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VIII. Die Toten kommen wieder

»Mimister Nonobody, wewenn Sie auch nur noch einen Kokopf haben – Sie können noch sehen und werden bezeugen, daß ich, Mimister Cerberus Momojan, wirklich im Serail gegewesen bin.«

Mit diesen Worten eröffnete Mojan das Gespräch. Einen Menschen zu haben, der die Wahrheit seines neuesten Geniestreiches bezeugen konnte, das war ihm also die Hauptsache. Über das Wunder, das doch mit seinem Freunde verbunden sein mußte, zerbrach er sich nicht im geringsten den Kopf.

»Erzählen Sie, wie Sie eigentlich in das Serail gekommen sind.«

Mimister Momomojan wollte zu erzählen beginnen, wurde aber gleich im Anfange von Nobody noch einmal unterbrochen.

»Stottern Sie denn wirklich oder ist das wieder einmal eine fixe Idee von Ihnen? Dann würde ich Sie nämlich bitten, einstweilen Ihre Stotterei aufzugeben, dadurch würden Sie bei Ihrer Erzählung ein Drittel der Zeit ersparen. Sie können das später ja wieder nachholen, indem Sie jede Anfangssilbe nicht nur zwei- bis viermal, sondern drei- bis zwölfmal wiederholen.«

»Nenenee, dadas ist Tatatsache. Die Gegeschichte war nämlich so.«

Zuerst also erzählte Mojan, wie ihm seine chronische Maulsperre endlich selber lästig geworden war. Diese Angewohnheit hatte er für Nervosität gehalten, hatte sich in eine Nervenklinik begeben, unter anderem hatte er auch ein großes Senfpflaster auf den Rücken bekommen – (der Anstaltsarzt hatte den verrückten Kauz jedenfalls zu nehmen gewußt!) – es hatte geholfen, das blasenziehende Senfpflaster hatte die chronische Maulsperre ausgezogen, dafür aber ein Sprachübel erzeugt.

Dies war nicht so einfach erzählt, wie es hier wiedergegeben wird, Mojan brauchte zu allen Einzelheiten eine gute halbe Stunde, Nobodys Geduld war bewundernswert, daß er so ruhig zuhören konnte, bis er endlich doch dem Erzähler die Hand auf den Mund legte, aber aus einem ganz anderen Grunde, als weil er die Stotterei nun endlich satt hatte.

»Still, es kommen Schritte!«

Sie kamen näher, sehr viele Füße, die scheinbar mit Absicht recht kräftig auftraten. Dicht neben dieser Tür machten sie Halt, eiserne Werkzeuge klirrten, Steine polterten, eine Stimme gab Anweisungen.

»Die Arbeiter sind zurückgekommen,« sagte Nobody, »die Tür des Spukzimmers soll wieder zugemauert werden. Desto besser für uns. Nun stottern Sie ruhig weiter, jetzt haben wir Zeit genug. Nur dämpfen Sie etwas Ihre Stimme.«

Während seines Aufenthaltes in der amerikanischen Nervenklinik war in dem spleenigen Yankee die Idee und zugleich auch der feste Entschluß entstanden, die Geheimnisse des türkischen Serails kennen zu lernen. Gedacht, getan – es ging nach Konstantinopel.

Der ehemalige Großkaufmann hatte in der türkischen Hauptstadt eine Filiale gehabt, hatte in ihr selbst jahrelang gelebt. Von alledem wollte er nichts wissen, er wollte ein Fremder sein, was sich einzubilden ihm mit Hilfe seiner Phantasie leicht gelang. Seit er sich, obgleich beständig auf Reisen, zur Ruhe gesetzt, betrachtete er ja das ganze Leben nur noch als eine Komödie, in der er die Rolle des Narren spielte – jenes Narren, welcher in Wirklichkeit der Klügste von allen ist.

Also Mojan, der Konstantinopel wie seine Tasche kannte, engagierte einen Dragoman, ließ sich von diesem herumführen, die Sehenswürdigkeiten zeigen. Die Erklärungen des armenischen Fremdenführers mochten ihm schon Spaß genug machen.

Der Zug der Eunuchen mit der Sänfte kam an ihm vorüber. Mojan wollte Eunuche werden. Inwieweit ihm das ernst gewesen war, konnte Nobody jetzt nicht von dem quecksilbrigen Geist erfahren. So, wie er es sich vorstellte, sich einfach zum Dienst als Eunuche im Serail zu melden, ging es natürlich nicht, das wußte Mojan am allerbesten.

Kurz darauf war Mojan auf der Straße von einem ehemaligen Geschäftsfreund erkannt worden, der noch immer in Konstantinopel wohnte. Um die Erzählung abzukürzen, lassen wir uns hier auf keine Bezeichnung der vielen Vorstädte ein, wir bleiben einfach bei Konstantinopel.

Hier gab es keine Verstellung, Mojan freute sich selbst des Wiedersehens, der Dragoman wurde einstweilen entlassen, Mojan folgte dem Freunde nach dessen Villa.

Die beiden saßen auf der Veranda bei einem opulenten Frühstück und gedachten vergangener Zeiten, als im Garten ein schmetterndes Krähen erscholl und aus einem Gebüsch ein Hahn in menschlicher Gestalt zum Vorschein kam – ein kleiner, dicker Türke in roter Pumphose und blauem Jäckchen, der mit seinen Armen wie mit Flügeln wedelte und auf die Veranda zuhopste, um von dem Frühstückstische Brosamen zu haschen.

Ein Muschlin! Ein Wahnsinniger!

Die frei auf den Straßen Konstantinopels herumlaufenden Wahnsinnigen sind ja stadtbekannte Figuren, aber die Millionenstadt ist groß, diesen hier hatte der Geschäftsfreund doch noch nicht gesehen, und kein Abzeichen verriet, daß es ein dem Serail entsprungener Muschlin sein könne.

Die Speisenden warfen dem harmlosen Gaste Brot und Fleischstückchen zu, welche aufgepickt wurden, anders hätte es der Wahnsinnige gar nicht genommen, er war in seiner Einbildung eben ein Hahn, und da machte der Geschäftsfreund eine Entdeckung. Abwechselnd blickte er den Türken und seinen Gast an.

»Mr. Mojan, Sie brauchten sich nur zu rasieren, dem seine Sachen anzuziehen – man würde Sie gar nicht von ihm unterscheiden können.«

Das hätte der Freund nicht sagen sollen. Mojan zog schon das Etui mit den Rasierutensilien aus der Tasche.

»Wird gegegemacht.«

Vergebens begann jetzt sein erschrockener Freund zu warnen. Mr. Dhulman kannte Mojan ja zur Genüge, aber ... die Gefahr war denn doch gar zu groß. Vor allen Dingen war der Wahnsinnige ein Eunuche, der gehörte wahrscheinlich noch jetzt einem Harem an, war daraus entsprungen, man war schon hinter ihm her, und wenn er erwischt wurde, kam er wieder in die Zwingburg irgendeines türkischen Großen, aus der ein Entweichen fast ebenso unmöglich ist wie aus dem Serail, das hier war eben nur eine große Ausnahme. Ja, konnte dieser Muschlin nicht dem Serail entsprungen sein?

»Um Gottes willen, Mr. Mojan!«

»Nininischt, es wird gegegemacht! Was gilt die Wette, daß ich heil und gesund wieder hierher zurückkomme?«

Ja freilich, wenn es eine Wette galt! Mr. Dhulman war einer von jenen Yankees, mit denen es auch der wettwütigste Engländer nicht aufnehmen kann.

»Well, was gilt die Wette?«

Uns interessiert es nicht weiter, wie die Wette formuliert wurde. Sie kam zustande, der menschliche Hahn wurde in das Innere der Villa gelockt, in einem sicheren Gemache sollte er vorläufig gefangengehalten werden. Daß sich Dhulman selbst dabei der größten Gefahr aussetzte, weil er einen heiligen Muschlin der Freiheit beraubte, seine Heiligkeit gewissermaßen schändete, das war dem Yankee jetzt alles ganz egal, er hatte gewettet!

Eine Viertelstunde später stolzierte Mr. Cerberus Mojan als Hahn in einer Hauptstraße Konstantinopels herum. Wir wollen nicht die Allotria schildern, die er trieb. Als wahnsinniger Hahn brachte der an sich schon verrückte Mojan ja nun etwas fertig!

.

Doch sollte er nicht viel Zeit haben, seinen genialen Wahnsinn vor der Öffentlichkeit leuchten zu lassen. Des Weges kam ein Trupp bewaffneter Eunuchen daher, der menschliche Hahn wurde gepackt und in die Mitte genommen.

Und unserem Mojan ging sofort eine Ahnung auf. Ha, Eunuchen in der kaiserlichen Uniform! Dann ging es auch ins Serail! Wie das alles klappte! Ja, Glück muß der Mensch haben – und auch der Hahn!

Der Hahn wehrte sich etwas, wie es jeder in seiner Ehre gekränkte Hahn tun muß, und dann folgte er willig den Eunuchen, mit Fistelstimme krähend und unterwegs einige Eier legend.

Der Freund und der Spiegel hatten ihm versichert, daß die Ähnlichkeit mit Mufti, welchen Spitznamen er erst jetzt erfuhr, die größtmögliche sei. Die Eunuchen, obwohl sie den Muschlin doch jedenfalls genau kannten, schöpften nicht das geringste Mißtrauen, nicht einmal darüber wunderten sie sich, daß Mufti mit einem Male einzelne Anfangssilben mehrmals wiederholte. Bei einem Irrsinnigen kann ja nichts kontrolliert werden, besonders wenn seine Nachahmungssucht stark ist, auch Mufti mochte oft seine Gewohnheiten ändern.

So kam Mojan in das heilige Serail hinein, selbst ein Heiliger, ohne daß aus dem Hahn erst ein Kapaun gemacht worden wäre.

Was für Allotria nun Mojan gestern und heute im Serail schon getrieben hatte, das können wir hier nicht wiedergeben. Wir werden ihn auch noch als Hahn beobachten.

Nobody brauchte sich nicht zu wundern, daß er ihm im Serail noch nicht begegnet war, dieses war zu groß, auch war Mojans erstes Gebiet ein anderes Gebäude gewesen. Jetzt hörte Nobody gern den Streichen des verrückten Kerls zu, besonders wie dieser nun zu erzählen verstand!

Wir wollen vorläufig nur wissen, daß noch niemand einen Argwohn geschöpft hatte, es nicht mit dem echten Mufti zu tun zu haben, wobei freilich zu beachten ist, daß dieser Mojan trotz aller Verrücktheit ein ganz schlauer Patron war, der auch jetzt bei der größten Tollheit niemals eine gewisse Grenze überschritt.

Eben erzählte Mojan in seiner drastischen Weise, bei seinem Stottern noch komischer klingend, wie er zwischen den Haremsweibern gewirtschaftet hatte. Nobody mußte, um geräuschlos lachen zu können, sich die Seiten halten, als draußen die Schritte wieder abmarschierten.

Nobody hatte das Geräusch, welches die Arbeit verursachte, nie außer Acht gelassen, er sah vor seinen geistigen Augen die Mauer in der Tür wieder aufwachsen.

»Mojan, darüber können Sie wirklich einen Roman schreiben!« sagte er, als er nach seiner Laterne griff, um einmal nach der Uhr zu sehen.

»Einen Roman? Ach neinein, ich hahabe mich jetzt auf die Popopopoesie gegeworfen.«

Der Blendstrahl der Laterne flammte auf und fiel auf Nobodys Taschenuhr.

»Drei Stunden sind vergangen! Wahrhaftig! Wenn ich mich nicht auf meine Uhr verlassen könnte, ich würde es nicht für möglich halten. Ja, dann kann die Tür auch schon wieder zugemauert sein.«

»Ja, wowowo sind Sie denn eigentlich?« fragte Mojan. »Jetzt ist doch sogar Ihr Kokokopf weweg.«

»Mojan können Sie ein Geheimnis bewahren?«

»Wie eine totote Leileileiche.«

Nobody wußte, daß er diesem Manne sein tiefstes Geheimnis anvertrauen durfte, so gut wie seine Ehre. Er weihte ihn ein, sagte ihm eigentlich nur, daß er eine Kleidung besäße, die den Menschen unsichtbar mache.

»A–a–a–ach nee! Wowowoher hahaben Sie denn die? Wawawas hahat die denn gegekostet?«

»Zu kaufen gibt es solch eine Tarnkappe nicht,« lächelte Nobody, »und auf welche Weise ich in ihren Besitz gekommen bin, das allerdings möchte ich als mein Geheimnis bewahren.«

»Meimeimeintswegen,« sagte Mojan, und hiermit war diese Angelegenheit für ihn erledigt. Schon beschäftigte ihn ein anderer Gedanke, der für den kleinen Dickwanst ein weit größeres Interesse hatte.

»Nun wollen wir erst mamal in die Küküche gehen, ich hahabe Hunger.«

Aber sogleich ließ Nobody ihn nicht gehen. Es folgte noch eine kurze Unterredung, wobei Mojan ganz vernünftig war, er blieb einstweilen hier in dieser Kleiderkammer versteckt, während Nobody wieder in die Öffnung des Wandtunnels kroch, in der Voraussetzung, daß jetzt die beste Gelegenheit war, das Spukzimmer einer gründlichen Visitation zu unterziehen.

Erst auf dem Bauche rutschend, dann auf den Knien kriechend, erreichte er den Ausgang des Schachtes. Die schwärzeste Finsternis herrschte wieder in der Bibliothek.

Ehe Nobody seine Laterne aufflammen ließ, schob er sich aus dem Loche heraus, stieg an einem Regale herab.

Jetzt ließ er die elektrische Zündung der Benzinlaterne funktionieren, der Blendstrahl schoß heraus – und durch einen schnellen Druck brachte Nobody ihn wieder zum Verlöschen.

Denn in demselben Augenblick, da die Laterne aufgeflammt war, war ein knarrender Ton erschollen, hier in diesem Zimmer und – da trat auch schon der Geist des vor zweihundert Jahren verstorbenen Sultans aus der Wand!

Aber jetzt sah er etwas anders aus, als Nobody ihn bisher gesehen hatte. Wohl war es noch der hochgewachsene Türke mit dem finsteren Gesicht und mit dem lang herabhängenden Schnurrbart, aber das Geisterhafte fehlte vollständig, das Licht, welches ihn wie das ganze Gemach erleuchtete, ging von einer brennenden Lampe aus, die er in der Hand trug, und sie beleuchtete einen Menschen aus Fleisch und Blut, dessen orientalische Kleidung wirklich bunte Farben zeigte, wie die am Dolchgriff und anderswo angebrachten Edelsteine auch wirklich blitzten. Das Knarren war daher gekommen, weil sich eines der Regale gedreht hatte, es hatte mit seiner künstlichen Wand ein kleines Kabinett verschlossen, aus diesem war der Türke gekommen.

Hatte er den Lichtschein in dem finsteren Zimmer noch bemerkt? Das war jetzt für Nobody die Hauptfrage, und er war bereit, sich auf den Türken zu stürzen, um ihn unschädlich zu machen.

Nein, wie sich dieser benahm, ließ mit Sicherheit darauf schließen, daß er nichts Verdächtiges bemerkt hatte, und nun konnte Nobody mit Ruhe weitere Beobachtungen an dem Fleisch und Blut gewordenen Geiste anstellen.

Der lange Schnurrbart war ein falscher, angeklebter. Ohne diesen war das Gesicht ein viel weniger wildes, mußte aber immer noch energisch genug sein. Vor allen Dingen, was Nobody am allermeisten interessierte, waren das wohl südländische, doch keine türkischen, überhaupt keine orientalischen Züge. Nobody hielt ihn für einen Italiener. Das Alter war schwer zu taxieren, besonders weil das Gesicht dem scharfmarkierten eines Schauspielers glich.

