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III. Um zwanzig Millionen

Schon vorhin hatte Nobody den kleinen Panzerschrank bemerkt, der neben dem Waschtisch an der eisernen Wand befestigt war. Der Hauptschlüssel war am Ringe vorhanden, Nobody öffnete.

Als erstes fand er in zwei Schatullen Gold-, Silber- und Papiergeld, nach vorläufiger Schätzung ungefähr 10 000 Pesos betragend. Das war offenbar die Schiffskasse, aus der die Bedürfnisse bestritten wurden, für solch eine Jacht, die auch in jedem Hafen ein ganz bedeutendes Ankergeld zu zahlen hat, gar keine so große.

Ein anderes Fach enthielt beschriebene Papiere. Zuerst fiel Nobody der Versicherungskontrakt in die Hände, für die ›Hortensia‹ abgeschlossen mit einer nordamerikanischen Gesellschaft, die in Valparaiso eine Filiale hatte.

Aus Bemerkungen ergab sich, daß dies der zweite innerhalb einer Woche abgeschlossene Kontrakt war, wodurch ein früherer ungültig gemacht wurde.

Zuerst war eine Versicherungsprämie des vollen Kaufpreises der Jacht, also 300 000 Pesos, angesetzt worden, wie sie solch einer Jacht, nachdem die Seebehörde diese als vollkommen seetüchtig anerkannt hatte, üblich entsprach.

In diesem zweiten Kontrakte hier wurde betont, daß die Hortensia‹ die vollständige Besatzung des ›Oliphant‹ als Mannschaft an Bord nehme, wodurch die Prämie ganz bedeutend ermäßigt wurde.

Hieraus also ersieht man, daß es einer Versicherungsgesellschaft durchaus nicht gleichgültig ist, wie viele und was für Leute ein Schiff an Bord hat. Eine tüchtige, in Gefahr schon erprobte Mannschaft bietet der Versicherungsgesellschaft eine Garantie, da läßt sie gleich einige Prozente nach.

Ein zweites dokumentartiges Schreiben erregte Nobodys besondere Aufmerksamkeit, mit vor Spannung weit geöffneten Augen las er es.

Der argentinische Finanzminister erteilte dem Sennor Juarez Travalko den Auftrag, fünf Millionen Pesos von Valparaiso nach Buenos Aires zu bringen, und ein weiteres Schriftstück belehrte Nobody, daß Travalko die fünf Millionen von dem chilenischen Schatzamt auch wirklich erhalten hatte, und zwar vier Millionen in Goldbarren, eine Million in nordamerikanischen Doppeladlern.

Fünf Millionen Pesos – zwanzig Millionen Mark! Hallo, das war eine Summe, wegen der ein Mensch unruhig werden, manchmal auch ein schlechtes Gewissen bekommen kann!

Dieses Gold befand sich ganz sicher an Bord, seinetwegen hatte Travalko die Jacht doch erst gekauft, der Ueberführung dieser Summe von einem Lande zum andern galt die ganze Reise, das war für Nobody nun zweifellos.

Wo war das Gold untergebracht? Erst stöberte Nobody weiter in den Papieren. Er fand den Kontrakt über den Verkauf der ›Hortensia‹ von Sennor Alvarez in Valparaiso an Juarez Travalko, er fand noch verschiedenes andere, aber nichts, was ihn weiter interessiert hätte. Vor allen Dingen war kein Schriftstück vorhanden, was ihm näheren Aufschluß über die Person Travalkos hätte geben können, der vom argentinischen Finanzminister mit solch einer wichtigen Mission betraut worden war.

Doch der Geldschrank enthielt ja noch andere Fächer. Alle leer! Hier nur ein kleines Kästchen. Was war darin? Watte. Und in dieser Watte sorgsam eingepackt ein Fläschchen, gefüllt mit einer wasserhellen Flüssigkeit.

Nobody entfernte den eingeschliffenen Glasstöpsel, roch hinein – wie der Blitz sprang er empor, riß das runde Fensterchen auf und atmete in tiefen Zügen die frische Seeluft ein.

»Ich lebe noch, fühle nichts von Gliederstarre – gelobt sei Gott!«

Ein Glück war es, daß er nur ganz vorsichtig daran gerochen hatte, die Luft schnell wieder ausstoßend – denn diesen Geruch nach bitteren Mandeln kannte er – Blausäure, das furchtbarste Gift, welches, als Gas nur in ganz minimaler Menge in die Lunge gebracht, oder als Lösung in den Magen, sofort das flüssige Blut erstarren läßt, daher durch Herzschlag einen fast augenblicklichen Tod nach sich ziehend.

Wozu bedurfte der Jachtbesitzer dieses Giftes? Nobody hatte hierüber seine eigenen Gedanken.

Zunächst wollte er Umschau nach dem Golde halten, zuerst in dieser Kabine.

Die Koje war ziemlich hoch über dem Boden angebracht, und auf dieser Jacht wie auf jedem Schiffe mußte mit dem Platze gegeizt werden. Der freie Raum unter der Koje diente als ein Verschlag, verschließbar – Nobody besichtigte das Schloß, hatte gleich den passenden Schlüssel am Bund gefunden – richtig, unter der Koje standen eine ganze Menge eiserner Kisten, jede mit Vorhängeschloß und Handgriffen versehen, und es wäre gar nicht nötig gewesen, daß sich Nobody erst von der außerordentlichen Schwere eines Kastens überzeugte, den er kaum hervorbrachte – er kannte schon diese schatullenartigen Behälter, hatte solche schon oft auf dem Schatzamt zu Washington, bei Bankiers und auch bei Privatleuten gesehen, welche glückliche Besitzer von Goldbarren waren.

Auch zu den Vorhängeschlössern war ein Schlüssel vorhanden, der sämtliche schloß. Nobody konnte sich an den Anblick von vierkantigen Goldbarren weiden, immer recht hübsch eine Kiste füllend, vom Washingtoner Schatzamt mit je zwei Stempeln versehen, das Gewicht der Barre und die Feinheit des Goldes angebend.

Das Pfund Gold, wie es aus dem Schmelzofen der Münze kommt, kostet rund 1000 Mark, hier waren 80 Zentner vorhanden gleich 8 Millionen Mark, einige der Schatullen enthielten keine Barren, sondern waren mit nordamerikanischen Doppeladlern gefüllt, der Doppeladler zu 20 Dollar, und Nobody brauchte nicht zu zählen, was eine gar langwierige Arbeit gewesen wäre, er brauchte nur durch Heben das Gewicht einer einzelnen Münzkiste zu taxieren und sich dann zu vergewissern, wieviel solcher vorhanden waren, und er wußte bestimmt, daß es eine halbe Million Dollar oder Pesos waren, wozu noch zwei Millionen in Goldbarren kamen.

Wolle sich der geneigte Leser nicht wundern, daß unter der Koje ein Gewicht von 100 Zentnern Platz gefunden hatte. Gold ist eben ein gar schweres Metall, fast zwanzigmal schwerer als Wasser. In eine Kiste von einem Kubikmeter Inhalt, was man also eine Raumtonne nennt, würde für 40 Millionen Mark Gold hineingehen, und das hier war nur der vierte Teil, der ging bequem unter die Koje.

Aber das war nur die Hälfte von den 5 Millionen Pesos. Wo war die andere Hälfte?

Nobody suchte nicht erst lange in dieser Kabine. Hundert Zentner sind doch ein Gewicht, bei dessen Plazierung mit der Balance gerechnet werden muß, besonders bei solch einer schlankgebauten Jacht mit nur 600 Tonnen Tragkraft. Aber auch der größte Riesendampfer nimmt auf 5 Tonnen recht wohl Rücksicht, und das ist ja nicht so einfach, daß etwa die Schauerleute nach Gutdünken drauflosschütten und aufstapeln, nur kleinen Anweisungen folgend – hier kommt das hin und das dorthin – nein, da ist ein physikalischer Apparat vorhanden, der den Neigungswinkel angibt, und die Balance muß bis auf den feinsten Strich stimmen, sonst steuert das Schiff falsch. Besonders die Marinematrosen können etwas davon erzählen, was für eine Heidenarbeit das ist, wenn das Kriegsschiff, ehe es eine Reise antritt, ausbalanciert wird, was für ungeheure Quantitäten von Gewichten da ständig von einer Bordwand nach der anderen geschleppt werden müssen, und immer wieder hin und her, bis die Balance justiert ist. Kohlenübernahme und Ausbalancieren – das sind die Schreckenstage der Kriegsmatrosen im Frieden.

Diese Kabine hier lag mittschiffs auf Backbordseite, die Fremdenkabine gerade gegenüber auf Steuerbordseite, und auch dort hatte Nobody unter den Kojen solch einen Verschlag gesehen. Es war ganz selbstverständlich für ihn, daß er die anderen 100 Zentner Gold dort finden würde.

Er begab sich wieder hinüber, den betreffenden Schlüssel schon in der Hand.

»Nun, was haben Sie gefunden?« wurde er von Mojan empfangen.

»Etwas sehr Wertvolles, doch erst die eine Hälfte. Nach der anderen Hälfte will ich mich einmal hier umschauen.«

Er öffnete den Verschlag – richtig, wieder solche eiserne Schatullen – Nobody machte die eine auf und Mojan seinen Mund, um ihn nicht sobald wieder zu schließen.

Nobody erzählte.

»Sapristi!« brachte Mojan endlich hervor.

»Fünf Millionen Dollar in Gold! Und was hat da der Kerl mit dieser kostbaren Fracht, die ihm anvertraut worden ist, vom direkten Dampferkurs abzuweichen und einen Abstecher nach den Argonauteninseln zu machen?«

Mit hochgezogenen Augenbrauen hatte Mojan es gesagt, hierdurch wieder einmal einen Beweis dafür gebend, daß er nicht so auf den Kopf gefallen war, wie er sich immer stellte.

»Nun, was meinen Sie?« fragte Nobody, freilich nur, um seine eigene Meinung aus einem anderen Munde bestätigt zu hören. Na, der Kerl hatte das Schiff mit dem vielen Golde ganz einfach irgendwo zwischen den weltverlassenen Argonauteninseln versenken wollen, um dann später den Schatz für sich selbst wieder zu heben.

»Mojan, bedenken Sie, was für eine ungeheuerliche Beschuldigung Sie aussprechen!«

»Zweifeln Sie etwa daran? Ich nicht im geringsten. Und stellen Sie sich doch nicht so! Sie kennen die Menschen doch noch viel besser als ich, und sehen Sie diesem Spitzbuben doch nur in die Augen! Und ein Fläschchen mit Blausäure haben Sie gefunden? Und Sie halten diesen Kerl nicht für fähig, den Koch zu beauftragen, für die ganze Mannschaft einen Mandelpudding zu backen? Und wenn einmal niemand hinsieht, gibt er dem Kuchen mit Blausäure noch einen ganz besonders lieblichen Beigeschmack. Gehen Sie doch weg, Nobody! Hören Sie doch nur, wie ängstlich der Kerl schon knurkst.«

In der Tat, der ›Kerl‹ hatte schon seit einiger Zeit ein Stöhnen hören lassen.

Nobody nahm ihm mit der nötigen Vorsicht den Knebel aus dem Munde.

»Wollen Sie etwas sagen?«

»Sie sind – doch nicht – der Detektiv – Nobody?« brachte der Spanier zwischen klappernden Zähnen mühsam hervor. Zum ersten Male hatte er diesen Namen hier aussprechen hören.

»Der bin ich. Wollen Sie gleich jetzt ein offenes Geständnis ablegen?«

»Mann, wie kommen Sie dazu, gegen mich solch eine furchtbare Anklage zu erheben?! Beweisen Sie mir doch irgend etwas!«

»Das werde ich allerdings. Wollen Sie mir zunächst mitteilen, wer Sie eigentlich sind, was Sie, vielleicht im argentinischen Staatsdienst, für einen Rang bekleiden, daß man Sie mit solch einer wichtigen Mission betraut hat?«

»Hil ...«

Wieder hatte ihm Nobody noch rechtzeitig den Hilferuf in der Kehle erstickt, er wurde wieder geknebelt.

»Es ist nichts mit ihm anzufangen, er hofft noch immer auf Rettung durch die Schiffsbesatzung, und die dürften wir allerdings gegen uns haben. Der Kapitän würde seinen Brotherrn doch natürlich sofort befreien, und ehe wir unsern Verdacht hätten aussprechen können, dürfte er uns selbst unschädlich gemacht haben, wenn nicht gleich ganz stumm. Wir müssen uns ohne seine Aussagen behelfen.«

»Sollten wir uns nicht mit dem Kapitän auseinandersetzen?«

»Mojan, das ist ein Risiko! Der Kapitän ist offenbar ein Ehrenmann, mir erscheint er als ein echt harmloser Charakter – in dessen Kopf geht der Gedanke, daß ein Mensch solch eines furchtbaren Verbrechens fähig ist, vielleicht gar nicht hinein. Und etwas Bestimmtes können wir doch noch gar nicht beweisen, wir haben vorläufig nur einen Verdacht, nichts weiter, und dem Kapitän wie der ganzen Mannschaft ist noch gar nichts Verdächtiges aufgefallen.«

»Ja, die wissen aber auch nichts von dem an Bord befindlichen Golde.«

»Gleichgültig. Ich bleibe bei meiner Ansicht.«

»Gut. Ist mir so auch viel lieber. Haben Sie nicht Dynamitpatronen oder so etwas Aehnliches gefunden?«

»Noch nicht. In dem Geldschranke waren keine. Zum Versenken eines Schiffes genügt übrigens ein Durchschlag und ein Hammer. Ich möchte nur wissen, woher das Gold eigentlich stammt.«

»Darüber könnte ich Ihnen vielleicht Auskunft geben.«

»Sie?!«

»Als ich in Venedig war, las ich es in der Zeitung. Chile hat bei den Vereinigten Staaten eine Anleihe von 26 Millionen zu 4 Prozent gemacht. Nun nehmen Sie an, Chile hat davon 20 Millionen weiter an das immer geldbedürftige Argentinien verborgt, zu einem Zinsfuß von 6 Prozent – das ist ein Geschäft! Nun möchte ich bloß noch wissen, wer dieser Juarez Travalko eigentlich ist, daß man ihm die Ueberführung anvertraut hat.«

»In drei Tagen werde ich es wissen. Denn jetzt bin ich entschlossen, auch bei der Ankunft dieser Jacht in Buenos Ayres Travalkos Rolle weiterzuspielen, es komme, was da mag.«

– – – – – –

Nobody spielte seine Doppelrolle als erbsengelber Bernard und als dunkelgestreifter Travalko in einer Weise, daß auch nicht das geringste Mißtrauen geschöpft wurde. Daß immer nur einer von beiden sichtbar war, wußte er dem Steward gegenüber durch die Kunst des Bauchredens zu bemänteln. Freilich gehörte Nobodys Geschick dazu, um so etwas fertig zu bringen.

Viel zum Gelingen trug ja mit bei, daß zwischen dem Jachtbesitzer und dem Kapitän, als auch der ganzen Mannschaft eine unübersteigbare Schranke bestand, wohl von dem Kapitän als einem Seemanne, welcher wußte, wie man sich an Bord zu benehmen hat, selbst aufgerichtet. Niemand hätte gewagt, an den Jachtbesitzer eine neugierige Frage zu richten, noch weniger hinter seinem Rücken an den Gast. Und es waren ja nur drei Tage, welche schnell genug vergingen.

Während dieser drei Tage untersuchte Nobody, teils als Bernard, teils als Travalko, das ganze Schiff, unterhielt sich manchmal mit dem Kapitän, mit den Offizieren oder auch mit einem Matrosen, und einiges Neues erfuhr er doch, besonders durch den geschwätzigen Steward.

»Wenn uns Sennor Travalko nur behält,« sagte dieser einmal zu dem Gaste seines Herrn, mit dem er immer vertrauter wurde.

