtweg nannte. Die Spione witterten irgend etwas. Man klopfte an seine Thür – sie war von innen verriegelt, es erfolgte aber keine Antwort. Da seine Wohnung im Erdgeschoß lag, näherte man sich unauffällig seinen Fenstern, um auf diese Weise die Neugier zu befriedigen. Im Hintergründe des Zimmers bemerkte man einen großen Mann aus dem Bette hingestreckt, das Gesicht gegen die Wand gekehrt; an der Kleidung konnte man leicht Zaklika erkennen. Vollständig beruhigt, ließen die Spürnasen den nach ihrer Meinung Betrunkenen fortschlafen und entfernten sich.

Die hereinbrechende Nacht breitete mehr und mehr ihre Schatten über die Erde, der letzte Schimmer des Abendroths verlor sich am Firmamente und immer dunkler wälzten sich die Fluthen der Elbe dahin, als Zaklika seinen Kahn vom Ufer losmachte, wo er ihn versteckt gehalten hatte; nachdem er ihm einen leichten Stoß gegeben, legte er sich anfangs der Länge nach auf den Boden des kleinen Fahrzeuges und überließ dasselbe der Strömung.

Das Schifflein trieb bald mit immer wachsender Geschwindigkeit in der Richtung gegen Dresden zu. Zu diesen Stunden war es eine große Seltenheit, daß man auf dem Flusse irgend einem Fahrzeuge begegnete, da man das Bett desselben genau kennen mußte, wollte man nicht Gefahr laufen, auf ein Felsenriff oder eine Sandbank zu gerathen. Während der abenteuerlichen Fahrten, welche unser Held unternahm, als er noch bei Hofe war und so viel freie Zeit hatte, mit der er nichts Rechtes anzufangen wußte, hatte er gar oft die Ufer der Elbe auf beiden Seiten durchforscht; selbst über Pillnitz hinaus, bis gegen Pirna zu, hatte er den Fluß nicht selten durchschnitten, bald schwimmend, bald im schwankenden Wachen – kurz, da gab es keine noch so verborgene Klippe, welche er nicht kannte. Die Dunkelheit der Nacht schreckte ihn durchaus nicht; bei der Schnelligkeit übrigens, mit welcher er von der Strömung abwärts getrieben wurde, dauerte es nicht sehr lange, bis er die Lichter der Häuser auf dem Quai der Residenz von ferne wahrnahm, und noch früher erblickte er jene eigenthümliche, die Nähe einer größeren Stadt ankündende, wie von einem Brande herrührende röthliche Helle, die nächtlicherweile den Dunstkreis der Häusermassen bezeichnet. In der Umgebung des Schlosses machte sich überdies eine lebhafte Beleuchtung geltend, denn es fand eben bei Hofe großer Ball statt.

Zaklika hatte während seines langen Aufenthaltes in Dresden, nachdem er dem Hause der Gräfin Cosel zugetheilt worden war, genügend Gelegenheit gehabt, Bekanntschaften der verschiedensten Art zu machen. Seinem Charakter gemäß fühlte er sich indessen mit Vorliebe zu Leuten hingezogen, die sich abseits vom Hofe hielten. Er fand keinen Gefallen an jenen leichtlebigen Menschen, deren einzige Beschäftigung darin bestand, in den Salons zu glänzen und allerlei Intriguen anzuzetteln. So glaubte er denn darauf zählen zu können, daß er unter seinen Freunden und Bekannten einige zuverlässige Bundesgenossen finden werde. Auf der nächtlichen Wasserfahrt von Pillnitz nach Dresden entwarf er seinen Plan.

An einem Hofe, wo das Geld eine so hervorragende Rolle spielte, wo man Edelsteine und Geschmeide mit vollen Händen ausstreuen sah, nahm selbstverständlich der Handel in Gold, Silber und Schmucksachen aller Art einen hervorragenden Platz ein. Bei Oppenheimer in Wien und Liebmann in Berlin hatte August II. offenen Credit für sehr bedeutende Summen. In Dresden fungirten als Hoflieferanten und Agenten für jene beiden großen Häuser zwei stadtbekannte Persönlichkeiten, die Juden Behrendt Lehmann und Jonas Meyer.