Es gab ja unter den Eunuchen genug Nichtorientalen, besonders viel Griechen und andere Südeuropäer, in einem aber hatte Nobody mit Bestimmtheit einen Deutschen oder wenigstens einen Germanen erkannt, der eben auf irgendeine Weise als Sklave, oder vielleicht auch freiwillig ins Serail gekommen war – doch dieser Mann hier, der die Rolle des Geistes so vortrefflich zu spielen wußte, der hier herumkriechen durfte, ohne vermißt zu werden, das konnte doch unmöglich ein gewöhnlicher Sklave sein, ganz abgesehen von den Diamanten, die er zu seiner Kostümierung verwendet hatte!

Wenig zu der ganzen Erscheinung des altertümlich gekleideten Türken wollte der große, moderne Reisekoffer passen, den er in der anderen Hand trug, Diesen setzte er vorläufig hin und trat mit vorgehaltener Lampe nach der wieder vermauerten Wand, beleuchtete die noch frischen Fugen.

Aus diesem Benehmen also erkannte Nobody, daß jener nichts von einem Lichtscheine bemerkt haben konnte, sonst hätte er doch erst im Zimmer umhergeleuchtet, mißtrauisch, hätte sich überhaupt ganz anders benommen.

Nein, er betrachtete nur die frische Mauerung, und da umspielte den scharfgeschnittenen Mund ein trübes Lächeln, und jetzt öffnete er diesen Mund zum Sprechen.

»Ihr hättet nicht nötig gehabt, die einmal aufgebrochene Tür wieder zu vermauern. Von jetzt an wird euch kein Geist mehr ängstigen – weder hier der Geist des Sultans Achmed Köprili, noch im Park der Geist seiner ermordeten Mutter. Mit mir haben auch diese beiden ihre Rollen hier ausgespielt – der Vorhang fällt, die Komödie ist aus!«

Flüsternd hatte er es gesprochen, und Nobody ... war wie vom Donner gerührt!

Nicht etwa wegen dieser Worte – nein, wegen dieser Stimme! Denn es war eine tiefe Stimme gewesen, die unmöglich einem Eunuchen angehörte.

Außer dem Sultan noch ein anderer Mann, der auf die Eigenschaft dieses Wortes wirklich Anspruch machen konnte, hier im Serail?!

Man muß die Verhältnisse des Serails so gut kennen wie Nobody, um auch seine grenzenlose Überraschung verstehen zu können. Und er hatte sich an die Fistelstimme allüberall nun schon so gewöhnt, daß diese wohllautende, sonore Männerstimme auf ihn eben fast wie ein Donnerschlag wirkte.

Jedenfalls gab ihm dieser Mann aus Fleisch und Blut mit der tiefen Stimme ein viel größeres Rätsel auf, das erregte ihn viel mehr, als wenn er es mit einem echten Geiste aus dem Jenseits zu tun gehabt hätte.

Jener war von der Tür zurückgetreten; mit erhobener Lampe versuchte er das ganze Zimmer zu erleuchten. Er lächelte nicht mehr, aber noch dieselbe Schwermut, die wohl sonst nicht seinem Charakter entsprach, drückten seine scharfgeschnittenen Züge aus, und dasselbe sagten seine Worte.

»Nun lebe wohl, du trauter Raum, in dem ich täglich meine schönen Stunden verlebte. Ihr alten Manuskripte, die ihr mich nährtet wie eine Mutter ihr hungriges Kind, haltet mich nicht für undankbar. Ich habe eure geistige Milch eingesaugt, nie werde ich euch vergessen. Und einige von euch sollen mich begleiten.«

Es waren für Nobody keine dunklen Worte, und er fand es ganz selbstverständlich, daß der Türke jetzt die Lampe hinsetzte und den Koffer öffnete. Er wollte Manuskriptrollen hineinpacken.

Ehe er aber damit begann, setzte er sich selbst auf den Diwan, stützte den Kopf in beide Hände, so schaute er träumend vor sich hin, und die einzelnen Sätze sprach er in langen, langen Zwischenräumen, immer mit derselben schwermütigen Stimme.

»Wie fällt es mir doch so schwer. – – – Hafis, Alraschud, Semais! – – – Wie klingen noch eure köstlichen Makamen in meinem Ohr. – – – Und du, mein stolzer Giafar, du edler Barmezide! – – – dich muß ich treulos verlassen! – – – Schließlich nehme ich euch ja alle mit, ich habe euch ja alle mit heißem Mühen übersetzt, ich könnte auch euch selbst mitnehmen. – – – Euch selbst? Nur die geschriebenen Pergamente. – – – Euch selbst? frage ich noch einmal. – – – Nein, euren Geist, euch selbst kann ich nicht mitnehmen. – – – Ha, über diese kurzsichtigen Narren, welche nicht mehr an Geister glauben, welche über Geister spotten, weil sie dieselben nicht packen können! – – – Als ob in diesen uralten Pergamentrollen nicht die Geister derer steckten, welche sie einst geschrieben haben! – – – Doch nur der Geist kann den Geist begreifen!«

Er machte eine Bewegung, als wolle er aufstehen, vermochte es nicht, versank noch einmal in sein Träumen. Auch die letzten Worte waren für Nobody durchaus nicht dunkel gewesen. Ein Gelehrter, der hier die alten arabischen und türkischen Handschriften studiert und übersetzt hatte. Diese Periode schien jetzt vorüber zu sein, der Forscher nahm Abschied.

Erst die folgenden Worte waren für Nobody zum Teil unverständlich.

»Sieben lange, lange Jahre. – – – Ich bin darüber alt geworden. – – – Und mir war's wie ein schöner Traum. – – – Und es muß sein, es muß, es muß! – – – Diese Gelegenheit, meinen Wissenshunger zu stillen, kann ich mir nicht entgehen lassen. – – – Dieser Detektiv Nobody soll mich zu meinem Ziele führen!!«

Wie, was? Nobody?

Nobody allüberall!

Wenn Nobody nur eine Ahnung gehabt hätte, wer dieser Mann eigentlich war! Begegnet war er ihm noch nicht, darauf konnte er schwören.

Aber gehen lassen durfte er den nun nicht wieder, dem mußte er folgen, mochte Mojan auch noch so lange warten.

Es waren nur wenige Manuskripte, welche in den Koffer wanderten. Nur diese mochte er noch nicht gelesen oder noch nicht übersetzt haben oder überhaupt des Mitnehmens für wert erachten. Da es aber doch hohle Rollen waren und er sie nicht drücken wollte, so füllten diese wenigen Manuskripte den ganzen Koffer.

Er verschloß ihn, nahm auch die Lampe wieder auf, war bereit, die Bibliothek zu verlassen.

Das Regal war noch zurückgedreht, und Nobody ließ dem Fleisch gewordenen Geiste nicht den Vortritt, er trat zuerst hinein in das enge Kabinett, welches nichts weiter zeigte als eine nach oben und eine nach unten führende Steintreppe.

Noch einen schmerzlichen Blick des Abschieds warf der Türke zurück in den Raum, in dem er als Gelehrter manche Stunde beim traulichen Lampenschein verbracht haben mochte, dann trat auch er in den Alkoven und zog das wie eine Tür in Angeln gehende Regal hinter sich zu.

Es schnappte. Nobody fürchtete keine Falle, aus der er später keinen Ausgang wiederfand. Wo ein Mensch irgendeinen Mechanismus angebracht hatte, da wußte ihn dieser Detektiv auch sofort zu finden und zu öffnen, das war bei ihm geradezu schon ein Instinkt geworden, der ihn nie trog.

Der Türke setzte den Koffer hin, ließ ihn stehen und benutzte die nach oben führende Treppe. Wieder eine geheime Tür, und der folgende Nobody gelangte in einen Raum, aus dessen Beschaffenheit er auf den ersten Blick erkannte, daß es das Studierzimmer, richtiger die Werkstelle eines orientalischen Astronomen und noch mehr Astrologen war.

Wolle der geneigte Leser auf eine eingehende Schilderung dieses Raumes verzichten. Schon die Beschreibung des allereinfachsten Apparates, den ein Astrolog braucht, um das Horoskop zu stellen, wäre unmöglich. Mit einem Wort: alles so geheimnisvoll und unverständlich wie möglich, das Studierzimmer des Doktor Faust gegen dieses ein unschuldiges Kinderzimmer. Einiges kann, mit Nobodys Augen betrachtet, ja doch hervorgehoben werden.

So sah Nobody in dem weitläufigen Turmgemach fünf riesige Trommeln, vier in je einer Ecke und eine in der Mitte, jede von etwa zwei Meter Durchmesser, oben mit einem schneeweißen Leder oder Pergament bespannt, und was hätte nun wohl ein Europäer gesagt, der sich zwar höchst gebildet dünkt, aber noch keine zzzttyyy Camera obskurazzz/ttyyy gesehen hat, noch gar nicht weiß, was für ein Ding das ist, und er hätte auf den weißen Flächen Landschaften in natürlichen Farben gesehen, auf denen sich Menschlein hin und her bewegten, ganz, als ob sie lebten? Na, so ein gebildeter Europäer hätte eben an Zauberei geglaubt – bis er Gelegenheit bekam, so etwas auch einmal auf einem Jahrmarkt oder auf einem Aussichtsturm kennen zu lernen, und ist er irgend wißbegierig, so läßt er sich auch eine Erklärung dieses Apparates geben.

Hier kann die Erklärung des optischen Gesetzes, nach welchem die zzzttyyy Camera obskurazzz/ttyyy aufgebaut ist, nicht gegeben werden. Darüber belehrt jedes physikalische Handbuch, oder man befrage das Konversationslexikon.

Nobody bewunderte ebenso die Größe, wie die Vollkommenheit dieser fünf Kameras. Obgleich noch nicht verdunkelt, die nach allen Richtungen beweglichen Trommeln noch nicht genau eingestellt, gaben sie doch die Projektion der Gärten des Serails mit wunderbarer Deutlichkeit und Farbentreue wieder. Das dicke Männlein, das dort auf dem Hofe eben stehen blieb, um sich von einem anderen Eunuchen Feuer für seine Zigarette geben zu lassen, das war unverkennbar der Kislar-Aga! Auch unter den Wäscherinnen, die mit ihren Kupferkesselchen dort aus und ein gingen, auf jenem Platze Wäsche aufhingen, erkannte Nobody gleich bekannte Gesichter.

Wozu brauchte der Astrolog diese zzzttyyy Cameras obskuraszzz/ttyyy? Nun, sicher nicht dazu, um den Serailbewohnern belehrende Vorstellungen zu geben. Sie dienten den Haremsweibern gewiß auch nicht zur Unterhaltung. Nein, hier war das Heiligtum des Astrologen, aus diesen Cameras schöpfte er seine Allwissenheit, mit der er sicher manchmal prunkte, denn die Serailbewohner hatten doch keine Ahnung, was eine zzzttyyy Camera obskurazzz/ttyyy ist, und sie mochten dann nicht schlecht staunen, wenn ihnen der Astrolog auf den Kopf zusagte, was jeder einzelne zu einer gewissen Minute getrieben hatte.

Ein anderer Apparat, der Nobodys Bewunderung erregte, war eine riesige zzzttyyy Laterna magicazzz/ttyyy. Daß es eine solche war, erkannte er nur aus dem Projektionskörper, sonst waren da noch Einrichtungen vorhanden, die ihm bei der gewöhnlichen zzzttyyy Laterna magicazzz/ttyyy fremd oder unnötig erschienen, vor allen Dingen ein ganzes System, von zahllosen Winkelspiegeln, wie man es höchstens auf einem Leuchtturm findet, dann eine mächtige Trommel, die überall Einschnitte zeigte, an jenes Kinderspielzeug erinnernd, Lebensrad genannt, welches dem Auge, wenn man hineinblickt, scheinbar lebende Figuren zeigt, auf welcher physikalischen Spielerei auch die Erfindung der lebenden Photographien beruht.

Lebende Photographien gab es damals noch nicht, und es sei gleich bemerkt, daß dieser Apparat nicht etwa auch nur eine Ähnlichkeit besaß mit jenem, mit welchem man heute die zahllosen Photographien in blitzschneller Reihenfolge als Lichtbilder auf die Wand projiziert. Nein, dieser Astrolog war Edison noch nicht zuvorgekommen.

Immerhin, besonders beim Anblick der mit einer Kurbel versehenen Trommel erinnerte sich Nobody lebhaft gleich seines kleinen ›Lebensrades‹, mit dem auch er sich als Kind amüsiert hatte, und er gewann die feste Überzeugung, daß dies die Einrichtung war, mit welcher die so wunderbar vollendeten Geistererscheinungen erzeugt wurden, wozu noch die Kunst des Bauchredens kam, so daß es klang, als ob die Stimme aus dem Munde des Geistes käme. Aber auf welche Weise, wie der Mann es fertig brachte, sein eigenes Lichtbild in die Bibliothek hinab und durch den ganzen Korridor zu projizieren, das freilich war für Nobody vorläufig noch ein Rätsel, das bedurfte erst einer gründlichen Untersuchung des ganzen Apparates.

Der Türke entledigte sich des falschen Bartes und seiner Kleidung, legte dafür ein phantastisches Kostüm an, welches mit in Gold gestickten kabbalistischen Figuren bedeckt war, ebenso wie die hohe, chaldäische Mütze. Also es war der Basch-Kiatibi, der Sterndeuter und Hofzauberer, den Nobody zum ersten Male sah.

Hierauf trennte er die Diamanten von dem Gewande, das er als Sultan getragen, ab und barg sie wie den kostbaren Dolch und die ebenfalls mit Edelsteinen besetzten Schnabelschuhe in einem zweiten Koffer, welcher hier oben gestanden hatte.

»Der verabschiedet sich für immer von hier,« sagte sich Nobody, »er nimmt alle Kostbarkeiten mit.«

Jetzt entzündete der Astrolog eine kleine Handlaterne, nahm den Koffer, dessen Gewicht ganz bedeutend sein mußte, und verließ den Raum, stieg wieder die Treppe hinab, ihm nach Nobody.

Jener Alkoven war also nur ein Absatz auf der Treppe, hier befestigte der Astrolog die Laterne vorn am Gürtel, um auch den zweiten Koffer mit den Manuskripten in die Hand nehmen zu können, und er verfolgte die Treppe weiter hinab.

Nobody mußte annehmen, daß das Vorhandensein dieser Treppe sonst ganz unbekannt war, wie wohl noch manches andere in dem viele Jahrhunderte alten Gebäude, das an bizarrem Baustil seinesgleichen suchte. Doch der Astrolog brauchte nur den alten Bauplan gefunden zu haben, so war eben er allein in alles eingeweiht.

Die Treppe führte durch sämtliche Etagen hinab, jedenfalls in einem Schachte befindlich, der in einer der manchmal sinnlos dicken Mauern angebracht war. Nirgends zeigte sich ein Fenster, dagegen auf jeder Etage eine Tür, die aber wohl nur von innen so sichtbar war, draußen mochte sie geheimgehalten sein.

Der Astrolog benutzte keine. Immer tiefer und tiefer ging es hinab. Nobody zählte die Türen und Absätze, und auch sonst wußte er instinktiv, wo er sich immer befand.

Jetzt wurde das Erdgeschoß passiert, es ging in den Keller hinab. Noch immer nicht genug, die Treppe führte auch in den zweiten Keller hinab, von dessen Vorhandensein sich Nobody bereits überzeugt hatte.

Und immer noch eine Treppe tiefer! Da aber war das Ziel gesetzt. Die Stufen mündeten in einen weitläufigen Kanal, mit Wasser gefüllt; an beiden Seiten liefen höher angelegte Gänge hin.