»Nun, kann er euch in Buenos Aires denn gleich wieder abmustern?«

»Natürlich! Warum denn nicht? Er hat uns doch bloß für die Fahrt nach Buenos Aires angemustert.«

Nobody brauchte sich hierüber nicht besonders zu wundern. Dieses Engagement nicht auf Zeit, sondern nur von Fall zu Fall, richtiger von Hafen zu Hafen, ist bei der Seefahrt eben allgemein üblich, auch bei Privatjachten. Es hängt dies mit der ganzen Unsicherheit zusammen, der jedes Schiff ausgesetzt ist. Bleibt die Mannschaft auch im Hafen an Bord, so ändert das doch nichts an der allgemeinen Regel, und bei jeder Abreise wird der Musterkontrakt immer wieder erneuert.

Hier hatte Nobody nach allem, was er bisher zu hören bekommen, einmal eine Ausnahme vermutet; daß es nicht so war, kam ihm sehr zu passe. Schon jetzt stand der Entschluß bei ihm fest, vorausgesetzt, daß alles so kam, wie er hoffte, die ganze Mannschaft in Buenos Aires zu entlassen, wenigstens sie von Bord zu schicken.

Das waren solche Kleinigkeiten, welche Nobody nach und nach erfuhr. Aber wer der Sennor Juarez Travalko sei, was für einen Rang er einnehme, für Nobody die Hauptsache, das konnte er nicht herausbringen.

Der Spanier begehrte noch mehrmals zu sprechen, aber stets ließ er sich nur deshalb den Knebel aus dem Munde nehmen, um Gelegenheit zu haben, nach Hilfe zu rufen, was Nobody immer noch rechtzeitig zu verhindern wußte, und dasselbe galt, wenn der an Händen und Füßen Gebundene gefüttert wurde.

Es war ja grausam, ihn immer so gebunden liegen zu lassen, auch noch einen Knebel im Munde, aber es half nichts, es konnte nicht anders sein, und die drei Tage würde er es schon aushalten.

Am Morgen des zweiten Tages entdeckte Nobody am linken Handgelenk des Spaniers frische Wunden, die nur von Zähnen herrühren konnten. Travalko hatte versucht, Selbstmord zu begehen, sich die Pulsader aufzubeißen, was nun freilich leichter gesagt als getan ist. Sennor Travalko hatte es bei einem Versuch bewenden lassen, und Nobody sorgte dafür, daß er ihn nicht gründlicher wiederholen könne.

Hierdurch aber hatte Travalko auch eine verbrecherische Schuld eingestanden, jetzt mußte er erst recht dem Leben erhalten werden, und da war es um so notwendiger, daß Mojan auch die Rolle des bettlägerigen Kranken weiterspielte, um immer den Gefangenen zu beobachten.

Wie nun, wenn die Jacht in den Hafen von Buenos Aires einlief? Es war doch sicher, daß die große Summe dort von Staats wegen sehnsüchtig erwartet wurde. Sollte da nicht jemand gleich an Bord kommen, den er zum Vorzeigen des Goldes auch in die Fremdenkabine führen mußte?

Vorsicht war in jedem Falle geboten. Daß Nobody die Goldkisten von der einen Kabine in die andere brachte, war nicht angängig, dieses Verlegen einer Last von 100 Zentnern hätte der Steuernde sofort bemerkt, es hätte direkte Schwierigkeiten erzeugt.

Aber da war ja noch eine dritte Kabine vorhanden, in der die Bibliothek, nautische Instrumente und Waffen untergebracht waren, und diese lag mittschiffs. Nobody verschloß die Kajüte, stellte Mojan an, beide stapelten die vielen Kisten im Schweiße ihres Angesichts in dieser Kabine auf, so daß jetzt alle zusammen waren. Da die See ruhig war und das schöne Wetter anhalten würde, war ein besonderes Befestigen der Last, die geschickt gestapelt worden, nicht nötig.

Am Nachmittage des nächsten Tages, also des dritten, lief die ›Hortensia‹ mit der Flut in die Mündung des Paraguay oder Parana, hier aber La Plata genannt, ein, und zwei Stunden später in den Außenhafen von Buenos Aires.

Seltsame Gefühle waren es, welche auf Nobody einstürmten, wie er neben dem Kapitän auf der Kommandobrücke stand und vor sich die große Stadt auftauchen sah.

Was würde er erleben? Von wem würde er empfangen werden? Und er wußte noch nicht einmal, ob der Name Juarez Travalko nicht vielleicht ein nur vorläufig angenommener war, so daß sein Doppelgänger nicht einmal seinen eigenen Namen angeben konnte.

Trotzdem, oder vielmehr gerade! – Gerade diese drohenden Verwicklungen, denen er entgegenging, reizten ihn. Sich aus jeder Schwierigkeit des Lebens durch eigene Kraft herauszuwinden, das war ja seine Lust.

Vorläufig befand man sich noch im Fahrwasser der Reede.

»Wo werden wir anlegen?« fragte der Kapitän.

»Weiß noch nicht,« lautete die barsche Antwort des falschen Prinzen, wie man es von ihm gewöhnt war, ohne es ihm übelzunehmen.

Da kam ein kleiner Dampfer heran, welcher am Heck die Flagge der Steuerbehörde zeigte.

O weh! Für die Steuerbeamten gibt es keine verschlossenen Räume, da muß alles geöffnet werden. Also würden sie auch den gefesselten Spanier zu sehen bekommen, und dann mußten Erklärungen folgen.

Aber gehören denn auf ein Zollboot so viel Herren in Zivil mit Zylindern? Nobody ahnte schon etwas, er atmete erleichtert auf.

»Die Zolluntersuchung, wir müssen stoppen,« sagte der Kapitän und drehte den Signalapparat, ließ die Schraube etwas rückwärts gehen, der Dampfer lag still.

Nobody hatte die Kommandobrücke verlassen und sich dorthin begeben, wo Matrosen das Fallreep niederließen.

Jetzt – jetzt kam es darauf an!

Ueber dem Deck, von dem die Bordwand aufgeklappt, erschien ein schwarzer Zylinder, ein weißbärtiges Gesicht folgte nach, ein hoher Kragen, ein schwarzer Gehrock – und dann stürzte auf Nobody ein alter, patenter Herr zu, schloß ihn in seine Arme und küßte ihn links und rechts auf die Backen.

»Mein lieber, lieber Travalko! Endlich, endlich! Ach, die Angst, die ich um Sie ausgestanden habe!«

Ja, wenn Nobody nur gewußt hätte, wer der Mann eigentlich gewesen wäre! Die Küsse erwiderte er lieber nicht, denn hätte hier ein vertrauliches Verhältnis geherrscht, so hätte ihn der alte Herr wohl geduzt und mit Vornamen angeredet.

Aber eins hatte Nobody nun schon herausbekommen: Juarez Travalko war sein wirklicher Name.

»Alles in Ordnung?«

»Alles.«

»Wo?«

»Dort in der Kajüte.«

Sie schritten dem Kajüteneingange zu. Gesetzt aber nun den Fall, die wußten gar nichts von dem Golde, erwarteten jetzt etwas ganz anderes zu sehen? Doch nein, das war schwerlich anzunehmen.

Es waren noch vier andere Herren da, meist jüngere, alle suchten im Gehen dem vermeintlichen Travalko die Hand zu schütteln.

»Ich gratuliere.«

»Ihr Glück ist gemacht.«

»Jetzt brauchen Sie Ihren Rivalen nicht mehr zu fürchten.«

»Travalko, Sie sind beneidenswert!«

Nobody konnte sich diese Bemerkungen auslegen, wie er wollte.

Da stieß ihn der eine heimlich in die Rippen.

»Haben Sie?« fragte er mit listigem Augenblinzeln.

Nobody blinzelte ebenso listig zurück.

»Schneidiges Weib, was?«

Nobody schnalzte als Bestätigung mit der Zunge. Wenn Sennor Travalko früher nicht so listig mit den Augen geblinzelt und mit der Zunge geschnalzt hatte, so hatte er sich das eben in Valparaiso oder während der Reise angewöhnt.

»Haben Sie es mir mitgebracht?« fragte ihn ein anderer.

Meinte der das schneidige Weib oder was sonst? Nobody blieb bei seinem verschmitzten Augenblinzeln.

»Es ist doch merkwürdig,« sagte ein dritter, »wie man sich auf dem schaukelnden Schiffe einen ganz anderen Gang angewöhnt.«

Au! Also der Gang des falschen Prinzen stimmte nicht! Never mind – der Mann hatte ganz recht, während einer langen Seereise verändert sich der Gang, und das muß dann auch noch an Land vorhalten. O, aus solchen Schwierigkeiten wollte sich Nobody schon ziehen!

Der alte Herr stolperte beim Eintreten in die Kajüte über die hohe Schwelle.

»Hopsa, Exzellenz!« ertönte es im Chor.

Also eine Exzellenz war es! Wieder etwas gelernt. Dann war es jedenfalls auch kein anderer als der Finanzminister Carlos Riego in eigener Person, dessen Namen Nobody in jenem Schreiben gelesen hatte.

Wenn Nobody nur erst erfahren hätte, wer er eigentlich selbst war! Es ist doch äußerst fatal, von seiner eigenen Person nichts weiter zu wissen als nur den Namen.

Die Herren wurden in die Hintere Kammer geführt, wo die Eisenkästen aufgestapelt waren.

»Die sind ja gar nicht plombiert?!« war des Finanzministers erster Ruf, und der treue Schatzvermittler wurde von einem mißtrauischen Blicke getroffen, welcher ganz deutlich fragte: »Du hast von dem Golde doch nichts gemaust?«

Auch Nobody wie Mojan hatten sich schon darüber gewundert, daß die Kästen nur einfache Schlösser gehabt, ohne Plomben.

»Sie sind mir so übergeben worden,« entgegnete Nobody, eine der Kisten nach der anderen öffnend.

Der Anblick der gleißenden Goldbarren und der Doppeladler beseitigten bei den fünf Herren alle anderen Gedanken, sie schienen wie berauscht zu sein, sie hoben die Barren und wühlten in den Goldstücken, in einer enthusiastischen Weise, die bei den Staatsbeamten, denen der Schatz doch gar nicht gehörte, für Nobody ganz unverständlich gewesen wäre, hätte er sich nicht noch rechtzeitig daran erinnert, daß er ja Spanier und Kreolen vor sich hatte. Wenn schon bei uns eine Dame im Modemagazin vor dem Spiegel sämtliche Hüte aufprobiert, obgleich sie ganz genau weiß, daß ihr keiner gehören wird, weil sie ihr alle viel zu teuer sind, so ist ein Spanier noch zu ganz anderen Extravaganzen fähig.

Endlich hatten sich die Herren wieder beruhigt.

»Wir nehmen das Gold gleich mit,« sagte die Exzellenz, »deshalb sind wir ja mit dem kleinen Zolldampfer gekommen, weil die große Jacht ja doch nicht an der Treppe des Finanzgebäudes anlegen kann.«

Ohne weiteres wurde die Ueberfrachtung der Goldkisten von der Jacht auf den Zolldampfer vollzogen. Doch wurden dabei nicht die Jachtmatrosen in Anspruch genommen, sondern nur solche von dem Dampfboot trugen die Kisten hinüber, auch die Winden arbeiteten mit, schon nach einer halben Stunde war es geschehen.

Die fünf Herren beobachteten diese Arbeit mit argwöhnischen Argusaugen, Nobody wußte sich unterdessen unsichtbar zu machen. Er freute sich nur, daß jene zu diesem Zwecke das Zollboot benutzt hatten, so daß dieses ihm nicht gefährlich werden konnte. Denn, wie schon gesagt, was auch ganz selbstverständlich ist – eine genaue Zolluntersuchung hätte für ihn böse ablaufen können.

»Wie steht es mit der Zolluntersuchung?« wandte er sich einmal an einen Beamten, den er für den höchsten hielt.

»O, Sennor Travalko!« stellte sich dieser gleich beleidigt, daß man ihm so etwas noch zumuten könne, zog sein Formularbuch, und Nobody hatte in der Tasche den Schein, der die ganze Jacht zollfrei machte.

Natürlich, wenn jemand im Auftrage des Finanzministers solch einen Schatz ins Land bringt, der darf dann doch nicht mit solchen Kleinigkeiten belästigt werden!

»Auf Wiedersehen, Sie sind heute abend natürlich bei mir,« sagte Exzellenz, als sie sich an Bord des Zolldampfers begab, und ebenso schnell verabschiedeten sich die vier anderen Herren.

Nobody blickte einige Zeit dem kleinen Dampfer nach, schüttelte den Kopf, gab dem sich an ihn wendenden Kapitän die Weisung, die Fahrt nach dem eigentlichen Hafen fortzusetzen und suchte seinen Freund Mojan auf.

Er erzählte, alles möglichst getreu schildernd, bis zu der Abschiedsszene.

Jetzt schüttelte auch Mr. Cerberus Mojan bedenklich seinen dicken Schädel.

»Haben Sie denn gar keine Quittung oder sonst etwas bekommen?«

»Gar nichts.«

»Die haben auch keinen Einblick in die dem Travalko von der chilenischen Regierung ausgestellten Papiere genommen?«

»Noch weniger.«

»Hm. Merkwürdig! Na ja, diese südamerikanischen Republiken kann man ja noch gar nicht zu den zivilisierten Staaten rechnen, da geht es manchmal noch schlimmer zu als in der Hundetürkei und bei den Hottentotten.«

»Und nun hätten Sie sehen sollen, wie die sich von mir verabschiedeten, wie die schnell machten, daß sie mit den Goldkisten fortkamen. Gerade wie – wie ...«

»Wie die Spitzbuben,« ergänzte Mojan. »Na, würde es Sie denn etwa besonders wundern, wenn die jetzt mit den 200 Zentnern Gold durch die Lappen gehen? Fünf Millionen Dollar hat Argentinien noch niemals in der Staatskasse gehabt. Nur bare tausend Dollar brauchten einmal drin gewesen zu sein, da kann man schon lesen, daß irgend jemand damit durchgebrannt ist. Ich kenne doch diese Bande hier.«

Das waren ja nette Aussichten, die sich da eröffneten! Ohne jeden Zweifel hatte Juarez Travalko die Jacht mit Mann und Maus zwischen den weltverlassenen Argonauteninseln versenken wollen, um den Goldschatz dann später für sich selbst zu heben. Nur durch Nobodys Dazwischenkunft und Auftreten war er hieran gehindert worden, und zwar gerade noch rechtzeitig, denn offenbar hatte das Verbrechen gerade an diesem Tage, vielleicht noch in derselben Stunde stattfinden sollen, die Jacht war ja schon in nächster Nähe der Argonauteninseln gewesen.

Durch die Verhinderung an dem Verbrechen war Sennor Travalko unfreiwillig wieder zu einem un-tadelhaften Ehrenmanne geworden. Und jetzt sollte das für Argentinien gerettete Gold wieder von anderer Seite aus entwendet werden?

Doch es konnte ja auch ein ganz grundloser Verdacht sein. Schließlich hatten sich die fünf Herren nicht anders benommen, als wie es bei solchen südamerikanischen Beamten, wenn Geld im Spiele ist, üblich.

Beim Einlaufen in den eigentlichen Hafen näherte sich der Jacht wiederum ein kleiner Dampfer, welcher die Flagge der Seebehörde zeigte.

Die einzige Zeremonie bestand darin, daß dem Kapitän in förmlicher Weise das Logbuch, das Tagebuch des Schiffes, abgefordert wurde. In diesem stand, wohlgemerkt, auch verzeichnet, wie die ›Hortensia‹ vor vier Tagen vom direkten Kurse abgewichen und so nahe an die gefährlichen Argonauteninseln herangekommen war, auf Wunsch oder vielmehr Befehl des an Bord befindlichen Jachtbesitzers.

Dann wurde noch gefragt, ob die Jacht ankern oder am Kai anlegen wolle. Platz sei vorhanden.

»Am Kai,« lautete Nobodys wohlüberlegter Bescheid.

Der mitgenommene Lotse übernahm das Steuer.

»Kapitän Oleda!«

»Sennor?«

»Sofort, wenn wir am Kai anlegen, gehen Sie mit der ganzen Mannschaft von Bord.«

Der Kapitän machte ein sehr bestürztes Gesicht.