Der Letztere, ein geborener Hamburger, hatte sich im Jahre 1700, zu Beginn der Regierung August's II., in Dresden etablirt, von der Vermuthung ausgehend, daß es da für ihn zu thun gebe, wo der Geldmangel sozusagen permanent war. Sein Wechselgeschäft war das erste in Dresden. Der König schenkte dem klugen Manne ein Gebäude, das früher den Namen ›Alte Post‹ trug, von da ab aber ›das Judenhaus‹ genannt wurde. Meyer wandelte dasselbe zu einem prächtigen Palais um, legte einen großen Garten dabei an, stattete die Räumlichkeiten des ersten Stockes mit wahrhaft fürstlichem Luxus aus und gab hier seinen Clienten öfter Bälle und Maskeraden. Meyer führte überhaupt ein großes Haus und spielte zu jener Zeit ungefähr dieselbe Rolle in der Gesellschaft, wie unsere großen Finanzbarone von heute. Er trug sich sehr elegant » à la française«, und obgleich sein Aeußeres nicht einnehmend genannt werden konnte, so war er doch in den besseren Kreisen der Residenz wohl gelitten, woran seine reichgefüllte Casse den meisten Antheil haben mochte.

Sein Associé Behrendt Lehmann war das gerade Gegentheil von ihm. Ein geborener Pole, zeigte er vollständig den eigenthümlichen Typus der Juden seiner Heimat. Er war ein fleißiger, bescheidener und zurückgezogen lebender Mann, machte keinerlei Aufwand, hielt streng auf Ordnung in seinen Geschäften und auf die größte Sparsamkeit; er schämte sich durchaus nicht seiner Abstammung, noch seiner Religion und trug gar kein Verlangen darnach, sich in eine Gesellschaft zu mischen, deren Vorurtheile er nur zu gut kannte.

Bei mehreren Gelegenheiten hatte die Gräfin Cosel ihren treuen Zaklika in wichtigen Geschäften zu ihm geschickt. Lehmann, welcher in seiner Stellung als Bankier mehr als Andere Gelegenheit hatte, Menschen verschiedensten Schlages kennen zu lernen, schätzte den edlen Charakter seiner Clientin sehr hoch. Er setzte volles Vertrauen in jedes ihrer Worte und bezeigte ihr stets die größte Hochachtung.

Da er aus der Umgegend von Krakau gebürtig war und seine Jugendjahre dort verlebt hatte, unterhielt sich der ehrenhafte Jude gerne mit Zaklika, der nicht weniger als er an seinem Vaterlande hing. Lehmann fand großes Vergnügen daran, mit Raimund in seiner Muttersprache zu plaudern, und manchmal schon hatten die Beiden bei einem Glase Wein eine angenehme Stunde verbracht, wobei sie sich gegenseitig achten und schätzen gelernt.

Raimund hatte wohl bemerkt, daß Lehmann seiner Herrin, auch nachdem dieselbe in Ungnade gefallen war, noch die vollste Achtung und Ergebenheit bewahrte.

Ganz im Gegensatze zu Jonas Meyer, der ein großer Bewunderer des Königs und ein serviler Diener aller eben in Gunst stehenden Würdenträger war, welchen er recht gut zu schmeicheln wußte und deren sittenloses Leben und Treiben er billigte, da er selbst nicht eben ein Tugendspiegel war, hatte Behrendt Lehmann, obwohl er seinen Gewinn aus den Lastern dieser verderbten Gesellschaft zog, doch innerlich nur Abscheu und Verachtung für dieselbe. Die Frivolität und Schwelgerei, welche da förmlich zum Gesetze und zur Gewohnheit geworden war, empörten ihn. Obgleich er sich Mühe gab, diese seine Ansichten vor der Welt zu verbergen, waren dieselben doch durchaus kein Geheimniß geblieben und auch Zaklika hatte ihn in seinen Gesprächen mit ihm schon öfter darüber ertappt.

Raimund hatte während seiner nächtlichen Fahrt nach einiger Ueberlegung den Entschluß gefaßt, sich an Lehmann zu wenden; er war sicher, da guten Rath zu finden, und kannte den Charakter dieses ehrlichen Juden zu genau, um von ihm irgend einen Verrath zu befürchten.

