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1. Samson und Dalila.

Guayaquil ist der größte Hafen im Staate Ecuador und wegen seiner geschützten Lage in einer Bucht der beste an der ganzen Westküste Südamerikas, er besitzt auch die einzige brauchbare Werft. Quito ist die Hauptstadt des Landes, Guayaquil aber hat sie bereits an Größe und Schönheit überflügelt. Wer in Quito ein Haus machen will, ist gezwungen, auch einen Landsitz in der Nähe des Hafens zu haben, wo man die heißen Monate im Schutze der frischen Seewinde verbringt. Herrlich ist der Blick, den die Bewohner der an der Bucht sich hinziehenden Villenreihe, von Gärten umgeben, genießen. Rechts die Stadt mit den im Sonnenglanze blinkenden Dächern, den Kuppeln unzähliger Kirchen und Paläste, der blaue Wasserspiegel der Bucht belebt von bunt bewimpelten Schiffen; vor ihnen und links, so weit das Auge reicht, das unendliche Meer, träumend oder brandend; und schließlich im Osten die schneebedeckten Gipfel der Kordilleren, die beim Sonnenuntergange in den prächtigsten Farben erglühn.

Doch das junge Weib, das lang ausgestreckt auf dem weißüberzogenen Diwan lag und durch die weitgeöffneten Fenster gedankenvoll auf den blauen Ozean hinausblickte, sich phlegmatisch mit dem Fächer aus schwarzen Nundafedern Kühlung zuwedelnd, bewunderte sicher nicht den Reiz der tropischen Landschaft. Sie tat es ebensowenig wie jeder andre Bewohner dieser vom Himmel gesegneten Gegend. Denn es sind keine derben und sinnigen Alpenkinder. Sich ohne Arbeit aufreibenden Lebensgenuß zu verschaffen, das ist ihr ganzes Trachten, wenn sie sich nicht selbst in religiösem Fanatismus jede Freude am Dasein verbittern.«

Im nördlichen Europa hätte die Dame für ein mindestens fünfundzwanzigjähriges, zur vollsten Reife entwickeltes Weib gegolten, hier schätzte man sie richtiger auf noch nicht zwanzig Jahre, um so mehr, als der des Landes Kundige sie sofort als eine Quadrone erkannte.

Schon die Terzeronen, die Mischlinge eines Kaukasiers mit einer Afrikanerin im dritten Grade – warum das andre geschlechtliche Verhältnis kaum vorkommt, hörten wir bereits – sind fast durchweg wunderbar schöne Menschen, Männer wie Weiber. Auch dies läßt sich daraus erklären, daß ein Weißer sich unter den Mulattinnen, die ihm zur Verfügung stehn, die schönste auswählt. Oder will das Schicksal diese Parias der amerikanischen Gesellschaft durch Schönheit entschädigen? Dann wäre das nur noch grausamer. Noch mehr als die Terzeronen prangen mit körperlichen Reizen deren Kinder, die Quadronen.

Es ist ganz seltsam, hier muß unbedingt das in einem gewissen Verhältnisse gemischte Blut, gleich wie in der Chemie die Molekularverhältnisse der Elemente, eine wichtige Rolle spielen: während die Terzeronen noch eine dunkelfarbige Haut besitzen, ebenso aber auch wieder die Kinder der Quadronen, die Quintonen, zeichnen sich alle echten Quadronen durch einen blütenweißen Teint aus, wie er sonst in jenen südlichen Gegenden überhaupt nicht vorkommt, und eben dadurch erkennt man sofort den Quadronen.

Und diese Quadroninnen! Nur die Mädchen aus dem Tale von Kaschmir sind mit ihnen vergleichbar. Das Haar ist blauschwarze Seide, ihre Augen sind feucht-schimmernde Karfunkel, die sich aber auch in feurige Kohlen verwandeln können, darüber wölben sich kühn geschwungene Brauen, die roten Lippen zum – um einen recht abgenutzten, hier aber zutreffenden Ausdruck zu gebrauchen – zum Küssen geschaffen, die Nase klein und edel wie das Ohr, berückend schöne Gesichter, von einer Weiße, welcher auch die brennendste Sonne nichts anzuhaben vermag, und während ihre Gestalt voll gebaut ist, sind Hände und Füße von der Zierlichkeit derer eines zehnjährigen Kindes.

Noch nicht lange währt diese Herrlichkeit, und eben hierdurch unterscheiden sich die schönen Farbigen von den Spanierinnen reinen Geblütes. Das Alter ist der Prüfstein. Vom dreißigsten Jahre an werden erstre unförmlich dick, dann geht es wieder zurück, bis sie zu abschreckenden Hexen zusammengetrocknet sind.

Aber weg mit solchen häßlichen Gedanken! Es ist unrecht, beim Anblicke des Schönen sich daran zu erinnern, was einst daraus wird.

Sind nun die Quadroninnen an sich alle schöne Frauen, so war diese noch ein ganz bevorzugtes Exemplar. Es gibt Gesichter und Erscheinungen, welche man nicht schildern kann, und so sei dies auch hier nicht versucht.

Ihre junonischen Formen umhüllte ein faltiges, gürtelloses Gewand von hellblauer Seide, durch welche die weiße Pracht der Glieder schimmerte, ein nacktes Füßchen stahl sich darunter hervor; von dem Arm, dessen Hand den Fächer bewegte, fiel der weite Aermel herab und zeigte ihn in seiner ganzen nackten Schönheit, doch kein hier so begehrtes Geschmeide schmückte ihn, auch das hochgesteckte Haar war nur mit einem einfachen silbernen Pfeil durchstochen, aber einige wertlose Fingerringe verrieten, daß es ihr nur an Mitteln fehlte, sich so mit Geschmeide zu behängen, wie sie es wünschte.

Ebenso hätte sich dieses schöne Weib wohl eine andre Umgebung schaffen können, wenn sie nur gewollt, denn daß sie es konnte, mußte sie wissen. Die Einrichtung dieses Wohnzimmers war nicht besser und nicht schlechter als die in den Villen der Nachbarn, gutsituierter Kaufleute, welche hier allein die Allee bewohnten, und zeigte auch das angrenzende Zimmer durch die offne Tür ein auf geschnitzten Säulen ruhendes Bett, verschwenderisch mit seidenen Decken und kostbaren Spitzen ausgestattet, so ist dabei zu bedenken, daß sich selbst die ärmste Spanierin das Brot vom Munde darbt, um das Ersparte zum womöglich recht bunten Ausputz ihres Bettes zu verwenden.

Die Züge des Mädchens, sonst wohl nur gelangweilt, zeigten jetzt die größte Spannung, und diese nahm zu, je näher das Rollen eines Wagens kam. Dieser fuhr vorbei, und wie kraftlos sank die Quadrone zurück.

Unter dem Freudengeschrei eines sich im Ring schaukelnden Papageis trat ein Weib ein, das einst auch eine bildschöne Farbige gewesen sein mochte, jetzt aber eine alte, widerliche Hexe war.

»Er ist wieder vorbei, Carmencita, mein Schatz.«

»Er ist wieder vorbei, ohne ihn mir gebracht zu haben,« seufzte die Angeredete, und ohne daß sich die Züge zum Weinen verzogen, entstürzten Tränen den dunklen Augen.

»Er wird schon noch kommen,« tröstete die Alte.

»Nein, er hat mich verlassen!«

Es war ein Schmerzensruf gewesen, aber nicht jammernd, sondern gehässig zischend war er über die Lippen gekommen.

»Kind, wie könnte er dich vergessen! Da kenne ich die Männer besser.«

»Was machen wir aber, Estrella, wenn er nicht bald kommt? Es ist nun schon zehn Tage her, daß wir ihn erwarten.«

»Warte bis morgen! Er kommt gewiß!«

»Das sagst du nun schon seit zehn Tagen. Ach, ich bin trostlos!« Und diesmal schluchzte die Unglückliche wirklich.

Wem galten diese sehnsüchtigen Tränen? Wem galt dieses Bangen und dieser Schmerz? Wer war dieser ›Er‹ eilt immer vorüber.

Tröstend streichelte die Alte dem Mädchen die Wangen, doch es half nichts.

»Schon am dritten hat mir der Padrone In diesem Falle der Hauswirt. gesagt, er müsse sein Geld pünktlich haben, sonst setzt er uns hinaus,« jammerte Carmencita weiter. »Ach, Estrella, warum folgte ich deinem Rate! Der Sohn des reichen Agostino wollte mir alle seine Schätze zu Füßen legen, wenn ich seine Geliebte würde, wie eine Königin hätte ich leben können, und du mit. Aber nein, du wußtest es besser, du zwingst mich zur Armut; nicht einmal einen Ring durfte ich von Paolo annehmen, den wir jetzt hätten verkaufen können. Hättest du ihn mir wenigstens dieses Haus gleich schenken lassen, wie er es wollte! Jetzt müssen wir darauf gefaßt sein, auf die Straße gesetzt zu werden, ärmer denn je zuvor. Warum mußtest du nur deinen Kopf aufsetzen und auf die unsinnige Forderung von hunderttausend Piastern oder Heirat bestehn! Hunderttausend Piaster – als wenn ein Mann so viel Geld für ein Weib ausgäbe!«

Ueberlegen lächelnd blickte Estrella auf die Klagende herab.

»Weil ich es gut mit dir meine und klüger bin als du. Was zunächst den Padrone anbetrifft, so kannst du ruhig sein. Als er vorgestern wieder hier war, habe ich ihm nur Paolos letzten Brief gezeigt, worin er dir außer den Liebesschwüren schreibt, du würdest wie gewöhnlich hundert Piaster zur rechten Zeit erhalten. Wie, das ist ihr Geliebter? fragte der Padrone ganz verblüfft. Nein, ihr Bräutigam, knickste ich. – Was, ein deutscher Kapitän? Ja, das hätten Sie mir gleich sagen sollen, da warte ich gern – bitte um Entschuldigung, Senora, empfehle mich sehr, Madam. Hahaha! Merkst du wohl schon den Unterschied, Carmencita? Laß den reichen Agostino dir einen Brief schreiben, er mag dir versprechen, was er will – der Padrone würde es gar nicht lesen, sein Geld würde er fordern.«

Carmencitas Antlitz heiterte sich etwas auf. Doch sie wollte der Alten nicht das letzte Wort lassen.

»Hundert Piaster sind nicht viel im Monat. Warum soll ich mich als Braut eines reichen Mannes so einschränken? Du hast mir ganz andre Versprechungen gemacht.«

»Nach der Hochzeit! Kind, danke der heiligen Jungfrau, daß alles so kam! Dir steht ein großes, großes Glück bevor. Soll ich dir nochmals alles auseinandersetzen? Als wir von Valparaiso hierher flüchteten, glaubte ich, dein Los würde das aller farbigen Mädchen sein. Ich hätte dich allerdings nach Deutschland bringen können, wo deiner auch ein glänzendes Schicksal gewartet hätte, aber so ganz kenne ich die deutschen Verhältnisse doch nicht; in einem fremden Lande kann man leicht überlistet werden, denn Schönheit macht selbst die dümmsten Männer schlau, wenn sie in ihren Besitz kommen wollen. Da sah dich Paolo und verliebte sich in dich, wie eben nur ein Mann aus jenen kalten Ländern lieben kann. Wie verschieden ist doch die Liebe! Ein Spanier oder Kreole würde dir all seine Habe hinwerfen, für dich rauben und morden, und wenn du ihn nicht erhörtest, sich die Haare raufen und dann sich erschießen, dich wahrscheinlich dazu. Wie ganz anders so ein Nordländer! Auch er kann bitten und flehen und versprechen und alles verschenken wollen, so lange er jung ist; erhörst du ihn nicht, so geht er aber nicht fort, um sich zu töten, sondern er sucht dich auf andre Weise zu erringen, er kämpft bis zum Tode, harrt unermüdlich aus, bis er dich besitzt. Und kein Rang und kein Stand kann sie trennen, sie kennen kein Hindernis. Sieh, das sind die Männer für uns! Freue dich, Carmencita, jauchze und danke den Heiligen, daß sie dir den deutschen Kapitän geschickt haben.«

Und die Alte, in Erinnerung versunken, begann von nichts Geringerem als vom Leben am Berliner Hofe zu schwärmen. Sie konnte davon erzählen, denn sie war dereinst als Kammerzofe der Gattin des chilenischen Gesandten nach Berlin gefolgt.

»Dort ist wahrer Reichtum. Hier ist alles nur bunte Lumpen und Flittergold. Wenn der reiche Agostino sein Vermögen zusammenrechnet, so gehört ihm nicht viel davon. Er kann dir Juwelen schenken, aber er wird sie dem Juwelier jahrelang schuldig bleiben; dieser gibt sie ihm, doch er hat sie auch erst geborgt; der Zwischenhändler ist noch nicht bezahlt, der Schleifer noch nicht, und der Arbeiter im Bergwerk verhungert. Ach, Ecuador ist ein reiches Land, aber wir haben alle, alle kein Geld,« setzte die Alte seufzend mit der Weisheit eines Finanzministers hinzu.

Sie hatte sich zu den Füßen Carmencitas auf dem Diwan niedergekauert und spähte jetzt scharf zum Fenster hinaus.

»Da, siehst du das große, schöne Schiff mit den vier Masten? Es geht eben auf Reede vor Anker.«

»Was geht es mich an?«

»Wo kommen diese schönen Schiffe her? Von Deutschland, von England, alle aus dem Norden. Was meinst du wohl, was solch ein Schiff kostet! Mehr als Agostinos Palast am Markt, es ist mehr wert als unsre ganze Kriegsflotte, denn die ist noch nicht bezahlt. Solch ein Schiff wird Paolo einst gehören, denn er ist ein kluger Kaufmann, wenn er sich nicht schon eins gekauft hat, denn wer sein Schiff verliert, oder wer bankrott macht, wird immer ein reicher Mann; ich weiß es. Sieh, Paolo ist solch ein Narr, wie alle Männer. Aber er ist ein Nordländer, deshalb mußt du stolz sein, darfst nichts von ihm annehmen, solange du seine Braut bist, oder auch das noch nicht einmal, so wollen diese Männer die Frau haben. Dann ist sie ein Engel. Nur das gestattete ich, daß er dir ein Haus mietete, damit du ihn doch anständig empfangen kannst. Wie es aber auch sonst kommen mag, deine Zukunft ist gesichert. Wenn Paolo die hunderttausend Piaster auch nicht zusammenbrächte, als Schiffseigentümer muß er doch ein reicher Mann sein, und bei der in Deutschland stattfindenden Trauung kannst du nicht betrogen werden wie hier, wo jeder Priester für zehn Piaster falsch schwört. Bringt er aber das Geld, so willfahre seinem Wunsche, so unsinnig uns dieser auch vorkommt, gehe mit auf sein Schiff! Solche merkwürdige Gedanken haben besonders die Deutschen; viele Kapitäne haben ihre Frauen bei sich an Bord. Einmal aber wird er dich doch überdrüssig bekommen, ich kenne einen Mann wie Paolo, und dann kannst du an Land erst recht als seine Frau ungebunden auftreten. Sollte er dich aber bei der Trauung doch betrogen haben – schadet nichts, dann haben wir die Bürgschaft, die ich sicher beiseite bringe, dafür laß nur mich sorgen. Nun gäbe es nur noch einen Fall: Paolo wäre tot, jetzt schon. Dann gingen wir bestimmt nach Deutschland, er hat uns ja von seiner lieben, guten Schwester erzählt, deren Adresse er uns auch gab, er hat ihr doch auch von dir berichtet, zu der würden wir gehn und hätten erst einmal einen sichern Halt im fremden Lande. Nun, Carmencita,« schloß die Alte triumphierend, »habe ich nicht gut für dich gesorgt, Schatz? Und was für einen schönen Mann habe ich dir ausgesucht! Oder liebst du ihn etwa nicht?«

»Lieben?« wiederholte das schöne Weib sinnend, mit dem Fächer spielend. »Ich glaube, ich liebe ihn. Ja, er ist ein schöner Mann, ganz anders als die Spanier und Kreolen. Aber so schön wie Alfredo ist er nicht.«

»Alfredo, Alfredo,« krächzte der Papagei in unzähligen Wiederholungen. Die Alte schlug nach ihm.

»Wenn du nur den vergessen wolltest, mein Täubchen! Das war eine garstige Geschichte, die du da gemacht hattest, und sie hätte dir bald den Hals gekostet.«

»Aber Alfredo liebte ich wirklich, und – ich liebte ihn – caracho!«

Urplötzlich war das eben noch so träge Weib verwandelt; es sprang auf, schleuderte den Fächer zu Boden; die Augen sprühten; die Nasenflügel bebten, und wie nach einer gewaltigen Anstrengung keuchte der Busen.

Und wieder verwandelte sich ihr Aussehen mit einem Schlage.

»Er kommt, Estrella!« jauchzte sie auf.

Durch den Garten ging der Verandatür ein Mann zu, in einem schlumpigen, ehemals weißen Anzug, an dem einige Fetzen einer silbernen Borte hingen. Er trug einen Strohhut und war barfuß, hatte einen kleinen Lederbeutel auf dem Rücken und in der Hand einen Brief. Hinter ihm hielt sich ein etwas besser gekleideter Mann, bei dem die Uniform wenigstens etwas zu erkennen war, an der Seite Säbel und Revolver. Der erste war der Geldbriefträger, der zweite ein höherer Offizier, welcher den Geldbriefträger niederzuknallen hatte, wenn dieser das Weite suchen wollte – vorausgesetzt, daß nicht beide in Kompanie durchbrannten, womit man auch rechnete, denn dieser Aufsichtsbeamte hatte wieder einen geheimen Wächter, und dieser wieder einen, und so fort, aber zu trauen war keinem bis hinauf ans Ruder des Staatsschiffs.

»Senora Carmencita Moriera.«

Wie eine Furie schoß die Alte auf den Brief zu, noch schneller aber war Carmencita.

»Der Brief hat lange Verzögerung gehabt,« entschuldigte der Briefträger seine Behörde. »Man hat ihn auf dem Generalpostamt zufällig in einem Waschfaß gefunden.«

Danach sah das Aeußere auch aus. Die Alte unterschrieb die Postquittung, Carmencita hatte die Nadel aus dem Haar gezogen und schlitzte den Brief vorsichtig auf.

»Es ist nur ganz wenig heißes Sodawasser darübergegossen worden,« erklärte der Postmann weiter; »man bemerkte ihn gleich, sonst wäre er mit unsern Hosen gewaschen worden.«

Ein langes ›Aaah!‹ kam von den Lippen aller, als eine grüne Banknote erschien.

»Was ist das?«

»Eine Hundertpfundnote – fünfhundert Piaster. Er liebt mich!« jauchzte die Quadrone auf. »Paolo, ich liebe dich!« Und mit heißer Inbrunst drückte sie das schmutzige Papier gegen ihre Lippen.

Der Sicherheitsbeamte aber machte tellergroße Augen. Hätte er das gewußt, daß so viel in dem eingeschriebenen Briefe gewesen – bei englischen Geldbriefen nach gewissen Ländern ist eine Inhaltsangabe nicht nötig – ja, dann hätte er diesmal etwas riskiert.

»Nun, was sagte ich?« frohlockte jetzt auch Estrella. »Er ist ein Kavalleresko, ein Edelmann. Da siehst du, wie er dich liebt. Aber der Brief, was steht drin?«

Carmencita hatte sich gesetzt, mit vor Freude zitternder Stimme las sie vor, und jetzt war sie allerdings die vor Glückseligkeit trunkene Braut. Es war ein von Liebesausdrücken und Schwüren strotzender Brief, in der übersprudelnden und alles übertreibenden Weise Flederwischs gehalten, er erfand für seine Geliebte Namen in der spanischen Sprache, welche selbst diesen Spaniern neu waren und ihnen lieblich klangen. In spätestens einem Monat wolle er zu ihren Füßen liegen und diese küssen, und er habe nicht zu viel versprochen, er komme, die gestellten Bedingungen zu erfüllen und sie als seine Königin an Bord seines neuen, prächtigen Schiffes zu führen ...

»Ein geistreicher Mann – ein edler Mann – ein reicher Mann – ein Kavalleresko,« machten die zuhörenden Beamten ihre Bemerkungen.

»Heilige Mutter Gottes, da kommt er schon selbst!« schrie die Alte auf, dabei mit festem Griff Carmencita fassend, welche hatte hinauseilen wollen; die beiden Beamten durften es tun, die vergaben sich nichts.

Eine flinke Kalesche war vor das Haus gefahren, ein junger, tiefgebräunter Mann sprang heraus, in ein weißes, elegantes Tropengewand gekleidet, er eilte die Verandatreppe hinauf, vier Stufen auf einmal nehmend; seine Ungeduld fand aber oben erst ein Hindernis; die beiden Postbeamten versperrten ihm den Weg.

»Eine Zigarette, Senor,« bettelte der Briefträger, dabei mit den Fingern der hingehaltenen Hand die Bewegung des Geldzählens machend. – »Senor, ich habe zu Hause eine kranke Frau und zwei hungrige Kinder,« winselte der mit dem Ehrensäbel.

Flederwisch kannte die südamerikanischen Beamten, er ließ sie sich um eine Handvoll Silbermünzen balgen, daß Postbeutel und Säbel dabei in Stücke gingen, und dann löste er sein Wort ein – er kniete vor der Geliebten und küßte ihre Füße, und jetzt war Carmencita die feurige, liebeschmachtende Spanierin, während die alte Hexe im Nebenzimmer hinter der Portiere stand und ihren kostbaren Schatz bewachte. –

Unmittelbar nachdem Flederwisch sich hatte an Land bringen lassen, war auch das Küchenboot von der Frithjof abgefahren, nicht nur um Proviant zu holen, sondern um auch nach der Post zu fragen, die bereits in Guayaquil eingetroffen sein mußte.

Durch die Abfahrt dieses Küchenbootes aber kamen die zahlreich das Schiff umschwärmenden eingebornen Händler mit frischen Gemüsen, Früchten und Fischen zu der Einsicht, daß mit den Leuten von der Frithjof kein Geschäft zu machen sei. Sie ruderten schimpfend und fluchend zurück. Nur einer von ihnen war an Bord des Seglers gelassen worden; der erste Steuermann, Alfred Werner, hatte ihn zu sich heraufgewinkt, und der Mann, der jedenfalls seine gesamte Ware losgeworden war, kam erst wieder zum Vorschein, als seine Kameraden bereits dem Lande nahe waren. Hastig griff er zu den Rudern und suchte durch verdoppelte Eile die versäumte Zeit einzuholen; denn wie so oft in diesen Gegenden, drohte ganz unerwartet ein Sturm, und wenn er den Händler unterwegs erreichte, dann ade, Welt!

Auch auf der Frithjof ließ man natürlich die drohenden Anzeichen des Sturmes nicht unbeachtet. Der Bootsmann Manuel, der nun einmal der Vertraute Kapitän Flederwischs war, eilte hinüber zur Kabine des ersten Steuermanns und klopfte an die Schiebetür. Doch keine Antwort ertönte, auch auf ein erneutes Klopfen nicht, und als der Mulatte endlich versuchte, die Tür zu öffnen, da merkte er, daß dieselbe von innen verschlossen war.

Verwundert stand Manuel da. Er wußte genau, daß der erste Steuermann das Schiff nicht verlassen hatte, es fehlte ja kein Boot, und im Küchenboot war er nicht gefahren, an Land schwimmen konnte ebenfalls niemand, denn die See wimmelte von Haifischen, und was sollte denn auch den ersten Offizier der Frithjof veranlaßt haben, das während der Abwesenheit des Kapitäns ihm anvertraute Schiff heimlich zu verlassen?

Kopfschüttelnd zog sich Manuel zurück. Er konnte nur annehmen, daß der Steuermann schlief, und dabei wagte ihn der Bootsmann doch nicht zu stören. Er wandte sich an den zweiten Steuermann, und dieser dirigierte die nötig werdenden Segelmanöver. Als freilich dann der Wetterumschwung drohte, da mußte Manuel sich noch einmal unter Deck begeben, um nach dem ersten Steuermann zu sehen. Vergebens! Auch jetzt noch antwortete niemand auf das Klopfen, und ebensowenig ließ die Tür sich bewegen.

Ein tückisches, schadenfrohes Lächeln umspielte die Lippen des Mulatten bei dieser Feststellung. Er nahm sich vor, dem Kapitän sofort nach dessen Rückkehr die Pflichtvergessenheit des Steuermanns zu melden. Das war eine wenn auch nicht besonders gute Gelegenheit, sich an dem Verhaßten zu rächen.

Das Küchenboot kehrte eben zurück, da heulte es zum ersten Male durch die Raaen, und gleichzeitig wurde es finster wie mitten in der Nacht.

Erschrocken stand der Mulatte noch da. So schnell hatte er den Ausbruch der Tempesta nicht erwartet, aber als er sich dann faßte und an Deck stürmen wollte, da blieb er von neuem wie festgebannt stehn, denn dort oben hörte er eine befehlende Stimme, scharf und schneidig – das war der erste Steuermann. Wie war er an Bord gekommen, oder hatte er das Schiff überhaupt nicht verlassen?

Die Augen Manuels glühten in der Dunkelheit auf, die ihn plötzlich umgab, dann eilte er die Treppe empor und kam eben zurecht, als die Marssegel losgemacht wurden. Der Stellvertreter des abwesenden Kapitäns hatte sofort die einzig richtige Maßregel ergriffen, dem Sturme die Spitze bieten zu können. Denn selbst wenn jetzt die Ankerketten brachen, dann war keine Gefahr für das Schiff, dann flog man eben unter kurzgerefften Marssegeln ins Meer hinaus.

Manuel sagte kein Wort, daß er schon zweimal an der Kajüte des ersten Steuermanns vergeblich Einlaß begehrt hatte, denn dieser war nunmehr ganz gewiß nicht von Bord gekommen, niemand wenigstens hatte bemerkt, daß Alfred sich gerade, als der erste Windstoß daherbrauste, von außen über die Reeling geschwungen hatte.

Er war an Land gewesen, und er hatte in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, alles erkundet, was er wissen mußte. Deshalb hatte er von einem der Fruchthändler nicht nur das Boot, sondern auch die armseligen Fetzen gekauft, die der Mann als seine Kleidung bezeichnete. Dieser hatte im Fahrzeug eines Freundes Platz gefunden – Alfred aber war unbemerkt von der Besatzung zu der Frithjof zurückgerudert, dort angekommen hatte er kurzerhand das Boot ins Meer versenkt – natürlich erst, nachdem er sich wieder in den ersten Steuermann verwandelt hatte. Selbstverständlich kam ihm auch zustatten, daß keiner seiner Untergebenen das Recht hatte, ihn zu fragen, ob er immer an Bord gewesen sei.

Wie er es ermöglicht hatte, den Kapitän Flederwisch zu belauschen, werden wir später von Nobody selbst erzählen lassen.

Das Küchenboot hatte die in Guayaquil bereitliegende Post mitgebracht, und nachdem nun die Frithjof vorläufig gesichert war, begab der erste Steuermann sich mit den eingelaufenen geschäftlichen Schreiben in seine Kajüte hinunter, um dieselben zu lesen und soweit wie möglich zu beantworten, damit der Kapitän bei seiner Rückkehr bereits die Hauptsachen erledigt fände.

Da klopfte es. Manuel trat ein. Die Mütze in der Hand, blieb er an der Tür stehn.

»Was gibt es, Bootsmann?«

»Wißt Ihr vielleicht, wo der Kapitän den Schlüssel zur Dunkelkammer aufhebt? Der Steward kann ihn trotz alles Suchens nicht finden.«

Flederwisch war Amateur-Photograph und hatte neben seiner Schlafkabine, durch diese von dem Arbeitszimmer getrennt, ein Dunkelkabinett zum Entwickeln der Negative. Wie so manchen Raum in dem riesigen Schiffe, hatte Alfred auch diesen noch nie betreten. Ueberhaupt darf kein Untergebener die Gemächer des Kapitäns betreten, nur der Steward, außer wenn es sich um eine Meldung handelt, welche die Sicherheit des Schiffes betrifft. Der Entfernung der Türen nach, mußte es eine sehr große Kabine sein. Trotzdem wußte Nobody natürlich schon längst, was für eine Bewandtnis es mit dieser Dunkelkammer hatte, ebenso genau, wie er über die Schmuggelwaren an Bord unterrichtet war. Selbstverständlich aber hütete er sich, davon etwas merken zu lassen. Er stellte sich vielmehr, als sei er ganz überrascht, ja, betroffen von den merkwürdigen Entdeckungen, die der Bootsmann ihn, jedenfalls im Auftrag des Kapitäns, machen ließ.

»Wenn ihn der Steward nicht liegen weiß, ich erst recht nicht,« entgegnete Alfred. »Wozu braucht ihr ihn denn?«

»Wir sollen die Dunkelkammer aufwischen.«

»Was, das photographische Kabinett? Da seid aber vorsichtig mit Wasser!«

Er stand auf, die Glieder waren ihm bei dem langen Schreiben eingeschlafen, und ging mit hinaus.

»Ich habe ihn endlich gefunden,« rief da der Steward.

In dem Gange standen einige Matrosen, mit Wischlappen und Putzzeug. Der Steward schloß auf, Alfred trat auch in die Tür. Nun spielte er die angenommene Rolle. Verblüfft blieb er stehn. Er traute anscheinend seinen Augen nicht.

»Was ist denn das?« lachte er.

»Ein hübsches Dunkelkabinett, nicht?« lachte Manuel, der die Matrosen anstellte, und alle lachten mit.

Es war ein luxuriös ausgestattetes Gemach. Die Wände mit glänzendem Nußbaumholz oder mir Spiegelglas ausgelegt, ein in Federn schwingendes Himmelbett, alles von blauem Damast, ein Toilettentischchen, prächtige Bilder – mehr brauchte man nicht zu sehen, und man wußte genug: ein Damenschlafzimmer, für eine Fürstin eingerichtet. Alfred sah den zweiten Steuermann eintreten, dessen spöttischen Blick auf sich gerichtet, überall dieselben Blicke.

Die Leute weideten sich offenbar an der Ueberraschung des ersten Steuermanns, und keiner von ihnen ahnte, daß sie die Düpierten waren.

Alfred begab sich, ohne ein Wort zu äußern, in seine Kabine zurück, aber bereits nach kurzer Zeit klopfte es abermals, und wieder trat der Mulatte ein.

»Steuermann, im zweiten Raume mittschiffs auf Backbordseite hat sich die Ladung verstaut; eine ganze Menge Kisten sind gebrochen.«

»Dachte ich's doch! Mir ist es schon manchmal vorgekommen, als ob das Schiff nach Backbord übersteuert. Weiß es der zweite Steuermann? Er soll mit dem Zimmermann die Kisten wieder zurechtstauen lassen.«

Doch Manuel ging noch nicht.

»Nichts für ungut, Steuermann – wir wolltet ja auch gleich selber machen, aber wenn's der Kapitän erfährt, daß Ihr nicht dabei wart, dann ist der Teufel los.«

»Ja, ich komme selbst,« sagte Alfred hastig und stieg mit dem Bootsmann durch eine Luke in die Tiefe.

Unten standen der zweite Steuermann und einige Matrosen mit Laternen und beleuchteten den Schaden. Der letzte, schwere Seegang hatte eine Seite gelockert und in die Höhe geschoben, die Kisten waren übereinandergestürzt, hier einen Berg, dort ein Tal bildend, und ohne Zerbrechen war es dabei nicht abgegangen. Der mit Heu einzeln umwickelte Inhalt lag zerstreut umher, aufgeschlagene Kisten hatten sich entleert.

Wieder spielte Nobody die Rolle des Uneingeweihten, denn in höchster Bestürzung blickte er auf den aus den zersprengten Kisten gefallenen Inhalt derselben.

»Revolver!« rief er dann.

»Revolver made in Germany,« sagte der zweite Steuermann phlegmatisch und schob ein Stück Kautabak in den Mund. »Ich denke, Maat, wir machen so schnell als möglich, daß die Dinger aus der Sonne und auch aus dem Laternenlicht kommen, sie vertragen's nicht recht, besonders hier an der amerikanischen Küste. Was meint Ihr, Maat? Die Türschlösser haben sich unterwegs in Revolver verwandelt, hahaha! Ein verteufelt schlauer Fuchs, unser Kapitän, was?«

Noch immer stand Alfred anscheinend fassungslos da. In eine Ecke geschmiegt hielt sich der Mulatte, kein Auge von ihm wendend, jeden Gesichtszug studierend.

Gewaltsam richtete sich Alfred endlich auf. Er sah um sich: wieder zeigte sich überall jenes vielsagende, spöttische Lächeln.

»Macht, daß die Geschichte aus der Welt kommt, ich übergeb's Euch,« sagte er kurz zum zweiten Steuermann, kletterte an Deck und begab sich nach seiner Kabine zurück.

Um Mitternacht übergab Alfred diesem die erste Wache. Er hatte die vorige Nacht bei der Einfahrt schlaflos verbracht und bedurfte der Ruhe, wenn ihn eine Gefahr auf dem Kommandoposten finden sollte.

Eilende Schritte über seinem Kopfe rissen ihn empor; er glaubte, Kommandos zu vernehmen. Da war etwas passiert! Warum rief man ihn nicht? Er war völlig angekleidet. Mit gleichen Füßen sprang er aus der Koje und an Deck. Der Sturm wütete mit voller Macht. Der Viermaster riß an der Kette und bäumte sich wie ein wütendes Roß, Woge nach Woge übergoß das Deck, kaum konnte man sich auf den Füßen halten. Die wachegehenden Matrosen rannten mit einer außenbords hängenden Leine die Bordwand entlang, andre arbeiteten mit Hakenstangen, offenbar sollte ein Boot gehievt werden. Fünf Gestalten schwangen sich über die Brüstung, triefend wie aus dem Wasser gezogen.

»Um Gottes willen, Kapitän, seid Ihr's?!« rief Alfred, anscheinend wahrhaft entsetzt.

»Ja, ich bin's!« lachte Flederwisch. »Alles in Ordnung? All right. Hei, das war eine Fahrt – immer unter Wasser! Ich bin schwer verwundet, das heißt, nur im Magen. Steward! Steward!! Willst du deinen Kapitän verhungern lassen, Lump? Schneide auf, was das Zeug hält, fingerdick! Mir ist wie einem hungrigen Wolf zumute, der aus Verzweiflung einen ganzen Heuschober gefressen hat – und Grog dazu! Bring's zum ersten Steuermann, ich esse dort! Geht hinunter, Alfred, ich komme gleich nach!«

Seltsam, plötzlich fühlte Alfred etwas siedend heiß in sich aufsteigen, daß er hätte laut aufschluchzen mögen. Das war wieder Flederwisch, der starke, kühne, schöne, leichtsinnige, mit dem Tode spielende Flederwisch.

Es war das erstemal, daß Flederwisch den Freund an Bord vertraulich ansprach und bei ihm essen wollte. Denn das ist wider alles Reglement, der Kapitän darf nie mit seinen Offizieren zusammen essen, es sei denn bei offiziellen Festlichkeiten.

Alfred ging. Er ahnte, daß Flederwisch ihm jetzt eine Enthüllung machen wollte, die freilich im Grunde genommen gar nicht nötig war, aber er wollte sich auch jetzt unwissend und überdies entrüstet stellen. Während jener noch seine Kleider wechselte, brachte der Steward schon kaltes Essen und heißen Grog in Alfreds Kabine, es auf den herabgeklappten Tisch setzend, der mit Schutzleisten versehen war, denn jetzt stand nichts mehr fest.

»Meine Tische und Bänke sind mit Karten bedeckt, und in dem großen Salon zu zweit ist mir's zu ungemütlich!«

Mit diesen Worten trat Flederwisch, in einen weißen Burnus gehüllt, bei seinem ersten Steuermann ein und ließ sich an dem gedeckten Tisch nieder.

»Ihr seid schwer verwundet, Kapitän, sagtet Ihr?«

»Laßt den trocknen Ton jetzt fahren, ich habe vertraulich mit Euch zu reden! Ja, innerlich! Mein Magen ist verletzt worden, ist ruiniert für immer. Setzt man mir da zum Souper Brunnenkresse und nichts als Brunnenkresse vor, aus lauter Gefälligkeit muß ich ein paar Doppelzentner von dem Grase verschlingen. Na, ich danke! Ich komme mir wie ein Heuochse vor, und wenn ich diese Nacht wiederkäue, mich soll's nicht wundern. – Ihr seid doch auf einem kalifornischen Walfischjäger gefahren. Kennt Ihr die Gallopagosinseln?«

»Erst muß ich Euch eine dienstliche Mitteilung machen: im zweiten Raume ist die Ladung über Stag gegangen.«

»Der Teufel soll alle Londoner Schauerleute holen! Schlimm?«

»Nein. Einige Kisten sind gebrochen.«

»Na, und?«

»Revolver sind herausgefallen.«

»Na, und?« In aller Gemütsruhe bestrich Flederwisch eine riesige Schinkenscheibe mit Senf, streute Salz und Pfeffer darauf und führte sie wie ein Butterbrot zum Munde. »Nun möchtet Ihr wohl wissen, wie aus Türschlössern Revolver werden können? Ja, alter Junge, das ist eben die höhere Taschenspielerei. Das ganze Schiff steckt nämlich von oben bis unten voll Revolver, die Türschlösser dienen nur als Maske.«

»Ihr habt aber doch die ganze Fracht als Türschlösser deklariert! Darf ich da um Aufklärung bitten?«

»Nein, als Steuermann dürft Ihr nicht darum bitten, da heißt es: Maul halten und Hände an die Hosennaht – aber als mein Freund habt Ihr das Recht dazu,« erklang es ruhig aus kauendem Munde zurück. »Ihr denkt wohl, ich will die Revolver an Land schmuggeln? Seht Ihr, da habt Ihr wieder einmal falsch gedacht. Kontrebande sind die Revolver wohl, aber schmuggeln tue ich sie nicht. Ich hoffe, Ihr könnt noch ruhig schlafen, wenn die mit meinen Revolvern Hasen oder Rebhühner oder sonst etwas schießen wollen. So, nun kommt Ihr wieder daran.«

»Oder Menschen! Was die in Ecuador oder Peru oder sonstwo vorhaben, geht mich nichts an. Man braucht Waffen, und heimlich werden sie herbeigeschafft. Dazu war eine sogenannte Schiebung und Maskierung nötig, damit der Konsul des betreffenden Landes nichts erfährt. Hat die Regierung aber die Waffen nicht bestellt, so lastet auch Zoll darauf. Wie reimt sich nun das zusammen, wenn Ihr nicht zu schmuggeln braucht? Bitte, erklärt Euch näher, Kapitän!«

»Ihr seid ein ahnungsvoller Engel! Also das erlaubt Ihr wenigstens, daß ich auf Bestellung Waffen liefere, von welcher die Regierung nichts wissen darf?«

»Ja, darum braucht sich der Kaufmann und der Kapitän nicht zu kümmern. Hierbei gilt noch der alte Satz: erlaubt ist es, man darf sich nur nicht dabei erwischen lassen. Das ist eben ein Geschäft, wenn es der Flagge des Schiffes auch nicht zur Ehre gereicht, und das muß jeder mit seinem eignen Gewissen abmachen. Ebenso kann es niemand verurteilen, wenn man in eine belagerte Festung Brot zu schmuggeln sucht, und das schadet dem Feinde doch gerade so wie Waffen.«

»Brot und Revolver, wie reimt sich das zusammen! Na, ich verstehe, und darin habt Ihr ganz gesunde Ansichten. Gesetzt nun den Fall, ich bringe die Revolver auf ein neutrales, zollfreies Gebiet, dort mag sie abholen, wer Lust hat, und sie in sein Land schmuggeln – verstößt dies gegen Euer zartes Empfinden?«

»Liegt der Fall so?!«

»So ist es!«

Flederwisch erzählte nun, was Nobody bereits wußte, denn er hatte die betreffende Unterredung belauscht, aber er ließ sich nichts davon merken, und Flederwisch tat, als ob es von vornherein ausgemacht gewesen sei, die Waffen auf einer der Schildkröteninseln zu landen, und als ob er eben für jeden Revolver zwei Piaster erhielte, nicht, als ob er den hinterzogenen Zoll einstecke. Wie sie dann der Portugiese auf das Festland brächte, das ginge ihn doch nichts an.

»Verzeiht mir, daß ich Euch in einem so schlimmen Verdacht hatte!« rief Alfred, als jener geendet, und wollte Flederwischs Hand ergreifen.

»Ach, nonsense!« wehrte dieser ab und drehte sich um, aus einem Wandfach eine Karte nehmend, und dabei umspielte ein verächtliches Lächeln seine Lippen. »Stellt Euch doch nicht so komisch, als wenn Schmuggeln überhaupt etwas so Fürchterliches wäre. Kein tüchtiger Seemann, der nicht einmal eine kleine Schmuggelfahrt riskiert hätte – da lernt man segeln und in der Brandung landen, daß die andern armseligen Kerls Maul und Nase aufsperren! Ihr wart also auf den Gallopagosinseln?«

Der Kapitän setzte die Teller zusammen und breitete die Seekarte dieses Gewässers auf dem Tische aus.

»Ich bin einmal daraufgewesen, auf Albemarle, wir proviantierten uns mit Wasser und Schildkröten, was die Walfischjäger dort immer tun. Sonst läuft sie kaum ein Schiff an,« erwiderte Alfred, der tatsächlich die Gallopagos kannte.

»Wie sieht es dort aus?«

»Bis auf Chatam, Albemarle und Floreana, auf welchen allein etwas gedeiht, und die auch allein einige Bewohner haben, ist es eine schauderhafte Gegend. Steil erheben sich die Küsten aus dem Meere, alles wild und zerrissen und zerklüftet, alles voll Krater, mit Lava bedeckt, nichts wächst darauf, nur Schildkröten sonnen sich dort und lassen von der Glut ihre Eier ausbrüten. Die Krater bilden große Sammelbassins für den tropischen Regen, aus ihnen schöpfen die Walfischjäger. Jetzt ist alles eingetrocknet, auch die Saison für den Schildkrötenfang ist vorbei, nur auf den drei genannten Hauptinseln ist noch einiges Leben. Es kommt nur darauf an, wohin Ihr wollt.«

Flederwisch bezeichnete auf der Karte die Gruppe der Inseln, unter denen er die Wahl hatte.

»Ob wir dort für unser tiefgehendes Schiff Einfahrt und einen Ankerplatz finden?«

»Das ist gerade die allerwüsteste Gegend, noch niemals gepeilt,« meinte Alfred nachdenklich, »und die Walfischfänger sind klein und flach gebaut. So weit ich aber die Gruppe aus eigner Anschauung kenne, sind sie vulkanischen Ursprungs, und wenn ich mich Darwins Beschreibung erinnere, so halte ich es wohl für möglich, daß zwischen den einzelnen Inselriffen tiefe Durchfahrten sind. Ankergrund gibt es sicher nicht, dagegen vielleicht gute Buchten, in denen das Schiff vertaut werden kann. Da ist aber vorher sorgfältiges Peilen nötig.«

»Ich dachte es mir so: Ihr nehmt beim ersten schönen Tag mit günstigem Winde, vielleicht morgen schon, ein Boot und ein paar Burschen und segelt als Kundschafter hinüber. In vierzehn Tagen könnt Ihr die Tour bequem schaffen. Ihr seht Euch auch um, peilt und lotet, nehmt die Lage auf und sucht den besten Landungspunkt für unser Schiff.«

Alfred war sofort einverstanden. Nur gegen eins erhob er Bedenken. Wenn nun die Frithjof zwischen den Riffen scheiterte? Dann war die Versicherung verloren.

Flederwisch wies eine solche Möglichkeit als ausgeschlossen zurück. Er baute auf sein alterprobtes Glück und seine Seemannskunst.

»Ihr habt die Fracht doch nur als billige Türschlösser versichert?« fragte Alfred da, um Flederwisch auf die Probe zu stellen. »Was verdient Ihr damit?«

Der Gefragte lehnte sich zurück und kreuzte die Arme über der Brust, sein braungebranntes Gesicht färbte sich plötzlich noch dunkler.

»Was meint Ihr wohl?« fragte er leise zurück.

»Nach oberflächlicher Berechnung – ich weiß ja nicht, wie Ihr eingekauft habt – zwei Millionen zu zwei Piaster, acht Mark – nur die Hälfte Verdienst – das wären acht – Himmel, acht Millionen Mark!?«

»Zehn Millionen, und das rein verdient!«

Es war noch mehr, viel mehr, aber das durfte Flederwisch nicht sagen, denn da kam Davis' Mord dazwischen.

Da bei Nennung solcher Zahlen, Geld betreffend, doch zugleich Bilder in der Phantasie entstehn, war die lange Pause begreiflich, und der Blick, mit dem sich die beiden Männer ansahen.

»Zehn Millionen Mark,« flüsterte Alfred, und dann fuhr er mit gewöhnlicher Stimme fort. »Kapitän, was tut Ihr nun? Gebt Ihr die Seefahrt auf?«

»Würdet Ihr es tun?«

»Ja,« erklang es bestimmt.

»Ich nie. Nie!«

Stolz hatte sich Flederwisch aufgerichtet, und wieder funkelte sein Auge verächtlich.

»Für mich ist mein Beruf etwas andres als ein Broterwerb. Laßt Euch eine Geschichte erzählen – nein, es ist eine einfache Tatsache – und mich eine Frage daran knüpfen. Ihr wißt doch, ein mexikanischer Dampfer mit fünfzig Tonnen Goldbarren an Bord ist verschollen. Hier in diesen Gewässern muß er untergegangen sein, wenn er nicht gestohlen ist. In Guayaquil spricht man noch immer leidenschaftlich davon, wenn sich auch bereits die erste Wut gelegt hat. Denn zuerst soll hierherum die ganze Bevölkerung von einer Art Wahnsinn ergriffen worden sein. Mit Wünschelruten und Zauberapparaten hat man gesucht, Wahrsagerinnen, Somnambule, Mondsüchtige und Waisenknaben hat man gefragt, wo der Schatz läge, bis die Goldsucher die Hoffnung aufgaben, nachdem sie tausendfältig genarrt worden sind. – Nun meine Frage: gesetzt den Fall, Ihr entdeckt die Lage des gesunkenen Schatzes, er liegt so recht handlich, würdet Ihr die Sache dem Besitzer anzeigen und Euch mit dem Finderlohn begnügen?«

»Auf alle Fälle. Das Gold gehört doch der englischen Münze.«

»Ich würde es nicht tun.«

»Ihr würdet das fremde Gold für Euch behalten?«

»Ich würde es mir aneignen.«

»Dann seid Ihr ein Dieb,« sagte Alfred leise, sich langsam erhebend. »Ihr seid zum Sprechen aufgelegt, so laßt mich auch an Euch eine Frage richten: Kapitän, treibt Ihr professionsmäßigen Schmuggel?«

Ruhig begegnete Flederwisch dem fest auf sich gehefteten Blick.

»Ja. Ich habe mit der Imma immer geschmuggelt. Mit ein paar Flaschen Kognak fing ich an, mit ganzen Schiffsfrachten hörte ich auf, und ich werde dieses Gewerbe fortsetzen, bis ich genug Kapital zusammen habe, um mein Ideal zu verwirklichen. Ach, wäre ich ein Vanderbilt! Doch es geht auch so, und man lernt dabei. Ich instruierte Manuel, Euch heute während meiner Abwesenheit die Augen zu öffnen. Denn ich selbst dachte, die Kisten sollten hier direkt an Land geschmuggelt werden, da mußtet Ihr darum wissen. Valdez' Plan, sie auf den Gallopagos zu landen, erfuhr ich erst vorhin. So, das ist die Wahrheit!«

Auf der andern Seite des Tisches stand Alfred.

Jetzt zeigte er, wie meisterhaft er es verstand, die einmal angenommene Rolle durchzuführen. Er wußte bereits seit langem – seit er die Unterhandlungen zwischen Flederwisch und Davis belauscht hatte – daß die Frithjof Revolver geladen hatte, und ebenso war ihm genau bekannt, daß Flederwisch bereits die Imma zu Schmuggelfahrten benutzt hatte, trotzdem stellte er sich jetzt sittlich entrüstet.

»Kapitän, ich bitte um meine Entlassung! Wir liegen auf Reede, laßt mich an Land bringen!«

»Setzt Euch, Alfred, und hört mich an!« entgegnete Flederwisch unberührt, und der Steuermann gehorchte.

Der Kapitän begann erst ruhig zu erzählen, dann manchmal schwermütig, bis er immer mehr von Leidenschaft hingerissen wurde.

»Ich glaube, auf einer halbjährigen Seereise lernt man sich kennen. Ihr seid ein gebildeter, stilldenkender Mann und werdet meinen Charakter verstehn. Um Euch diesen ganz zu offenbaren, müßte ich von frühester Jugend an beginnen. Doch das kann ich jetzt nicht. Ihr werdet später meine Lebensgeschichte hören.« (Die ich vielleicht besser kenne als du selber, dachte hier Nobody.) »Ja, ich trieb Schmuggel! Aus Lust an Abenteuern und wildem Wagemut, und dann brauchte ich viel, viel Geld. Wozu? Nicht für mich, wenn es mir auch Freude macht, das Geld wieder auszustreuen. Ich spiele nicht, ich habe mir keine Paläste gebaut, ich unterhalte keine kostspieligen Liaisons, und wenn ich einmal Geld dafür gab, so war es doch eben nur dieses eine Mal, und das konnte ich mir leisten. Für mich selbst bin ich ganz bedürfnislos. Diese paar Diamantringe? Ja, ich habe meine Freude an den glitzernden Dingerchen. Aber wenn ich einen armen Mann hungern sehe, und ich könnte mit diesen Ringen seine Not lindern, ich würde sie ihm in den Schoß werfen. Alfred, glaubt mir, ich bin ein guter Mensch! Mein Schiff, meine Mannschaft waren mir immer alles, sie verschlangen alles; ich weiß, man schilt mich einen Narren, daß ich den Matrosen Feste wie Prinzen gebe, aber das ist nun einmal mein einziges Vergnügen, ihnen Gutes zu tun, und dafür habe ich auch Matrosen, die mit mir durch die Hölle gehn. Als König auf einem Schiff zu herrschen, das war mein erstes Ideal. Ich habe es erreicht, ein Musterschiff mit einer Mannschaft zu haben, wie es kein zweites gibt, und nun werde ich mein zweites Ideal erreichen. Während dieser Reise schon überzeugt, bald ein reicher Mann zu sein, kam mir deutlich zum Bewußtsein, was ich will, was mir noch fehlt. Bisher hatte ich immer mit Schulden zu kämpfen, sparen konnte ich nicht, und ein Königreich kann man sich auch nicht zusammensparen, es will im Sturm genommen sein. Seht mich nicht so groß an, Steuermann. Ja, ein Königreich will ich gründen, ich sage es mit ruhiger Vernunft. Blickt lieber um Euch. Was herrscht auf der Erde? Allein das Geld, nichts weiter, nicht die rohe Macht, wie man so oft sagen hört, auch nicht das Militär – denn das ist doch erst vom Gelde abhängig – allein das Geld, und dieses wird durch Hinterlist, Lüge und Betrügerei erworben, wenn auch versteckt hinter der Maske eines ehrlichen Handels. Muß das so sein? Nein, die Manneskraft sollte herrschen, der Mut, der Geist, die Kunst, die Schönheit und die Tugend! Und solch ein Reich, in welchem dies der Fall ist, will ich schaffen. Ich träume von nichts Unmöglichem. Laßt mich meinen Plan kurz angeben: Für eine Million, denke ich, kann man in Australien ein schönes Stück Land an der Küste erwerben. Hauptsache ist ein guter Hafen; für die beste Lage halte ich die Nordküste. Wir gründen einfach eine Kolonie, nichts weiter, stellen uns unter englischen Schutz, sind die ersten Kolonisten, von Indien holen wir uns ein paar hundert Kulis herüber, die sind billig, die müssen uns erst einrichten helfen. Mir bleiben noch mindestens acht Millionen, ich kann sie zu fünf Prozent sicher anlegen, und mit den jährlich viermalhunderttausend Mark kann man etwas Tüchtiges leisten, sie ernähren uns vorläufig, dann muß das Schiff arbeiten, wir alle müssen arbeiten, rastlos arbeiten, Geld verdienen, daß unser Unternehmen sicher dasteht – Ihr seht, ich denke auch an die praktische Seite – ein Schiff wird nach dem andern angeschafft, es entsteht eine ganze Flotte, ein australisches Venedig, wir reißen den ganzen indischen Handel an uns. Seht Ihr etwas Unmögliches darin, Alfred? Nur Geld, Geld gehört zum Anfang dazu, und das habe ich jetzt. Doch der pekuniäre Erfolg ist mir nur Nebensache. Ich versammle die besten Seeleute aller Nationen um mich, wie bisher im kleinen, so jetzt im großen, die stärksten, kühnsten Männer und die schönsten Frauen, es entsteht ein neues Geschlecht von wirklichen Seehelden ...«

So schilderte er weiter. Aeußerlich nichts als eine allein vom Seehandel lebende Kolonie, in Wirklichkeit ein Ritterstaat, halb germanisch, halb spartanisch, mit Faustrecht und Turnieren, mit Troubadouren und Sklaven, mit Seefesten und Kemenaten. König Flederwisch diktierte die Gesetze, dabei bereit, mit dem, der stärker war als er, im Zweikampf sich zu messen, und schon lag in dem befestigten Hafen eine Kriegsflotte und wurden die die Küste beherrschenden Bürgen mit Kruppschen Kanonen gespickt. Und so rein unmöglich, eine seehandeltreibende Kolonie in den indischen Gewässern zu gründen, ist es nicht, und das andre mußte man dem phantastischen Flederwisch eben zugute rechnen.