»Sie wollen uns abmustern, Sennor?«

»Weiß noch nicht. Sie begeben sich erst in ein Quartier.«

Es erfolgte nicht die geringste Widerrede, keine Frage. Und an Bord geht alles schnell. Sofort packten Offiziere und Leute ihre Sachen.

Nur der Steward hatte noch eine Frage, und sie war berechtigt, denn falls der Sennor an Bord blieb, so mußte er doch Bedienung haben.

»Auch ich und der Koch?«

»Alle!«

Und kaum hatten die Matrosen die Jacht am Kai festgemacht und die Heizer die Kessel abgeblasen, als auch schon sämtliche mit Koffern und Kleidersäcken über das Laufbrett schritten, zwar noch nicht entlassen, was nur auf dem Seemannsamt geschehen konnte, ihr Brotherr, als Schiffsbesitzer Reeder genannt, mußte bis dahin auch ihren Unterhalt an Land bezahlen, aber sie durften doch mit keinem Fuß mehr die Jacht betreten.

Jetzt war Nobody Herr der Situation. Mit eigener Hand hißte er am Topp die Flagge, welche allen Beamten erklärte, daß sie auf der zollfreien Jacht nichts mehr zu suchen hätten, für die anderen wurde einfach die Luke in der Bordwand verschlossen.

Dann begab sich Nobody wieder in die Fremdenkabine, und Mojan wußte, was nun das nächste sein müsse; er war dabei behilflich.

Man hatte dem Gefangenen ja sein Los so viel wie möglich erleichtert gehabt, er wurde nicht mehr durch das unförmige Taschentuch stillgemacht, aber lange hätte er das nicht mehr aushalten können, mindestens mußte er bald die Maulsperre bekommen.

Er wurde in jene hintere, mittschiffs liegende Kabine gebracht, deren Fenster nach einem Korridor hinausging. Hier konnte er so viel schreien, wie er wollte, seine Stimme wurde nicht gehört, weder an Deck noch an Land noch auf der Wasserseite. Nobody gab ihm auch die Hände frei, schloß nur einen Fuß mit einer Kette an einen in die Eisenwand eingelassenen Ring an.

»Barbaren!« war das erste Wort, welches der Spanier hervorbrachte, als er von seinem Knebel befreit worden war.

»Diese Grausamkeit haben Sie selbst verschuldet, indem Sie ständig versuchten, um Hilfe zu rufen. Hier werden Sie es besser haben, es soll Ihnen an nichts mangeln. Nur die Freiheit kann ich Ihnen nicht geben.«

»Mensch, wissen Sie denn gar nicht, was Sie tun?! Sie vergreifen sich an einen unbescholtenen Mann, beweisen Sie mir doch, daß ich ...«

»Sollte nicht das ein Beweis sein, daß im Logbuche steht, wie Sie die Nähe der Argonauteninseln aufgesucht haben?«

Der Spanier lachte verächtlich, es schien ihm aber doch nicht ganz wohl zumute zu sein.

»Ob Sie übrigens,« fuhr Nobody fort, »schuldig oder unschuldig sind, werde ich selbst herausfinden, indem ich auch am Lande Ihre Rolle weiterspiele. Ich bin sehr begierig, was ich da erleben werde. Vielleicht mache ich eine interessante Bekanntschaft.«

Vor allen Dingen machten jetzt diese Worte auf den Spanier einen ganz gewaltigen Eindruck. Er knickte förmlich zusammen.

»Aha, habe ich das Richtige getroffen? Nicht wahr, Sie haben Komplicen, die nun gleich den Sennor Juarez Travalko aufsuchen werden, ihn fragend, ihm Vorwürfe machend, warum er denn nicht den verabredeten Plan, das Schiff mit dem Goldschatze zu versenken, ausgeführt habe.«

Nobody hatte nur zu gut das Rechte getroffen, das war dem Spanier gleich anzusehen.

»Sie sind ein Teufel!« brachte er mit heiserer Stimme hervor.

»Nein, ich bin ein Detektiv.«

Travalko raffte sich mit der Kraft der Todesangst wieder auf.

»Sie sind Mr. Nobody, der Championdetektiv der englischen Königin?« vergewisserte er sich nochmals, und Nobody wußte, weshalb. Diesem Spanier war eben bekannt, welche fast unumschränkte Macht der englische Championdetektiv besitzt, dessen Aussagen doch nicht anzuzweifeln sind!

»Der bin ich.«

»Hören Sie, Mr. Nobody,« stieß da Travalko ruckweise hervor, »lassen Sie mich laufen – und ich verrate Ihnen ein Geheimnis – ein furchtbares Geheimnis – Sie können ein entsetzliches Verbrechen verhüten ...«

»Was für eins ist das?«

»Ein Anschlag gegen das Leben einer Person ...«

»Sprechen Sie sich deutlicher aus.«

»Erst schwören Sie mir zu, daß Sie mich ...«

»Ich schwöre nicht, verspreche Ihnen auch nichts.«

»Es handelt sich um ein Attentat auf eine Majestät.«

»Vielleicht gar gegen das Leben der englischen Königin?« versuchte Nobody jenem eine indirekte Falle zu stellen, um ihn dann der Unwahrheit überführen zu können.

»Erst schwören Sie mir zu, oder Ihr Ehrenwort genügt mir schon, daß Sie mich dann sofort freilassen.«

»Nein, mein Bester, daraus wird nichts, und Sie brauchen sich auch weiter gar keine Mühe mit solchen Lockmitteln zu geben.«

Der Spanier mußte wohl heraushören, daß wirklich hier jede Bemühung vergeblich war.

»Dann sollen Sie aber auch weiter nichts von mir erfahren, kein Wort mehr,« sagte er zähneknirschend und drehte sich herum, daß er mit dem Gesicht gegen die Wand zu stehen kam.

»Haben Sie auch gar nicht nötig. Ich werde in Ihrer Gestalt alles von allein erfahren.«

»Sie werden schon sehen, der Dolch ist für Sie bereits geschliffen.«

»Daß Sie doch noch ein Wort gehabt, nämlich diese Bemerkung gemacht haben, dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. So weiß ich, daß Sennor Juarez Travalko, weil er den verbrecherischen Plan nicht ausgeführt hat, von seinen Spießgesellen mit dem Tode bedroht wird, und ich kann mich vorsehen.«

Der Spanier knirschte nochmals mit den Zähnen, dann aber schwieg er.

»Wir sollten doch die Tortur probieren,« riet Mojan zum dritten Male.

Ja, es war eine fatale Lage, in der sich Nobody durch das Schweigen seines Doppelgängers befand. Er wußte ja noch nicht einmal, ob diese Jacht überhaupt ihm gehöre, jetzt konnte irgendein anderer kommen und ihn davon herunterweisen, abgesehen von allem, allem anderen.

Aber an so etwas wie ein Foltern, um ein Geständnis zu erpressen, dachte Nobody natürlich nicht.

Außerdem war, von einer anderen Seite aus betrachtet, seine Lage ja gar nicht so schlimm. Ein Risiko wenigstens bedeutete es jetzt nicht mehr für ihn, den Champion der englischen Königin. Ja, er hätte jetzt gleich zu den Gerichtsbehörden gehen und alles erzählen können, er hätte die Justiz auf seiner Seite gehabt.

Aber wer wußte denn, wer alles hinter dieser faulen Sache steckte, wie dann alles noch geschoben werden konnte? Vielleicht wäre es das erste gewesen, daß man dem gesetzlich festgenommenen Travalko die Flucht ermöglicht hätte.

Nein, selbst ist der Mann! Das kann man besonders gut sagen, wenn man als erster Kriminalbeamter der ersten Weltmacht eine fast unbeschränkte Amtsbefugnis besitzt. Außerdem war das ja nun so etwas für unseren Nobody, der auch als solider Beamter noch immer seine unüberwindliche Lust zu Abenteuern beibehalten hatte.

Die beiden Freunde hielten eine Beratung ab. Mojan mußte als Gefangenwächter zurückbleiben, sich dann aber auch selbst behelfen.

»An Bord darf kein Mensch kommen, und sollte ...«

Nobody brach ab und lauschte, und jetzt hörte auch Mojan etwas.

»Das sind Schritte an Deck!«

Nobody ging schnell hinaus. Es war ein älterer Herr, der die geschlossene Barriere nicht respektiert hatte.

Ein Blick, und Nobody wußte schon viel.

»Das ist das glattrasierte Gesicht eines Speichelleckers in dienstbarer Stellung,« lautete sofort sein Urteil, noch ehe der Herr sein Gesicht in freudestrahlende Falten zu legen suchte und komplimentierend mit ausgestreckter Hand auf den falschen Jachtbesitzer zutrippelte.

»Tausend Glückwünsche zur fröhlichen Rückkehr, und ich selbst bin glücklich, meinem Gebieter als erster die frohe Botschaft überbringen zu dürfen.«

Nobody legte einen Augenblick seine Hand in die dargebotene und nahm eine unnahbare Stellung an. Ob das für Sennor Travalko in bezug auf diesen Herrn nun stimmte oder nicht, das war ihm ganz egal. Das mußte eben alles probiert werden.

Frohe Botschaft? Was für eine frohe Botschaft konnte der Kerl bringen? Das wollte nun auch erst wieder herausgebracht sein, und da machte es Sennor Travalko nun sehr kurz.

»Und?«

»Ihr sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen,« lächelte das geschmeidige alte Männchen.

»So?« sagte Nobody, und dabei dachte er: Himmelbombenelement, jetzt wird die Sache knifflich!

»Soeben hat Gott es geschehen lassen.«

Ja, was denn nur in aller Welt?

»Und?«

»Es ist – ein – Mädchen.«

Ach du großer Schreck!! Denn nun brauchte Nobody nichts weiter zu hören, um gleich alles zu wissen!«

Der Sennor Travalko da unten hatte zu Hause eine Frau! Jetzt war Nobody glücklicher Vater geworden!

Glücklicher? Diesem Detektiv entging nichts, auch nicht das geringste!

»Es ist – ein – Mädchen,« hatte der Herr gesagt, mit sichtlichem Zögern, und verschwunden war das freudestrahlende Lächeln auf dem glattrasierten Fuchsgesicht gewesen, es hatte einem etwas ängstlichen Ausdrucke Platz gemacht, und wiederum wußte Nobody sofort alles, was er in diesem Augenblicke wissen mußte. Der Hausherr hatte ganz bestimmt einen Jungen erwartet.

Nobody schob also die Augenbrauen hoch.

»Ein Mäd–chen?«

Wie er es hervorgebracht hatte – es war vielleicht gut, daß er sich dabei nicht in einem Spiegel sehen konnte, er wäre wahrscheinlich über sich selbst in ein schallendes Gelächter ausgebrochen.

»Ein Mäd–chen?«

»Es hat dem lieben Gott nicht anders gefallen. Aber ein reizendes Geschöpfchen, süß wie ein Engel.«

»Na, dann geht's. Und meine Frau?«

»Mutter und Kind sind wohlauf und sehnen sich danach, den Papa wiederzusehen,« konnte das Fuchsgesicht jetzt wieder glücklich lächeln. Diese glückliche Dienstbeflissenheit ließ bei dem alten Herrn seltsame Stilblüten treiben.

»Ihre Equipage wartet,« setzte er noch hinzu. »Sennor Travalko werden doch gleich mitkommen?«

»Selbstverständlich. Hier warten!«

Und Papa Nobody begab sich in die Kajüte zurück, in der sich Mojan befand.

»Mojan, gratulieren Sie mir.«

»Wozu?«

»Ich bin Vater geworden.«

»Ach nee!«

Das dicke Männchen hatte jetzt keine Zeit zum Staunen, denn es war soeben dabei, ein Butterbrot zu schmieren und aus einer Konservenbüchse Krabben daraufzulegen.

»Aber es ist nur ein Mädchen, und ich hatte ganz bestimmt einen Jungen erwartet.«

»Mum mum mum mum mum mum mum,« entgegnete Mojan. Mehr war wenigstens nicht zu verstehen, denn er hatte sich den ganzen Mund vollgepfropft.

»Was sagten Sie?«

Ein Druck, ein Schluck, leer war der Mund, und Mojan konnte wieder sprechen.

»Ich sagte, daß jeder Ehemann auf ein Mädchen viel stolzer sein müßte als auf einen Jungen, denn aus einer alten Schachtel eine neue zu machen, das ist die wahre Kunst.«

Weiter ging dieses Zwiegespräch nicht. Es war ja auch nur in der Kajüte einer Zwischenstation auf dem Wege nach jener Kabine gewesen. Mojan folgte ihm.

Hier ließ Nobody natürlich jeden Witz beiseite. Er war sogar etwas weichherzig gestimmt, als er dem Gefangenen die Mitteilung machte.

Hörte Travalko das vielleicht aus der Stimme heraus? Jedenfalls wußte er gleich seinen Vorteil wahrzunehmen.

»Elvira, o, meine Elvira!« begann er plötzlich laut zu schluchzen. »Wir sind erst seit einem Jahre verheiratet!«

»Na, das ist gerade lange genug,« ließ sich hinter Nobodys Rücken Mojans Stimme knurrend vernehmen.

»Und endlich, endlich das ersehnte Kind! Mein lieber Herr, lassen Sie mich doch zu Frau und Kind!«

So flehte er noch weiter, der stolze Spanier brachte es sogar fertig, auf die Knie zu fallen und Nobodys Füße zu umklammern.

Aber das gefühlvolle Herz des Menschen mußte der kalten Vernunft des Detektivs gehorchen. Nobody ließ sich auf nichts ein. Er hatte nur herausgehört, daß Travalkos Gattin Elvira hieß, seit einem Jahre mit ihm verheiratet war, und daß dies das erste Kind war.

»Nein! Allerdings werde ich versuchen, Sie sogar als Gefangenen mit Frau und Kind zu vereinen, aber so, wie Sie es sich denken, geht das nicht. Sie bleiben hier in Gewahrsam, bis sich Ihre Schuld oder Unschuld herausgestellt hat.«

Als der Spanier sah, daß alles vergeblich war, änderte er freilich schnell genug sein Betragen, sogar Frau und Kind bedachte er mit einem fürchterlichen Fluche, was Nobody wiederum sehr zu denken gab, wonach er sich später zu richten hatte.

Jetzt mußte er schnell erst andere Toilette machen. Der dunkle Flanellanzug war ein Bordkostüm und schon stark mitgenommen. Er wühlte aus Travalkos Garderobeschrank einen Gehrockanzug, versah sich aus der Schiffskasse mit genügend Geld, noch einige Instruktionen für Mojan, und Nobody befand sich wieder an Deck, wo der alte Herr wartete.

Vorhin hatte Nobody an einer Straßenecke eine Equipage stehen sehen, jetzt hielt sie dicht vor dem Laufbrett, obgleich das Befahren des Kais verboten war. Demnach war Juarez Travalko eine Person, welche solche polizeilichen Vorschriften ungestraft überschreiten durfte. Die Livree des Kutschers und des Dieners, die beiden edlen Rappen, die ganze Equipage – das war auch ein Mann von Geld!

Was für eine Rolle nun spielte der alte Herr? Fuhr er mit? Mußte Nobody ihn dazu unbedingt auffordern?

Nobody fischte nicht im Trüben, sondern er probierte ganz vorsichtig aus.

»Einsteigen!«

So, das konnte der alte Herr nun auffassen, wie er wollte, oder wie er es gewohnt war.

Nobody schritt stracks über das Laufbrett auf den Wagen zu. Der Kutscher präsentierte mit wagerechter Peitsche, der den Schlag öffnende Diener hatte den lackierten Zylinder in der Hand – und der alte Herr suchte dadurch beim Einsteigen behilflich zu sein, daß er Nobodys Rockschoß in die Höhe hob.

Dann wurde der Schlag sofort geschlossen – nein, der alte Herr war nicht gewohnt, mit Sennor Travalko in einem Wagen zu fahren.

Das waren alles Sachen, die Nobody seinem Gedächtnis einprägen mußte.