Als Zaklika sein Boot etwas unterhalb der großen Brücke bei einem ihm befreundeten Wenden in Sicherheit gebracht hatte, zog er seinen Hut tiefer in die Stirne, hüllte sich bis zu den Augen in die Falten seines weiten Mantels und lenkte seine Schritte der Stadt zu.

Obgleich die Nacht schon vorgeschritten war, herrschte doch noch überall bewegtes Leben, denn man gab, wie schon erwähnt, bei Hofe ein Fest. Heller Lichtschimmer strömte aus den mit Tausenden von Kerzen taghell erleuchteten Sälen des ›Zwingers‹ und lagerte über dem Hesperidengarten. König August gab der Dönhoff zu Ehren einen solennen Maskenball mit Fackeltanz. In den Straßen wogte eine große Menschenmenge auf und nieder, zahlreiche Carrossen eilten nach dem Schlosse zu, und hin und wieder sah man irgend eine Maske durch die Fenster derselben oder auch, wohl vermummt, zu Fuß durch das Gedränge schlüpfen.

Zaklika, der befürchtete, von irgend jemandem erkannt zu werden, hielt sich stets im Schatten und drückte sich längs der Häuser hin; er kam so glücklich unbemerkt und ohne jeden Zwischenfall bis zum sogenannten ›Judenhause‹ in der Pirnaischen Straße, wo Lehmann eine ziemlich bescheidene Wohnung innehatte, deren Fenster nach dem Garten gingen. Er war gewiß, um diese Stunde den Bankier allein zu Hause zu finden, und brauchte nicht zu befürchten, irgend Einem von der Dienerschaft zu begegnen, deren Neugier sicherlich durch das Hoffest ungezogen worden war.

Er täuschte sich nicht in seinen Voraussetzungen – alles war nach dem ›Zwinger‹ geeilt, um etwas von dem Maskenball zu sehen. Eine alte, allein zurückgebliebene Magd öffnete dem jungen Polen und führte ihn zu Lehmann, der dem Ankömmling bis zur Thürschwelle entgegeneilte. Auf ein Zeichen Zaklika's entließ der Bankier die Dienerin und führte seinen Gast in ein kleines, abgelegenes Cabinet, wo er gewöhnlich seine Clienten zu empfangen Pflegte. Die Beiden drückten sich stillschweigend die Hand zur Begrüßung.

Lehmann war ein Mann in reiferem Alter, mit nicht unschönen, ausgeprägt orientalischen Zügen. In seinem noch vollen Antlitz prägte sich ein ruhiges und aufrichtiges Wesen aus; trotz seines kalten, forschenden Blickes gewahrte man in seinen Augen bei näherer Betrachtung ein gewisses Feuer.

Beim Eintritte in das Cabinet warf Raimund einen prüfenden Blick rings umher. Lehmann hatte dies bemerkt, und die Hand auf seinen Arm legend, sagte er: »Ihr könnt ganz ruhig sein, bei mir seid Ihr in vollkommenster Sicherheit. Niemand hat Euch gesehen, und wenn jemand Euch erblickte, so würde er Euch ohnehin nicht wiedererkennen.«

»Das wäre mir in der That sehr lieb,« antwortete der junge Mann.

Lehmann entfernte sich nun auf einen Augenblick, um einige Anordnungen zu treffen. Nachdem er zurückgekommen war, bedeutete er seinen Gast, platzzunehmen, und setzte sich zu ihm an den Tisch.

»Was ist aus Euch geworden in der langen, langen Zeit, da ich Euch nicht zu Gesicht bekam?« fragte er Zaklika.