Dieser ahnte nicht, daß sein Steuermann schon seit langem den gleichen Plan gefaßt hatte. Auch Nobody wollte ja ein Idealreich gründen, und gerade dieser gemeinsame Charakterzug mußte die beiden Männer in inniger Freundschaft vereinen, wenn Kapitän Flederwisch nur erst von den Untugenden befreit worden war, die ihm noch anhafteten.

»Kommt mit, Steuermann!« rief Flederwisch, nachdem er geendet. »Wir bilden mit meinen Leuten eine große Familie. Ihr seid mein erster Lehnsmann, und eignet Ihr Euch besser zum Führer, so will ich Euch weichen. Kommt mit, Alfred!«

Das war der echte Flederwisch, wie Nobody ihn bereits kannte.

Ehe aber weitererzählt wird, muß erst nachgetragen werden, was der Kapitän in Guayaquil noch getan hatte, bevor er an Bord seines Schiffes zurückkehrte.

Es war später Abend geworden, ehe Flederwisch die Villa Carmencitas, welche er noch vor Mittag betreten, wieder verließ, selig vor Liebe und doch unzufrieden mit sich selbst. Er hatte gesprochen, geseufzt und geküßt und dabei seine Geschäfte versäumt. Der erste Weg hätte zu seinem Auftraggeber sein sollen, aber er brachte es nicht über sich; nur einen Augenblick hatte er die Geliebte sehen wollen, und daraus waren zehn ganze Stunden geworden – rein vergeudete Stunden, wie er sich jetzt als praktischer Geschäftsmann zürnend sagte, und doch mußte er sich gestehen, daß es glückliche gewesen waren. Seine Zukunft hatte sich nun entschieden, eine herrliche Zukunft.

Unterdessen aber harrte ein Mann auf ihn, der das Warten nicht gewohnt war. Flederwisch ließ sich von dem leichten Mietswagen, dessen Führer er heute zehnmal gebeten hatte, nur noch eine Stunde zu warten, nach der Stadt zurückfahren, stieg auf dem von Palästen umgebenen Marktplatz aus und betrat den, in welchem Tenor Pedro Valdez residierte.

Pedro Valdez, ein reicher Kaufmann portugiesischer Abstammung, war zwar ein Bürger von Ecuador, hieß aber allgemein ›Pedro der Peruaner‹, denn er war so gut wie der Herr des benachbarten Peru. So lange die reichen Erzgänge nicht ausgebeutet werden, was bei der Trägheit seiner Bewohner in unabsehbare Ferne gerückt liegt, hängt Peru ganz von seinen Guanofeldern ab, und so lange man denken kann, waren diese, der Regierung gehörend, mit Hypotheken belastet. Der Gläubiger war immer England, bis ein Großkaufmann aus Quito, eben Pedro Valdez, die Schuld mit 13 Millionen Piastern deckte und für weitere 29 Millionen in den Besitz fast aller Guanofelder kam, das heißt, durch Schuldverschreibung, und zwar gegen sehr hohe Zinsen. So schuldete ihm also Peru 42 Millionen Piaster, das sind mehr als 168 Millionen Mark, und damit gehörte ihm so gut wie ganz Peru. Für einen geordneten Staat ist das ja eine Kleinigkeit, wenn aber Pedro die Hypothek gekündigt hätte, wäre die bestehende Regierung bankrott gewesen. So traurig sind eben die Finanzverhältnisse dieser südamerikanischen Staaten.

Daß Valdez nicht selbst über solche Summen verfügte, lag klar auf der Hand, andre standen hinter ihm, er war nur der Direktor eines Guanoringes, dessen Gründer in England saßen, und es war auch allgemein bekannt, daß der eigentliche Leiter seine englische Schwiegermutter war, eine sehr energische Dame, welche den Tochtermann protegiert und mit klugem Rate so in die Höhe gebracht hatte. Wenn er gewollt, er wäre schon längst Präsident von Ecuador gewesen, das ebenfalls von ihm abhing, aber er schlug die Kandidatur stets ab, und desgleichen war der Präsident von Peru nur ein willenloses Werkzeug in seiner Hand. Deshalb eben wurde der ecuadorische Bürger von einem Teile Perus, welcher entweder den Präsidenten aus Liebe gewählt hatte oder mit Aerger sah, wie alles Geld nach Quito floß, grimmig gehaßt, während der andre Teil, mit der bestehenden Regierung immer unzufrieden, auf ihn hoffte.

Vielleicht war es in dem Palaste nur ein gewöhnliches Wohnzimmer, oder durch den mit Papieren bedeckten Schreibtisch als Arbeitszimmer gekennzeichnet, aber selbst für den verwöhnten Flederwisch ein Prunksalon, in den er geführt wurde. Der südamerikanische Krösus empfing ihn hier, ein Mann mittlern Alters mit welken, schlaffen, verlebten, nichtssagenden Gesichtszügen, auch durch nichts den spekulanten Geschäftsmann verratend. Doch Flederwisch wußte schon, daß er zwar mit der Persönlichkeit des Hausherrn, aber mit dem Geiste der Schwiegermutter verhandelte. Nur die Sitten dieses Landes duldeten es nicht, daß sie als Weib auch offen eingriff; dagegen hielt sie sich zweifellos in einem Nebenzimmer zum Kampfe bereit.

»Sie haben mich lange warten lassen, Capitano,« rief ihm der Portugiese ungeduldig entgegen. »Heute vormittag um elf ankerte Ihr Schiff auf Reede, jede Minute glaubte ich, Sie eintreten zu sehen, ich schickte Boten auf Boten – Sie seien an Land, hieß es.«

»Verzeihung, Senor, das Seemannsamt hielt mich auf, und dann hatte ich eine wichtige Angelegenheit privater Natur abzuwickeln, die sich nicht aufschieben ließ,« erwiderte Flederwisch ehrerbietig, jedoch unbefangen und bestimmt. »Gestatten Sie zunächst, Senor, daß ich Sie begrüße und mich nach Ihrem Befinden erkundige!«

»Danke. Sie hätten aber ...«

»Und Ihre Frau Gemahlin? Ihre werte Frau Schwiegermama? Als ich die Ehre hatte, sie das letztemal zu sehen, litt sie etwas an Gicht. Es hat sich doch hoffentlich gebessert?«

Wenn sich zwei Menschen begegnen, ganz gleichgültig, unter welchen Verhältnissen, wenn sie auch völlig gleichgestellt sind, stets befindet sich zwischen ihnen eine unsichtbare Wage, deren eine Schale entweder schon mit dem Uebergewicht belastet ist oder von der einen Person während des Gesprächs mit demselben belastet wird, daß sich die Autorität auf ihre Seite neigt. Flederwisch hatte sofort das Uebergewicht auf seiner Seite.

Valdez dankte nochmals, dabei höflich dem Gaste einen Stuhl zurechtrückend, klagte über seine Gesundheit, Schwiegermutter und Gattin ginge es gut. Letztre befände sich zur Badesaison in Begleitung ihres Bruders in England.

Dann erst kam das Geschäft daran, der Kapitän erlaubte es.

»Zwei Millionen Revolver dieser Sorte stehn Ihnen zur Verfügung.«

Der Portugiese untersuchte die mitgebrachte Waffe, wenn auch ohne Schraubenzieher.

»Durch wen haben Sie sie bezogen? Durch Davis?«

»Durch Davis! Alles ist glatt abgelaufen.«

»Davis ist ermordet. Haben Sie ihn umbringen lassen?« fragte der wackere Kaufmann ganz gleichgültig, ohne von dem Revolver aufzublicken.

Ebenso gleichmütig verneinte Flederwisch die Frage, sagte sogar, ein andrer sei ihm zuvorgekommen.

»Es sind zwanzigtausend Zentnerkisten, als Türschlösser deklariert, mit zweihundert Tonnen Türschlössern gedeckt. Geben Sie mir die günstigste Stelle an, wo die Ladung an Land geschmuggelt werden soll, an der Küste von Ecuador oder Peru, und ich setze meine Ehre dafür ein, daß ich die Waren mit meinen fixen Jungen an Land bringe, ohne Sie zu kompromittieren, wenn sie von geschickten Händen in Empfang genommen wird. Ich nehme an, daß Sie die Küste besser kennen als ich und alles schon reiflich erwogen haben, sonst bin ich bereit, auch selbst günstige Stellen zu suchen, ich müßte dann nur um Ihr Gutachten bitten. Mit Booten bin ich überreichlich versehen, habe achtundzwanzig Matrosen, nur noch genügend Ein- und Auslader, und in drei Nächten schaffe ich die ganze Ladung an Land.«

Abwehrend streckte Valdez die Hände aus, eine Geste, die er einem polnischen Juden abgelauscht haben mußte.

»Nicht an der Küste von Ecuador und Peru.«

»Ja, wo denn sonst in aller Welt?« fragte Flederwisch erstaunt.

»Was berechnen Sie für solch einen Revolver?« wich der Portugiese aus.

»Es sind Dreidollarrevolver, das sehen Sie doch selbst!«

»Hm, hatte sie mir eigentlich besser vorgestellt.«

Flederwisch lächelte nur verächtlich. Das Feilschen und Schlechtmachen der Ware liegt nun einmal im Charakter aller romanischen Rassen.

»Wieviel Revolver sind es?«

»Sie haben es doch gehört: zwei Millionen.«

Der Portugiese schien plötzlich vor Schrecken die Hände über dem Kopf zusammenschlagen zu wollen.

»Himmel, zwei Millionen! Was soll ich denn mit solch einer Unmenge anfangen?«

Auf Kapitän Flederwischs Stirn trat eine blaue Ader dick hervor, als er zu Valdez sagte:

»Geben Sie mir gegenüber die Verstellung auf! Wenn Sie die Menge zu groß finden, hätten Sie gleich erschrecken sollen, nicht jetzt nachträglich. Sie wollen mir einfach ein paar Piaster abhandeln, doch das gibt es nicht – die Sache war abgemacht. Als ich Ihnen sagte, die Imma fasse nur eine Million Revolver, waren Sie betrübt und meinten, die doppelte Menge wäre Ihnen lieber. Voilà! Außerdem können Sie noch mehr von den Dingern gebrauchen, ich weiß es!«

»Stimmt! Ich will auch zwei Piaster zahlen, nur sollen die Waffen nicht geschmuggelt werden.«

Langsam erhob sich Flederwisch. Seine Augen nahmen einen unheilvoll drohenden Ausdruck an.

»Was? Ich soll den Piaster Zoll zahlen, damit Sie mir in Wirklichkeit für den Revolver ebenfalls nur einen Piaster zahlen? Nein, Senor, so haben wir nicht gewettet! Der Schmuggelgewinn ist mein einziger Verdienst. Oder glauben Sie etwa, ich wollte bei der ganzen Fahrt, die mich anderthalb Jahre kostet, nur zehntausend Piaster verdienen und hätte deswegen eine Schiebung riskiert, die mich um meinen guten Namen und mein Kapitänspatent bringen kann? Hier bin ich, und draußen sind die Revolver, die Sie brauchen – jawohl, die Sie brauchen, und von denen die Regierung nichts wissen darf – kein Milreis lasse ich mir abhandeln!«

Der Portugiese hatte etwas unsicher auf den Zürnenden geblickt, auch mehrmals eine abwehrende Handbewegung gemacht, aber der Kapitän ließ sich nicht unterbrechen.

»Sie haben mich ganz falsch verstanden, Senor,« nahm Valdez endlich das Wort. »Die Sache ist die, daß die Waffen überhaupt nicht an der Küste gelandet werden, sondern an einer der Gallopagos-Inseln, die mir gehören. Dort sind die Revolver zollfrei, dort bleiben sie liegen, und sie nach dem Festland zu bringen, ist dann meine Aufgabe. Somit ist die Sache für Sie also nicht mit der geringsten Gefahr mehr verknüpft, und es ist daher wohl nur billig, wenn ich von Ihnen eine bedeutende Preisermäßigung erhoffe.«

Dadurch bekam das Geschäft eine ganz neue Seite, nur daß Flederwisch nicht daran dachte, sich den Zoll nicht selbst zu verdienen. Valdez holte einen Handatlas herbei und zeigte die Gallopagos, die Schildkröteninseln, etwa 150 Meilen von Guayaquil direkt westlich entfernt. Er bezeichnete eine ganze Gruppe Inseln, unter denen der Kapitän nach Belieben auswählen konnte, gute Landungsstellen seien dort in Menge vorhanden, er habe sich schon umgesehen.

»Wie sind Sie dorthingekommen?«

»Mit einem Dampfer.«

»Mit einem Kriegsschiff, nicht wahr?« spottete Flederwisch aus gutem Grunde.

»Nein, nur mit einem gewöhnlichen Fahrzeug – o, die Durchfahrten sind aber ganz bequem, ich selbst habe große Tiefen gelotet.«

»Jawohl, Sie selbst haben gelotet,« spottete Flederwisch weiter. »Haben Sie eine Seekarte von den Gallopagos?«

»Die habe ich freilich nicht.«

»Weil überhaupt keine existiert. Ich war zwar noch nicht dort, kenne aber jene Gegend vom Hörensagen, dort braut des Teufels Großmutter dem Sohne den Höllentrank. Wir Schiffer gehn um die Gruppe herum, wie die Katze um heißen Brei; nur an einigen Inseln legen Walfischfänger an, die aber sind gerade weit entfernt von Ihren paradiesischen Eilanden. Senor, Sie sind – nicht bei Sinnen. Selbst wenn ich eine sichere Einfahrt ausgepeilt hätte, können Sie wahrhaftig glauben, ich würde mein Schiff zwischen eine Gruppe von Felsenklippen steuern, die auf der Seekarte nur mit drei Kreuzen bezeichnet ist?«

»O, so gefährlich ist es nicht. Ihr Schiff und die Ladung sind doch auch versichert.«

»Eben deswegen. Denken Sie etwa, die Versicherung fragt nicht, was ich zwischen den Gallopagos zu suchen gehabt habe, wenn mir ein Unglück zustößt? Oder meinen Sie, ein Kapitän sucht Zuflucht vor dem Sturm zwischen Riffen? Kein Milreis erhalte ich! Das Anlandschmuggeln ist ja eine Kleinigkeit gegen das, was Sie jetzt von mir verlangen.«

»Sie wurden mir als ein Kapitän empfohlen, der das Schmuggeln professionsmäßig betriebe, und als ein tollkühner Seemann, wie es keinen zweiten gäbe,« sagte etwas kleinlaut Valdez.

Wieder stand Flederwisch auf und richtete sich hoch empor. Dann sagte er tiefernsten Tones:

»Ja, das bin ich. Suchen Sie in der ganzen Welt einen zweiten Kapitän, der mit einem Segelschiff von zweitausend Tonnen sich zwischen die Gallopagos wagt – Sie finden keinen. Ich aber tue es, das heißt, wenn es bezahlt wird. Und daß ich es kurz mache: entweder Sie zahlen mir für die Revolver die ausgemachten vier Millionen Piaster, oder ich pfeife auf das ganze Geschäft. Sie aber haben sich dann eine Suppe eingebrockt, die Sie nicht auslöffeln.«

Das war deutlich genug. Die elektrische Klingel auf dem Schreibtisch ertönte; der ganz kleinlaut gewordene Portugiese bat um einen Augenblick Entschuldigung und entfernte sich. Flederwisch wagte hinter ihm kein verächtliches Gesicht zu machen, wie er es gern getan hätte, denn er glaubte sich nicht nur belauscht, sondern auch beobachtet. Jetzt rief den Hausherrn die kluge Schwiegermama hinaus, um ihm Instruktionen zu erteilen.

Ungeniert entnahm Flederwisch einer auf dem Tisch stehenden Kiste eine Maiszigarette und steckte sie sich an. Er war sehr aufgeregt, aber seiner Sache sicher. Diesen Portugiesen hatte er doch in der Tasche. Nur weil jetzt der Augenblick kam, der ihn in einen vielfachen Millionär verwandelte, geschah es, daß seine das Streichholz haltenden Finger zitterten.

Valdez kam wieder, das unumgängliche Feilschen begann, und Flederwisch ließ noch 250.000 Piaster – nur die Hälfte von dem, was er sonst Davis an Provision zu zahlen gehabt hätte – unter der Bedingung nach, daß ihm für diesen Preis die 200 Tonnen Türschlösser, von denen er gleich eine Probe mitgebracht hatte, abgenommen würden. Sofort erscholl wieder die Klingel, Pedro nahm das Türschloß mit, und auch dieses Geschäft wurde gemacht.

Dann forderte Flederwisch die letztre Summe sofort, er brauche Geld, bei solchen Geschäften ginge alles nur gegen bar, und zum dritten Male rief den Hausherrn die geheimnisvolle Klingel hinaus. Sein ältestes Kind sei krank, der Arzt bei ihm, entschuldigte er sich, und dieser ›Arzt‹ bewilligte auch die sofortige Zahlung des gewünschten Vorschusses.

Eine sichere Anweisung über 50.000 Pfund Sterling auf eine englische Bank in Quito wanderte in Flederwischs Brieftasche und wurde an seiner wildklopfenden Brust geborgen, desgleichen eine Schuldverschreibung über 750.000 Pfund Sterling, sofort einlösbar bei der Abnahme der gelandeten Fracht. Die beiden geriebenen Geschäftsleute verstanden es, eine derartige Abmachung todsicher und doch, ohne sich irgendwie zu kompromittieren, aufzustellen.

Es war noch eine kurze Besprechung wegen einiger Einzelheiten nötig, und während derselben rauchte Flederwisch mit gierigen Zügen eine Zigarette nach der andern. Das Einatmen des narkotischen Dampfes mochte ihn beruhigen. Wie sehnsüchtig sah ihm Valdez dabei zu! Seine Nasenflügel blähten sich, auch etwas von dem würzigen Duft einzusaugen, zögernd ergriff er ebenfalls eine Zigarette, führte sie in den Mund, sog an ihr, aber ohne sie anzubrennen, und legte sie ebenso zögernd wieder hin.

Hat dir die Schwiegermama das Rauchen verboten, kleiner Junge? lachte Flederwisch innerlich.

Er wurde zum späten Nachtessen gebeten, Flederwisch nahm es an und lernte Missis zum zweiten Male kennen, eine imposante, eisgraue Dame mit männlichen Zügen, einen Haarbüschel auf der Nase, mit Haaren unter derselben und am Kinn – und last not least, auch mit Haaren auf den Zähnen.

»Pedro, du hast geraucht!« hustete sie nach der Begrüßung. »Du sollst nicht vor dem Essen rauchen, ich kann den Geruch nicht vertragen!«

Schnell bekannte sich Flederwisch als den zerknirschten Sünder. Da hatte es nichts mehr auf sich, denn der geschmeidige Gesellschaftsmensch hatte sich schon das letztemal der alten Dame sehr angenehm zu machen gewußt. Zum Abendbrot gab es Tee, Butter auf Eis und selbstgezogene Brunnenkresse, nichts weiter. Wenn aber der Gast an Fleischkost gewöhnt sei ...

Nein, o nein! Nichts esse er lieber als Brunnenkresse, nichts dünke ihm vortrefflicher als die alte, schöne, patriarchalische englische Sitte, zum Tee nur Butterbrot mit Brunnenkresse zu essen, und mit Heldenmut würgte Flederwisch ein Bündel des grünen Krautes nach dem andern hinunter.

Unterdessen hatte ein heftiger Oststurm eingesetzt, der in einen Orkan auszuarten drohte. Die Scheiben klirrten, die Mauern erzitterten, in den Straßen hatte der Wagenverkehr den Betrieb eingestellt. Missis Lewis hielt es für selbstverständlich, daß der Gast über Nacht in ihrem Hause bliebe, obgleich sie die Sorge um sein Schiff begriff, aber Flederwisch bestand aufs entschiedenste darauf, an Bord zurückzukehren, und die Meldung eines ausgeschickten Dieners, daß auf der Straße gar nicht mehr zu gehn sei, daß die See selbst im Hafen gefährliche Wellen schlüge, und daß der Quai voll Seeleute stände, welche nicht an Bord fahren könnten, befestigten nur des Kapitäns Entschluß.

»Das wäre schlimm, wenn der Kapitän der Frithjof nicht bei jedem Wetter an Bord gelangen könnte!« sagte er bedeutungsvoll, und Mrs. Lewis verstand ihn, sie hielt ihn nicht mehr zurück.

»Pedro, so wirst du den Gentleman bis an den Hafen begleiten!« ordnete die alte Dame an.

Mit sauersüßer Miene versicherte Valdez, welches Vergnügen ihm das bereite. Die beiden Männer machten sich zum Ausgehn fertig.

Es war gegen Mitternacht, sonst die belebteste Zeit; denn in dieser Tropengegend steht man früh auf zur Arbeit, verschläft die heißesten Tagesstunden und verbringt die späte Nacht im Freien. Heute jedoch sah man keine eleganten Straßenbummler, alles war wie ausgestorben, kein Wagen konnte fahren.

Als die beiden aus dem Hause traten, wurden sie sofort gegen die Wand geschleudert, nur mit dem Unterschiede, daß der Deutsche sich wieder loslösen konnte, während der Portugiese daran kleben blieb. Flederwisch befreite ihn, schleppte ihn einige Schritte weiter, schob ihn in die Hausflur eines Cafés und setzte seinen Weg allein fort. Noch einmal drückte ihn der Sturm gegen die Häusermauer, dann aber wurzelten seine Füße fest, er stand mitten auf der Straße, er breitete die Arme aus, und ein gellender Jauchzer entstieg seiner Brust.

»Ich steh' wie ein Fels, wie die Angel der Welt,
Wie ein Kaiser in Freiheit und Recht ...«

So sang er mit schmetternder Stimme, das Heulen des Sturmes übertönend, und so kämpfte er sich vorwärts, immer singend und jauchzend und jenen Stellen nicht ausweichend, wo die Dachziegel um ihn niederprasselten.

Er erreichte den Quai, auf dem sich an jeden im Boden befestigten Gegenstand Männer klammerten, Kapitäne, Steuerleute und Matrosen, welche an Land gewesen waren und nun nicht wieder auf ihre auf Reede ankernden Schiffe kommen konnten. Selbst der Verwegenste hielt es für unmöglich, und alle blickten angstvoll in die Nacht hinaus, wo jetzt ihr Schiff dem Wüten des Orkans und der Ozeanbrandung preisgegeben war. Hielten die Anker noch? War überhaupt noch etwas von Schiff und Mannschaft vorhanden? Schon in dem geschützten Hafen tanzten die Schiffe wie Nußschalen, mit immer neuen Tauen wurden sie befestigt. Ein Glück war es nur, daß der Sturm aus Osten kam, also vom Lande her wehte.

Vor Flederwisch erhoben sich hinter einem Baumwollenballen vier uniformierte Matrosen. Einer meldete militärisch die Bootsmannschaft zur Stelle, die drei andern stiegen schon in das an einer Wassertreppe festgebundene, schlanke Diagonalboot und richteten die Masten auf. Auch Flederwisch sprang hinein und hob das Steuer ein.

»Wo will der hin? Auf die Reede? Er ist toll!« erklang es von allen Seiten oben auf dem Quai. »He, Senor – Signor – Herr – Gentleman – Sir – Monsieur – Sie sind wohl kein Seemann und wissen nicht, was Sie tun?«

Man vermutete in ihm einen abenteuerwütigen Sportsman, natürlich einen Engländer.

»Laßt euch Süßwasserheringe einsalzen!« rief Flederwisch zurück. »Ein deutscher Seemann wird euch zeigen, wie man mit solch einer Mütze voll Wind umspringt!«

»Ihr seid verrückt!«

»Nein, aber der Kapitän der Frithjof bin ich. Den Klüver aus! Klar bei den Schoten! Setzt ab!«

So wird eine Papierkugel vom Sturm dahingejagt, wie das Boot davonschoß. Im Nu war es weggeblasen, verschwunden, aber wohin, das hatte man nicht sehen können. Die Nacht hatte es verschlungen.

»Wer war dieser Mensch?« hieß es.

»Es war der Kapitän Flederwisch von der untergegangenen Imma,« sagte ein alter Seemann mit bewundernder Anerkennung des Wagestückes.

Aber auch dieser Name änderte die allgemeine Ansicht nicht. Man hielt den Kapitän für verloren. –

Am Morgen war der Wind umgesprungen und beruhigte schnell die See. Die Sonne lachte am blauen Himmel. Es war ein prächtiges Wetter, und als Alfred an Deck kam, fand er schon die ganze Mannschaft bei voller Arbeit, den angekommenen Schleppdampfer vorzuspannen, weil das Schiff bei diesem Winde nicht in den Hafen einsegeln konnte.

Kapitän Flederwisch, der selbst die Arbeiten leitete, war mit Freuden einverstanden, daß Alfred die Forschungsexpedition sogleich anträte. Der größte Kutter wurde reichlich mit Proviant und Trinkwasser ausgerüstet, mit Segelsextanten, Logarithmentafel, Logleine, Sanduhr, Chronometer, Kompaß und andern nautischen Instrumenten versehen, um auch die Beschaffenheit des Meeresbodens untersuchen zu können. Alfred selbst wählte vier Matrosen als Bemannung aus und nahm Abschied von Flederwisch. Acht bis vierzehn Tage konnte er ausbleiben; war er jedoch in drei Wochen noch nicht zurück, so galt er als vermißt oder der Rückweg war ihm abgeschnitten, und Flederwisch wollte nach ihm forschen. Als sich die Frithjof schon in Bewegung befand, wurde das Boot herabgelassen und segelte dem Westen zu.

Bald lag der Viermaster am Quai festgetaut.

Es wurde den behördlichen Formalitäten genügt; ein spanischer Kaufmann kam als Abgesandter Valdez' und hatte mit Flederwisch eine Unterredung in der Kajüte. Dann begann das Löschen von 500 Tonnen, teils Bijouteriewaren für ein englisches Haus, teils Türschlösser.

Die faulen Kreolen und farbigen Eingebornen, darunter nicht wenig Weiber, lungerten am Quai herum und staunten den mächtigen Viermaster an, wie sie so groß noch nie einen gesehen hatten, und der so sauber, an dem alles so blitzblank war. Da herrschte kein unruhiges Treiben, alles ging wie spielend. Die braunen Mädchen versuchten an Bord zu kommen, wurden aber leider zurückgewiesen und mußten sich auf Händewinken, Blicke und bettelnde Zurufe beschränken. Sie kannten ja die Besatzung noch vom vorigen Mal, als sie auf der Imma hier war. Da hatte der noble Capitano, als die Arbeit vorüber war, seinen Leuten einen Ball gegeben, so prächtig, wie man ihn hier noch nie gesehen hatte, jeder Matrose konnte so viel Weiber einladen, wie er wollte; zwei Tage und zwei Nächte hatte die Festlichkeit gedauert, und so sollte es diesmal wieder werden.

Auf der Kommandobrücke stand der zweite Steuermann, ein internationaler Seezigeuner, der selbst nicht wußte, welcher Nationalität er angehörte, schob behaglich den Kautabak von einer Backe in die andre, zählte die emporgehobenen Kisten, jedesmal einen Strich ins Notizbuch machend, und unterhielt sich mit Manuel, der neben ihm eine Holzpfeife mit dem Messer auskratzte. Der Kapitän war schon seit Stunden an Land.

»Der wird jetzt bei seiner Braut sein, kalkuliere ich,« meinte Bernhard, der zweite Steuermann.

»Was für eine Braut?« brummte der Mulatte.

»Tut nicht so! Umsonst hat er die Dunkelkammer nicht so fein einrichten lassen.«

»Mag sein.«

»Habt Ihr sie schon gesehen?«

»Oft genug.«

»Hübsch?«

»Feines Fahrzeug.«

»Kreolin oder Farbige?«

»Weiß nicht.«

Ueber alles, was den Kapitän betraf, konnte man den Mulatten nicht aushorchen, das hatte der Steuermann schon mehrmals gemerkt.

»Achtung, da kommt der Kapitän – er bringt sie mit – Donnerwetter!« flüsterte Bernhard jetzt.

Eine Equipage fuhr vor, darin Flederwisch, Carmencita und die unvermeidliche Estrella. Es war ein Paar, das selbst die Aufmerksamkeit dieser an Schönheit gewöhnten Bevölkerung auf sich zog, und ebenso trug Carmencita eine Toilette, die auch in dieser verschwenderischen Stadt auffiel. Estrella hatte sich zu sehr herausgeputzt, um elegant zu erscheinen; auch ihre Häßlichkeit wurde nicht vermindert.

Flederwisch hob Carmencita aus dem Wagen und half der alten Dame beim Aussteigen. Dann führte er seine Braut am Arm über die Brücke in die Kajüte, gefolgt von jener.

»Donnerwetter!« wiederholte der Steuermann verblüfft. »Solch ein Weib habe ich in Madrid nicht zu sehen bekommen! Ob er sie mitnimmt?«

»Weiß nicht,« knurrte Manuel wieder.

»Natürlich, wozu denn sonst die Damenkabine? Jetzt zeigt er sie ihr.«

»Kümmert Euch lieber um die Kisten! Jetzt habt Ihr wieder keinen Strich gemacht!«

Eine Stunde verging. Dann wurde der Steward gerufen; er mußte Champagner bringen, darauf wurde Manuel nach der Kajüte beordert. Die Damen hatten abgelegt; Carmencita zeigte ein freudestrahlendes Gesicht, die Alte ein triumphierendes, ihre Augen funkelten vor Habgier, Flederwisch schrieb einige Briefe; sein Antlitz war dunkel gerötet.

Er hatte den letzten Brief beendet, zeigte ihn erst der Alten, diese las die wenigen Zeilen und nickte zufrieden, während Carmencita lächelte und die Hand drückte, die ihr den Brief hinhielt.

Flederwisch kuvertierte ihn und setzte eine Adresse darauf.

»Nun, Manuel,« sagte er dabei, »du kennst meine Braut. In einigen Tagen wird sie meine Gattin sein. Was sagst du dazu?«

Der Mulatte sagte gar nichts; fest blickte er seinen Herrn an, als wollte er in dessen Zügen lesen, suchte aber vergebens Flederwischs Augen.

»Ich habe schon so viel von deiner Treue gehört, und ich glaube, du wirst sie auch auf die Gattin deines Kapitäns übertragen,« sagte dagegen Carmencita freundlich zu ihm, ihm die Hand reichend.

»Befehlt über mein Leben, es gehört Euch, Senorita,« murmelte der Mulatte, machte eine ungeschickte Verbeugung und führte die weiße Hand an seine Lippen.

»Gut gesprochen, Manuel! So, nun trägst du diesen Brief nach dem Franziskanerkloster von Palo, das kennst du doch, gibst ihn dem Pförtner ab und wartest auf Antwort. Beeile dich!«

Manuel trabte davon, er trabte auch auf der Straße, und dabei grinste er pfiffig vor sich hin. Als er nach einer Stunde zurückkam, grinste er nicht mehr, sein schokoladefarbiges Gesicht zeigte einen ganz eigentümlichen Ausdruck des Staunens. Er fand den Kapitän allein, in seiner Arbeitskabine sitzend.

Hastig riß Flederwisch den Brief auf und las ihn.

»Also übermorgen schon. Hm, das geht schneller, als ich dachte – 's ist gut.«

Aber Manuel blieb stehn.

»Herr – Ihr wollt – sie – heiraten?« kam es langsam von des Mulatten wulstigen Lippen, und der erstaunte Zug trat noch stärker hervor.

»Dummkopf, geht dir diese Erleuchtung erst jetzt in deinem schwarzen Schädel auf? Das weißt du doch längst.«

»- 's ist aber doch eine Farbige,« wagte der Bootsmann einzuwenden.

Flederwisch behielt seine hoheitsvolle Ruhe bei.

»Und du bist sogar ein schwarzer Nigger. Behandle ich dich nicht als einen Menschen?«

»Weil Ihr kein Amerikaner seid, sondern Deutscher.«

»Du taxierst mich sehr falsch. Aber meinetwegen, denn ich könnte mich dir doch nicht begreiflich machen. Gut, so werde ich mich auch gegenüber Carmencita als Deutscher zeigen und als Ehrenmann dazu.«

»Verzeiht, Herr,« fuhr Manuel beharrlich fort, und solche Gespräche zwischen Kapitän und Bootsmann waren nicht ungewöhnlich, »ich bin so dumm und lerne gern von Euch. Darf ich fragen?«

»Tu es!«

»Ihr könnt es mir nicht übelnehmen, wenn ich mich wundere, daß Ihr Euch mit der Quadrone durch eine katholische Trauung für immer verbindet, obgleich Ihr es gar nicht nötig hättet. Dereinst berietet Ihr Euch mit mir, wie wir Carmencita auf die Imma locken und mit ihr absegeln wollten.«

Flederwischs Gleichmütigkeit verriet, daß er sich durch keinen Vorwurf getroffen fühlte.

»In diesem Falle ist dein Staunen allerdings berechtigt, doch du beurteilst die Sache eben von einem ganz andern, von deinem Standpunkte aus. Sieh, Manuel, ich liebe Carmencita, und sie liebt mich. Ich hätte sie entführt, wenn es möglich gewesen. Da mir aber nun mein Plan nicht gelungen ist und sie auf einer Trauung besteht, so vollziehe ich dieselbe auch nach kirchlicher Ordnung, frei von jedem Hintergedanken. Begreift das dein nichtswürdiges Hirn? Ich glaube kaum.«

Trotz aller sonstigen laxen Moral waren es edle, männliche Worte, welche Flederwisch gesprochen.

»Doch, Herr, ich verstehe. Ihr seid ein guter Mann.«

Der zweite Steuermann bekam noch mehr zu denken und hätte von Manuel gar zu gern erfahren, was das bedeutete, als er eines Morgens, zwei Tage später, sah, wie sich der Kapitän im Salon vom Steward einen Staubmantel umhängen ließ; darunter trug er einen schwarzen Frackanzug, auf dem Tische lagen Zylinder und weiße Handschuhe, daneben stand ein Diener mit einem prachtvollen Bukett schönster Blumen.

»Donner und Doria, wohin fährt der so früh im Leichenbitteranzug?« dachte Bernhard.

Der Kapitän kam den ganzen Tag und auch die Nacht nicht zurück. Die Frithjof hatte die 500 Tonnen gelöscht und zum Ersatz als Ballast Frischwasser eingenommen, auch den Kohlenvorrat für den Donkey ergänzt. Nun hätte sie wenigstens wieder auf Reede gehn sollen, um das enorme Ankergeld zu ersparen, aber der Kapitän kam nicht, schickte auch keinen Befehl.

Dafür brachten Dienstleute Koffer, Kisten und Hutschachteln, der Steward erhielt eine Karte und nahm das Gepäck mit vielsagendem Lächeln in Empfang, ein andrer Koffer ging zurück, den der Steward in der Schlafkabine des Kapitäns gefüllt hatte, und endlich erschien dieser selbst, am Arme das schöne Weib, diesmal ohne die Padrona. Einige Minuten später ertönte Manuels schrille Bootsmannspfeife.

»Alle Mann an Deck! Antreten vor dem Fockmast!«

Die Matrosen ließen die Arbeit liegen, säuberten sich schnell und stellten sich zur Musterung in Reih und Glied auf, jede Wache auf ihre Seite, davor die Unteroffiziere, am Mast der Steuermann, Denn auf der Frithjof ging alles militärisch zu. Nur der Koch und Steward fehlten, erstrer hatte viel zu tun, ein köstlicher Duft von gebratenem Geflügel durchzog das ganze Schiff.

Aus der Kajüte kamen der Kapitän und die fremde Dame, sie promenierten an den Reihen vorüber, machten kehrt und verschwanden wieder in der Kajüte. Es war nur eine stumme Vorstellung gewesen. Dann kehrte der Kapitän allein zurück und redete seine Getreuen an:

»Leute! Ihr habt die Dame gesehen. Sie ist seit gestern meine Gattin. Ihr habt sie Senora anzureden, unter euch von ihr als der Frau Kapitän zu sprechen und sie besonders auch als die Frau Kapitän zu respektieren. Sie bleibt an Bord. Wer ihr ungehorsam ist oder sie beleidigt, verweigert mir den Gehorsam und beleidigt mich selbst. Heute nachmittag habt ihr bis um zehn frei, nachher wird der Steuermann jedem Matrosen zehn, jedem Unteroffizier fünfzehn Dollar auszahlen, als Geschenk von der Frau Kapitän. Betrinkt euch nicht! Morgen gehn wir auf Reede. Uebermorgen abend findet für euch zur Feier meiner Hochzeit ein großes Fest im englischen Seemannskasino statt. – Steuermann, laßt die Leute zur Arbeit wegtreten!«

»Für die Frau Kapitän,« schrie Bernhard, »hipp – hipp – hipp –«

»Hurra!!« brüllte es im Chor, und sie traten auseinander, um bei der Arbeit flüsternd unter spöttischen Bemerkungen die Köpfe zusammenzustecken. Ihr Kapitän und heiraten! Und gar eine Farbige, denn das war sie. Aber der Bootsmann brachte ihnen bald eine andre Meinung bei, und dann wagte auch der wildeste Bursche nicht einmal mehr heimlich ein Kopfschütteln. –

So war aus dem flatterhaften Junggesellen ein verheirateter Mann geworden. Flederwisch teilte Imma in einem schwärmerischen Brief seine wohlüberlegte Heirat mit, sie aber bittend, der Tante lieber noch nichts davon mitzuteilen, er habe seine besondern Gründe dazu. Vielleicht brauche sie gar nichts davon zu erfahren, sie sei ja schon zu alt.

Auch Carmencita schwamm in einem Meere von Wonne, wie Flederwisch mit Freuden erkannte.

Sie blieb bei ihm auf dem auf Reede liegenden Schiffe, dessen Komfort und Tafel sie nichts vermissen ließ, auch wenn sie verwöhnter gewesen wäre; und wenn die Kosestunden die Zeit nicht sowieso abgekürzt hätten, das Gespenst der Langeweile konnte doch nicht aufkommen, dafür sorgte Flederwisch. Die Tage vergingen in Lustbarkeiten aller Art; am Abend wurden Theater und Konzerte besucht, nur daß jede Gesellschaft vermieden wurde. Denn wohin hätte der Kapitän seine Frau bringen sollen? In spanische Häuser konnte er sie nicht einführen, ja, er hatte sich selbst als Gatte einer Quadrone unmöglich gemacht – was ihm freilich höchst gleichgültig war – und wäre nicht Valdez' Schwiegermutter eine Engländerin gewesen, der solcher Klassenhaß unbekannt, und hätte sie nicht das Heft in Händen gehabt, der ahnenstolze Portugiese hätte vielleicht das Geschäft mit dem Manne einer Farbigen rückgängig gemacht. Es gab zwar auch eine vornehme farbige Gesellschaft, denn gerade die Neger und Mulatten, Terzeronen usw. bilden in jenen Gegenden die Geldaristokratie, weil sie bedeutend rühriger und intelligenter sind als die über alle Begriffe trägen Kreolen; aber diese aufzusuchen, widersprach doch wieder Flederwischs Stolz, und außerdem geht es bei den Festlichkeiten dieser Farbigen höchst frivol zu.

So war Carmencita außer auf des Gatten Gesellschaft allein auf die der Schiffsmannschaft angewiesen, und sie wurde von dieser unterhalten, wie sie es nicht geglaubt hatte, als ihr Flederwisch es im voraus ausgemalt. Wie hätte sie sich bei einem Balle von rohen Matrosen amüsieren können? Aber es war doch der Fall gewesen. Flederwisch verstand ja, so etwas zu arrangieren, war besonders in Überraschungen groß. An Bord war nichts zu tun, die Matrosen produzierten sich vor ihr, jeder in seiner Kunst, dann folgten Wettläufe an Deck und andre athletische Spiele. Carmencita fand ein kindliches Vergnügen daran, stundenlang mit der Pistole nach der Scheibe zu schießen; bei dem Preisschießen ließ man sie die Prämie gewinnen, und als dies erschöpft war, kamen Segelpartien daran, Ausflüge zu Pferd und zu Rad, mit Uebernachten auf einer Hazienda oder in einsamer Blockhütte, romantische Abenteuer in offner Prärie oder am flackernden Lagerfeuer in Menge, dann Jagdexpeditionen auf Antilopen, Pumas, Kasuare und Alligatoren, und immer war Flederwisch mindestens von der Hälfte seiner Matrosen begleitet, von denen er sich zwar auch bedienen ließ, sie aber sonst als Gleichberechtigte behandelte, ihr Freund, Jagdgenosse und zugleich immer ihr Lehrer.

Carmencita war durchaus gebildet. Das heißt, sie hatte lesen gelernt und gehörte zu jenen glücklichen Naturen einer üppigen Gegend, in der alles ohne Schweiß des Arbeiters wächst, welche nur einmal etwas gelesen zu haben brauchen, um es für immer zu behalten, welche sich hundert Vokabeln einer fremden Sprache aneignen, mit diesen radebrechen und einige Wochen später die Sprache in Wort und Schrift beherrschen, welche die Noten lernen, einige Handgriffe auf dem Klavier probieren und dann fertig spielen können. Und was anders versteht man denn heutzutage vielfach unter Bildung, als einige Kenntnisse und Fertigkeiten? Aber wie all diesen gottbegnadeten Geschöpfen, mechanischen Kunstwerken vergleichbar, so ging auch Carmencita jedes eigne, ernste Denken völlig ab. So fiel es ihr nicht ein, den Mann zu bewundern, welcher sich in solcher Weise ein ureignes Leben aus eigner Kraft unter der sonstigen Welt ganz fremden Verhältnissen selbst geschaffen hatte. Flederwisch sagte nicht zu viel, wenn er behauptete, daß ihm sein Schiff und seine Mannschaft alles seien. Sie waren ihm tatsächlich alles, er brauchte gar nichts mehr, und solange er beide besaß, würde sich dies nie ändern; er konnte es nicht etwa als eine Spielerei überdrüssig bekommen, das sah man schon, wenn er an Deck die athletischen oder Manöverübungen seiner Matrosen leitete, wozu er den Plan vorher in stiller Kabine bis in die kleinsten Details ausgearbeitet hatte. Das Schiff war eben seine Welt, in der er aufging, die Mannschaft sein Volk, das er liebte.

Doch Carmencita begriff ihn nicht und würde dieses Leben auf die Dauer nimmermehr aushalten können. Flederwisch wiederum mit seinem originellen Charakter befand sich in dem Irrtum, dies von ihr zu glauben.

 

Zum ersten Male hatte der Kapitän seine junge Frau allein an Bord gelassen. Er mußte sich an Land begeben, und das Wetter war zu schlecht, um sie im Boot mitzunehmen. Nicht lange dauerte es, so begann Carmencita sich zu langweilen, zum ersten Male. Sie war gezwungen, in der Kajüte zu bleiben, denn über Deck ergossen sich die Wellen. Erst klimperte sie auf der Gitarre, dann las sie in einem spanischen Roman, hielt es aber nicht lange aus, warf das Buch zur Seite und ließ sich in dem auf Kugellagern und Federn ruhenden Stuhle vom Wogenschlag wiegen.

Die Lektüre beschäftigte ihre Phantasie noch. Der schlüpfrige Roman handelte vom türkischen Haremsleben, sie hatte gelesen, wie die Favoritin ihren Gebieter hintergeht und ihre Dienerinnen und Eunuchen auf eine raffinierte Weise tyrannisiert.

Sie rief den Steward, dachte, sie sei Sultanin, und kujonierte den Mann, ließ sich dies und jenes bringen, um es wegzuwerfen und wieder aufheben zu lassen; er mußte unter ihrer Aufsicht ihre Kleider reinigen, nichts machte er ihr recht, aber der italienische Steward besaß nicht das ungeduldige Blut seiner Nation, ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen.

Das war nichts. Sie hieß ihn gehn.

»Halt! Der zweite Steuermann soll kommen!«

Dieser erschien.

»Was macht Ihr, Steuermann?«

»Ich stehe auf der Kommandobrücke und passe gut auf, wie es der Kapitän befohlen,« war die unterwürfige Antwort.

»Warum heißt Ihr Bernhard?«

»Der Kapitän hat mich so genannt.«

»Wie heißt Ihr eigentlich?«

»Patty Mac Donald, bin ein geborner Amerikaner.«

»Warum heißt Ihr so?«

»Weil – weil – weil meine Eltern mich so nannten, und daß ich gerade in New-York geboren wurde, das war Schicksal.«

»Warum kaut Ihr so viel Tabak?«

»Weil mir viel Tabak besser schmeckt als wenig.«

»Bernhard, Ihr seid ein Vieh.«

»Das weiß ich auch, Senora.«

Das wurde ihr schon wieder langweilig. Da kam ihr ein neuer Gedanke. Es mußte doch sehr possierlich aussehen, wenn der kleine, etwas dicke Steuermann ...

»Könnt Ihr auf den Händen laufen?«

»Auf den Händen? Ich? Nee!« war die zum ersten Male etwas verwunderte und zugleich mißtrauische Antwort. Bernhard war ein sehr tüchtiger Seemann, kannte vor allen Dingen die Einfahrt jedes Hafens, und neben bei konnte er noch bauchreden.

»Lauft auf den Händen!«

»Senora, das ...«

»Lauft auf den Händen, ich befehle es Euch! Ich will sehen, wie Ihr umfallt, ich will lachen!«

Aber der so in die Enge getriebene Steuermann wußte einen Ausweg, probierte ihn wenigstens.

»Senora, der Kapitän hat mir befohlen, auf den Wind zu passen,« sagte er ängstlich, »und wenn der umspringt, und das Wasser schlägt in die Luken, dann sacken wir an den Ankerketten auf den Grund und versaufen langsam wie die Katzen.«

»Dann geht lieber auf Euern Posten, schnell, geht!«

Nein, so weit waren Carmencitas Nerven noch nicht abgestumpft, um daran Vergnügen zu finden, langsam zu versaufen.

»Jetzt kommt schon der Teufel heraus, den sie im Leibe hat – na, das kann noch gut werden,« brummte draußen Bernhard.

»Manuel!« rief Carmencita.

Nach ungeduldigem Warten kam der Mulatte, von oben bis unten mit Teer beschmiert, Teer im Haar, Teer an den nackten Füßen.

»Pfui, du Nigger, schämst du dich nicht, so vor mir zu erscheinen?«

»Wenn Ihr noch eine halbe Stunde warten wollt, stecke ich mich erst in eine Badewanne voll Butter,« grinste der Bootsmann.

Zwischen den beiden herrschte eine gewisse Sympathie, die sich schon dadurch ausdrückte, daß Carmencita allein zu diesem Unteroffizier du sagte.

»Richtig! Ein Bad! Steward, macht ein Bad zurecht!«

»Zu Befehl, Frau Kapitän!«

»Was machst du? Warum bist du so schmutzig?«

»Ich kalfatere.«

»Was ist das?«

»Das heißt, ich schmiere die Ritzen zwischen den Planken voll Teer und stopfe Werg hinein. Will auch gelernt sein. Unten klebt's mir an den Füßen, von oben tropft's mir auf den Kopf, und in den Ecken muß ich mich dabei hinlegen und werde schmierig!«

»Bist du – nein, mein Gatte duldet keine verheirateten Männer an Bord. Hast du eine Geliebte?«

»Gott sei Dank nicht!«

»Geh, du schwarzes Vieh. Halt! Würdest du, wenn ich es dir befehle, über Bord ins Meer springen?«

»Nee,« grinste der Mulatte, wie immer.

»Was? Nein?« zürnte das Weib. »Hat mein Gatte nicht euch allen und besonders dir befohlen, mir unbedingt zu gehorchen?«

»Wenn Ihr über Bord fielet, wären wir alle hinter Euch her, ich zuerst, und wenn der Kapitän wiederkäme, und Ihr wäret ertrunken, würde er auch mich nicht wiedersehen. Aber so ohne weiteres über Bord zu springen, nur zum Vergnügen, das hat doch keinen Zweck. Wenn das der Kapitän erführe, würde er mich nur fortjagen.«

»Wie meinst du? Wenn ich ertränke, würde er auch dich nicht wiedersehen?«

»Nein denn ich würde so lange nach Euch tauchen, bis auch ich ertrunken wäre. Der Kapitän hat mir Euch auf die Seele gebunden, Euer Tod wäre auch der meine.«

Carmencita fühlte sich nicht nur geschmeichelt, sondern sogar so gerührt, daß sie in schluchzendes Weinen ausbrach.

»Hier hast du eine Zigarette – und hier eine Pastete – und hier eine Pfirsich – und hier eine Stange Schokolade!« Wie auf Kommando waren ihre Tränen gestillt, man sah ihr auch nicht an, daß sie eben noch geweint. »Der Kapitän sagte einmal, du wärst imstande, auf seinen Befehl jeden Menschen zu ermorden; er brauchte nur zu winken. So treu wärst du. Tätest du das, Manuel?«

Der Mulatte warf einen scheuen Blick hinter sich, rollte dann fromm die Augen nach oben und schlug ein Kreuz gegen seine Brust.

»Die heilige Madonna verhüte, daß ich so etwas tue,« lispelte er.

»Geh, du Nigger, du bist ja ein Heide, glaubst nur an den Teufel. Wenn ich dir nun befehle: ermorde den und jenen, ich hasse ihn – würdest du es auch für mich tun? Antwort!«

»Zum Teufel denn, wenn Ihr mir so aufs Leder kniet – ja, mit Vergnügen!«

»Du bist ein braver Bursche. Hier hast du noch eine Stange Schokolade. Warum tätest du es?«

»Weil ich Euch gehorche!«

»Du willst aber nicht für mich über Bord springen.«

»Das ist etwas ganz andres. Wen Ihr hasset, den kann auch der Kapitän nicht leiden, denn er liebt Euch, und ich liebe den Kapitän, also werde ich auch den hassen, den Ihr hasset.«

Wieder war Carmencita sehr gerührt.