Aber er war doch nicht allein in der offenen Equipage. Auf den Polstern hatte ein winziges Bologneserhündchen gesessen.

Herrgott, machte das Vieh einen Spektakel, als der falsche Prinz einstieg!

»Na, kennst du mich denn nicht mehr, mein Liebling?« schmeichelte Nobody, ganz mit Recht annehmend, daß dieser Spanier zu seinem Schoßhündchen liebreicher war als zu seinen Dienern, dabei wohl acht gebend, daß der Liebling ihn nicht in die liebkosende Hand biß.

Nein, die Nase des Hundes ließ sich durch keine Maske täuschen, der wollte den fremden Mann nicht in seiner Equipage haben.

Nun aber wußte Nobody mit Tieren nicht weniger gut umzugehen als mit Menschen. Einige Blicke und Griffe genügten, und das Hündchen lag ganz ruhig neben ihm.

Fort ging es. Wohin? Für den abenteuerlustigen Nobody ward der Nervenkitzel nur immer größer.

Ein eleganter Straßenpassant zog vor dem Insassen der Equipage seinen Hut – Nobody grüßte ebenso höflich zurück.

Ein anderer Herr schwenkte auf dem Trottoir enthusiastisch seinen Sombrero – Nobody hob und senkte seinen Zylinder dreimal.

Aber auch im allgemeinen fand die Equipage große Aufmerksamkeit; wer nicht stehen blieb, blickte ihr wenigstens nach, die Passanten machten sich gegenseitig aufmerksam, und nicht zum mindesten das schönere Geschlecht, und seien es auch nur Bananenverkäuferinnen und Fischweiber.

»Jawohl, ich bin wieder da – ich, Sennor Juarez Travalko!«

Jetzt kam ein Offizier geritten, hinter ihm eine Bande bewaffneter Zigeuner ... pardon, ein Bataillon argentinischer Soldaten.

»Augen rechts!!!«

Wer von den Soldaten nicht gerade nach links blickte, weil es dort etwas Interessantes zu sehen gab, wendete denn auch den Kopf nach der vorgeschriebenen Seite, und wer sich gerade eine Zigarette anbrannte, schielte wenigstens nach der Equipage.

»Halloh, bin ich etwa gar Offizier? Na, wartet, ich will euch Gesindel zwiebeln! Wenn ich nur erst wüßte, wo ich eigentlich wohne.«

»Buenos Dias, Sennor Travalko, hasta feliz luego!« jubelten ihm zwei herausgeputzte Damen zu, die mehr zur halben als zur ganzen Welt zu gehören schienen, und schwenkten ihre Taschentücher. »Bien venida, bien venida – willkommen, willkommen!!«

»Celebro la placer, Sennoras!!« jubelte der falsche Travalko zurück und wedelte mit des echten Travalko Taschentuch.

.

Viel kürzer machte es eine höchst elegante Reiterin, welche auf prächtigem Zelter die Straße entlanggesprengt kam. Sie hatte die Equipage schon passiert, riß ihr Pferd herum, jagte zurück, parierte abermals, hatte mit einem Griffe das Blumensträußchen vom Busen gelöst – und hätte Nobody es nicht geschickt aufzufangen gewußt, so hätte ihm das mit Draht umwickelte Bukettchen ein Auge kosten können.

»Der Sennor Travalko scheint ja hier äußerst beliebt zu sein,« dachte Nobody, »und außerdem scheint er ein rechter Schürzenjäger zu sein.«

Die Equipage hielt in einer Hauptstraße vor einem palastähnlichen Gebäude. Ein reichlivrierter Portier war vorhanden, aber keine Schildwache, und so wußte Nobody wenigstens, daß er kein General war – immerhin eine Erkenntnis.

»Mein Haus habe ich gefunden, nun handelt es sich bloß noch darum, in welcher Etage ich meine Wohngemächer oder zuerst die meiner Gemahlin zu suchen habe, denn der muß doch mein erster Besuch gelten.«

So dachte Nobody, als er aus dem Wagen stieg. Was für ein Risiko war es doch! Durfte er sich denn an einen der vielen sich tief verbeugenden Diener mit der Frage wenden: Hören Sie, wo ist denn meine Frau? Führen Sie mich zu ihr!

Aber Nobody hatte seine Zeit während der Fahrt nicht nur mit humoristischen Betrachtungen der Straßenpassanten vergeudet, sondern er hatte sich auch immer mit dem Wachtelhündchen beschäftigt, dieses als einen Rettungsanker in der Kalamität betrachtend – und siehe da, jetzt wurden seine Bemühungen, das Vertrauen des Tieres zu gewinnen, belohnt.

Freudig kläffend sprang das Hündchen die teppichbelegte Treppe hinauf, den neuen Freund, den es, besonders wegen des Geruches der Kleidung, schon nicht mehr recht von seinem eigentlichen Herrn unterscheiden konnte, zum Mitgehen einladend, vor einer Tür verstummte das Kläffen, die Pfötchen kratzten, und kurz entschlossen öffnete Nobody.

Ein luxuriöses Schlafzimmer, die Jalousien herabgelassen, neben dem Bett im Lehnstuhl eine alte Kreolin – Nobody wußte alles. Er hatte sein erstes Ziel erreicht.

Die alte Frau erhob sich.

»Der gnädige Herr,« flüsterte sie ängstlich und zog sich gleich in den dunkelsten Hintergrund zurück.

Nobody schritt stracks auf das Bett zu, er sah ein schönes, bleiches Antlitz, zwei schwarze Augen blickten ihn angstvoll an, zwei weiße Hände streckten sich ihm flehend entgegen.

»Schlage mich nicht, Juarez, ich kann ja nichts dafür!« erklang es weinerlich mit vor Angst zitternder Stimme.

.

Was Nobody in diesem Augenblicke empfand, das läßt sich nicht beschreiben. Ein furchtbarer Haß erfüllte plötzlich sein Herz, eine Art von Wut, die zu allem fähig ist – und die galt dem Manne, den er an Bord der Jacht gefangenhielt.

»Schlage mich nicht, Juarez, ich kann ja nichts dafür!«

Also dieser Mann war fähig, seine Frau im Wochenbett zu schlagen, weil es nicht ganz nach seinem Wunsche gegangen war, weil sie ihm statt eines Knaben ein Mädchen geschenkt hatte! Denn wäre er dessen nicht fähig gewesen, so wäre die junge Frau doch gar nicht auf solch einen furchtbaren Gedanken gekommen! Da brauchte Nobody nun keinen langen Kommentar. Er hatte so etwas Aehnliches gleich aus dem ängstlichen Verhalten der Wärterin herausgeahnt! Aber solch eine ungeheuerliche Vermutung – Nobody war außer sich.

O, warum hatte er Mojans dreifach gegebenen Rat nicht befolgt! Jetzt noch nachträglich hätte er diesen Unhold mit glühenden Zangen zwicken können, er hätte ihm gar nichts zu gestehen brauchen.

Doch Ruhe, kaltes Blut! Er war hier, um die Rolle des barschen, gewalttätigen Gatten zu spielen. Nur einen Trost durfte und mußte er der leidenden Frau zuteil werden lassen, sonst wäre ihm vielleicht selbst das Herz gebrochen.

»O, Elvira, was traust du mir zu!« sagte er, so weich, wie es die Möglichkeit gestattete, und er beugte sich hinab und küßte die fieberheißen Lippen, ohne jetzt oder später Gewissensbisse darüber zu empfinden.

Und sie schlang die weißen Arme um seinen Hals und drückte ihn an sich.

»Du bist so gut zu mir, mein Juarez!« flüsterte sie zärtlich.

Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre Nobody in ein diabolisches Hohngelächter ausgebrochen. Er war so gut zu ihr, weil er sie nicht prügelte! O, Hohngelächter der Hölle! Aber es gibt solche Weiber genug, da kommt mehr noch als der Charakter die Erziehung in Betracht, besonders die Erziehung zur Ehe in Klöstern, wo jeder selbständige Charakter ausgerottet wird – und er soll dein Herr sein! – das war für Nobody gar nichts Neues mehr.

Er hatte in das Herz der unglücklichen jungen Frau einen hellen Sonnenstrahl gesandt, und nun genug damit! Mehr konnte er nicht tun. Jetzt mußte er der sein, den er vorstellen wollte.

»Wo ist das Kind?« erklang es schon wieder mit einiger Schroffheit.

Die alte Kreolin brachte es aus dem Nebenzimmer, ein – ein ... ein Häufchen Unglück! Von einem ›süßen Engel‹, von dem jener Herr gesprochen, war wenigstens nichts zu bemerken. Das Kind sah aus, wie alle neugeborenen Kinder aussehen – nichts weniger als schön.

Nobody nahm es auf den Arm, es wie ein rohes Ei anfassend, und viel mehr war es ja auch nicht, und schon wandelte ihn wieder sein alter Humor an, jene unwiderstehliche Lachlust, zu deren Bekämpfung der sich ausbildende Detektiv gar lange Zeit gebraucht hatte, als er sagte:

»Glaube, sie sieht mir ganz ähnlich.«

Wieder waren diese Worte gleichbedeutend mit einem Sonnenstrahle des reinsten Glückes gewesen.

»Wie aus den Augen geschnitten!« riefen die junge Mutter und die Wärterin gleichzeitig.

Nobody mußte machen, daß er das Häufchen Unglück der Wärterin zurückgab und schnell hinauskam!

Wohin jetzt? Immer aus einem Zimmer ins andere. Nobody zählte drei Wohnzimmer oder Salons – und dann kam eine verschlossene Tür. Die durfte es für den Hausherrn nicht geben.

Ein Druck auf die elektrische Klingel rief einen Diener herbei.

»Wo ist hierzu der Schlüssel?« wurde der Mann angefahren, denn daß dieser erwartete, so angefahren zu werden, das hatte Nobody doch gleich an seinem ängstlichen Gesichtsausdruck erkannt.

»Sennor hatten Ihr Arbeitszimmer doch selbst abgeschlossen und den Schlüssel mitgenommen.«

Ah, das Arbeitszimmer, das Heiligtum des Hausherrn!

An dem Bunde befand sich der Schlüssel nicht, aber Nobody dachte nicht daran, erst noch einmal an Bord zu gehen und nach dem fehlenden Schlüssel zu suchen oder nach einem Schlosser zu schicken.

»Richtig! Gut!«

Der Diener ging, Nobody zog sein Zauberinstrument von einem Taschenmesser hervor, welches das Ideal jedes Einbrechers gewesen wäre, und die Tür war offen.

In diesem geistigen Arbeitszimmer wurde wirklich gearbeitet. Davon zeugte der mit Tintenflecken bespritzte Schreibtisch, die vielen Bücher, dort auf Stühlen oder auch gleich am Boden liegend, wohin sie beim Wegwerfen gefallen waren, und noch anderes mehr. Dies aber, wie auch die Zigarrenasche verriet, daß hier nicht aufgeräumt wurde, wahrscheinlich nie aufgeräumt worden war. Eben ein wirkliches Heiligtum, welches von keines profanen Dieners Fuß betreten werden durfte.

Nebenan war das Schlafboudoir und die Garderobe des Hausherrn. Hier herrschte Ordnung, obgleich die vom Korridor hereinführenden Türen verriegelt waren. Da nicht anzunehmen war, daß der Hausherr sich das Bett selbst gemacht hatte, da er sonst doch auch das Arbeitszimmer hätte etwas aufräumen können, so war das Schlafzimmer eben erst vor seiner Abreise in Ordnung gebracht worden, dann hatte er es abgeriegelt.

Warum nun ließ er gerade in das Arbeitszimmer niemanden herein? Aus dem einfachen Grunde, weil er hier feine Geheimnisse hatte.

Die Schlüssel zu den Fächern des Schreibtisches hatte Nobody in der Tasche, sie befanden sich am Bunde; und er begann die Visitation.

Sie war ganz erfolglos. Quittierte Rechnungen, andere Schriftstücke – aber absolut nichts, woraus Nobody irgend etwas auf die Person dieses Juarez Travalko hätte schließen können. Vor allen Dingen vermißte er jede Korrespondenz.

Nobody blickte sich weiter im Zimmer um. Es war ein Kamin vorhanden, den man in diesem Teile Südamerikas zur Winterszeit – April bis Oktober – nicht etwa entbehren kann. Und der offene Kamin war mit Papierasche gefüllt, die einzelnen Blätter noch erkennbar.

»Hm. Mir scheint, Sennor Travalko hat damals hier Abschied für immer genommen, hat alles Verfängliche verbrannt, nur bezahlte Rechnungen und so weiter hinterlassen, um zu beweisen, daß er als ein Ehrenmann ins nasse Grab gefahren ist, der Spitzbube!«

Oftmals sind auf der Papierasche noch die Schriftzüge zu erkennen. Aber es gelang nicht, einen Bogen zu retten, bald gab Nobody seine Bemühungen auf.

Worüber erzählten die Seiten der aufgeschlagenen Bücher? Ueber die verschiedensten Sachen, daraus war nichts Genaues zu schließen. Nur das eine Buch interessierte Nobody, es handelte über das Heben von gesunkenen Schiffen, und Nobody lächelte.

»Sie sind unvorsichtig gewesen, mein lieber Sennor, höchst unvorsichtig!«

Die Untersuchung des Schreibtisches war noch nicht beendet gewesen, und aus einem Schränkchen brachte Nobody eine Strickleiter zum Vorschein.

Die Strickleiter ist ein Gegenstand, der nicht unbedingt zu jedem Haushalt gehört, auch nicht in einen Schreibtisch hinein.

Und Nobody sah sich daraufhin um, wie er die Strickleiter, die nicht mehr ganz neu war, mit diesem Schreibzimmer zusammenreimen könne. Da brauchte sein scharfes Auge auch nicht lange zu suchen.

Der starke Haken, der dort in das eine Fensterbrett eingeschraubt war, sah akkurat so aus, als wäre er nur dazu vorhanden, um daran solch eine Strickleiter zu befestigen. Und wie vortrefflich das hier alles paßte! Man konnte den Hinauf- oder Hinabkletternden gar nicht so leicht dabei beobachten.

Das andere Fenster dieses Zimmers hatte nämlich einen balkonartigen Vorbau, ebenso ein Fenster des angrenzenden Schlafzimmers, und so hing die ausgeworfene Strickleiter wie in einer Nische; und unten am Hause befand sich ein großer Park.

Die Vorsicht ging noch weiter. Bei näherer Untersuchung der Strickleiter entdeckte Nobody daran zwei besondere Schnüre, die in Röllchen liefen. Zog man an der einen, so rollte sich die Strickleiter von allein zusammen, beim Ziehen an der anderen faltete sie sich wieder auseinander.

»Hm. Dieser Sennor Juarez Travalko scheint manchmal eine Abneigung davor zu haben, sein Haus durch die Türe zu verlassen, oder er empfängt manchmal Besuch, welcher des Zimmermanns Loch nicht finden kann und eine geschmeidige Strickleiter einer bequemen Treppe vorzieht. Wirklich ein ingeniöser Kopf, dieser Travalko, davon zeugen diese beiden Schnüre hier – ebenso einfach wie sinnreich erdacht. Nun, ich denke von seiner geistreichen Erfindung noch heute Gebrauch zu machen.«

Unterdessen war es dunkel geworden. Nobody ließ die Jalousien herab und brannte das Gas an. Dann wollte er sich umkleiden, und der Hausherr mußte reichlich mit Garderobe versehen sein, darauf ließen die drei großen, sogar riesig zu nennenden Kleiderschränke im Schlafzimmer schließen.

Alle drei waren verschlossen. Das Auge dieses Detektivs vergaß nichts, was es einmal gesehen hatte. Nobody blickte nur einmal in ein Schloß hinein, und er wußte sofort, daß er den passenden Schlüssel an seinem Bunde hatte, auch für die beiden anderen Schränke paßte derselbe.

Er öffnete den ersten Schrank.