»O, es geht uns nicht zum besten,« antwortete dieser. »Zuerst hat man uns genöthigt, das Palais der ›vier Jahreszeiten‹ zu verlassen, dann das Haus in der Pirnaischen Straße und endlich gar Dresden, und ich bin überzeugt, daß es nicht gar lange dauern wird, bis man uns auch aus Pillnitz vertreibt ... Wer weiß, wo und wann diese Verfolgungen endlich ein Ende nehmen werden. Meine unglückliche Herrin hat ein paar niederträchtige Schufte zu Feinden, die ihr geschworen haben, sie zu verderben. Sie wird den Streichen derselben sicherlich erliegen, wenn es uns nicht gelingt, sie zu retten und ihren Verfolgern zu entziehen.«

»Ja, ja, ganz richtig,« sagte Lehmann vor sich hin, dabei das Sammtkäppchen, das er stets auf dem Kopfe trug, zurechtrückend, »man muß sie retten, aber man muß sich sehr in Acht nehmen, daß man nicht selbst dabei zugrunde geht. Man wird dabei viel Klugheit anwenden und die größte Vorsicht beobachten müssen ...«

»Die Gräfin ist gesonnen, zu flüchten,« sagte Raimund, entschlossen auf fein Ziel losgehend.

»Wohin denn?« fragte der Bankier mit einem Lächeln. »Vielleicht übers Meer? Sie scheint dabei zu übersehen, daß in Deutschland die Fürsten sich gegenseitig ihre Flüchtlinge ausliefern.«

»Ich glaube nicht, daß es Jemanden einfallen wird, ihre Auslieferung zu begehren,« bemerkte Zaklika.

Lehmann schüttelte mit dem Ausdruck des Zweifels den Kopf.

»Die Gräfin,« fuhr der treue Diener fort, »will alles, was sie irgendwie Werthvolles besitzt, mit sich nehmen; denn was hier zurückbleibt, fällt in die Hände ihrer elenden Verfolger.«

Von neuem schüttelte Lehmann das Haupt.

»Findet Ihr diesen Plan für unklug?« fragte Zaklika.

Der Bankier stützte den Kopf in seine beiden Hände und versank einige Minuten in tiefes Nachdenken. »Glaubt mir,« sagte er dann, »daß ich von Herzen gern der Gräfin nützen möchte. Ich kenne ihre Geschichte, ihren Charakter, ihre Gesinnungen; sie ist in der That die einzige Perle, welche noch auf diesem Misthaufen zu finden ist. Ich danke ihr sehr viel, ich bin dessen eingedenk, und ich möchte ihr gerne Beweise meiner Dankbarkeit geben. Ich habe ein Herz im Leibe und weiß anständige Leute zu schätzen. Aber urtheilt selbst – kann ich meine Familie, meine Kinder für sie opfern, ja, habe ich überhaupt das Recht, ein solches Opfer zu bringen?«

»Aber, lieber Herr Lehmann, Ihr seid doch gewiß überzeugt, daß weder ich noch meine Herrin Euch zu verrathen im Stande wären, falls Ihr uns irgendwie behilflich sein würdet, selbst wenn man die schrecklichsten Foltern gegen uns in Anwendung brächte.«

Nach kurzer Ueberlegung faßte der Bankier seinen Entschluß.

»Sei es denn!« sagte er, Zaklika die Hand reichend, »ich will Euch meine Mithilfe nicht versagen, lieber Herr Zaklika. Es ist aber jetzt unerläßlich nothwendig, daß keine menschliche Seele Euch sehe, wenn Ihr mich jetzt verlassen werdet, denn es geht mir nicht besser als Anderen – auch ich werde von Spionen überwacht.«

»Fürchtet nichts!« sagte Raimund.

»Ihr werdet also bei mir Euere Werthsachen deponiren und ich werde sie Euch zustellen, wo immer Ihr Euch befindet,« fuhr Lehman fort, »das ist endgiltig abgemacht.«

Die beiden Männer drückten sich neuerdings die Hände.

Der Bankier nahm sodann aus einem Wandschrank eine Flasche Wein und zwei Gläser, worauf er seinen Platz am Tische wieder einnahm.