»Warum liebst du den Kapitän so grenzenlos?«

»Er hat mich einmal aus der Gefangenschaft befreit.«

»Ach ja, ich weiß, auf Kuba. Aber was ist dort drin?«

»Das ist die Pantry, wo der Steward sein Geschirr liegen hat.«

»Ich habe noch nichts weiter gesehen vom Schiff als diesen Salon und unsre Kabinen. Du sollst mir das ganze Schiff zeigen, als Kapitänin muß ich doch alles kennen, wenn ich einmal das Kommando übernehme.«

»Es ist jetzt alles schmierig, alles wird kalfatert, und auf Deck wird man sofort naß.«

Das war wieder nichts. Naß werden wollte die zukünftige Kommandeuse nicht.

»Wozu sind denn die vielen Türen in dem dunklen Korridor da?«

»Da schlafe ich, der Koch, der Zimmermann und die andern Maate.«

»Zeige mir diese Schlafräume! Als Kapitänin muß ich wissen, wie es drin aussieht.«

»Ach, Senora, lieber nicht, da drin stinkt's immer,« entgegnete der Mulatte wieder mit lobenswerter Offenheit, und Carmencita stand naserümpfend von ihrem Vorhaben ab.

»Wo schläft denn eigentlich der erste Steuermann?«

»Drüben auf der andern Seite.«

»Den zweiten Steuermann hasse ich, er ist häßlich, hat eine Warze auf der Nase und kaut Tabak: er kann kein Wort sagen, ohne daß er ausspuckt.«

Carmencita führte das Gespräch ja ganz ohne Teilnahme. Wenn diese Quadrone aber ›hassen‹ sagte, so kam dieses Wort zischend über ihre Lippen, dann loderten ihre Augen unheimlich auf, und die Finger krallten sich dabei zuckend zusammen. Gebrauchte sie dagegen im gleichgültigsten Gespräch das Wort ›lieben‹, so klang es wie ein weicher Glockenton, und mit feuchtem Glanze suchten die sehnsüchtigen Augen in der Ferne.

»Wann kommt der erste Steuermann zurück?«

»Wir erwarten ihn jeden Tag.«

»Kaut er auch Tabak? Ist er hübsch?«

»Kauen tut er nicht, und Warzen hat er auch nicht auf der Nase, er ist sehr groß und blond und wird Euch gefallen,« sagte der Mulatte mit widerlichem Grinsen.

»Nun will ich auch seine Kabine sehen,« rief Carmencita und sprang auf. »Was zögerst du? Zeige mir seine Kabine!«

»Sie ist verschlossen.«

»Hole den Schlüssel!«

»Er hat ihn mitgenommen.«

»Du lügst, du räudiger Hund. Mein Mann selbst hat mir gesagt, daß kein Kammerschlüssel von Bord kommen darf und der kommandierende Offizier immer wissen muß, wo sich der Schlüssel befindet, falls einmal Feuer ausbricht. Hole den Schlüssel.«

»Verzeiht, Senora, an Bord gibt es eine ungeschriebene Ordnung, welche man Routine nennt, das ist so viel wie Schiffsanstand. Danach darf ich als Bootsmann nie das Mannschaftslogis betreten, der Kapitän nie die Kabinen der Steuerleute, mit Ausnahme, er meldet sich erst an, noch weniger in deren Abwesenheit. Wenn es nicht gerade drin brennt, wird er es nie tun.«

»Schnell, hole den Schlüssel, nun will ich erst recht die Kabine sehen, und du wirst mich nicht lehren, was Anstand ist. Hole ihn, ich befehle es dir auf meine Verantwortung.«

Manuel gab sein Zögern auf, er ging und brachte den Schlüssel, Carmencita folgte dem Mulatten nach der andern Seite. Der Bootsmann schloß auf und ließ sie zuerst eintreten, hinter ihr die Tür wieder zuschiebend. Prüfend sah die Quadrone sich um.

»Also hier wohnt er! Es sieht hübsch hier aus, hübscher als bei meinem Mann, zwar nicht so fein, aber ...«

Es kam plötzlich wie eine Erstarrung über sie, die ihr das Aussehen einer Leiche gab. Ihr Blick war auf das Bild des ersten Steuermanns gefallen. Bewegungslos stand sie davor.

»Alfredo!« hauchten ihre blutleer gewordenen Lippen, und dann taumelte sie, mit der zitternden Hand einen Stützpunkt suchend.

Nichts war dem Mulatten entgangen. In dem Moment, als Carmencita erbleicht war, und die Ursache erkennend, hatten seine Züge einen Ausdruck lauernder Spannung angenommen, er legte seinen schmierigen Arm um ihre Taille und hielt die Wankende.

»Das ist der erste Steuermann, Alfredo heißt er, Alfred Werner,« zischte er. »Was ist Euch, Senora? Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn geliebt? Ja, Ihr habt ihn geliebt!«

Die Frage des Bootsmanns war zur rechten Zeit gestellt. Auch dieser Mulatte war ein Psycholog in seiner Weise. Jetzt war Carmencita noch nicht bei Besinnung, noch immer stierten ihre Augen mit Entsetzen nach der Photographie.

»Ja – Alfred – Alfredo nannten wir ihn in Valparaiso – er ist es – aber jetzt zürnt er nicht so schrecklich,« flüsterte sie, und von Angst verzehrt fuhr sie fort, »o Gott, heilige Jungfrau, hilf, ich bin verloren – wenn er kommt – mich sieht – er darf nicht kommen!« Und ächzend wandte sie sich an den Mulatten, dessen Arm packend: »Gedenke, was du mir geschworen hast – ich hasse diesen Mann – ich hasse ihn – töte ihn! – er darf nicht lebendig zurückkommen!«

Mit einem Sprunge stand Manuel an der Tür, hatte den Riegel vorgeschoben und war wieder bei ihr.

»Ich gehorche Euch! Aber warum?«

»Töte ihn! Morde ihn!«

»Warum? Nicht ohne des Kapitäns Einwilligung! Soll ich es dem Kapitän sagen, daß Ihr ihn haßt?«

Furcht, Entsetzen, Schrecken, Haß und Rache sprachen aus den Zügen des Weibes, und des Mulatten lauernde Augen bohrten sich darin fest.

»Nein, nein, mein Mann darf nichts davon erfahren,« stieß sie in furchtbarer Aufregung hervor. »Alfredo darf mich auch nicht sehen – wenn er spricht – und er tut es – Flederwisch stößt mich von sich – und ich liebe ihn – jetzt.«

»Ihr habt erst diesen Mann geliebt, Ihr gehörtet ihm, er hat Euch im Zorn verlassen, ich weiß es.«

Das Entsetzen, mit dem Carmencita den Allwissenden jetzt anstierte, kannte keine Grenzen. Sie wußte ja nicht, daß sie selbst ihm alles schon offenbart hatte.

»Du lügst, du lügst!« schrie sie auf; dann aber lag sie zu des Mulatten Füßen und umklammerte seine Knie. »Töte ihn! Du versprachst es mir. Fordre von mir, was du willst, oder töte mich, ehe er kommt.«

»Still, still doch!« raunte er ihr zu, und seine rauhe Hand verschloß ihr den Mund. »Wir sind nicht allein an Bord. Ja, ich gehorche Euch, er soll von meiner Hand sterben, aber Ihr müßt mir alles erzählen.«

»Es ist nicht wahr – du willst mich verraten – laß mich, ich ersticke, ich rufe um Hilfe,« gurgelte sie unter seiner Hand.

Plötzlich verwandelte sich der Mulatte, er trat zurück, sein Benehmen wurde ein ehrerbietiges, wenn er auch kämpfen mußte, seine triumphierende Freude zu verbergen.

»Senora, als der Frau meines Kapitäns, den ich mehr liebe als mich selbst, gehorche ich auch Euch. Mein Kapitän liebt Euch; würde ich ihm verraten, was ich jetzt gesehen und gehört habe, wäre er unglücklich, und wenn er Euch von sich stieße, schnitte er sich doch nur ins eigne Fleisch; deshalb werde ich mich hüten, Euch ihm zu verraten, denn sein Kummer würde mir das Herz zerfleischen, und weil Euer Tod – so wie ich ihn kenne – sein Tod wäre, auch der meine. Deshalb könnt Ihr Euch mir anvertrauen, Ihr müßt es tun, soll ich Euch helfen können, und bei den Gebeinen meiner Eltern, beim Haupte meines Herrn, diese meine Hand soll verdorren, wenn sie ihn nicht tödlich trifft, denn – auch ich hasse ihn, glühend – und sei es nur darum, weil er das Unglück meines Herrn heraufbeschwören kann. Aber erzählen müßt Ihr mir, was Ihr mit ihm zu tun gehabt habt – oder Eure Rolle hier ist schon jetzt ausgespielt.«

Carmencita hatte sich bereits erhoben. Sie strich sich das wirre Haar aus den Schläfen. Sie hatte ihre Besinnung wiedergefunden, und sie wußte, daß sie sich diesem Manne anvertrauen durfte, denn sie kannte diesen Negercharakter, den Hund unter den Menschen. Hund ist ein Schimpfwort, und doch ist der Hund das klügste, edelste Tier. Er liebt seinen Herrn, auch wenn dieser ein Verbrecher ist, er duldet alle Schläge und leckt noch die ungerechte Hand; kein andres Tier tut das; der Elefant und das Pferd suchen ihren Herrn, wenn er sie mißhandelt, schließlich zu töten, und diese Eigenschaft des Hundes ist so erhaben, daß der Mensch kein andres Wort zur Bezeichnung derselben gefunden hat als ›hündische Treue‹. Doch, ›den Narren des Menschen‹ nennt Schopenhauer den Hund. Und solche Narren mit hündischer Treue findet man auch unter der Negerrasse.

Carmencita erzählte, Manuel lauschte, und sein Hirn arbeitete dabei bereits Pläne aus. Er hätte das Vorleben des Weibes ja nicht zu wissen brauchen, um der Herrin seine Anhänglichkeit zu beweisen, aber dieser hundeschlaue Neger rechnete auch mit der Zukunft, er selbst wollte nicht Vorteil aus dem Geheimnis ziehen, aber vielleicht konnte es einmal seinem Herrn nützlich sein. Und noch eine andre Eigenschaft besaß er, die auch mit seiner hündischen Liebe eng zusammenhing – die Eifersucht.

»Ich schwöre Euch, Senora,« wiederholte er feierlich, als jene nichts mehr zu gestehn hatte, »was Ihr mir anvertraut habt, liegt bei mir still wie im Grabe. Ich schwöre Euch, dieser Mann soll Euch die Liebe des Kapitäns nicht rauben. Ich schwöre Euch, daß er durch meine Hand seinen Tod findet – und da ich dies sage, ist er schon ein toter Mann.«

»Aber er kommt noch lebend zurück,« jammerte Carmencita händeringend, »er braucht mich nur zu sehen ...«

»Er soll Euern Weg nicht kreuzen, dafür laßt mich sorgen. Still!« unterbrach er sich erschrocken. »Ein Boot legt längsseit – das ist der Kapitän.«

Hastig raunte er ihr noch die nächsten Instruktionen zu und zog sie dann hinaus.

Der zurückgekommene Flederwisch trat in den Salon, in welchem Carmencita wieder im Schaukelstuhl saß, das Gesicht mit dem Spitzentuch verhüllt, neben ihr Manuel, ein andres Tuch aus einem Fläschchen befeuchtend. Sie mochte sich wohl mit einer erfrischenden Essenz einreiben.

»Siehst du, es ist schon jetzt eingetreten, was ich dir prophezeit habe, und was du nicht glauben wolltest!« rief Flederwisch ärgerlich lachend sofort bei seinem Eintritt. »Deine saubere Tante hat sich bereits die deponierten hunderttausend Piaster mit einer gefälschten Anweisung zu verschaffen gewußt, Estrella ist schon über alle Berge. Soll ich sie ... Ja, was ist denn?« stutzte er. »Manuel, was ist los? Du weinst, Carmencita? Dein Kleid ist voll Teerflecke?«

Sie war in ein krampfhaftes Schluchzen ausgebrochen, der Mulatte zuckte skeptisch die Achseln.

»Weiß nicht, Kapitän. Sie fiel plötzlich um, war erst noch ganz heiter, ich fing sie auf – nun will sie mit einem Male an Land – wollte unbedingt zu Euch.«

»Teufel, sie ist doch nicht epi ...«

Epileptisch, hatte Flederwisch sagen wollen. Er unterdrückte das häßliche Wort, auch gewann die Sorge um das geliebte Weib doch schnell die Oberhand. Carmencita beharrte beim Weinen und gab keine Erklärung, bis sie laut schluchzend Flederwisch um den Hals fiel. Sie wolle nicht mehr auf dem großen Schiffe bleiben, sie wolle an Land, gleich jetzt, sie fürchte sich.

»Wie? Du willst mich nicht an Bord begleiten?«

»O doch, dann sind wir ja immer zusammen – aber nur nicht mehr allein bleiben – du hast doch immer an Land zu tun – du sollst mich nicht wieder allein lassen – wir wollen an Land in einem Hotel wohnen.«

Flederwisch war auf den Ausbruch solcher Launen gefaßt gewesen, denn er verstand ihr Blut zu beurteilen. Der Neger kann, solange er heiter gestimmt ist, Strapazen und Leiden aller Art ertragen, deren kein Europäer fähig ist; sobald aber etwas sein Gemüt bedrückt, stirbt er an einer Wunde, welche ein Weißer gar nicht beachten würde – ganz analog dem an unbändige Freiheit gewohnten Tiere in der Gefangenschaft.

Hier half nichts andres als sofortiges Nachgeben; schon eine halbe Stunde später fuhr Flederwisch trotz des schlechten Wetters mit Carmencita nach dem Lande zurück; sie hatte ja auch ganz recht, solange das Schiff auf Reede lag, konnten sie wohl in einem Hotel wohnen, es war dort mehr Bequemlichkeit; und mit eben solch leidenschaftlicher Heftigkeit forderte Carmencita, daß von jeder Verfolgung der treulosen Estrella abgesehen werde.

Das junge Ehepaar logierte in einem dicht am Hafen liegenden Hotel. Hier wollte Flederwisch seine Frau auch lassen, sie gut aufgehoben wissend, wenn er mit der Frithjof nach den Gallopagosinseln segelte. Daß der längere Aufenthalt dort noch etwas andres bedeutete als die aufreibendste Seefahrt bei andauerndem Sturme, konnte er sich ungefähr vorstellen, und Carmencita war einverstanden, einige Wochen hier am Lande allein zu bleiben. Er hatte sie nicht eingeweiht, um was für ein Partie es sich handle, und es war ihm ja leicht gewesen, ihr, dem geschäftlich und in Seefahrt völlig unerfahrenen Weibe, etwas andres anzugeben, was ihr den Aufenthalt an Bord verleiden würde.

Sonst zeigte Carmencita als zukünftige Kapitänin auf der Kommandobrücke das größte Interesse für den Beruf ihres Gatten. Wie dieser, so blickte auch sie fast beständig nach der Frithjof, welche man vom Hotelfenster aus auf der Reede liegen sah, ob noch immer kein Flaggensignal gehißt wurde. Aber Tag um Tag verging, ohne daß sich das ersehnte Zeichen bemerklich machte.

Carmencita war der Meinung, der erste Steuermann mache zum Vergnügen eine mehrtägige Bootfahrt an der Küste entlang.

»Heute ist er überfällig,« sagte Flederwisch eines Morgens, während er, in einem Lehnstuhl sitzend, sich von einem eingebornen Schabekünstler rasieren ließ.

Carmencita saß lesend am Fenster.

»Was heißt das, überfällig?« fragte sie.

»Er wollte spätestens in vierzehn Tagen zurücksein, heute ist der erste Tag der dritten Woche, und ich muß daher annehmen, daß ihm etwas zugestoßen ist.«

»Wenn er ertrunken wäre!«

Der Ruf konnte ebensogut Schrecken wie Freude ausdrücken.

»Na, na,« murmelte Flederwisch in den Seifenschaum.

»Was machst du denn, wenn er auch in den nächsten Tagen nicht kommt?«

»Nächste Tage? Ich muß schon heute – die Sache dem Seemannsamte melden, sonst muß ich eben warten. Ich weiß ja nicht einmal, wo er ist.«

Flederwisch hätte sich bald versprochen und gesagt, daß er selbst vielleicht schon heute nach den Gallopagos müsse.

»Das Signal!« rief er da gleichzeitig mit Carmencita, denn am Großtopp der Frithjof ging eine grüne und eine weiße Flagge hoch, zugleich aber war es Flederwisch auch gewesen, als ob etwas Rotes an seinen Augen vorübergeschwirrt wäre. »Mensch, was hast du getan?«

Dieser Ausruf galt dem Barbier, der sich, wohl über Flederwischs plötzlichen Schrei erschrocken, einen Finger fast zur Hälfte abgeschnitten hatte.

»Rasiere mich fertig! Schnell! Schnell!«

Aber der unglückliche Bursche kauerte wimmernd in einer Ecke, ein Tuch um die Hand gewickelt, und verlangte bereits nach dem die Absolution erteilenden Priester. Vergebens versprach ihm der Kapitän, der mit halbrasiertem Gesicht dasaß, ein ganzes Goldstück. Wenn es ums Leben ging, hatte das Geld auch für den habgierigen Kreolen keinen Wert mehr.

Carmencita selbst wurde angesichts des Flaggenzeichens und der durch die Verwundung des Barbiers entstandenen Schwierigkeit von einer seltsamen Aufregung ergriffen.

»So rasiere dich doch selbst fertig!« drängte sie.

Flederwisch konnte es nicht. Er gehörte zu jenen Menschen, welche sich einmal in ihrem Leben selbst rasiert haben und dann nie wieder, weil sie hinterher aussahen, als hätten sie vier Dutzend Säbelmensuren bestanden, und für den eitlen Flederwisch genügt das, um auch ohne Schwüre nie wieder ein Rasiermesser zur Hand zu nehmen.

»Hole deinen Meister!«

Der Barbier rief statt dessen seinen Schutzheiligen an.

»Rufe den Kellner, den Wirt! Jemand in Guayaquil muß doch noch rasieren können!« jammerte Flederwisch förmlich. »Mein Gott, mein Gott, ich kann doch nicht halbrasiert nach dem Schiff laufen – und der Steuermann ist zurück, er wird auf mich warten!«

Ein Kellner kam. Er zeichnete sich nicht durch leichte Auffassungsgabe aus, fragte erst lange, ehe er begriff.

»Na, nun hat's auch noch Zeit,« sagte Flederwisch, sich phlegmatisch ins Unvermeidliche fügend und einen Notizblock aus der Tasche ziehend. »Ehe der einen Barbier geholt hat, kann Werner schon hier sein. Es ist ja kindisch, die paar Minuten nicht erwarten zu können. Hier,« er schrieb einige Zeilen auf ein Blatt, »ehe du den Barbier holst, gibst du den Zettel einem Manne von dem Boote ab, das an der vierten Treppe hält ... was willst du denn, Carmencita?«

Er hatte nicht ihr erschrockenes Gesicht bemerkt, sah nur, wie sie den Kellner kurzerhand zur Tür hinausschob, ehe er den Zettel, der den Steuermann hierherbeorderte, erhalten hatte.

»Ich will dich rasieren, Paul.«

»Was? Du?«

»Ich kann es. Ich mußte immer meinen Vater rasieren, er konnte es nicht und duldete kein fremdes Messer an sich. Komm, setz dich, schnell doch!«

Ehe Flederwisch noch über die seltsame Situation, daß ihn seine junge Frau barbierte, ins klare kam und darüber lachen konnte, was er sonst getan, hatte sie ihn auf den Stuhl niedergedrückt – eins, zwei, drei – wieder eingeseift, das Messer über das Abziehleder, stand kerzengerade vor ihm, den Arm weit und steif ausgestreckt, und mit vier großen Strichen, nämlich nach englischer Manier, die man auch dort anwendet, war die andre Seite des Gesichtes glatt. Dann Wasser, Handtuch und Puderquaste; wohl unwillkürlich fuhr ihm Carmencita mit gespreizten Fingern noch durch das Kopfhaar, zog sie schnell wieder zurück, ja, es war sogar gewesen, als hätte sie eine Verbeugung machen wollen.

»Bombenelement,« staunte Flederwisch, der gar nicht zur Besinnung gekommen war, »Mädel, bist du denn in einem spanischen Rasiersalon gewesen?«

»Paul!« erklang es hinter ihm empört.

Es war Carmencitas Glück, daß sich vor ihm kein Spiegel befand, sonst hätte er gesehen, daß ihr bleiches Gesicht und der ganze Ausdruck darin nicht die Folge der Empörung sein konnte. Es war ein furchtbarer Schreck.

In Südamerika gibt es Stuben, in denen geschminkte Mädchen einseifen und rasieren, und diese ›Barbeusen‹ stehen im denkbar übelsten Rufe.

»Wie ich dir sagte, ich hatte immer meinen Vater zu rasieren,« setzte sie ruhiger hinzu.

»Pardon!« Flederwisch sprang auf, und er war vor Verlegenheit errötet, er hatte sich nichts bei dem Worte gedacht, erst hinterher fiel ihm die ungeheuerliche Beleidigung ein. »Merkwürdig! Wenn ihr spanischen Mädchen zuseht, wie man einen Walfisch harpuniert, und ihr findet Spaß daran, ich glaube, ihr könnt es sofort nachmachen. Auf Wiedersehen in einer Stunde! Ich bringe ihn gleich mit.« Er hatte nach Strohhut und Handschuhen gegriffen und eilte hinaus.

Die Lippen fest zusammengepreßt, der weiße Schmelz der Haut aschgrau geworden, so stützte sich Carmencita auf das Fensterbrett.

»Er ist da,« kam es ächzend von den farblosen Lippen, »jetzt, Manuel, halte deinen Schwur!«

Der Kutter hatte Alfred und die vier Matrosen zurückgebracht. Aber wie sahen die Forschungsreisenden aus! Kohlschwarz gebrannt, und nicht nur Gesicht und Hände, sondern der ganze Körper, der außerdem mit von Moskitostichen herrührenden Beulen bedeckt war, denn die Kleidung bestand kaum noch aus Fetzen. Ein Matrose war überhaupt ganz nackt, hatte sich nur einen schmalen Streifen Segeltuch um den Leib gewickelt, und alle trugen anstatt der Stiefel Bretter mit Stricken unter die Füße gebunden.

Alfred beaufsichtigte das Auspacken der kostbaren Instrumente, seine Gefährten gossen eine Flasche kalter Limonade nach der andern hinter und erzählten schon von ihren Abenteuern.

Der Bootsmann hatte einen der mitgewesenen Matrosen unauffällig zur Seite gezogen, einen jungen, herkulischen Burschen mit intelligentem, fröhlichen Gesicht, und wußte die andern fernzuhalten.

Der nach seinen Abenteuern Gefragte, welcher sich beim Erzählen des an Bord üblichen platten Englisch bediente, aber dabei den gebornen Schweizer nicht verleugnen konnte, schilderte die Höllenfahrt. Doch sie mußte nach seinem Geschmack gewesen sein.

»He, Dietze, der Steuermann hat doch alles gepeilt und aufgenommen, nicht wahr, und hat nun doch seine Karte? Wenn der Steuermann nicht wieder mitginge – ich will's nur einmal so annehmen – würdest du das Schiff zwischen die Riffe nach dem gefundenen Hafen bugsieren können?«

»Jawohl, kommt nur hin!« lachte der Gefragte. »Ich kenne das schon; wie so eine Aufnahme gemacht wird, das liest sich recht hübsch in Büchern, aber wenn man's dann wieder aufsuchen will, ist man geradeso dumm wie zuvor, und dem Kapitän würde es geradeso gehn. Zwischen solchen Riffen und Sackgassen und Untiefen findet sich nur der wieder zurecht, der die Karte selbst gemacht hat und von jedem Pünktchen und Strichelchen weiß, was für ein Merkmal es bedeutet, und wenn jetzt der erste Steuermann tot ginge, dann nützten seine ganzen Karten gar nichts, dann müßte der zweite Steuermann oder der Kapitän selbst noch einmal hin und die ganze Geschichte von vorn anfangen.«

Mehr schien der Bootsmann nicht wissen zu wollen, er brach das Gespräch ab und entfernte sich.

Der erste Steuermann hatte inzwischen das herannahende Boot erspäht. Er stutzte einen Moment, als vermisse er etwas darin, dann lächelte er flüchtig.

»Also doch!« sagte er zu sich selbst. »Sie hat mich erkannt – deswegen kommt sie nicht mit an Bord. Ich bin neugierig, welche Lüge sie Flederwisch aufgehangen und dann, wen sie als Bundesgenossen gegen mich geworben hat. Ganz bestimmt ist es Manuel, der Mulatte! Flederwisch, Flederwisch, du kannst Gott danken, daß du den Nobody an Bord hast, sonst ginge es dir an den Kragen! Denn geheiratet hat er dieses Weib, dafür wette ich meinen Kopf! Wie er es wohl anfangen wird, mir diese Tatsache beizubringen? Na, Freundchen, wenn du wüßtest, was ich entdeckt habe, du würdest viel größere Augen machen als ich, wenn du mir erzählst, was für ein Esel du gewesen bist! Hoffentlich war das mit eine deiner letzten Dummheiten!«

Das Boot legte an.

»Habt Ihr etwas gefunden?« rief Flederwisch, der sich über die Bordwand schwang.

»Einen vortrefflichen Hafen,« entgegnete Alfred, sich die Hand schütteln lassend, »wie geschaffen zum Ausladen, ohne Ankergrund, doch leicht und sicher zu vertäuen, ziemlich in der Mitte der Gruppe, die Hinfahrt durchaus offen, die Frithjof kann vom Lande aus auf beiden Seiten geschleppt werden. Freilich,« setzte er nach dieser lakonischen Meldung lächelnd hinzu, einen Blick an sich hinabsendend, »freilich werden diejenigen, welche an den Ufern ziehen müssen, ihre Stiefel und Kleider nie wiedersehen.«

»Dann ist ja alles gut! Hilf, Himmel, wie seht Ihr aus? Wo ist die aufgenommene Karte?«

»Liegt alles in meiner Kabine. Die Gallopagosriffe sind durchaus nicht so unfruchtbar, wie man sie immer verschreit; es wächst dort eine niedliche Art von Dornen; was die einmal fassen, halten sie fest – ein niederträchtiger Busch! Und Moskitos! Ich habe die Ehre, die Seekarten um eine ganze Menge von Peilungen zu bereichern. Ich bin der erste, der die Durchfahrten in der nördlichen Gruppe der Schildkröteninseln sondiert hat – wird aber wenig Aufsehen in nautischen Kreisen erregen.«

»Na, mich freut's, daß Ihr Euch wenigstens nicht die gute Laune habt verderben lassen!«

Sie begaben sich in Alfreds Kabine. Flederwisch prüfte die gefertigten Pläne, und als erfahrner Seemann erkannte auch er sofort, daß trotz der peinlichen Aufnahme des Weges durch die Inselchen nur der ihn wiederfinden konnte, der die Zeichnung nach Messungen ausgeführt hatte. Eine Seekarte ist eben kein Landstraßenplan, und ebenso schwer hätte jemand genau denselben Weg einschlagen können, den vor ihm ein Wanderer durch einen jungfräulichen Urwald genommen, seine Route durch die Stellung der Bäume und der Sterne, welche durch diese und jene Zweige schimmerten, beschreibend.

Nun, der erste Steuermann würde ja die Frithjof leiten.

»Ihr habt einen ziemlichen Sturm dort durchmachen müssen. Wie ist es denn zwischen den Felsklippen?«

»Schrecklich! Die Brandung wütet, wie ich es noch nirgends gesehen. Aber mein Hafen ist gut, und solange die Taue halten, liegt das Schiff sicher. Und sonst herrscht dort eine Hitze – unbeschreiblich!«

»Ja, man merkt's. Ihr könntet Euch auf dem Jahrmarkt als echter, feuerfressender Neger ausstellen lassen. Besten Dank für Euern Eifer! Nun etwas andres!« Flederwisch ging aus dem geschäftlichen Tone, der aber nie des Spottes entbehrte, in einen vertraulichen über, und dabei begannen, während sich sein Antlitz rötete, die Augen unsicher zu flackern. »Steuermann, Ihr dürft mir noch nachträglich gratulieren!«

»Wozu?«

»Seit vierzehn Tagen bin ich ein verheirateter Mann, richtig durch den Segen des Priesters mit einer Vertreterin des andern Geschlechts fürs ganze Leben verbunden.«

»Wie sagen Sie?«

»Na, ich bin verheiratet!«

»Bitte, ich verstehe die Pointe noch immer nicht!«

»Was, Ihr denkt, es sei ein Witz? Herrgott, Mensch – ich habe geheiratet – bin vor vierzehn Tagen in der Klosterkirche von St. Palo getraut worden. Ja, ja, Ihr braucht mich nicht so anzusehen!«

Obgleich Alfred wußte, daß es sich hier nicht um einen Scherz handelte, stellte er sich doch, als traue er seinen Ohren nicht.

»So!«

»Jawohl, so! Was habt Ihr eigentlich dagegen?«

»Mit wem?«

»Mit einer Dame! Na, ich kann mir ja denken, daß Euch meine Offenbarung etwas gegen den Kopf schlägt. Kurz und gut, als ich das letztemal mit der Imma hier war, fiel ich in Amors Schlingen, ich bin mit ihr, einem Mädchen aus höchst achtbarer Familie in Quito, ein Jahr verlobt gewesen, neulich erfolgte die Trauung. Es kommt Euch etwas plötzlich, nicht wahr? Ja, du lieber Gott, ein Verliebter ist manchmal ein komischer Kauz, ich hatte niemals den rechten Mut, zu jemandem davon zu sprechen – Ihr kennt ja die alte Geschichte von der heimlichen Liebe, von der niemand nichts weiß – meine Schwester war übrigens in alles eingeweiht, sie war die einzige.«

»Imma?«

»Sie hat Euch also nichts gesagt? Ich bat sie darum, es nicht zu tun – eben aus dem dummen Grunde – hätte aber nicht gedacht, daß sie so verschwiegen sein könnte. Das ist brav von ihr – oder auch nicht!«

»Ich gratuliere, Kapitän!« Alfred zwang sich zu einem Lächeln, als er jenem die Hand hinstreckte.

»Danke, danke, alter Junge! Carmencita wird also an Bord bei mir bleiben – daß die Kabine, in der ich immer meine Bilder entwickelte, als Damenboudoir eingerichtet ist, wißt Ihr doch. O, es soll ein prachtvolles Leben werden. Zieht Euch doch gleich an, ich muß Euch ihr vorstellen, sie brennt danach, Euch kennen zu lernen ...«

»Verzeiht! Heute nicht! Denkt Euch meine Verfassung, ich sehne mich nach einem Bad und nach der Koje.«

»Ach, heute abend doch – na, dann morgen! Wartet, ich muß Euch doch wenigstens ihre Photographie zeigen!«

Er öffnete die Tür.

»Steward, Steward!!«

Flederwisch hatte ein unsicheres, hastiges Wesen.

»Hallo, ich muß das Etui doch hier haben!« sagte er, in allen Taschen wühlend, während der Gerufene schon vor ihm stand. »Nein, dann muß es auf meinem Schreibtisch liegen – das rote Lederetui, hole es! Ein bildschönes Weib,« wandte er sich wieder an den Steuermann, »zum Küssen – Ihr sollt sie sehen!«

Seltsame Worte!

»Ihr habt Euch doch nicht katholisch trauen lassen?«

»Natürlich, anders geht es hierzulande doch nicht! Hast du das Etui, Manuel?«

Der Steward hatte das Etui nicht finden können.

»Esel! Dann geh an meinen Schreibtisch, links die zweite Schublade, da liegen noch ein paar Dutzend. Ja, Steuermann, in der St. Palokirche habe ich mich trauen lassen, der Priester war ein – Mulatte.«

Es war das letzte Geständnis gewesen. Alfred mußte wissen, was die letzten Worte bedeuteten, und seine Augen erweiterten sich denn auch; wie fassungslos blickte er den Sprecher an.

»Ihr habt doch nicht – Eure Frau ist eine Farbige?«

»Eine Quadrone!«

»Kapitän!«

»Was habt Ihr?« Drohend begannen sich Flederwischs Brauen zu runzeln, wenn er auch gleichgültig fortfuhr: »Ich weiß schon, was Ihr denkt! Ich weiß auch, daß in einigen Jahren die Herrlichkeit vorüber sein wird. Aber ich bin einmal Gefühlsmensch, ich liebe sie und – ich bin ein Ehrenmann! Carmencita ist eine Quadrone, für mich aber ist sie ein Engel, und ich liebe sie. Fordert Ihr weitere Erklärungen?«

Alfred raffte sich anscheinend mit Mühe auf, er streckte Flederwisch noch einmal die Hand hin.

»Ich wünsche Euch nochmals Glück, Kapitän, mögt Ihr es nie zu bereuen haben!« sagte er in wirklich herzlichem Tone.

»Jetzt vorläufig bin ich der glücklichste Mensch,« lachte Flederwisch, sich ebenso schnell verändernd, und schlug ein, »und ich bin der Mann, mir mein Glück zu sichern. Daß ich mir ein Leben zu zimmern verstehe, habt Ihr wohl schon gemerkt. Ja, Carmencita ist eine Farbige, wie sie alle sind, aber sie bleibt bei mir an Bord, und ich werde sie mir erziehen ...«

»Ich kann die Photographien nicht finden, Kapitän!« meldete der wieder eingetretene Steward.

»Nicht links im zweiten Schubfach? Nanu, wo soll ich sie denn hingepackt haben? Ich habe in meinem Glück wirklich den Kopf ganz und gar verloren! Es ist gut! Na, Steuermann, da werdet Ihr also morgen mittag mit uns speisen, es ist besser, Ihr seht sie gleich, ehe ich Euch den Mund wässerig gemacht habe ... was wollt Ihr?«

Alfred hatte eine Bewegung gemacht.

»Danke, ich werde morgen der Einladung folgen. Nun, Kapitän, muß ich Euch eine Mitteilung machen – ich erbat mir doch Bedenkzeit – ich werde Euch also schon hier in Guayaquil verlassen. Nehmt Ihr die Kündigung an, Kapitän?«

Es mußte doch ein schwerer Schlag für Flederwisch gewesen sein. Er konnte ja nicht erraten, was für Pläne sein erster Steuermann mit dieser plötzlichen Kündigung verfolgte.

»Warum?« fragte er nach einer langen Pause scharf.

»Das Schmuggelhandwerk verträgt sich nicht mit meiner Ehre!«

»Ich werde es wahrscheinlich aufgeben!«

»Wahrscheinlich, aber nicht in der Tat! Nein, Kapitän, ich kündige hiermit, wenn auch in alter Freundschaft!«

»Ist das Euer letztes Wort?«

»Mein letztes! Doch ich halte es selbstverständlich für meine Pflicht, die Frithjof noch zwischen die Gallopagos zu führen!«

»Ah, das ist etwas andres!« rief Flederwisch, erleichtert aufatmend. Denn das war seine einzige Sorge gewesen. »Nun denn, morgen mittag! Ich will Euch jetzt nicht weiter stören!«

Er schüttelte dem Steuermann die Hand und ging.

Alfred saß eine Weile schweigend da, dann erhob er sich und sagte halblaut:

»Und jetzt wird Manuel mich aufsuchen! Er hat nicht ohne Grund gelogen, daß er die Photographien nicht finden könnte. Er weiß, daß ich Carmencita bereits kenne, und fürchtete, daß ich es beim Anblick ihres Bildes verraten könnte! Nun, er soll mich gerüstet finden, dieser böse Dämon des Kapitäns Flederwisch!«

Warum aber verurteilte auch der angebliche Alfred Werner die Heirat Flederwischs mit einer Farbigen so scharf?

Das mußte auch Flederwisch wissen. Wie sonst alles gekommen war, konnte sich Alfred erklären. Flederwisch hatte Gefallen an einem Weibe gefunden, man setzte ihm Widerstand entgegen, Geschenke und Geld zogen nicht, Heirat wurde gefordert – und da hatte er eben leichtsinnig den Schritt getan, den sich ein andrer Mann, und sei er auch noch so sorglos, doch wenigstens etwas überlegt – hatte einfach geheiratet. Religion, Trauung, wie es später werden würde, die Untrennbarkeit der katholischen Ehe, die Vermögensverhältnisse – das galt ihm ja alles nichts, und wenn er ihrer überdrüssig ward, jagte er sie doch davon. Was kümmerte ihn der morgende Tag? Den heutigen wollte er genießen!

Alfred aber mußte diese Heirat doppelt verdammen, denn er kannte Carmencita, nicht erst seit seiner heimlichen Anwesenheit in Guayaquil, sondern bereits seit Jahren, und er wußte auch, was sie gewesen war.

Der Gedankengang Alfreds war geschlossen, als ihm der Steward meldete, daß ein Bad bereit sei. Er hörte noch, wie Flederwisch nach dem Bootsmann rief und ihn von Matrosen suchen ließ; er wollte ihn mit an Land nehmen. Aber der Mulatte kam nicht und wurde nicht gefunden, obgleich er an Bord sein mußte. Solch ein Schiff ist ja zu groß, hat zu viele Kammern und Winkel, man kann sich darin verlieren, ohne sich verstecken zu wollen. So fuhr Flederwisch endlich ohne Manuel ab.

Das Boot hatte sich noch nicht zwischen den Schiffen im Hafen verloren, als aus einer Luke des Mulatten wolliger Kopf auftauchte.

»Ihr solltet mit dem Kapitän fahren. Wo seid Ihr denn gewesen?« rief der zweite Steuermann.

»Im Kielraum, habe das Wasser gemessen.«

Manuel trocknete das Meßinstrument ab und schritt dem Kajüteneingang zu.

»Ist der Erste in seiner Kabine?« fragte er den Steward.

»Er sitzt im Bade.«

»Wie lange schon?«

»Fünf Minuten.«

Der Mulatte begab sich in die geräumige Schlafkabine, welche er mit andern Unteroffizieren teilte; jetzt befand sich niemand darin, er verriegelte die Tür hinter sich, zündete, obgleich es hell genug war, die in Kugellagern schwebende Petroleumlampe an, zog unter der Koje seine Kleiderkiste hervor, schloß sie auf, wühlte darin und brachte vom Grunde derselben ein mit fremdartigen Schnitzereien bedecktes Holzkästchen zum Vorschein, dem er ein geschliffenes Fläschchen entnahm, gefüllt mit einer grünen Flüssigkeit. Prüfend hielt er es gegen das Licht. Dann zog er aus seinem dichten Kopfhaar, das ihm stets als Scheide zu dienen schien, jenen kleinen Dolch hervor, mit dem er einst Alfred bedroht hatte, nahm den eingeschliffenen Glasstöpsel von der Flasche, träufelte vorsichtig einige Tropfen auf beide Seiten der Spitze des Dolches und wendete diese in einiger Entfernung von dem Hitze ausstrahlenden Lampenzylinder hin und her, bis die Flüssigkeit eingetrocknet war.

»Schade,« sagte er, als er die Lampe ausblies und das Fläschchen wieder in der Kiste barg, »der Ring wäre besser und sicherer, aber den hat der Kapitän.«

Sonst war nicht in seinen dunklen Zügen zu lesen, was diese Vorbereitungen bedeuteten.

Lauschend blieb er an der Tür stehn. Nach einer Weile vernahm er Schritte auf dem Gange, sie mehr durch die Erschütterung des Bodens fühlend als hörend. Eine Tür schob sich in den Rollen.

Manuel riegelte auf – einige Schritte – er stand vor der Kabine des ersten Steuermanns, klopfte an, trat ein und ging durch diesen Raum in die Schlafkabine.

In dieser saß auf dem niedrigen Sofa der erste Steuermann, das Haar noch feucht, nur in einen langen Bademantel gehüllt. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Eintretenden und ordnete die Zeitungen weiter, welche er dann in der Koje lesen wollte.

»Ihr seid's, Bootsmann? Der Kapitän hat Euch vorhin wie eine Stecknadel gesucht.«

»Ich weiß es, aber ich hatte mich versteckt, um Euch in des Kapitäns Abwesenheit allein zu sprechen.«

Jetzt sah Alfred ihn voll an. Er wußte nun genau, daß seine Voraussetzungen stimmten.

»Nun, was gibt's?«

»Steuermann, kann ich einmal vernünftig mit Euch reden? Es ist eine verdammt wichtige Sache, es handelt sich um unsern Kapitän.«

»Sprecht, Manuel! Das klingt ja geheimnisvoll.«

»Seht, Steuermann,« begann der Mulatte in gedämpftem Tone, »ich bin ein grober, ungehobelter Bursche und verstehe den Henker etwas von Umgangsformen, deshalb falle ich gleich mit der Tür ins Haus, denn länger muß ich mich dabei aufhalten, was mich selbst anbetrifft. Ich bin ein Säufer, ein Spieler und ein Raufbold, habe mehr Leuten den Schädel eingedrückt und den Galgen öfter verdient, als ich an den Fingern herzählen kann, ich bin ein Strolch, ein Lump und ein Hundsfott durch und durch, an mir ist auch kein Lot Gutes, und einen Menschen zu ermorden, das ist bei mir gerade so viel, wie eine Fliege totklappen, und wie locker bei mir das Messer sitzt, das wißt Ihr ja selbst von Beginn unsrer Fahrt.«

Jeder andre als Nobody wäre durch diese sonderbare Einleitung stutzig geworden, er aber tat weiter nichts, als daß er unter dem Bademantel die Hand freimachte und sich bereithielt, dem Mulatten bei einem etwaigen Angriffe einen Fußtritt vor den Leib zu versetzen.

»Nein, nein, Steuermann, braucht keine Bange vor mir zu haben,« sagte schnell der Mulatte, und merkwürdig an ihm war es, daß er nicht dabei grinste. »Für solch einen Dummkopf haltet Ihr mich wohl nicht, daß ich erst langen Unsinn schwatze, wenn ich Euch ans Leben wollte. Daß Ihr mich damals zu Boden schlugt, war ganz recht; gleich die Hand hättet Ihr mir abhacken sollen, wie ich der Katze den Schwanz, ich hatte es doppelt verdient. Und nachtragend bin ich nicht. Ihr solltet nur sehen, daß ich mich nicht besser mache, als ich bin. Ein so grober Geselle ich aber nun auch bin, Grütze habe ich doch im Kopfe, habe manches gelernt, was andre nicht können, kann lesen und schreiben und rechnen ...«

»Kommt endlich zur Sache!« unterbrach Alfred ihn ungeduldig, ohne seinen heimlichen Verteidigungszustand aufzugeben. Jetzt brach bei dem Mulatten wieder einmal die Geschwätzigkeit seiner Rasse durch.

»Und doch ist das gerade die Hauptsache. Ich wollte Euch nur sagen, daß ich auf meine Weise auch ein Politikus bin, und was ich darin leiste, das kommt alles meinem Herrn zugute, und mit welcher Liebe ich an dem hänge, wißt Ihr doch ...«

»Was ist nun eigentlich mit dem Kapitän?«

»Well, der Kapitän ist mit seiner Heirat verdammt hineingefallen, jetzt kommt's kurz und bündig heraus, und nun bin ich da, der Manuel, um zu verhüten, daß er sich noch mehr Unglück auf den Hals ladet.«

»Ihr seid seiner Frau nicht gewogen?«

»Bah, ich komme nicht in Betracht, es gilt nur dem Kapitän. Daß es ein zänkisches, launenhaftes Weib ist, daß die Farbige in ein paar Jahren eine alte Hexe sein wird – das meine ich auch alles nicht; 's ist noch was andres dabei. Seht, Steuermann, wenn Ihr ein Goldstück bekommt, und Ihr laßt's Euch wechseln, und erst später erfahrt Ihr, daß es ein falsches gewesen ist, dann tut's Euch doch auch nicht hinterher leid, ein falsches Goldstück gehabt zu haben. Nein, das ist auch noch nicht das Rechte. Paßt auf, ich will Euch eine Geschichte erzählen! Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen. Ich hab's an meiner Tabakspfeife, die ich gerade rauche, und wenn's auch nur ein elender Kalkstummel ist; und schmettert mich eine Woge gegen die Bordwand, dann greife ich erst nach meinem Kalkstummel, ob der noch heil ist, und dann erst untersuche ich meine Rippen. Da hatte ich mir in Triest einmal eine Meerschaumpfeife gekauft, 's war ein Schwein draufgeschnitzt, ein Glücksschweinchen wär's, sagte der Händler, und das Meerschaumpfeifchen rauchte sich so wunderschön an, erst wurde es oben rot und dann braun, und dann gings so langsam von oben nach unten und von hinten nach vorn, und ich war stolz auf meine Meerschaumpfeife und zeigte sie jedem und prahlte mit ihr; niemand hatte eine so schöne Pfeife wie ich, und wer etwas an ihr zu tadeln hatte, dem schlug ich die Zähne ein. Da sagte mir einmal ein Matrose, der etwas davon verstand, das wäre nur Schlemmkreide und etwas darüber gepinselt, was sich geradeso anraucht wie Meerschaum. Ich glaubte dem Hund nicht und schlug ihn halbtot, aber – ich weiß nicht, mir war etwas verdorben, ich ging weiter und fragte andre, die noch mehr davon verstanden, und überall hieß es: der Händler hat dich betrogen, das ist nur überpinselte Schlemmkreide. Da nahm ich die Pfeife und schleuderte sie an Deck, daß sie in tausend Stücke zersprang, und dann kroch ich alter Esel in den Kielraum und heulte wie ein Kind. Seht, Steuermann, war es nötig gewesen, daß mir mein Maat sagte, es wäre nur Schlemmkreide? Er wußte, wie ich mich über mein Meerschaumpfeifchen freute, und er hatte doch nichts davon, als ich sie hinwarf. Na ja, die Schadenfreude! Aber die verging ihm bald unter meinen Fäusten. Hätte er nichts gesagt, so hätte ich heute noch meine schöne Meerschaumpfeife. Denn darauf kommt's doch nicht an, was man hat, sondern was man zu haben glaubt. Habe ich recht oder unrecht?«

Alfred war überrascht. Solch eine Philosophie hätte er dem Mulatten, der Schopenhauer sicher nicht gelesen hatte, nicht zugetraut.

»Ihr habt recht. Und wie hängt das nun mit dem Kapitän zusammen?«

»Der Kapitän glaubt, er habe eine Meerschaumpfeife, und 's ist nur überpinselte Schlemmkreide.«

»Carmencita?«

»Seine Frau! Habe es zu spät erfahren, sonst hätte er sie billiger haben können, und er konnte sie doch für echt halten.«

»Jetzt sprecht Euch offen aus.«

»Nicht eher, als bis Ihr mir Euer Ehrenwort gegeben habt, dem Kapitän nicht zu verraten, was Ihr wißt. Warum soll er nicht an sein Meerschaumpfeifchen glauben, wenn er's liebt?«

»Hier begeht Ihr einen Fehler, Manuel,« sagte Alfred, der sich unwissend stellte. »Wenn Ihr etwas aus ihrer Vergangenheit wißt, warum wollt Ihr mir das Geheimnis aufdrängen? Ich mag es gar nicht wissen.«

»Ihr könntet doch zufälligerweise dahinterkommen, so gut wie ich, gerade Ihr könnt es ihm verraten, auch wenn Ihr es gar nicht wollt, und ich möchte meinen Herrn vor dem Jammer bewahren, daß er seine Meerschaumpfeife nicht selbst zerschmettert. Euer Ehrenwort, Steuermann!«

»Wenn Ihr es durchaus wollt, ich kann es Euch geben.«

Aus Manuels rechtem Jackenärmel kam die Hand zum Vorschein, sie nahm die hingehaltene, hielt sie fest, die unsichtbare Hand im andern Aermel ballte sich noch mehr zur Faust, und jetzt trat das beständige Grinsen hervor.

»Bis zur Hochzeit hieß sie Carmencita Moriere, ihr eigentlicher Name aber ist Dolores Servante, und ihre im Gefängnis sitzende Mutter hatte in Valparaiso einen Rasiersalon.«

Der erste Steuermann hätte selbst diese letzten Worte aussprechen können, denn er kannte Carmencitas Vergangenheit, genauer vielleicht, als die Quadrone dem Mulatten gebeichtet hatte.

Alfred Werner, wie Nobody sich jetzt nannte, hatte selbst einst in den Liebesbanden dieser schönen Sirene gefangen gelegen. Allerdings, er war immer Nobody geblieben. Er hatte nie sich selbst vergessen, er hatte in der damaligen Dolores Servante das farbige Weib sozusagen studiert, und was er da erfahren hatte, das genügte dann, um ihm für alle Zeiten die tiefste Verachtung vor allen diesen südamerikanischen Mischlingen einzustoßen.

In Valparaiso war es gewesen, wo sein Schiff für Monate im Dock lag. Bisher waren die Fahrten des Steuermanns nur nach dem Osten gegangen; zum ersten Male kam er nach der Westküste Südamerikas. Bei einer Volksfestlichkeit hatte er das wunderbar schöne Mädchen kennen gelernt.

Dolores hatte sich für die Tochter hochstehender Eltern ausgegeben, dabei aber in ihrer Leidenschaft die Grenzen nicht innegehalten, die vornehmen Mädchen durch Geburt und Erziehung gesteckt sind.

Da ereignete sich in einem jener Barbiersalons ein Skandal. Die Sache kam vor Gericht, und selbst ein Mann wie unser Nobody, gesteht in seinen Tagebüchern, daß er aufs höchste überrascht gewesen sei, als er mit zur Zeugenschaft aufgefordert wurde. Neben ihm stand als Hauptangeklagte die unschuldige Dolores. Unter dem Eide entpuppte sich das schöne, voll entwickelte Mädchen den Jahren nach als ein Kind, dem Charakter nach zusammengesetzt aus Lüge und Verdorbenheit; ihre Mutter war die Besitzerin einer berüchtigten Damenbarbierstube.

Dann kamen die Versuche einer Versöhnung, mit Bitten und Tränen und Verzweiflung, sie liebe ihn ja doch, wolle nur seine Geliebte bleiben – denn das ist ja eben der Charakter der Farbigen, der Zigeunerin und des verkommenen Weibes, daß sie den noch liebt, der sie verachtet – bis zu einer gewissen Grenze, an der sich die Liebe in glühenden Haß verwandelt. Doch Alfred stieß sie entrüstet von sich ...

Manuel löste seine Hand, er hielt dem Steuermann ein rotes Lederetui mit einer Photographie vor.

»Es sind zwar schon drei Jahre – ist sie dem Bilde noch ähnlich?«

»Sie ist es!« flüsterte Alfred.

»Das eben ist es. Ihr müßt ihr doch gegenübertreten, könnt es nicht verhindern, sonst schöpft der Kapitän Verdacht. Oder wollt Ihr etwa sagen, Ihr hättet den Schnupfen, habt Euch in den Finger geschnitten? So etwas gibt's bei uns Seeleuten nicht. Ihr seid zu morgen mittag eingeladen, Ihr müßt hin. Carmencita hat sich beim Anblick Eurer Photographie dort verraten, sie mußte mir beichten, ich ließ nicht locker. Sie ist vorbereitet und erwartet Euch, jetzt habe ich Euch vorbereitet. Aendern könnt Ihr doch nichts mehr, laßt dem Kapitän seine Meerschaumpfeife. Euer Ehrenwort habe ich.«

»Ihr habt es. Verlaßt mich jetzt!« brachte Alfred in gutgespielter Bestürzung mühsam mit heiserer Stimme hervor.