»Ahaaa!! Da hat er allerdings einen Grund, seine Garderobe unter Schloß und Riegel zu halten, damit auch der ehrlichste Diener nichts davon zu sehen bekommt! Ei, die Person dieses Sennor Juarez Travalko wird ja immer mysteriöser!«

Perücken, falsche Bärte; die verschiedensten Kostüme; um als Maultiertreiber, als Arbeiter, als Bettler, als Matrose, als Stromschiffer und als Gott weiß was auftreten zu können – die ganze Requisitenkammer eines Schauspielers!

Der zweite Schrank enthielt die elegante Garderobe, wie sie einem Kavalier entsprach, der dritte hinwiederum durfte gar nicht den Namen eines Kleiderschrankes führen, sondern den eines Waffenarsenals – Handwaffen aller Gattungen, doch am meisten Revolver vorherrschend und – der schwere Entersäbel!

Prüfend hatte Nobody solch eine Klinge in die Hand genommen. Doch er unterdrückte jetzt jede Grübelei, was Sennor Travalko mit Entersäbel und Entermessern zu tun hatte; er hing die Waffe wieder auf und wendete sich dem ersten Schranke zu, dem er nach kurzer Wahl einen Arbeiteranzug entnahm, ihn anlegend.

Um sein Gesicht zu verstellen, brauchte Nobody weder Perücke noch Bart – die Züge in andere Falten gelegt, an dem Kinn geknetet, einmal mit den Fingern durch die Haare gestrichen, und er war ein total anderer.

Nun das Gas wieder aus, die Strickleiter befestigt, das betreffende Fenster geöffnet, hinabgestiegen und die Strickleiter mittels der einen Schnur wieder hinaufgezogen.

Wenn nun jemand nach Sennor Travalko fragte, von dem die Diener wußten, daß er sich zu Hause, in seinem separaten Zimmer befand?

Nobody fürchtete nichts dergleichen. Er nahm mit Bestimmtheit an, daß Travalko öfters die Strickleiter benutzte, also solche heimliche Ausflüge machte, und dieser so barsch auftretende Spanier, der seine junge Frau prügelte, war sicher nicht der Mann, der sich durch seinen Diener oder durch sonst jemanden in seinen Appartements stören ließ.

Das letzte Viertel des Mondes erhellte die Nacht. Nobody schlich durch den waldigen Park, kam an ein Gitter, überstieg es, mußte noch über das eines Nachbargartens klettern, und er befand sich in einer einsamen Villenstraße, von der aus er in ein belebtes Viertel gelangte.

Nobody war nicht zum ersten Male in Buenos Aires. Auch in der argentinischen Hauptstadt hatte der Detektiv, dessen Netz die ganze Welt umspannte, seine Hilfskräfte und Spione. Aber so wenig er daran gedacht hatte, einen dieser Leute an Bord der Jacht als Wächter des Gefangenen anzustellen, so wenig wollte er sich jetzt an sie wenden, um über die Person Travalkos Auskunft zu erhalten. Das konnte vielleicht noch geschehen, wenn es nötig war, sonst aber unterhielt er diese Hilfskräfte in den fremden Städten eigentlich zu ganz anderen Zwecken, und Nobody war immer selbst der Mann.

Um die neueste Neuigkeit zu erfahren, brauchte er sich gar nicht an eine einzelne Person zu wenden. Die Leute erzählten es sich auf der Straße.

»Wissen Sie es schon?«

»Jawohl, Sennor Juarez Travalko ist es gewesen, der die fünf Millionen Pesos hergebracht hat.«

Schon diese wenigen Worte erzählten Nobody gar viel. Eigentlich aber war für ihn etwas ganz Selbstverständliches dabei.

Die öffentliche Unsicherheit ist in Südamerika ja noch größer als in den Vereinigten Staaten. Daran, den großen Goldschatz von Valparaiso nach Buenos Aires auf dem Landweg zu transportieren, wäre gar nicht zu denken gewesen. Die Entfernung beträgt zwar nur zweihundert deutsche Meilen, aber das ist alles pfadlose Prärie, dort Pampas genannt, auf ihr herrschen die Penchuenchen in völliger Unabhängigkeit, jede Gelegenheit, um den Kopf eines Blaßgesichtes auf die Lanze spießen zu können, wahrnehmend – die Penchuenchen sind keine Skalp-, sondern Kopfjäger – auch der weißen Pampasräuber gibt es genug – kurz und gut, da hätten selbst einige Regimenter den Goldtransport nicht beschützen können.

Das Gold mußte auf dem Seewege transportiert werden, um Kap Horn herum. Auf einem Kriegsschiffe? Amerikanische Räuber sind imstande, ein ganzes Kriegsschiff zu stehlen. Und wer garantiert dafür, daß Offiziere und Matrosen sich nicht in die Goldbarren teilen und mit ihnen das Weite suchen? Hier liegen eben südamerikanische Verhältnisse vor. Gesindel, alles nichtsnutziges Gesindel! Jeder hält sich selbst für einen tadellosen Cavallereseo, aber keiner traut dem anderen weiter, als er ihn sehen kann, und noch nicht einmal so weit.

Vor allen Dingen mußte die Ueberführung des Goldes ganz heimlich geschehen, die Oeffentlichkeit durfte nicht erfahren, welches Schiff dazu benutzt wurde.

So hatte der auserwählte Transporteur als Privat- und Sportsmann sich in Valparaiso erst eine Jacht gekauft – jetzt erst erfuhr das Publikum, daß die ›Hortensia‹ die zweihundert Zentner Gold an Bord gehabt hatte.

Nun mußte Nobody wissen, weshalb die Wahl gerade auf Juarez Travalko gefallen, wer dieser Mann überhaupt war; das konnte er aus den Straßengesprächen nicht erfahren, höchstens hörte er Bemerkungen wie: ›Ich habe mir ja gleich gedacht, daß es Travalko war, einem anderen hätte man doch auch die große Summe gar nicht anvertrauen können‹.

In einer Kneipe machte Nobody die Bekanntschaft eines deutschen Arbeiters, der schon seit vielen Jahren in Buenos Aires sein Brot verdiente und der ihm einen viel sachgemäßeren Bericht geben konnte, weil dieser durch keine spanische Prahlerei und Flunkerei getrübt wurde. Auch sonst war der Mann sehr gut orientiert. Die Hauptsache können wir kurz genug machen.

Juarez Travalko war der Schwiegersohn von Pinto Aleardes, er hatte dessen einziges Kind geheiratet, die Elvira, und Pinto Aleardes galt als der reichste Mann von Argentinien, er wurde auf vier Millionen Pesos geschätzt, und so hatte man eben seinen zukünftigen Erben zu dieser Mission ausersehen, wozu sich der schneidige Juarez auch recht gut eignete. Daß er nicht im Staatsdienst stand, hatte dabei nichts zu sagen. Die Hauptsache war, daß er die meiste Garantie bot, nur eine Million Pesos weniger als der Wert der Goldfracht betrug.

So die ganz einfache Erklärung. Für Nobody genügte sie natürlich noch lange nicht. Läßt man denn vier Millionen fahren, die man ehrlich in der Tasche hat, um zu versuchen, fünf Millionen zu stehlen, was aber auch mißlingen kann?

»Was ist denn dieser Pinto Aleardes?«

»Schiffsreeder. Das heißt, er betreibt nur Flußschiffahrt. Fast alle die Fahrzeuge, welche den Parana und La Plata und Uruguay befahren, gehören dem Aleardes. In diesen großen und kleinen Flußdampfern und Kähnen stecken seine vier Millionen, die jährlich etwa 200 000 Pesos Reingewinn abwerfen. Aber der alte Aleardes hat nichts von diesem Reichtum.«

»Weshalb nicht?«

»Der sitzt im Irrenhaus.«

»Er ist irrsinnig?«

»Seit einem Jahre. Gleich nach der Hochzeit seiner Tochter mit Travalko ist er plötzlich übergeschnappt.«

»Und jetzt führt Travalko das Geschäft?«

»Nein. Der streicht nur das verdiente Geld ein und bringt es unter die Leute. Und im Geschäft hat er auch gar nichts zu sagen, da hat der Alte, als er noch vernünftig war, einen gerichtlichen Antrag gemacht, sein langjähriger Geschäftsführer ist sein Stellvertreter, und solange Aleardes lebt, läßt der den Schwiegersohn nicht ins Geschäft.«

»Und wenn Pinto Aleardes stirbt?«

»Ja, dann freilich ist nichts mehr zu wollen, dann ist Travalko der Universalerbe und kann machen, was er will. Aber Aleardes kann noch lange leben. So alt ist er noch gar nicht, in die vierzig, und abgesehen von seinem Wahnsinn soll er sich noch bei bester Gesundheit befinden.«

Ahaaa! Jetzt ändert sich die Sache ganz bedeutend! Es gibt genug ungeduldige Naturen, die nicht warten können, bis die Erbschaft ihnen zufällt. – eher sind sie zu einem Verbrechen fähig.

»Wer ist denn dieser Juarez Travalko. Woher stammt er?«

»Sein Vater war ebenfalls ein Schiffsreeder, aber nicht zu vergleichen mit Aleardes, hatte nur zwei kleine Flußdampfer, von denen den einen Juarez als Kapitän führte. Das Geschäft ging nicht besonders, die Schiffahrt hatte damals so von den Strompiraten zu leiden ... haben Sie davon nicht schon gehört?«

Ja, von den Flußpiraten des La Plata hatte Nobody schon genug gehört. Vor einigen Jahren hatte er sogar die Absicht gehabt, da ein Wort mit hineinzureden, doch gerade zu jener Zeit hatten die Piraten eine empfindliche Schlappe erhalten, man war erfolgreich gegen sie vorgegangen, seitdem hörte man nichts mehr von ihnen, und auch Nobody hatte sich nicht weiter darum gekümmert.

»Der alte Travalko machte bankrott, Juarez trat als Kapitän in Aleardes' Dienste, der auch sehr unter den Attacken der Flußpiraten zu leiden hatte. Da machte ihm Juarez einen Vorschlag, er wollte, wenn ihn Aleardes mit allem Nötigen unterstütze, auf eigene Faust einen Krieg gegen die Piraten führen. Und Juarez war auch der Mann dazu, denn keiner kennt das ganz ungeheure Stromgebiet besser als er, und noch immer war er mit seinem Dampfer den Piraten entschlüpft.

»Aleardes ging also darauf ein, und innerhalb eines halben Jahres hatte Juarez vier Piratenschiffe vernichtet, ihren Schlupfwinkel aufgestöbert und gegen ein Dutzend Piraten lebendig gefangen der Regierung ausgeliefert, daß sie gehangen werden konnten. Das ist nun zwei Jahre her, und seitdem hat man gar nichts wieder von Flußpiraten gehört.

»Juarez Travalko war natürlich der Held des Tages. Er verlobte sich mit Aleardes' Tochter, trat als Teilhaber in das Geschäft ein. Aber das dauerte nicht lange. Juarez wollte Neuerungen einführen, hauptsächlich die vielen Schiffe, welche seither immer nur auf fremde Rechnung fuhren, auf eigenes Risiko mit Fracht beladen. Dem war Aleardes entgegen, besonders auch der alte Johnson, der Geschäftsführer, dem Aleardes schon immer fast alles überließ. Aber Juarez wollte nicht nachgeben, es soll einmal im Bureau zu einer heftigen Szene gekommen sein, und da ist Juarez wieder ausgetreten.«

»Aber die Tochter hat er dennoch geheiratet?«

»Ja. Mit der Liebe hat das Geschäft nichts zu tun. Und Aleardes war ja auch ganz damit einverstanden, Juarez hatte ihm ja tatsächlich viel gerettet, nur in das Geschäft wollte er sich nicht hineinreden lassen.«

»Und dann ist der Alte irrsinnig geworden?«

»Gleich am Tage nach der Hochzeit.«

»Wie äußert sich denn sein Wahnsinn?«

»Er hält sich für einen Flußpiraten, alle seine Verwandten, auch seinen Schwiegersohn und seine Tochter.«

»Soso,« brummte Nobody.

Er hätte gern noch weiter betreffs des Wahnsinnigen gefragt, aber da wendete er sich wohl besser an eine andere Quelle.

»Was treibt Travalko denn jetzt?«

»Der privatisiert, macht sich das Leben schön, und mit 200 000 Pesos jährlichem Einkommen kann er das ja auch.«

»Er ist wohl ein rechter Lebemann!«

»Na ja, geknausert hat er niemals. Und wenn er das Geld so mit vollen Händen ausstreut, da hat er wohl guten Grund dazu, denn jedenfalls wird er bei der nächsten Präsidentenwahl von seinen Freunden als Kandidat ausgestellt werden, und solche Freunde wollen doch erst mit Geld erworben sein.«

»Sonst kann er aus dem Geschäft seines Schwiegervaters kein Geld ziehen?«

»Absolut nicht, das hält der alte Johnson in seinen Krallen fest, und seit er als General-Bevollmächtigter statt des wahnsinnigen Chefs unumschränkt schalten und walten kann, darf Juarez nicht mehr über die Schwelle des Bureaus kommen.«

»Da macht Juarez wohl noch Schulden auf seine zukünftige Erbschaft hin?«

»Davon ist mir nichts bekannt. Na, und ich denke doch, wenn man jährlich 200 000 Pesos hat, fast eine Million Mark, da braucht man doch keine Schulden mehr zu machen.«

Es war zwar ein für seine Verhältnisse recht gebildeter Mann, der so sprach, aber immerhin, es war doch ein Arbeiter, der das Geld mit ganz anderen Augen ansah, der sich mit 100 000 Mark schon für einen schwerreichen Mann gehalten hätte.

»Lebt er denn glücklich mit seiner Frau?«

»Na, ich denke doch, wenn man gesund ist und so eine junge, hübsche Frau hat und Geld im Ueberflusse vorhanden ist, da kann's doch gar keine unglückliche Ehe geben.«

Es war eben ein Arbeiter mit seinem eigenen Gesichtskreis. Jedenfalls aber war dem sonst sehr gut orientierten Manne nichts davon bekannt, daß Travalko seine Frau sogar prügelte.

»Er ist doch ein recht grober, barscher Mensch, habe ich gehört.«

»Ach, das scheint nur so, weil er so kurze, schnelle Bewegungen hat und auch alles so herauspoltert. Er ist eben sehr energisch. Aber sonst kommt jeder mit ihm aus, in seinem Hause hat sich kein Diener über ihn zu beklagen, und seine Frau trägt er auf den Händen.«

Ah! Also diesen Anschein der ehelichen Liebe hatte Travalko in der Gesellschaft und in der Öffentlichkeit zu erwecken gewußt! Nobody konnte etwas ganz anderes erzählen. Und die junge Frau, als vornehme Spanierin ganz sicher in einem klösterlichen Stift erzogen, wagte sich niemandem anzuvertrauen, ebenso schwiegen angstvoll auch die anderen, welche die Wahrheit kannten, wie z. B. die Wärterin und vielleicht auch die Hausdiener.

Nun hatte Nobody bloß noch eine wichtige Frage zu stellen.

»Was für ein Bewandtnis hat es denn mit der ›Hortensia‹? Ist die Jacht wirklich von Travalko gekauft worden, oder hat die Regierung sie erworben, oder wie verhält sich das sonst?«

»Soviel ich bisher gehört habe, hat Travalko sie für sich selbst als Lustjacht gekauft. Er brauchte sie ja nicht bar zu bezahlen, der hat doch Kredit, soviel er will.«

.

Diese Auskunft war für Nobody sehr günstig. Er war schon in Sorge gewesen wegen seines Freundes und wegen des Gefangenen. Denn wäre die Jacht jetzt Eigentum der Regierung oder irgendeiner anderen Person gewesen, so wären doch wohl bald fremde Leute daraufgekommen, um sie zu besichtigen. War Travalko wirklich der Eigentümer, dann war so etwas nicht zu befürchten.

Nobody wußte vorläufig genug über seine eigene Person. War nicht zu erwarten, daß der Held des Tagesgespräches, der sich um das Vaterland so verdient gemacht, noch heute abend Besuche erhielt, sollte er nicht noch heute beim Finanzminister als Gast erscheinen?

Nobody hielt es für das Beste, sich sofort wieder nach seiner Wohnung zurückzubegeben und dort das Weitere abzuwarten.