Sofort wußte Nobody, wo er sich befand. Das war die alte Wasserleitung, aus den griechisch-byzantinischen Zeiten stammend, welche noch heute Konstantinopel mit Wasser versorgt. Wäre es nicht solch ein unverwüstliches Bauwerk, die faulen Türken könnten es nicht instand halten, es nicht ersetzen, sie wären wieder zu Brunnen zurückgekehrt und würden Wassermangel leiden. Kann sich doch sogar das weit intelligentere Kairo zu keiner gemeinsamen Wasserleitung aufraffen; jedes europäische Haus muß seine eigene Pumpstation haben, während selbst die reichen Araber es vorziehen, das Wasser von den Schlauchträgern zu kaufen.

Der Astrolog benutzte einen der galerieartigen Gänge, dazu angelegt, um an dem Bogengewölbe Reparaturen vornehmen zu können, die sich im Laufe von Jahrhunderten nicht als nötig erwiesen haben.

Die Richtung, die er einschlug, war eine nördliche und führte nach der Stadt. In der entgegengesetzten Richtung lief die Wasserleitung nach dem Meere, würde dasselbe natürlich nicht erreichen.

Doch nur ein kurzer Gang, so kamen wieder nach oben führende Stufen; der mit den Koffern belastete Astrolog erstieg sie und stieß, sich nur des Kopfes bedienend, eine leichte Falltür auf.

Nobody sah sich in einem Raume, in dem er sofort das Innere eines Kiosks, eines zum Wohnen eingerichteten Gartenhäuschens, erkannte. Ein anderer wäre vielleicht zurückgeschreckt, Nobody war viel zu sehr abgebrüht, um beim Anblick der weiblichen Gestalt, die auf einem Diwan lag, etwas Besonderes zu empfinden.

Es war eine Wachsfigur, oder aus sonst einer Masse gefertigt, ein altes Weib, in reiche, türkische Gewänder gehüllt, vorn auf der Brust blutbefleckt, die offene Brust eine schauderhafte Wunde zeigend, das todesblasse Antlitz mit den stieren Augen nach der Tür gerichtet.

Für Nobody war es ganz selbstverständlich, daß dies der Kiosk war, von welchem der Spuk in dem verwilderten Parke ausgehen sollte, hier hatte Sultan Achmed Köprili seine Mutter ermordet, da lag die Walide noch, so wie sie vom Dolch des Sohnes getroffen worden war.

Die Figur war nicht eben künstlerisch gefertigt, aber für einen Türken genügte es vollkommen. Wer hier die Tür öffnete, und er sah die Gestalt mit der schrecklichen Wunde, der trat sicher nicht ein.

Wozu hatte der Astrolog diesen künstlichen Spuk nötig? Nun, Nobody mußte es ja gleich zu erfahren bekommen; denn jener konnte noch nicht an seinem Ziele sein, er setzte nicht einmal die Koffer ab.

Zunächst aber sollte etwas passieren, was den unsichtbaren Nobody bald in die Gefahr einer Entdeckung gebracht hätte, oder was bei dem Astrologen wenigstens das höchste Mißtrauen erwecken mußte.

Der Magier war unvermutet und mit schneller Bewegung um eine Säule herumgegangen, und Nobody, um nicht mit ihm zusammenzustoßen, hatte schnell zurückspringen müssen, war dabei auf die Türschwelle zu stehen gekommen.

Da mit einem Male erhob sich auf dem Diwan das gespenstische Weib, streckte drohend einen Arm nach der Tür ... blitzschnell trat Nobody, die Ursache dieser Bewegung gleich ahnend, von der Schwelle herab, die Figur sank wieder zurück.

Nobody, welcher durch das Betreten der Türschwelle einen Mechanismus hatte funktionieren lassen, war zu allem bereit. Es sollte noch gut ablaufen.

»Was war denn das?« murmelte der Türke, nur etwas verwundert, nicht bestürzt, bald nach der Figur, bald nach der Türschwelle blickend. Er selbst trat einmal auf diese – drohend richtete sich die Gestalt auf; er trat wieder herab – die Figur sank zurück.

Der Astrolog schüttelte nur den Kopf, dann war die Sache für ihn erledigt. Er mochte glauben, da er selbst dicht neben der Schwelle stand, diese selbst mit dem Fuße berührt zu haben, ohne es zu wissen. Für Nobody aber war das wieder eine Mahnung, äußerst vorsichtig zu sein!

Ja, wenn die alte Sultan-Walide freilich ihren Spuk in derartiger Weise trieb, sich vor dem Eintretenden aufrichtete und ihm drohend die Faust entgegenstreckte, dann konnte sie auch sicher sein, von keinem einzigen Serailbewohner in ihrer Leichenruhe gestört zu werden – und der Astrolog, daß sein Geheimnis nicht entdeckt wurde, welches er von diesem Spuke bewachen ließ. Nun noch der Kiosk in der Nacht erhellt, manchmal ein Ächzen und Stöhnen, wozu er selbst gar nicht nötig war, das konnte auch eine Windtute besorgen, und der ganze Park war vom Spuke verseucht, da war das Tfakassi angebracht – nur daß dieses ›Abführmittel‹ nicht für Geister, sondern für lebendige Menschen bestimmt war, d. h. nämlich, daß es den hier eingeschlossenen Geist nicht zurückhielt, sondern wißbegierige Menschen abhielt, diesen Park zu betreten.

Der Astrolog begab sich in eine Ecke des ziemlich großen Raumes und öffnete am Boden eine zweite Falltür. So sicher fühlte er sich hier, daß gar nichts getan war, um die Falltür vor einem spähenden Auge zu verbergen.

Wieder zeigten sich Stufen, er stieg sie hinab. Ein Glück oder doch ein großer Vorteil war es für Nobody, daß der Türke die Türen immer hinter sich offen ließ. Daraus war auch zu schließen, daß er bald denselben Weg zurücknehmen würde, wie wohl auch schwerlich zu erwarten war, daß er sich in diesem phantastischen Kostüm aus dem Serail entfernen würde. Jedenfalls brachte er jetzt nur das, was er später mitnehmen wollte, in Sicherheit.

Die Stufen führten wohl wiederum in einen unterirdischen Tunnel, der aber kein Wasser enthielt, auch viel enger und niedriger war, sicher gar nichts mit jener alten Wasserleitung zu tun hatte. Auf Nobody machte er überhaupt den Eindruck, als sei er noch gar nicht so alt; er war ganz erbärmlich ausgemauert, schon sehr defekt, an manchen Stellen war die Decke mit rohen Baumstämmen gestützt.

Dann fing er auch hier erst an und lief jener Richtung zu, in welcher das Meer lag, so daß der Türke also jetzt den Weg zurückwanderte.

Für Nobody war fast schon alles klar. Das Gartenhäuschen war eine Station, von der aus man sich heimlich aus dem Serail entfernen konnte. Aus der Wasserleitung gelangte man hinauf, eine direkte Durchbrechung mochte Schwierigkeiten gehabt haben, erst von diesem Kiosk aus hatte man den eigentlichen Fluchtweg gegraben, nach dem Meere zu. Daß der Astrolog diesen Tunnel gegraben hatte, daran zweifelte Nobody. Das wäre doch eine gar zu mühsame Arbeit gewesen, und vor Mitwissern würde er sich wohl hüten.

Nein, dieser geheime Weg hatte schon seit längerer Zeit existiert, vielleicht schon vor Jahrzehnten, das war recht wohl möglich, er war wieder vergessen worden, seine Verfertiger lebten nicht mehr, nur der Astrolog war auf irgendeine Weise in den Besitz dieses Geheimnisses gekommen, hatte den unterirdischen Tunnel vielleicht schon wiederholt benutzt.

Etwas mehr als vierhundert Schritte hatte Nobody gezählt, da wurde die künstliche Mauerung von einer natürlichen Felswand ersetzt, und nun noch wenige Schritte, so kam seitlich aus der Wand schwaches Tageslicht, eine Biegung, und Nobody genoß einen Anblick, den er nie vergessen konnte.

Es war eine Höhle, in der er sich befand, und tief unter ihm im goldenen Scheine der Abendsonne lag der blaue Spiegel des Marmarameeres, belebt von zahllosen Dampfern und noch zahlloseren Segeln, und links unten die Vorstadt Galata mit ihrem regen Hafenverkehr, alles wie einer niedlichen Spielschachtel entnommen und durch einen Zauberstab zum Leben erweckt.

Doch Nobody hatte keine Zeit, sich an diesem herrlichen Anblicke zu weiden. Er mußte seinen ahnungslosen Führer beobachten, und hauptsächlich mußte er sich orientieren, wo diese Höhle in dem das Marmarameer einschließenden Felsen lag, um sie auch von der Wasserseite aus finden zu können.

Die Höhle war nicht leer. Sie enthielt zwei große Truhen, von denen der Türke eine öffnete, und in der er kramte; er zog einen sehr langen Strick hervor, und um zu dem Bündel zu gelangen, hatte er erst einige ganz moderne, europäische Anzüge wegräumen müssen.

Hiermit war für Nobody der Beweis erbracht! Der Hofzauberer benutzte diesen heimlichen Weg öfters, um sich aus dem Serail zu entfernen, trat dann in Konstantinopel eben als Europäer auf, der er ja auch war, amüsierte sich auf seine Weise.

Wie er von hier aus hinabgelangte? Das sagte dort im Hintergrunde das am Boden befindliche, ziemlich weite Loch, aus dem das befestigte Ende einer Strickleiter hervorsah. Hier führte also ein senkrechter Schacht hinab. Ob dieser natürlich war oder wer ihn angelegt hatte, das würde wohl auch dieser Serailbewohner nicht sagen können.

Der Türke, wie wir ihn wegen seiner Kleidung noch weiter nennen wollen, befestigte die beiden Koffer zugleich an dem Seile, beide gingen bequem in den Schacht, und ließ sie so hinab.

Führte der Schacht direkt ins Wasser und lag dort unten schon ein Boot bereit, welches die beiden Koffer aufnahm, oder gab es da noch einmal einen horizontalen Tunnel?

Nobody würde sich diese Frage später selbst beantworten können. Während der Türke, sich feststemmend, die beiden Koffer an dem langen Seile hinabließ, was nicht so schnell ging, legte sich Nobody vorn an der Höhle auf den Boden nieder und spähte über den Rand hinab ins Meer, welches wohl tüchtig an der Felsenwand brandete, doch gerade hier unten ruhig war, wohl weil es durch eine vorgelagerte Barriere vor dem Wogenprall geschützt wurde.

Der Detektiv brauchte nicht lange Zeit, um sich an besonders geformten Felsen zu orientieren, so daß er diese Stelle auch von untenaus immer wieder finden konnte. Als er sich erhob, hatte auch der Türke seine Arbeit vollendet, die langsam hinabgelassenen Koffer mußten festen Grund erreicht haben, jetzt ließ er das Seil einfach hinabfallen.

Ohne Verzug trat er den Rückweg an. Was er bei seiner Entfernung aus dem Serail, diesmal für immer, mitnehmen wollte, hatte er ja nun schon unten. Nobody ihm nach.

Er ging genau denselben Weg zurück, durch den Kiosk wieder in die Wasserleitung, und wieder war es für Nobody ein großes Glück, daß der Vorangehende immer die Falltüren hinter sich offen ließ. Sonst hätte der unsichtbare Geist doch stets erst einige Zeit warten müssen, ehe er sie öffnen durfte, und leicht hätte er seinen Führer aus den Augen verlieren können, zumal, falls dieser doch nicht nach seinem Observatorium zurückkehrte, sondern vielleicht einen anderen ihm bekannten Ausweg nahm.

Und dieser Fall sollte denn auch wirklich eintreten.

Nach Nobodys sicherer Berechnung befand er sich beim Aufstieg der Treppe, die schon innerhalb des Gebäudes lag, erst in der Höhe der ersten Etage, als der Sterndeuter stehen blieb und sich an der Wand zu schaffen machte, wonach sich schwerfällig eine Steinplatte als Tür in Angeln bewegte. Nobody hatte den Handgriff, um den Mechanismus auszulösen, recht wohl beachtet, jetzt konnte er das, falls er es brauchte, auch nachmachen, und bei der Langsamkeit, mit der sich die große Platte drehte, war es ihm ebenso ein leichtes, mit einzuschlüpfen, ohne mit dem Türken in Berührung zu kommen.

Es war ebenfalls das Studierzimmer eines Sterndeuters und Zauberers, wie er am Hofe des Sultans nun einmal verlangt wird. Auch hier seltsame Apparate, an den Wänden magische Formeln, eine ganze Zauberbibliothek und anderer Hokuspokus. Aber einen großen Unterschied zwischen hier und dem Observatorium auf dem Dache fand Nobody doch heraus. Dort oben hatte alles einen praktischen Zweck, da fehlten die Totenschädel und die ausgestopften Schlangen und Tintenfische und die in Spiritus gesetzten Mißgeburten, die hier zahlreich vorhanden waren.

Offenbar war hier in der ersten Etage, wo sich auch der eigentliche Haushalt des Sultans befand, das Empfangszimmer des Hexenmeisters, und daher war dieses möglichst mysteriös herausgeputzt.

Der Bewohner dieses Raumes hielt sich hier nicht lange auf. Er schloß die geheime Öffnung und benutzte dann die gewöhnliche Tür, um auf den Korridor zu treten, seinem unsichtbaren Begleiter wiederum wie auf erbetenen Wunsch Zeit und Gelegenheit lassend, daß er ihm folgen konnte.

Sein Ziel war die große Pforte zu den eigentlichen Wohngemächern des Sultans, verbunden mit dem speziellen Harem, wohin zu dringen Nobody bereits solche Schwierigkeiten gehabt hatte, was ihm gar nicht gelungen wäre, hätte er sich dem Sultan nicht selbst anschließen können, vor dem beide Torflügel aufgerissen wurden.

Wie würde es nun jetzt werden? Die angestellten Wächter öffneten vor einem Aus- oder Eingehenden das kleine Pförtchen immer nur gerade so weit, wie eben nötig war, da konnte Nobody unmöglich durchschlüpfen, ohne sich bemerkbar zu machen. Mindestens hätte er den höchsten Argwohn hervorgerufen, das ganze Serail wäre gleich auf den Kopf gestellt worden.

Doch Nobody hatte richtig geurteilt. Vor der mächtigen und gefürchteten Person des Sterndeuters und Zauberers wurde wenigstens der eine Torflügel mit Ehrerbietung so weit wie möglich aufgerissen, und Nobody befand sich zum zweiten Male im Allerheiligsten des Heiligtums.

Auch jetzt kam dem Eintretenden, als er kaum die Schwelle überschritten hatte, der rote Zwerg entgegen.

»Rott – allein,« sagte auch der Astrolog mit angenommener Fistelstimme, und der Zwerg trat beiseite, ließ ihn passieren, lief ihm also nicht voraus, um ihm immer die Portieren zu öffnen, welche Ehre wohl nur dem Sultan und vielleicht noch der Walide erwiesen wurde.

Für Nobody aber entstand sofort eine Frage. Auch der Sultan hatte nichts weiter als ein ›rot!‹ gesagt, und die Türwächter hatten bei seinem Eintritt nicht etwa eine Meldung gemacht, man konnte auch unmöglich hören, ob nur ein oder ob alle beide Torflügel geöffnet wurden.

Wie konnte der Blinde nun unterscheiden, ob es der Sultan oder ein anderer war? Hier mußte ihn auch sein Gehör im Stiche lassen, gerade hier lag ein weicher Teppich, der auch den festesten Schritt unhörbar machte. Kam da allein der Unterschied der Stimme in Betracht?

Nobody hatte noch etwas anderes beobachtet. Der Zwerg hatte sich dem Eintretenden ziemlich dicht genähert gehabt, mit etwas vorgeneigtem Kopf, dabei hatten sich die Nüstern seiner Nase sichtlich gebläht. Kein Zweifel, dieser blinde Zwerg besaß die Spürnase eines guten Hundes, der ihm befreundete Menschen, selbst seinen Herrn mehr durch Geruch denn durch das Gesicht oder Gehör unterscheidet.