Der Mulatte ging. In seiner Kammer schmirgelte er die vergiftete Klinge des Dolches mit Sandpapier ab und ließ ihn statt im Aermel, wieder im Haar verschwinden. Er hatte ihn nicht gebraucht. –

Am andern Mittag stellte Flederwisch die beiden einander vor. Sie kannten sich nicht, hatten sich nie gesehen. Carmencita besaß die Kunst der Verstellung, und Alfred bezwang sich. Sie wurde aber von ihrem gewöhnlichen Phlegma verlassen, lachte und scherzte viel.

Als Alfred dann befreit war, ging er auf die Post und gab einen eingeschriebenen Brief auf, den er schon in der Tasche getragen hatte, und als dieser unwiderruflich aus seinen Händen war, fiel ihm die Strophe eines Gedichtes ein, das er einst in der Jugend gelernt hatte:

»Und schnitt zwischen beiden das Tafeltuch entzwei.« –

Die Frithjof war unter Alfreds Leitung in das Labyrinth der Wasserstraßen und Felseninseln eingedrungen, die den nördlichen Teil der Gallopagosgruppe bilden.

Es war eine furchtbare Arbeit gewesen. Das Schiff mußte beständig geschleppt werden. Taue wurden nach den nächsten Inseln ausgefahren, die Matrosen spannten sich davor, vor ihnen ging eine andre Abteilung, die erst in dem Dornengestrüpp, einer Salzwasserpflanze, mit Aexten und Messern einen Weg bahnten, und dennoch fielen die Kleider in Lappen vom Körper und auf dem mit Spitzen bedeckten Lavaboden die Stiefel von den Füßen; und wenn die nackte Sohle den glühenden Stein berührte, sengte auch noch die Haut ab. Die meisten litten an einer Augenentzündung, zwei waren vom Sonnenstich getroffen worden, den einen gab Flederwisch schon auf, und drei andre waren durch Schwäche arbeitsunfähig. Es fehlten nur noch Fieber und Moskitos. Dann aber lag die Frithjof an der ausgesuchten Stelle, einer gegen die Brandung geschützten Bucht, und wurde an Lavablöcken, die im Boden wurzelten, mit Tauen befestigt.

Nach einem Tage der Erholung begann das Ausladen der Kisten. Der Donkey trieb die Dampfwinden, diese hoben aus dem Raume die Kisten empor und über Bord, wo sie an Land von Matrosenarmen weitergemannt und aufgestapelt wurden. Wollte der Kapitän aber seine Leute nicht ruinieren, so konnte er sie nur in der kühlsten Zeit arbeiten lassen, am frühesten Morgen und kurz nach Sonnenuntergang, immer nur wenige Stunden, und so würden mit dem Ausladen zwei Wochen vergehn. Aber auch in der freien Zeit war keine erquickende Ruhe möglich. Von dem ewig blauen Himmel brannte die Aequatorsonne fürchterlich heiß herab. Unter Deck war es nicht auszuhalten. Hier nutzte keine Ventilation und kein eisgekühltes Getränk, noch weniger ein Bad in dem warmen Seewasser, an Deck wurden die Augen von der spiegelnden See und den von den Lavamassen reflektierten Glutstrahlen gequält, und wenn die Nacht endlich Kühlung brachte, so erschienen mit ihr auch Myriaden von Moskitos, welche das frische Menschenblut gewittert hatten.

Der einzige, welchen diese Hitze gar nicht zu belästigen schien, war Alfred. Dies mochte er weniger seiner Körperkonstitution, als vielmehr seiner Energie verdanken, jener Energie, durch welche der Forschungsreisende das Fieber der Tropen und die Todeskälte der Polarregion bezwingt.

Der erste Steuermann hatte aus Gefälligkeit gegen den Kapitän, um kein Aufsehen zu erregen, in Guayaquil nicht abgemustert. Denn das absegelnde Schiff hätte doch einen andern Steuermann an Bord nehmen müssen; das Abmustern, auf dem Seemannsamt förmlich vorgenommen, wäre in jenem Hafen sofort bekannt geworden. Erst bei der Rückkehr nach Guayaquil, wo Flederwisch schon wieder eine neue Fracht in Aussicht hatte – ohne Schmuggel, wie er vor Alfred betonte, was aber dessen Entschluß nicht mehr änderte – wollte er dies tun und sich direkt nach England zurückbegeben.

Da jetzt an Bord nichts für ihn zu tun war, konnte er die ganze Zeit für sich verwenden, und er benutzte sie, um im Dingi – das ist ein sehr kleines Boot, nur zwei Personen tragend – den einzelnen Inselbergen Besuche abzustatten. Außer elf größern Eilanden sind die Gallopagos ja noch völlig unbekannt; nur Darwin hat auch den nördlichern Teil untersucht und den seltsamen Fall konstatiert, daß die Gallopagosgruppe eine völlig selbständige Tierwelt beherbergt. Von sechsundzwanzig Arten Vögeln werden fünfundzwanzig nur hier gefunden und sonst nirgends auf der Erde, vierzehn Arten besondere Muscheln und drei Arten Insekten, und obgleich die Lederschildkröte von hier aus die weitesten Reisen macht – man hat sie auf den Bahamainseln wie an Irlands Küste angetroffen – erreicht sie doch nur hier, im spätern Alter das anstrengende Reisen aufgebend, eine Schwere bis zu sechzehn Zentnern.

So ruderte Alfred im Dingi, mit Proviant versehen, die Augen durch eine blaue Brille geschützt, fast täglich vor Sonnenaufgang fort und kam erst des Abends zurück, um seine Jagdbeute in der Kabine zu präparieren, auszustopfen oder unter das Mikroskop zu legen und in Spiritus zu setzen. Flederwisch kümmerte sich nicht um ihn. Zwischen den beiden war doch ein Mißverhältnis eingetreten. Der Kapitän sah seinen ersten Steuermann fast nur, wenn sich dieser vorschriftsmäßig ›von Bord‹ und ›an Bord zurück‹ meldete.

Desto mehr Interesse an dem Steuermann schien Manuel zu nehmen. Der Mulatte, dessen blutunterlaufene Augen überhaupt immer in anormalem Zustande waren, obgleich er mit ihnen wie ein Falke am Tage und wie eine Eule im Finstern sehen konnte, litt ebenfalls stark an Netzhautentzündung, dokterte selbst an sich herum und klagte seinem Herrn, welcher als Kapitän ja einige ärztliche Kenntnisse besitzen mußte, er sähe alles doppelt, und trotzdem bot er sich mehrmals Alfred zur Begleitung an, wurde aber von diesem immer abgewiesen. Er wollte in der großartigen Einsamkeit auch ganz allein sein. Da mußte Manuel dem fortfahrenden Dingi wenigstens stets solange als möglich nachsehen, auch mit Hilfe des Fernrohrs. –

Acht Tage waren vergangen, die Hälfte der Fracht erhob sich als Kistenberg auf dem Plateau.

Flederwisch lag im Salon in einer Hängematte unter dem rollenden Flügelventilator, eine Bequemlichkeit, welche der jetzt von der Morgenarbeit erschöpften Mannschaft nicht geboten war. Er berechnete die Stunden und Minuten, welche noch bis zur völligen Löschung des Schiffes nötig waren, um von dieser Höllenqual erlöst zu werden, als der stürmische Eintritt des Bootsmannes seine Gedanken unterbrach. Manuel hatte ein langes Fernrohr in der Hand, den grünen Augenschirm weit auf den Kopf zurückgeschoben.

»Kapitän, kommt an Deck!« stieß er erregt hervor. »Ihr sollt mir sagen, ob meine Augen ganz und gar vom Teufel besessen sind oder ob's seine Richtigkeit hat. Doppelt habe ich den Steuermann in zwei Dingis fortfahren sehen – das stimmt, doppelt muß alles sein – aber jetzt klettert er als vier Menschen dort hinten auf einem Berge herum!«

Flederwisch richtete sich etwas auf und blickte halb erstaunt, halb ärgerlich nach seinem Bootsmann, der ihn beim Sprechen nicht ansah, sondern halb abgewendet dastand.

»Hier liege ich, Kerl! Du blickst und sprichst ja immer in die andre Ecke. Ich glaube, du hast auch schon einen Sonnenstich im Kopfe. Sieh dich vor, Manuel! Du kannst noch blind werden. Was hast du eigentlich immer mit dem Fernrohr zu spionieren? Du verlierst deine Sehkraft noch völlig!«

»Nein, ich sehe besser als zuvor, wenn auch alles doppelt,« entgegnete der Mulatte, der sich ihm bei den ersten Worten zugewendet hatte. »Aber wahrhaftig, Kapitän, der doppelte Steuermann hat sich vervierfacht – Scherz beiseite – er ist in Gesellschaft eines andern.«

»Weil er einen andern mitgenommen hat.«

»Er ist allein im Dingi fortgefahren, ich habe es gesehen, habe überdies auch noch die Mannschaft nachgezählt, weil ich's selbst nicht glauben mochte; alles ist an Bord. Jetzt aber sehe ich zwei Menschen dort zwischen den Klippen herumklettern. Wahrhaftig, Kapitän, es ist so! Ich hatte das Dingi aus den Augen verloren, und als ich das Glas herumschob, bekam ich plötzlich einen Mann in Sicht, der auf einer Insel von Stein zu Stein sprang. Ich denke natürlich, 's ist der Steuermann. Denn wer sollte es sonst sein? Dann fällt mir's auf, wie komisch der sich benimmt; ich glaube, der Steuermann tanzt Hornpipe, springt immer von einem Fuß auf den andern und quirlt mit den Beinen in der Luft herum. Und, denke ich noch so, was fällt denn dem ein, bei der Hitze den Hut abzusetzen? Der Steuermann hatte nämlich wie immer bei seiner Abfahrt einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopfe. Sonst ist's zu weit, um etwas deutlich unterscheiden zu können. Da verschiebe ich aus Versehen das Glas etwas, und plötzlich habe ich eine zweite Figur vor dem Glase – und das war der Steuermann mit dem Strohhute; er krabbelte einen Berg hinauf, auf derselben Insel. Kapitän, so oder so, da ist ein Fremder in der Nähe!«

Mit einem Fluche sprang Flederwisch aus der Hängematte und eilte an Deck.

Bisher hatte man von der Frithjof aus noch kein einziges Segel gesehen, keine Rauchwolke am Tage, kein Licht in der Nacht. Ein Schiff hatte hier durchaus nichts zu suchen, und näherte sich ein solches der vulkanischen Gruppe, so traf der Kapitän beim Erkennen der Lage sicher sofort alle Anordnungen, daß er die gefährliche Gegend schnell wieder hinter sich bekam. Auf diesen Klippen gab es nicht einmal eine Schildkröte, der man hätte nachstellen können; denn es fehlte ihr an Trinkwasser, und eben wegen ihrer Todeseinsamkeit hatte Valdez diese Inseln zum Stapelplatz der Revolver bestimmt. So konnte der Unbekannte, den Manuel entdeckt haben wollte, höchstens ein hierher verschlagener Fischer sein, dessen Verrat zu fürchten war, vorausgesetzt allerdings, daß er überhaupt erfuhr, was hier vorging. Doch nein, zu fürchten war auch er nicht. Man brauchte ihm nur den Mund mit einigen Goldstücken zu stopfen.

An Deck war kein Mensch.

Manuel schraubte das Fernrohr in das Stativ, richtete es nach dem westlichen Saume der sich endlos erstreckenden Felsenmasse von Bergen, Plateaus und Klippen und suchte lange. Hatte er kein besondres Merkmal, so konnte er die Insel nur durch Zufall wiederfinden. Ungeduldig beobachtete ihn Flederwisch.

»Jetzt habe ich den Berg wieder,« murmelte der Mulatte nach zehn Minuten, »da ist der spitze Felsen – nein, das ist er – und nun schräg daran herunter – und da ist der Stein, sieht aus wie eine gehörnte Teufelsfratze – und nun muß ich einen Zoll – da – da tanzt der Kerl ohne Hut wieder!«

Daß er nicht nur die Gegend, wo er ihn gesehen, sondern den Menschen selbst wiedergefunden hatte, war ein sehr großer Zufall, denn eine Drehung der Mikrometerschraube am Stativ bedeutete bei dieser Entfernung eine Verschiebung gleich um Meilen.

Manuel war schnell zurückgetreten, ebenso schnell brachte Flederwisch sein Auge an das Rohr.

»Stimmt! Einen krabbelnden Punkt sehe ich. Aber ob's ein Mensch ist ...?«

»Es ist ein Mann!« versicherte Manuel. »Meine kranken Augen sind eben dennoch besser als Eure gesunden. Was soll's denn auch sonst sein? Ein Sandfloh? Und der Steuermann ist es nicht, den sah ich vorhin anderswo mit seinem großen Strohhut.«

»Hole mir Nummer acht aus der Instrumentenkammer, aber schnell!«

Der Mulatte brachte ein altes, noch größeres Fernrohr. Flederwisch schraubte es fest, ohne den gefundenen Punkt aus dem Auge zu lassen, visierte mit dem Sucher und hatte so die Figur bald wieder im Rohr.

»Wahrhaftig, es ist ein Fremder!« zischte er durch die Zähne. »Sieht wie eine Vogelscheuche aus, die Lappen flattern ihm am Leibe herum, hat eine Mütze auf; der Kerl ist verrückt, tanzt, hebt Steine auf, wirft sie in die Luft, fängt sie wieder – Manuel, wie kommt der unheimliche Geselle hierher?«

Der Gefragte blieb die Antwort schuldig, er blickte durch das Fernrohr, sah wohl alles viel näher gerückt und sehr deutlich, fand sich aber nicht zurecht. Oben hing das Meer, und die Berge standen auf den Spitzen. Das Fernrohr war nämlich ein alter Kepler, dessen Spiegel das Bild verkehrt projiziert.

Flederwisch ließ sich die nötigen Instrumente bringen und berechnete mit einer trigonometrischen Formel die Lage jener Insel so genau, wie dies von hier aus möglich war, ohne welche Bestimmung das Eiland selbst aber nicht aufzusuchen gewesen wäre. Auch mußte ihm der Mulatte beschreiben, wo er den Steuermann gesehen hätte, doch den fand Flederwisch nicht durch das Rohr.

»Mach die kleine Jolle klar!« gebot er dann. »Sie ist nicht viel schwerer als das Dingi. Nimm den Klüver mit. Der Wind ist günstig, wir können mit der Jolle hin und her segeln!«

Manuel ordnete den Inhalt der Jolle, zu welchem auch ein Fäßchen Trinkwasser gehörte, der Kapitän half ihm das Boot ausschwingen und herablassen, der zweite Steuermann wurde an Deck gepfiffen und erhielt zur Kenntnis, daß sich der Kapitän von Bord begäbe – nur eine kleine Segelpartie, gleich wieder zurück – und die beiden stießen ab, Flederwisch am Steuer, Manuel die sich blähenden Segel bedienend.

In diesem breiten Kanal ging das Segeln wohl noch, schon in der nächsten Wasserstraße aber hörte es auf. Ein hoher Berg fing den Wind rein ab, dann blies er wieder von allen Seiten. Der Mulatte mußte zu den Riemen greifen, aber auch mit dem Rudern hatte es Schwierigkeiten, der vulkanische Boden hob sich immer mehr und streckte unter Wasser Spitzen empor, welche das Boot aufzuschlitzen drohten. Flederwisch mußte beständig mit einer Hakenstange die Tiefe messen und die Hindernisse aufspüren, dabei unausgesetzt den Kompaß beobachten und aller fünf Minuten die Sonne aufnehmen und mit fünfzehnstelligen Logarithmen die Lage berechnen – denn hier mitten im Labyrinth konnte man die Lage jener Insel nicht einmal mehr mutmaßen – und dies alles in einer Hitze, daß Flederwisch schon zu fühlen glaubte, wie sein Gehirn zu schmelzen begann.

So verging eine halbe Stunde. Dann warf Manuel die Ruder ins Boot und sich selbst daneben.

»Kapitän, ich bin kein Waschlappen, aber das halte ich nicht mehr aus!« röchelte er.

Flederwisch erging es nicht anders. Sie schöpften mit Eimern Seewasser und gaben sich gegenseitig Duschen. Etwas kühlte es doch ab. Ein Bad außerbords zu nehmen, durften sie nicht wagen; selbst hier in den engen, seichten, von Spitzen starrenden Kanälen zeigten sich Haifischflossen. Weit entfernt konnte die Insel allerdings nicht mehr sein. Flederwisch spiegelte wieder nach der Sonne und griff zu den Logarithmentafeln, Manuel nochmals zu den Rudern, das Boot kam in freieres Wasser, bis der Kapitän nach einer neuen Berechnung erklärte, jene Insel dort sei die aufgenommene.

Wäre der Bootsmann nicht von der Unfehlbarkeit nautischer Bestimmungen überzeugt gewesen, er hätte es nicht geglaubt, so ganz anders sah die Insel hier in der Nähe aus als vorhin von Bord.

Es war gegen Mittag, als sie das Boot befestigten und den Lavagrund betraten. Schnell stellten sie aus den Rudern und dem Segel ein Sonnenschutzdach her, um sich darunterzuwerfen – und mit einem Schmerzensschrei wieder aufzuspringen. Der glühende Boden mußte erst mit Wasser gekühlt werden. Dann legten sie sich in den Schatten, einen Gehirnschlag oder Wahnsinn befürchtend, bis sie vor Erschöpfung einschliefen.

Von einem Rütteln geweckt, fuhr Flederwisch auf und blickte verwirrt um sich. Der Mulatte deutete mit der Hand in die Ferne, und langsam, sich wie zum Sprunge duckend, erhob sich Flederwisch. Dort stand der fremde Mann, blickte nach dem kleinen Zelt, hüpfte von einem Beine auf das andre, schwenkte die Mütze und krähte laut wie ein Hahn.

»Er ist barfuß, der Boden ist ihm zu heiß,« meinte Manuel.

»Er ist verrückt. Wie kommt er nur hierher? Er winkt uns!«

Sie krochen unter dem Zeltdach hervor, warfen einen Blick nach dem Boot und gingen auf die seltsame Erscheinung zu. Der Mann war von dem hohen Punkte herabgesprungen und stand bis an die Knie im Wasser, das von der Flut zurückgeblieben war. Ob Spanier oder Farbiger, das war nicht zu unterscheiden, alles war kohlschwarz gebrannt, Haar und Bart sehr lang und verwahrlost; um den skelettartigen Körper hingen nur noch spärliche Lumpen, und in den tief eingesunkenen Augen glühte manchmal ein verzehrendes Feuer, das gleich wieder einem leeren Ausdruck Platz machte. Der Mann mußte schon lange in dieser Felsenwüste zugebracht haben – offenbar hatte man es mit einem Schiffbrüchigen zu tun.

Ruhig hatte er die beiden herankommen lassen. Jetzt machte er mit steifer Würde Verbeugungen und rief im Heroldstone, sich der spanischen Sprache bedienend:

»Willkommen in meinem Reiche, ihr Abgesandten von Aegyptens Kaiser, ihr steht unter meinem Schutze!« Und nach rückwärts rief er: »Carlos, laß die Teppiche ausklopfen!«

»Wirklich verrückt!« brummte Manuel.

»Wer bist du?« fragte Flederwisch.

Stolz richtete sich der Gefragte empor.

»Der Gouverneur dieser Insel; meine Macht reicht vom Libanon bis nach Troja, alle Fürsten der Welt entblößen vor mir die Häupter.« Und sich wieder wendend, setzte er mit schallender Stimme hinzu: »Blast Fanfaren! Achtung, Soldaten, präsentiert das Gewehr! Taramtata, taramtata!«

»Wollen Sie uns nicht nach Ihrem Palast führen, Herr Gouverneur?« fragte Flederwisch höflich und ernst, weswegen der Mulatte ihn erstaunt ansah.

Der Wahnsinnige bückte sich und klatschte kichernd auf seine Knie.

»Hihihi, ihr wollt mir wohl meinen Schatz stehlen? Nein, so dumm bin ich nicht, ich zeige ihn euch nicht!« Und dann wieder vertraulich: »Ich habe den Schlüssel verloren, weißt du!«

»Hast du ein Boot?« mischte sich Manuel ein.

»Boot? Boot?« In den eben noch stumpfsinnigen Augen blitzte es plötzlich verständnisvoll auf. »Meine Flotte bombardiert Jerusalem, der Kaiser von Spanien hat mir den Salut verweigert. Bum, bum! Hört ihr?«

»Wir sind von der langen Reise sehr hungrig,« fuhr Flederwisch so wie vorher fort. »Können Sie uns nicht etwas vorsetzen?«

»Carlos, decke die Tafel im roten Saale!« rief der Irrsinnige zurück. »Krebse – und Melonen – und Astrachaner Kaviar – rasch! Da, Krebse, hihihi!«

Er bückte sich, nahm eine Muschel aus dem Wasser, knackte sie mit den Zähnen wie eine Nuß auf und verschlang den Inhalt, die Schalen den Männern vor die Füße werfend. »Da, Geld, viel, viel Goldstücke, balge dich darum, Pöbel!« kreischte er dann.

»Ich dächte doch, Sie könnten uns erst nach Ihrem Palast geleiten,« nahm Flederwisch unbeirrt wieder das Wort. »Wir sind Abgesandte des ägyptischen Kaisers und das lange Warten nicht gewöhnt, Majestät!«

»Kommt, kommt!« winkte der Mensch, trat aus dem Wasser und ging wie ein Storch davon, bei jedem Schritt das Bein sehr hoch hebend, entweder aus Stolz, oder weil der Boden für seine nackten Sohlen zu heiß war.

Die beiden folgten.

»Warum geht Ihr auf den Unsinn ein, Kapitän?« knurrte Manuel unterwegs. »Die Sonne hat ihm eben das Hirn total verbrannt. Es ist ein gestrandeter Fischer!«

»Was verstehst du davon! So muß man einen Irrsinnigen behandeln, wenn man etwas von ihm erfahren will, immer auf seine Ideen eingehn, und ich muß wissen, ob er ein Boot besitzt, Gefährten, wo er hier haust und so weiter. Ein Fischer von der Küste oder einer der Gallopagos ist er übrigens nicht, was weiß ein solcher von Troja und Astrachaner Kaviar!«

Der Wahnsinnige zeigte ihnen seine Residenz, seine Schlösser und Gärten – phantastisch geformte Felsblöcke und Riffe – er führte sie an eine Bergwand, hier sei sein Weinkeller, und siehe da, aus einer Felsenritze sprang eine Quelle kühlen, trinkbaren Wassers hervor. Jedenfalls war es der Abfluß des Regenwassers, das sich in dem erloschenen Krater gesammelt hatte. Wasser und Muscheln, vielleicht auch noch Vogeleier, mehr braucht ja ein Robinson nicht.

Aber ob er ein Boot besaß oder Leidensgefährten, brachte Flederwisch nicht aus ihm heraus. In seinem Wahnsinn war nicht einmal Methode.

Plötzlich zog er einen kurzen Stock aus seinen Lumpen, steckte ihn in eine Spalte, legte seine Mütze darauf und wirbelte sie wie einen Kreisel herum.

»Sehen Sie, meine Herrschaften, so wurde ich Gouverneur von Kolumbia,« sagte er vergnügt.

»Sind Sie aus Kolumbia gebürtig?«

»Nein, machen Sie mir keine Offerten,« war hierauf die Antwort mit abwehrender Handbewegung, »ich beziehe alle meine Kanonen aus Afrika und werde sehr gut bedient.«

Jetzt verlor Flederwisch denn doch die Geduld.

»Wo ist aber denn nun Ihr Palast? Wo wohnen Sie? Wo ist Ihre Flotte? Wo sind Ihre Diener? Zum Henker noch einmal!«

»Soll ich ihn ein bißchen mit dem Messer kitzeln?« fragte Manuel gemütlich. »Vielleicht wird er dann klarer im Kopfe!«

»Unsinn! Na, he, holla, Bursche! Wo schläfst du in der Nacht? Heraus mit der Sprache!«

Der Mann bog sich vor und flüsterte geheimnisvoll:

»Bst, bst, nicht so laut, sie schlafen alle, jetzt kann ich Ihnen meine Schatzkammer zeigen, der Drache schläft, kommen Sie – aber, nicht wahr,« setzte er wehmütig hinzu, »die Herrschaften stecken nichts in die Tasche, sonst schickt mir der türkische Sultan die seidene Schnur.«

Plötzlich begann der Irrsinnige zu laufen, was er laufen konnte.

»Laß ihn nicht entwischen!« rief Flederwisch, und der geschmeidige Mulatte stürmte hinter jenem her. »Frage ihn nicht, bleibe ihm nur auf den Fersen!« schrie Flederwisch nochmals, sich ebenfalls an der Verfolgung beteiligend. Denn es kam ihm nur darauf an, zu erfahren, ob der Schiffbrüchige ein Boot und Genossen besäße. War dies eine Flucht, so floh er doch sicherlich zu diesen.

Es war eine böse Jagd; die Verfolger kamen in eine Klippengegend, in der man von einem Steine zum andern springen mußte, beständig in Gefahr, den Hals zu brechen, und diese Anstrengungen bei einer das Atmen kaum erlaubenden Glut.

Jetzt wandte sich der Fliehende nach links und klomm einen steilen Abhang empor, unmittelbar hinter ihm der Mulatte; der in einiger Entfernung folgende Flederwisch sah beide über der Kante der Felswand verschwinden.

Da ertönte oben ein wieherndes Gelächter, dann ein heiserer Schrei, letztrer aus Manuels Kehle kommend.

Flederwisch keuchte vor Anstrengung. Dort oben war etwas geschehen. Jetzt schwang auch er sich über den Grat. Ein seltsamer Anblick bot sich ihm dar, wo er etwas ganz andres erwartet hatte.

Am andern Rande des weiten Plateaus tanzte der Wahnsinnige herum, klatschte in die Hände und lachte, dann trat er majestätisch vor und deutete in die jenseitige Tiefe, etwas Unverständliches deklamierend, um von neuem zu tanzen und zu jubeln. Daneben aber lag Manuel auf den Knien, die Hände wie betend erhoben, und blickte hinab.

»Massa – o, Massa – hier – hier ist es!« hörte ihn Flederwisch stöhnen, und mit einem Sprunge stand er am Rande des Abgrundes.

Und auch er war fassungslos, er taumelte. Sein Blick verschlang alles. Dann jauchzte er laut auf.

»Der Schatz ist gefunden!«

Zu seinen Füßen lagen herrenlos die fünfzig Tonnen Gold der englischen Münze!

Die vulkanische Kraft hatte hier mit andern arbeitenden Elementen ein seltsames Naturgebilde geschaffen. Es war ein halbkreisförmiger, wie ausgezirkelter Talkessel mit schrägen, nach unten sich verengenden Wänden, an denen Simse hinliefen, also fast ganz genau wie ein Amphitheater anzusehen, nur daß die Hälfte der Peripherie fehlte, an welcher offnen Seite das Meer spülte. Es war auch nichts weiter als der Krater eines Vulkans, dessen eine Seite vom Meer unterspült worden war, bis die ganze Felswand in sich zusammenstürzte. Jetzt war tiefste Ebbe, man sah die Trümmermassen, nur dazwischen blitzte Wasser; bei Flut dagegen mußte man auch über sie hinweg im Boote in das Amphitheater fahren können.

Unten, im engsten Teile dieses Trichters, lagen keine gefallenen Steine, da starrte es von spitzen Lavamassen, und auf diesen ruhte das Wrack, oder vielmehr die Trümmer eines kleinen Dampfers, geborsten, durchlöchert, zerschmettert, keine Eisenplatte mehr auf der andern, und ringsum zerstreut die Teile der Maschine und der Fracht. Doch Flederwisch dachte jetzt nicht daran, wie der Dampfer über die Klippen weg hierhergekommen sein konnte – eine reine Unmöglichkeit – was sich hier für eine fürchterliche Katastrophe ereignet hatte, er wunderte sich nicht, wie auf einen der obersten Simse ein Faß wohlbehalten hinaufgelangen konnte, er sah nicht die überall zerstreut umherliegenden Menschenskelette – er sah nur unten zwischen den Klippen zwei schwer mit Eisen beschlagene Fässer liegen, aufgesprengt, der Inhalt ausgeschüttet, und die Sonne gleißte auf den Goldbarren – und dort lag noch solch ein Faß – dort gleich drei – und dort waren die Goldbarren wie gesät.

»Tot! Kein Mensch lebt mehr! Es gehört Euch!« flüsterte Manuel zuerst, und seine roten Augen schienen den jungen Kapitän durchbohren zu wollen.

Es war scheinbar eine kühne Annahme. Hatte nicht der Kapitän des Dampfers in seinem Interesse oder im Auftrag das Schiff hier scheitern lassen können, um das Gold aus dieser menschenverlassenen Gegend bei Gelegenheit abzuholen? Er selbst hatte sich in einem Boote gerettet. Ja, auch der Wahnsinnige konnte der Kapitän sein.

Aber der Mulatte als Seemann erkannte die Sachlage besser. Daß der Dampfer mit dem Golde gestohlen werden, d. h. verschwinden sollte, das war sicher. Denn in diesen Gewässern hatte er gar nichts zu suchen gehabt. Nur die Gallopagosgruppe hatte er deswegen nicht aufgesucht. Ebensogut könnte ein Pferdedieb, der ein kostbares Roß gestohlen, es unter Wasser verstecken, in dem Glauben, es dann wieder hervorziehen und weiterreiten zu können. Nein, der Dampfer war in der Nähe der Gallopagos von einem Orkan erfaßt worden, und was dann weiter passierte, vermochte kein sterblicher Mensch zu ahnen, der es nicht selbst gesehen. Denn die Elemente spotten aller menschlichen Berechnung. Mächtige Wogen gehn über Deck, sie erschüttern den mit Ketten festgelaschten Anker nicht – es kommt eine kleine Welle, und die armstarken Ketten springen wie Glas, weg ist der Anker.

Ueberhaupt hätte der Dampfer, so flach er auch gehn mochte, selbst nicht bei höchster Springflut über die Riffe hinwegkommen können, die sich meilenweit erstreckten. Nur eine mächtige Woge konnte ihn über alle Hindernisse getragen und mit furchtbarer Wucht in die Schlucht geschleudert haben.

»Das Gold der englischen Münze – hundert Millionen,« flüsterte Flederwisch wie geistesabwesend.

Kein Auge verwandte der Mulatte von ihm.

»Ja, Kapitän, hunderttausend Pfund Sterling Finderlohn, eine nette Summe, Ihr habt sie Euch verdient.«

»Unsinn!« knirschte Flederwisch zwischen den Zähnen hervor.

»Freilich, freilich,« fuhr der Mulatte lauernd fort, »Ihr solltet noch warten, die Prämie wird schon noch höher, und dann ist auch noch der Wahnsinnige da, mit dem wir es zu teilen ...«

»He, du verfluchter Hundesohn,« donnerte Flederwisch ihn, aus seinen Träumen erwachend, plötzlich an, »willst du mir so auf den Zahn fühlen? Ich zertrete dich, elendes Gewürm. Ich schaue durch deinen schwarzen Schädel, und ich sehe deine Gedanken. Hahaha! Mir gehört das Gold, nur mir allein, mein ist der Schatz!«

Plötzlich warf sich der Mulatte wie ein Tiger auf den Jauchzenden, daß er zu Boden stürzte, drückte ihn völlig nieder, preßte die Hand auf seinen Mund. Flederwisch gab sich verloren, dachte nicht mehr daran, nach dem Revolver zu greifen, fühlte schon das Messer zwischen die Rippen dringen.

Da, was war das?

»Kapitän,« raunte der Mulatte ihm ins Ohr, »bleibt so liegen – schreit nicht – verdammt, ich tu' Euch doch nichts – so seid Ihr gedeckt – da – da – wendet den Kopf – alle Blitze sollen ihn zerschmettern ...!«

Manuel hatte sich neben Flederwisch hingeworfen, schmiegte sich an den Boden und rutschte so einem Felsblock zu.

Der Kapitän kam wieder zur Besinnung, er begriff, hier handelte es sich um etwas andres; er wendete den Kopf, und ein unterdrückter Wutschrei kam über seine Lippen. Auf der andern Seite der Schlucht stand ein Mann, sehr weit entfernt, aber schon die hohe Gestalt und die Kleidung verrieten ihn – es war Alfred Werner, der erste Steuermann, und mit bloßen Augen konnte man erkennen, was er tat; er visierte mit einem blitzenden Instrumente nach der Sonne und schrieb dann in ein Buch – er nahm die geographische Lage der Bucht mit ihrem Goldschatze auf.

»Fahrt wohl, ihr schönen Träume!« stöhnte Flederwisch.

Alfred hatte seine Berechnung beendet. Er verschwand hinter den Felsblöcken und tauchte nicht wieder auf.

Langsam kroch Flederwisch abermals an den Rand des Kessels, dort blieb er liegen, stierte unverwandt hinab, lange, lange Zeit.

Hinter dem Felsen kauerte noch Manuel, und seine Rechte hielt den Griff der langen Machete umklammert, die er irgendwo bei sich versteckt getragen hatte.

Dann erhob sich Flederwisch schwerfällig, und als er sich umwandte, war das Messer aus des Mulatten Hand verschwunden.

»Manuel, jetzt können wir die Prämie unter uns dreien teilen,« lächelte er bitter.

»So?«

»Denkst du anders? Mein Steuermann, ich und du. Himmel,« fuhr er plötzlich auf, »wo ist der Wahnsinnige?«

Sie konnten sich nicht entsinnen, ihn seit dem Anblick des Goldes wiedergesehen zu haben.

»Wenn er unser Boot nimmt,« stieß Manuel hervor, die Gedanken seines Herrn erfassend, »und davonfährt, dann sitzen wir in einer von Haifischen bewachten Falle.«

Eilenden Fußes begaben sich beide nach dem Strande. Das Boot lag noch da, schaukelte sich auf der wiederkehrenden Flut. Wortlos deutete Flederwisch, welcher wirklich vergrämt aussah, nach dem improvisierten Zelt, und während der Mulatte dieses auseinandernahm und das Boot zum Abfahren klar machte, berechnete der Kapitän auch von hier aus die geographische Lage der Insel.

Das Boot stieß ab. Manuel handhabte abwechselnd Ruder und Segel, die Flut war sehr hoch, der nun schon bekanntere Weg leichter zurückzulegen, und in finsterm Schweigen brütend, saß Flederwisch am Steuer.

»Kapitän,« begann endlich der Mulatte, »wenn nun der erste Steuer ...«

»Schweig!« unterbrach ihn sofort hastig Flederwisch, als hätte er nur darauf gewartet, selbst, das Wort nehmen zu können. »Was ich zu tun habe, weiß ich. Werner kommt an Bord zurück, ich werde ihn ruhig sprechen. Ich werde ihm sagen, daß, wenn das Gold einem Kaufmann gehörte oder einer Aktiengesellschaft, deren Mitglieder durch den Verlust ruiniert werben – beim wahrhaftigen Gott, ich den Fundort anzeigen und nicht einmal einen Pfennig als Dank annehmen würde, denn ich bin ein Ehrenmann, nein, ein edler Mann. Ich werde ihn fragen, ob er mich für einen Schuft hält. Und ich werde ihn fragen, wie er über England denkt, über dieses bis ins Mark verfaulte Krämervolk. Ob er die Vorgeschichte des Opiumkrieges kennt, die schmachvollste Schande eines Kulturvolkes, begangen in diesem Jahrhundert. England brüstet sich damit, die Sklaverei in der Welt abgeschafft zu haben, und ich werde ihn über die englische Politik und Wirtschaft in Indien fragen, und ob er die ägyptischen Fellachen unter englischer Knute habe arbeiten sehen. Und dieser englischen Regierung soll ich etwas schenken? Lieber sammle ich das Gold mit eigner Hand und versenke es im Meer, wo es am tiefsten ist, auf daß es die Tränen und Seufzer geknechteter Völker nicht noch vermehre. Denn das Gold ist der Fluch der Menschheit – wenn es sich in ungerechter Hand befindet. Und dann werde ich ihm nochmals auseinandersetzen, was ich mit dem Golde vorhabe, ein Bild von Freiheit, Gerechtigkeit und Manneswürde werde ich ihm vormalen, und beharrt er dann noch bei seiner vermeintlichen Ehrlichkeit – dann freilich – nun, dann muß ich mir wenigstens die eine Million verdienen. Ich werde ihm zu beweisen wissen, daß ich den Schatz gleichzeitig, mit ihm gefunden habe. Er ist ja auch mein Freund, und wir werden uns schon einigen.«

Tief hatte sich der rudernde Mulatte auf die Riemen gebeugt, als wolle er sein Gesicht nicht sehen lassen. Als der Kapitän geendet hatte, blickte er auf, nur in seinen Augen lag ein lauernder, höhnischer Ausdruck, aber er blieb stumm.

Dagegen wurde jetzt Flederwisch gesprächig. Er wollte wohl seine Gedanken von dem gescheiterten Traume, dessen Verwirklichung er so nahe gewesen, ablenken, obgleich seine Worte noch dasselbe Thema berührten.

Er erörterte, wer der Wahnsinnige sei, und kam wohl zu einem richtigen Schluß. Vielleicht, daß es ein Seemann oder Passagier war, welcher die Katastrophe überstanden, wahrscheinlicher aber war es, daß man es mit einem Abenteurer zu tun hatte, welcher sich auf der Suche nach dem in diesen Gewässern verschollenen Goldschiffe befunden hatte und nach jener Insel verschlagen worden war. Das Experiment mit der Mütze auf dem Stock brachte Flederwisch nachträglich auf diesen Gedanken. Das war so ein um Rat befragtes Orakel der abergläubischen spanischen Goldgräber, besser Goldsucher. Sie fragen den auf dem Stocke schwebenden Hut, Teller oder sonst einen runden Gegenstand, womöglich geweiht im Namen der Heiligen oder des Teufels, ob sich unter der Erde Gold befinde, und im bejahenden Falle soll sich das Ding drehn, eigentlich von allein, doch ebenso untrüglich ist es, wenn man es mit der Hand dreht und von der geraden oder ungeraden Zahl der Umdrehungen die Beantwortung der Frage abhängig macht. Die alten Mystiker erzählen viel von der Sicherheit dieses Orakels, in Spanien benutzt man es noch heute, um einen Dieb ausfindig zu machen.

Flederwisch gewann schließlich, je weiter sie sich von dem Eiland entfernten, immer mehr die Ueberzeugung, daß der Steuermann weder den Wahnsinnigen noch sie selber bemerkt habe, sondern durch einen Zufall gerade in diese Gegend geführt worden sei. Dann aber brauchte er auch den Goldschatz noch nicht entdeckt zu haben.

So sehr also täuschte sich Kapitän Flederwisch in Alfred, daß er ihn für vollkommen harmlos ansehen konnte und nicht im geringsten ahnte, daß derselbe sie mit voller Absicht nach dem Eilande gelockt habe.

Jetzt sollte eben die Hauptprobe mit dem Kapitän Flederwisch angestellt werden, und Alfred hatte sich deswegen von den beiden sehen lassen. Er sah voraus, was weiter geschehen würde, weil er es so wollte, und Flederwisch ging arglos in die ihm gestellte Falle.

Die Mastspitzen der Frithjof tauchten hinter einer Felswand auf – nach einer Viertelstunde befanden sich die beiden an Bord.

Flederwisch zog sich sogleich in seine Arbeitskabine zurück, verweilte darin den Rest des ganzen Tages, ließ sich vom Steward kein Essen bringen, und wenn Manuel durch den Korridor schlich, hörte er seinen Herrn beständig auf und ab gehn, aber bei jedem Gang durch den engen Raum eine kurze Pause machen, und der Mulatte kalkulierte richtig, daß er dann jedesmal durch das Fensterchen nach dem noch nicht zurückkehrenden Steuermann ausspähte.

Die Sonne ging am Horizont unter, in einigen Minuten mußte es völlige Nacht in dieser dämmerungslosen Gegend sein.

Manuel trat in die Kapitänskajüte.

»Er ist da.«

»Er ist da,« flüsterte Flederwisch wiederholend, wie gebannt stehn bleibend.

»Er hievt das Dingi, rüstet es ab, alles so ruhig, wie gewöhnlich, als wäre nichts geschehen, hat geschossene Vögel und Eier und andern Kram darin.«

»Ja, das ist Alfred – sein gutes Gewissen – verdammt! Kommt er? Er geht vorbei – in seine Kabine – er muß aber kommen – er muß kommen – muß sich an Bord melden!«

Flederwisch hatte mit dem Fuße aufgestampft, und der Mulatte begriff die furchtbare Ungeduld seines Herrn.

»Bleib hier,« fuhr Flederwisch hastig fort, »ich brauche einen Zeugen – aber er soll dich nicht sehen, soll denken, er sei mit mir allein – fort mit dir!«

Schritte näherten sich, der Mulatte verschwand hinter dem Vorhang eines Bücherregals.

Der zurückkehrende Steuermann fand die Mannschaft bei voller Arbeit. Sofort mit Anbruch der Dunkelheit erschienen die Moskitos, welche bei Tage wohl in den Kraterkesseln brüteten, und machten den Aufenthalt im Freien zur Unmöglichkeit.

»Hallo, Dietze!« redete er, als er das Dingi in die Höhe gezogen, freudig überrascht den schon einmal genannten Matrosen an, welcher eine Dampfwinde bediente. »Wieder an Deck? Geht's mit deinen Augen besser?«

»Sind wieder klar wie Wasser,« war die vergnügte Antwort. »Ach, Steuermann, was habe ich ausgestanden! Ihr konntet draußen herumschweifen, und ich mußte immer unten in der finstern Kammer liegen, in der ich beinahe erstickte.«

»Nun, mancher hatte gesunde Augen und kam am Tage doch nicht unter Deck hervor.«

»Ja, aber ich bin auch ein andrer Kerl, das wißt Ihr doch selbst.«

Plötzlich hielt Alfred mitten in einer Bewegung inne, blickte lange vor sich hin, dann trat er zu dem Matrosen, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn lange ernst an.

»Nanu, Steuermann, was habt Ihr denn?«

»Dietze, du bist ein guter Junge,« sagte Alfred endlich, und es klang fast feierlich.

»Und dazu holt Ihr so weit aus?« lachte der Matrose. »Glaub's überhaupt nicht, daß ich es bin. Was soll's denn?«

Der Steuermann zog die Hand zurück.

»Du kannst nachher einmal in meine Kabine kommen, ich will dir unter dem Mikroskop eine ganz neue Art von Infusorien zeigen, die ich auf einer Insel im Brackwasser gefunden habe.«

Es hatte nicht mehr so feierlich geklungen, aber der Matrose faßte die Sache doch wichtig genug auf.

»Eine ganz neue Art von Infusorien? Donnerwetter, Steuermann, da kommt Ihr ins Konversationslexikon. Ist sie aber auch wirklich noch nicht entdeckt? Na, das freut mich Euretwegen. Ja, ja, ich komme gleich nachher hin.«

Alfred wandte sich ab, nahm einige geschossene Vögel, Flaschen und Schachteln aus dem Boot und schritt der Kajüte zu.

Da der Matrose Dietze noch eine Rolle in dieser Erzählung spielen wird, wollen wir uns mit einigen Worten bei ihm aufhalten.

Er war ein geborner Schweizer, aus Bern stammend, wo sein Vater ein kleiner Schulmeister war. Er hatte studieren sollen, aber der kräftige, frische Junge, der noch nie das Meer gesehen, war von Jugendschriften so begeistert worden, daß er beschloß, entweder Seeräuber oder Indianerhäuptling zu werden. Bei Nacht und Nebel verschwand er aus der Klosterschule, tauchte nach langen Irrfahrten als Schiffsjunge eines Bremer Seglers wieder auf und blieb bei der Seefahrt.

Es ging ihm wie so vielen andern Söhnen aus guten Familien. Unter den Matrosen findet man ja alle nur möglichen Charaktere, Barone, halbe Gelehrte und ehemalige Klaviervirtuosen neben dem Individuum, welches das Land als Schandfleck abgestoßen, schwärmerisch veranlagte, aber leichtsinnige Burschen usw. Dietze bediente Raaen und Ruder, las auf Freiwache den Homer in der Ursprache, und erst, wenn er seine ganze Heuer glücklich verjuxt hatte, ging er im fremden Hafen in die Gemäldegalerie. Spielend hätte er das Steuermannsexamen machen können, aber dazu gehören doch einige hundert Mark, um leben zu können, und die vermochte er so lange nicht in der Tasche zu halten. Als er nach sechs Jahren einmal seine Heimat wieder besuchte, mußte er auf Kosten des Vaters zurückgeschickt werden; aber er hatte wenigstens ganze Kisten mit seidnen Fähnchen und chinesischem Tand als Geschenk mitgebracht. Als Flederwisch den fixen Matrosen sah, musterte er ihn für die Imma an und nahm ihn selbstverständlich mit auf die Frithjof. –

»Herein!«

»Melde mich an Bord zurück.«

»Gut. Nun, Weltenentdecker, was gibt's Neues?«

Flederwisch, im amerikanischen Schreibstuhl sitzend, wandte sich dem Eingetretenen zu. Zum ersten Male seit langer Zeit hatte er wieder ein freundliches, überhaupt ein Wort für ihn, aber er mußte sich bezwingen, diese erkünstelte Freundlichkeit beizubehalten. Denn Alfred war nicht hereingestürmt, atemlos dem Freunde von der Entdeckung des Goldschatzes zu erzählen. – Ruhig war er eingetreten und hatte seine Meldung gemacht, ruhig stand er da, nichts drückten seine Züge aus. Er behielt also die Entdeckung als Geheimnis für sich, weil er dem Kapitän nicht traute, und das war es, was Flederwischs Blut schon jetzt ins Kochen brachte.

»Der Wind hat sich gedreht, heute bleiben die Moskitos aus. Ihr könnt die ganze Nacht durcharbeiten lassen, Kapitän.«

»Das müßt Ihr ja am besten wissen, Ihr habt nun doch schon herausgebracht, wo die Moskitos am Tage nisten,« wußte Flederwisch zu lächeln.

»Ja, Kapitän, und heute habe ich eine neue Spezies Infusorien entdeckt.«

»So?«

Er hätte sagen sollen »sonst nichts?« Aber er tat es nicht. Die Auseinandersetzung würde eine ganz andre Wendung nehmen, als Flederwisch geplant hatte. Denn diese Verstellung hatte er bei seinem Steuermann nicht erwartet.

»Ihr habt es ja recht eilig, daß die Revolver an Land kommen.«

»Doch nur in Euerm eignen Interesse. Nein, Ihr habt recht, auch in meinem. Ich kann es nicht einmal erwarten. Kapitän, ich wollte Euch bitten, mir morgen den kleinen Kutter zu geben; wenn der Wind günstig ist, will ich nach Guayaquil zurücksegeln.«

Mit einem Ruck wendete sich Flederwisch ganz zu ihm herum.

»Ihr nach Guayaquil?! Warum?« stieß er hervor.

»Was soll ich hier? Auch die Inselgruppe hat für mich kein Interesse mehr, Ihr könnt jetzt ohne mich fertig werden, ich möchte zurück, wie verabredet.«

»Ihr vergeßt wohl ganz, daß Ihr Steuermann an Bord meines Schiffes seid?«

»O,« staunte Alfred, »daß ich nicht bereits abgemustert habe, tat ich doch nur Euch zu Gefallen. Daß ich aber sonst eigentlich gar nicht mehr in Euern Diensten stehe, war doch schon zwischen uns ausdrücklich abgemacht.«

Noch einmal beherrschte Flederwisch seinen aufsteigenden Grimm.

»Es geht nicht, Ihr begebt Euch erst mit der Frithjof nach der Küste zurück.«

»Aber warum denn ...?«

»Ohne Widerrede! Als Kapitän habe ich es nicht nötig, Euch Rechenschaft zu geben, ich will es ausnahmsweise einmal tun: es kommt kein Boot von Bord, das ist bei mir Maxime, jedes Boot hat seinen Zweck, sonst wäre es nicht da – und damit basta!«

»Ich nehme doch auch immer das Dingi ...«

»Ruhe nun, befehle ich! Das ist etwas ganz andres. Fahrt mit dem Spielzeug zwischen den Inseln herum, soviel Ihr wollt, aber in einem Seeboot abfahren – weiter fehlte nichts. Geht an Deck, Steuermann! An Eure Arbeit! Seht einmal die Takelage nach! Und wenn Euch das nicht paßt – meinetwegen verklagt mich dann.«

Nur wenig hatten sich Alfreds Augen bei diesem plötzlichen Ausbruch des Zornes, für das, was in Flederwisch vorging, aber noch sehr gering, erweitert.

»Davon ist keine Rede, ich bin nicht launenhaft, und ich möchte Euch nur bitten, Kapitän, ein andermal mich nicht erst als Freund zu behandeln und dann den Vorgesetzten herauszukehren,« sagte er kalt und ging.

Aechzend ließ sich Flederwisch auf den Stuhl zurückfallen und stemmte den Kopf in die Fäuste.

»Kapitän, Ihr hättet ihm doch wenigstens die Würmer aus der Nase ziehen sollen.«

»Bist du noch da?« wurde der das Versteck verlassende Mulatte angefahren. »Ein Dummkopf bist du! Dieser zartfühlende Gewissensmensch verheimlicht mir den Fund, weil er schon denkt, ich könnte ihm Vorschläge machen, und da soll ich's auch nur probieren? Hinaus mit dir, Tropf!«

Der Mulatte wagte vorderhand keine Entgegnung, huschte hinaus. Er kannte seinen Herrn und wollte ihn schon noch besser fassen. –

So etwas hatten die uraltersgrauen Felsenberge noch nicht erlebt. Fackelschein, Matrosengesang und quiekende Violinentöne störten ihre nächtliche Ruhe.

Der erste Steuermann kümmerte sich einmal um das Ausladen und ließ gleich die Nacht durcharbeiten. Ein musikalischer Matrose mußte dazu unausgesetzt aufspielen, daß die singenden Matrosen bei dem Werfen der Zentnerkisten von Hand zu Hand im Takt blieben.

Ja, der erste Steuermann war doch ein Kerl, der einen zu nehmen wußte, wenn er sonst auch nicht recht auf die Frithjof paßte, und auf seinen Expeditionen in die Umgegend hatte er die Moskitos ›gestudiert‹ – scherzten die Matrosen; denn diese blutgierigen Insekten blieben heute wie auf Befehl aus.

Er hat es höllisch eilig, nach der Küste zu kommen, dachte der schwarze Bootsmann.

Der Kapitän war nicht zur Koje gegangen, ließ sich aber nicht an Deck sehen und mußte schlechte Laune haben, sonst hätte er sicherlich jedem der Arbeitenden gleich eine Flasche Champagner spendiert.

Nun, auch der erste Steuermann hat einiges Verfügungsrecht. Kalte Limonade und Selterwasser – alles an Bord selbst hergestellt – konnte jeder so viel trinken, wie er wollte, aller zwei Stunden einen Schnaps, und bei acht Glasen gab es ein leckeres Mitternachtsessen.

Die Matrosen arbeiteten in dieser Nacht mehr als in fünf Tagen zuvor, das merkte man nicht nur an den wachsenden Kistenbergen, sondern auch wie sich das Schiff an den nachgelassenen Tauen aus dem Wasser hob. Schon schwamm es wie ein hohles Ei darauf, freilich eine gefährliche Situation zwischen diesen Riffen, aber das war eben nicht zu vermeiden. Erst wenn die letzte Kiste heraus war, konnte durch ein Ventil Meerwasser in den Riesenleib gelassen und so der nötige Tiefgang mit dem stabilen Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Jetzt merkte man es schon, wenn ein Mann von einer Seite auf die andre ging.