»Ich danke,« sagte Zaklika, »ich kann indessen nur mehr wenige Augenblicke verweilen, denn ich habe mich noch über so Manches zu erkundigen, auch muß ich einige Vorbereitungen treffen.«

»Wenn Ihr zu wissen wünscht, was hier vorgeht,« erwiderte Lehmann darauf in gedämpftem Tone und die Stirne unwillig runzelnd, »so kann ich Euch das wohl auch mittheilen; es ändert sich hier sehr wenig – was gestern geschah, geschieht auch heute. Diese Faullenzer am Hofe trinken, essen und unterhalten sich unter den Augen ihres Herrn und Meisters und befinden sich dabei recht wohl. Vom Morgen bis zum Abend und wieder vom Abend bis zum Morgen amüsirt man sich, und wenn ihnen irgend Jemand bei diesem Treiben im Wege steht, so läßt man ihn hinter den Thoren des Königsteins verschwinden ... Menschlichkeit oder Mitgefühl würde man bei diesen Leuten vergeblich suchen, denn es giebt keine herzloseren Geschöpfe als diese Wüstlinge ... Jeder sucht den Boden unter den Füßen seines Rivalen zu untergraben und ihn zu Fall zu bringen; der König seinerseits hat seinen Zeitvertreib an diesen Intriguen und überschüttet die Sieger mit Gunstbezeigungen, bis die Reihe an sie kommt und er sie fallen zu lassen für gut findet ... Ich wiederhole Euch, es ist immer dasselbe Spiel; wer die Chronik von gestern schrieb, hat auch die von heute und von morgen gemacht, und das wird so fortgehen, bis eines Tages ein Sturm unerwarteterweise all das hinwegfegt ...«

»Ist denn König August wirklich so sehr in die Dönhoff verliebt?« fragte Zaklika.

»Er – verliebt? Kann denn ein solcher Mensch überhaupt einen Anderen lieben als sich selbst? ... Als er einst seine Religion wechselte und die Euere annahm, sagte ein geistvoller Spaßvogel, sein Bild mit einem einzigen Striche treffend zeichnend, daß der König das nicht wechseln könne, was er niemals besessen habe. Ganz so verhält es sich bei ihm mit der Liebe.«

»Und diese Dönhoff?«

»Nun, was soll ich Euch über sie sagen? Da ist man bald zu Ende. Sie rafft so viel Geld und Gut zusammen, als ihr möglich ist, während andererseits der König sich bereits nach Einem umsieht, mit dem er sie verheiraten kann, wenn er ihrer überdrüssig geworden sein wird ... Ihre Schwester, die Potzki, hat man bereits Friesen angeboten, und was die Dönhoff selbst betrifft, so glaube ich, daß Harthausen oder der Franzose Besenval sie wohl nehmen wird – denn diese zwei hat man ja immer noch in Reserve.« Mit einem verächtlichen Achselzucken schloß Lehmann seinen Bericht: »Was wollt Ihr, bei uns ändern sich wohl die Schauspieler, nicht aber das Stück.«

Die Beiden unterhielten sich noch einige Zeit mit halblauter Stimme, dann nahm Lehmann einen Schlüssel und verließ in Begleitung seines Gastes das Haus. Sie lenkten ihre Schritte nach einem kleinen, im Gebüsch halbversteckten Pförtchen an der Hinteren Gartenmauer, welches der Bankier öffnete, worauf er Zaklika den Schlüssel einhändigte. Hierauf verabschiedeten sich die beiden Männer still und Raimund hüllte sich, nachdem er die Thür wieder verschlossen hatte, tief in seinen Mantel und entfernte sich rasch. Als er einige Gassen auf und ab gegangen war, um etwaige Späher irrezuführen, lenkte er seine Schritte wieder nach der inneren Stadt zu. Er dachte, er könnte wohl ohne Gefahr dem Menschenstrome folgen, der sich noch immer nach dem ›Zwinger‹ zu bewegte. Die Neugier trieb ihn dorthin und er glaubte, daß er es in seiner Verkleidung wohl wagen dürfe, sie zu befriedigen.

So war Zaklika bis in die Schloßstraße gekommen, wo sich um diese Stunde Masken aller Art lustig herumtummelten, als er einen leichten Schlag auf die Schulter erhielt. Sich rasch umwendend, bemerkte er hinter sich die possirliche Gestalt seines alten Freundes Fröhlich. Der Possenreißer hatte sich in nichts verändert – er stieß noch eben solche Lachsalven aus wie früher und trug sich noch ebenso harlekinmäßig; bildeten doch diese beiden Dinge einen wichtigen Bestandtheil seines Berufes.