So mußte der Sterndeuter die Portieren mit eigener Hand zurückschlagen, und in Anbetracht seiner hohen Würde tat er es gravitätisch, was dem folgenden Nobody sehr zustatten kam.

Aber es waren andere Portieren, die er passierte, er nahm in den Zimmerfluchten also eine andere Richtung als damals der Sultan, und bald kam er in eine Gegend, in der es lebendig zuging.

Auf dem endlos langen Korridore, auf welchem zu beiden Seiten eine Portiere neben der anderen hing, eilten Eunuchen und Sklavinnen hin und her, meist mit dampfenden Schüsseln, mit denen sie hinter den Vorhängen verschwanden. Hier waren die Wohnräume der Odalisken, das frühzeitige Abendessen wurde ihnen gebracht, welches jede allein einnahm, oder doch nur in Gesellschaft ihrer Diener und Dienerinnen.

Der Astrolog im Kostüm des Magiers mit chaldäischer Mütze wandte sich an einen durch die Peitsche als Kislar ausgezeichneten Eunuchen.

»Welche Gemächer bewohnt die neue, schwarze Odaliske, welche Suleima genannt worden ist?«

Der Kislar wunderte sich nicht, daß auch der all- oder doch vielwissende Magier so etwas noch fragen mußte, der wollte seine Allwissenheit eben nicht gar zu sehr anstrengen, wollte sie schonen, und er ging als Führer voraus, bis er eine Portiere zurückschlug.

Wie? Die Abessinierin wollte der Astrolog aufsuchen? Jetzt verstand Nobody schon eher, weshalb jener vorhin seinen Namen genannt hatte. Der Magier wollte jedenfalls mehr über den berühmten Detektiven hören, von dem er schon vernommen, wahrscheinlich verließ er nur seinetwegen für immer das Serail, nämlich um Nobody aufzusuchen, um vielleicht bei ihm Unterricht in der ›höheren Zauberei‹ zu nehmen.

So dachte Nobody. Er sollte sich einmal vollkommen geirrt haben!

In diesem Vorraum kauerten auf dem Teppich ein halbes Dutzend Eunuchen und Sklavinnen, hier wohnend und schlafend, nur zur Bedienung dieser einen Odaliske befohlen. Sie leckten eben ihre silbernen Teller aus, die Abendmahlzeit war schon vorüber.

Mit scheuer Ehrfurcht wurde der eintretende Magier angestarrt, ohne daß man ihm einen Gruß entgegenbrachte.

»Suleima?«

»Sie reinigt sich, wie es der Prophet befiehlt,« lautete die Antwort.

»Imschi – packt euch!«

Eiligst verließen die dienstbaren Geister das Gemach, nach dem Korridor hinaus.

Der Magier schlug die zweite Portiere zurück.

In diesem zweiten Raume, viel kostbarer ausgestattet, befand sich Theodora. Auch sie hatte gespeist, zwei Dienerinnen waren damit beschäftigt, ihr nicht nur, wie es die Religion vorschreibt, die Hände zu waschen, sondern auch den entblößten Oberkörper mit einer wohlriechenden Essenz einzusalben, worauf sie sich jedenfalls gleich in ihr Schlafgemach zurückziehen wollte, welches durch eine dritte Portiere abgegrenzt war. Jede Odaliske besitzt drei Zimmer, eines für die Diener, eines zum Wohnen und eines zum Schlafen, und dabei bedeutet Odaliske wörtlich übersetzt Stubenmädchen. Auch die Sklavinnen, welche das Haus eines begüterten Türken reinlich halten müssen, heißen Odalisken, das sind richtige Stubenmädchen. Das hier im Serail sind aber eben kaiserliche Stubenmädchen, darin liegt der Unterschied, die sind nur zum Amüsement da, und da braucht man gar nicht nach der Türkei zu gehen, um etwas Ähnliches zu finden, auch in unseren christlichen Kulturstaaten ›soll‹ es genug Hausherren geben, manchmal schon mit grauen Haaren, welche bei einem neuzuengagierenden Stubenmädchen mehr auf gute Figur und hübsche Larve als auf Geschicklichkeit sehen, und solch ein Stubenmädchen soll es dann sehr gut haben – zumal, wenn die Frau nicht zu Hause ist.

Während es die Sklavinnen nicht für nötig hielten, ihre halbnackte Herrin vor den Augen des eintretenden Mannes zu verhüllen, griff Theodora hastig nach einem Schal und warf ihn sich um. Dann wandte sie sich mit flammenden Augen an den Eindringling.

»Unverschämter! Wie kannst du wagen, ohne Anmeldung hier einzutreten! Der Tod über dich!«

Mit Vergnügen konstatierte Nobody, wie der Haremsbewohner, der gar kein Eunuche war, sich nur durch seine hohe Stimme für einen solchen ausgab – auch wieder ein Rätsel, das Nobody erst noch lösen mußte – höchst verlegen wurde.

Doch schnell raffte er sich wieder zusammen, trat gebieterisch auf.

»Imschi – entfernt euch!« befahl seine Fistelstimme auch hier kurzerhand den beiden Dienerinnen.

Die eine derselben hatte der Herrin schnell etwas zugeflüstert, das war doch der Basch-Kiatibi, der überall Zutritt hatte – und die Negerin mochte daran denken, daß es ja kein Mann war, der ihr gefährlich werden konnte, stillschweigend duldete sie, daß sich auch diese beiden Sklavinnen sofort entfernten, und dann heftete sich ihr dunkles Auge mit Spannung auf den so seltsam herausgeputzten Gast.

Was konnte ihr dieser Besuch des Magiers und Sterndeuters bringen? Und nicht minder erwartungsvoll war Nobody.

Der Basch-Kiatibi blickte noch einmal durch die Portiere zurück, ob sich die Diener auch wirklich entfernt hätten, ging nach der anderen Portiere, schlug sie zurück und musterte das Schlafzimmer, welches leicht zu übersehen war, da z. B. auch das Bett nur durch Teppiche und Kissen ersetzt wurde, und dann wandte er sich mit verheißungsvollem Gesicht an die Abessinierin.

»Bist du allein?« flüsterte er.

Schon dieses geheimnisvolle Gesicht mußte der unfreiwilligen Serailbewohnerin etwas Besonderes erzählen, und nun kam noch das Flüstern hinzu.

»Ich bin es,« gab sie ebenso leise zurück.

»Ich komme als der Abgesandte deines Sabans.«

»Von – von ...«

»Ich komme im Namen Nobodys.«

Oho! dachte Nobody. Wegen dieser Flunkerei sollst du dich mir gegenüber noch verantworten.

Was für einen Eindruck diese Eröffnung auf Theodora machen mußte, läßt sich denken.

»Hast du ihn gesehen?«

»Nicht gesehen, nur gesprochen. Er hält sich doch in unsichtbarer Gestalt hier auf.«

»Was sagte er?«

»Er will dich befreien.«

Der Magier hatte also vom Sultan oder von der Walide die Geschichte vernommen, die Behauptung der neuen Odaliske, daß sich der berühmte Detektiv unsichtbar im Serail aufhalte. Das benutzte er. Aber wozu? Was bezweckte er eigentlich?

Nun, Nobody brauchte ja bloß zu lauschen.

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Er bereitet schon alles zur Flucht vor.«

»Hat er sich denn dir anvertraut?«

»Gewiß.«

»Kennst du ihn denn?«

»Nobody, welcher eigentlich Sir Alfred Willcox heißt, ist sogar ein guter Freund von mir.«

Habe ich auch noch nicht gewußt, dachte Nobody.

»Hat er dir etwas von mir erzählt?«

»Alles.«

»Und er wird mich als seine Sabana entführen?«

»Sicher.«

Die Abessinierin hingegen war ihrer Sache doch nicht so ganz sicher, ihre Hoffnungsfreudigkeit kämpfte sichtbar mit Zweifeln.

»Wohin wird er mich bringen?«

»Zurück in deine Heimat.«

»Nach Abessinien?«

»Ja.«

»Nach Godscham?«

»Bis nach Godscham,« versicherte der Magier, der, falls ihm nicht alles mitgeteilt worden war, es bei solchen Fragen mit seinen Antworten sehr leicht hatte.

»Als mein Saban wird er mich begleiten?«

»Als dein Saban.«

»Nobody ist schon verheiratet, und er ist ein Christ, der nur eine Frau haben darf,« gab sie jetzt ihrem Zweifel Ausdruck, ein Zeichen, daß sie ihrer Sache also doch nicht so sicher war. Sie hatte dem Sultan gegenüber nur etwas renommiert.

»Nobodys Gesinnung hat sich geändert.«

»Inwiefern?«

»Als er dich hier im Serail als unglückliche Gefangene gesehen hat, ist er in Liebe zu dir entbrannt. Er ist willens, deinetwegen seine Frau und Heimat zu verlassen, um als dein Saban, als dein Gatte mit dir nach Godscham zu gehen.«

Da faltete die Abessinierin, leichtgläubig wie jedes Weib, wenn es liebt, gleichgültig, ob die Haut nun weiß oder schwarz oder rot oder braun oder gelb ist, die Hände und warf einen verklärten Blick zu der vom Qualme der Wasserpfeife verräucherten Decke empor.

»Er liebt mich, er wird mich als mein Saban begleiten!« jubelte sie leise, wie eben nur ein Weib bei solch einer Gelegenheit jubeln kann.

Na warte, mein lieber Freund, dachte Nobody, die Suppe, die du mir hier einbrockst, die wirst du gefälligst selber auslöffeln!

»Bist du bereit, mit mir zu kommen?« fuhr der Basch-Kiatibi jetzt hastig fort.

Welche Frage! Höchstens etwas Neugier war vorhanden.

»Du selbst kommst mit?«

»Ich selbst.«

»Du bist doch der Basch-Kiatibi.«

»Der bin ich.«

»Du gibst doch nicht etwa deshalb deine Stellung hier auf?«

»Ich muß es.«

»Weshalb?«

»Ich bin nichts weiter als ein gehorsamer Diener dieses Nobody, nur ein Werkzeug, für seine Zwecke hier im Serail angestellt. Er hat mir befohlen, dich zu ihm zu bringen, und ich gehorche ihm bedingungslos.«

Wenn du noch nicht mein gehorsamer Diener bist, so sollst du es werden, dachte Nobody -

und zugleich ging ihm jetzt eine Ahnung auf, was der Magier eigentlich bezweckte. Der wollte die Negerin im eigenen Interesse entführen, wenn nicht als begehrenswertes Weib, so als eine abessinische Fürstin, von der reiches Lösegeld zu erwarten war – oder er konnte auch beides zugleich im Auge haben.

»Dann kannst du auch nicht wieder hierher zurückkehren.«

»Natürlich nicht.«

»Wo befindet sich mein Saban jetzt?«

»Er hat das Serail bereits verlassen.«

Die Enttäuschung war grenzenlos.

»Verstehe doch nur recht,« beschwichtigte der Magier schnell ein aufsteigendes Mißtrauen. »Nobody kann sich wohl selbst unsichtbar machen, aber doch nicht andere Menschen, und so ist es auch nur ihm allein möglich, nach Belieben ein- und auszugehen, dich kann er ungesehen nicht aus dem so überaus scharf bewachten Serail herausbringen. Das bringe allein ich fertig, kraft meiner gefürchteten Machtstellung, die ich als Zauberer hier einnehme. Und auch Nobody hat hierbei tätig zu sein, aber außerhalb des Serails, er hat zum Beispiel die Wachen einzuschläfern.«

»So treffe ich draußen mit ihm zusammen?«

»Gewiß doch, sofort.«

Es war nur eine Enttäuschung ihrerseits gewesen, ihren Saban nicht gleich sehen zu können, durchaus kein Mißtrauen.

»Gut. Wie soll die Flucht bewerkstelligt werden?«

»Höre mich an. Du mußt auch wissen, weshalb ich dich hier ausgesucht habe, falls wir überrascht werden, obgleich dies nur durch den Padischah selbst geschehen könnte. Ich habe dir, wie jeder neuen Odaliske, welche ins Serail kommt, das Horoskop gestellt ... Weißt du, was das ist?«

»Nein.«

»Das heißt, ich habe die Sterne nach deinem Schicksal befragt, dazu ist eine mathematisch-astronomische Zeichnung nötig, welche man Horoskop nennt. Es hat mir das Günstigste von dir erzählt, was jeden treuen türkischen Untertanen tief beglücken wird. In der Beiramnacht sollst du dem Padischah zugeführt werden ...«

»Niemals! Eher in den Tod!«

»Närrin! Verstehst du mich nicht? Ich muß doch einen Grund haben, daß ich dich besuche, daß du dann deine Gemächer verlassen kannst!«

»Ich verstehe,« murmelte das leidenschaftliche Weib, beschämt ob ihrer unbegründeten Heftigkeit.

Der Basch-Kiatibi setzte seinen einfachen Plan zur Flucht weiter auseinander – einfach für die Verhältnisse des Serails.

Die Sterne hatten ihm gesagt, daß die schwarze Odaliske dem Padischah einen Sohn schenken würde, den zukünftigen Beherrscher aller Gläubigen. Aber ganz genau konnte er das doch nicht bestimmen, er konnte sich auch getäuscht haben. Jetzt am Tage konnte er die Sterne ja überhaupt nur mit einem besonderen Instrumente sehen. Aber bei Nacht würde er Gewißheit erhalten, und beim Stellen des Horoskops war dann auch nötig, daß Suleima selbst mit dabei war.

»Halte dich also bei Anbruch der Dunkelheit bereit, du wirst abgeholt.«

Mit diesen Worten entfernte sich der Magier wieder, Nobody hinter ihm her.

»Wenn ich erst wieder als Fadinah in meinem Lande bin, meine und Nobodys als meines Gatten unaussprechliche Dankbarkeit werden dir sicher sein!« flüsterte die Abessinierin ihm nach, als er ihr schon den Rücken wandte.

Auch der Basch-Kiatibi hatte noch etwas zu sagen, aber nur für sich, er murmelte es, schon die Portiere hebend, nur in sich hinein, doch deutlich vernehmbar für Nobodys feines Ohr, und zwar war es Italienisch.

»Ja, wenn! Wenn du vielmehr wüßtest, was ich mit dir vorhabe, weswegen ich dich befreie!«

Er kehrte nach seinem in derselben Etage liegenden Arbeitszimmer zurück; Nobody konnte ihm ohne Schwierigkeiten folgen.

Hier bleiben wollte der Magier nicht, er wandte sich sofort der Wand zu, um den Mechanismus spielen zu lassen, weil er wieder die geheime Treppe benutzen wollte, entweder nach oben oder nach unten.

Er sollte nicht dazukommen, die Öffnung in der Wand herzustellen.

»zzzttyyy Bona sera, amico miozzz/ttyyy. Wir können das Wiedersehen ja gleich in diesem Zimmer feiern.«

Wie ein Blitz fuhr der italienische Türke herum – vor ihm stand ein anderer Türke, ein noch junger Mann, durch Goldborten als Kaiserlicher Haremswächter gekennzeichnet. Nur die Stimme war nicht die eines solchen gewesen.

Der erste Griff des Entsetzten war nach dem Gürtel, ein Dolch funkelte in seiner zum Stoße erhobenen Hand.

»Verschnittener Hund, was hast du hier zu suchen, wie kommst du hierherein?«

»Daß ich kein Eunuche bin, müßten Sie doch gleich heraushören?!«

Eigentlich kam erst jetzt das richtige Entsetzen, der Dolch fiel zu Boden, die zitternde Hand hatte ihn nicht mehr halten können, weit quollen die stieren Augen hervor. Jetzt erst kam ihm das mit der Stimme zum Bewußtsein, und er war ja auch italienisch angesprochen worden!