Als sich der östliche Horizont rötete, stellte die trillernde Bootsmannspfeife die Arbeit ein und schickte die Matrosen zur Koje; die hochsteigende Sonne fand das Schiff still wie ausgestorben. –

Es war gegen acht Uhr morgens, als Manuel an die Tür der Schlafkabine seines Herrn klopfte; dann lauschte er, er hörte Schritte, so wie gestern, und schnell trat er ohne weiteres durch die nächste Tür in den Arbeitsraum.

Flederwisch ging auf und ab, hatte den weißen Tropenanzug noch nicht gewechselt, sah krankhaft und eingefallen aus, seine Augen waren gerötet. Er hatte seit gestern noch nicht geschlafen. Auf dem Tisch lag Carmencitas Photographie.

»Kapitän, er macht das Dingi wieder klar,« flüsterte der Mulatte.

»Er will nach der Küste! Die Pest über ihn!!« fuhr Flederwisch wild auf.

»Oho, Kapitän, wo denkt Ihr hin! In dem Dingelchen ohne Segel nach der Küste rudern, und noch dazu bei Ostwind? Das wird er wohl schön bleiben lassen. Nein, er nimmt lange Seile und Brecheisen mit, ich hab's gesehen, er will sich in die Schlucht hinablassen, ich glaube auch, das ist bequemer, als der meilenweite Weg über die Klippen. Als ich an ihm vorbeiging, fragte er mich, ob der Kapitän schliefe. Ich sagte ja, er brauche sich nicht abzumelden, ich wollte es schon besorgen.«

»Unsinn, ich brauchte gar nicht zu erschrecken, wollte ihm ja heute selbst sagen, er solle nur die Jolle nehmen, oder auch den Kutter, das von gestern täte mir leid, ich sei nervös ...«

»Was? Ihr wollt den Verräter an Land lassen?« stieß Manuel hervor.

»Ja, ich habe mir die Sache überlegt, hatte Zeit dazu,« entgegnete Flederwisch und setzte sich. »Manuel du bist sowieso mein Vertrauter, höre meinen Plan, er wird dir einleuchten. Daß es ganz vergeblich wäre, den Steuermann von seiner vermeintlichen Pflicht, den Fund dem auszuliefern, dem das Gold gehört, abzubringen, das habe ich schon vorhin – nein, gestern war es ja – das habe ich sofort erkannt, als er hier eintrat. Ich bin aber nicht gesonnen, mich mit der Hälfte des Finderlohnes zu begnügen. Alles will ich haben. Mag Alfred nach Guayaquil segeln. Einige Tage braucht er doch dazu, dann die langen Erklärungen, die Formalitäten, wieder zurück – kurz und gut, bis dahin habe ich genügend Zeit, das Gold in Sicherheit zu bringen. Die Frithjof ist leer, sie wird außer mit Wasser mit fünfzig Tonnen Gold als Ballast beschwert werden ...!«

Flederwisch setzte seinen Plan dem Mulatten weiter auseinander. Es war direkter Diebstahl, den er begehn wollte; er könnte ihn aber rechtfertigen. Der Skandal, wenn die englischen Beamten das Goldnest leer fanden, mußte natürlich groß sein. Die Frithjof wurde gesucht – und gefunden. Da hieß es einen gewaltigen Apparat von List und Betrug anwenden. Das Schiff mußte mit Mann und Maus untergehn, man mußte seine Trümmer finden. Die Mannschaft hatte sich vorher mit dem Golde zurückgezogen, sie mußte verschwinden. Die Erde ist nicht so klein, wie man manchmal sagen hört, um nicht darauf spurlos verschwinden zu können. Dann war nur das Gold in den Handel zu bringen, und auch das konnte nach und nach unbemerkt geschehen. Flederwisch führte nur ein Beispiel an: sie segelten auf Australien zu, scheiterten an der Nordküste, brachten den Raub nach einer der kleinen Inseln im Sundaarchipel, holländischem Besitz, in Sicherheit; dort hätten sie jahrelang sein können, ohne ›entdeckt‹ zu werden, einstweilen begab sich Flederwisch anderswohin, unterhandelte mit Holland wegen Ankaufs der Insel, er reservierte sich alle Rechte, und dort wurde eine Goldmine gefunden. Das eingeschmolzene Gold kam wieder zum Vorschein, und einstweilen mochten Taucher die Strandungsstelle der Frithjof nach Belieben untersuchen. So hatte Flederwisch gleich sein Ideal verwirklicht.

Die Gefahr, erkannt und zur Verantwortung gezogen zu werden, blieb freilich bestehn. Das mußte eben riskiert werden. Außerdem ist die Welt, wie schon gesagt, sehr groß. Es sind schon größere Diebstähle vergessen oder totgeschwiegen worden. Dann stand man unter holländischer Schutzherrschaft, dann kam auch menschliche Schlauheit und Kühnheit in Betracht. Kurz und gut, es wurde riskiert, das andre blieb der Zukunft überlassen, und wenn alles bricht – das Asyl des Todes steht jedem offen.

Noch eins hatte Flederwisch überlegt, erwähnte aber nichts davon, weil er den Plan selbst als unmöglich wieder verworfen. Wenn er nun alle Spuren des gescheiterten Wracks entfernte, mit dem Golde davonging, die Frithjof vielleicht schon hier scheitern ließ und durch irgend eine Weise auf Alfred den Verdacht des Wahnsinns lenkte? Letzteres künstlich zu tun, war vielleicht nicht einmal nötig. Der Steuermann hatte den Schiffbruch überlebt, die Sonne ihm das Hirn verbrannt, nun phantasierte er so wie jener echte Wahnsinnige von dem verschollenen Goldschiffe, das auch noch immer in den Köpfen der ganzen Bevölkerung spukte.

Nein, es ging nicht. Die Arbeit, das ganze Wrack zu beseitigen, war eine zu kolossale, und schon die geringste Spur hätte ja die Angaben Alfreds bestätigt.

Manuel hatte gleichmütig den Auseinandersetzungen zugehört, den Blick auf Carmencitas Photographie geheftet.

»Kapitän, das ist nur sehr riskant. Wegen hundert Millionen setzt man Himmel und Hölle in Bewegung; sie werden bald heraushaben, daß die Besatzung der Frithjof noch am Leben ist und mit Gold um sich wirft.«

»Es gibt aber keinen andern Weg, als es eben zu riskieren. Ja, wenn der Steuermann die Küste nicht erreichte, dann ...«

Es war ein freudig erstaunter Blick, mit dem der Mulatte das Auge zu seinem Herrn aufschlug.

»Was?« Schnell war die Spannung wieder gewichen. »Ja freilich, wenn den Steuermann ein Sturm überraschte! Das ist der einzige, der alles verdirbt.«

»Das ist es. O, daß gerade er das Wrack finden mußte!« rief der Kapitän in heller Verzweiflung. »Er ist zwar mein Freund, ich wünsche überhaupt keinem Menschen den Tod – aber wenn ihm jetzt etwas zustieße – ihn das Meer verschlänge – bei Gott, ich empfände es als ein Glück – es wäre das Glück der ganzen Menschheit.«

Solche Reden aus dem Munde eines Mannes, der sich oft bereits als Freund seines ersten Steuermannes bezeichnet hatte, mußte überaus befremdend klingen, wenn Flederwisch sie tatsächlich ernst meinte.

Der Mulatte verstand die Ideen seines Kapitäns über Weltfrieden und Menschenbeglückung nicht. Er hatte nur die letzten Worte erfaßt und sagte nun in lauerndem Tone zu seinem Herrn:

»Wenn lediglich der Steuermann Eure Pläne kreuzt, dann gibt es doch ein sehr einfaches Mittel, ihn daran zu hindern!«

»Wie?«

»Einfach so!« Manuel hielt plötzlich das lange Messer in der Hand und zog den Rücken der Klinge so gemütsruhig über seine Kehle, so gemütlich, als mache er den ehrlichsten Ausgleichungsvorschlag.

Flederwischs Augen erstarrten. Langsam erhob er sich. Er war nicht empört, er war einfach fassungslos.

»Das wagst du mir anzubieten?« murmelte er. »Ich kenne dich! Du bist ein Bluthund – aber das wagst du mir – ich – ich soll meinen – ich bin starr – ich sollte dich –«

»Gemach, gemach, Kapitän!« fiel der Bootsmann ein, der jetzt nichts zu fürchten hatte. »Eine Frage ist doch erlaubt –«

»Töten sollte ich dich auf der Stelle!«

»Dann wäret Ihr ja auch ein Mörder! Und habt Ihr damals nicht in Venedig jenen italienischen Offizier über den Haufen geschossen?«

»Das war etwas ganz andres, das war ein Duell. Kerl, wofür hältst du mich denn eigentlich? Zum Mörder werde ich nicht, und wenn mir alle Schätze der Erde dafür geboten würden.«

»Ja, Ihr erschoßt den Offizier und wart doch trotzdem hinterher lustig und guter Dinge. Freilich, ein Frauenzimmer war die Ursache des Streites, wenn ich mich recht besinne, war sie die Frau eines russischen Geheimpolizisten.«

»Gewesen!« unterbrach Flederwisch hier seinen Vertrauten. »Sie war damals bereits die Gattin des Grafen Urlewsky – verstehst du, Manuel? – sie war eine Dame –«

»Ich verstehe jedenfalls so viel,« brummte der Mulatte hartnäckig, »daß Ihr wegen eines Weibes jedem eine Kugel oder ein Stück Eisen zwischen die Rippen jagen könnt. Ich glaube, auch Eurem Steuermann. Das nennt man ja wohl Ehrensache? Und wegen Eurer Frau tätet Ihr es nicht?«

Flederwisch, der etwas von dem Sprecher abgewendet stand, drehte sich langsam, ruckweise herum und begann plötzlich am ganzen Körper zu beben.

»Was – was – sagst du – da?« brachte er mit klappernden Zähnen hervor, und das Fieber leuchtete aus seinen Augen. »Wegen meiner Frau nicht? Du – du redest von Carmencita?«

»Ja, eben von Eurer Frau,« entgegnete Manuel kaltblütig. »Fragt doch einmal Euern Steuermann, ob er Carmencita nicht schon kennt – vielleicht besser als Ihr – die beiden konnten sich gut verstellen, nicht? Ja, Kapitän, es hilft nichts, die Augen müssen Euch doch einmal geöffnet werden. Stellt nur einmal Euern guten Freund zur Rede! Falls er etwa leugnet, will ich ihm schon die Erinnerung beibringen.«

Da schlotterten plötzlich des Kapitäns Knie.

»Manuel – du – du – Teufel – es ist – du willst mich aufstacheln ...!«

»Ich werde mich hüten, Euch etwas zu sagen, was ich nicht verantworten kann. Hätte ich es eher gewußt. Ihr hättet die schöne Quadrone billiger und ohne Heirat haben können – vorausgesetzt, daß sie Euch dann noch Spaß machte. Ich erfuhr's erst, als sie des Steuermanns Bild sah und erschrak, und weil ich dabei war, hat sie mir alles gestanden, und dann fühlte ich auch dem Steuermann auf den Zahn, ja, 's ist so, er hat das Fett vor Euch abgeschöpft. Ich wollte Euch nichts davon sagen, es hatte ja nach der Heirat doch keinen Zweck, aber wenn Ihr einen Grund zu einem sogenannten Duell mit Eurem Freunde haben wollt – da habt Ihr ihn – die schöne Meerschaumpfeife ist nun freilich futsch, 's war nur überpinselte Schlemmkreide – na, Ihr kauft Euch eine andre, habt ja jetzt das Geld dazu ...«

»Manuel, du bist wahnsinnig geworden!« schrie Flederwisch.

»Nein, ganz und gar nicht. Ich meine nur, daß es mit der Carmencita nun freilich vorbei ist. Na, was macht's! Ihr wäret ihrer ja doch bald überdrüssig geworden, Ihr paßt doch nicht zu solch ewiger Tändelei, und was sollen wir auch mit einem Weibsbild an Bord? Daß ich's also gleich frei heraussage: der Steuermann hat Carmencita schon als blutjunges Mädel in Valparaiso gekannt, hat sie geliebt und sitzen lassen ...«

»Geh hinaus – Mensch, geh hinaus – oder ich ...«

Mehr der Ton war es, der den Mulatten schnell durch die Tür springen ließ.

Eine halbe Stunde stand er oben an Deck und sah über Bord dem Spiel der Haifische zu; ein Grinsen verzerrte sein Gesicht. Dann kam der Kapitän. Sein vorhin krankhaftes Gesicht war eisern geworden.

»Mach die Jolle klar!« befahl er kurz.

Ohne ein Wort zu wechseln, glitten sie im Boote dahin. Manuel ruderte, Flederwisch steuerte und suchte mit dem Segel den schwachen Windhauch abzufangen.

»Warum sagtest du mir das erst jetzt?« brach er auf einmal das Schweigen.

»Ihr wäret ja zufrieden, warum sollte ich Euch das Glück zerstören? Und warum erst jetzt? Weil es jetzt gerade die richtige Zeit ist.«

Dieses letzte, offne Geständnis, durch welches der Mulatte selbst zugab, den Kapitän gegen Alfred aufhetzen zu wollen, schien auf Flederwisch keinen Eindruck zu machen. Es änderte ja auch nichts an der Sache.

»Warum sagte es mir der Steuermann nicht?«

»Aus demselben Grunde. Er wird sich auch schön hüten. Und dann mag er auch gedacht haben: wenn Carmencita erst an Bord ist ... na, fragt ihn nur selber in dieser Angelegenheit.«

Nein, er wollte ihn lieber nicht mehr reizen. Zu einer ruhigen Aussprache würde es wohl schwerlich kommen, Manuel kannte seinen Herrn. Damals, als er ihn zum Zweikampf begleitet, war sein Wesen ein ganz andres gewesen, da hatte er auch einen Pistolenkasten bei sich gehabt.

»Ich will mein Schiff nicht beschmutzen,« hörte er ihn murmeln, und Manuel verstand es auszulegen – mit seinem Blute, hatte in dem Satze gefehlt.

Beide waren zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, als daß sie gemerkt hätten, welche Veränderung in der Atmosphäre vor sich ging, und sonst wurde ihre Aufmerksamkeit durch den schwierigen Wasserweg beansprucht. Es herrschte jetzt völlige Windstille, die Luft war kaum zu atmen, und im Süden stieg eine schwarze Wolkenwand auf. Und hätte Flederwisch es bemerkt, er wäre doch nicht aus Sorge um sein manövrierunfähiges Schiff umgekehrt.

Als sie an der Insel landeten, zuckten am Horizont schon Blitze, ein Wirbelwind fegte über sie hin. Recht so, es war das geeignetste Wetter für des Kapitäns Stimmung; in Sturm und Donner wollte er seinem Nebenbuhler, dem Beleidiger seiner Ehre und Vernichter seines Glücks, wollte er dem Schurken gegenübertreten.

Ganz instinktiv zogen die Seeleute das schwere Boot weit auf das Land hinauf, denn im Wasser durfte es nicht bleiben, wenn hoher Wellenschlag kam. Dann schritten sie dem Krater zu und erklommen die Felswand.

Auf dem Plateau war Alfred nicht zu sehen. Manuel deutete in die Schlucht – dort unten befand er sich. Eben entstieg der Steuermann der Luke des hintern Schiffsteils, welcher noch am besten erhalten war, ließ sich an einem Tau über das fast senkrecht stehende Deck gleiten und balancierte auf schon vorher gelegten Brettern über den von Spitzen starrenden Grund. Er trug ein umfangreiches Paket, jedenfalls die im Schiffe noch vorgefundenen Papiere. Dann verschwand er hinter Felsvorsprüngen.

Der Mulatte deutete weiter auf eine Stelle des Plateaurandes. Sie begaben sich dahin. Dort lagen die mitgenommenen Taue und Strickleitern. Alfred hatte sie benutzt; entweder waren sie zu kurz gewesen, oder er hatte einen bequemeren Weg zur Schlucht gefunden. Aber hierher zurückkehren mußte er; auch sein Taschensextant und ein Fernrohr lagen hier, und Flederwisch setzte sich auf das Bündel Taue.

Stunden verstrichen. Der Kapitän blickte nicht mehr in den Abgrund hinab und sah sich ebensowenig um. Gerade in dieser starren Teilnahmlosigkeit des Wartens aber lag das Unheilverkündende.

Weder Manuel noch sein Herr kamen zu der Erkenntnis, daß sie in eine Falle gelockt worden waren, die ihnen freilich nicht der erste Steuermann Alfred Werner gestellt hatte, sondern ein andrer – Nobody!

Seitdem dieser zum ersten Male im Dingi die Frithjof verlassen hatte, hatte er den Vorsatz gehabt, das verschwundene Goldschiff zu suchen, und was dem Kapitän Flederwisch nur mit Hilfe des Wahnsinnigen möglich gewesen war, das hatte der scharfsinnige Nobody allein und ohne jeden Zufall zustande gebracht. Er kannte den vulkanischen Charakter dieser Eilande besser als Flederwisch, und so wußte er auch, daß dieselben nicht aus erloschenen Vulkanen bestanden, sondern daß in ihrem Innern das Verderben bringende Feuer weiterglomm, daß es jahrelang vielleicht in die von der Natur gezogenen Schranken gebannt werden, daß es ebensogut aber auch bereits in allernächster Zeit – heute, morgen – dieselben sprengen konnte. Dazu kam, daß Nobody diese Inseln bereits kannte, wie er dem Kapitän ja offen eingestanden hatte. Als er daher das erste Eiland erreichte, bemerkte er sofort, daß mit demselben eine gewaltige Veränderung vorgegangen war. Eine furchtbare, durch eine Kratereruption oder durch ein Seebeben erzeugte Umwälzung hatte hier offenbar stattgefunden – denn das konnte allerdings auch ein Nobody nur im allgemeinen feststellen. Sofort aber tauchte vor seinen geistigen Augen, noch während er das Boot festband, eine sonderbare Vision auf.

Auf dem hell von der Sonne bestrahlten Meere schwamm ein kleiner Dampfer. Die Besatzung lag unter Sonnensegeln an Deck, untätig bei der furchtbaren Hitze. Das Schifflein fand ja bei der spiegelglatten See seinen Weg allein. Plötzlich tönt ein einziger, gellender Schreckensruf aus aller Mund. Die Männer springen entsetzt auf und starren einander ratlos in die totenblassen Gesichter. Am hellen Tage ist es auf einmal finster geworden, aber nicht eine rabenschwarze Dunkelheit umhüllt die Geängstigten – ein fahles, gelbes Licht bestrahlt sie, und dann – keiner von ihnen hatte es je einem Mitmenschen berichten können – dann war es auf einmal, als täte sich der ungeheure Ozean auf – das Schiff sauste in einen gähnenden Abgrund – im nächsten Moment ward es haushoch emporgehoben – hinweg über die Felsenmauer des Eilands, die eben noch dagewesen war – und dann, dann war alles vorüber!

Auf dem Boden des neu entstandenen Kraters ruhten die Leichen der unglücklichen Seeleute neben den Trümmern des eisernen Dampfers, umgeben von goldnen Schätzen, die sie zum sichern Port hatten bringen sollen, und der Telegraph verkündete der aufhorchenden Welt, daß das Goldschiff mit den hundert Millionen spurlos verschwunden sei.

»Hier hat die Katastrophe stattgefunden,« sagte Nobody zu sich selber. »Hier liegt der Schlüssel zu dem unenthüllten Geheimnis, und ich – ich habe ihn gefunden!«

Bedächtig kletterte der einsame Mann den Rand des Kraters empor. Er erreichte die Höhe und schaute in die Tiefe, und er sah, daß er sich nicht geirrt hatte. Dort unten lagen die Reichtümer, die das Blut so vieler Menschen in fieberhafte Erregung versetzt hatten, und Nobody blieb ganz ruhig – äußerlich wenigstens.

»Flederwisch,« sagte er dann mit feierlicher Stimme, »dort unten liegen die Mittel zur Gründung deines ersehnten Königreiches; aber du wirst sie nicht heben, sie werden dich an den Abgrund des Verderbens führen, und nur meine Hand wird es sein, die dich vor dem Sturze in denselben bewahrt. Im Feuer ward dieses Gold geläutert, und durch schwere Trübsal soll auch das Gold deines Charakters, Flederwisch, befreit werden von den anhaftenden Schlacken. Von heute an bin ich als Freund dein Feind, als Feind dein Freund, und in dem Kampfe, den ich dich zwischen Gut und Böse ausfechten lasse, soll dir auch der Satan, der Versucher, nicht fehlen – dort drüben steht er an Bord deines Schiffes und späht nach mir – Manuel, der Mulatte!«

Langsam hob Nobody den rechten Arm gegen die Frithjof, dann wendete er sich und setzte seine Forschungen fort. Er stieß auf den Wahnsinnigen, und mittels dieses Unglücklichen lockte er an jenem Tage den Kapitän Flederwisch und Manuel auf das Eiland, ließ er sich am Rande des Schatzsees ertappen, und seitdem wartete er von Tag zu Tag auf die Katastrophe, die eine Probe sein sollte für ihn und gleichzeitig für Flederwisch, und heute kamen die beiden, heute hatte Nobody sich von ihnen mit Absicht beim Verlassen des Wracks betreffen lassen.

Nur eine andre Entdeckung, die er auf einer zweiten Insel gemacht hatte, hielt Nobody vorläufig noch geheim, denn damit hatte er schon einen besondern, neuen Plan im Sinne.

Obwohl er beim Verlassen des Wracks anscheinend die beiden Beobachter gar nicht gesehen hatte, war ihm doch keine ihrer Mienen entgangen, und er las auf den Gesichtern der beiden die finstern Vorsätze, die ihre Seelen bewegten. Noch einmal ließ er dem Kapitän Flederwisch Zeit, zur Besinnung zu kommen und den Teufel der Habsucht in sich zu unterdrücken, aber Nobody war Menschenkenner genug, um das Erfolglose dieses Vorgehens einzusehen.

Langsam kehrte er endlich zu dem Orte zurück, wo er absichtlich seine Instrumente und die Taue liegen gelassen hatte. Er war ganz und gar wieder der erste Steuermann der Frithjof, Alfred Werner. –

Es mochte die fünfte Nachmittagsstunde sein, als es plötzlich finstre Nacht wurde. Mit einem grellen Blitze und einem furchtbaren Donnerschlage kündigte sich das Gewitter an – ein Gewitter, wie man es nur in den Tropen erleben kann – unter ununterbrochenem Donner folgte Blitz auf Blitz, urplötzlich ein Windstoß als Vorbote des heulenden Sturmes, schon zischte und klatschte die Brandung, und zwischen den Klippen spritzte es himmelhoch auf.

Unbeweglich saß Flederwisch. Nur von einem Gedanken wurde er beherrscht; wenn Alfred nun in dieser Finsternis auf dem gefährlichen Wege verunglückte, tödlich? Und der Mann knirschte bei diesem Gedanken mit den Zähnen – dann entging ja jener der Rache.

Da hallte der Boden von einem schnellen, festen Schritt wider. Donnernd flammte der Himmel auf, und im blendenden Scheine des phosphoreszierenden Lichtes standen sich die beiden Männer gegenüber, nur einen Schritt vom Abgrund entfernt.

»Flederwisch!!« schrie Alfred und prallte zurück, als sähe er ein Gespenst.

»Ja, ich bin's! Warum erschreckt Ihr?«

»Weil – weil – mein Gott, wie kann ich Euch hier erwarten?«

»Aber ich habe Euch hier erwartet!«

»Ihr wißt, daß hier unten ...«

»Ich weiß alles – alles weiß ich, Bube!«

Alfred trat einen Schritt auf ihn zu, ein neuer Blitz spiegelte sich in seinen drohenden Augen wider.

»Wie nennt Ihr mich?«

»Einen Buben, einen Schurken! Verantwortet Euch, wenn Ihr es könnt!«

»Ihr wißt vielleicht, daß ich schon gestern, schon vorgestern das Goldschiff gefunden habe,« erklang es ruhig zurück. »Warum ich Euch nichts davon sagte? Wohlan, Flederwisch, ich kenne Euch, und das Gold gehört ...«

»Bah, laßt das verfluchte Gold jetzt, mag es liegen bleiben! Verantwortet Euch! Habt Ihr Carmencita schon früher gekannt?«

Diesmal blieb die Antwort aus, und kein Blitz erhellte die Nacht.

»Sprecht!« brüllte Flederwisch, noch das Donnern des Himmels übertönend. »Habt Ihr Carmencita vor mir gekannt?!«

Da zeigte ein Flammenmeer des Steuermanns Gesicht. Es war aschfahl, er hatte die Hände ausgestreckt, alles an ihm war Entsetzen, und doch spielte er nur eine angenommene Rolle.

»Flederwisch – ich beschwöre Euch – nicht jetzt – nicht hier – Ihr seid von Sinnen ...«

»Also doch!! Zittert Ihr, Schurke? Sprecht – gesteht – sprecht – sprecht – oder ich schmettere Euch in den Abgrund!«

Alle die in den letzten Stunden zurückgedrängte, in ihm angesammelte Leidenschaft, Haß und Wut, brach jetzt bei ihm mit einem Male hervor. Flederwisch hatte seinen Steuermann an der Brust gepackt und schüttelte ihn, und Alfred wehrte sich nicht, seine Füße faßten keinen Stand.

»Sprecht – sprecht – oder es ist Euer Tod!«

Alfred taumelte seitwärts dem Abgrund zu.

»Wahnsinniger, was tut Ihr?!«

»Ich ermorde Euch!«

»Denkt an die Katze!!« rief eine dritte Stimme, ein Blitz zeigte hinter Alfreds Rücken das verzerrte Gesicht des Mulatten, ein blauer Strahl entfuhr seiner Faust, ein diabolisches Gelächter! »Denkt an die Katze!« erklang es noch einmal.

Alfreds Hände griffen in die Luft, sanken herab, ein Stoß, er war von der Plattform verschwunden, ein dumpfes Aufschlagen, und unter der Begleitung des Donners zeigten die Blitze den menschlichen Körper, wie er sich überschlagend von Sims zu Sims abprallte, bis er in der Tiefe verschwand.

»Mörder, Mörder, hihihi!« lachte da gellend wieder eine andre Stimme, und vor den beiden Männern tanzte händeklatschend der Wahnsinnige.

»So fahre auch du zur Hölle!« brüllte der Mulatte, packte den Spanier, und in gewaltigem Bogen durch die Luft sausend verschwand auch dieser im Abgrund.

Da ging ein pfeifendes Heulen durch die Luft, aber das war keine Luft mehr, sondern ein siedend heißer Dampf, und der Himmel war nicht mehr schwarz, sondern schwefelgelb.

»Der Hurrikan!« glaubte Flederwisch noch den Mulatten rufen zu hören, dann wurde er besinnungslos zu Boden geschleudert. –

Hell und freundlich lächelte die Sonne vom blauen Himmel auf die beiden Männer nieder, die dem Strande zuschritten, und die Sonne mochte sich wundern, was für gewaltige Wogen das Meer bei diesem schwachen Winde warf, wie es zwischen den Riffen kochte und spritzte, denn sie konnte ja nicht wissen, was sich unter den Wolken und dann in der Nacht ereignet hatte, konnte nicht wissen, was diese zwei Menschen getan.

In einer Felsenhöhle war Flederwisch wieder zur Besinnung gekommen. Er mußte auch lange geschlafen haben. Der Mulatte bot ihm eine große Austerschale mit Wasser dar, und er trank.

Dann verließen sie die Höhle. Flederwisch folgte dem führenden Mulatten, die Augen immer auf den Boden geheftet, niemals sich umsehend, gar nicht auf Weg oder Richtung achtend. Für den Seemann, dessen Führung er sich anvertraute, konnte es jetzt auch nur ein einziges Ziel geben – das Boot.

Nur einmal brach Manuel das Schweigen.

»Kapitän, wenn jetzt das Boot weg ist, dann sitzen wir hier in einer von Haifischen bewachten Falle.«

Das waren fast dieselben Worte, die er gesagt hatte, als sie das Eiland zum ersten Male betreten hatten.

Flederwisch hatte noch nicht gefragt, wie er in die Höhle gekommen sei, ob Manuel ihn vielleicht dorthingetragen habe, und er antwortete auch jetzt nicht. Er hatte die Lippen zusammengepreßt, als wolle er sie nie wieder zu einem Laute öffnen.

»Na, dann spielen wir einmal Robinsons,« fuhr der Mulatte fort, ohne sich nach seinem stummen Herrn umzusehen. »Muscheln und Vogeleier gibt es ja, Wasser ist auch vorhanden, mehr braucht der Mensch nicht, und bald müssen die Walfischjäger kommen, wir rufen ein vorübersegelndes Schiff an. Die Hauptsache ist: Wir haben das englische Gold! Was, Kapitän?«

Entweder hörte Flederwisch überhaupt nichts, weil er an etwas andres dachte, oder er war in völlige Teilnahmlosigkeit versunken. Sonst hätte er den Bootsmann wenigstens daran erinnern müssen, daß ja auch noch Schiff und Mannschaft da waren. Aber nicht einmal die Erwähnung des gefundenen Goldes brachte bei ihm einen Eindruck hervor.

So merkte er auch gar nicht, wie der Mulatte einen Weg einschlug, der wohl nicht direkt an den Strand führte, denn dieser konnte doch nur tief liegen, und die beiden stiegen jetzt eine sanfte Böschung hinauf.

Plötzlich sprang der Mulatte einige Schritte zurück, daß er seitwärts von seinem Herrn zu stehn kam – und dieser blickte in den halben Kesseltrichter hinab, in dessen Schlund zwischen Riffen und Schiffstrümmern das gelbe Metall in der Sonne glänzte.

Lauernd ruhten des Mulatten Augen auf seinem Herrn. Wie stand es mit diesem? Was ging in ihm vor? Manuel hatte es noch nicht enträtseln können. Er hatte die Rolle des Verhängnisses oder des bösen Gewissens übernommen, welches den Mörder immer wieder an den Ort seiner Tat zurückführen soll. Er hatte absichtlich einen andern Weg gewählt, welcher ebenfalls auf der Höhe an der Schlucht endete. Jetzt endlich mußte der Kapitän sprechen, sich offenbaren.

Und Flederwisch sprach. Er erwachte, er stutzte etwas, er trat noch einen Schritt vor, spähte hinab, er wendete den Kopf zur Seite – dort lagen noch die Seile und die andern Sachen, welche der Steuermann zurückgelassen hatte – und er trat vollends dicht an den Rand des Abgrundes, die Arme mit den geballten Fäusten ausstreckend.

»Der Schatz!« rief er mit weithin schallender Stimme. »Er gehört mir!«

Es hatte wie ein grenzenloses Jauchzen der Freude geklungen, lachend, und dennoch prägte sich dabei auf dem bleichen Gesicht eine furchtbare Wildheit aus.

»Ich trotze dem Schicksal – ich, ich habe Alfred ermordet!! Die Ehre gehört mir, mir allein!«

Der lauernde Ausdruck in des Bootsmanns Zügen verwandelte sich in Staunen. Hatte sein Herr beim Wiedererblicken des Goldes plötzlich den Verstand verloren, daß er so etwas schwatzte?

»Zurück, Kapitän!« schrie er plötzlich und sprang vor, um Flederwisch zu packen, aber er kam zu spät.

Unter den Füßen des Kapitäns hatten sich einige Felsstücke abgelöst, sie polterten in die Tiefe, und ehe der dicht am Rande Stehende zurückspringen konnte, stürzte er schon hinab, schlug auf dem ersten Simse, der sich etwa in einer Tiefe von zehn Metern befand, mit einem dumpfen Krachen auf und brach zusammen.

Wäre es ein direkter Sturz gewesen, so hätte Flederwisch bei solch einer Höhe mindestens die Beine gebrochen, aber die Wand war schräg, die losen Steine hatten nur wenig übergeragt, so war es mehr ein Gleiten gewesen, und außerdem hatte sich Flederwisch in der Luft umgedreht und sich an der Wand festzukrallen versucht. So war die Gewalt des Sturzes bedeutend geschwächt worden.

Manuel hatte sich schnell auf den Boden geworfen und streckte den Kopf über den Rand. Er sah seinen Herrn in kauernder Stellung an der Wand liegen, das Haupt zwischen den hochgezogenen Knien.

»Alle Teufel, Kapitän, habt Ihr etwas gebrochen? Lebt Ihr noch?«

Da richtete Flederwisch sich schon wieder langsam auf, tastete mit den Händen an seinen Kopf und blickte dann verwirrt nach oben.

»Was war das? Bin ich herabgestürzt?«

»Merkt Ihr das jetzt auch?« lachte oben der schwarze Wollkopf. »Habt Ihr etwas gebrochen?«

»Ich glaube nicht – einige Schrammen, weiter nichts! Zieh mich wieder hinauf!«

»Gleich – aber so ohne weiteres geht das nicht! Wartet ein bißchen!«

Der Kopf verschwand.

Erst jetzt kam es Flederwisch deutlich zum Bewußtsein, daß er abgestürzt und dem Tode glücklich entgangen war. Die Hautabschürfungen an den Knien und die blutenden Fingerkuppen abgerechnet, fühlte er sich unverletzt, und das erleichternde Schaudern nach überstandenem Todesschreck folgte.

Jetzt, war sein nächster Gedanke, holt Manuel ein Seil, es liegt ja eins oben, und ich klettere einfach hinauf. Gott sei Dank, das war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ...

»Und das Gold! Es ist mein – mein Gold!« setzte er laut hinzu, abermals jauchzend.

Er kroch auf Händen und Knien, der Schmerzen nicht achtend, an den Rand des Simses, legte sich platt hin und blickte hinunter. Wie das glänzte und gleißte! Er spann Träume aus, und ihr Inhalt spiegelte sich auf seinem Antlitz wider, welches bald lächelte, bald Stolz, bald jenen furchtbar trotzigen Ausdruck zeigte. Nur Gewissensqualen schien dieser Mann nicht zu kennen.

Dann plötzlich schrak er zusammen. Wo blieb nur Manuel so lange?

Flederwisch sah nach seiner Taschenuhr – sie war durch den Sturz stehn geblieben. Eine halbe Stunde mochte wohl schon vergangen sein.

»Manuel! Manuel! Kommst du bald? Die Taue liegen doch oben! Zum Teufel, was machst du eigentlich? Wo bist du?«

Es erscholl keine Antwort. Die Morgensonne rückte höher, sie stand im Mittag, und der Mulatte kam nicht. Die Nachmittagssonne warf einen langen Schatten, und Manuel kam nicht. Und unten auf dem Simse kauerte an der Wand der furchtlose Seekapitän, hatte das Gesicht in den Händen vergraben und stöhnte.

Eine alte Geschichte war in seinem Hirn aufgetaucht, ob nun erfunden oder wahr, eine beliebte Situation, die in Jugendschriften immer wieder in Variationen vorgebracht wird.

Zwei Männer entdecken in einer Schlucht einen Klumpen Gold – oder ein ganzes Goldfeld. Der eine läßt sich hinab, der andre hält das Seil fest. Da erwacht in dem oben der Goldteufel.

»Das Gold gehört mir allein, verzichte auf deine Hälfte oder ich lasse dich fallen!« Ob der in der Luft Schwebende nun damit einverstanden ist oder nicht, sein Tod ist doch sicher, hinauf kommt er nicht wieder.

In dieser Lage fühlte sich Flederwisch. Er war der Mann unten mit der todessichern Alternative. Er stürzte zwar nicht hinab, aber er mußte verschmachten, und das würde gar nicht mehr lange dauern. Denn daß es von hier aus kein Hinauf oder lebendiges Hinab aus eigner Kraft gab, davon konnte er sich mit einem einzigen Blicke überzeugen, und der Mulatte gab sich gar nicht erst die Mühe, ihm die lächerliche Alternative zu stellen.

Allerdings hatte es viele Stunden gedauert, ehe Flederwisch zu der Ueberzeugung kam, daß es so mit ihm stand, aber er war dazu gekommen, es konnte ja nicht anders sein.

Zwar hatte er es schon einmal geglaubt und sich geirrt, nämlich vorhin – nein, gestern war es ja gewesen – als sich Manuel auf ihn geworfen und ihn zu Boden gedrückt hatte, aber da waren noch zwei andre Menschen vorhanden gewesen, mit denen er hätte teilen müssen. Jetzt hatte er sich des letzten entledigt.

Manuel hatte ihn verraten! Auch der treueste Hund, wenn sein Hunger zu groß ist, kann beim Anblick eines Stückes Fleisch seinen Herrn vergessen, ihn verlassen.

Flederwisch stöhnte. Wenn die Worte, welche er murmelte, lauter wurden, hörte man, daß es Flüche waren. Manchmal aber klang es auch wie leises Weinen, und dann nannte er schluchzend den Namen seiner Schwester.

Nach und nach erstarb das Stöhnen und Murmeln, nach einiger Zeit erhob Flederwisch sich aus seiner kauernden Stellung, und wie er einige Schritte vortrat, bis er dicht am Rande des Simses stand, war er wieder der stolze, trotzige, furchtlose Mann, der über Tod und Leben spottete, weil er an nichts glaubte. Furcht vor dem Tode? Lächerlich! Es gab kein Jenseits! Ein Kopfsprung, und vorbei war die Puppenkomödie, Leben genannt. Langsam verschmachten wollte er hier nicht.

Flederwisch breitete die Arme aus, seine fieberhaft glühenden Augen stierten in die Tiefe, und drüben am jenseitigen Kraterrande lag hinter einem Felsblock ein Mann, und jetzt schickte er sich eben an, aufzuspringen, doch lautlos sank er wieder nieder.

»Flederwisch, du tust mir leid, aber diese Prüfung ist zu deinem Besten, ich kann sie dir nicht erlassen. Du hast morden wollen, du hast gemordet – wohlan, so soll dein Gewissen dich alle Qualen erdulden lassen, denen Mörder preisgegeben sind. Nur über dein Weib will ich dir die Augen öffnen. Das hast du trotz allem nicht verdient, daß du von einer Dirne betrogen wirst. Der Steuermann Alfred Werner ist tot. Als Nobody wird er von den Toten erstehn, und du, Flederwisch, sollst seine rechte Hand werden – du wirst mich nicht sehen, und ich werde doch bei dir sein. Du wirst glauben, allein stehn zu können, und meine Hand wird dich doch unbemerkt stützen und leiten. Ja, du stolzer Mann, seit gestern bist du bis auf weiteres nur noch eine Puppe, die von dem unsichtbaren Niemand dirigiert wird. Vorwärts, Schicksal, geh deinen Gang! Kapitän Flederwisch, Nobody überläßt dich deinem bösen Verhängnis, das dort bereits herangeschlichen kommt!«

»Imma, du bist gerächt!« rief mit heiserer Stimme der Verunglückte. »Alfred, ich komme, wir wollen das Gold doch zusammen teilen. Hahaha! Das ist das Ende meines Traumes ...«

»He, Kapitän!«

Wie vom Blitz getroffen fuhr Flederwisch herum. Dort oben am Rande des Felsens zeigte sich der Kopf des Mulatten.

»Was singt Ihr da unten für ein komisches Lied?«

Flederwisch sagte nichts, blickte nicht mehr hinauf, seine Augen irrten am Boden umher, er suchte etwas, einen Stein – ein Gedanke war ihm durch den Kopf geblitzt. Konnte er diesen schwarzen Schuft nicht wenigstens mitnehmen ins Jenseits? Eine Schußwaffe hatte er leider nicht bei sich, sonst wäre die Sache gleich abgetan.

»Ich habe unser Boot wieder,« fuhr Manuel fort, »sah es vorhin von hier oben auf dem Wasser treiben und habe so lange mit Steinen geworfen, bis ich's am Ufer hatte; hinschwimmen konnte ich wegen der Haifische nicht. Deshalb blieb ich so lange, aber das Boot war doch das Wichtigste. 'S ist noch ganz heil.«

Flederwisch verstand nicht, was der Mulatte ihm da von dem Boote erzählte, oder er brachte es nur mit seinem Gedankengang in Verbindung. Trotzig verschränkte er die Arme über der Brust.

»Nein!« sagte er.

»Was, nein? Ihr habt Euch doch nicht gar zu sehr gelangweilt? Kapitän, ich möchte ein paar Worte mit Euch sprechen, ehe ich Euch das Seil hinunterwerfe, man hat so selten Gelegenheit, mit Euch ruhig zu reden, Ihr seid immer gleich so schnell mit der Hand, jetzt aber habe ich Euch einmal fest ...«

»Nein!« schrie Flederwisch nochmals.

Jetzt kam es, jetzt stellte der Goldgräber oben seine Bedingungen.

»Na, na,« lachte der Mulatte, »nicht so hitzig, Kapitän, jetzt müßt Ihr mich doch einmal aussprechen lassen ...«

»Behalte das verfluchte Gold – teilen will ich nicht mit dir, du Schuft.«

»Ich glaube wahrhaftig, Ihr seid seetoll geworden,« fuhr es oben in aufrichtigem Staunen fort. »Was schwatzt Ihr da für Unsinn? Also zum ersten: ich habe den Schiffsmakler Davis ermordet. Habt Ihr verstanden, Kapitän?«

Ja, das hatte Flederwisch verstanden, seine Gedankenrichtung änderte sich etwas.

»Was – was sagst du da?«

»Daß ich den alten Davis ermordet habe, und das mit Wollust, denn ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Ihr Euch wegen dieses verfluchten Geizhalses, der Euch zwischen seinen Teufelskrallen hatte, Kopfschmerzen machtet. Wißt Ihr denn gar nicht mehr, wie Ihr damals, als die Schieberei abgeschlossen war und wir das Haus verließen, seufztet und so kläglich sagtet: wenn nur die verfluchte Baracke in Flammen aufginge und der Davis mit!? Wißt Ihr's noch? Haha, ich habe es gründlich besorgt! Komisch kam es mir nur immer vor, daß es Euch gar nicht einfiel, ich wäre der Raubmörder, wo es doch eigentlich ganz klar auf der Hand lag.«

Flederwisch schlug sich mit der Faust vor die Stirn.

»Manuel!« ächzte er.

Nicht dieses Geständnis war es, was ihn so erschütterte, sondern eine ganz andre Erkenntnis.

»Wie ich's gemacht habe, erzähle ich Euch ein andermal,« fuhr der Mulatte fort, »nur darüber seid beruhigt, daß ich so ein Geschäft verstehe. Auch nicht die feinste Spürnase soll etwas davon wittern, daß wir dahinterstecken. Alles habe ich verbrannt, was Euch lästig gewesen wäre, nur das nicht, was Ihr vielleicht noch einmal gebrauchen könntet: habe einige Papierchen in meiner Kleiderkiste, werde sie Euch geben, vorausgesetzt, daß das Schiff – na, davon sprechen wir später. Also, Kapitän, gebt Ihr mir das, was die Pfaffen Absolution nennen? Ich tat's ja nur Euch zuliebe.«

Flederwischs Brust keuchte.

»Zieh mich hinauf, Manuel!«

»Wartet noch einen Augenblick! Zum zweiten: ich habe den Steuermann mit Eurer Einwilligung erstochen. Stimmt's? Seht, ich tat's ja schließlich auch nur Euch zuliebe, und da wäre es doch nun nicht hübsch von Euch, wenn Ihr mich es jetzt entgelten ließet. Es ist ja wahr, ich konnte ihn auch nicht so recht leiden – Ihr wißt schon, damals die Geschichte mit der Katze – aber wenn es anders gekommen wäre, wenn der Steuermann damit einverstanden gewesen wäre, das gefundene Gold zu behalten und so zu gebrauchen, wie Ihr wollt, es wäre mir nicht eingefallen, ihn beiseite zu bringen, mein bißchen Haß kam da nicht in Betracht, und daß Carmencita Angst vor ihm hatte, das hat auch nichts zu sagen, ich hätte schon dafür gesorgt, daß das verwickelte Garn noch glatt ablief. Es war Euer Freund, ich glaube sogar, Ihr habt ihn gern gehabt, ein tüchtiger Seemann war es auch, und wegen eines verdammten Frauenzimmers und eines elenden Niggers hätte er nicht ins Gras beißen sollen. Da wollte es sein Unglück, daß auch er das Gold entdeckte. Ihr hattet recht, er wäre niemals auf Eure Vorschläge eingegangen, er war zu ehrlich. – Seht, Kapitän, ich bin nur ein dummer Nigger, ganz verstehe ich nicht, was Ihr eigentlich vorhabt, soviel Ihr mir auch schon von dem Königreiche vorerzählt habt, das Ihr gründen wollt, aber das weiß ich, daß Ihr mit jeder Faser Eures Herzens an dieser Idee hängt, daß Euch immer nur das nötige Geld dazu fehlte – und ich weiß, wie Ihr Euch geschunden und geplagt und tausendmal Euer Leben und alles riskiert habt, um dem Ziele näherzukommen – Kapitän, Ihr tatet uns manchmal recht leid, und da ist keiner von uns, der sich für Euch nicht bei lebendigem Leibe hätte braten lassen, wenn er Euch nur hätte helfen können – kurz und gut, als ich gestern sah, wie es Euch herumriß, daß Ihr nun plötzlich so viel Gold hattet und es doch nicht benutzen konntet, weil der Steuermann dazwischenstand, da sagte ich mir: jetzt muß der Kerl daran glauben, so oder so. Aber verheimlichen durfte ich es Euch nicht, Ihr mußtet vielmehr dabeisein, und da erzählte ich Euch die Geschichte mit Carmencita, und sie ist wahr, fragt Eure Frau nur selbst – und da hatte ich Euch so weit, wie ich Euch haben wollte. Also, Kapitän, seid Ihr damit einverstanden gewesen, daß ich den Steuermann von hinten erstochen habe?«

Während der ganzen Auseinandersetzung hatte sich Flederwisch in heftiger Aufregung befunden.

»Ich – ich habe Alfred ermordet, ich war es, nicht du!« rief er jetzt, für Manuel ebenso unverständlich wie früher.

»Nein, Kapitän, ich meine ja nur ...«

»Es ist gut! Wirf das Tau herab, ich befehle es dir!«

Der Mulatte gab sein Zögern auf. Klatschend fiel das Ende eines Seiles herab, in einer halben Minute war Flederwisch oben.

Lange Zeit stand er bewegungslos da, es ging etwas vor in ihm, es ruckte und zuckte an ihm, und plötzlich stürzte er an des Mulatten Brust, weinend und schluchzend, und küßte die wulstigen Lippen.

»Ihr seid wirklich seetoll, Kapitän,« sagte der Bootsmann verschämt.

»Manuel – ich habe dich verkannt,« schluchzte Flederwisch wie ein kleines Kind an seiner Brust, »du bist mein treuer Freund – nein, meinen Bruder will ich dich nennen – anders kann ich dich nicht belohnen für das, was du mir jetzt geschenkt hast.«

»Geschenkt? Was hätte ich Euch denn geschenkt?« staunte Manuel.

»Ich – ich weiß es nicht – etwas – ein neues Leben – eine Erkenntnis.«

Endlich beruhigte er sich. Dann wurde Flederwisch sogar finster, er fühlte etwas über sich kommen, was er früher noch nie gekannt, er fühlte sich wirklich als ein ganz andrer Mensch, ohne sich Rechenschaft über die Art dieser Verwandlung geben zu können.

Sie gingen zu dem Boote, welches Manuel allein auf den Strand gezogen hatte.

»Wollen wir erst einmal in die Goldschlucht?« fragte der Mulatte. »Es ist hohe Flut, ich kalkuliere, wir können zu Wasser hineinkommen.«

»Nach dem Schiffe!« war Flederwischs kurze Antwort.

Sie stiegen in das Boot. Manuel griff zu den Riemen, Flederwisch setzte sich wieder ans Steuer. So empört sich auch das Wasser hier an der zerrissenen Küste zeigte, wie es auch schäumte und zwischen den Riffen spritzte, eben durch diese wurde die Gewalt des Seegangs doch gebrochen, und die hohe Flut machte die unter Wasser verborgenen Spitzen ungefährlich.

Erst als das Boot in freieres Wasser kam, faßte die rollende See es mit voller Macht, beide mußten alle Kräfte aufbieten, um die tanzende Nußschale von den Felsen abzuhalten, an denen sie unfehlbar zerschmettert wäre. Auch diese Gefahr ging vorüber, Flederwisch konnte sich wieder ausschließlich dem Steuer widmen, aber je mehr sich das Boot seinem Ziele näherte, desto unruhiger wurde er. Selbst gegen einen tüchtigen Sturm war das Schiff nach seemännischer Ansicht in der Bucht, umgeben von hohen Felswänden, gesichert gewesen. Wie aber mochte der nicht berechnet gewesene Hurrikan hier gewütet haben? Der jetzige Seegang konnte dem festgelaschten Riesenkoloß nichts angehabt haben, vorausgesetzt, daß der zweite Steuermann sofort, als er das nahende Unwetter erkannt, das Schiff mit Wasser belastet hatte, und Bernhard war ein erfahrener, kaltblütiger Seemann. Doch nach dem jetzigen Seegang konnte nicht der beurteilt werden, welcher im Dunkel der Nacht, gerade zur Zeit des Hurrikans und kurz hinterher, hier aufgeregt worden war, denn in diesen engen Straßen beruhigte sich das Wasser zu schnell wieder.

»Manuel, Manuel – wo sind die Masten? Jetzt müßten sie schon dort aufgetaucht sein – und ich sehe sie nicht,« flüsterte Flederwisch mit bleichen Lippen.

»Macht Euch auf alles gefaßt, Kapitän!« entgegnete der Mulatte, sich mächtig gegen die Ruder stemmend. Dennoch wurde das Boot von einer Woge mit pfeilschneller Geschwindigkeit in die breite Wasserstraße geschleudert, welche an den natürlichen Hafen führte.

Da stieß Flederwisch einen gellenden Schrei aus, einen Schrei der Freude – dort in der Bucht lag die Frithjof, tief ins Wasser getaucht, nur alle vier Masten bis zur Hälfte gekürzt. Der Hurrikan hatte die schützenden Felswände nicht umwerfen können, in der Höhe aber, in welcher er über die Wände hinstrich, hatte er die Masten wie Strohhalme abgeknackt.

»Gott mache mich blind!« schrie der Mulatte. »Kapitän, die Revolverkisten! Alles ist futsch!«

Das Steinplateau, welches die Bucht einschloß, war so kahl wie zuvor, als die Frithjof hier angelegt hatte, verschwunden die Kistenberge; noch jetzt spülte das schäumende Wasser, sich an der glatten Wand brechend, beständig darüber hinweg.

Nur für einen Blick hatten die beiden Zeit, dann mußten sie daran denken, wie sie lebendig an Deck kommen konnten. Ein Anlegen war hier ausgeschlossen, und ließen sie sich nicht direkt auf das Schiff zutreiben, so schoß das Boot, von dem gewaltigen Sturme fortgerissen, eben vorbei und zerschmetterte anderswo.

Das Boot war bemerkt worden; dichtgedrängt standen die Matrosen an der Reeling, Taue und Korkringe zum Wurfe bereit in den Händen.

»Jetzt!« schrie Flederwisch.

Das Boot wurde gegen den Schiffsrumpf geschleudert, ein donnernder Krach, die Planken zersplitterten unter ihren Füßen, aber schon hatten Kapitän und Bootsmann die ihnen zugeworfenen Taue gefangen und standen im nächsten Augenblick unversehrt an Deck.

Ohne ein Wort zu verlieren sprang Flederwisch sofort nach der andern Seite und musterte die Befestigung des Schiffes. Als er es verlassen, war es nur mit Tauen und einigen Stahltrossen mit dem Lande verbunden gewesen, die Korkfänger, elastische Korkballen, welche die direkte Berührung und Reibung zwischen Schiffsrumpf und dem Anlegeplatz verhindern, hatten noch freien Spielraum gehabt; jetzt dagegen war das Schiff mit zahllosen, armstarken Ketten an das steinerne Ufer gefesselt, es war förmlich mit einem Kettenhemd umgürtet, so fest, daß die Korkfänger zu dünnen Scheiben zusammengedrückt wurden. Nur diesen Vorsichtsmaßregeln, welche eine kolossale Arbeit erfordert haben mußten, war es zu verdanken, daß die Frithjof den Hurrikan überstanden hatte, und das war eine Wunderleistung der Seemannskunst gewesen.