So tat er denn auch, er ging denselben Weg zurück, schlich durch den Park bis an das betreffende Fenster, die Schnur funktionierte, die Strickleiter kam herab, und Nobody befand sich wieder in dem Arbeitszimmer. Die ganze Exkursion hatte kaum eine halbe Stunde in Anspruch genommen.

Es war zehn Uhr. Was nun? Zunächst mußte sich der Arbeiter wieder in den eleganten Hausherrn verwandeln.

Kaum war Nobody hiermit fertig, als ein Geräusch sein Ohr traf, das ihn sich schnell umdrehen und nach dem Revolver in der Tasche greifen ließ.

Es war ein Knacken gewesen, Nobody wußte sogar, daß es aus dem parkettierten Fußboden kommen mußte, er hatte es gewissermaßen mit den Fußsohlen gehört, und da klappte auch schon dicht vor dem Kamin ein Quadrat des Parketts in die Höhe, ein menschlicher Kopf erschien, ein Mann kletterte aus dem Loche, und vor Nobody stand ... kein anderer als der echte Juarez Travalko!

So wenigstens hätte wohl jeder andere Mensch glauben müssen, der den Spanier kannte. Es war eben Juarez Travalko mit dem schönen, etwas wüsten Gesicht in eigener Person, und daß er jetzt einen anderen Anzug trug, hatte doch nichts zu sagen.

Doch dieser Detektiv ließ sich durch nichts täuschen. Wohl waren das dieselben unsteten Augen – und dennoch waren das andere Augen – das war ein anderer Blick – das war nicht der Juarez Travalko, den Nobody gefangengenommen hatte – das war sein Doppelgänger!

»Die Pest über dich!!«

So begrüßte der dem Boden Entstiegene zischend seinen Doppelgänger, den er für den Hausherrn hielt.

Nobodys Entschluß war sofort gefaßt. Hier konnte eine Entdeckung nicht ausbleiben. Und da erkannte er in diesen Augen etwas, was ihn mit wildem Jubel erfüllte! Zwischen diesen und dem Gefangenen an Bord der Jacht war noch ein anderer großer, großer Unterschied, ein Unterschied der Seele!

Vorläufig nahm Nobody eine trotzige Miene an, er verschränkte die Arme über der Brust und schaute den anderen herausfordernd an.

»Nun?«

»Nun?!« wiederholte sein Ebenbild höhnend. »Du willst wohl auch noch wissen, weshalb ich komme? Der Teufel soll dich holen! Mensch, hast du denn das Gold wirklich hierhergebracht? Warum hast du die Jacht nicht bei den Argonauteninseln versenkt? Entweder bist du ein Verräter, oder du hast wieder einmal einen genialen Plan ausgeheckt, so genial, daß ihn keiner von uns allen begreifen kann. Gib eine Erklärung!«

Nein, die wollte Nobody vielmehr von seinem Doppelgänger haben, aber auf friedlichem Wege ging das jetzt nicht mehr ab.

Ein Sprung, ein Griff, der andere lag in einem Polsterstuhl, Nobody drückte ihn mit einem hochgezogenen Knie nieder, die eine Hand umklammerte beide Handgelenke wie mit einem Schraubstock, die andere Hand schnürte die Kehle zu.

»Blicke mich an!«

Es war nur nötig, daß Nobody einen einzigen Blick der unsteten Augen auffing, sofort hatte er den Blick regungslos auf sich gebannt, und da verdrehten sich auch schon die gefesselten Augen nach oben – der Mann war hypnotisiert!

Und das war es gewesen, das war der Unterschied, den Nobody beim ersten Blick herausgefunden hatte! Jener Juarez Travalko von der Jacht war für Hypnose nicht empfänglich gewesen, dieser hier unterlag dem Blicke des meisterhaften Hypnotiseurs, er mußte es, das hatte Nobody wenigstens mit Sicherheit angenommen, und hier war die Richtigkeit dieser Annahme erbracht!

»Hörst du mich sprechen?«

»Ich – höre dich,« erklang es röchelnd zurück.

»Wie heißt du?«

»Antonio – Miguel.«

»Antonio Miguel, du wirst mir gehorchen, ich befehle es dir!«

»Ich – gehorche.«

»Du wirst mir auf alle meine Fragen der Wahrheit gemäß antworten!«

»Der – Wahrheit – gemäß.«

Wir lassen die beiden allein.

– – – – – –

Der damalige Präsident der Republik Argentinien war José la Rosa.

Wir haben von den spanischen Kreolen nicht zum besten gesprochen und können es auch niemals tun. Es ist und bleibt ein Lumpengesindel. Aber Ausnahmen gibt es überall, die haben wir auch stets hervorgehoben, zu diesen Ausnahmen gehört der Kapitän Oleda und auch dieser Präsident la Rosa.

Schon als Advokat hatte er sich durch seine Energie und durch seine Unbestechlichkeit einen Namen gemacht, und wenn er als Präsident von der Gegenpartei, die seiner Wahl entgegen gewesen, so grimmig gehaßt wurde, so geschah dies wiederum nur wegen dieser seiner unbestechlichen Gerechtigkeit. Sonst aber mußten auch seine Feinde ihm Dank zollen, denn José la Rosa hatte während dreier Jahre das Regierungsschifflein, immer etwas wrack, immer etwas leckend, mit klugem Kopfe, klarem Auge und starker Hand durch all jene Klippen gesteuert, welche diese unglücklichen südamerikanischen Staaten beständig mit Vernichtung bedrohen, durch einen Bürgerkrieg, durch Annektierung von einem stärkeren Staat oder von sonst etwas. Ruhe ist ja dort niemals.

Es war kurz vor Mitternacht. In der Wachtstube des Parlamentspalastes, in dessen einem Flügel auch der jeweilige Präsident wohnte, rüsteten sich die Soldaten zur Ablösung. Zu der Wohnung des Präsidenten wie überhaupt ins Innere dieses Hauses gab es bei nächtlicher Zeit keinen anderen Weg als durch diese Wachtstube, es sei denn, der Präsident hätte Gäste oder erwartete einen nächtlichen Besuch, vielleicht einen Boten mit wichtiger Meldung.

Ein Zivilist betrat die Wachtstube, ein anständig gekleideter Mann.

»Sie wünschen?« fragte der wachthabende Offizier.

»Ich muß sofort den Präsidenten sprechen.«

Natürlich war alsbald die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Solche Fälle waren ja schon vorgekommen, aber es waren doch stets Ausnahmen, und dann mußte es sich auch um etwas sehr Wichtiges handeln.

»Wie ist Ihr Name?«

»Lassen Sie, bitte, diesen Brief dem Herrn Präsidenten übermitteln, er wird mich sofort empfangen.«

Der Offizier nahm den dargereichten Brief, drehte ihn unschlüssig in den Händen. Der Mann sah ja ganz anständig aus, am wenigsten wie ein Irrsinniger, denn mit einem solchen haben derartige Posten immer zu rechnen.

»Der Herr Präsident wird sich schon zur Ruhe begeben haben.«

»Dieses Schreiben muß ihm übermittelt werden, es ist von höchster Wichtigkeit und von größter Eile. Sie sind für jede Verzögerung verantwortlich.«

Das schnitt jede weitere Frage und Bemerkung ab, der Wachthabende hatte seine Instruktionen.

»Leutnant Diego, befördern Sie diesen Brief, übergeben Sie ihn dem Kammerdiener. Bitte, nehmen Sie Platz!«

Der junge Leutnant mit der Ordonnanzschärpe entfernte sich mit dem Briefe, der Zivilist setzte sich einstweilen. Er brauchte nicht lange zu warten, bald kam die Ordonnanz zurück.

»Bitte, folgen Sie mir!«

Es ging durch gar viele Korridore, eine Treppe hinauf und dann wieder durch Gänge, deren Ausstattung immer kostbarer wurde.

»War der Herr Präsident schon schlafen gegangen?« fragte der Zivilist unterwegs einmal.

»Ja. Aber geschlafen hat er wohl nicht, es ging sehr schnell, der Kammerdiener hatte die größte Eile, mir den Auftrag zu geben, den Ueberbringer des Briefes zum Präsidenten zu führen.«

Schon bei jeder Gelegenheit während dieses Ganges hatte der Leutnant den Herrn neugierig von der Seite betrachtet. Da mußte im Vorzimmer des Präsidenten etwas Besonderes vor sich gegangen sein, und wer wußte denn, wer dieser nächtliche Besuch war? Jedenfalls kein gewöhnlicher Sterblicher, jedenfalls handelte es sich hier um etwas von höchster Wichtigkeit, darnach schien das Betragen des Kammerdieners beschaffen gewesen zu sein.

Der Zivilist wurde von einem Diener in Kniestrümpfen in Empfang genommen, gleich darauf stand er vor dem Präsidenten der Republik Argentinien.

José la Rosa, ein kleiner, sehniger Mann mittleren Alters mit energischen, aber freundlichen Zügen, war wirklich schon im Bett gewesen, hatte einen Hausrock übergeworfen. Er stand mitten im Zimmer, nicht einen Brief, sondern die Karte in der Hand, die das Kuvert nur enthalten hatte, mit zwei Zeilen beschrieben, und ließ die klugen Augen voll Erwartung, dem auch Staunen beigemischt war, auf dem Eintretenden haften.

»Ist es möglich?!«

Das waren die ersten Worte, mit denen er den sich Verbeugenden empfing.

»Ich bin der, dessen Name schriftlich auf der Karte steht.«

»Sir Alfred Willcox, genannt Nobody, der Championdetektiv der englischen Königin!«

»Ich bin es.«

Schnell hatte sich der ehemalige Advokat von seiner Ueberraschung wieder erholt. Er machte eine Handbewegung nach einem Stuhl, rückte für sich selbst einen zweiten heran.

»Nobody, der englische Championdetektiv, von dem ich schon gar viel gehört habe, hält sich nicht umsonst in Buenos Aires auf, noch weniger wird er mich umsonst aus dem Bett geholt haben. Nehmen Sie Platz. Wir sind hier völlig ungestört, brauchen nicht einmal unsere Stimmen zu dämpfen.«

Sie saßen sich gegenüber.

»Es handelt sich um den Mann, welcher das chilenische Gold nach Argentinien gebracht hat – um Sennor Juarez Travalko,« eröffnete Nobody das Gespräch.

Sofort blickte der Präsident doppelt überrascht aus, eine Erregung befiel ihn gleich.

»Haben Sie gegen diesen Mann einen Argwohn?« stieß er hastig hervor.

»Gestatten Herr Präsident, daß erst ich einige Fragen stelle. Dies wird die Sache ungemein erleichtern.«

Schnell hatte sich la Rosa wieder in der Gewalt, und jetzt ließ er sich durch nichts mehr aus seiner Ruhe bringen, wenigstens vorläufig nicht.

»Immer fragen Sie. Ich kann mich mit Ihnen in Abwicklung dergleichen Angelegenheiten doch nicht messen.«

»Haben Sie selbst gegen Juarez Travalko einen Verdacht?«

»Ja.«

»Welchen?«

»Eigentlich nicht direkt einen Verdacht – es liegt nur etwas für mich Unerklärliches vor, weswegen Travalko morgen Rechenschaft ablegen muß.«

»Und was ist das? Sie können gegen mich ganz offen sein, ich bin ...«

»Selbstverständlich werde ich Ihnen nichts vorenthalten. Die Sache ist die: die Eisenkästen, welche das Gold enthielten, sind Travalko vom chilenischen Schatzamt versiegelt und plombiert übergeben worden. Das weiß ich ganz bestimmt, das habe ich brieflich, das ist ja überhaupt gar nicht anders denkbar. Bei der Ankunft hier waren die Kisten ohne Plomben. Travalko hat dem Finanzminister und noch anderen Herren gegenüber behauptet, die Kisten wären ihm so unplombiert übergeben worden. Das ist ganz einfach eine Lüge. Er hat die Plomben doch jedenfalls selbst entfernt. Aber weshalb – das eben ist mir vorläufig ein unergründliches Rätsel. Morgen werde ich Travalko deshalb vernehmen.«

»An dem Golde fehlt doch nichts?«

»Kein Adler, von den Barren kein Quentchen, und nichts von einer Fälschung oder dergleichen. Die Untersuchung wurde noch heute abend vorgenommen, ich selbst war zugegen.«

»Haben Herr Präsident schon das Logbuch der ›Hortensia‹ geprüft?«

»Nein. Damit habe ich auch gar nichts zu tun. Doch was ist mit dem Logbuch?«

»Ist Ihnen auch noch nichts vom Seemannsamt deshalb berichtet worden?«

»Auch nicht.«

Nobody befriedigte keine etwaige Neugier, er sprang von diesem Thema ab, ohne daran gehindert zu werden.

»Hielten auch Sie diesen Juarez Travalko für den geeignetsten Mann, den Goldschatz zu transportieren?«

»Der Senat wählte ihn, das entschied, er war auch wirklich der einzige, der durch sein Vermögen eine Garantie bieten konnte.«

»Ohne dieses Vermögen, das eigentlich noch ganz in der Luft schwebt, hätten Sie ihn nicht dazu auserlesen?«

»Hm. Er hat ja, zumal früher, ein etwas leichtsinniges Leben geführt, aber sonst ist er ein Ehrenmann,. dem absolut nichts nachzusagen ist. O ja, auch ich, wenn ich allein zu bestimmen gehabt, hätte ihn mit dem Goldtransport betraut.«

»Dann hätten auch Sie dazu einen Räuberhauptmann, einen professionellen Dieb und Einbrecher auserwählt, wie es in Wirklichkeit denn auch geschehen ist. Nur einem Zufalle ist zu verdanken, daß das Gold sein Ziel erreicht hat. Travalko hat es stehlen wollen.«

Diese Worte mußten natürlich wie ein Donnerschlag wirken. Weit beugte sich la Rosa vor.

»Räuberhauptmann? Dieb? Einbrecher? Von wem sprechen Sie denn?«

»Von Sennor Juarez Travalko.«

»Von dem Schwiegersohne Alcardes'? Sie scherzen.«

»Dieser Juarez Travalko, der Schwiegersohn des reichen Pinto Alcardes, ist der Anführer jener Flußpiraten, welche damals auf dem La Plata bis hinauf zum Parana ihr Wesen trieben und welche auch noch heute existieren, nur auf das Zeichen wartend, welches ihnen Travalko gibt, um ihre alte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Unterdessen ernährt sich die gegenwärtig aus 28 Köpfen bestehende Bande schlicht und recht durch Viehdiebstähle in den Pampas und durch Einbrüche in den Städten, kurz, sie haben ihre Tätigkeit einstweilen vom Wasser auf das Land verlegt, bis die Stromverhältnisse wieder günstigere sind, und auch an Land ist noch heute Juarez Travalko ihr Hauptmann, der besonders hier in Buenos Aires, wo mancher Juwelenschmuck zu holen ist, ausbaldowert. Aber auch sonst überall in Argentinien und im benachbarten Uruguay, wenn irgendwo in einer Stadt oder Ansiedlung oder auf einer einsamen Plantage ein listiger Einbruch oder ein kühner Ueberfall geschehen ist, können Sie sicher sein, daß Juarez Travalko der Anführer der maskierten Räuber gewesen ist.«

Die Erklärung, obgleich ganz ruhig ausgesprochen, mußte natürlich erst recht wie ein Donnerschlag wirken. Lange Zeit saß la Rosa wie gelähmt da.

»Nein! Nein!!« stieß er dann endlich hervor. »Das ist zu ungeheuerlich, um es glauben zu können, das ist ja überhaupt ganz unmöglich!!!«

»Wieso unmöglich?«

Jetzt verwandelte sich der Präsident wieder in den Advokaten, der seinen Klienten zu verteidigen sucht.