»Wer ... wer ...«

»Wer ich bin? Als Eunuche nenne ich mich Sadak, sonst ist mein Name Nobody.«

»No ... No ...«

»Nicht no no, sondern si si, Signore. Ich bin Nobody alias Sir Alfred Willcox, Baronet von Kent. Na, da tun Sie doch nicht so, als ob Sie mich nicht kennten! Sie haben mich doch vorhin einmal Ihren guten Freund, ein andermal Ihren Herrn und Gebieter genannt, dem Sie unbedingt gehorchen!«

Der Basch-Kiatibi hatte sich überraschend schnell von seinem Schreck erholt. Jetzt nahm er die Sache, wie sie war, er setzte ein wißbegieriges Forschergesicht auf. Mit derartigen Menschen hatte Nobody am allerliebsten zu tun, selbst wenn es der größte Bösewicht war.

»Sie sind wirklich der berühmte Detektiv Nobody, der Champion der englischen Königin?«

»Tatsache, ich bin es. Kennen Sie die originelle Legitimation, welche er ...«

»Er zerschmettert zwischen seinen Händen eine elfenbeinerne Billardkugel.«

»Geben Sie eine her, ich mach's Ihnen vor.«

»Ich glaube es. Und Sie behaupten auch, sich unsichtbar machen zu können?«

»I, Gott bewahre,« lachte Nobody, »das haben mir nur die Leute angedichtet.«

Die Spannung, mit welcher der Magier diese Frage gestellt hatte, ließ ganz bedeutend nach, es schien wie eine Erleichterung über ihn zu kommen.

»Ja, wie gelangen Sie aber in das Serail herein?«

»Auf Schleichwegen.«

»Nicht möglich.«

»Ich bin doch der lebendige Beweis, daß es mir gelungen ist.«

»Auf welchen Schleichwegen?«

»Ich will Sie Ihnen verraten, weil Sie ja mein guter Freund sind. Sie nehmen ein Boot, fahren von Galata aus um das Kap Feran herum, dann werden Sie an der steilen Küste zwei eigentümliche Felsen sehen, der eine sieht wie ein Riese Goliath aus, der andere wie der große Hut mit der Klunkertroddel, den Goliath getragen haben soll. Zwischen diese beiden Felsen lenken Sie ihr Boot hinein ... was haben Sie denn? Sie können es ganz ruhig wagen, gerade dort wird die Brandung von einer vorgelagerten Barriere abgefangen.«

Der Magier war förmlich zusammengeknickt, wieder quollen die Augen hervor, die auf dem Erzählenden hafteten.

»Weiter – weiter!« kam es keuchend von seinen farblos gewordenen Lippen.

»Nun, da hängt eine Strickleiter herab, dis klettern Sie hinauf, kommen in eine Höhle, dort können Sie erst ein bißchen Toilette machen, Garderobeschränke oder -kisten sind vorhanden ...«

»Woher ... woher ...«

»Woher ich das weiß? O, ich weiß noch viel mehr. Dann gehen Sie immer geradeaus durch einen Gang, bis Sie an eine Treppe kommen, die ersteigen Sie, öffnen eine Falltür, Sie gelangen in einen Kiosk – vor der alten Türkin, die auf dem Diwan liegt, brauchen Sie nicht zu erschrecken, das ist nicht etwa die ermordete Sultan-Walide, die der Verwesung spottet, das ist nur eine künstliche Figur, welche sich sogar auch aufrichtet ...«

»Genug, genug! Sie sind ein Teufel!«

»Nein, ich bin Nobody und ein gar guter Mensch.«

Bei dem letzten, mit Nachdruck gesprochenen Worte richtete sich der andere wieder auf, um seine Fassung nicht mehr zu verlieren.

»Woher kennen Sie diesen geheimen Weg?«

»Das ist meine Sache.«

»Sie haben jetzt offenbar meine Unterredung mit Suleima, der neuen Odaliske, belauscht.«

»Ich weiß wenigstens, was Sie mit ihr gesprochen haben.«

»Sie müssen sich aber doch hier in diesem Zimmer versteckt gehalten haben, wie können Sie da dort gewesen sein?«

»Das ist wiederum meine Sache. Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewußt. Nur das will ich verraten, daß ich auch die Wände sprechen lassen kann. Sonst lasse ich niemals in meine Karten blicken.«

Nobody sah dem Manne an, daß dieser gar nicht auf den Gedanken kam, es könne sich jemand unsichtbar machen. Kein vernünftiger Mensch glaubt an so etwas – ebenso wie vor zwanzig Jahren noch kein vernünftiger Mensch daran geglaubt hat, die Zeit würde kommen, da man ihm die Knochen im lebendigen Leibe photographieren könne. Ein Narr, der ihm so etwas Hirnverbranntes vorgeschwatzt hätte! Und Nobody liebte solche vernünftige, aufgeklärte Leute, die nur an das glauben, was sie mit ihren Fäusten packen können. Phantastische Narren hatte er manchmal viel mehr zu fürchten.

»Ich weiß, ich weiß, ich leide an dem Fehler, manchmal Selbstgespräche zu führen, wobei ich meine geheimsten Gedanken offenbare,« murmelte der Magier, der ja selbst Hokuspokus machte.

So hatte er gleich eine Erklärung gefunden, und alles andere, was nicht in seine Schablone passen wollte, existierte jetzt nicht mehr für ihn. Das ist nämlich die höhere Weisheit dieser ›Aufgeklärten‹, über welche schon Goethe seinen Spott ausgegossen hat.

»Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern.
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar.
Was ihr nicht rechnet, meint ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, glaubt ihr, gelte nicht.«

Das merkt euch, ihr Aufgeklärten mit Zirkel, Wagschale und Logarithmentafel!!

»Ihr studiert die große und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen, wie's Gott gefällt.«

Das ist gleichfalls von Goethe.

»Nun gestatten aber Sie, daß ich Sie frage,« fuhr Nobody mit seiner unverwüstlichen Ruhe fort, die ihn vor einem ihm zugedachten Dolchstich meist besser schützte als dies ein stählerner Schuppenpanzer hätte tun können. »Wie kommen Sie dazu, mich mit diesem schwarzen Weibe verheiraten zu wollen?«

Wie gesagt, die Fassung verlor der italienische Türke nicht mehr. Aber äußerst verlegen wurde er jetzt.

»Der Padischah ... die Sultan-Walide ... ich dachte ... ich glaubte ... die Negerin sagte selbst ...«

»Na, schon gut,« unterbrach Nobody die Stotterei. »Ich nehm's Ihnen auch gar nicht übel, ich mach's ja manchmal geradeso, sage manchmal auch etwas, was ich nicht verantworten kann, wenn ich irgendeinen Plan vorhabe. Aber, mein guter Mann ... nee, ist nicht! ... da haben Sie der armen Schwarzen einen Floh ins Ohr gesetzt ... ich bin Familienvater mit zwei Kindern, die sich noch nicht selber ernähren können ... und unter die Türken gehen mag ich nicht ... ich habe zu Hause eine gar gute Frau, und mit der habe ich gerade genug ... nee, das kann ich nicht. – Doch Scherz beiseite. Was haben Sie mit der Negerin eigentlich vor? Seien Sie offen.«

Und der so vollständig überrumpelte Basch-Kiatibi war es. Eine solche Sprechweise mußte ja wie ein geheimnisvolles Zaubermittel wirken. Ja, in so etwas war Nobody ein wirklicher Hexenmeister!

»Ich wollte sie entführen.«

»Um aus Ihrer eigenen Gefangenen dann Lösegeld zu erpressen?« fragte Nobody ganz gemütlich.

»Nein.«

»Wozu sonst?«

»Um mit ihr nach Abessinien zu gehen.«

»Um sie dort zu heiraten, um Fürst von Godscham zu werden?«

»Nein – ja. Um meinen Wissensdurst zu befriedigen.«

»Aha. Für manch anderen würden Sie ganz und gar unverständlich sprechen – nicht für mich. Wie ist Ihr eigentlicher Name, wenn ich fragen darf?«

»Anselmo Montecagni,« stellte sich der Italiener vor, dabei sogar eine Verbeugung machend.

»Sie sind Gelehrter, Signor Montecagni?«

»Ja.«

»In welcher Wissenschaft?«

»In ... in ... ich begeistere mich für alles. Studiert habe ich Medizin und Astronomie. Ich wollte sagen – ich bin Doktor der Medizin und Philosophie.«

»Ich habe noch nichts von Ihnen gehört.«

»Ich bin stets ganz einsam gewesen, habe nichts Schriftliches herausgegeben.«

»Gestatten Sie, Signor Dottore, daß ich noch einige Fragen an Sie richte.«

»Bitte sehr.«

»Ich möchte Ihnen durch meine Fragen einen Beweis geben, wie schnell ich den Charakter eines Menschen aufzufassen verstehe.«

»Das interessiert mich sehr.«

»Sie sind ein Mann von unersättlichem Heißhunger.«

»In gewissem Sinne, ja. Es kommt darauf an, welchen Heißhunger Sie meinen.«

»Den geistigen. Oder ich will lieber von Durst sprechen. Sie werden von einem unersättlichen Wissensdurst geplagt.«

»So ist es.«

»Und die Befriedigung dieser Leidenschaft, die nur in der höchsten Potenz unedel, schädlich, gefährlich wird, befriedigt Sie.«

»Vollkommen.«

»Das Bedürfnis nach Ruhm, Ehre und dergleichen Kinkerlitzchen haben Sie hinter sich, darüber sind Sie erhaben.«

»Ich habe nie Neigung nach äußerlichem Glanz empfunden.«

»Sie sind hier Basch-Kiatibi geworden, weil Sie wußten, daß das Serail eine kostbare Handschriftenbibliothek enthält, die Sie studieren wollten.«

»So ist es.«

»Um zu Ihrem Ziele zu gelangen, ließen Sie sich, schon in gereiften Jahren, Ihrer Mannbarkeit berauben.«

Tief fiel das Haupt des Italieners auf die Brust herab.

»Ja,« hauchte er dann.

Schade, daß er dabei nicht Nobodys Gesicht sah, diese Augen, die auf ihm ruhten.

Doch er bekam es ja zu hören.

»Mann, Mensch – ich weiß nicht, ob ich Sie verabscheuen oder als einen göttlichen Heroen anbeten soll,« erklang es im Tone des tiefsten Staunens.

Der Magier hob wieder den Kopf.

»Ich war...«

»Schon gut. Ich ziehe es vor, Sie zu bewundern. Ich liebe solche ungeheuerliche Charaktere. Ja, bei mir geht es sogar so weit, daß ich vor dem gemeinsten Raubmörder, der aber trotzig auf dem Schafott zu sterben weiß, mehr Hochachtung empfinde als vor einem soliden Ehrenmanne, welcher niemals an einen Gott geglaubt hat, und wenn er alt und krank wird, winselt er in der Kirche. Pfui Deiwel! – Ihre Geschichte werden Sie mir ein andermal erzählen. Bleiben wir bei unserer Sache. Sie wollen Abessinien kennen lernen?«

»Ich möchte in die Geheimnisse der koptischen Klöster dringen, welche auch wertvolle Manuskripte enthalten, aber für jeden Fremdling absolut verschlossen sind.«

»Ich verstehe. Das soll Ihnen die Fadinah von Godscham ermöglichen?«

»Ja, und sie hat die Macht dazu, mir Eintritt zu verschaffen.«

»Ich verstehe alles. Als im Serail gefangengehaltene Odaliske ist sie Ihnen natürlich ganz wertlos, Sie müssen ihr erst die Freiheit wiedergeben. Wie denken Sie sich die Sache nun weiter, wenn Sie mit ihr draußen sind?«

Der Magier blieb die Antwort schuldig, er hob nur die Achseln.

»Die will doch nun natürlich gleich zu Ihrem Saban, zu mir gebracht werden, und wenn Sie sie nicht begleiten, reist sie eben allein.«

»Ich wüßte einen Ausweg.«

»Welchen?«

»Haben Sie schon etwas von einer Hypnotik gehört?«

»Na und ob!« lachte Nobody.

»Hier im Serail ist mit der Hypnose gar nichts anzufangen. Sobald ich sie aber draußen habe, werde ich ihr einen hypnotischen Befehl einflößen, daß sie mir willig folgt.«

»Schön. Ich bin kein Freund der Hypnotik, aber das tun Sie ja auf eigene Verantwortung. Im übrigen muß ich offen gestehen, daß Sie mir da einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie mich von diesem liebestollen Weibe befreien.«

»Ich werde nicht vergessen, ihr auch den posthypnotischen Befehl zu geben, daß Theodora nicht mehr von ihrem vermeintlichen Saban...«

»Bitte, das ist Ihre Sache, damit möchte ich nichts zu tun haben. Aber eine andere Bitte könnten Sie mir erfüllen.«

»Ich stehe ganz zu ihrer Verfügung.«

»Auch ich möchte eine Sklavin entführen.«

»Wie heißt sie, was ist sie?«

»Fatme Zenide, dem Äußeren nach ein altes Weib, sie ist Wäscherin.«

Nobody gab nähere Auskunft.

»Können Sie dieselbe mit hinausbugsieren?«

»Mit Leichtigkeit, besonders da Sie die Frau schon vorbereitet haben. Ich werde sie dann in der Kawansi aufsuchen, als Magier habe ich stets einen Grund dazu, die Sterne haben mir erzählt, daß noch heute in dieser Kawansi eine Kranke wahnsinnig werden wird – gleich darauf muß sie sich wahnsinnig stellen, und dann habe ich überhaupt ganz freie Hand.«

»Ihre Sterne sind famos! Da können Sie wohl auch gleich noch einen männlichen Wahnsinnigen mitnehmen?«

»Einen Eunuchen?«

Nobody erzählte von seinem Freunde Mojan. Der Basch-Kiatibi wollte es anfangs gar nicht glauben.

»Wenn ich ihn gesehen hätte, er wäre verloren gewesen. Die Diagnose ist meine Spezialität, ich hätte sofort die Simulation erkannt.«

»Am Auge?«

»Am Gebaren, und gerade den kleinen Mufti habe ich sehr genau studiert.«

»Gegenwärtig befindet er sich an einem Orte, wo er keine Allotria treiben kann. Sprechen wir über Ihre Flucht. Wohin wollen Sie die Fadinah von Godscham bringen?«

»Zu einem Freund, dem ich unbedingt vertrauen darf. Er besitzt in der Vorstadt Pera ein Haus, das auf dem Wasserwege zu erreichen ist.«

Der Basch-Kiatibi setzte seinen Plan weiter auseinander. Wir werden es später erfahren. Jedenfalls war Nobody mit allem einverstanden. Die Hauptsache für ihn war auch nur, daß jenes Weib erst einmal aus dem Serail unauffällig herauskam, ohne daß Nobody in die Notwendigkeit versetzt wurde, Gewalt anzuwenden, daß er etwa gar über Leichen gehen mußte, und ebensowenig war ihm daran gelegen, das Geheimnis seiner Tarngewänder, von denen er doch zwei besaß, noch einer anderen Person preiszugeben.

Auch Nobody hatte noch einen Vertrauten, der in einem Hotel der Stadt seiner wartete. Mojan sollte sich den anderen anschließen und dann Madame Lefort nach jenem Hotel bringen, wo Nobodys Hilfsdetektiv sie in Empfang nehmen würde. Auf Mojan konnte er sich ja verlassen.

»Und Sie selbst?«

»Ich werde noch einige Zeit im Serail verweilen, um Näheres über die Einrichtung kennen zu lernen, meinetwegen auch, um Abenteuer zu erleben. Und wohin begeben Sie sich jetzt?«

»Zum Padischah, ihm das freudige Ereignis vorauszusagen, das seinem Hause bevorsteht,« lächelte der Basch-Kiatibi.