Weiter musterte der Kapitän den Rest der Takelage und fand, daß die Mannschaft auch hier schon fleißig gearbeitet hatte, um das Schiff segel- und manövrierfähig zu machen.

Der Verlust der halben Takelage zählt zu den kleinsten Havarien, kommt gar nicht in Betracht, wenn nur sonst Schiff und Fracht gerettet werden kann – und dies freilich war hier nicht der Fall.

Deshalb blickten alle die schweigend dastehenden Matrosen mit solcher scheuen Niedergeschlagenheit auf ihren Kapitän. Denn jeder konnte sich ungefähr berechnen, was für ein enormer Wert in den tausend Tonnen Revolvern gesteckt hatte, alle wußten, daß es des Kapitäns eigne Fracht gewesen, daß er sie zwar versichert hatte, aber daß die Versicherung verloren gegangen war, denn die Seeleute kannten die Verhältnisse, und daher wußten sie auch, daß ihr Kapitän durch den Verlust der gesamten Fracht ein ruinierter Mann war.

»Es ist gut, Bernhard,« wandte sich Flederwisch endlich mit ruhigem Gesicht an den hinter ihm stehenden zweiten Steuermann. »Ich bin dir Dank schuldig.«

Ja, das war Kapitän Flederwisch. Bei Kleinigkeiten, wenn etwa ein Matrose einen Holzeimer über Bord hatte fallen lassen, durch eignes Verschulden oder nicht, da konnte er wettern und fluchen und den Uebeltäter mit Vorwürfen überhäufen, aber bei einem wirklichen Unglück zeigte er sich stets gelassen, edel und verzeihend. Er war ein ›Kerl‹ – wie die Matrosen sich in ihrem richtigen Instinkt ausdrückten – vom Scheitel bis zur Sohle.

Verlegen drehte Bernhard die Mütze zwischen den Händen. Er hätte gar nicht nötig gehabt, sie vor dem Kapitän an Deck abzunehmen.

»Kapitän, ich konnte wahrhaftig nichts von der Fracht bergen lassen,« sagte er niedergeschlagen.

»Natürlich nicht. Erst kam das Schiff. Wie war es?«

Der zweite Steuermann schilderte die Katastrophe, die mit dem schnellen Einsetzen des Hurrikans ihren Höhepunkt erreicht hatte. Gleich als sich das Unwetter durch Drohungen des Himmels und der Atmosphäre ankündigte, hatte der vorsichtige Steuermann die Ventile gezogen, d. h. den Laderaum des Schiffes voll Seewasser laufen lassen, bis es zur Wasserlinie herabsank. Es hatten sich zwar noch einige hundert Zentner-Kisten darin befunden, aber besser, der Rest der Revolver wurde durch das Salzwasser total unbrauchbar, als daß das ganze Schiff zugrunde ging.

Dann hatte man eben noch Zeit, das Schiff mit Ketten und noch mehr Tauen an den Lavablöcken festzulaschen, als der Hurrikan losbrach. Die erste Woge, welche von der offnen See her durch das Labyrinth von Wasserstraßen einhergebraust kam, hatte die Kistenberge zusammenstürzen lassen, die zweite das ganze Plateau reingewaschen. Die Mastentoppen samt der obern Takelage waren wie leichte Spreu davongeflogen, man wußte nicht, wohin; zu sehen war nichts mehr davon.

Während dieses Berichtes hatten Flederwischs Augen die umstehende Mannschaft überflogen.

»Und die Mannschaft? Sie ist nicht vollzählig.«

Die letzten Arbeiten im Sturm hatten Opfer gefordert. Vier Mann lagen im Lazarett, hatten meistenteils Quetschwunden, von der herabstürzenden Takelage davongetragen. Doch tödlich verletzt oder verkrüppelt war keiner.

»Nur dem Koch schlug eine Bramsteng direkt auf den Kopf,« fuhr Bernhard mit seinem Berichte fort, das Schlechteste zuletzt bringend, »er stürzte über die Reeling an Land und war gleich fortgespült. Und Wildner ist über Bord gewaschen worden – und – und – Dietze auch.«

Die Matrosen glaubten zu wissen, was sie jetzt zu sehen bekommen würden. Sie kannten ja ihren Kapitän, den tollkühnen, wilden, vor nichts zitternden und über alles spottenden und höhnenden Mann, welcher aber bei Gelegenheit, wenn ihm etwas – wie die Matrosen sagten – ans Herz ging, empfindsam wie ein junges Mädchen sein konnte. Schon oft hatten sie ihn fluchen hören und im nächsten Augenblick wie ein Kind weinen sehen. Und den Dietze hatte er ganz besonders ins Herz geschlossen gehabt.

Jetzt würde sich der Kapitän mit einem schluchzenden Laute schnell abwenden, um die Leute seine hervorstürzenden Tränen nicht sehen zu lassen, dann würde er sich lange in seine Kabine einschließen und später mit lachendem Munde sagen: Na, das ist Seemannslos, einmal müssen wir doch alle daran glauben.

Aber heute benahm sich der Kapitän ganz anders.

»So fehlen drei Richter,« hörte man ihn murmeln, während er finster auf das Deck stierte, und dann, den Kopf hebend, setzte er gleichgültig hinzu: »Sonst nichts?«

»Der erste Steuermann, welcher gestern kurz vor Euch von Bord ging, im Dingi, ist noch nicht zurückgekommen.«

»Sonst nichts? Geht an eure Arbeit!«

Flederwisch begab sich in seine Kabine und schloß sich allerdings ein, ohne jedoch die gewöhnliche Reizbarkeit gezeigt zu haben.

»Er nimmt es höllisch leicht!« sagten einige.

»Nein, daß Dietze über Bord gegangen ist, hat ihn mehr als sonst ergriffen, und mit dem ersten Steuermann mag auch etwas passiert sein,« meinten andre.

»Wißt ihr denn gar nicht,« flüsterten die dritten, »daß er die fortgewaschene Fracht auf eigne Rechnung gehabt hat? Und weil's hier passiert ist, was er nicht verantworten kann, bekommt er keinen roten Pfennig von der Versicherung, und da denkt er jetzt an etwas andres als an seine Matrosen und an den Werner. Bettelarm ist unser Kapitän.«

»Haltet's Maul!« ließ sich Manuel hören und übernahm, so naß, wie er aus dem Bootsuntergang hervorgegangen war, die Leitung der Arbeit in der Takelage. Nach einer Stunde wurde er vom Steward zum Kapitän gerufen, und als er wieder an Deck erschien, sah man ihn stark den schwarzen Wollkopf schütteln.

Er wechselte mit dem Steuermann einige Worte und ließ dann die Bootsmannspfeife schrillen, welche die Matrosen von der Arbeit weg vor den Fockmast rief. Die ersten aus der Takelage Kommenden mußten die Kranken aus dem Lazarett holen, auch diese sollten sich vor dem Maste versammeln, ob sie nun gehn konnten oder in Bahren getragen werden mußten.

Flederwisch trat aus der Kajüte. Er hatte den Anzug gewechselt, sah so bleich und angegriffen wie die Tage zuvor aus, auf seinem Gesicht lag ein düsterer Ernst. Der Steuermann meldete, daß die im Schiffe befindliche Mannschaft vollzählig angetreten sei.

Ueber jeden einzelnen der dreiunddreißig Männer, welche sich wachenweise auf Backbord- und Steuerbordseite verteilt hatten und in strammer, militärischer Ordnung dastanden, ließ Flederwisch seine Augen schweifen, jeden einzelnen durchdringend ansehend, dann trat er selbst vor den Mast.

»Ihr wißt, wie es mit mir steht!« begann er mit ruhiger, voller Stimme. »Rührt euch, Leute! Ich will jetzt nicht als euer Kapitän, sondern als Mensch – das heißt, als euresgleichen zu euch sprechen, ja, ihr sollt noch mehr sein! Ihr sollt bald merken, was ich damit meine. Ihr sollt über meine Zukunft entscheiden! – Ihr wißt also, wie es mit mir steht. Gestern um diese Zeit durfte ich mich für einen reichen Mann halten, heute bin ich bankrott, bin mit Schulden überladen, von diesem Schiffe gehört mir nicht einmal ein Nagel ...«

Und Flederwisch fuhr fort zu sprechen, er rechnete seinen Leuten genau die Summe vor, welche er dem Rechtsanwalt Perkins und andern Gläubigern schulde, wie er auf die Fracht 25.000 Pfund Sterling angezahlt und an Davis seine ganze zukünftige Erbschaft verpfändet habe. Von Pedro Valdez habe er freilich schon 50.000 Pfund Vorschuß erhalten, die seien jetzt bar in seiner Tasche, aber die müsse er doch zurückgeben, und wenn er es nicht täte, was hätten unter solchen Verhältnissen 50.000 Pfund zu bedeuten, da ihm die 750.000 Pfund entgangen seien! Er vergaß nichts zu erwähnen, und seine Rechnung war so deutlich, daß auch der Matrose mit der geringsten Fassungskraft ihr folgen, das Defizit erkennen konnte.

Selten, sehr selten kommt es einmal vor, daß ein Kapitän, und wäre es auch der jovialste, an Bord seines Schiffes auf solche Weise zu der Mannschaft spricht. Auch in der höchsten Seenot, wenn der Kapitän die mit der letzten Kraft pumpenden Matrosen fragt, ob sie in die Rettungsboote gehn oder das sinkende Wrack noch einige Stunden zu halten versuchen wollen – er ist doch immer noch der unnahbare Kapitän. Die Schranke zwischen ihm und selbst dem ersten Offizier ist noch höher und undurchdringlicher, als die zwischen einem General und dem gewöhnlichen Soldaten an Land.

Deshalb verwandelte sich das erste Erstaunen der Leute, als ihr Kapitän so zu ihnen sprach, fast in Bestürzung. Dann aber merkten oder ahnten sie, daß es sich hier um etwas andres handelte als nur um eine Beratung wegen der Sicherheit des Schiffes, sie wurden unruhig, sie flüsterten untereinander, daraus wurde ein Murmeln, und die Unruhe erreichte ihren höchsten Grad, als Flederwisch von seinem Schuldverhältnis zu dem Schiffsmakler Davis sprach.

Denn davon, daß gerade dieser, dessen Ermordung ganz London in Aufregung versetzt hatte, die Fracht besorgt, hatte allerdings niemand etwas geahnt.

»So steht es mit mir,« schloß Flederwisch seinen Bericht, der eine halbe Stunde in Anspruch genommen hatte. »Mit einem Wort, ich habe meine Rolle als selbständiger Kapitän ausgespielt – ich muß euch abmustern. Wir segeln nach Guayaquil zurück, ich werde mich mit Valdez auseinandersetzen, die Frithjof,« hier wurde seine Stimme unsicher, ein schluchzender Ton mengte sich dazwischen, doch gleich war sie wieder fest und gelassen wie zuvor, »die Frithjof will ich gut zu verkaufen suchen, ich werde in fremde Dienste treten, und ihr müßt euch ...«

»Ihr seid des Teufels, Kapitän!«

Rüttgardt, ein poetisch veranlagter Sachse, war es, welcher vorsprang und dies rief.

Trotz ihrer großen Aufregung hatten sie den Sprecher noch nicht unterbrochen, jetzt war der letzte Bann beseitigt, jetzt sprangen plötzlich alle vor, jeder wollte das Wort ergreifen. Um den am Maste mit über der Brust verschränkten Armen lehnenden Kapitän entstand ein Gedränge und Stimmengewirr; er konnte nur die das Lärmen übertönenden Fragen vernehmen und beantworten, und nur wenn er den Mund öffnete, trat jedesmal eine augenblickliche Stille ein.

»Gibt es denn gar keinen andern Ausweg?«

»Nennt mir einen! Ich weiß keinen!«

»Wir bleiben bei Euch, Kapitän!«

»Ich kann euch nicht behalten, denn ich habe bald kein Schiff mehr!«

»Wir verlassen Euch aber nicht, Kapitän!«

»Wißt Ihr denn gar nicht, Kapitän, daß dieser Schiffsmakler Davis, dem Ihr so viel schuldet, ermordet worden ist?« erklang eine schrille Stimme.

»Und man kennt den Mörder nicht!« erscholl es weiter in wildem Durcheinander. »Er – hat alle Papiere verbrannt – alle, die dem Wucherer etwas schulden, brauchen ihm nun nichts zu bezahlen ...«

Flederwisch vernahm noch einmal aus dreiunddreißig Kehlen die ganze Mordgeschichte, man sagte ihm, daß er nun doch auch nichts mehr an Davis zu bezahlen brauche, daß ihm dieser doch die ganze Fracht gewissermaßen geschenkt habe. Ob er denn dies nicht wisse, oder ob dies nicht so sei?

Ruhig wartete Flederwisch, bis sich das lauteste Stimmengewirr gelegt hatte.

»Ja, so ist es,« entgegnete er dann, den ihm zunächstehnden Matrosen dabei fest in die Augen sehend, »und ich muß es wohl am besten wissen, denn ich selbst war es, welcher Davis ermordet hat – um die bestellte Fracht nicht bezahlen zu brauchen, denn ich gedachte, ein gutes Geschäft bei dieser Fahrt zu machen. Hört ihr? Ich selbst habe Davis ermordet!«

Sie alle hatten ihn wohl verstanden, und plötzlich verwandelte sich die unruhige Masse in eine solche von starren Figuren, über welchen die Stille des Todes lagerte. Es waren lauter verwegene, wilde, zum Teil auch sehr rohe Burschen, einer und der andre mochte vielleicht auch schon einen Totschlag auf dem Gewissen haben, es waren Schmuggler, mit dem Gesetz beständig im Kampfe liegend, doch Mörder waren sie nicht.

Nun klagte sich ihr Kapitän selbst als Mörder an, als gemeinen Raubmörder aus Eigennutz! Es war ein Experiment, welches Flederwisch mit ihnen machte, und schon aus den vielen starr auf ihn gerichteten Augen erkannte er, daß er sich nicht verrechnet hatte, denn aus diesen sprach viel mehr fassungsloses Staunen als Schreck oder sonst etwas, was ein Mensch wohl empfindet, wenn sich jemand ihm gegenüber als Mörder zu erkennen gibt.

Dieses Schweigen und Anstarren wurde fürchterlich.

»Ihr – Ihr – Kapitän – Ihr selbst hättet den Davis ermordet?« begann endlich Rüttgardt leise und stotternd.

»Ich tat's, um die Fracht nicht bezahlen zu müssen.«

»Ja, Kapitän, warum erzählt Ihr uns das eigentlich?« erklang es in womöglich noch größerm Staunen als vorhin; und in demselben Tone, nur daß sich noch einige Hoffnung beimischte, ließen sich andre Stimmen vernehmen.

»Ja, Kapitän, dann steht es wohl noch gar nicht so schlimm mit uns?«

In diesen zwei Fragen hatte die Antwort gelegen, welche Flederwisch hören wollte, und sie hatten zuletzt auch nicht ›mit Euch‹, sondern ›mit uns‹ gesagt, deshalb konnte der Kapitän triumphierend nach dem seitwärts stehenden Mulatten blicken, dem einzigen, welcher nicht vor Staunen erstarrt war, vielmehr hatte Manuel schon immer mit den nackten Füßen vor Ungeduld die Planken gestampft.

»Nein, dadurch steht es noch nicht so schlimm mit mir, und dennoch wäre es der Fall, hätte ich mich nicht auch noch eines Angebers entledigt. Leute,« fuhr Flederwisch mit erhobener Stimme fort, wie er sich auch hoch aufrichtete, »so hört mein letztes Geständnis, und ihr sollt meine Richter sein, deren Spruch ich mich unterwerfe: ich habe vorhin auch den ersten Steuermann ermor ...«

Er wurde unterbrochen. Manuel war auf das Kommende wohl vorbereitet, aber nicht in alles eingeweiht gewesen, denn mit einem unartikulierten Schrei sprang er plötzlich auf seinen Herrn zu.

»Kapitän, Ihr seid ...«

»Schweig!« donnerte ihm aber dieser sofort entgegen und blitzte ihn mit solchen Augen an, daß der Mulatte zurückprallte, und dann fuhr er zu den nicht minder erschrockenen Matrosen fort: »Ich habe auch vorhin den ersten Steuermann, Alfred Werner, ermordet, weil er meinen Plänen entgegenstand – aus Eigennutz habe ich ihn ermordet. So, nun wißt ihr alles, nun urteilt über mich, und wenn ihr über mich beschlossen habt, dann ruft mich wieder an Deck! Komm, du sollst nicht dabeisein.«

Ohne die Wirkung seiner Worte zu beobachten, drehte er sich schnell um, packte mit eisernem Griff des Mulatten Handgelenk und riß den Taumelnden mit sich fort, bis er ihn in seine Arbeitskabine geschleift hatte. Erst hier ließ er ihn los, und bevor Flederwisch die Schiebetür hinter sich schloß, lauschte er einige Augenblicke. Seinem Gesichtsausdruck nach mochte er andres erwartet haben, als er jetzt hörte. An Deck herrschte nicht die Ruhe der Bestürzung, welche dem unmotivierten Geständnis des Kapitäns eigentlich hätte folgen sollen, vielmehr vernahm man schon jetzt ein aufgeregtes Stimmengemurmel.

»Kapitän, ich begreife nicht, was Ihr da gemacht habt,« begann der ganz grau aussehende Mulatte, als Flederwisch die Tür zugeschoben hatte und sich ihm zuwandte. »Ich denke, Ihr wollt ihnen so nach und nach beibringen, daß noch nichts verloren ist, weil wir Davis beseitigt haben, aber Ihr fallt gleich mit der Tür ins Haus ...«

»Eben, weil du mich überhaupt nicht begreifst, kannst du auch das nicht verstehn,« entgegnete Flederwisch, welcher in der Kabine auf und ab zu wandern begann.

Der Bootsmann hatte sich – ein ungeheuerlicher Verstoß gegen die Schiffsordnung – in Gegenwart des Kapitäns in einen der amerikanischen Schaukelstühle gesetzt, und einem Manuel wäre das früher am allerwenigsten zuzutrauen gewesen. Er schien überhaupt ganz unwirsch zu sein, vielleicht sprach er nur, um seine eigne Stimme zu hören.

»Ich hätte es an Eurer Stelle ganz anders gemacht,« fuhr er hastig fort, dem auf und ab gehenden Kapitän mit unruhigen Augen folgend. »Gewiß, Ihr seid viel, viel klüger als ich, aber in diesem Falle wäre ich doch diplomatischer vorgegangen – ich hätte mir eine Rede einstudiert, daß die Kerle gar nicht wieder aus dem Weinen herausgekommen wären – vor allen Dingen hätte ich sie daran erinnert, was sie doch immer für einen guten Kapitän gehabt haben, daß er immer wie ein Vater für seine Kinder sorgte und so weiter – und die schönen Pläne, die Ihr mit ihnen vorhattet – wenn sie's auch nicht verstehn, was Ihr eigentlich wollt, anhören tut sich's doch recht gut, man kann davon richtig begeistert werden – und nun sei das alles futsch – und was zum Teufel fällt Euch ein, immer zu sagen, daß Ihr den ersten Steuermann ermordet hättet?« fügte Manuel zuletzt noch, wie erschrocken emporfahrend, seinen sowieso unzusammenhängenden Sätzen hinzu.

»Ja, das hättest wohl du getan, aber nicht ich,« murmelte Flederwisch in Gedanken versunken, und auf die letzte Frage antwortete er dasselbe wie vorhin, nur in einem klassischen Zitat, welches der Mulatte freilich nicht kannte: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!«

»Aber Ihr gebt Euch ja den Kerls ganz in die Hände, jeder kann Euch verraten.«

»Das will ich eben.«

»Ich begreife Euch nicht ...«

»Dann schweig, nein, meinetwegen schwatz weiter, nur draußen sollst du nicht sprechen. Sie sollen allein und unbeeinflußt über meine Zukunft entscheiden. – Horch, da kommen sie schon!«

Sie hatten sich schnell entschlossen, keine fünf Minuten hatte es gedauert. Aber nicht nur einer kam, um den Kapitän an Deck zu rufen, wie er gesagt; das Stimmengewirr wurde lauter, es kam heran, jetzt war es im Korridor, die lautlosen Tritte der nackten Füße vernahm man durch die Erschütterung der Planken. Lauschend und erwartungsvoll stand Flederwisch da, die Blicke auf die Tür geheftet, nach kurzem, starkem Anklopfen wurde diese geöffnet; im Rahmen stand der zweite Steuermann, hinter ihm waren die Köpfe der Matrosen dicht aneinandergedrängt.

»Kapitän, ich konnte sie nicht zurückhalten,« entschuldigte Bernhard diesen Einbruch in das Allerheiligste des Schiffes, in die Kabine des Kommandanten. »Ich konnte nicht zu Worte kommen, niemand ...«

»Nein, wir wollen selbst mit Euch sprechen, Kapitän,« erklang es hinter ihm im Chor, und da jeder die Stimme des andern zu überbieten versuchte, wurde ein Brüllen daraus. Der Steuermann wurde zur Seite geschoben, schon drängten sie sich herein, die enge Kabine füllte sich mit wilden Gestalten.

Hochaufgerichtet empfing sie der Kapitän. Ein siegesbewußtes Lächeln spielte um seine Lippen.

»Was bringt ihr mir?«

»Kapitän, könnt Ihr das Schiff und uns noch behalten?« lautete die Gegenfrage aus aller Munde. Sie hatten sich nicht verabredet, aber alle fanden nur ein und dieselben Worte.

»Ich kann es, wenn ihr damit einverstanden seid, unter einem Kapitän zu fahren, der ein Mörder ist.«

»Was schiert uns das! Kapitän, Ihr wart immer gut zu uns ...«

»Ihr könnt mich verraten, mich anzeigen.«

»Verflucht, wer es tut, wer nur daran denkt!« heulte es aufgebracht im Chor; jeder fühlte sich beleidigt. Flederwisch las es in ihren geröteten Gesichtern, und immer mehr begannen seine erst so matt blickenden Augen zu blitzen.

»So wollt ihr bei mir auch fernerhin bleiben?«

»Wir wollen es, macht mit uns, was Ihr wollt, führt uns in den Himmel oder in die Hölle, wir verlassen Euch nicht!« brüllte es im Chor.

»Wir treiben Seeräuberei,« ließ sich eine Stimme noch deutlicher vernehmen, »das ist ein lustiges Leben, und dann baumeln wir lustig am Galgen.«

»Nein, als Helden in die Walhalla will ich euch führen!« schrie auch plötzlich Flederwisch mit hervorbrechender Begeisterung. »An Deck mit euch! In die Takelage, zur Arbeit! Gehorcht, ihr Hunde, ihr habt's mir geschworen, und ihr sollt's nicht bereuen!«

Es war wieder der Kapitän, der sprach; die dreiunddreißig Matrosen wälzten sich durch den Korridor zurück, oben stimmte einer ein Seeräuberlied an, jubelnd fielen alle mit ein. –

Mit der Seeräuberei ist es zwar in unsrer Zeit vorbei – allerdings nicht so ganz, wie man im Binnenlande gewöhnlich meint – aber Kapitän Flederwisch war doch ein so kluger, phantasievoller Kopf, um etwas zu erfinden, was noch über das ehrsame Schmuggelgewerbe ging, er hatte es bereits oft bewiesen, die wilden Gesellen fühlten sich schon als Seeräuber – und die Hauptsache, die sie so fröhlich stimmte, war schließlich, daß sie ihren Kapitän wieder hatten. Hatte er sie doch auch wieder ›Hunde‹ genannt, in aller Liebe, und ganz wie in alter, früherer Zeit!

»Wohin wollt Ihr segeln? Nach Walhalla?« meinte der Mulatte.

Mit leuchtenden Augen wollte sich Flederwisch ihm zuwenden, da fiel sein Blick auf die auf dem Schreibtisch liegende Photographie Carmencitas, die er bis jetzt noch nicht wieder beachtet hatte. Dieser unerwartete Anblick ernüchterte ihn jedoch nicht, er sprang hin, und in hundert Stücke zerrissen fiel die Photographie auf den Boden.

Nobody hatte seinen ersten Sieg über Flederwisch errungen, ohne daß dieser sich dessen bewußt ward.

Kapitän Flederwisch hatte, indem er das Bild des treulosen Weibes zerriß, bereits den rechten Weg zur Umkehr eingeschlagen, und daß er auf demselben blieb, dafür wollte Nobody schon sorgen. Die Elemente selbst hatten seinen Plan begünstigt, und während Flederwisch von Gewissensbissen gemartert wurde, hatte der, den er ermordet glaubte, das lange Messer, die Machete, die er im Sturze dem Mulatten entrissen hatte, mitten im Toben des Hurrikans einem der am Kratersee liegenden Gerippe mit gewaltigem Stoß von hinten zwischen den Rippen hindurch ins Brustbein getrieben.

Erst dann war Nobody im Schutze der Finsternis, die der Hurrikan ja erzeugte, den gefährlichen Felsenpfad emporgeklommen, hatte rasch eine bergende Höhlung gefunden und dort gewartet, bis die Wut des Sturmes sich legte.

Aus wohlgeschütztem Versteck beobachtete er darauf die Ereignisse am Schatzsee – er sah die Verzweiflung Kapitän Flederwischs, und nachdem dieser sich mit dem Mulatten entfernt hatte, eilte Nobody zu der Stelle, wo er den Körper des Wahnsinnigen liegen sah.

Hier kam jede Hilfe allerdings zu spät. Der Unglückliche war tot.

»Es war eine Erlösung für dich!« murmelte Nobody. »Diese Blutschuld fällt mit auf den Mulatten. Doch jetzt vorwärts! Mein Gefährte wird bereits meiner warten.«

Nobody eilte an den Strand, auf der andern Seite. Dort lag wohlgeborgen unter einem überhangenden Felsen das Dingi. Er schob es ins Wasser, und bald glitt es über die Flut einer fernen Insel zu.

Nach stundenlanger Fahrt erreichte Nobody dieselbe und betrat sie. Rasch band er das Boot fest und stieg dann den Hang empor, bis er auf einmal, noch ehe er die Höhe erreicht hatte, ganz plötzlich verschwand – ganz, als wenn er in die Erde hineingesunken wäre. –

Der auf dem obersten Söller der Seemannswarte postierte Wächter, der das freie Wasser vor dem Hafen, die Reede, zu beobachten hatte, meldete durch ein Sprachrohr zum Hafenbureau hinab, daß der Viermaster Frithjof, London, einen Schleppdampfer begehre und in das Trockendock gehen wolle.

Mehr sagten dem Manne die bunten Flaggen nicht, die an dem letzten Mast des Segelschiffes aufgehißt waren, das vor einer halben Stunde am fernen Horizont aufgetaucht war und nun seine vier Masten in voller Länge zeigte, ohne noch den Rumpf sehen zu lassen. Langsam, mit dem Westwinde kreuzend, kam es näher.

»Also die Frithjof ist wieder da!« setzte der Wächter zu seinem Kollegen hinzu, wieder durch das Fernrohr nach dem berühmten Schiffe blickend. »Es ist gerade fünf Wochen her, daß sie Guayaquil verließ. Wo mag sie in der kurzen Zeit nur gewesen sein?«

»Sie soll die Südküste von Australien als Ziel angegeben haben. Ist sie denn wrack, daß sie in Dock will?« fragte der andre, vor Aufregung fast zitternd und den Kameraden vom Fernrohr zu drängen suchend.

»Sie hat gar kein Ziel angegeben,« erwiderte dieser. »Seine Frau wohnt ja auch noch im Strandhotel – nein, wrack ist sie nicht – hat keinen Knoten im Wimpel – sie geht ja auch noch wie eine Möwe gegen den Wind an – jetzt – jetzt kommt sie schnell hoch – wahrhaftig, alle Boote sind weg, die Kambüse weg – alles bis auf die Kommandobrücke ist glatt weggewaschen – sie hat auch keine Anker mehr! Die Frithjof kann nicht ankern und zeigt doch kein Notsignal ...!«

Hier wurde der Sprecher unterbrochen; sein Kollege stieß ihn von dem Fernrohre weg, und die beiden waren so erregt, daß sie ganz vergaßen, ihre Ueberzeugung, daß die Frithjof alle Anker verloren habe und daher angesichts der gefährlichen Küste bei direktem Westwind nicht vor Anker gehn könne, ihren Vorgesetzten mitzuteilen, was ihre Pflicht gewesen wäre, wenn auch der Kapitän jenes Schiffes es verschmähte, deshalb ein besondres Notsignal zu geben. Hatte die Frithjof wirklich keinen Anker, so war es ein gefährliches Wagestück. Artete jetzt der Westwind, dem sie wohl noch begegnen konnte, in einen Weststurm aus, so wurde das Schiff in kürzester Zeit unrettbar irgendwo auf den Strand oder gegen den Felsen geworfen.

Außerdem war es gegenwärtig die Zeit der tiefsten Ebbe, und der Unterschied zwischen dieser und der Flut ist hier bedeutend. Die Fahrzeuge im kleinen Hafen saßen auf dem Trocknen; der andre für die großen Schiffe war jetzt durch Schleusen gesperrt; weshalb also hätte man da einen Segler nun schon heranschleppen sollen, wenn es nicht die dringende Not verlangte?

Aber die Frithjof hatte sich zu erkennen gegeben, ihr Kapitän befahl – und die Hafenbehörde gehorchte. Einem im tiefen Wasser ankernden Hafendampfer wurde vom Seemannsamt zusignalisiert, was er tun sollte. Fünf Minuten später hatte er die Frithjof erreicht. Die nur wenig bewegte See gestattete, daß der Zwerg sich dicht neben den Riesen legte.

Zwei Stunden zuvor aber hatte ein noch junger, blondhaariger Mann diesen Schlepper betreten und sich dem Kapitän desselben melden lassen. Dieser, ein hoher, schlanker Mann von vielleicht vierzig Jahren, blondlockig und blauäugig, das Gesicht von einem weichen, lichten Vollbart umrahmt, hatte den Fremden in seiner Kabine empfangen, und bald waren beide in eine Unterhaltung in schwedischer Sprache vertieft; der Kapitän war ein Schwede, und sein Gast beherrschte diese Sprache meisterhaft.

Immer größeres Erstaunen malte sich auf dem Gesicht des erstern, je weiter der letztre sprach.

»Mein Gott,« rief er endlich, »wenn ich Euch reden höre, bezweifle ich Eure Aussagen nicht im geringsten, aber andrerseits klingen sie auch wieder so unglaublich, daß ich nicht weiß, woran ich bin. Seid Ihr denn wirklich nur im Dingi hierhergerudert?«

Der Fremde lächelte.

»Die Sache war nicht so schlimm,« sagte er halblaut. Doch als er nun zufällig seine inneren Handflächen zeigte, straften ihn diese Lügen, denn sie waren durch keine Blase entstellt, und das war doch unmöglich bei einem Menschen, der tagelang gerudert haben will.

Der Schwede schüttelte den Kopf.

»Und wie wollt Ihr mich denn vertreten?« fragte er dann. »Selbstverständlich kennt mich jeder meiner Leute genau. Sie gehorchen keinem Fremden!«

»Ueberlaßt das mir!« entgegnete der andre, der kein andrer als Nobody war. »Sie gehorchen Euch, daher auch mir! Also Ihr seid bereit, mir Euren Posten auf einige Stunden zu überlassen?«

»Von Herzen gern, wenn –«

Was der Kapitän weiter hatte sagen wollen, wurde nicht ausgesprochen. Nobody hatte durch das Fenster nach der Seewarte geblickt.

»Die Frithjof ist in Sicht gekommen,« sagte er. »Ich muß mich beeilen.«

Er warf noch einen schnellen musternden Blick auf den Kapitän, dann trat er vor den schmalen Spiegel.

»Streift Eure Uniform ab!« bat er. »Hier sind meine Kleider!«

Wie unter einem Banne stehend, gehorchte der Schwede. Binnen weniger Minuten war die Umkleidung beendet. Nobody, der sich hier Niels Nielson genannt hatte, hantierte noch einige Zeit vor dem Spiegel herum. Plötzlich wandte er sich dem Kapitän zu. »So!« sagte er genau mit dessen Stimme. »Meint Ihr nun, daß Eure Leute mir gehorchen werden?«

Wahrhaft entsetzt prallte der Schwede einige Schritte zurück. Er brachte kein Wort über die Lippen.

Nobody lächelte. Er glich allerdings Zug um Zug dem Ueberraschten.

»Also Ihr verlaßt die Kabine unter keinen Umständen!« sagte er dann. »Ich werde Euch mein gegebenes Wort sicher halten, so daß Ihr die Gefälligkeit, die Ihr mir erweist, nicht zu bereuen haben werdet. Uebrigens hätte ich Euch gewiß nicht belästigt, wenn mir mehr Zeit geblieben wäre. Man verrät seine Geheimnisse ungern, auch wenn es sich nur um das Gewinnen einer Wette handelt.«

So andeutend, wie er den Schweden gefügig gemacht hatte, verließ Nobody die Kabine, und der noch immer ganz erstaunte Kapitän hörte ihn oben nicht nur Befehle erteilen, sondern merkte auch, daß dieselben ohne weiteres ausgeführt wurden. Der Schlepper setzte sich in Fahrt und erreichte, wie bereits erwähnt, die Frithjof. Nobody, durch die Uniform als Regierungskapitän gekennzeichnet, schwang sich an Bord und streckte Flederwisch die Hand zum Gruße entgegen, obwohl dies eigentlich gegen die Etikette war.

»Hurra, Kapitän, Ihr seid neulich im Hurrikan gewesen!« rief er in herzlichem Tone, sich des Englischen bedienend, der internationalen Seemannssprache.

Erstaunt blickte Flederwisch auf den ihm völlig Unbekannten, der seine Freude so aufrichtig ausdrückte, daß der Kapitän der Frithjof dem Sturme entgangen war.

»Neulich?« wiederholte Flederwisch zerstreut, noch darüber grübelnd, wohin er denn das Gesicht tun solle. »Vor drei Wochen – ja.«

Infolge dieser Zurückhaltung erinnerte sich der Mann plötzlich, daß er eine staatliche Uniform trug, das freudige Lächeln erstarb, schon wollte er seine noch ausgestreckte Hand zurückziehen, da aber hatte sie bereits Flederwisch ergriffen. Es tat ihm wohl, angesichts dieses Landes auf solche Weise von einem Germanen begrüßt zu werden.

»Danke, Senor Capitano,« sagte er, herzlich die Hand schüttelnd. »Ja, der Hurrikan traf mich mit voller Wucht, glücklicherweise auf hoher See. Einige Federn sind geknickt worden, sonst nichts weiter.«

»Nichts weiter?« entgegnete der Schwede, sich mit erstauntem Blicke umsehend. »Kambüse und Ruderhaus fort? Die Boote? Ich glaube – Ihr habt keinen einzigen Anker mehr – und Ihr segelt mit dem Winde auf die Küste zu?«

»Eben damit diesem Herumtreiben auf hoher See ein Ende gemacht werde,« lächelte Flederwisch. »Deswegen signalisierte ich ja um einen Schleppdampfer, der mich so lange festhält, bis ich in den Hafen kommen kann, falls noch nicht Zeit dazu ist. Denn auch meine Chronometer haben etwas abbekommen, einer streikt ganz, die zwei andern differieren um einige Stunden.«

Es war keine Zeit mehr für andre Worte als für Manöverkommandos; das treibende Schiff mußte aufgehalten werden, und so wollte sich der Dampferkapitän entfernen, ohne auch nur die Nächstliegenden Fragen zu stellen, z. B., ob die Frithjof einen bedenklichen Schaden davongetragen habe, da sie doch ins Trockendock gehn wolle.

Da aber mußte dem Davongehenden etwas noch Wichtigeres einfallen, daß er stehn blieb und nach Flederwisch zurückrief:

»Wißt Ihr schon – nein. Ihr könnt es wohl noch nicht erfahren haben – Pedro Valdez ist tot!«

Auf Flederwisch brachte diese überraschende und ihn so viel angehende Nachricht im ersten Moment keine andre Wirkung hervor, als daß er nur einen prüfenden Blick in das Gesicht des sich Umwendenden sandte. Nein, der Mann hatte bei dieser Frage einen Hintergedanken! Es war ein Schwede. Der Schwede kann bei Gelegenheit ebensolche Zierlichkeiten sagen wie der Franzose, aber was er sagt, meint er auch so.

Flederwisch hatte ja keine Ahnung, wen er in Wirklichkeit an Bord hatte, und Nobody hütete sich selbstverständlich, sich auch nur durch einen Blick zu verraten. Daß Valdez mit dem Kapitän der Frithjof Geschäfte gemacht, ihm z. B. die 200 Tonnen Türschlösser abgenommen hatte, war wahrscheinlich in ganz Guayaquil bekannt geworden, aber daß ihm diese neugierige Frage eine Warnung sein könne, nicht nach Guayaquil zu gehn, weil er an Land wegen Mithilfe an einer politischen Verschwörung verhaftet würde, das glaubte Flederwisch nicht.

»Was sagt Ihr? Pedro Valdez tot? Unmöglich!«

»Tot, Selbstmord – eine ganz sensationelle Geschichte. Ich erzähle sie Euch dann, wir haben ja noch drei Stunden Zeit.«

Der Kapitän leitete das Vorspannen des Dampfers, Flederwisch das Streichen und Festmachen der Segel seines Schiffes, und erst als dieses von dem unter halbem Dampf liegenden Schlepper so gehalten wurde, daß ihm der nach der Küste treibende Wind nicht mehr gefährlich werden konnte, trafen die beiden an Deck wieder zusammen.

»Ich höre, daß Ihr vier Mann dabei verloren habt?« war des Schweden erstes Wort, nachdem noch einiges Technische besprochen worden war.

»Vier Mann! Steward,« rief Flederwisch, sich umdrehend, »sorge rasch für den Tee in der Kajüte!«

»Und wirklich auch den ersten Steuermann?«

Flederwisch blickte beharrlich hinter sich.

»Auch der! Warum ›wirklich

»Ich kannte ihn, hatte ihn einmal an Land gesehen. Der schöne, starke Mann – ach!«

In der Stimme des Schweden lag etwas ganz andres als Bedauern, Flederwisch hörte etwas ganz Seltsames heraus, mit einem Ruck fuhr er herum – und wirklich, jetzt log der Schwede, er verheimlichte anscheinend etwas, er bedauerte, und dabei war es, als ob er eine Freude verberge. So wenigstens las Flederwisch aus seinem glänzenden Blicke und aus dem Zittern seiner Nasenflügel, das Auge hatte auch etwas Lauerndes angenommen.

»Er wurde wie – wie ein andrer Mann über Bord gewaschen,« sagte Flederwisch mit eiserner Ruhe.

»Ach! Und er soll auch ein so tüchtiger Seemann gewesen sein,« wiederholte der Dampferkapitän so bedauernd wie vorhin, »Ihr werdet hier in Guayaquil schwerlich einen Ersatz für ihn bekommen, überhaupt keinen ersten Steuermann, den Ihr für ein Schiff wie die Frithjof brauchen könnt. Oder meint Ihr?«

Plötzlich stieß Flederwisch einen Laut aus, der Aehnlichkeit mit einem krampfhaften Lachen hatte, nur daß es schon im ersten Tone erstickte, warf den Kopf zurück, strich die wilden Locken aus der Stirn und ließ seinen Blick an der Uniform des Hafenkapitäns hinabgehn, welche im Gegensatz zu den staubigen Postbeamten, neu und übermäßig reich mit goldnen Tressen und anderm Tand besetzt war.

»Wenn ich Euch sage,« stieß Flederwisch dann mit heiserer Stimme hervor, »daß dieser erste Steuermann mein Freund war, so werdet Ihr verzeihlich finden, wenn ich Euch bitte, nicht mehr über diesen Fall zu sprechen ...«

»O, Euer Freund war es!« rief der andre jetzt erschrocken und in aufrichtig klingendem Bedauern.

»Der Tee wird aufgetragen sein,« fuhr Flederwisch fort, sich zum Gehn wendend. »Darf ich bitten, Mister ... entschuldigt, ich kann leider nicht aus Eurer Uniform den Rang erkennen, mit dem Ihr anzureden seid ...«

Der Schwede machte eine verächtliche Handbewegung, die seiner Uniform galt.

»Bah, so viel für das! Ich nehme in der Marine der wohllöblichen Republik Ecuador tatsächlich auch einen sehr, sehr hohen Rang ein, nur schade, daß unsre Kriegsflotte bloß auf dem Papiere existiert, weswegen man mich einstweilen in meiner prachtvollen Admiralsuniform zum Kommandanten eines Schleppkahns gemacht hat – am liebsten höre ich mich bei meinem schlichten Namen nennen, besonders von Euch – Helge Halfdan.«

»Helge Halfdan, ein altnordischer Name! Wollen Sie eintreten, Kapitän!«

Der in der Kajüte servierte ›Tee‹ verdiente diesen Namen eigentlich nicht, aber der Engländer hat dieses Wort nun einmal für unser ›Vesper‹ erfunden, wenn der Tee auch so wie hier ganz fehlt. Denn das heiße Wasser befand sich nur auf dem Tische, um mit Rum und andern Spirituosen vermischt zu werden; für den wirklichen Durst waren eisgekühlte Weißweine und Champagner vorhanden; die vermittelnde Rolle spielten Portwein und Madeira, und im übrigen bildeten diesen frugalen Imbiß zwischen Haupt- und Abendmahlzeit alle jene Delikatessen, mit denen die moderne Einmachekunst jede Kapitänskajüte mehr oder minder ausstattet, die der Frithjof aber vollends mit verschwenderischem Raffinement ausgerüstet hatte.

Flederwisch selbst war es, welcher gleich wieder von dem Hurrikan und seinen Havarien begann, obgleich er doch eben erst dringend ersucht hatte, davon zu schweigen, weil er an den Verlust seines Freundes erinnert würde. An den rätselhaften Tod Valdez', der ihn doch äußerst interessieren, beunruhigen oder vielleicht auch erfreuen mußte, schien er jetzt gar nicht zu denken. Er kreuzte gegen den Wind und wollte doch zum Ziele kommen.

Dort unten war es gewesen, auf dem soundsovielten Breiten- und Längengrade, auch in Minuten angegeben, südwestlich von der Gallopagosgruppe, aber noch weit entfernt, auf hoher See, wo der Hurrikan die Frithjof überrascht hatte ...

Und Flederwisch spann sein ausgedachtes Märchen weiter aus, so glaubwürdig, daß jeder seiner Mannschaft seinen Worten geglaubt und die Wirklichkeit vergessen hätte. Das Schiff hatte keine Fracht gehabt – in welchem Hafen er diese gelöscht, dies anzugeben, hatte er dem ihm fremden Beamten gegenüber nicht nötig – und war für die Rückfahrt nach Guayaquil nur mit Seewasser belastet gewesen.

Bis hierher ungefähr hatte Flederwisch gedichtet, jetzt begann er die Wahrheit zu erzählen:

»Boote weg, Anker futsch, die Toppen geknickt, das Ruder gebrochen – das ließ sich ja alles verschmerzen oder wieder zusammenflicken. Aber das Unangenehmste war: wir hatten auf einmal keinen Tropfen Trinkwasser mehr. Die Fässer an Deck natürlich ebenfalls weggespült, unten die Wände von den Tanks wie die Eierschalen von dem wildgewordnen Ballast eingedrückt. Nun, ich habe ja einen Donkey an Bord, der die Stunde hundert Liter Salzwasser destilliert. Jawohl, aber dazu braucht man Kohlen! Und die waren bis auf das letzte Stückchen ersoffen und lagen zu Staub und Schlamm zerrieben im Kielraum. Hole der Teufel das ganze Salzwasser als Ballast, ich nehme es nicht wieder, und wenn die Tonne tausend Pfund bringen sollte! Ich sage Euch, Kapitän: um uns herum eine himmelhohe See, und guckte ich durch eine Luke in mein Schiff, da erst recht ein brandendes Meer – es war zauberhaft schön! Na, wir hatten also Durst wie die Walfische und nichts zu trinken. Aber wenn meine Chronometer nicht ganz und gar vom Teufel besessen waren, so mußten wir uns nach der Sonnenberechnung in der Nähe der Gallopagos befinden, und dort soll es ja Wasser geben. Einer meiner Matrosen war früher von San Francisco als Walfischjäger gefahren, und der wollte genau Bescheid wissen, wie es von Albemarle oder von Floreanu zu holen wäre, denn das Landen ist dort gar nicht so leicht, wie ich schon oft gehört hatte; auf den besten Seekarten sind nur Kleckse angegeben, und wir hatten dazu kein einziges Boot, nicht einmal Anker. Kennt Ihr vielleicht Albemarle?«

Halfdan hatte den delikaten Speisen und Getränken mit Appetit zugesprochen und schweigend zugehört, immer lächelnd, manchmal ein lautes Auflachen nicht unterdrückend, obgleich es doch eigentlich gar nichts zu lachen gab. Des Erzählers drastische, renommierende Ausdrucksweise war schuld. Flederwisch legte es ja auch nur darauf an, in origineller Weise witzig befunden zu werden. Nur jemand, der ihn schon früher gekannt, konnte heraushören, daß dies nicht mehr der alte Flederwisch war, nicht mehr der alte, leichte Ton, jetzt klang er zu sehr erkünstelt.

»O ja, ich kenne Albemarle, den Rattenhimmel,« lächelte der falsche Halfdan, »ich kenne die ganze Gallopagosgruppe sehr genau.«

»Rattenhimmel? Sehr gut das, der Name paßt!« lachte Flederwisch gezwungen. »Was? Alle Inseln wollt Ihr kennen? Das sind wohl gegen 140, abgesehen von der Myriade von Felseninselchen.«

»Nein, wenn man von den Gallopagos spricht, meint man hier nur immer die elf größern, eigentlich nur Floreanu, Albemarle und Chatam. Die andern hat wohl kaum je eines Menschen Fuß betreten, dort ist's fürchterlich. Aber wart Ihr auf einer der größern? Was sagtet Ihr dazu?«

Flederwisch gab den gespannten Blick auf, mit dem er sein Gegenüber gemustert hatte, und lehnte sich wieder zurück.

»Ah so, das ist etwas andres. Was ich empfand, als ich die erste Insel, Albemarle, betrat? Ich war grenzenlos enttäuscht – das heißt zum guten. Eine himmelhohe, in ihrer Nacktheit schreckliche Felsenküste bot sich meinen Blicken dar, dahinter ein rauchender Vulkan, ich fuhr um sie herum, nichts als diese öde, trostlose Felswand und dahinter der Krater, und wo das Auge durch zerrissene Schluchten ins Innere drang, sah es nur noch Schrecklicheres. Wo sollte da das Wasser herkommen? Genug, der betreffende Matrose hatte die alte Peilung nicht vergessen, wir fanden eine geräumige Bucht, die See war ganz ruhig, wir konnten mit dem Schiffe eindringen bis dicht ans Land, wo es dann angeseilt wurde, und – wie ward mir da, als ich diese Felswand hinter mir hatte! Ich will – jetzt, nach kühler Untersuchung – nicht behaupten, daß es gerade ein irdisches Paradies ist, aber so ungefähr mag es dem verschmachtenden Wüstenwandrer zumute sein, wenn ihm nicht nur die Fata Morgana eine Oase mit Brunnen vorgaukelt, sondern wenn er wirklich eine grüne Insel in der Sahara betritt – wie mir es damals zumute gewesen ist. Alles grün, oben Apfelsinen und unten Ananas, an allen Bäumen hingen Gurken und andre Südfrüchte – dazu Ziegen, Schweine und Ratten – Ratten, wohin man trat – Menschenherz, was kannst du denn mehr im Paradiese verlangen! Außerdem, die Hauptsache, frisches Wasser in Hülle und Fülle. Und dies alles hält die infame Felswand eingeschlossen ...«

»Habt Ihr die Insel näher durchforscht?« unterbrach Helge Halfdan den Erzähler.

»Und das gründlich! Warum?«

»Traft Ihr Menschen?«

»Keinen einzigen! Ja, das ist es eben, was meine erste Frage sein sollte, wenn ich wieder das Festland betrete. Albemarle hat einen Flächeninhalt von rund zwanzig englischen Quadratmeilen. Der Boden scheint ungeheuer fruchtbar, es fehlt an nichts, es müßte zehntausend Menschen aus sich selbst ernähren können – ja, wie in aller Welt kommt es, daß solch ein Inselparadies nicht bevölkert ist? Warum wird es von Ecuador aus, dem es doch gehört, nicht besiedelt?«

Diese Frage hätte jeden, der nicht in die Verhältnisse eingeweiht war, in größte Verlegenheit setzen müssen. Vielleicht hätte nicht einmal der echte Helge Halfdan sie zu beantworten vermocht. Nobody aber konnte es nicht nur, sondern er selbst hatte ja die Unterredung gerade auf diesen Punkt geleitet. Jetzt wollte er unerkannt dem Kapitän Flederwisch das Programm entwickeln, das derselbe später anscheinend aus eigner Initiative befolgen sollte.

Er gab folgende ganz einfache Erklärung, die hier zum Verständnis des Nachfolgenden Platz finden muß.

Ecuador umfaßt 14.000 Quadratmeilen (deutsche) und hat kaum anderthalb Millionen Einwohner. Von diesen sind über die Hälfte Indianer und Farbige, die noch weniger Auswanderungsgelüste haben als die andern, die faulen Kreolen. Was sollte man denn nach den Inseln übersiedeln, da es auf dem Festlande noch so unermeßlich viel Raum gab? Ja, wenn die kalifornischen Walfischfahrer kamen, um sich mit Schildkröten und Trinkwasser zu verproviantieren, gingen ein paar hundert Menschen hinüber: einige Beamte, um den Zoll für den Schildkrötenfang zu erheben, viele Krämer mit Tabak usw., und noch mehr farbige Mädchen, die sich vor den tranduftenden Matrosen nicht scheuten – dann aber lagen die Gallopagos wieder einsam da. Romantische Robinsongedanken gibt es bei dieser Rasse auch nicht, büßende Einsiedler glauben den Himmel leichter auf nackten Klippen als unter Orangenbäumen zu erzwingen.

Außerdem, erklärte der angebliche Helge Halfdan weiter, soll gerade die größte Gallopagos, Albemarle, wirklich unbewohnbar sein, nämlich wegen der zahllosen Ratten. Es sind Wasserratten, die dort alles beherrschen, gerade nur auf dieser einen Insel einheimisch. Als die Spanier im 16. Jahrhundert von den Gallopagos Besitz ergriffen, legten sie auch auf Albemarle eine Kolonie an. Aber die Ansiedler mußten bald vor den Ratten die Flucht ergreifen, wollten sie nicht aufgefressen werden. Das sind ja Plagen, wie wir sie in unsern glücklichen, gemäßigten Himmelsgegenden nicht kennen, sie uns gar nicht vorstellen können. Auch wir haben Mücken, auch wir haben Ameisen, aber ganze Dörfer und Städte können sie bei uns nicht unbewohnbar machen, wie es dort so häufig vorkommt. Jene Kolonisten hinterließen einige Ziegen und Schweine, auch diese hatten sich ins Ungeheuerliche vermehrt; die Ziegen kletterten auf den Felsen herum, und die Schweine fraßen die Ratten und die hatten die Schweine; doch nach Ziegenleder war dort kein Begehr, und das Fleisch der fetten Schweine war ganz rot von Trichinen; so bot die Insel eben gar nichts, und während der Walfischsaison bekamen die zeitweiligen Gäste im beständigen Kampfe mit den Ratten eine Ahnung davon, was es hieße, sich hier ständig niederzulassen. Nur an den Eiern, die die Schildkröten hier alljährlich in Milliarden ablegen, haben seltsamerweise weder Schweine noch Ratten Geschmack; sie sind sehr tranig.