»Ich will noch nicht fragen, woher oder auf welche Weise Sie dies erfahren haben wollen, sondern ich werde versuchen, Ihnen zu beweisen, daß Ihre Behauptungen unhaltbar sind.«

»Bitte, versuchen Sie es.«

»Juarez Travalko ist der Schwiegersohn und der zukünftige Erbe des reichsten Mannes Argentiniens, er bezieht jetzt schon jährliche Einkünfte von mindestens 200 000 Pesos.«

»Welche er mit 28 anderen teilen muß, so daß auf jeden 7000 Pesos kommen, und das genügt für diese Leute noch nicht, welche gewöhnt sind, das Geld mit vollen Händen auszustreuen, so daß sie gezwungen sind, noch einen Nebenerwerb zu betreiben – Diebstahl und Einbruch.«

»Er muß mit ihnen teilen?«

»Selbstverständlich, die Leute wollen doch etwas für ihre Verschwiegenheit haben, daß sie ihren Hauptmann als ehrbaren Kavalier und als Aleardes' Schwiegersohn in achtbarer Gesellschaft dulden, während sie sich selbst wie wilde Wölfe hetzen lassen müssen. Sein Anteil als Hauptmann ist sogar nicht einmal größer, und daß Travalko mit 7000 Pesos auskommen kann, daran ist doch nicht zu denken, er ist am meisten gezwungen, sich an fremdem Gute zu vergreifen, und dabei hält er seine Bande immer in der Uebung.«

Hierin, als Gegenbeweis die großen Einkünfte anzuführen, war der Advokat geschlagen.

»Seit wie lange soll Travalko der Anführer der Flußpiraten sein?«

»Schon als Kapitän unter seinem Vater war er es. Er ist schon in früher Jugend in schlechte Gesellschaft geraten, unter die Räuber gefallen, die seine Kenntnisse über das ganze Stromgebiet für ihre Zwecke ausnützten, ihn deshalb zu ihrem Anführer machten, und er eignete sich auch durch seine anderen Fähigkeiten am besten dazu. O, er ist ein untadelhafter Seeräuberkapitän, seine Leute haben alle Achtung vor ihm und fürchten seine schnelle Hand, seine nie fehlende Kugel, schon seinen Blick. Unter ihm machten die Piraten auch reichere Beute denn je. Die beiden Schiffe seines Vaters blieben natürlich verschont.«

»Ist Ihnen denn ganz unbekannt, daß vor zwei Jahren Juarez Travalko selbst gegen die Flußpiraten zu Felde gezogen ist?«

»Ich weiß es.«

»Daß er einige Piratenfahrzeuge versenkt, viele Piraten getötet und andere der Regierung zur Bestrafung ausgeliefert hat?«

»Ich weiß es.«

»Nun, wie reimt sich denn das zusammen?«

»Das ist ganz einfach. Es gab zwei Banden von Piraten, deren jede auf eigene Rechnung arbeitete. Die eine nannte sich Banda oriental, sich durch diesen Namen einen politischen Anstrich gebend, weil damals, als all diese Länder noch unter spanischer Herrschaft standen, die Kolonien zusammen doch den Namen Banda oriental führten. Die Bezeichnung war auch deshalb treffend, weil diese Piratenpartei ihre Schlupfwinkel auf der Seite von Uruguay hatte. Deshalb nannten sich ihre Rivalen, die auf der westlichen Seite hausten, die Banda occidental. Dieser gehörte Travalko an. Und mit Hilfe von Aleardes, auch von der Regierung unterstützt, vernichtete er die Banda oriental, sich so seiner Rivalen entledigend.«

»Und diese Piraten sollen den Anführer der anderen Partei nicht gekannt haben?«

»Ach wo! Der ehrbare Kapitän war als Pirat doch immer ganz unkenntlich maskiert.«

Hiergegen wußte der Verteidiger des Angeklagten wiederum keine Einwendung mehr zu machen. Doch hatte er noch genug Gegenbeweise. Den stärksten wollte er aber bis zuletzt aufheben.

»Nichtsdestoweniger bleibt doch die Tatsache bestehen, daß Travalko so gestellt ist, daß er so etwas nicht nötig hat.«

»Seine Kumpane sitzen ihm auf dem Nacken, und es mag ja auch Lust am Verbotenen, an Abenteuern dabei sein.«

»Travalko ist ein gebildeter Mann, für ihn heißt die Welt nicht nur Argentinien.«

»Seine Kumpane würden ihn nirgends in Ruhe lassen, sein Vermögen ist ja vorläufig festgenagelt.«

»Wissen Sie etwas davon, wie er in das Geschäft hat eintreten wollen?«

»Ja, und das ist hierbei eine große Hauptsache. Um als Disponent hervorzutreten, hat er erst anregen wollen, Frachten auf eigenes Risiko zu nehmen. Auch dann wären die Dampfer seines Schwiegervaters von den Piraten natürlich in Ruhe gelassen worden, man hätte sich ja nur an seinem eigenen Gute vergriffen, sich in sein eigenes Fleisch geschnitten. Daher also jetzt diese Stromsicherheit. Dann hätte Travalko weiter durchgesetzt, daß das ganze Geschäft verkauft worden wäre, bei dem hohen Gewinn, den es bei eigener Befrachtung abwarf, zu einer doppelt hohen Summe. Dann hätte Travalko dereinst bares Geld zu erwarten gehabt, und die Piraten hätten natürlich sofort ihre alte Tätigkeit wieder aufgenommen, jetzt wären ja fremde Leute durch ihr Räuberwesen geschädigt worden.«

»Wäre Travalko dann noch immer ihr Anführer geblieben?''

»Mit baren drei Millionen Pesos sollte er sich von der Gemeinschaft seiner Genossen loskaufen können, so ist ausgemacht worden. Aber schon die Einleitung scheiterte besonders an der Halsstarrigkeit des alten Geschäftsführers Johnson, an einen Verkauf war gar nicht zu denken, Travalko wurde hinausgesetzt, der alte Alcardes kann noch Jahrzehnte leben, und so ist immer noch die alte Geschichte, Travalko muß seine Einkünfte durch Einbrüche vermehren, seine Kumpane lassen ihn ja auch nicht locker.«

»Er hat auch das chilenische Gold für sich auf die Seite bringen wollen?«

»Ganz gewiß. Nicht wahr, vor einem halben Jahre brach hier in Buenos Aires im Irrenasyl Feuer aus?«

»Ja. Es lag eine nichtswürdige Brandstiftung vor. Die hölzernen Treppen waren mit Petroleum übergossen worden, und wäre das Feuer nicht rechtzeitig gelöscht worden, gegen 400 Irre hätten ihren Tod in den Flammen gefunden.«

»Der Schuldige ist doch gefunden worden.«

»Ein Wärter, der im Asyl wohnte. Er hatte soeben seine Wohnungseinrichtung versichert, befand sich in Schulden, und nur um die Prämie herauszubekommen, faßte er den ungeheuerlichen Plan, deshalb die ganze Anstalt niederzubrennen.«

»Er gestand seine Schuld?«

»Nein, er wurde durch Beweise überführt.«

»Wie wurde er bestraft?«

»Mit zwanzig Jahren Zwangsarbeit. Wäre ich Richter gewesen, ich hätte ihm etwas ganz anderes zudiktiert.«

»Dann hätten auch Sie ihn unschuldig verurteilt. Santa Fernan, wie dieser Wächter heißt, ist unschuldig. Nur eine unglückliche Verwicklung von Zufällen zeugte wider ihn. Die Brandstiftung ging von Sennor Juarez Travalko aus. Sein Schwiegervater lebt ihm zu lange, dessen Tod ist ja noch gar nicht vorauszusehen, und mit Gift oder Dolch oder Blei ist dem Irrsinnigen, der niemanden um sich duldet als seinen alten Diener, schwer beizukommen. Da hat Travalko einen Mann namens Patricio Leon, welcher damals im Asyl ebenfalls als Wärter angestellt war, bestochen, für ihn das Feuer anzulegen, die Treppen mit Petroleum zu übergießen, auf daß sich dann unter den Verbrannten auch Pinto Aleardes befände.«

Mit starren Augen hatte sich der Präsident halb von seinem Stuhle erhoben, er machte eine Bewegung, als wolle er die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, aber die Arme hatten keine Kraft dazu.

»Mensch! Mensch!! Wissen Sie denn, was Sie da sprechen?!«

Ja, gerade diese ruhige Vortragsweise Nobodys war es, die so furchtbar wirkte!

»Ich weiß es. Und warum soll ich mich denn überstürzen? Der unglückliche Santa Fernan kann doch nicht vor morgen früh vor den Richter geführt werden, der ihn in der Wiederaufnahme des Verfahrens freispricht, und der andere ist nicht mehr zu bestrafen, den hat bald danach Travalkos Dolch getroffen. Doch nun wieder zurück zu dem chilenischen Golde. Dieser Auftrag, das war so etwas für meinen Travalko! Seine Kumpane brauchten ihn doch gar nicht erst darauf aufmerksam zu machen! Sie vereinbarten, daß Travalko das Goldschiff an einem bestimmten Punkte in der Nähe der Argonauteninseln versenkte, wo sie den Goldschatz dann in aller Bequemlichkeit wieder ans Tageslicht befördern konnten. Dadurch verlor man zwar die Erbschaft von vier Millionen, gewann aber gleich bar fünf Millionen Pesos, und das ist doch ein ganz bedeutend besseres Geschäft. Wenn mich nur eines wundert, so ist es das, daß Travalko gar nicht daran gedacht hat, den Schatz für sich allein zu gewinnen, seine Kumpane darum zu prellen. Denn er steuerte wirklich nach den Argonauteninseln, überzeugen Sie sich davon nur im Logbuch, Sie können ja auch die Mannschaft der Jacht fragen. Entweder muß Travalko als Räuberhauptmann und Piratenkapitän ein Mann von musterhafter Treue sein, oder hier liegt irgendein furchtbarer Zwang vor, der von seinen Gefährten auf ihn ausgeübt wird, und daß dem so, ist, das beweist ja auch das, daß sich keiner seiner Leute als Kontrolleur an Bord seiner Jacht befunden hat. Natürlich, mit zweihundert Zentnern Gold kann man auch nicht so spurlos verduften, und einen Mörder liefert jede Regierung aus; in Ruhe hätte Travalko allein sich doch nicht des Goldes erfreuen können, seine Spießgesellen hätten bald seine Spur gefunden und ihm seine behagliche Ruhe vergällt.«

Wieder hatte der Präsident als Advokat, der nur Beweise haben will, nichts weiter, seine eiserne Ruhe zurückgewonnen.

»Noch will ich nicht wissen, woher Sie dies alles erfahren haben. Noch möchte ich für Travalkos Unschuld kämpfen. Ist Ihnen zum Beispiel ein Einbruch bekannt, an dem Travalko teilgenommen hat?«

»Jawohl. Also nur einen Fall wollen Sie haben? Gut. Wissen Sie, wie vor einem Vierteljahre die Plantage des Sennor Palado von Räubern heimgesucht wurde, welche alles ausplünderten und auch die ganze Summe mitnahmen, welche der Plantagenbesitzer soeben erst für einen großen Viehverkauf erhalten hatte?«

Der Advokat hatte eine hastige, wie freudige Bewegung gemacht.

»Und bei diesem Ueberfalle, wobei gar viele, brave Menschen ermordet wurden, ohne daß bisher die Einbrecher und Mörder zur Verantwortung gezogen werden konnten, soll auch Juarez Travalko beteiligt gewesen sein?«

»Als Anführer.«

»Sie irren.«

»Ich weiß es ganz bestimmt.«

»Sie irren!« rief der Präsident nochmals, jetzt aber mit aus brechendem Triumphe. »Gerade an diesem Tage hatte ich in meinem Hause eine Gesellschaft, und Palados Hazienda ist von hier aus gute drei Tagesritte entfernt, und Juarez Travalko war bei meinem Feste zugegen!«

»Nein, er war nicht anwesend. Vielmehr sind Sie es, der sich in einein Irrtum befunden hat und noch befindet. Juarez Travalko leitete damals den Ueberfall auf jene Plantage – den Sie bewirtet haben, das war nur ein Doppelgänger von ihm als sein Stellvertreter.«

Die Verständnislosigkeit im Gesicht des alten Herrn war begreiflich.

»Juarez Travalko,« fuhr Nobody fort, »hat einen Doppelgänger, der ihn zeitweilig, manchmal auch für Wochen und Monate, vertritt. Der Name dieses Mannes ist Antonio Miguel. Schon sein Vater war ein Flußpirat, er ist als solcher erzogen worden. Er gleicht unserem Travalko wie ein Ei dem anderen, und gerade wegen dieser Aehnlichkeit war es bei den Piraten eine ausgemachte Sache, den Sohn des ehrbaren Kapitäns auf ihre Seite zu ziehen, was bei dem jungen, leichtsinnigen Menschen auch ohne Schwierigkeit, gelang. Es wurde noch etwas geübt, gleiche Bewegungen, gleiche Manieren, gleiche Sprache und Ausdrücke, und die Aehnlichkeit war eine vollkommene. Daß solch ein Doppelgängerpaar einer Räuberbande nützlich werden kann, liegt doch klar auf der Hand. Das Beibringen eines Alibis ist schon wichtig genug und doch noch das Allergeringste. Travalko schwang sich zum Anführer empor, Travalko ward Aleardes' Schwiegersohn – aber sein Doppelgänger blieb, die beiden teilten sich in das Leben. Soll ich es noch ausführlicher beschreiben?«

Nein, das hatte Nobody bei diesem Advokaten nicht nötig. Und doch war es etwas Furchtbares, was er da zu hören bekam, eben weil er sofort die ganze Situation begriff. Weit vorgebeugt und mit geöffnetem Mund saß er da.

»So war es – also – der andere – der Antonio Miguel – den ich – bewirtete – der – mit Travalkos Frau – tanzte – und – sie – auch nach Hause – begleitete?!«

»Natürlich, die Teilung war und ist noch jetzt eine perfekte. Und die beiden wissen wohl schwerlich, wer von ihnen der Vater des Kindes ist, dem heute Sennora Elvira Travalko das Leben geschenkt hat.«

Es war nur eine Andeutung, die Nobody gemacht hatte, aber wohlverständlich für jedermann. Und der Präsident erhob sich, jetzt brachte er die Arme in die Höhe, und so blickte er zur Decke empor.

»Himmel, stürz ein!!« flüsterte er mit verstörten Zügen. »O Gott, kannst du denn nur wirklich solche Menschen auf der Erde dulden?!«

Nein, er hielt es nicht für möglich.

»Aber immer noch schulden Sie mir den Beweis,« fuhr er hastig zu Nobody gewendet fort, »daß Ihre Angaben auf Wahrheit beruhen. Ich – ich kann es nicht glauben!«

»Ich habe dies alles von Antonio Miguel selbst erfahren, der sich als Gefangener in meinen Händen befindet. Wollen Sie mich sofort nach Travalkos Wohnung begleiten? Auch noch andere Ueberraschungen werden Sie dort erleben.«

»Ich komme sofort mit.«

»Dann nur noch eins: ist das gerettete Gold jetzt auch wirklich in Sicherheit?«

Ein listiges Lächeln huschte über das kluge, energische Gesicht des Präsidenten.

»Ich selbst habe dafür Sorge getragen. Nach menschlichem Ermessen kann das Gold nicht eher gestohlen werden, als bis es geprägt die Münzkammer verläßt.«

»Dann ist es gut, dann habe ich nichts mehr damit zu tun.«

– – – – – –

Das Nachtleben war in den Straßen erstorben.

Mit leiser Stimme erzählte Nobody seinem Begleiter von dem Schiffbruch der Feluke, wie er dann die Rolle des Jachtbesitzers übernommen hatte, nachdem ihm schon das erste Mißtrauen erwacht war.

»Und niemand schöpfte Argwohn?« staunte la Rosa. »Sie haben aber doch mit Juarez Travalko nicht die geringste Aehnlichkeit.«

»Blicken Sie mich an.«

Unter einer brennenden Gaslaterne tat es der Präsident, und im ersten Augenblicke prallte er erschrocken zurück, doch ohne dabei eine Unvorsichtigkeit zu begehen.