»Gratulieren Sie ihm gleich in meinem Namen. Signor Dottore, ich werde Sie wiedersehen und hoffe, Sie näher kennen zu lernen.«

Die beiden Männer, die sich auf so seltsame Weise gefunden, gaben einander die Hand.

Sie sollten dereinst ein Wiedersehen feiern, aber ganz das Gegenteil von einem freudigen. Nobody hatte diesen Mann geistig ganz richtig taxiert, nur nicht betreffs seines moralischen Charakters.

»Bleiben Sie denn hier?«

»Ich könnte dort den geheimen Ausgang benutzen – nein, ich gehe mit Ihnen hinaus.«

»Als Eunuche? Das ist gefährlich. Sie können von einem Kislar angehalten, nach Ihrem Dienst gefragt werden, und Sie wissen nichts...«

»Bah, ich halte mich doch schon viele Tage als Haremswächter im Serail auf.«

Weiter schmückte Nobody die Fabel nicht aus. Der Magier verließ das Gemach, der Eunuche schloß sich ihm an. Er war eben in das Observatorium des Hofzauberers bestellt worden.

Gerade dieser Teil der ersten Etage war sehr wenig belebt, der Magier hatte für seine Studien und Beobachtungen natürlich Ruhe nötig. Auch machte der Korridor hier sehr viele Ecken, und als sich Nobody einmal ganz allein auf solch einer kurzen Strecke befand, obgleich nur wenige Schritte hinter dem Magier, hatte er schnell sein Tarngewand angezogen, wozu er nur weniger Sekunden bedurfte.

Diese Schnelligkeit war auch sehr nötig gewesen. Dem Basch-Kiatibi war es gerade eingefallen, sich einmal nach seinem Begleiter, den er dicht hinter sich wußte, umzuschauen, sah ihn nicht, er mochte ihm auch etwas sagen wollen, er trat zurück, um die Ecke herum, noch um die zweite Ecke nach welcher ein langgestreckter Teil des Korridors kam – der Eunuche war nicht mehr zu sehen.

»Merkwürdig,« brummte er, »da möchte man wirklich glauben, daß sich dieser Nobody unsichtbar machen kann. Er war doch eben noch an meiner Seite. Wirklich erstaunlich, wie plötzlich dieser Mensch spurlos verschwinden kann! Nun, ich weiß ja, wo ich ihn wiedertreffe.«

Also nicht etwa, daß er an eine wirkliche Unsichtbarkeit glaubte. Solch eine Vermutung tauchte gar nicht in ihm auf. Er bewunderte nur das schattenähnliche Wesen dieses Detektivs, wie er sich so schnell und unauffällig von seiner Seite entfernen konnte.

Dabei war Nobody noch immer dicht neben ihm und schloß sich ihm auch weiter an. Wieder wurde vor dem Magier der eine Torflügel weit aufgerissen, wieder schlüpfte Nobody mit hinein, wieder trat ihnen der rote Zwerg mit geblähten Nüstern entgegen.

»Rott!«

Der Basch-Kiatibi durfte passieren, der Zwerg war zurückgetreten.

Was machte der eigentlich jetzt, blieb er immer hinter der Türe stehen?

Nobody blickte sich einmal um und ...

Alle Wetter!! Hätte er nicht einen blitzschnellen Seitensprung gemacht, so wäre er jetzt verraten gewesen, die Hand des Zwerges hätte ihn berührt, und für den Blinden gab es doch keine Unsichtbarkeit, der durfte mit Recht nur das glauben, was er fassen konnte.

Der Zwerg war nämlich dicht hinter Nobody gewesen, war dem Magier nachgeschlichen, und hatte mit beiden ausgestreckten Armen, sich dabei etwas drehend, solche Bewegungen gemacht, wie es eben ein Blinder tut, wenn er in seiner Nähe einen größeren Gegenstand vermutet, den er tasten will.

Wie gesagt, nur dem Zufalle, daß er sich gerade umgesehen, und dann seiner Geistesgegenwart, mit der er den Sprung ausgeführt, hatte Nobody es zu verdanken, daß er einer Entdeckung entgangen war.

Und bei dem Suchen mit den Händen in der Luft blieb es nicht! Jetzt legte sich der Zwerg auf den Boden nieder und beschnüffelte den Teppich.

Alle Wetter, konnte Nobody wiederholen – sollte der Blinde nicht nur das Gehör einer Katze, sondern auch die Nase eines Spürhundes besitzen? Daß beim Prüfen eines Eintretenden auch der Geruchsnerv eine Rolle spielte, hatte Nobody ja schon beobachtet, wenn sich die Nasenflügel immer so blähten.

Wohin Nobody seine Füße gesetzt hatte, konnte er freilich nicht mehr bestimmen, und der Zwerg schien sich seiner Sache auch nicht ganz sicher zu sein. Er erhob sich schnell wieder.

»Basch-Kiatibi!«

Der Angerufene blieb stehen und drehte sich um.

»Was willst du?«

»Bist du allein?«

»Habe ich es dir nicht gesagt? Wer soll denn bei mir sein?«

Der Magier setzte seinen Weg fort, und Nobody durfte sich nicht aufhalten, wollte er überall mit durchschlüpfen. Der rote Zwerg folgte ihnen nicht mehr.

Wieder war es eine ganz andere Richtung, die der Magier diesmal einschlug. Sie führte ihn in einen ganz abgeschlossenen Teil des Serails, in dem es sehr lebendig zuging: Eunuchen und Sklavinnen eilten oder schlenderten hin und her, Nobody mußte sehr vorsichtig sein. Dann gab es zu diesem abgeschlossenen Heiligtum auch noch einen anderen Zugang, den aber Nobody noch nicht gefunden hatte, wohl erst von hier aus konnte das geschehen, indem er sich diesem oder jenem Eunuchen anschloß. Doch es war sehr die Frage, ob dieser Ein- oder Ausgang für ihn bequem war.

In einer weiten Wandöffnung, von keiner Portiere verhangen, drängten sich Eunuchen und Weiber, der Magier steuerte darauf zu, man machte sich darauf aufmerksam, alles trat ehrerbietig vor dem Mächtigen zurück, so weit, daß auch sein unsichtbarer Begleiter ohne Gefahr hinter ihm hergehen konnte.

Eine interessante Szene bot sich ihm dar. In dem weißen Saale befanden sich gegen vierzig Odalisken, welche Tanzunterricht hatten.

Gegenwärtig übten sie das obligate Beinewerfen, alle zugleich im Takt, welchen eine wunderbar graziöse Vortänzerin angab, dabei nicht stillstehend, sondern die Reihen gingen immer hin und her, schon Figuren beschreibend. Nur die musikalische Begleitung war traurig. Eine Trommel und eine Art von Gitarre, das war alles.

Einige Kislars beobachteten die Exerzitien, feuerten durch Zurufe an, mit der Peitsche in der Hand, ließen diese auch wirklich unter den Beinen der Tänzerinnen knallen, doch wohl schwerlich diese auch nur berührend.

»Höher die Beine!!« kommandierte der gleichfalls anwesende Kislar-Aga. »Das ist kein Tanz, das ist Faulheit! So tanzen die Frankinnen – Allah lasse ihnen Steine wachsen im Bauch. Höher die Beine!!«

»Höhöher die Beibeibeine!!!« krähte ein Echo nach.

Nobody traute seinen Ohren nicht. Die Stimme! So mußte er seinen Augen glauben.

Da kam er herangetanzt, mit den Odalisken in Reih und Glied, Mufti alias Mr. Cerberus Mojan, immer wacker links und rechts die Beine in die Luft werfend, und wie die Tänzerinnen ihre flitterbesetzten Röckchen kokett halten mußten, so zog Mojan seine faltenreichen Pumphöschen so weit wie möglich auseinander.

Also er hatte die Kleiderkammer doch verlassen! Nobody konnte es ihm nicht verdenken. Er war gar zu lange ausgeblieben, und wenn ihn unterdessen der Tod ereilt, Mr. Cerberus konnte in der Rumpelkammer doch nicht verhungern.

Ihn freilich hier zwischen den Tänzerinnen wiederzufinden, das hätte Nobody nicht vermutet. Dann aber war er zuvor sicher in der Küche gewesen, sonst hätte er jetzt nicht so gute Laune gehabt, und sein schweißtriefendes Gesicht glänzte vor Vergnügen.

Übrigens machte er seine Sache ganz gut. Er verdarb keine Figur, und das kleine, kugelrunde Kerlchen hopste wie ein Gummiball, warf die kurzen Bratwurstbeinchen wie die gelenkigste Balletteuse in die Höhe.

Besonderes Vergnügen schien es ihm zu machen, immer die Kommandos zu wiederholen.

»Links – rechts – links – rechts – diramtata, diramtata – links – rechts...«

»Lililinks – rererechts – lililinks – rererechts – kikerikikiiihhh!!!«

»Beine höher!!«

»Beibeibeine höhöher! Kikerikikiiihhh – lililinks –- rererechts – schneddredeng schneddredeng deng deng deng!«

Es war eine Szene – Nobody lehnte sich gegen die Wand, nicht nur um seinen Rücken zu decken, sondern auch, um vor Lachen nicht umzufallen. Nur daß er vollkommen geräuschlos lachen konnte.

Auch um den sonst so ernsten Mund des Magiers spielte ein Lächeln.

»Mufti, komm einmal her!«

Mojan wäre sowieso auf ihn zugegangen, er hatte den Magier in seiner phantastischen Kleidung erblickt, bewegte sich gleich auf ihn zu, zuerst noch immer die dicken Beinchen himmelhoch werfend, dann nach dem Takte der Musik nur noch tänzelnd, zuletzt im Schritt.

»Wawawas ist denn das? Wewewer ist denn der Kekerl?«

Nobody brauchte für diese Begegung nichts zu fürchten, auch der Basch-Kiatibi fand sich sofort in seine Rolle.

»Was machst du denn da, Mufti?«

»Ich tatanze mit meinen Hehennen.«

.

»Mit deinen Hennen? Ach geh doch, das sind ja Mädchen.«

»Na ja, Hehennen, und ich bin der Hahahahahn, und die müssen fififix tatanzen, damit sie au–auch fififix Ei–ei–eier legen. Das waren schon wieder drei Ei–eier – und dadas waren wieder zweie, mamacht zusammen fü–fünfe.«

Der Basch-Kiatibi schien sich öfters mit dem Wahnsinnigen abzugeben.

»Wie heißt du denn?«

»Ich heiheiße Mumumumumu ... muuuuhhhh!« fing Mojan jetzt wie ein Kalb zu blöken an.

»Mufti. Du bringst doch die Worte gar nicht mehr heraus? Warum stotterst du denn?«

»Dadadas kakakann i–i–i–ich mamamachen, wie i–i–ich wiwiwiwill.«

»Weiß du, wer ich bin?«

»Du bibibist ein Pipipipinsel.«

Mojan sprach's, hatte mit einem schnellen Griffe dem Magier die hohe chaldäische Mütze abgerissen, sie sich auf den eigenen Kopf gestülpt und tanzte schon wieder mitten zwischen den Odalisken.

Das hätte nun freilich nicht kommen dürfen. Oder aber es war Nobodys Schuld, er hatte zu lange gezögert, seinem Freunde etwas zuzuflüstern. Hinwiederum hätte der Magier sich eigentlich selbst helfen müssen.

»Willst du mir gleich meine Mütze wiedergeben?!«

»Kikerikikiiihhh!! Höhöher die Beibeibeine!«

Und Nobody hätte diese neue Szene gar nicht vermissen mögen. Das kleine, kugelrunde Kerlchen mit der fast einen halben Meter hohen spitzen Mütze auf dem Kopfe, wie es die kurzen Beinchen in die Höhe warf und die Pumphosen graziös auseinanderzog - es sah gar zu drollig aus.

Merkwürdig war, daß die umstehenden Eunuchen und Sklavinnen gar nicht darüber lachten. Teils waren sie eben als Mohammedaner viel zu phlegmatisch dazu, teils mochte auch der echte Mufti ihnen schon ähnliche Szenen bereitet haben, und dann war alles, was ein Muschlin, ein Wahnsinniger tat, eben etwas Heiliges, die Gottheit offenbarte sich. Wie die Mohammedaner sich das zusammenreimen konnten, das war ihre Sache.

Es trat eine Ruhepause ein, doch mußten die Tänzerinnen dort stehen bleiben, wo sie sich gerade befanden, und die letzte Figur des Reigens hatte Mojan an den äußeren Rand der Truppe gebracht, auch nicht weit von der Tür entfernt.

»Komm her, gib mir meine Mütze wieder!« ließ sich der Magier abermals vernehmen, diesmal in scharfem Tone.

Schon war Nobody an der Seite des Freundes, jetzt durfte er es wagen, die Gefahr, angestoßen zu werden, war geringer.

»Cerberus Mojan gehen Sie hin zu ihm,« flüsterte ihm Nobody ins Ohr, »folgen Sie ihm – er weiß, wer Sie sind – ich habe ihn in alles eingeweiht.«

Dieser kleine Dicke fürchtete sich vor Gott und Teufel nicht, noch weniger davor, daß ihm plötzlich aus der Luft eine Stimme ins Ohr flüsterte. Er hatte nicht einmal mit einer Wimper gezuckt. Aber den Kopf wendete er dorthin, woher die Stimme kam, natürlich sofort wissend, daß es nur sein Freund sein konnte.

»Wawawas? Der weiß, daß ich mich nur wahnsinnig stelle?«

Ganz laut, mit seitwärts gewendetem Kopfe hatte er es gesagt. Aber eine Unvorsichtigkeit war das durchaus nicht, vielleicht eher eine Berechnung. Unvorsichtig wäre es vielleicht gewesen, hätte er es nur geflüstert, nachdem er vorher erschrocken zusammengefahren war. Er war doch ein Wahnsinniger, der sich auch mit einer eingebildeten Person unterhalten konnte.

»Ja, es ist der Astrolog und Hofmagier, er weiß alles, ich habe ihn eingeweiht. Folgen Sie ihm, reden Sie mit ihm vernünftig.«

Und Mojan ging hin zu dem ihn lockenden Magier, gab ihm die Mütze zurück, nicht so ohne weiteres, er war und blieb der sich als Hahn fühlende Mufti, so wurden auch noch einige Reden gewechselt, dann aber ließ sich Mojan willig davonführen.

Nobody blieb noch. Sein Freund und das Weib, auf dessen Entführung es ihm hauptsächlich ankam, waren ja nun versorgt, da sich aber Nobody einmal im Serail befand, wollte er auch weitere Umschau halten, wenigstens bis morgen früh, oder bis morgen abend. In der Nacht konnte ihm ja jener Hof mit dem geharkten Sand, der die Spuren anzeigen sollte, kein Hindernis bieten, ebensowenig wie die Mauern, mochten sie auch mit Glasscherben gespickt und noch so hoch sein.

So schaute er noch einige Zeit den tanzenden Odalisken zu, dann schlenderte er weiter.

Hier in diesem Teile waren die Türen gar nicht verhangen oder die Portieren gleich zurückgeschlagen befestigt.

Nach dem Passieren eines Korridors kam er wieder in jenen Teil, den er schon vorhin durchquert hatte.

Da war schon wieder der rote Zwerg, und schon wieder hatte er die Schnüffelnase am Boden. Kein Zweifel, der war durch seine feine Witterung zu der festen Überzeugung gekommen, daß sich im Serail ein Fremder befand. Ob er schon einem anderen Mitteilung gemacht hatte?

»Was machst du denn da, Balu?« fragte ein vorübergehender Kislar.

Der Zwerg schnüffelte nicht mehr, sondern tastete nur noch auf dem Boden herum.