»Ich weiß ein Mittel, um die Ratten radikal zu vernichten, wenigstens innerhalb eines Jahres,« sagte Flederwisch plötzlich, und zwar in einem so entschiedenen Tone, es war ja überhaupt so komisch, wie sich der Kapitän der Frithjof für diese Rattenfrage interessierte, daß ihn Halfdan überrascht und lächelnd anblickte. Doch Flederwisch sah tiefernst aus.

»Nein, Kapitän, es gibt kein Mittel, die Ratten zu vernichten, denn ich selbst habe es einmal probiert, habe alles versucht, was nur ein Mensch ersinnen kann, habe Katzen und geeignete Hunde eingeführt, habe Gifte gestreut – alles vergebens. Katzen und Hunde wurden von den Ratten gefressen, und von den stärksten Giften schienen diese nur noch fetter zu werden – ja, ich habe sogar einige bedeutende Gelehrte zu Rate gezogen, denn mir war einmal sehr viel daran gelegen, Albemarle bewohnbar zu machen ...«

Jetzt erzählte Nobody seine Märchen, nachdem er vorher Flederwischs Lügengespinst geduldig angehört hatte.

»Ihr?« unterbrach ihn Flederwisch, sichtbar betroffen. »Was war Euch daran gelegen? Ich glaube ja, daß Ihr als Admiral der Flotte von Ecuador Gelegenheit hattet, die Gallopagos zu besuchen, aber ich denke, den Inseln wird von der Regierung der Republik aus gar kein Interesse gewidmet?«

Der vermeintliche Schwede, gegenwärtig doch nur der Kapitän eines kleinen Schleppdampfers, hörte den Spott heraus, und er lächelte wie verschämt.

»Habt Ihr sonst nichts von den Gallopagosinseln gelesen oder gehört?« fragte er seinerseits.

»Ich habe genug Nachschlagebücher an Bord,« entgegnete Flederwisch, »aber jedes widerspricht dem andern. In dem einen steht, daß sie 140 Quadratmeilen, in dem andern, daß sie 460 Quadratmeilen einnehmen. Einmal sollen es wüste Felseneilande sein, zu Ecuador gehörend, dann wieder soll Peru darauf blühende Kolonien unterhalten. Manchmal duftet dort alles nach Rosen und Veilchen; der andre Buchschreiber kann es nicht vor Guanogestank aushalten. Nur von der großen Schildkröte, auf der gleichzeitig sechs Mann reiten können, wissen alle zu erzählen. Ich hätte Zeit genug gehabt, alle die größern Inseln genau zu durchforschen; das Trinkwasser mußte in Holzeimern an Bord gemannt werden, aber ich hatte nicht den elendesten Kahn, um nach der nächsten Insel zu kommen; so mußte ich meine Entdeckungsreisen auf Albemarle beschränken, und da schon habe ich gemerkt, daß es auch noch in den sogenannten kultivierten Gegenden Länder gibt, die so unbekannt sind, wie Amerika vor seiner Entdeckung. Was könnt Ihr mir sonst noch von den Inseln erzählen?«

»Ich fragte Euch doch schon vorhin, ob Ihr auf Albemarle nicht auf Menschen gestoßen seid,« erwiderte Halfdan. »Es müßte eigentlich der Fall sein. Ecuador als Besitzer der Gallopagos hat nämlich die Verpflichtung, diese Inseln auch wirklich bewohnen zu lassen, will es seinen Anspruch aufrecht erhalten. Ein ehemaliger Streit um die Inseln, wohl mit Mexiko, hat diese Bestimmung hervorgebracht. Kurz und gut, seitdem Ecuador Republik ist, haben auf jeder Insel immer mindestens drei Menschen zu leben; man wählt dazu ein paar Soldaten aus, sie werden hinübergeschafft, es ist eine Art von strengem Arrest. Habt Ihr auf Albemarle nichts von ihnen bemerkt, so mögen die jetzigen Individuen desertiert oder an der Trichinose gestorben sein, sonst hätten sie Euch schon um Zigaretten angebettelt. Nun aber kommt etwas andres, und wäret Ihr nach Floreanu hinübergegangen, so hättet Ihr Euch selbst davon überzeugen können: Floreanu spielt eine ganz andre Rolle. Floreanu ist eine Festung ersten Ranges mit starker Besatzung, dort residiert der Gouverneur der Gallopagos mit seinem Hofstaat.«

Flederwisch machte große Augen.

»In der Tat?« meinte er unwirsch. »So kennt Ecuador also doch die maritime Bedeutung dieser entlegenen Inseln?«

»Nein, Scherz beiseite!« fuhr Nobody als Halfdan fort, ernst sein wollend und doch immer wieder lächelnd. »In den Staatsarchiven freilich wird immer von der Inselfestung Floreanu gesprochen, von Seiner Exzellenz dem Herrn Gouverneur, von seiner Armee, von den Geschützen usw., in Wirklichkeit aber sieht es ganz anders aus. Etwas kennt Ihr den Charakter dieser südamerikanischen Kreolenrepubliken doch auch, sie sind wie die Kreolen selbst: lügnerisch über alle Begriffe, prahlerisch, eitel bis zum Exzeß, alles verfault bis ins Mark. Ich bin nämlich selbst fünf Jahre lang Gouverneur der Gallopagos gewesen, habe auf Floreanu residiert. Kapitän, wenn's Euch nicht langweilt, will ich Euch etwas von mir erzählen.«

»Es interessiert mich sogar sehr.«

Nobody, als Schwede in der goldgestickten Marineuniform der Republik Ecuador, zündete sich eine Zigarre an, blickte durch das Kajütenfensterchen auf das im Abendsonnenschein erglühende Meer und begann seine Märchen nun auszuspinnen; und Flederwisch hörte ihm gläubig zu.

»Ich bin ein Schwede, in der Hauptstadt erzogen. Als ich aus der Schule kam, ging ich zur See. Wir Schweden sind wohl nicht minder träumerisch-romantisch veranlagt als Ihr hierfür weltberühmten Deutschen; auf unsern Schulen wird genau so von Robinsons und Indianern geschwärmt wie auf den Euern, wir haben sogar noch mehr Grund, von einer Wiedererstehung des alten Seeheldentums zu träumen als Ihr. Ich tummelte mich in der Welt herum, machte mein Steuermannsexamen, zuletzt musterte ich auf einem kalifornischen Walfischfahrer. Damals, sechsundzwanzig Jahre alt, hatte ich freilich meine Hörner schon etwas abgeabenteuert, mir kam es schon mehr auf die Lebertrantantieme an. Auf der Fahrt nach den Gallopagos, wo wir uns mit Schildkröten verproviantieren wollten, brach ich den Arm. Gebrochene Arme kann man auf Walfischjägern nicht gebrauchen. Der brave Kapitän schob mir in die eine Tasche meine rückständige Heuer, in die andre ein paar Pfund Tabak und setzte mich einfach auf Floreanu ab. Zuerst glaubte ich, unter eine Horde von Indianern geraten zu sein, die in Bretterhütten lebten und von denen der eine einen zufällig gefundenen Säbel umgeschnallt hatte, bis ich belehrt wurde, daß der barfüßige Kerl mit dem Säbel Exzellenz anzureden sei, weil er der Gouverneur der Gallopagos wäre. Die andern siebzehn Subjekte bildeten seine Armee, Hofstaat mit inbegriffen; eine eingefallene Mauer war die Festung, Gewehre existierten zwar nicht, aber irgendwo sollte noch ein altes Kanonenrohr versteckt liegen. So war es damals, und so ist es dort noch heute. Floreanu ist eine Art von Strafinsel, die Soldaten sind Halunken, unverbesserliche Taugenichtse – Arbeitssoldaten gibt es in Deutschland doch auch – ein mißliebiger Offizier wird zum Inselkommandanten gemacht. Mein Arm heilte, und ich blieb dennoch. Damals war auf der Insel noch ein kleines, schwarzbraunes Mädchen, die Tochter des Gouverneurs, die mich sehr bewunderte. Sie wurde meine Frau, starb aber bei der Geburt des ersten Kindes ...«

Halfdan machte eine Pause, sog an der Zigarre und blickte nachdenklich dem blauen Rauch nach. Erst hatte er spöttisch erzählt, bei den letzten Worten war er ernst geworden, und wenn er auch den leichten, einmal angeschlagenen Ton beibehielt, so hatte es doch nicht zynisch geklungen. Die Erinnerung an jenes schwarzbraune Mädchen, das seine Frau geworden, mußte ihn doch sehr ergreifen. Bei sich aber sagte der vermeintliche Schwede: ›Warte nur, mein lieber Flederwisch, dir sollen die Augen noch ganz anders übergehn!‹

»Warum ich blieb?« fuhr der Erzähler fort. »Ja, es war ein paradiesisches Leben. Kennt Ihr Lord Byrons ›Insel

»Floreanu hat einen Hafen?« unterbrach Flederwisch den Sprecher erstaunt, welcher jetzt auch beim Erzählen zu träumen begann.

»Zwei.«

»Ihr meint Buchten, in die ein Schiff zur Not einfahren kann?«

»Kapitän, ich bin selbst Seemann, Steuermann, und zwar bin ich ein fixer gewesen, glaube, ich könnte es noch jetzt wieder werden. Ich sage: Floreanu hat zwei ausgezeichnete Häfen; der eine ist groß genug, um eine ganze Kriegsflotte aufzunehmen, und keine Hand braucht noch daran zu bauen. Doch wartet, es kommt gleich! Floreanu hat also einen guten, gesunden Hafen. Das würde der Kriegshafen mit Kohlenstation und so weiter, auch der Artilleriepark, die Magazine könnten darauf angelegt werden. Albemarle kennt Ihr. Ist die Insel zu einer Seefestung nicht wie geschaffen? Bombenfeste Mauern sind schon da, nur die Geschütze brauchen noch hinauf, und es ist eine unbezwingliche Inselburg, welche auch noch 5000 Mann Besatzung selbst ernähren kann. Aber auch Floreanu und Chatam werden durch sie uneinnehmbar gemacht. Chatam kennt Ihr nicht? Das ist wirklich ein kleines Paradies. Dort baute ich meinen Palast und auch – ich bin ein guter Mensch – das Lazarett. Doch nein, noch baute ich nicht. Vorläufig maß und rechnete ich nur, entwarf genaue Karten; Sextanten und Chronometer hatte ich bei mir, und als ich den letzten Strich gemacht hatte, da wußte ich, was ich wollte. Ich sagte der Insel Valet – aber, wohlverstanden, zwei ganze Jahre hatte ich auf ihr zugebracht – und ging nach Guayaquil. Nicht etwa, daß ich gleich mit großen reformatorischen Plänen hervortrat, nein, dazu war ich zu klug. Ich bin skandinavischer Seemann, sagte ich, nautisch gebildet, stellt mich an, wenn ihr mich brauchen könnt. Richtig, ich wurde Leutnant in der Kriegsflotte von Ecuador und avancierte schnell. Unsre Kriegsflotte bestand aus drei Seglern, einem Raddampfer und einem modernen Schraubendampfer. Die Segelfregatten wurden als Guanokähne benutzt, der Raddampfer hatte keine Schaufelräder und das moderne Schlachtschiff keinen Kessel, hat ihn heute noch nicht. Aber ich verzagte nicht. Recht so, ich wollte nichts Fertiges vorfinden, ich wollte aus dem von der Natur so gesegneten Ecuador aus eigner Kraft etwas machen. Ich avancierte also, Plänkeleien kamen ja oft genug vor – ›Kriege‹, wie sie hier sagen – und als ich glaubte, eine gewichtige Person zu sein, trat ich auch öffentlich mit meinen Ideen hervor. Na, ich will es kurz machen. Wenn Ihr das Volk nur einigermaßen kennt, werdet Ihr wissen, wie es mir ergangen ist. Der allerkleinste Teil verstand mich überhaupt, und dieser lachte mich einfach aus. Wer hier etwas beim Volke erreichen will, muß vor allen Dingen Geld und nochmals Geld haben, um Stiergefechte, Feuerwerke und Orgien mit Fandangos und Tarantellas bezahlen zu können. Dann wurde ich als Gouverneur der Gallopagos nach Floreanu verbannt, nicht etwa, weil man mich für einen regierungsgefährlichen Usurpator hielt, sondern weil ich beim Tanzen der Gattin eines meiner Vorgesetzten den falschen Zopf abgerissen hatte. Vielleicht konnte es auch Wohlwollen von oben sein, denn wie ich dann erfuhr, hatte die beleidigte Senora schon Meuchelmörder für mich gedungen. Fünf Jahre habe ich auf Floreanu residiert, und ich glaube, ich habe da eine schwere Gemütskrankheit durchgemacht, die vielleicht sowieso ausgebrochen wäre. Ich begann zu bauen; auf Floreanu entstanden mächtige Magazine, mehrere Werften wurden angelegt, das Holz ließ ich auf Chatam fällen, die Stahlplatten bezog ich aus England, Geschütze von Krupp, immer nur das beste, gleichzeitig leitete ich die Festungsarbeiten auf Albemarle ...«

»Ich verstehe nicht,« unterbrach ihn Flederwisch, welcher aufmerksam zuhörte, überhaupt eine Geduld zeigte, die man sonst gar nicht an ihm gewöhnt war. »Ihr führtet alle diese Arbeiten wirklich aus?«

Nobody-Halfdan lächelte flüchtig. Er merkte sehr wohl, wie Kapitän Flederwisch den hingeworfenen Köder annahm, und ruhig erklärte er weiter:

»Ich habe natürlich nur in meiner Phantasie gebaut. Aber ich träumte nicht etwa regellos, sondern ich glaubte, alles wirklich zu erleben. Ich zeichnete, ich führte Buch, ich ließ mir Pläne von Schiffsbaumeistern und Architekten vorlegen, ich kontrollierte die Kassierer, ich lobte und tadelte, ich war für den niedrigsten Arbeiter so besorgt wie für den Kommandeur von Albemarle, ich arbeitete Exerzierreglements aus, entwarf Verteidigungspläne, ich wußte, wo der Putzstock vom allerletzten Geschütz auf Albemarle lag, und konnte den bedienenden Feuerwerker beim Namen anreden, alles in meiner Einbildung. Nebenbei knüpfte ich auch schon mit China Handelsverbindungen an. Der Teeimport nach Amerika mußte über die Gallopagos geleitet werden. Wahrhaftig, ich schrieb Tag und Nacht Briefe – ich schrieb, nicht etwa, daß ich nur träumte – na, ich sage Euch, ich habe auf vielen Hunderten Metern von Zeichenpapier Pläne und Karten entworfen und zahllose dicke Folianten vollgeschmiert. Und dies alles für nichts. Ich war eben geisteskrank – wahnsinnig! Endlich genas ich wieder. An einem schönen Morgen brach ich plötzlich, warum, weiß ich selbst nicht, in ein Lachen aus, ich lachte, daß mir die Tränen über die Backen liefen, und da nahm ich alle meine zahllosen Briefe, Rechnungen, Zeichnungen und Karten und entzündete ein Freudenfeuer damit.«

Nobody-Halfdan schwieg, als wenn er sich im Geiste in jene Zeiten zurückversetzte, die nie existiert hatten und die er doch so meisterhaft schilderte. Kapitän Flederwisch aber merkte noch immer nicht den Zweck dieser Unterhaltung – erst nach langer Zeit, nachdem er selber ähnliche Erfahrung tatsächlich gemacht hatte, kam er zu der Erkenntnis dessen, was der angebliche Schwede mit seinen Auseinandersetzungen beabsichtigt hatte.

»Auch die Karten und Pläne habt Ihr verbrannt?« fragte Flederwisch so hastig, daß Halfdan ihn verwundert ansah. Er stellte sich, als ob er seine Träume nur erzählt habe, um dem Kapitän die Zeit zu verkürzen, und als wenn er nicht entfernt daran dächte, daß jemand solche Hirngespinste ernst nehmen könnte – am allerletzten Kapitän Flederwisch.

»Nur die Zeichnungen nicht, die zum Archiv gehörten,« antwortete er dann, »das ich mir in einem hohlen Baumstamm angelegt hatte. Sie entgingen vorläufig der Vernichtung, und als ich dann einsah, was für ein Phantast ich gewesen, beschloß ich, diese Pläne zum Andenken an jene Zeit aufzuheben. Wenn es Euch Spaß macht, werde ich sie Euch übermitteln. Da könnt Ihr sehen, wie ich ganz Albemarle kultiviert habe, trotz der unvertilgbaren Ratten, welches Mais und welches Yams tragen sollte, damit die Besatzung bei einer Blockade nicht verhungerte, wie ich die Geschütze verteilte ...«

»Nein, nein, diese phantastischen Pläne mag ich gar nicht sehen,« unterbrach ihn Flederwisch hastig.

(›Gott sei Dank,‹ dachte Nobody, ›das wäre auch eine Hundearbeit geworden, sie herzustellen!‹)

»Die Pläne mit den genauen, geographischen Aufnahmen!«

»Ah so!« sagte Halfdan. »Ja, die besitze ich noch. In der Tat, die könnten einmal für die Schiffahrt nützlich werden, und es wäre mir sehr angenehm, wenn Ihr mir einen Ratschlag gäbet, wie ich sie am besten verwenden kann.«

Darauf fuhr Nobody-Halfdan, der seinen geheimen Zweck bereits erreicht sah, fort, zu erzählen, wie er aus seinem traumhaften Zustand erwacht, dennoch im Staatsdienst Ecuadors geblieben sei. (Hier schilderte er genau die Erlebnisse seines gegenwärtigen Doppelgängers.) Ein Krieg mit Kolumbia war ausgebrochen. Jetzt erinnerte man sich des Verbannten. Man holte ihn mit Ehren zurück, und der Skandinavier ward nicht fahnenflüchtig. Viele Jahre währte der Guerillakrieg. Der Kapitän zur See ohne Schiff kommandierte eine Armee berittener Freischärler. Dann wurde er für seine Leistungen eine Stufe in der Marine höher befördert, und es war wieder die alte Geschichte. Einmal war er in seiner Heimat gewesen (Nobody erzählte das mit voller Absicht so ausführlich; denn auf diese Weise löste er das Versprechen ein, das er dem echten Helge Halfdan gegeben hatte) – alles war tot, und die letzten Verwandten sahen ihn, der auf eine schon verteilte Erbschaft noch Ansprüche machen konnte, mit scheelen Augen an. Da ging der Schwede nach Ecuador zurück. Er hatte sich schon in die südamerikanischen Verhältnisse eingelebt. Jetzt war er Konteradmiral zur Disposition, nebenbei Kapitän eines Hafendampfers; er spielte eine Rolle und bezog durch die doppelte Gage doch einen bedeutend höhern Gehalt, als wenn er Schiffskapitän im Dienste irgend einer andern Nation gewesen wäre. Alle reformatorischen Pläne hatte er allerdings schon aufgegeben, und gerade das sicherte ihm seine Ruhe. Er besaß ein hübsches Landgut. Urlaub bekam er, soviel er wollte. Am Montag war Schachklub, am Dienstag Gesangverein, und so jeden Tag etwas andres, bis er am Sonntag zu den deutschen Schützenbrüdern ging. –

So erzählte Nobody als Halfdan, und er erreichte auch seinen Zweck. Es kam ihm ja alles darauf an, bis zur bestimmten Zeit an Bord der Frithjof bleiben zu können. Der Grund hierzu wird bald offenbar werden.

Seit Flederwisch die Antwort auf seine Frage erhalten, ob die geographischen Aufnahmen der Gallopagos erhalten geblieben wären, hatte er sich in den Stuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen, und so blieb er sitzen. Deshalb hatte der Erzähler schon manchmal eine Pause gemacht; er glaubte, der Kapitän schliefe; da dieser sich aber hin und wieder bewegte, war Halfdan in seinem merkwürdigen Bericht fortgefahren.

Abgerechnet die Worte des Sprechenden, herrschte in der Kajüte eine Todesstille. Die See war ruhig, keine Welle plätscherte gegen die eiserne Schiffswand, kein Schritt eines Matrosen erschütterte das Deck, kein Kommando erscholl, höchstens hörte man ab und zu in weiter Ferne die Pfeife eines Dampfers heulen. Das ankerlose Segelschiff wurde ungefähr zwanzig Seemeilen vom Lande entfernt von dem Schleppdampfer festgehalten, die stählernen Taue waren sehr lang, so daß auch von dort nicht das geringste Geräusch herüberdrang.

»Ja, ich könnte recht glücklich und zufrieden sein, ich bin's auch, seitdem ich alle diese törichten Phantasien über Bord geworfen habe – und dennoch, es kommen Stunden, da ich ...«

Erschrocken brach der Schwede ab, so heftig war Flederwisch plötzlich von seinem Stuhle emporgefahren mit einem wilden, wahrhaft verzerrten Gesicht. Dann stand er mit einem Sprunge an der Kajütentür und hatte diese aufgerissen.

»Manuel! Manuel!« rief er mit heiserer Stimme.

Wie ein schwarzer Schatten aus der Erde wuchs der Gerufene vor ihm empor. Der Mulatte mußte an der Tür auf dem Korridor gelegen haben.

»Nicht jetzt – ich kann sie jetzt nicht sehen!« zischte ihm Flederwisch in furchtbarer Erregung, zu. »Nur fünf Minuten halte sie auf – ich muß mich erst sammeln ...«

War Halfdan nur anscheinend bestürzt über das jähe Aufspringen und den verstörten Gesichtsausdruck des Kapitäns gewesen, so starrte der Mulatte jetzt wegen dieser unbegreiflichen Worte, die jener gar nicht gehört hatte, verständnislos seinen Herrn an, der mit aschgrauem Gesicht und zuckenden Fäusten vor ihm stand.

»Boot ahoy, das Postboot!« erklang es da oben, Schritte rannten über Deck.

Der Bann war gebrochen. Manuel eilte hinauf. Der Schwede folgte, nur Flederwisch blieb zurück. Aber eine völlige Erklärung für sein Verhalten gab dies nicht, es war vielmehr ein Rätsel vorhanden.

Das von sechs Postbeamten geruderte Boot legte bei. Der Mulatte nahm zwei Beutel in Empfang, ging durch die leere Kajüte und fand den Kapitän in dessen Arbeitskabine, wie er vermutete. Flederwisch hatte vor dem Spiegel gestanden, die flachen Hände gegen die Schläfe gepreßt. Bei Manuels schnellem Eintritt nach kurzem Anklopfen drehte er sich um und zeigte ein ruhiges Gesicht.

»Es ist nur das Postboot, sie ist nicht drin.«

»Gut, schütte die Säcke dort aus!«

»Wenn sie nun doch noch kommt ...?«

»So führe sie gleich zu mir – nein, ich werde dann schon selbst oben sein – es ist vorbei. Wie kommt's aber, daß das Postboot zwanzig Meilen in See geht, um Briefe zu bringen?«

»Das macht,« grinste der Mulatte, »weil unser Schiff die Frithjof heißt.«

»Gut, gib den Kerls jedem ein Glas – eine Flasche Wein – und ein Pfund Tabak – jedem. Verstanden?«

»All right. Dann werden sie uns das nächste Mal tausend Meilen entgegenfahren. Etwas mitzunehmen?«

»Nein, geh! In zwei Stunden bin ich selbst dort. Uebrigens wäre es mir lieber, wenn wir weniger Aufmerksamkeit erregten. Halt! Weißt du es? Valdez ist tot.«

»Der Teufel!« stieß Manuel bestürzt hervor.

»Der Schlepperkapitän sagte es mir.«

»Und nun? Ist's gut?«

»Weiß noch nicht, war noch nicht so weit mit ihm. Wie gefällt dir der Mann?«

»Es ist ein Swenske,« meinte der Mulatte, langsam die Achseln hebend. »O ja, ganz gut. Als er hörte, daß der erste Steuermann über Bord gegangen, dachte er gleich daran, ob er nicht Erster auf der Frithjof werden könnte. Er brennt danach. Ich hab's ihm sofort angesehen.«

»Ich auch. Nun geh!«

So vollständig hatte Nobody die beiden zu täuschen vermocht.

Aber Manuel blieb noch. Sein schwarzes Bulldoggengesicht nahm einen unbeschreiblichen Ausdruck an, halb teuflisch lauernd, halb bieder.

»Er ist unverheiratet – ich hab's von dem Schleppermatrosen, der vorn am Gangspill steht – er ist groß, er ist blond – alt und häßlich ist er auch nicht – vielleicht wäre er als Erster doppelter Ersatz ...?«

»Hund!« donnerte der Kapitän.

Da floh der Mulatte hinaus.

Das Boot war eben erst abgerudert. Halfdan lief noch nach dem Dampfer hinüber, jetzt zu stoppen und das Schiff mit Wind und Flut treiben zu lassen, als er den Kapitän schon wieder auf der Kommandobrücke sah. Flederwisch konnte noch nicht einmal einen der vielen Briefe gelesen haben. Schnell erstieg Halfdan die Brücke.

»Verzeiht nur, Kapitän, daß ich jetzt erst daran denke – über meiner Schwätzerei vorhin habe ich es ganz vergessen,« rief er eilfertig, »vielleicht könnt Ihr auch noch das Postboot zurückrufen, sonst steht Euch meine große Jolle zur Verfügung ...«

»Warum? Wozu?«

»O, ich dachte gleich daran, als ich sah, daß Ihr kein Boot hattet, und vergaß es doch wieder – Eure Gattin wird Euch erwarten.«

»Das hat Zeit,« sagte Flederwisch langsam, und freundlicher setzte er hinzu: »Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit, Kapitän, aber wirklich, es eilt nicht so – sie weiß, daß ich mein Schiff nicht verlasse. Kommt, wir wollen uns noch etwas ins Kartenhaus setzen.«

Das Kartenhaus war möbliert, besaß auch ein Schlafsofa, denn auf der See kam Flederwisch fast nie zu Bett. Die beiden Männer setzten sich und sahen zuerst schweigend zu, wie ein Matrose die vor dem Kompaß hängende Lampe anzündete, auch die andern Lichter wurden angesteckt, wie auf dem Segler so auf dem Dampfer: dieser hißte noch die Topplaterne, denn eben ging die Sonne unter, und in wenigen Minuten war es ohne Dämmerung völlige Nacht. Der Mann am Ruder stand auf einem Vorbau der Brücke außer Hörweite der Unterhaltung; die Kompaßlampe malte durch die vergitterten Fenster zitternde Lichtstreifen an die Wand des sonst finstern Kartenhauses.

»Pedro Valdez ist tot, sagtet Ihr?« begann Flederwisch jetzt das Gespräch.

»Er ist als Mörder und Selbstmörder aus der Welt gegangen,« erwiderte Halfdan sichtlich erschüttert. »O, es ist eine unsäglich traurige Geschichte – das heißt für mich, denn, Kapitän, ich habe ein fühlendes Herz in der Brust – und außerdem charakterisiert es so recht diese Nation und dieses ganze Land. Soll ich Euch erzählen? Pedro Valdez war seit sieben Jahren mit einer Engländerin verheiratet; seine Schwiegermutter, eine Engländerin ...«

»Ich kenne alle diese Familien- und sonstigen Verhältnisse, nur seine Frau nicht, die wohl in einem englischen Seebade war. Die beiden Kinder sind hier, auch die Schwiegermutter, Mrs. Lewis. Wann geschah es?«

»Vor – etwa vierzehn Tagen – ja, am Freitag vor vierzehn Tagen war es. Dann kann ich mich ja kurz fassen. Mrs. Lewis macht mit ihrer Dampfjacht eine Fahrt die peruanische Küste hinab, sie wollte wohl die Guanofelder inspizieren. Es ist eine sehr energische alte Dame. Valdez und die Kinder bleiben zu Hause, jeden Tag kann die Mutter eintreffen, sie hat schon telegraphiert. Nach drei Tagen kommt Mrs. Lewis zurück am Abend. Valdez ist seit Mittag fort und noch nicht wieder da. Es vergehn einige Stunden mit Warten. Da endlich kommt die Nachricht: In einem Landhause hat man sie gefunden – ihn und sie – ein junges Mädchen ...«

Flederwischs Faust fiel schwer auf das Seitentischchen.

»Freiwillig?«

»Es ist ein bildhübsches, unbescholtenes, ehrbares Mädchen gewesen, eine Italienerin. Valdez ist ihr schon immer nachgelaufen, sie hat ihn stets abgewiesen. Mehr hat man nicht erfahren. Während der Abwesenheit ihrer Eltern ist er in ihre Wohnung gedrungen und hat sie – auf kannibalische Weise hingemordet und dann sich selbst eine Kugel durch den Kopf geschossen.«

Mit einem Fluche sprang Flederwisch auf und ging mit heftigen Schritten durch das dunkle Gemach.

»Der Bube,« knirschte er, »ja, danach sah dieser Schuft auch aus!«

»Und was das Furchtbarste ist,« fuhr Halfdan fort, »gerade in dieser Minute kommt seine Frau und muß alles hören, von allem Zeuge werden.«

Anstatt durch irgend ein Zeichen zu verraten, daß ihn dies noch mehr ergreife, brach Flederwisch, stehn bleibend, plötzlich in ein schrilles Lachen aus.

»Na, für die beiden Weiber wird's nichts weiter als eine falsche Spekulation gewesen sein,« sagte er rauh. »Und wie soll dieser Fall ein charakteristischer sein für Ecuador und seine Bewohner? So etwas kommt doch überall vor, seht Euch nur um!«

»Nein, Kapitän, das ist nicht wahr!« rief der andre mit Entschiedenheit. »Bedenkt nur die Einzelheiten! Daß ein verheirateter Mann und Familienvater eine heftige Leidenschaft zu einer andern faßt, daß er mit ihr in den Tod geht, erst sie ermordet, gegen ihren Willen, und dann sich selbst – ja, das kann überall vorkommen. Aber hier! Valdez, ein Mann, hier so gut wie allmächtig, hätte doch wirklich Mittel und Wege finden können, um in den Besitz des armen Mädchens zu kommen! Er hat Helfer und Helfershelfer genug, Gold erzwingt alles – es ist sündhaft, so zu sprechen, aber – tot ist nun einmal tot! Nein, Kapitän, da gibt es keine Entschuldigung, Schande über Schande! So etwas kann nur ein Idiot oder – solch ein südamerikanischer ...«

»Halt!« unterbrach ihn Flederwisch. »Kennt Ihr diese Mrs. Valdez persönlich?«

»Gesehen habe ich sie oft genug.«

»Wie sieht sie aus?«

»Eine schlanke, feine Dame mit edlen Gesichtszügen.«

»Wird sie einmal ihrer Mutter ähnlich? Bekommt sie auch einmal einen Haarbüschel auf der Nase? Sprecht frei heraus, Mann, ich muß es wissen, um Euch eine Antwort geben zu können, Oder hat sie schon jetzt Haare auf den Zähnen wie ihre Mutter?«

»Ich weiß, was Ihr meint – ja, ich glaube, sie steht ihrer Mutter an Energie nicht nach, und dann ist's auch eine Engländerin, die stets zu Hause das Kommando führt, wie es hier unbekannt ist.«

»Dann ist es recht, dann ist es recht!« knirschte Flederwisch plötzlich wieder mit hervorbrechender Heftigkeit, mit dem Fuße aufstampfend. »Dann haben diese Weiber den Teufel selbst beschworen, dann sind sie schuld daran, nur sie! Dann ist es recht! Sie haben ihm die Hosen ausgezogen und ihm Röcke angelegt. Das geht in England, aber nicht hier. Habt Ihr schon gesehen, wie so ein Trikotfrauenzimmer den Löwen über die Peitsche springen läßt? – Hoppla! Natürlich habt Ihr's schon gesehen. Pfui Teufel, ich kann's nicht sehen! Wie er sich duckt und knurrt und faucht. Aber ein Löwe ist leichter zu zähmen als ein Panther. Zähmen gibt's überhaupt nicht, nur dressieren, in der Angst halten. Wißt Ihr, was ich meine? Dieser Kerl wollte das Mädchen haben – aber die Angst vor Frau und Schwiegermama – jawohl, entführen – er denkt immer an die Hetzpeitsche – und wenn er bis ans Ende der Welt flieht, die Angst geht immer mit ihm – na, da schlachtet er sie einfach ab und schießt sich dann eine Kugel vor den Kopf, das ist einfacher!«

Wie erschöpft ließ sich Flederwisch auf den Stuhl zurückfallen, und Halfdan erwiderte nichts; er fühlte die furchtbare Wahrheit heraus.

»Es ist auch noch etwas andres dabei,« begann Halfdan leise erst nach einer langen Pause, nun auf sein Ziel losgehend.

»Was Eure Behauptung, daß zu so etwas nur ein Idiot oder solch ein Kreole fähig sei, rechtfertigt?« kam ihm Flederwisch mit unerwarteter Auffassung entgegen. »Ja, Valdez hat den Termin zu seinem Streich gerade am Vorabend großer Ereignisse gewählt, und diese beiden intriganten Weiber haben sich zu ihren Plänen gerade den allergrößten Waschlappen ausgesucht. Valdez und Führer einer Völkerrebellion, hahaha!«

»Wie? Ihr wißt?« fuhr Halfdan anscheinend bestürzt auf.

»Wenig, und möchte deshalb gern mehr von Euch erfahren. Mir kommt es vor, als wenn hier jeder Eseljunge alles wüßte, aber wenn jemand den Mund auftut, so schreit jeder erstaunt: Was? Ihr wißt? Wir sind unter uns, und Eure Uniform sehe ich im Dunkeln nicht. Nun?«

Was Halfdan darauf auseinandersetzte, wußte Flederwisch allerdings alles schon und noch viel mehr. Nach des Schweden Ansicht lief die ganze Sache darauf hinaus, den jetzigen Präsidenten, José Garrion zu stürzen und auf den Stuhl Pedro Valdez zu setzen. Der war eine Puppe in der Hand der Schwiegermutter, die stand in englischen Diensten; außerdem hatte Valdez seine sämtlichen Guanofelder verpfändet, das war englisches Geld, und so konnte dann England durch diesen Präsidenten in Ecuador wie in Peru nach Belieben schalten und walten, ohne sich doch direkt in Regierungsgeschäfte zu mischen, was z. B. schon die Vereinigten Staaten nicht ohne weiteres erlaubt hätten.

Das war alles, und es war nicht viel. Der jetzige Präsident wußte es auch und war jederzeit bereit, von seinem wackligen Stuhle herabzusteigen. Ohne blutige Köpfe ging es dabei freilich nicht ab, um so weniger, als der jetzige Präsident den Farbigen und Indianern große Freiheiten eingeräumt hatte, so daß jene zu ihm hielten – mehr als die Hälfte der ganzen Bevölkerung – während der stolze Portugiese von ihnen ebenso gehaßt wurde, wie er sie verachtete.

Wie Flederwisch durch vermeintlich vorsichtige Fragen merkte, hatte Halfdan von der Bestellung der zwei Millionen Revolver keine Ahnung, wenigstens stellte Nobody sich so. Dann wußte der Konter-Admiral überhaupt gar nicht, wie es im Staate Ecuador aussah. Nein, hier handelte es sich sicher um etwas ganz andres. Zwar hatte Flederwisch, als er mit Valdez die Waffenlieferung besprach, kein auch nur andeutendes Wort zu hören bekommen, aber – er fühlte es heraus. Nicht einfach das Kapital sollte herrschen und einen Staat vom andern abhängig machen. Ecuador und Peru sollten politisch verschmolzen werden, dazu kamen vielleicht noch Kolumbia und andre Nachbarstaaten, und das konnte nur unter dem Zepter eines Monarchen geschehen – unter dem des Königs oder Kaisers Valdez, dem Werkzeuge in der Hand Englands.

Man braucht auch nur die frühere Geschichte dieser südamerikanischen Republiken zu lesen, um dies zu verstehn. Das Bestreben, sie zu vereinigen, ist stets von irgend einer Seite vorhanden gewesen, doch die Sache scheiterte stets daran, daß die vorschlagende Republik regelmäßig auch die führende sein wollte.

Nobody-Halfdan hatte wiederholt den Namen »Pepe-Pepe, der Zambo« oder »Zambo bravo« gebraucht, wenn er von den Spitzen der Verschwörung gegen die bestehende Regierung sprach. Er wußte eben auch hierin Bescheid.

»Und nun,« schloß er, »da er seinem Ziele ganz nahe ist, der Präsidentenstuhl ihm freigemacht, erschießt sich dieser Valdez, um eines Augenblicks Befriedigung willen. Nein, dessen ist eben nur solch ein Südländer fähig.«

»Lassen wir doch den energielosen Waschlappen! Wer ist denn dieser Pepe-Pepe, der Zambo? Der scheint ja die bedeutendste Rolle bei der Komödie zu spielen.«

»Wie ich Euch sagte, der Anführer der Farbigen und Indianer, ohne welche nichts zu machen ist. Pepe-Pepe, der Zambo – Ihr wißt, ein Zambo ist der Mischling von Indianer- und Negerblut. Sein Vater gehörte zum Stamme der Apararas, das sind Indios catequisados – oder Indios mansos, wie sie jenseits der Berge genannt werden – d. h. zahme Indianer, welche sich redlich von Ackerbau und Viehzucht nähren, aber auch noch Lanze, Bola und neuerdings die Feuerwaffe zu gebrauchen wissen; um die Einfälle der Indios bravos, der wilden Indianer, von den Grenzen abzuhalten, sind sie uns hier von unschätzbarem Nutzen. Der alte Pepe heiratete eine Mulattin, die Tochter eines Hazienderos, die ihm zu seinen schon ungeheuren Pferdeherden als Mitgift noch einige hunderttausend Rinder mitbrachte. Hier gibt es ja so viele reiche Farbige, und Ihr dürft diese Indianer auch nicht mit den nordamerikanischen vergleichen. Benito Juarez, Advokat und Präsident von Mexiko – nach dem der unsre übrigens getauft worden ist – ist auch ein echter Indianer aus dieser Gegend gewesen, ein Zapateco, und was war das für ein Feldherr und Politiker, ein ganzer Mann vom Scheitel bis zur Sohle! Dieser gemischten Ehe entsprang also der kleine Pepe-Pepe, der Vater mag viel mit ihm vorgehabt haben, schickte ihn nach Quito auf die Schule; es soll ein kluger Junge gewesen sein; eines Tages aber schoß er dem Herrn Professor, als dieser vorn an der Wandtafel malte, zum Zeitvertreib mit dem Revolver die Hacken von den Stiefeln. Er kam auf des Vaters Besitzungen zurück; anstatt aber Landwirtschaft zu treiben und die Grenzen gegen die Indios bravos zu schützen, schloß er sich diesen an, lernte gepfeffertes Pferdeblut trinken und mit der zehnmeterlangen Lanze Menschen in die Luft schleudern. Er wurde ganz Indianer, soll auch bei den Penchuenchen gewesen sein, den Einfall in Argentinien mitgemacht und Mädchenräuberei getrieben haben. Nach des Vaters Tod erschien er wieder. Nun könnt Ihr Euch denken, welche Rolle er hier spielt. Ein hübscher, schneidiger Kerl, in der Stadt der geschmeidige, unverschämte Terzerone, in den Pampas der Indianer, der jedes Pferd totreitet, dabei nach Valdez der reichste Mann im Lande, wirklich reich, denn seine ungeheuren Herden sind hypothekenfrei. Die Farbigen und Indianer vergöttern ihn natürlich und sehen in ihm ihren König. Mit dem Namen Zambo bravo, den er sich selbst gegeben, will er wahrscheinlich eine neue Völkertype schaffen. Als Garrion das Wahlrecht für die freien Indianer und Farbigen durchsetzte, wurde von diesen einstimmig Pepe-Pepe, der Zambo, als Senator in die Kammer geschickt. Lange dauerte das Vergnügen ja nicht. Er hatte immer den großen Mund, beging allerlei Flegeleien, einmal war er so betrunken, daß er den Sitzungssaal verunreinigte, einmal kam er hineingeritten – da warf ihn der Präsident wieder hinaus. Nun hat er ihn gegen sich. Ich glaube ja nicht,« schloß Halfdan, »daß bei dem geplanten Präsidentensturz ernstere Streitigkeiten entstehn, wenn nur nach Valdez' Tode überhaupt noch etwas daraus wird; falls es aber wirklich so weit kommen sollte, daß man des Zambo bravo und aller seiner Horden Hilfe gebraucht, mit Waffen, dann glaube ich noch weniger, daß dieser Zambo sich nur mit einer gelegentlichen Rolle begnügen würde; dieser Zambo bravo dürfte noch Herrschergelüste bekommen – und er hat die Macht dazu – besteht doch auch das ganze Militär aus Farbigen – dann gnade uns Gott, dann wird es für uns Bleichgesichter Zeit, daß wir die Donnerbüchsen hervorsuchen, denn die ruhen nicht eher, als bis sie alle Spiritusfässer leer und unsre Köpfe auf ihren Lanzen haben!«

Flederwisch stand auf, zog die Uhr und brachte sie in einen Lichtstrahl.

»In einer halben Stunde ist die hohe Flut, wir müssen daran denken.«

Auch Halfdan stand auf, aber erst ergriff er noch einmal Flederwischs Hand.

»Kapitän, nur noch ein Wort,« sagte er, erst bewegt, dann mit hervorbrechender Begeisterung und doch mit schmerzlicher Stimme (so trefflich spielte Nobody seine Rolle). »Man kann auch unter Palmen versauern. Ich bin's – oder in süße Träume eingelullt – und ich sagte, daß ich glücklich dabei bin. Aber ich sagte auch, daß es Stunden gibt, in denen ich nicht glücklich bin. Vorhin, als ich die Frithjof betrat, das Schiff mit dem germanischen Heldennamen, und Euch die Hand entgegenstreckte, da begann solch eine Stunde. Da erwache ich, da höre ich meinen alten Großvater erzählen, ich höre den Normannenruf, und Schwerterklirren und Skandinaviens Wintersturm umbraust mich – und da möchte ich weinen, weil ich mich so elend fühle. Ach, du schönes, du armes Ecuador! Ach, wenn doch einmal eine Faust käme, eine eiserne Faust, die dich aufrüttelte! Ein Napoleon, ein blutiger Tyrann müßte es sein, der alles unter seine Füße stampft, und doch nur zum Segen dieses Landes. Ich – bin ja nur ein Träumer!«

Flederwisch erwiderte nichts, er ging auf die Kommandobrücke. Die Arbeit begann. – – –

Es war neun Uhr geworden, ehe die Frithjof im Hafen am sichern Quai lag, um morgen ins Dock übergeführt zu werden.

Flederwisch war nicht von der Brücke herabgekommen. Wo blieb Carmencita? Er war bereit, sie zu empfangen. Aber sie kam nicht, obgleich er die erleuchteten Fenster des Hotels von hier aus erblicken konnte. Vielleicht, sagte er sich selbst, überschätzte er doch die Bedeutung der Ankunft seines Schiffes; ganz Guayaquil sprach doch nicht davon. Zudem rieselte schon seit Stunden ein feiner, durchnässender Regen herab; müßige Zuschauer, welche Neuigkeiten verbreitet hätten, waren gar nicht am Hafen vorhanden. Alles naß, schmutzig und finster.

»Was? Ist das nicht die Frithjof?« hörte Flederwisch einen Hafenarbeiter erstaunt rufen, als die vier himmelhohen Masten in dem trüben Laternenscheine auftauchten.

Nun also, wenn dieser am Hafen beschäftigte Mann noch nichts davon gewußt hatte, wie konnte Flederwisch da verlangen, daß jetzt die Kellner durch das Hotel jagten – »Die Frithjof ist da, er ist wieder da!« – und daß Carmencita nun gleich geeilt kam. Es war auch besser so!

Und dann stand er, in einen langen Mantel gewickelt, den Sombrero tief in der Stirn, dem Hotel gegenüber und blickte zu den Fenstern seiner Zimmer empor. Gerade diese waren dunkel. Doch Carmencita konnte im Parlour sein, im Lesezimmer, Café oder sonstwo.

Ja, das waren die Zimmer, in denen er noch vor fünf Wochen ...!

Er erschrak über sein eignes Zähneknirschen, und dann legte er die Hand auf den nassen Mantel, dorthin, wo sein Herz so wild pochte.

»Ich bin ruhig,« flüsterte er trotzdem, »ganz ruhig. In zehn Minuten ist es abgetan. Abgetan? Nein, sie soll nichts wissen. Ein andrer würde sie vielleicht prügeln, ein andrer sie töten, ein dritter – der klügste – sie kalt von sich stoßen. Aber ich bin Kapitän Flederwisch. Sie gehört zu meinem Fatum. Es ist ein Weib. Es ist eine Südamerikanerin und eine Quadrone! Sie hat mich betrogen und mich doch nicht betrogen. Und sie hat mich dennoch und trotz alledem geliebt mit heißer Glut! Samson und Dalila! – Flederwisch, jetzt zeige, was du bist! Ich will gut zu ihr sein. Ich will! – Vorwärts!«

Mit festem Schritt betrat er das Vestibül. In der Loge saß der Portier, seitwärts davon stand der Zimmerkellner, ein krummbeiniger Spanier, in der beliebten Kellnerstellung, die sie Ganymedes nicht abgelauscht haben können, so breitbeinig wie möglich, den Bauch herausgereckt, vor dem Leibe in beiden Händen die Serviette.

»Sie wünschen, Senor?« fragte der Portier, ohne aufzustehn, und auch der Kellner stand wie die Hafenstatue von Rhodus.

Was war das? In der Loge hing ein Spiegel, zufällig blickte Flederwisch hinein – er erkannte sich plötzlich selbst nicht mehr. In dem nassen Mantel und dem alten Schlapphut sah er etwas heruntergekommen aus, deshalb empfing man ihn nicht als Hotelgast, doch nur die Farbe war es, über welche Flederwisch selbst erschrak. Vorhin noch hatte er in den Spiegel geblickt, er zeigte ihm ein schwarzbraunes, scharf markiertes Gesicht, die Folge des Tropenklimas – jetzt sah er aschgrau aus, ein Farbenwechsel, den Flederwisch sonst für unmöglich gehalten hätte.

»Ist Senora Müller im Hotel?«

Da hatten sie ihn erkannt. Der Portier schnellte auf, der Kellner schlug die Beine zusammen, so weit es deren Krümmung erlaubte.

»Senor – o, Pardon – ich bitte tausendmal um Entschuldigung ...«

»Ist meine Frau nicht im Hotel?« wiederholte Flederwisch ungeduldig, und gleichzeitig erkannte er zwischen den beiden schnell gewechselte Blicke, ein leises Erschrecken – der Kellner begann warnend zu husten.

»Die Senora ist – ist – ist ...«

»Heute morgen fortgeritten und noch nicht wieder zurück – bedaure,« kam der Kellner dem verlegnen Portier zungengeläufig zu Hilfe.

»Heute morgen fortgeritten und noch nicht wieder zurück, so?« wiederholte Flederwisch bedächtig, in den Spiegel blickend, nicht sich, sondern die beiden ansehend. »Wohin denn?«

»Bedaure, die Senora hat nichts hinterlassen.«

»Nichts hinterlassen. Aber doch wenigstens ihr ... Caracho! Bei dem Regen!«

»Heute morgen war es sehr schön, Senor, den ganzen Tag über.«

»Die Senora ist auf die Nandujagd geritten,« krähte eine dünne Stimme, und über dem Fensterbrett der Loge tauchte der Kopf eines Pikkolos auf. Der Fuß des Portiers mußte daran schuld sein, daß der Junge augenblicklich wieder in seinem Versteck verschwand.

»Auf die Nandujagd?« staunte Flederwisch. »Ja, sie kann doch nicht allein in den Pampas Strauße ... schon gut, schon gut,« unterbrach er sich selbst. »Geben Sie mir meine Schlüssel! Danke, ich finde den Weg allein, Streichhölzer habe ich bei mir.«

Er nahm die Schlüssel, stieg die Treppen hinauf, ging zuerst in sein Zimmer, zündete die Lampe an und begab sich in sein Schlafgemach hinüber. Carmencitas Koffer und Schachteln standen da, das Zimmer war aufgeräumt. Er betrat den Toilettenraum. Auch hier war alles in Ordnung, die von der Quadronin abgeworfenen Kleider vom Zimmermädchen aufgehängt oder sauber hingelegt.

Flederwisch stand in der Mitte des Raumes, mit der Lampe herumleuchtend.

»Ja, was will ich eigentlich?« murmelte er. »Kann ich denn verlangen, daß sie während der fünf Wochen das Hotel nicht verließ? Ich gestattete ihr jede Freiheit – als meiner Frau. Sie konnte sich Gesellschaft wählen, wie sie wollte, sollte sich amüsieren – als meine Frau. Was wäre dabei, wenn ein Kavalier, natürlich ein Farbiger, sie zur Nandujagd eingeladen hat, und sie ist der Einladung gefolgt? – Wenn nur die verdammten Blicke von denen da unten nicht wären, das Hüsteln, das Räuspern, die Angst, und wieder die Blicke! Himmel und Hölle! Gesetzt nun den Fall, sie wäre mir durchgebrannt – mit einem andern – was dann? Das will überlegt sein ...!«

Er schlich auf den Zehenspitzen nach dem zierlichen Schreibtisch, auf dem ein beschriebenes Kuvert lag.

»Mr. Charles Landschreiber & Co.« stand darauf, und darunter in Variationen gekritzelt.

Es war Carmencitas Handschrift. Charles Landschreiber & Co. war ein kaufmännisches Auskunftsbureau, über die ganze Erde verbreitet. Der deutsche Name hatte ihr Schwierigkeiten gemacht.

Flederwisch blickte auf und sah sich in dem Spiegel des Schreibtisches stehn, vorgeneigt, die Lampe in der Hand, das Gesicht erdfahl, den Mund geöffnet, die Augen gläsern und hervortretend.

»Was hat sie an das Auskunftsbureau zu schreiben?« flüsterte er. »Ueber wen erkundigt sie sich? – Huh, wie ich aussehe! Wie ein um Mitternacht durch die Kirche schleichender Geistersucher, der das Gruseln lernen will. Himmel, wie kann ich schwarzer Neger nur plötzlich so grau werden? Ich glaube, ich werde krank.«

Sein Blick fiel auf den neben dem Tisch stehenden Papierkorb. Es war etwas Weißes darin. Er setzte die Lampe hin und griff in den Korb. Ein angefangener Brief, französisch:

»Meine teuerste Imma! Geliebte Schwägerin! Zum ersten Male schreibe ich dir und muß dir das Schreckliche mitteilen ...«

Da brach der Brief schon ab.

»Sie schreibt an meine Schwester! Was ist aber das Schreckliche?«

Ein zweiter zusammengeknüllter Brief, auch nur eben angefangen, war da.

»Teuerste Imma! – Weine mit mir, du meine unglückliche Schwägerin! Zitternd vor Schmerz ergreife ich die Feder ...«

»Die Pest über sie!« stieß Flederwisch mit heiserer Stimme und wildrollenden Augen hervor. »Manuel!«

Aber diesmal erschien der dienstfertige schwarze Geist nicht auf seines Herrn Ruf.

Flederwisch machte einen Gang durch das Zimmer, und als er abermals vor dem Schreibtische stehn blieb, die Arme über der Brust verschränkt, war er schon wieder ganz ruhig.