»Wie war es nur möglich, daß Ihr mich erkanntet?« fragte Zaklika, nachdem er die Begrüßung des kleinen Mannes mit einem kräftigen Händedruck erwidert hatte.

»An Eueren Schultern erkannte ich Euch – denn mit Ausnahme des Königs kann hier niemand solche sein eigen nennen. Doch was macht Ihr denn eigentlich hier? Wie ich hörte, ward Ihr im Hause der Gräfin Cosel, der in Ungnade gefallenen ehemaligen Favorite – und was treibt Ihr jetzt?«

»Gegenwärtig,« erwiderte Zaklika mit größter Unbefangenheit, »mache ich eigentlich gar nichts; ich bin auf der Suche nach irgend einer Stellung. Ich habe nämlich den Dienst der Gräfin verlassen, denn ich sah da keine Zukunft mehr für mich.«

»Daran habt Ihr sehr wohl gethan,« meinte Fröhlich, »denn unter uns gesagt, es ist alles recht schön und gut, aber Jeder muß doch vor allem auf sein eigenes Ich bedacht sein ... Ihr werdet jetzt wahrscheinlich wieder in die Dienste des Königs treten – oder vielleicht in die der Dönhoff?«

»Das weiß ich alles noch nicht,« antwortete Raimund. »Doch da wir gerade von der Dönhoff sprechen – sagt mir einmal, wie gefällt sie Euch denn?«

»Wie sie mir gefällt? ... Je nun, dieses reizende Wesen kommt mir ungefähr vor, wie eines jener kleinen schwarzen Thierchen, wißt Ihr, welche so leicht zu zermalmen, aber so schwer einzufangen sind!«

Seiner Gewohnheit gemäß brach der Lustigmacher nach diesem Witz in ein wieherndes Gelächter aus, beeilte sich aber diesmal rasch, es zu unterdrücken, indem er sich die Hand vor den Mund hielt.

»Die kleinste, zierlichste Fledermaus,« fuhr er dann fort, »die Ihr auf dem Balle erblicken werdet, das ist sie ... Ein hübsches Spielzeug, meiner Treu, aber verteufelt kostspielig!«

Die Beiden plauderten noch eine Weile fort, als plötzlich eine vorüberkommende Maske in dem Costüme eines Spaniers einige Schritte vor ihnen stehen blieb und ihrem Gespräche die lebhafteste Aufmerksamkeit zuzuwenden schien. Als der Pole dies bemerkte, wollte er sich rasch entfernen, allein die Maske holte ihn ein, erfaßte ihn beim Arme und sah ihm scharf ins Gesicht. Fröhlich war inzwischen schon verschwunden.

Zaklika, welcher von dem Zwischenfall nicht sehr erbaut war, hätte gern erfahren, mit wem er es zu thun habe; allein die schwarze Sammtmaske, welche das Gesicht des Unbekannten bedeckte, hielt ihn darüber vollständig im Unklaren.

Der Spanier begann Zaklika nun mit veränderter Stimme rasch auszufragen.

»Woher kommst Du? Was machst Du hier?«

Zaklika glaubte, daß er den unberufenen Frager am raschesten loswerden könne, wenn er ihm in gleicher Weise, wie vorhin Fröhlich, antworte. Er sagte also kurzweg: »Ich suche ein Amt, eine Anstellung.«

»Ah,« meinte der Spanier, »hat es Dir bei Deiner Herrin nicht mehr gefallen?«

»Meine ehemalige Gebieterin ist eben nicht mehr die Dame, die sie war; sie braucht keinen Hofstaat mehr.«

Unterdessen waren Zaklika und der Spanier bis zu einem der Eingänge des Schlosses gekommen; der Unbekannte zog den Polen unter die vom flackernden Licht einer großen Laterne beleuchtete gewölbte Einfahrt.

Hier blieb er stehen und fragte: »Du suchst also eine Stelle?! ... Welche Art von Anstellung wäre Dir denn am passendsten?«

»Ich bin Edelmann,« erwiderte der Pole stolz, »ich muß also eine meinem Range entsprechende Stellung finden, das heißt eine solche, die mir gestattet, den Degen zu tragen und mich seiner nöthigenfalls zu bedienen.«

Der Spanier murmelte einige unverständliche Worte.