»Ich suche etwas – ich habe etwas verloren ... ach, hier ist es.«

Er tat, als ob er etwas vom Boden aufhebe, steckte es in die Tasche und war wie ein Wiesel durch die nächste Portiere verschwunden.

Diese Verstellung, dieses Geheimhalten seiner Gedanken warnte Nobody doppelt vor dem Blinden. Der Gegner, der seine Pläne ausplaudert, ist ungefährlich, und wer etwas Großes vorhat, und er schwatzt immer davon, dem wird es nicht gelingen, die Hälfte des Erfolges seiner Arbeit ist wenigstens schon dahin.

Es wurde dunkel. Deswegen erstarb das Leben hier nicht. Überall wurden dicke Wachskerzen aufgestellt, ein kostspieliges Licht, mit einer unnützen Verschwendung, daß Nobody auf die Vermutung kam, die zahllosen Zimmer würden noch zu einem anderen Zwecke erleuchtet als nur deshalb, daß jeder auch im Dunkeln seinen Weg fand, wozu durch die unbewohnten Räume ja schon ein Handlicht genügt hätte.

Sollte man sich nicht vor Geisterspuk fürchten, den man durch helles Licht bannen wollte?

So sehr hell konnten die Kerzen übrigens nicht leuchten. Nobody durfte es, selbst wenn sich jemand in dem Zimmer befand, bei seiner schlangenartigen Geschmeidigkeit getrost wagen, am Boden einen Zipfel der Portiere zu heben und darunter hinwegzukriechen. Doch es wurde wieder ganz einsam hier.

Da erscholl in dem Nebenraume eine Stimme.

»Komm her – na, da komm doch – sieh, wie schön ich bin – laß dich küssen, hahahaha!«

Doch hier lockte keine menschliche Sirene, kein Eunuche sollte von einer Odaliske verführt werden, auch nicht der Padischah – sondern diese krächzende Stimme konnte nur einem Papagei angehören.

Nobody lugte durch eine Spalte der Portiere in das Nebenzimmer. In der Mitte des Raumes, oben an der Decke, hing ein riesiger Vogelbauer, in dem ein Papagei, von dem Lichte wieder aus dem Schlummer geweckt, Kletterübungen machte und dazu schwatzte. Es war ein Vogelbauer, wie Nobody ihn wohl schon als ganzes Vogelhaus hatte stehen, aber noch nicht für einen einzigen Papagei hatte an der Decke hängen sehen, wenigstens zwei Meter hoch und ebensoviel im Durchmesser betragend. Doch solchen Abnormitäten begegnet man ja im Orient auf Schritt und Tritt, man denke nur an die ungeheuren Steinsärge, in dem ein ganzes Bataillon toter Soldaten Platz hätte, und er ist nur zur Aufnahme eines einzigen Menschen bestimmt, der im Leben eine große Rolle gespielt hat.

Viel mehr interessierte sich Nobody für das, was sich direkt unterhalb des Käfigs befand. Da stand am Boden eins jener runden, sehr niedrigen Tischchen, vor dem sich der Türke mit untergeschlagenen Beinen niederkauert. Hier hatte noch vor kurzem jemand geschrieben. Auf der Ebenholzplatte, beleuchtet von einer Wachskerze, stand ein Schreibgerät mit gespaltenen Rohrhaltern, da lag auch ein Blatt Papier, mit Schriftzügen bedeckt – ganz sicher ein Brief.

»Na, da komm doch, sieh, wie schön ich bin,« lockte der Papagei.

Nobody war dem Lockrufe der bunten, befiederten Sirene bereits gefolgt. Bis auf drei Schritte näherte er sich dem niedrigen Tischchen, so daß er den Brief schon lesen konnte. Die mehr gemalten denn geschriebenen Buchstaben waren ungemein groß, viel stand auf dieser ersten Seite nicht.

»Ich, Arsinoe, die Mutter des Beherrschers aller Gläubigen, begrüße dich, meine Schwester, im Namen Allahs und seines Propheten.«

»Deine Frage will ich dir gern beantworten.«

»Für die nächste Beiramnacht habe ich als Beischläferin des Padischah die Odaliske ...«

Hier schloß die erste Seite des Briefes, die Fortsetzung kam auf der nächsten.

Welche Odaliske hatte die Walide für den Sohn bestimmt, in jener Nacht, da Allah vielleicht, wenn er gnädig gelaunt ist, dem türkischen Volke einen Sultan schenkt?

Nobody wußte es ja, an wen die Walide dachte. Ob sie dies aber auch der ›Schwester‹ schrieb? Und was konnte sie dieser noch alles schreiben?

Vorsichtig blickte sich Nobody um. In diesem nur Teppiche, Kissen und Polster enthaltenen Raume konnte sich niemand verstecken. Und die beiden Portieren waren dicht zugezogen.

»Komm doch, na, da komm doch,« lockte der Papagei über ihm.

Ja, Nobody kam, er trat dicht an das Tischchen, streckte die Hand aus, um die Seite des Briefes umzuwenden ...

Rrrrrrr – klatsch!

»Hahahahaha – hahahahaha!!!« lachte der Papagei, jetzt aber nicht mehr hoch über Nobodys Kopfe, sondern dicht neben seinem Ohr!

Nobody hatte keine Zeit mehr gehabt, schnell zurückzuspringen, als er das Rasseln hörte. Da hätte auch eine blitzähnliche Geistesgegenwart mit nachfolgendem Sprunge nichts geholfen.

In die Falle gegangen! Gefangen!

Der große Käfig war herabgesaust gekommen, der Boden war von selbst zur Seite gegangen, er hatte das Tischchen überdeckt – und Nobody dazu!

Schnell hatte Nobody das Gefühl der demütigenden Scham überwunden, bei all seiner Schlauheit in eine Mausefalle gegangen zu sein, welche für die dummen Frauenzimmer und Eunuchen des Serails bestimmt war.

Denn das war doch ganz offenbar der Fall. Jedenfalls war streng verboten, falls jemand etwas Schriftliches fände, es zu lesen, es auch nur aufzuheben. Wenn aber nun so ein dienstbarer Geist einen angefangenen Brief der Sultan-Walida sah, worin sie mitteilte, welche Odaliske sie dem Padischah in der nächsten Beiramnacht zuführen würde, gerade da auf der Seite abbrechend, wo sie den Namen nennen wollte, auf der anderen Seite mußte man das große Geheimnis erfahren, welches die Serailbewohner das ganze Jahr über in atemloser Spannung hält – na, da ließ sich doch keine Neugier bezähmen.

Und dann saß der Neugierige drin in der Falle, um seine exemplarische Strafe zu erwarten! Diesmal aber saß der berühmte Detektiv Nobody drin, der Champion der englischen Königin, dieses Wunder von Behendigkeit, Schlauheit, Kaltblütigkeit und anderen ...eiten!

Ja, so mußte es einmal kommen! Unfehlbar ist kein von einem irdischen Weibe geborener Mensch, jeder braucht einmal eine Lektion, das dient nur zu seiner Vervollkommnung.

Indem Nobody dies zu sich selbst sagte, hatte er also schnell seine Scham überwunden.

»Nun, diese Mausefalle, für entmannte Männer und faule Frauenzimmer bestimmt, soll mich auch nicht lange festhalten können.«

»Hahahahahaha!!!« lachte der Papagei.

»Halte den Schnabel, sonst dreh ich dir den ...«

Das Wort erstarb ihm im Munde, schon der Gedanke im Kopf!

»Hahahahahahaha!! Narr Narr Narr Narr Narr, hahahahaha!«

Das Gelächter und Gekrächze entfernte sich unter rauschendem Flügelschlag – oben an dem Riesenkäsig befand sich ein kleines Türchen, es war offen, mußte sich durch einen Mechanismus beim Herabfallen gleichzeitig geöffnet haben, der Papagei war hindurchgeschlüpft, flog nach der Tür, ließ sich auf den Boden nieder, kroch unter der Portiere hinweg – verschwunden war er!

»Alle Wetter, der ist dressiert! Jetzt erzählt das Vieh durch seine Flucht, daß jemand in die Falle gegangen ist! Da muß ich mich beeilen!«

Zu heben war der Käfig nicht, obgleich Nobody noch ein ganz anderes Gewicht hätte liften können als diese Gitterstangen. Dann mußte es eine Vorrichtung geben, am Boden, in den Teppich eingelassen, in welche der untere Rahmen hineingeschnappt war, so hatte es auch geklungen.

Diesen Mechanismus wollte Nobody schnell gefunden und ihn auch enträtselt haben.

»Darauf bin ich geeicht!«

Er entfernte dicht am unteren Gitterrahmen die Teppichfransen, überall, Franse für Franse.

Vergebens! Kein Haken, keine Öse, kein Riegel, gar nichts!

Es war, als ob der Rahmen ganz lose auf dem Teppiche ruhe, und dennoch wie angewurzelt.

»Das sieht fast aus, als ob sich unter dem Teppich ein Magnet befände, welcher den Eisenkäfig festhält. Aber was für ein ungeheurer Magnet müßte das sein, daß seine Anziehungskraft der meiner Muskeln spottete?«

Nobody hielt sich nicht lange damit auf, den Käfig in die Höhe heben zu wollen. Nobody versuchte die silberglänzenden Eisenstangen, gar nicht so sehr stark, zur Seite zu biegen – wiederum vergebens! Wäre es Eisen gewesen, hätten sie auf keinen Fall der herkulischen Kraft dieses scheinbar so schmächtigen Mannes widerstehen können. Aber sie ließen sich nur ein wenig biegen, nicht verbiegen – gehärteter Stahl, und da nützte bei dieser Stärke keine Bären- und auch keine Herkuleskraft.

»Durchsägen, flott! In einer Minute muß mich mein Taschenmesserchen, ... was ist denn das?«

In seiner rechten Hosentasche befand sich das berühmtgewordene Universalwerkzeug mit der unbezahlbaren Iridiumsäge nicht, er mußte es in die linke gesteckt haben. Das aber war bei diesem Detektiven, der in gewissem Sinne und aus guten Gründen schrecklich pedantisch sein konnte, geradeso, als wenn ein anderer Mensch den dem Magen zugedachten Bissen statt in den Mund in die Nase oder ins Ohr steckt.

Also es war doch einmal vorgekommen, daß er das Messer in die linke Hosentasche ...

Nobodys Gesicht wurde plötzlich ganz verstört.

Mit hastigen Griffen durchsuchte er sämtliche Taschen seines türkischen Kostüms, das er unter dem Tarngewand trug, die Ledertasche auf dem bloßen Leibe ...

In diesem Augenblick verlor Nobody, den sonst nichts aus seiner Ruhe bringen konnte, einmal vollständig die Besinnung!

Sein Taschenmesser war weg. Er mußte es verloren haben.

Er, Nobody, hatte etwas aus seiner Tasche verloren? Unmöglich!!

Ja, das half aber alles nichts – er konnte das Messer eben nicht finden.

Und das war es eigentlich, was ihn so außer Fassung brachte, nicht die Gefahr, in der er sich jetzt befand, daß er gleich wie ein wildes Tier in ohnmächtiger Wut gegen die Gitterstäbe sprang und daran rüttelte – so ganz und gar zwecklos.

Da näherten sich Stimmen – und in diesem Augenblicke, da die eigentliche Gefahr kam, hatte Nobody auch seine vollständige Ruhe wieder, ruhig schlug sein Puls, eiskalt waren Kopf und Herz – und sogar etwas Humor war dabei.

»Nevermind. Bin doch gespannt, wie sich die Sache jetzt entwickeln wird.«

Der Sultan war es selbst, der die Portiere zurückschlug, mit unheilverkündendem Gesicht. Ihm folgte eine Menge Eunuchen, doch nur Kislars, Aufseher, in der einen Hand eine brennende Kerze, in der anderen die Peitsche, das Attribut ihrer Würde, und jetzt würden sie davon wohl einmal Gebrauch machen.

»Wehe deiner Neugier, die dich die Gesetze des Serails ...«

Beim Anblick des leeren Vogelkäfigs brach der erzürnte Padischah ab. An eine nichtvorhandene Person wollte er seinen Zorn nicht verschwenden.

»Die Falle hat versagt!«

»Das ist nicht meine Schuld,« ergriff der Kislar-Aga eiligst das Wort, »ich habe sie erst heute früh untersucht, alles funktionierte vortrefflich.«

»Aber der Schuldige ist entkommen.«

»Dafür, o Padischah, kann ich doch nichts! Er ist noch rechtzeitig zurückgesprungen.«

»Dann wäre das wohl das erstemal, daß dies jemandem gelungen ist, und ich halte es kaum für möglich, habe ich diese Falle doch selbst erfunden. Sie hat ja sonst auch ganz tadellos funktioniert.«

In diesem Falle begeht dein Erfindergeist einmal keine Prahlerei, dachte Nobody in aller Gemütsruhe, während der Sultan und die Eunuchen mit den brennenden Kerzen um den Vogelbauer herumschlichen.

Wieder einmal kam es Nobody so recht voll und ganz zum Bewußtsein, was für Situationen solch ein Tarngewand doch hervorbringen kann – Situationen, die, so ernst sie auch sein mochten, doch eines gewissen Humors nicht entbehrten.

Er saß hier ganz gemütlich mit untergeschlagenen Beinen in dem Vogelbauer, nagte an seiner Unterlippe, drehte die Daumen – und die Männer leuchteten von allen Seiten hinein und sahen nichts!

»Wer mag es gewesen sein?«

»Sicher ein Franke oder eine Frankin,« erklärte der Kislar-Aga mit Bestimmtheit, »nur Franken sind imstande, nicht in eine Falle zu gehen, die der Padischah selbst erfunden und mit eigenen Händen gebaut hat – Allah lasse ihnen Steine wachsen im Bauche.«

Immer mehr begann sich Nobody zu amüsieren. Nur noch eine Sorge vergällte ihm seine humorvolle Stimmung.

»Wenn ich nur wüßte, wo ich mein Taschenmesser verloren hätte!«

»Ruft Manza, seine Spürnase wird bald herausfinden, wer es gewesen ist.«

O, jetzt durfte Nobody aber seinen Humor fahren lassen, jetzt wurde die Geschichte ernst!

Manza heißt die Nase. Mit Vorliebe gibt man diesen Namen in der Türkei Hunden – Spürnase. Einen Hund hatte Nobody im Serail noch nicht gesehen, es schien aber doch solche zu geben. Ein Eunuche lief davon, um den gewünschten Hund zu holen – und daß sich der Geruchssinn eines Hundes nicht von der Unsichtbarkeit beeinflussen ließ, hatte Nobody schon mehrmals erfahren.

Doch nein, deshalb verlor Nobody noch lange nicht seinen Humor.

»Wenn sich das Luder hypnotisieren läßt, tu ich's. Übrigens ist ja meine Lage ohne jegliche Gefahr. Wenn ich mich jetzt sichtbar mache, dann, mein lieber Beherrscher aller Gläubigen, mußt du mich mit königlichen Ehren begrüßen – bei des Propheten, deinem und meinem Barte! Ach, wenn der Prophet mir nur mein Taschenmesser wiederbrächte!«

Der abgeschickte Eunuche kehrte zurück, aber nicht mit einem Hunde, sondern ... mit dem blinden Zwerge!

»Balu,« wandte sich der Sultan an ihn, »beweise die Unfehlbarkeit deiner Manza. Wer hat sich hier dem Tischchen genähert, so daß der Vogelkäfig herabgefallen ist? Die Einrichtung kennst du ja.«

.

Richtig, der Zwerg wurde wegen seiner feinen Nase auch Manza genannt!

Ein sehender Hund wäre Nobody viel lieber gewesen als der blinde Zwerg.

»Befindet er sich denn nicht drin?« fragte dieser zunächst mit Recht.