»Juarez Travalko, wie er leibt und lebt!« flüsterte er. »Ja, ich habe schon genug von Ihren Verwandlungskünsten gehört – aber offen gestanden, ich habe den größten Teil davon für Uebertreibung gehalten. Jetzt muß ich mich mit meinen eigenen Augen überzeugen, was Sie alles fertigbringen. Sie sind ein wunderbarer Mann!«

»Jetzt muß ich auch Juarez Travalko bleiben, denn als solcher habe ich dessen Haus verlassen.«

Eine kleine Pause entstand.

»Weshalb haben Sie gerade mich aufgesucht,« fragte dann der Präsident, »um mir die erste Mitteilung zu machen? Der Justizminister wäre zum Beispiel doch eine geeignetere Person gewesen als der Präsident.«

»Weil auch ich schon viel vom Präsidenten José la Rosa gehört habe,« lautete die Antwort, »und ich bin Menschenkenner genug, um auf den ersten Blick erkannt zu haben, daß man sich von Ihnen die Wahrheit erzählt.«

Jener verstand das Kompliment, schweigend wurde die letzte Strecke des Weges zurückgelegt.

Das Tor des Palastes war offen, der Portier wachte. Der Präsident schlug beim Passieren den Rockkragen hoch und zog den Schlapphut tief in die Augen. Es hätte auch nichts geschadet, wenn man ihn erkannt hätte.

Sie stiegen hinauf, Nobody schloß die Tür des Arbeitszimmers auf. Es war finster darin.

»Einen Augenblick, ich mache sofort Licht.«

Nobody trat schnell an den Stuhl, auf dem Miguel lag, noch immer hypnotisiert, aber schon an Händen und Füßen gebunden, nur keinen Knebel im Munde.

Es war nicht nötig, daß der Präsident alles erfuhr, Nobody hielt auf Geschäftsgeheimnisse.

»Mund auf!« raunte er dem im hypnotischen Schlafe Liegenden ins Ohr, auch für einen Näherstehenden unhörbar.

Der Hypnotisierte gehorchte, Nobody propfte ihm ein Taschentuch zwischen die Zähne.

»Alligator!« flüsterte Nobody weiter.

Es war das Stichwort gewesen, schon vorher suggeriert, wonach der Hypnotisierte erinnerungslos erwachen mußte, und Nobody war sich seiner Sache auch im Finstern sicher, jetzt brannte er das Gas an.

Der Präsident sah in dem Lehnstuhl einen gebundenen und geknebelten Mann liegen, und da dies nicht Juarez Travalko selbst sein sollte, so war es eben sein Ebenbild.

Nobody nahm ihm den Knebel aus dem Munde.

»Das ist mein Stellvertreter, der immer meine Rolle spielte, wenn ich von hier abwesend sein mußte. Jetzt darf ich es sagen, denn, Herr Präsident, Sie haben mir vollkommene Straflosigkeit zugesichert.«

Die beiden hatten auf dem Wege hierher durchaus nichts ausgemacht, aber der ehemalige Advokat, der sich so oft durch Scharfsinn ausgezeichnet, wußte natürlich sofort, was Nobody beabsichtigte, und dieser hatte sich denn auch nicht geirrt.

Ein entsetzter Blick auf den Präsidenten, ein furchtbar haßerfüllter auf den vermeintlichen echten Juarez Travalko, dessen Maske Nobody also wieder angenommen hatte, und Miguel brach in ein gellendes Hohngelächter aus.

»Straflosigkeit, hahahaha!!! Hast du denn auch schon alles gebeichtet, was du auf dem Gewissen hast, wie du den ...«

In aller Gemütsruhe konnten die beiden zuhören, wie der Doppelgänger sämtliche Schandtaten herbetete, die Juarez Travalko während seiner langen, langen Verbrecherlaufbahn begangen, und das hier war ein Belastungszeuge, dessen Glaubwürdigkeit nicht anzufechten war.

Wir wollen uns nicht bei diesem Sündenregister aufhalten. Jedenfalls war es ein äußerst geschicktes Kunststückchen gewesen, wie Nobody wieder als echter Travalko aufgetreten war, von seiner Straflosigkeit als Ankläger und Verräter sprechend, wodurch er nun ohne jede Mühe diesem Zeugen ein Geständnis nach dem anderen herauslockte, er brauchte ihn gar nicht mehr erst zu reizen. Der ehemalige Advokat sprach dann später dem Kollegen von der Kriminal seine Bewunderung hierüber aus.

Ganz kam das Sündenregister doch nicht zu Ende, ein Klopfen an der Tür unterbrach es.

»Wer ist da?«

»Hier ist ein Herr, welcher ...«

Der sprechende Diener wurde unterbrochen, nicht durch ein abermaliges Klopfen, sondern durch ein Donnern gegen die Tür.

»Ich bin's, Novellist und Käsefabrikant!« rief eine dröhnende Stimme.

Mojan! Aber ein besonnener Kopf war er doch, seinen Namen nannte er nicht und gab sich dennoch deutlich zu erkennen, obgleich er sicherlich in höchster Aufregung war, und auch Nobody ahnte Böses, denn umsonst hatte der doch seinen Gefangenen nicht im Stiche gelassen.

Cerberus Mojan kam herein und ... sperrte beim Anblick des Gebundenen seinen Rachen so weit wie möglich auf.

»Machen Sie's Maul zu und sprechen Sie!« kommandierte Nobody.

Der Befehl wurde mit einem hörbaren Krachen befolgt.

»Nun schlägt's aber dreizehn! An Bord der Jacht liegt er tot da, und hier liegt er lebendig im Lehnstuhle! Ei, da kann man ja gleich einen zwölfbändigen Roman darüber schreiben, jeder Band zu tausendachthundert Seiten, die Seite mit einhundertund ...«

»Tot?!« unterbrach Nobody das Exposé des zukünftigen Romans.

»Mausetot. Sie glauben's wohl nicht? Weiß Gott. Aber machen Sie mir keine Vorwürfe, ich kann nischt dafür.«

»Er hat sich selbst getötet?«

»Nee nee, so schnell ging das nicht mit dem Selbsttöten, er ist an Blutarmut gestorben.«

»Mensch, machen Sie jetzt keine faulen Witze, sprechen Sie deutlich!«

»Nee nee, 's ist so! Er hat sich doch noch die Pulsader geöffnet, und da ist er langsam an Blutarmut gestorben. Ich konnte nicht helfen. Ich briet mir gerade in der Kammer über Spiritus Bratkartoffeln, mit einem Male spritzte ein dicker Strahl Blut hinein, und wie ich hinsehe, hat sich der Kerl mit der scharfen Kante von der rechten Fessel die linke Pulsader ausgeschnitten, gleich durch und durch. Ach, was habe ich nicht alles versucht, um den Fritzen zu retten. Verbunden habe ich ihn, den Oberarm abgeschnürt, Leim habe ich auf die Wunde geschmiert, Gips, Syrup – alles was mir unter die Hände kam. Ja, du lieber Gott, ich konnte das Blut nicht stillen. Dann piepste er noch einmal und war tot. Und mir waren einstweilen meine ganzen Bratkartoffeln verbrannt. Da bin ich an Land gerannt, habe nach der Wohnung von Sennor Travalko gefragt – da bin ich. Und Hunger habe ich wie ein Wolf.«

»So hat sich der echte Juarez Travalko bereits der irdischen Gerechtigkeit entzogen,« wandte sich Nobody an den Präsidenten.

Ein unartikulierter Schrei erklang. Miguel hatte ihn ausgestoßen.

Den letzten Namen, den er zu hören bekommen – Juarez Travalko als Gefangener an Bord der Jacht – jetzt tot – – und jener, den er bisher für seinen Doppelgänger gehalten, der ihn hier überwältigt, hatte plötzlich ein ganz anderes Gesicht, weil Nobody die fremde Maske als unnötig fallen gelassen – da erkannte der Pirat, daß er in eine ihm gestellte Falle gegangen war! Zu spät die Erkenntnis, jetzt war alles verloren!

»Mojan, Sie bleiben hier, bis ich wiederkomme. Niemand hat hier Zutritt. Daß nicht auch dieser zweite Travalko Selbstmord begehen kann, dafür sorgen die Fesseln. Und Sie, Herr Präsident, haben wohl die Güte, mich noch ein Stückchen weiter zu begleiten.«

»Wohin?«

»Dorthin, wo sich die 28 ehemaligen Piraten und die jetzigen Viehdiebe und Einbrecher versammelt haben, wohin auch Travalko kommen sollte, um über sein absonderliches Verhalten Rechenschaft abzulegen.«

»Und wo ist dieser Versammlungsort?«

»Kennen Sie die Calle Minor?«

»Gewiß doch, das ist eine der ältesten Gassen von Buenos Aires, gar nicht weit von hier, die sich in diesem vornehmen Viertel noch gehalten hat.«

»Kennen Sie da das kleine Haus eines Mannes namens Chubbin?«

»Genannt der Leichenhändler. Ja. Früher war die Polizei sehr hinter ihm her, weil der ohne Arbeit lebende Mann im Verdachte stand, ein Diebeshehler zu sein, was sich aber als grundlos erwies.«

»Der Verdacht war nicht so grundlos, er bestätigt sich jetzt, und den Spitznamen wird er wohl auch nicht ohne Grund bekommen haben. Er steckt mit der Diebesbande unter einer Decke; alle 28 Mitglieder sind gegenwärtig bei ihm versammelt.«

Während dieses Zwiegesprächs hatte Nobody den Gefangenen noch fester gebunden.

»Früher,« fuhr er fort, als er sich gegen den Kamin wendete, »bedienten sich die beiden Doppelgänger beim Auswechseln ihrer Rolle, wenn sie die Portierloge nicht passieren wollten, einer Strickleiter, mit der sie durchs Fenster ein und aus gingen. Dann wurde ein bequemerer Geheimgang geschaffen. Jetzt geht es durch einen falschen Kamin und durch den Keller.«

Jose la Rosa war sicherlich kein ängstlicher Mann, aber beim Anblick des dunklen Loches zögerte er doch, und er hatte auch ein gerechtes Bedenken.

»Wäre es da nicht gut, wenn wir zuvor die Polizei benachrichtigen und auch Militär requirieren?«

»Wozu?«

»Um jenes Haus umstellen zu lassen. So ohne weiteres werden sich die Verbrecher nicht gefangen geben.«

»Ist nicht mehr nötig, die sind bereits überwältigt und gefesselt.«

»Bereits überwältigt? Von wem?«

»Von mir.«

»Von Ihnen? Doch nicht von Ihnen allein?« staunte der Präsident immer mehr.

»Von mir allein. Sie können mir unbesorgt folgen. Der Weg ist nicht eben bequem, aber gefahrlos.«

Mit einem leisen Kopfschütteln folgte ihm la Rosa in das Loch nach, in das eine eiserne Leiter hinabführte.

»Ja, Sie sollen erst mal wissen, wer wir beide sind,« ließ sich noch einmal Mojans Stimme mit übertriebener Prahlerei vernehmen, und dann umgab die beiden Finsternis, bis unten in Nobodys Hand eine Blendlaterne aufflammte.

Der Kamin des Parterregeschosses, der nicht gebraucht wurde, führte in einen Kellergang, dann war ersichtlich, daß er weitergebrochen war, aber nicht von einem Maurer, nur ganz roh, nach etwa hundert Schritten kam wieder ein regelrecht gemauerter Keller, sie stiegen eine Treppe empor, Nobody stieß eine Tür auf – betroffen stand la Rosa da, kaum seinen Augen trauen mögend.

In der armseligen Kammer lag, zum größten Teil am Boden, dicht gedrängt zusammen eine Menge wilder Männergestalten, neunundzwanzig, wie die Zählung dann ergab, alle schlafend, meist laut schnarchend, alle an Händen und Füßen mit Stricken gebunden.

»Sie haben die sinnlos Betrunkenen ...«

Nein, la Rosa selbst verwarf den Gedanken gleich wieder. Wohl standen Gläser und ein noch halb gefüllter Krug Wein auf dem Tische, aber ein Zechgelage hatte hier nicht stattgefunden, so etwas erkennt man doch auf den ersten Blick.

Bald hatte der ehemalige Advokat das Richtige gefunden.

»Sie haben den Männern in dem Wein einen betäubenden Trank beigebracht und sie dann, als das narkotische Mittel gewirkt hatte, gebunden?«

»So ist es.«

»So waren Sie vorher schon einmal hier, ehe Sie zu mir kamen?«

»Selbstverständlich, ich mußte mir auch erst vorher aus einer Apotheke das Opiat besorgen.«

»Ja, wie gelang Ihnen denn, das den Leuten beizubringen? Wie haben Sie sich denn hier hereinschleichen können?«

»Es gelang mir eben, ich mischte es in den Wein, den sie von draußen holten,« erklärte Nobody, nichts weiter, und es entsprach nicht einmal der Wahrheit.

Sollte aber Nobody diesem ihm sonst ganz unbekannten Manne sein Geheimnis mit dem Tarnkleid preisgeben, welches er hier wieder einmal benutzt hatte?

»Jetzt ist es wohl Zeit, die Polizei zu rufen,« sagte Nobody, riegelte die Tür auf, trat hinaus ins Freie, auf den Fingern ein eigentümlich trillernder Pfiff, das Notsignal der Konstabler dieser Stadt, und ...hiermit ist wieder eine Episode aus Nobodys Leben beendet!

Schutzleute stürmten herein – aber Nobody war nicht unter ihnen. Der Präsident sah ihn auch niemals wieder, niemand in Buenos Aires, in Argentinien. Nobody hatte sich unsichtbar zu machen gewußt – ohne Anwendung der Tarnkappe.

Was sollte er auch hier noch? Er hatte das für die argentinische Münze bestimmte Gold gerettet, hatte schuldbeladene Verbrecher der irdischen Gerechtigkeit ausgeliefert, und er hatte – für ihn das Wertvollste – einem unschuldig Verurteilten die Freiheit wiedergegeben und viele brave Männer, eine ganze Schiffsbesatzung, vor dem sicheren Tode durch Verbrecherhand bewahrt!

Sollte er jetzt etwa noch langen Gerichtssitzungen beiwohnen, als Zeuge vernommen werden? Dazu hatte ein Nobody keine Zeit! So etwas hatte er wohl früher einmal getan, um seinen Namen populär zu machen, aber der Championdetektiv der Königin hatte das nicht mehr nötig! Und die Hauptsache war doch immer die: er war und blieb der ruhelose Niemand aus Nirgendswo, dort erscheinend, wo man ihn brauchte und doch am wenigsten vermutete, und ebenso schnell wieder verschwindend, und eben dieser schattenlosen Plötzlichkeit verdankte er ja seine beispiellosen Erfolge.

Erst auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents bekam Nobody eine Zeitung in die Hände, welche den ganzen Vorfall ausführlich schilderte, auch schon den Ausgang der Gerichtsverhandlungen erzählen konnte.

Nobody, Nobody, Nobody, alles wimmelte von dem Namen Nobody ... und Nobody selbst hätte den Artikel am liebsten gar nicht lesen mögen. Nur eins trieb ihn dazu.

Die Schuldigen waren gehenkt worden. Die frühere Besatzung des ›Oliphant‹, dann auf der ›Hortensia‹, hatten einen Dankgottesdienst abgehalten. Warum hatte Juarez Travalko nicht noch etwas gewartet? Eine Woche darauf war sein Schwiegervater ins Grab gefahren. Und Sennora Elvira Travalko war ...

Hier stockte Nobodys Herzschlag. Durfte er wagen, es zu lesen? Das war es, was er gefürchtet hatte!

Er wagte es!

... und Elvira hatte ihren schuldbeladenen Gatten nur um wenige Stunden überlebt. Noch in derselben Nacht war sie am Kindbettfieber verschieden, ohne noch einmal zur Besinnung gekommen zu sein, nichts von all dem Fürchterlichen erfahren habend, von einem zwar gestrengen, aber sie dennoch liebenden Gatten phantasierend, das schwächliche Kind mit sich in den Tod nehmend.

Nun brauchte Nobody nichts mehr zu lesen, und als er die Zeitung aus der Hand legte, sandte er einen dankerfüllten Blick zum Himmel empor.

Wohl ihnen!


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