»Und die Cosel?« fragte er dann plötzlich; »wo ist die Cosel jetzt?«

»Wahrscheinlich in Pillnitz. Ich weiß weiter nichts von ihr,« antwortete Zaklika.

»Komm' mit mir!«

»Wohin?«

»Du brauchst Dich darob nicht zu beunruhigen. Oder fürchtest Du Dich etwa?«

Zaklika lächelte verächtlich und folgte dem Spanier ohne ein Wort der Erwiderung.

Sie setzten ihren Weg fort und Raimund wurde bald gewahr, daß sein Begleiter ihn zum General Flemming führe.

Flemming war zu Hause geblieben, denn er erwartete heute Abends noch den Besuch des Königs. Viele Masken gingen in seinen Appartements ab und zu, Andere hatten an den aufgestellten Tafeln platzgenommen und aßen und tranken da nach Herzenslust.

In dem Saale, wo die Gäste Flemming's sich niedergelassen hatten, herrschte großes Getümmel; die hohen Flügelthüren standen weit geöffnet. Der Spanier trat rasch hier ein und sagte dem General einige Worte ins Ohr. Dieser erhob sich sofort, machte Zaklika ein Zeichen, ihm zu folgen, und führte ihn durch ein Labyrinth von Gängen in sein Arbeitszimmer.

Ein noch ziemlich junger Mann schrieb hier emsig an einem mit allerhand Acten, Karten und Plänen bedeckten Tisch.

In diesem Theile des weitläufigen Gebäudes herrschte tiefe Ruhe, welche gegen das tolle Treiben, welches man eben verlassen hatte, um so greller abstach.

Flemming führte Zaklika und den ihnen folgenden Spanier in ein anstoßendes kleines Cabinet. Dort angekommen, fragte er den jungen Polen:

»Wann seid Ihr aus den Diensten der Frau von Cosel getreten?«

»Erst vor wenigen Tagen,« war die Antwort.

»Was macht die Gräfin in Pillnitz?«

»Sie richtet sich dort wohnlich ein und beschäftigt sich mit allerhand Anordnungen in Haus und Garten.«

»Sie scheint also gesonnen zu sein, dort zu verbleiben?«

»Natürlich.«

Der Spanier und Flemming blickten sich verwundert an, während Letzterer ungläubig den Kopf schüttelte.

»Ihr seid in gutem Einvernehmen von ihr geschieden?«

Zaklika begriff, daß er sich das Vertrauen des Ministers zu erwerben suchen müsse, um vielleicht etwas für seinen Zweck Dienliches zu erfahren.

»Ich bin eigentlich von ihr weggeschickt worden,« sagte er.

»Kennt Ihr Pillnitz, die Leute dort und alle Wege genau?«

»Gewiß.«

»Und würdet Ihr geneigt sein, eine andere Stellung anzunehmen?«

»Warum nicht?«

»Selbst dann, wenn es sich darum handelte, gegen das Interesse Euerer früheren Gebieterin Dienste zu leisten?«

»Ich bin ein polnischer Edelmann, Herr General, und ich kenne nur einen Herrn – das ist mein König.«

Lächelnd klopfte ihm Flemming auf die Schulter und sagte dann: »Kommt in zwei Tagen wieder zu mir!«

»Zu Befehl!« entgegnete Zaklika.

Flemming wollte ihm eben etwas Geld anbieten, allein Raimund zog sich grüßend zurück. »Auf übermorgen also!« sagte er und entfernte sich rasch.

Indem Zaklika die eben erlebte Scene bei sich überdachte, begriff er, daß er zwei Tage vollster Sicherheit vor sich habe; das war wenig, aber bei der Lage der Dinge erschienen ihm selbst zwei Tage als ein ansehnlicher Gewinn.

Er hüllte sich nun vorsichtiger als zuvor in seinen Mantel und suchte rasch den Quai zu erreichen; dort verweilte er noch einige Zeit in einer alten halbverfallenen Hütte, in welcher eine ihm bekannte wendische Fischerfamilie wohnte. Dann machte er seinen Nachen los und ruderte unter dem Schutze der Nacht, so rasch es ihm seine Kräfte gestatteten, die Elbe hinauf nach Pillnitz.


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