»Nein, er hat dem Zuschlagen der Falle noch rechtzeitig entfliehen können.«

Der Zwerg trat dicht heran an das Gitterwerk und zog die Luft durch die Nase.

Wie sich sein Gesicht veränderte, diese Spannung.

»Der riecht Lunte und meine Wenigkeit,« dachte Nobody vergnügt.

»Nun?«

Der Zwerg sagte noch nichts, er schnüffelte noch immer.

Ach, wenn ich doch absolut geruchslos wäre, dachte Nobody seufzend; aber ich glaube, ich bin etwas anrüchig.

»War es ein Mann oder ein Weib?« fragte der Padischah weiter.

Mann, Mann! erklärte Nobody mit Stolz, freilich nur für sich selber. Ein ganzer Mann vom Scheitel bis zur Sohle und noch weiter hinauf und hinunter!

Konnte der Blinde wirklich nur durch Geruch unterscheiden, ob er einen Mann oder ein Weib vor sich habe, konnte er es sogar aus dem Geruche der hinterlassenen Spur bestimmen? Hunde können es, das ist sicher. Und auch Menschen gibt es genug, welche eine männliche Person von einer weiblichen durch den Geruch unterscheiden, und der Unterschied der anhaftenden Atmosphäre braucht nicht in Tabak und Moschus zu bestehen.

Doch der Zwerg schien sich nicht gleich klar zu werden.

»Das ist ein – ein – ein ...«

»Nun? Die Peitsche über dich, wenn du das nicht bestimmen kannst!« wurde der Padischah jetzt ungnädig.

Aber der Zwerg war unempfindlich gegen diese mit einer Drohung verbundene Ungnädigkeit seines Gebieters, er antwortete nicht, sondern trat etwas von dem Vogelbauer zurück, kniete sich hin und kroch auf Händen und Füßen, die Nase dicht am Boden, davon, einem Ausgange zu, bis an die Portiere, und zwar bis an jene, welche Nobody vorhin passiert hatte, der Sultan war durch eine andere gekommen.

Dort drehte der Zwerg wieder um und schnüffelte sich auf derselben Weise zurück bis nach dem Käfig.

Dieses Gebahren war natürlich so auffällig, daß man darüber ganz seine Langsamkeit vergaß, und auch sein Schweigen gehörte hierzu.

Unserem Nobody ward jetzt aber doch etwas schwül zumute, weil er erkannte, mit welcher Sicherheit dieser menschliche Spürhund seine Fährte zu verfolgen verstand. Jetzt war er geliefert.

»Nein, noch nicht! Ich kämpfe bis zum Äußersten, ehe ich mein Inkognito lüfte!«

»Was hast du denn nur, Balu?« fragte der Padischah.

Zunächst richtete sich der Zwerg auf und schnüffelte wieder in den Vogelbauer hinein.

»Da ist ja der Franke noch drin!« sagte er dann im Tone des Staunens.

»Welcher Franke?«

»Der Fremde.«

»Welcher Fremde?«

»Der Fremde, der sich seit gestern im Serail aufhält, der euch nachschleicht, ohne daß ihr etwas davon wissen wollt, und dieser Mann befindet sich doch auch jetzt im Käfig. Seht ihr ihn denn nur nicht?«

Es läßt sich denken, was für einen Eindruck diese Worte machten. Der Zwerg wurde ob seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit von einem Dutzend Augenpaaren zweifelnd angeblickt.

»Was schwatzt du da für Unsinn, Balu?!« sagte der Sultan streng.

»Ich rede die Wahrheit. Willst du, o Padischah, mich arme Mißgestalt, die du versehentlich und schuldlos blenden ließest, denn auch noch verhöhnen? Der Fremde befindet sich doch noch jetzt drin im Käfig! Ich rieche ihn ja!«

Wenn der Sultan nicht ganz und gar auf den Kopf gefallen ist, sagte sich Nobody, so muß er sich jetzt gleich erinnern, was ihm die Abessinierin über meine unsichtbare Anwesenheit im Serail erzählt hat.

Es konnte ja sein, daß der Sultan daran dachte, wahrscheinlich war es auch sicher der Fall, er sah plötzlich ganz verstört aus – aber er mochte in Gegenwart der Eunuchen wohl nicht darüber sprechen.

»Ein Fremder im Serail?« murmelte er gedrückt, sogar furchtsam. »Du erkennst seine Anwesenheit mit Sicherheit am Geruch, er soll in diesem Vogelbauer sein, und wir können ihn nicht sehen?!«

»Balu faselt,« sagte der Kislar-Aga verächtlich, »er wird alt und will wichtigtun.«

»Ihr Eunuchen, seid ihr denn nur blinder als ich?! Oder wollt ihr ihn nicht sehen? So will ich ihn packen!«

Er griff mit weit ausgestrecktem Arm hinein in den Käfig. Nobody hatte es kommen sehen, wartete es natürlich nicht ab, war schnell von dem Tischchen aufgestanden und schmiegte sich an die andere Seite, und der Käfig hatte also einen Durchmesser von fast zwei Metern, da langte kein Arm hin, und auch wenn von allen Seiten Arme durchgestreckt würden, sie hätten einen in der Mitte aufrechtstehenden Menschen doch nicht berühren können.

Das aber wußte auch der Zwerg.

»Gebt mir einen Piltaw.«

Einer der Eunuchen trug einen Heroldstab, länger als drei Meter, gab ihn dem Blinden.

O weh, jetzt war das Blindekuhspiel zu Ende! Dieser Stab mußte ihn berühren, und ein aufmerksamer Beobachter, eigentlich jedes Kind mußte das erkennen, wie der Stock an einem unsichtbaren Gegenstand in der Luft einen Widerstand fand, und wer das Experiment mit dem Stabe selbst machte, mußte von der Tatsache durch das Gefühl überzeugt werden.

Mit der Schnelligkeit des Gedankens erwog Nobody, ob es nicht besser sei, sich jetzt freiwillig sichtbar zu machen. Der Sultan mußte ihn als seinen Gast empfangen, er hatte es geschworen.

Aber es war doch schade, jammerschade! Es war eine infame Blamage, als unsichtbarer Geist hier in dem Vogelbauer gefunden zu werden.

Gab es denn nur keinen anderen Ausweg?

Der Zwerg steckte den Stock hindurch, fuchtelte – jetzt war Nobody berührt worden.

»Da – da – da ist er ja!!«

»Wo denn?«

Noch hatte Nobody einige Augenblicke Zeit.

Wirklich gar keine Aussicht, sich noch durch eigene Kraft zu retten.

»Na, hier, ich berühre ihn doch immer!«

»Mein Genius, komm mir zu Hilfe!« betete Nobody inbrünstig.

»Wahrhaftig, das sieht doch gerade aus, als ob der Stab einen ...«

Bum!!!

Ein dumpfer Knall, das ganze Haus erzitterte.

Und der Sultan wie die Eunuchen erzitterten mit, und dann blickten sie mit lähmendem Entsetzen einander an.

Erst voriges Jahr war es gewesen, da hatten sie auch in der Nacht solch einen Knall gehört, und gleich darauf war der Ruf Killima! Feuer! erschollen, und die Sturmglocke hatte geläutet!

Im Spiritus-Magazin war eine Explosion erfolgt, das Feuer konnte noch rechtzeitig gelöscht werden – die furchtbare Angst war es, der man sich jetzt noch so deutlich erinnerte!

Denn wehe, wenn dieses uralte, morsche, sonnverbrannte Gebäude einmal ernstlich Feuer fing!

Und da – da ...

»Killima, Killimaaaaa!!! Feuer, Feueeeeer!!!«

So heulte es draußen auf dem Korridor, heulte es durchs ganze Haus, die Sturmglocke heulte mit, und da ward auch schon dieses Gemach, dessen Fenster nach dem Hofe hinausging, von einem blutigroten Scheine erfüllt!

Und vergessen war das Rätsel des Vogelbauers mit dem unsichtbaren Gefangenen, und wenn man einen Geist drin gesehen hätte, man hätte ihn gar nicht mehr beachtet – das Serail in Feuersgefahr, die Sultan-Walide, Kadinen, die Prinzen – und mehr noch: die Schatzkammer, das heilige Schwert, sogar die grüne Fahne des Propheten!!! – in wilder Flucht stürmte alles hinaus, voran der Padischah, um selbst mit tätig zu sein beim Rettungswerk, und wenn er sich mit in die Eimerkette stellen mußte!

Nur der rote Zwerg war geblieben. Der stocherte noch mit seiner Stange in dem Vogelbauer herum, stach dem Gefangenen in den Bauch.

Durch Nobodys Kopf zuckte ein rettender Gedanke. Dieser Zwerg war sicher eingeweiht, wie der Mechanismus, der den Käfig am Boden festhielt, wieder auszulösen war, und wenn Nobody den Blinden nicht durch den Blick hypnotisieren konnte, so gab es hierzu noch andere Mittel, durch magnetische Streichungen, er hatte auch jenes Elixier bei sich, er konnte es dem Zwerge mit Gewalt einflößen, nur mußte er ihn dazu packen und ganz dicht an den Käfig heranziehen ...

Eben als Nobody zugreifen wollte, trat der Blinde, als hätte er eine Ahnung gehabt, zurück, entfernte sich einige Schritte, um dann stehen zu bleiben!

Vergebens wartete Nobody, hoffte darauf, daß er sich nochmals dem Käfig nähern würde. Nein, wie die kleine, rote Gestalt, von blutigem Feuerschein übergossen, mit über der Brust verschränkten Armen dastand, die erloschenen Augen nach dem Käfig gerichtet, das sah genau so aus, als wolle er so stehen bleiben, bis wieder andere Menschen kamen, um ihnen beweisen zu können, daß er recht gehabt habe.

»Verflucht und zugenäht!«

Ja, Mister Nobody war diesmal wirklich zugenäht worden! Jetzt hatte er Muße, nach dem Mechanismus zu suchen, aber der war ebensowenig zu finden wie sein Taschenmesser mit der Iridiumfeile.

Nun konnte er den Zwerg betrachten und dem Feuerlärm lauschen.

Es war ein Höllenlärm! Wenn sich sämtliche Serailbewohner an den Rettungsarbeiten beteiligen mußten, so waren es zehn- bis zwölftausend Personen, welche nach orientalischer Weise mehr Spektakel machten als sie Arbeit verrichteten.

Doch es schien wirklich ein mächtiges Feuer zu sein. Immer heller wurde es in dem Zimmer, in dem die Wachskerze schon verloschen war; vor dem Fenster senken sich glühend erleuchtete Rauchwolken herab, aus denen Funken sprühten.

»Wenn alles gut geht, dann werde ich noch hier in meinem Vogelbauer gebraten,« philosophierte Nobody. »Ach, Balu Manza, göttlicher Zwerg, wenn es dir nur einfiele, einmal hier recht dicht heranzutreten! Wie wollt' ich dich ...! Na da komm doch, komm doch, kleiner Schäker ... halt!«

Nobody hatte eine geniale Idee gefaßt! Wenn der verd... Zwerg nicht freiwillig zu ihm kommen wollte, dann mußte er ihn einfach heranlocken!

Die erste Absicht, Gebrauch von seiner Stimme zu machen, ihn zu rufen, mit Bitten, mit der Andeutung eines Geheimnisses, gab Nobody schnell wieder auf.

Ja, seine Stimme wollte er wohl gebrauchen, aber in anderer Weise – in den Bauch hinein. Ein Vermittler mußte kommen, auf dessen Veranlassung ihn sich der Zwerg wieder dem Käfig näherte, vielleicht um abermals mit der Stange hineinzustechen.

»Balu.«

Der Blinde wendete den Kopf nach der Portiere, denn von dort hatte der Bauchredner die quäkende Stimme kommen lassen.

»Wer ist da?«

»Ich bin's,« lautete die bei geistvollen Köpfen, wenn sie draußen an eine Tür klopfen, so beliebte Antwort. »Ist es wahr, daß sich in dem Vogelbauer jemand gefangen hat?«

»Erst mußt du mi...«

Der Zwerg brach mitten im Wort ab.

Und was war denn das?

Gleichzeitig warf der Zwerg die Arme in die Luft und schlug rücklings, wie vom Blitz getroffen, zu Boden nieder, um regungslos liegen zu bleiben.

Was war das gewesen? Ein Schlaganfall?

»Hähähähähähä!!!«

Das hämische Gelächter kam wirklich von der Portiere her, Nobody dachte an den Papagei, obgleich es nicht so krächzend geklungen hatte, er wendete den Kopf und ...

Heiliger Gott!! Dieser menschliche Kopf, der hinter der Portiere hervorblickte – dieses grinsende Gesicht, totenblaß, umwuchert von einem schwarzen Barte, verzerrt von Haß und Hohn – diese feixende Teufelsfratze ... heiliger Gott!!

»Hähähähähähäh!!«

.

Und die Portiere ward vollends zurückgeschlagen, und die Gestalt kam herein, gleichfalls in brennendes Rot gekleidet, noch röter in dem blutigen Feuerscheine, einen Pferdefuß nach sich schleifend, auf dem Kopfe ein Barett mit langer Hahnenfeder – ein echter Mephistopheles ...

»Hähähähähähähähä!!«

Und der furchtlose Nobody zitterte plötzlich wie Espenlaub, mit hervorquellenden Augen und geöffnetem Munde stierte er die rote Erscheinung an, die hinkend auf ihn zuschlich, und dann wendete er sich ab, streckte nur den Arm abwehrend gegen die Teufelsgestalt aus.

»Mephistopheles – Monsieur Sinclaire,« stieß er mit kreischender Stimme hervor. »Und es ist nicht wahr – du bist eine Lüge – ein Gaukelspiel der Hölle – meiner Phantasie – ich werde wahnsinnig – du liegst ja seit zwei Jahren als Mumie in meinem Keller!!!«

»Hähähähähähähä!!«

Er hatte den Käfig erreicht, zog eine Lorgnette hervor, äugelte feixend durch die Gitterstäbe.

»Hähähähähä! Heute mir, morgen dir. Wie du mir, so ich dir. So heißt's, nicht wahr? Vor zwei Jahren hatten Sie mich in so einen Käfig gebracht, heute sitzen Sie drin, hähähähähä!«

»Und es ist nicht wahr!!« keuchte Nobody. »Du liegst als Mumie in meinem Keller! Ich selbst habe deine Leiche einbalsamiert!!«

»Na da geben Sie doch Ihren Unglauben auf. Ich habe mich eben ausgeschlafen in Ihrer zugenagelten Kiste und bin wieder aufgestanden. Aber ein Kopfkissen hätten Sie mir eigentlich mit reingeben können. Hähähähähä! Wissen Sie, ich bin gar kein so schlechter Kerl, wie Sie denken. Sie hätten gegen meine Frau auf der Argonauteninsel gar nicht so liebenswürdig zu sein brauchen – ich hätte Sie nicht in der Patsche sitzen lassen, in die ich Sie erst hineingebracht, indem ich Ihnen nämlich vorhin Ihr Messer aus der Tasche gezogen habe. Hier haben Sie es wieder. Sie wollen es nicht nehmen? Ich werfe es hinein. Nobody, Sie sind ein ganz famoser Kerl, wir machen doch noch einmal ein Geschäft zusammen, wir hauen noch einmal die ganze Welt übers Ohr. Hähähähähä.«

Der feixende Mephistopheles schob die Lorgnette zusammen, steckte sie ein und hinkte wieder der Portiere zu. Sie schon hebend, drehte er sich noch einmal um.

»Sie haben nicht nötig, die Eisenstäbe durchzusägen. Ich habe den Mechanismus bereits gelöst, schmeißen Sie den Käfig nur um. Und ... auf Wiedersehen! Hähähähähä!«

Die Portiere fiel hinter der roten Gestalt herab.


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