»Und es ist dennoch nicht möglich! Selbst wenn sie Alfreds Tod, den sie von Manuel gewünscht, schon erfahren hätte – selbst wenn sie mich für den eigentlichen Täter hielte, so wüßte ich doch nicht den geringsten Grund, warum sie mich denunzieren sollte. Nein, hier liegt ein andres Rätsel vor, hier ist irgend etwas vorgefallen, was ganz außerhalb meines Ahnungsvermögens liegt – ich werde es aber lösen.«

In dem Papierkorb lag nichts mehr. Flederwisch zog die Schubfächer auf – auch nichts als reines Papier – da noch ein beschriebenes Kuvert.

»Monsieur Pepe-Pepe,« stand darauf, nichts weiter.

Drei Minuten verstrichen, und das ist für so etwas eine lange Zeit, eine Ewigkeit. Unbeweglich stand Flederwisch da, auf das Kuvert in seiner Hand blickend. Dann spitzten sich seine Lippen, er begann leise einen Walzer zu pfeifen.

Als er aufblickte, sah er im Spiegel wieder seine alten, funkelnden Augen und sein früheres Gesicht, dessen tiefbraune Farbe dennoch nicht die Röte seiner unverwüstlichen Gesundheit verdecken konnte.

»Hahaha,« lachte er plötzlich lustig auf, »Pepe-Pepe, der Zambo – der Zambo bravo – der die Menschen auf die Lanze spießt und nicht ganz stubenrein ist – die Fügungen des Schicksals sind doch manchmal wunderbar!«

Er sah nach der Uhr.

»Die zehn Minuten, in denen ich es abtun wollte, sind schon längst um, und ich habe heute wahrhaftig noch andres zu tun, als den Eifersüchtigen zu spielen. Dummer Schnickschnack, was schiert's mich! Nur noch über eins will ich mir Gewißheit verschaffen, dann ans Geschäft.«

Er steckte die vier Papiere zu sich, nahm die Lampe, ging in sein Zimmer und klingelte dem Kellner. Einige Zeit verstrich. Jetzt wollte der krummbeinige Spanier einen andern hinaufschicken, aber keiner wollte gehn – so dachte Flederwisch ganz richtig – und schließlich mußte er sich mit Zittern und Jagen doch selbst dazu bequemen.

Beim ersten Schritt, den der Kellner nach dem ›Herein‹ ins Zimmer machte, hatte Flederwisch ihn bei der Halsbinde gepackt und in die Ecke neben der Tür gedrückt.

»Wo ist meine Frau? Antwort!«

Dieser Empfang wäre auch für die starknervigste Person zu viel gewesen. Der Kellner verlor vor Schreck nicht nur die Sprache, sondern auch die Kraft in den Knien, er sank zusammen. Flederwisch packte noch etwas fester zu, daß er den kleinen Spanier fast in der Schwebe hielt. Dafür ersparte diese Einleitung alle weitern Förmlichkeiten, Schmeicheln, Drohen, das Goldklimpern u. s. w.

»Wo ist meine Frau? Mit wem ist sie auf der Nandujagd?«

»Senor, ich will alles gestehn,« winselte der Kellner endlich, des Kapitäns eiserne Faust am Halse. »Mit Senor Pepe-Pepe.«

»Das ist Pepe-Pepe, der Zambo?«

»Ja, ja – er hat sie heute morgen abgeholt – in zwei oder drei Tagen will sie wieder zurück sein, hat sie gesagt.«

»Aha! Nun, und? Sonst noch etwas Interessantes? Du weißt ganz genau, was ich wissen will. Es ist meine Frau! Ging der Zambo bei ihr aus und ein?«

»Ja – nein – auf dem farbigen Balle ist sie neulich mit ihm gewesen,« jammerte der Ganymed.

»Wie lange verkehrt sie schon mit ihm?«

»Seit – ich weiß nicht, Senor – ich weiß gar nicht, daß sie schon früher mit ihm verkehrt hat. Lassen Sie mich doch los, Senor!«

Flederwisch gab des Kellners Kehle frei und legte beide Hände auf dessen Schulter.

»Sei offen, mein Junge! Ich tue dir nichts. Du weißt, wer ich bin. Du kannst mir alles sagen. Ich will dieses Weib lossein, verstehst du?«

Der Kellner ordnete seine Halsbinde und beruhigte sich bei den freundlich gesprochenen Worten etwas.

»Senor, der Zambo hat hier im Hotel gewohnt; da muß er sie kennen gelernt haben; dann hat er sie auf den Ball mitgenommen, vor vier Tagen war es, und als er sie nach Hause brachte, in der Nacht, hat er immer an ihre Türe geklopft – und gesteht und gebettelt – und ihr alles versprochen. Dann die andern Tage und Nächte auch noch. Aber eingelassen hat sie ihn nicht, ich kann's beschwören. Wir haben sie immer heimlich beobachtet. ›Alle Heiligen, wenn sie ihn einläßt und der wilde Kapitän kommt gerade wieder mit seinem Schiffe zurück!‹ haben wir gesagt. Aber – aber ...«

»Nun, was aber?«

»Aber geküßt haben sie sich doch, unten im Lesezimmer, als niemand sonst darin war, das haben wir von oben durchs Lichtfenster gesehen.«

»Sonst nichts weiter?«

»Als Zambo bravo zu wild wurde, hat die Senora schnell geklingelt, und da hat er furchtbar geflucht – das heißt, als der Kellner noch nicht drin war – und eine Spiegelscheibe mit dem Fuße eingetreten. Er hat sie dann aber bezahlt.«

»Das ist brav von ihm gewesen,« sagte Flederwisch, der überhaupt eine eiserne Ruhe behielt. »Also geküßt haben sie sich, aber eingelassen hat sie ihn nicht? Und nun hat er sie mit auf die Pampasjagd genommen für drei Tage. Wie denkst du hierüber?«

»Daß – daß – Senor, ich getraue es mir nicht zu sagen.«

»Daß sie hier kein Aufsehen erregen wollte, meine Frau, und daß sie da mit ihm fortgeritten ist, um irgendwo mit ihm für ein paar Tage ungestört sein zu können. Nicht wahr?«

»So ist es, Senor – ich bedaure sehr.«

Flederwisch lachte dem Burschen ins Gesicht, daß dieser zusammenschrak.

»Wo mögen sich die beiden aufhalten?«

»Senor, wenn Sie mir die Zunge aus dem Halse reißen, ich kann's nicht sagen. Ich tät's gerne, sie hat mich und das ganze Personal immer schrecklich kujoniert und treppauf, treppab gejagt.«

»Dann nur noch eine Frage, antworte die Wahrheit!« und Flederwischs Hand langte wieder nach der Halsbinde des Kellners. »Hat sie – habt ihr vielleicht etwas gehört, daß ich tot sei? Mit der Frithjof untergegangen?«

Der Bursche riß vor Staunen die Augen weit auf.

»Ja, Senor, waren Sie denn tot?«

Es war eine sehr komplizierte Kombination gewesen, welche sich jetzt als falsch erwies, und Flederwisch schien darüber so ärgerlich zu sein, daß er sich schnell umkehrte und kopfschüttelnd das Zimmer verließ. Auf dem Korridor ging er noch einmal zurück, griff in das Seitentäschchen des Mantels und warf ein Goldstück in sein Zimmer, dessen Tür er offen gelassen hatte, und wie er dann seinen Weg fortsetzte, schüttelte er noch immer den Kopf.

Leere Mietswagen fuhren genug vorbei, die Kutscher riefen ihn an, doch Flederwisch nahm keinen; er ging in dem feinen Sprühregen zu Fuße seinem Ziele zu.

»Schade, daß sie mir auch untreu geworden ist, jetzt muß ich sie festlaschen – bedaure sehr! Haha, der kleine Kellner war köstlich! Wie kann sie es aber nur wagen? Sie muß mich doch für tot halten. Oder sollte sie doch an diesen Zambo ihr Herz verloren haben und den Kapitän der Frithjof noch nicht ganz richtig kennen? Ei, das wäre vortrefflich, das gäbe ein Spielchen! Nein, liebe Frau, untreu darfst du deinem Ehegespons nicht werden.«

Es waren die einzigen vernehmlichen Worte, die Flederwisch vor sich hinbrummte.

Die Turmglocken schlugen die zehnte Stunde, als er auf dem Marktplatze sein Ziel erreichte, Valdez' Palais. Er hielt sich auf der andern Seite und blieb gegenüber der hellerleuchteten Eingangshalle, in der ein Portier auf- und abschritt, im Schatten der Häuser stehn. Noch einmal führte er ein Selbstgespräch. Auch wenn er vernehmlich gesprochen, verstanden hätte ihn doch niemand.

»Es ist ein neuer Portier. Wag' ich's oder wag' ich's nicht? Alles war wohlüberlegt, und nun werde ich wieder unschlüssig. Es handelt sich um ganze sechzehn Millionen! Und wenn sie nun nicht anbeißt? Dann bin ich zwar ein heroischer Charakter, ein großartiger Ehrenmann – aber ich bin sie los. Freilich ist der eine Wisch keine fünfzehn Millionen mehr wert – keine fünf – mit drei wäre ich zufrieden. Und ob ich's kriege! Drohen kann ich nicht gut. Ja, ich opfre erst den Wisch, und merke ich, daß sie anbeißen wird, dann lege ich noch das bare ... Nein, es geht nicht. Entweder oder! Bah, was ist auch an der Lumperei gelegen! Beißt sie nicht an, dann habe ich für das Vergnügen, einmal Dramatiker, Schauspieler und Zuschauer zu gleicher Zeit zu sein, sechzehn Millionen bezahlt, das kann sich kein Fürst leisten, kein wirklicher Fürst! Aber sie wird in die Falle gehn. Ich glaube, ich könnte schon jetzt alle ihre Bewegungen, alle ihre Fragen und Antworten niederschreiben.«

Er schritt der Vorhalle zu. Der Portier blieb stehn, als er den einsamen Mann auf der Straße sah. Flederwisch zog ein geschlossenes Kuvert, auch schon naß und schmutzig, aus der Brusttasche. Es enthielt seine Visitenkarte.

»Ich möchte Senora Lewis sprechen!«

»Senora ist nicht zu sprechen!«

»Wecken Sie sie, wenn sie schläft, und geben Sie ihr dies.«

Der Portier sah scheu die Straße entlang.

»Sind Sie ein Mann der Frithjof?« flüsterte er dann.

»Der Kapitän selbst.«

»Kommen Sie, kommen Sie schnell! Sie werden jede Minute erwartet.«

Der Mann ging nicht, sondern rannte voran. Flederwisch hatte es nicht so eilig, sein sonst so elastischer Schritt war plötzlich schwer geworden, die Wände hallten von ihm wider, ganz langsam folgte er. Ueberhaupt war Flederwisch ein ganz andrer als – vorhin in dem Hotel. Obgleich der Portier, seinen Posten verlassend, ihn wohl schon gemeldet hatte, lief er noch zweimal die Treppe auf und ab, wie ein Hund den Langsamen zur Eile mahnend; aber Flederwisch ließ sich dadurch nicht im mindesten beeinflussen.

Im Vorzimmer befand sich niemand, um Flederwisch den triefenden Mantel abzunehmen. Eine zweite Tür stand schon offen. Doch es war keine Vergeßlichkeit, entschuldbar durch den tragischen Augenblick, sondern es war schauspielerische Berechnung von seiten Flederwischs, daß er beim Eintritt in das zweite Zimmer auch den Schlapphut aufbehielt, von dem das Wasser ihm auf die Achseln tropfte.

In dem Salon saß am runden Tisch unter einem Kronleuchter Mrs. Lewis im Fauteuil. Sie war schwarz gekleidet, und dies ließ sie etwas bleicher als sonst erscheinen; denn im übrigen war sie noch ganz die alte Dame mit den harten, männlichen Gesichtszügen. Trotzdem war sie offenbar von einer furchtbaren Aufregung beherrscht, das zeigte sich in ihrer ganzen Haltung.

Als Kapitän Flederwisch langsam und dröhnend das Gemach durchschritten hatte und vor ihr in einiger Entfernung stehn geblieben war, hatte sich Mrs. Lewis erheben wollen, sie vermochte es jedoch nicht, sie sank wieder zurück und saß nun, etwas vorgeneigt, den Mann mit starren Augen betrachtend.

»Mein Gott, Sie?« flüsterte sie endlich, mühsam nach Atem ringend.

Ebenso langsam, wie er eingetreten war, nahm Flederwisch den Sombrero vom Haupte.

»Ich bins,« sagte er mit ungewöhnlich tiefer Stimme. »Hielten Sie mich für tot?«

»Ich wußte, daß die Frithjof heute auf Reede signalisiert wurde und daß Sie heute abend um sieben Uhr die Schleuse passierten – seit diesen vielen Stunden weiß ich schon, daß Sie den Hurrikan überstanden – und dennoch möchte ich jetzt, da ich Sie vor mir stehn sehe, kaum meinen Augen trauen –«

»Sie waren zwischen den Gallopagosriffen?«

»Sie wissen –?«

»Ich konnte mir denken, daß nach einer gewissen Zeit jemand hinkommen würde, und dann erfuhr ich von dem Kapitän des Schleppdampfers, daß Mrs. Lewis auf ihrer Dampfjacht eine Fahrt gemacht hat – die peruanische Küste entlang, wie man hier meint.«

»Und Sie überstanden den Hurrikan?« fragte die alte Dame wieder, noch immer mit leisem Staunen. Sie schien recht mit der Schiffahrt vertraut zu sein. Dabei hing ihr Blick gespannt an seinem Munde.

»Ja, zwischen den Riffen.«

»Sobald ich es bei ruhigerer See wagen konnte, steuerte ich mit meiner leichten Jacht hinein, am nordöstlichen Klippenrand fanden wir das Wrack eines großen eisernen Seglers, zerschellt, zersplittert, durch nichts mehr kenntlich – wir hielten es für die Frithjof.«

»Ah, nun verstehe ich erst ganz,« sagte Flederwisch, und mit einem düstern Lächeln, das recht gut zu seiner einmal aufgesetzten Maske paßte, fügte er hinzu: »Nein, die Frithjof konnte es nicht sein, denn deren Kapitän befand sich an Bord und führte selbst das Kommando.«

Es war – ganz abgesehen von der Unwahrheit, denn Flederwisch war ja damals gar nicht an Bord gewesen – eine grenzenlose Prahlerei; jeder gleichberechtigte Seemann hätte ihn mit scharfen Worten zurechtgewiesen, auch der bescheidenste ihn mindestens auf solch einen Frevel aufmerksam gemacht, aber es war ein Weib, zu welchem er sprach, und mochte Mrs. Lewis auch noch so vertraut mit der Seefahrt sein – es war ein Weib, und daher verfehlten die stolzen Worte nicht ihre Wirkung auf sie.

Es entstand eine lange Pause, in welcher die alte Engländerin den Kapitän von unten auf unverwandt ansah, während dieser den Hut einfach auf den Teppich legte und in den Papieren zu suchen begann.

»Und was fanden Sie sonst, Mrs. Lewis?«

Wieder eine drückende Pause.

»Nichts,« erklang es endlich leise, mit pfeifendem Atem. »Und doch – auf jenem Plateau der Felseninsel – das Sie angaben – ein Matrose fand einige Bretter – und in eine Spalte einen verrosteten Revolver geklemmt.«

Flederwisch suchte noch immer in der Brieftasche. Jetzt hatte er die zwei Papiere gefunden, faltete sie auseinander, strich sie glatt und legte sie nebeneinander auf den Tisch, alles so bedächtig, daß er dazu eine Minute gebrauchte.

»Ich konnte die zwei Millionen Revolver nicht mit einem Griffe retten, ich hatte mit meinem Schiffe zu tun, ohne das ich nichts mehr bin.«

»Ja – ja,« keuchte es wieder, »aber der ungeheure Verlust – mein Gott, mein Gott – was machen wir nun?«

»Wie sie von hinten herumkommt, die geizige Hexe,« dachte Flederwisch, und laut mit der angenommenen tiefen Stimme sagte er: »Ein ungeheurer Verlust für mich, nicht für Sie, Mrs. Lewis. Hier ist die Anweisung über 50.000 Pfund zurück – hier der Schuldschein über 750.000 Pfund.«

Die Dame stierte auf die Papiere; sie ließ sie sich in die Hand geben, befühlte sie, starrte darauf und wieder auf den Mann, immer mehr vergrößerten sich ihre Augen.

»Was?«

»Nun, es ist ja wahr, ich habe die Revolver richtig an der bestimmten Stelle ausgeladen, aber – das ist nun einmal mein Geschäftsprinzip. Wenn ich einmal solch ein Geschäft übernehme, erfülle ich entweder meine Verpflichtung vollständig, oder ich nehme es nicht an, und zu dieser moralischen Verpflichtung – die freilich in keinem kaufmännischen Kontrakt steht – gehört auch, daß mein Auftraggeber wirklich ein Geschäft dabei macht. Tut er's, dann will auch ich viel dabei verdienen; glückt's nicht, dann trage ich den Verlust allein. Eine Teilung des Verlustes oder so etwas Aehnliches gibt es bei mir nicht ...«

Mrs. Lewis hatte eingesehen, daß dieser seltsame Mann Ernst machte, plötzlich begann sich die alte, steife Engländerin in dem Lehnstuhl wie ein Wurm zu winden; mit einem Male aber sprang sie auf und verließ mit stürmischen Schritten das Zimmer. Es war doch zuviel für sie gewesen.

»Verflucht; sie hat meine sechzehn Millionen mitgenommen!« war Flederwischs erster Gedanke.

Wie er dann aber die Arme über der Brust verschränkte, an der Unterlippe nagte, während ein spöttisches Lächeln seinen Mund umspielte – daraus konnte man schließen, daß er doch mit seinem bisherigen Erfolge ganz zufrieden war.

Jeder Kaufmann hätte ihn ausgelacht, ihn für wahnsinnig gehalten. Es war überhaupt eine Unmöglichkeit, die er begangen hatte.

Aber es ist verschiednes dabei, was hier nicht des längern ausgeführt werden kann. Es würde sonst dicke Bücher füllen.

Mag der gemütvolle Deutsche romantischer veranlagt sein, der nüchterne, immer ans ›Geldmachen‹ denkende Engländer ist weit phantastischer. Das heißt, er liebt alles Phantastische; praktisch ist er weniger dafür zu haben. Das zeigt sich schon in der Literatur. Thomas Moore schrieb – wenn wir von Plato und Baco von Berulam, letzterer ja auch ein Engländer, absehen wollen – die erste Utopie, Defoë die erste Robinsonade, Swift den Guilliver; Coopers Lederstrumpf rief die Literatur der Indianergeschichten ins Leben. Im britischen Theater jubelt man dem größten Schufte zu, wenn er nur kühn ist. Und diese Begeisterung erstreckt sich bis in die höchsten Schichten, das ist der Unterschied zwischen dort und Deutschland. In England werden die Hinterlassenen eines kühnen Räubers, der am Galgen geendet hat, durch Bettelbriefe reich. Mit einem Wort: der Engländer, wie der Amerikaner begeistert sich für alles Sensationelle, Exzentrische, Außergewöhnliche, Verrückte, da wird er blind, und am tollsten treibt es die Weiblichkeit.

Flederwisch war etwas wie eine Räubernatur, welche die unrechtmäßige Beute verschwenderisch an Arme verteilt, und schließlich ist dies auch großartig, denn umsonst erwärmt sich das Volk nicht für einen Rinaldo Rinaldini. Bisher hatte er sich, wenn er mit Mrs. Lewis zusammengekommen war, immer für den kecken Abenteurer ausgegeben; er war in ihrer Gesellschaft der elegante Weltmann gewesen, hatte Schmeicheleien gesagt, geistreich gesprochen und oberflächlich geurteilt, Witze gemacht, geprahlt und gespottet, und es war ihm auch gar nicht darauf angekommen, einmal ein freies Wort, eine zynische Bemerkung fallen zu lassen, welche auch ein weniger empfindsames Ohr als das der prüden Engländerin beleidigen mußte. Denn diese Firma hatte doch keinen soliden, kalt rechnenden Geschäftsmann haben wollen, einen tüchtigen Kapitän und verwegnen Schmuggler brauchte man, und als solcher war Flederwisch bisher auch immer nur aufgetreten.

Nun zeigte er sich plötzlich von einer ganz andern Seite. Jetzt, im Banne einer tragischen Situation, ließ er scheinbar seine eigentliche Natur hervorbrechen. Wuchtig wie sein Schritt hatte jedes seiner Worte geklungen. Das hatte der alten Engländerin imponiert, sie war bestürzt, geblendet. Flederwisch wußte, was er tat, und er konnte höhnisch lächeln und ruhig warten.

Nach fünf Minuten erschien Mrs. Lewis wieder, mit ausgestreckter Hand kam sie auf ihn zu, aber diese Hand war – leer!

»Kapitän! Dieses Opfer kann ich nicht von Ihnen annehmen ...«

Flederwisch nahm auch die Hand nicht an, sondern machte nur mit der seinen eine theatralische, abwehrende Bewegung. Das Gespräch fand seine direkte Fortsetzung.

»Sie müssen, es ist mein Prinzip! Mrs. Lewis,« fuhr er noch theatralischer fort, »für wen halten Sie mich? Ich bin kein Kreole, und wenn ich auch Handel treibe, so bin ich doch kein Handelsjude – sondern ich bin ein deutscher Ehrenmann.«

Die alte Dame hatte sich niedergesetzt, und in den ernsten Augen, mit denen sie ihn ansah, erkannte der studierende Flederwisch doch schon einige Begeisterung.

»Sie sind ein seltsamer – nein, ein seltener Mann!«

Wieder machte er eine geringschätzende Handbewegung, welche sagte, daß über diese Sache kein Wort mehr zu verlieren sei, steckte die Brieftasche ein, hob den Hut vom Teppich auf und begann dann doch wieder von dem Gelde zu reden, wenn auch von einer andern Seite aus.

»Ich bin kein reicher Mann, Mrs. Lewis, ich bin ein armer Mann. Aber genug davon, es ist mein Prinzip. Ja, ich stehe vor meinem Bankrott. Gestatten Sie mir ein offnes Wort. Ich bin Seemann. Ich glaube, Sie kennen mich. Würden Sie mir gegen gute Zinsen eine größere Summe leihen, daß ich mich über Wasser halten kann? Vielleicht 40 bis 50.000 Pfund? Sicherheit kann ich Ihnen nicht geben, das sage ich gleich. Ja, doch – erkundigen Sie sich über mich bei meinen bisherigen Gläubigern. Nein, nein,« fuhr er schnell fort, als die alte Dame eine Miene machte, aus der er erkannte, daß sie gleich dazu bereit sei, »nicht jetzt, nicht heute abend, das will überlegt sein. Darf ich in einigen Tagen wiederkommen und deshalb nachfragen? Wann paßt es Ihnen denn am besten?«

»Ja, kommen Sie in einigen Tagen wieder!« rief Mrs. Lewis lebhaft und stand ebenso lebhaft auf. »Morgen – oder übermorgen, ich habe überhaupt etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen!«

»Aha, sie hat schon angebissen!« dachte Flederwisch vergnügt und, stehn bleibend, drehte er den Hut zwischen den Händen und betrachtete nachdenklich die Krempe. »Ich danke Ihnen, es wird mir sehr angenehm sein,« murmelte er wie geistesabwesend, und dann, aufblickend, fuhr er hastiger fort: »Und dann habe ich noch eine Frage, Mrs. Lewis. Es ist nötig, daß ich etwas weiter aushole. Ich wußte ja, wie Sie mich erwarten, hätte mich von der Reede aus an Land setzen und dann, als die Frithjof im Hafen lag, gleich zu Ihnen eilen können, allein ich verlasse mein Schiff nicht eher, als bis das letzte Seil richtig gelegt ist – ich bin ein Mann von Prinzip. Dann – Sie wissen – ich mußte doch erst zu meiner Frau ...«

Hier ließ er plötzlich seinen Hut sinken, wie er seine erkünstelte Verlegenheit ablegte, sein Gesicht verfinsterte sich, drohend starrte er die Dame an.

»Hat – jemand – außer – Ihnen – gewußt – oder geglaubt – geahnt, daß die Frithjof Schiffbruch erlitten habe oder ich tot sei?«

Mit hohler Stimme hatte er diese Worte gesprochen. Mrs. Lewis sank denn auch gleich wieder auf den Stuhl, faltete die Hände im Schoß und blickte den Kapitän mit so viel Aengstlichkeit an, wie diese energischen Züge überhaupt ausdrücken konnten.

»Nein, niemand außer mir. Wie wäre das möglich? Aber was haben Sie nur, Kapitän, ist Ihnen unwohl?«

»Wußte die Besatzung Ihrer Jacht davon?«

»Diese teilte natürlich meine Vermutung.«

»Dann haben die Matrosen die Nachricht von meinem Tode ausgesprengt!«

»Nein, es sind nur Engländer, treue, auserlesene Männer und stumm wie das Grab. Es durfte doch niemand wissen, daß ich zwischen den Gallopagos gewesen bin.«

»So bleibt der dunkle Punkt bestehn,« fuhr Flederwisch mit tiefer, hohler Stimme fort, »oder – halt! – haben Sie zu einem gewissen Pepe-Pepe davon gesprochen?«

Flederwisch sah sie etwas erbleichen, doch hielt sie seinen Blick, der, angepaßt der Situation in der Komödie, durchbohrend auf ihr ruhte, aus.

»Was für ein Pepe-Pepe?«

»Pepe-Pepe, der Zambo – der Zambo bravo. Sollten Sie ihn nicht kennen?«

»Doch, ich kenne ihn wohl, aber nicht persönlich. Wie sollte ich den Zambo in solche Geheimnisse einweihen?«

»Dann allerdings gibt es keine Entschuldigung mehr,« meinte Flederwisch achselzuckend.

»Sie sprechen in Rätseln, Sir,« sagte jetzt Mrs. Lewis etwas kalt. »Wollen Sie sich näher erklären?«

Einen Moment überlegte er, ob er jetzt wild auffahren, vielleicht auch mit dem Fuße aufstampfen oder eine eiserne Ruhe zeigen sollte. Er beschloß das letztre.

»Dieser Pepe-Pepe, der Zambo, hat meine Frau entführt – nein, meine Frau ist mit ihm gegangen,« und dann, als die Dame von einer plötzlichen Erstarrung befallen zu sein schien, setzte er hinzu: »Wenn sie geglaubt hätte, ich sei nicht mehr unter den Lebenden, wenn dieser Zambo es ihr glaubhaft gemacht hätte, so wäre sie wenigstens in etwas entschuldbar, wenn sie dem Verführer Gehör schenkte, aber so ...«

»Pepe-Pepe, der Zambo – Ihre Frau – entführt?« hauchte die alte Dame mit allen Zeichen des Entsetzens.

»Sie ist freiwillig mit ihm gegangen.«

»Ihre Frau, die schöne Quadronin, mit welcher Sie sich erst vor fünf Wochen verheiratet haben? O, Sie Unglücklicher!«

Sie führte das Spitzentuch an die Augen. Flederwisch wartete geduldig, bis sie es wieder abnahm. Geweint hatte sie nicht, obgleich es sie gerade jetzt, nach der Tragödie in der eignen Familie, sehr berühren mußte. Aus ihren letzten Worten hatte wirklicher Jammer gesprochen.

Noch einige Fragen und Antworten, Flederwisch sollte Näheres berichten, er erzählte, was er im Hotel erfahren. Was da vorlag, war ja ganz klar.

»Haben Sie sie geliebt?«

»Ob ich sie geliebt habe!«

»Und Sie sind so ruhig dabei?«

»Was soll ich tun? Ein ungetreues Weib soll mich nicht außer Fassung bringen. Nur eine Freude bleibt mir noch – eine süße Rache.«

Fromm schlug die alte Engländerin die Augen zum Himmel auf.

»Die Rache ist mein, spricht der Herr, unser Gott!«

Erschrocken fuhr sie zusammen, so schwer hatte Flederwisch die Hand auf den Tisch gelegt.

»Nein, diesmal ist sie mein!« rief er, sich zu ihr vorneigend und sie mit seinen schwarzen Augen anblitzend. »Hier auf Erden lasse ich mir die Rache von keinem Gott nehmen! Ach, Sie glauben, ich denke an jene Frau? Was kümmert mich die, die ist bereits aus meinem Gedächtnis gestrichen. Nein, den Mann, den Verführer, diesen Zambo, den will ich mir kaufen – vielleicht verstehn Sie diesen deutschen Ausdruck auch in der englischen Uebersetzung – und das heute nacht noch. Ich empfehle mich, auf Wiedersehen!«

Schnell, als dulde nun seine Rachepflicht keine Sekunde mehr Aufschub, hatte er sich umgewandt und eilte der Tür zu.

»Halt! Bleiben Sie! Bleiben Sie!« Mrs. Lewis war ihm sogar nachgeeilt, die Angst sprach jetzt unverkennbar aus ihren Zügen. »Was wollen Sie tun?«

»Mit Monsieur Pepe ein Wort sprechen. Ich weiß, wo ich das Pärchen finde.«

»Sie kennen ihn nicht,« stieß sie in wachsender Erregung hervor, »es ist ein Farbiger, ein Zambo.«

»Eben deswegen werde ich nicht zwei Pistolen, sondern nur eine Hundepeitsche mitnehmen.«

»Und Sie kennen ihn doch nicht! Es ist ein Pampasindianer ...«

Flederwischs höhnisches Lachen unterbrach sie.

»Verzeihen Sie, Mistreß, aber ich muß wirklich lachen, weil Sie mir mit Indianern bange zu machen suchen. Bah, ich setze diesem ganzen farbigen Gesindel den Fuß auf den Nacken und zerquetsche sie alle zusammen an der Erde. Gute Nacht, Mrs. Lewis!«

Sie faßte ihn am Arm.

»Bleiben Sie, ich lasse Sie nicht fort, ich habe mit Ihnen zu sprechen!«

 

Flederwisch blieb, und sie sprachen noch über eine Stunde zusammen. Nach langen Wechselreden ergriff die alte Engländerin das Wort allein und sprach eine Viertelstunde. Er wurde in alles eingeweiht. Dann nahm er das Wort und redete ununterbrochen eine halbe Stunde wie – so sagte er sich dann selber – wie ein Buch.

Es waren keine welterschütternden Pläne, die hier geschmiedet wurden, und doch sollten sie die größte politische Umwälzung hervorrufen. In Mrs. Lewis' Rede kamen am häufigsten die Worte Guano, Kakao, Hanf, Vanille, Pfeffer und noch einmal Guano vor, ferner Silber, Kupfer, Antimon, Blei und Zinn. Flederwisch gebrauchte mehr die Worte Albemarle, Floreanu, Chatam, Schiffe, Kulis und Kanonen.

Alle seine Schauspielerei und die Aufopferung der sechzehn Millionen hatten nur bezweckt, die alte Dame, die hier den größten Einfluß ausübte, jedenfalls die Agentin einer gewaltigen Geldkompanie, zu bewegen, ihm die Gallopagosinseln zu verschaffen, wenigstens für den Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren. Die Pachtung dieser Inseln wäre ja leicht gewesen, dazu hätte er nur etwas mehr zu zahlen brauchen, als die kleine Steuer für den Schildkrötenfang betrug, aber nicht so, wie er wollte. Eine Zwischenhandelsstation anlegen, ja, aber die Inseln zu befestigen, das hätte ihm Ecuador nicht erlaubt, und Flederwisch wollte dort frei schalten und walten können, und jetzt erfuhr er, daß er sich nicht verrechnet hatte, die alte Dame konnte ihm alle Privilegien verschaffen und noch viel mehr, und deshalb hatte Flederwisch ihr Vertrauen schließlich doch nicht zu teuer erkauft.

Er war ein Phantast und dennoch ein Mann mit praktischem Blick. Mrs. Lewis hatte mehr ›angebissen‹, als er in seinen kühnsten Träumen geahnt. Petro Valdez war tot, die Agentin brauchte einen andern populären Mann, unter dessen Zepter sich die Staaten Südamerikas vereinigten, und dieser von England regierte Kaiser sollte die Schätze und Bodenprodukte der ›Vereinigten Staaten von Südamerika‹ den Handelsweg über London nehmen lassen.

Hierbei sei erwähnt, daß dieses Ziel in gewissen Beziehungen erreicht worden ist. Guano! Welch anrüchiger, unbedeutender Artikel! So mag die Hausfrau denken, wenn sie auf ihre Blumentöpfe ein bißchen von dem Vogeldünger streut. Aber allein die deutschen Landwirte verbrauchen durchschnittlich im Jahre vier Millionen Zentner peruanischen Guanos, den Zentner zu 10 bis 15 Mark – die englischen jährlich sieben Millionen – und es gibt keinen andern Guano zu beziehen als nur von der Firma James Beitl & Co. in London; sie allein hat das Monopol. Dies ist nur der eine Fall. Im Welthandel sind ja diese an sich riesigen Summen auch nur verschwindend klein.

Hier wurde Flederwisch eine Kaiserkrone angeboten. Es machte sein Herz nicht schneller schlagen, er lächelte innerlich verächtlich. Was machte er sich aus Ecuador und Nachbarstaaten! Geschenkt wollte er sie wenigstens nicht haben. Er hatte ein andres Ziel vor Augen.

Der Mann, der erst vom Volke zum Präsidenten gewählt wurde und sich dann selbst die Krone aufsetzte, mußte also erst populär werden, durch Stiergefechte, Geldausstreuen, Bauten, Geschenke u. s. w. Hier war es, wo Flederwisch in halbstündiger Rede seine Pläne auseinandersetzte, und die alte Dame staunte ihn an, sie begriff und ging auf den Gedanken ein, die ihr ein Genius zu offenbaren schien. Es handelte sich um die Kolonisation der Gallopagosinseln, dann um deren Selbständigmachung und Losreißung, um von dort aus die Staaten zu beherrschen, die nicht gleichen Schritt gehalten hatten. Die Gallopagos wurden das Venedig Südamerikas.

Nobodys Pläne, die er als Schlepperkapitän entwickelt hatte, faßte Flederwisch bereits als seine eignen auf.

Auch die Rattenfrage kam wieder daran. Da war einmal ein Mann gewesen – Flederwisch kannte ihn ja, Helge Halfdan – der hatte auch eine kleine Kolonie auf Albemarle gründen wollen. Die Ratten fraßen den Leuten die Matratze unter dem Leibe weg. Jener wandte sich an den Präsidenten, dieser interessierte sich dafür, schickte ein paar tüchtige Fachmänner, Kammerjäger und eine gelehrte Kommission hinüber. Nein, da war nichts zu machen, Albemarle war von Wasserratten so verseucht wie die brasilianische Provinz Chiulchi von Ameisen, unbewohnbar. Wie sollte das werden? Für Flederwisch war das schon ein überwundner Standpunkt. Er importierte einfach Krokodile, und innerhalb eines Jahres waren in den Gewässern Albemarles nicht mehr Ratten, als ihm beliebte. Es war wieder Nobodys Weisheit, mit der Flederwisch sich schmückte.

Dagegen bedrückte eine andre Frage sein Herz. Er stellte sie erst indirekt, dann immer deutlicher, aber erhielt keine Antwort. Sie wurden immer eifriger, immer vertraulicher, schon legte die zeremonielle Engländerin ihre Hand auf seine Schulter, aber wenn er vom Geld begann, das er doch zur Ausführung des großen Vorhabens besitzen müsse, dann wurde sie – wie Flederwisch sagte – schwerhörig.

»Nein, farbige Arbeiter von hier kann ich nicht gebrauchen, die sind zu teuer und zu faul. Ich will Sklaven haben, die ich peitschen kann. Ich hole aus China und Japan Kulis herüber, vielleicht 3000 Kerle, deren Unterhaltungskosten ich auf etwa 2000 Piaster veranschlage.«

»Wöchentlich?« fragte Mrs. Lewis forschend.

»Wöchentlich? Täglich, täglich!« rief Flederwisch entrüstet. »Da kann ich doch nicht nur den Reis und den Schiffszwieback berechnen – das stimmt, mehr brauchen Kulis nicht, und da käme ich mit 2000 Piastern die Woche gut aus – aber ich muß die Ueberfahrtskosten, die Herstellung der Quartiere und alles, was drum und dran hängt – das alles muß ich auf die Unterhaltungskosten für mindestens drei Jahre schlagen. Sagen wir rund 200.000 Pfund für die ersten drei Jahre.«

»Sie meinen, 200.000 Pfund für die ersten drei Jahre genügten?« fragte die alte Dame wieder mit jenem forschenden Blick, der jedoch Flederwisch entging, den er sich wahrscheinlich auch trotz seines Scharfsinnes nicht recht zu deuten gewußt hätte.

»Was heißt genügen!« entgegnete er achselzuckend. »Das wäre nur für die Arbeiter. Und was meinen Sie, was eine richtige Fortifikation nur von Albemarle kostete? Das geht in die Millionen und Abermillionen. Nehmen Sie einmal die letzten Hafenausbesserungen und Befestigungen von Portsmouth an. Ich bin zufällig genau ...«

»Ich bitte einen Augenblick um Verzeihung.«

Es war in der letzten Viertelstunde nun das fünfte Mal, daß Mrs. Lewis dies sagte und sich entfernte.

Wo läuft sie nur immer hin? dachte Flederwisch. Valdez lief auch immer hinaus, aber der mußte stets erst die Antwort seiner Schwiegermutter holen.

Flederwisch dachte nicht daran, die Kolonisation der Gallopagos in so großartigem Maßstäbe zu betreiben, wie er der alten Dame jetzt ausgemalt hatte.

Er glaubte auch nicht daran, daß man ihn so ausgiebig unterstützen würde. Die Gründung eines germanischen Heldenreiches war sein Ideal, eines ritterlichen Seestaates, so, wie er einst Alfred vorgeschwärmt hatte. Hierzu wollte er das in Münze verwandelte Gold verwenden, aber nicht, um aus den unbewohnten Inseln blühende Kolonien zu machen, die sich im Notfalle verteidigen konnten. Doch auch hierzu mußte er jene englischen Kapitalisten auf seine Seite bringen; sie durften sein Unternehmen nicht mit scheelen oder besorgten Augen beobachten, und das geschah am besten dadurch, wenn er sie mit Geld sich daran beteiligen ließ.

Mrs. Lewis kam zurück.

»Ich kann Ihnen für die ersten drei Jahre fünf Millionen Pfund Sterling zur Verfügung stellen,« begann sie kurz und bündig.

Ihre weitern Auseinandersetzungen hörte Flederwisch vielleicht gar nicht mehr, wenigstens antwortete, fragte er nichts weiter, er schien plötzlich tiefsinnig geworden zu sein.

Es war gerade Mitternacht, als sie voneinander Abschied nahmen. Kameradschaftlich schüttelten sie sich die Hände. Mrs. Lewis hatte nicht noch einmal gefragt, wie er nun über seine Rachepflicht denke, da er erfahren, daß Pepe-Pepe als einer der Führer der Rebellion in ihrem Hause ein- und ausgegangen war, daß auch er Flederwisch für tot gehalten und diesen Umstand wohl benutzt habe, um sich der schönen Witwe zu nähern, wer weiß, unter welchen Versprechungen.

Nein, die alte Dame sorgte sich nicht. Dieser war ja kein Kreole oder Portugiese, der sich, wenn ihm etwas in der Liebe verkehrt ging, gleich eine Kugel vor den Kopf schoß. Diesem Manne konnte auch die Sucht nach dem Rausche der süßen Rache nicht den Blick von dem hohen Ziele ablenken. Es war also gar nicht mehr über solch eine Kleinigkeit gesprochen worden.

Der Portier schien in dem Palaste der einzige wachende Diener zu sein, er wurde gerufen und geleitete den nächtlichen Gast die Treppe hinab. – –

Es regnete stärker als zuvor.

Als vor fünf Wochen Flederwisch dieses Haus verlassen hatte, hatte ihn ein wütender Sturm umbraust.

»Ich steh' wie ein Fels, wie die Angel der Welt,
Wie ein Kaiser in Freiheit und Recht,«

hatte er damals gejubelt, sich gegen den Sturm durchringend und gerade die Wege aufsuchend, wo am gefährlichsten die Ziegelsteine niederprasselten.

Heute hätte er jenes herausfordernde Lied mit mehr Recht singen können, und heute, in dem trostlosen Regen, schlich er mit tiefgesenktem Kopfe einher, sein sonst so stolzer, schneller Schritt hatte sich in einen taumelnden Gang verwandelt.

»Hundert Millionen – es gibt doch ein Verhängnis – hundert Millionen – das ist die Ironie des Schicksals – hundert Millionen!«

So und ähnlich hatte er mit eintöniger Stimme gemurmelt, seitdem sich das Portal hinter ihm geschlossen hatte; immer kehrten die ›hundert Millionen‹ wieder, und erst, als er in die vom Marktplatz abzweigende Straße einbog, wurden Sätze daraus, wie der Ton einen innerlichen Klang annahm.

»Nun habe ich es erreicht, Alfred, wir haben es erreicht! Wir brauchen uns um das Gold nicht mehr zu streiten. Alfred – ach, Alfred – ach, meine arme Schwester!!« Und der starke, wankende Mann mußte sich an einen Laternenpfahl klammern, er drückte den Kopf in die um den Pfahl geschlungenen Arme und schluchzte, seine Tränen vermischten sich mit dem Regenwasser seines Mantels.

Nicht lange aber blieb er der Verzweiflung überlassen.

»Heda, du blutiges Kaninchen, elendes, wo ist hier das Strandhotel?«

Bei dieser freundlichen Anrede einer rauhen Stimme aufblickend, sah Flederwisch dicht neben sich auf einem magern Gaul einen Reiter sitzen, ein menschliches Gestell von Knochen, Sehnen und Muskeln, wenigstens nach den Händen zu urteilen, welche den Zügel hielten, von Kopf bis zu den Füßen in ein panzerähnliches Kostüm aus dickem Büffelleder gehüllt, statt des hier üblichen Sombreros auch eine Lederkappe, an den Stiefelhacken endlos lange, silberne Sporen mit talergroßen Rädern, am Gürtel den Revolver im Futteral, die noch an der Erde nachschleifende Peitsche und andre Sachen.

Es war ein Llanero, ein Rind- und Pferdehirt der Pampas oder richtiger der Llanos.

Die großen Steppen und Viehtummelplätze heißen im südlichen Südamerika Pampas, im nördlichen Llanos. Beide Worte bedeuten ganz dasselbe – Ebene. Das eine ist spanisch, das andre ein Wort der Quichuaindianer. Beider Ebenen Beschaffenheit ist ganz dieselbe: im Frühling sind es blumige Triften, im Sommer mit mannshohem Gras und dornigem Buschwald besetzte Wildnisse, im Herbst ausgebrannte Wüsten, und im Winter, zur Regenzeit, ist alles ein See. Nun aber werden merkwürdigerweise auch im Gebiete der Llanos, also im heißen Norden, alle die Gegenden, welche vor der Überschwemmung gesichert sind, in denen also auch die Haziendas, die Landgüter und Estancias, die Viehhöfe, liegen, Pampas genannt. Dies beweisen schon die Ortsnamen in Kolumbia, Ecuador und Peru, wie z. B. Moyopampa, Urumpampa, Pampamay.

In den Llanos heißt der Viehhirt, dem nordamerikanischen Cowboy und mexikanischen Vaquero entsprechend, Llanero, in den Pampas Gaucho (spr. Ga-utscho). Da sich die beiden durch gar nichts unterscheiden, wollen wir bei dem bekannten Namen Gaucho bleiben. Diese Gauchos haben sich in der einsamen Wildnis zu einer fast selbständigen Völkerrasse entwickelt. Es sind Mestizen, Abkömmlinge von den ersten Spaniern und von Indianerinnen. Da aber das weiße Blut nicht wieder aufgefrischt wurde, sind sie zu vollkommenen Indianern geworden, aber gerade sie wollen durchaus keine Mestizen sein, sondern nennen sich Spanier, denen insbesondre nichts über ein christliches Begräbnis geht.

»Wenn ein Gaucho,« heißt es ungefähr in einer Reisebeschreibung, »noch für etwas andres Interesse hat als nur für seine Herden, seinen Revolver und seine Tabakspfeife, so kann er, vielleicht durch wißbegierige Fragen, seine Bildung so erweitern, um seinen Kameraden zu erzählen, daß dort drüben noch ein großes, großes Land liegt, welches London heißt und dessen größte Stadt Asien ist.«

Solch einem Manne befand sich Flederwisch gegenüber.

»Nach dem Strandhotel wollt Ihr? Kommt mit, ich gehe auch hin.«

Der nebenherreitende Gaucho befand sich in der besten Stimmung, der unerwartete Regen in dieser Jahreszeit war daran schuld, er lobte den Himmel dafür mit seinen allerschönsten Flüchen und freute sich, daß er in dieser ›blutigen‹ Nacht noch einen ›blutigen‹ Menschen getroffen hatte, der ihm den Weg nach dem ›blutigen‹ Hotel zeigen konnte. Wenn er einen Satz von zehn Worten sprach, so brauchte er hundert Worte, dreißigmal kam ›blutig‹ vor, und das andre waren Flüche. So ist es nicht möglich, seine Sprechweise ausführlich wiederzugeben.

Flederwisch hörte nicht darauf. In Gedanken versunken schritt er neben dem Reiter dahin.

»Was wollt Ihr in dem Hotel?« fragte er plötzlich.

»So ein Ding holen – so eine Schere – und so ein Ding.«

Er hatte dabei mit den Händen Bewegungen an seinem Kopfe gemacht, und Flederwisch, ihn ansehend, erriet auch gleich das Richtige.

»Eine Brennschere?«

»Jawohl, eine Brennschere – und so ein Ding auch noch dazu.«

»Eine Brennschere!« flüsterte Flederwisch. »Aus meinem Hotel? Für wen sollt Ihr denn die Brennschere holen?«

»Für die Senora, die bei meinem Herrn ist. Wie's geregnet hat, sind die Haare ins Gesicht gerutscht, und da hat Zambo bravo gesagt, ich soll hinjagen und so ein Ding holen und so ein andres Ding auch. Er hat's mir auf ein Stück Papier geschrieben, ich braucht nur abzugeben.«

»Heißt die Dame vielleicht Senora Müller?«

Der Gaucho beugte sich herab und schlug Flederwisch mit der Faust wuchtig in den Rücken.

»Freilich,« rief er erfreut, »jetzt weiß ich's wieder, ja, so heißt sie.«

Flederwisch freute sich nicht minder, er erklärte, daß er ja selbst der Diener der Senora sei, er bekam das Papier – Toilettennecessaire und Brennschere – er erfuhr, daß das Liebespaar heute nachmittag auf der Estancia Cosala eingetroffen war, tatsächlich mit Beute von der Nandujagd kommend, daß sich der brave Zambo beim Diner mordsmäßig betrunken und dann bis in den späten Abend hinein geschlafen hatte, daß die Senora wahrscheinlich ebenfalls geschlafen habe und ihr dann, wie sie zur Abkühlung auf die Veranda in den Regen trat, die schon zerzausten Locken völlig ausgingen – aber wie weit diese Estancia Cosala von der Stadt entfernt lag, das konnte Flederwisch aus dem Gaucho vorläufig nicht herausbringen. Denn diesem waren die Worte Stunden und Minuten ganz unbekannte Begriffe; die längsten Zeiträume berechnete er nach totgerittenen Pferden und Pferdestürzen, die kürzesten nach Galoppsprüngen, die mittlern nach Tabakspfeifen und Revolverschüssen.

Das Hotel war geschlossen. Nach längerm Klingeln öffnete ein verschlafener Hausknecht.

»Kommt! Ich kann Euch alles geben.«

Der Gaucho war schon abgestiegen, er folgte, das Pferd einfach auf der Straße stehn lassend, ohne es anzubinden. In jenen Gegenden gibt es keine Pferdediebe. Bettler zu Pferd sind dort keine Seltenheit, auf den Weideplätzen jeder Hazienda sind immer einige gesattelte Pferde, der fremde Wandrer kann sich eins nehmen, ohne erst den Besitzer um Erlaubnis fragen zu müssen – nur den Gaul, denn immer läßt sich der nicht nehmen – und bei der nächsten Hazienda läßt er es wieder laufen.

Flederwisch schien das nicht zu kennen, er war wegen des Schicksals des verlassenen Tieres besorgt.

»Wenn nun das Pferd fortläuft?«

»Das steht.«

»Wenn es aber nun jemand nimmt und fortreitet? Oder wirft es jeden Fremden ab?«

»Das nicht, aber vorwärts bringt er es nicht. Da muß er es erst am linken Ohr reißen und mit der andern Faust tüchtig auf den Schädel hauen, dann geht's ganz schön.«

»Merkwürdige Hebelvorrichtung, um die Maschinerie in Gang zu setzen,« brummte Flederwisch, ließ sich von dem Hausknecht ein Licht geben, und als der Schlüssel zu seinem Zimmer nicht in der Portiersloge hing, stellte er keine weitern Fragen, sondern stieg gleich die Treppe hinauf, sporenklirrend der Gaucho ihm nach.

Flederwisch wußte, wen er in seinem Zimmer finden würde. Wenn er bis Mitternacht nicht an Bord wäre, sollte Manuel ins Hotel kommen. Daß der Mulatte weder seinen Herrn noch Carmencita antreffen würde, hatte allerdings außerhalb der Berechnung gelegen, jedenfalls aber befand sich Manuel jetzt noch oben. Es mußte ihn ein andrer als dieser Hausdiener eingelassen haben, denn der Mann hatte sich gewundert, daß der Schlüssel fehlte.

Das Zimmer, welches Flederwisch das seine nannte, war voll möbliert, auch mit einem großen Schreibtisch ausgestattet, aber ohne Bett, denn es stieß an das gemeinsame Schlafgemach. Hier hatte Flederwisch während der Zeit, als er mit seiner jungen Frau im Hotel wohnte, die schriftlichen Arbeiten erledigt.

Richtig, die Lampe brannte. Manuel erhob sich vom Sofa, auf dem er gelegen hatte, eine Zigarette rauchend. Ein noch nasser Poncho hing auf einem Stuhle.

Wie er hinter Flederwisch den Gaucho eintreten sah, richtete er seine blutunterlaufenen Augen fragend auf seinen Herrn, und dieser blinzelte.

»Er soll etwas für die Senora holen,« sagte er, und auf deutsch fuhr er fort: »Paß auf – keinen Namen – wir sind ihre Diener. Etwas vorgefallen?«

Der Mulatte zeigte nicht das mindeste Staunen, nur daß er an den Augen seines Herrn hing wie ein kluger Hund.

»An Bord nichts, alles in Ordnung,« entgegnete er, ebenfalls sich des Deutschen bedienend. »Aber hier liegt etwas in der Luft. Man hat Euern Schreibtisch aufgebrochen oder es versucht. Jetzt ist er zu.«

Flederwisch hatte den Schlüssel zum Schreibtisch noch in der Tasche. Man hätte in den Fächern nichts gefunden, was er vermißt haben würde.

»Woher weißt du das?«

»An dem Schloßschilde sind Ritzen und Schrammen; es hat jemand mit einem Instrument daran herumgearbeitet. Als ich mir das Schloß das letztemal besah, war nichts daran.«

»Es ist nichts. Bleib hinter ihm!«

Der Gaucho war eben erst an der Tür, welche Flederwisch hinter ihm geschlossen hatte, stehn geblieben. Die kurze Unterhaltung der beiden hatte ja nur wenige Sekunden in Anspruch genommen.

»Kommt! Hier drüben ist das Toilettennecessaire,« sagte Flederwisch, durch das Zimmer gehend und die Nebentür öffnend.

Breitbeinig und mit schleppendem Gange folgte der rotbraune Pferdehirt. Man sah ihm an, daß er sich in den Pampas wohler fühlte als in diesem luxuriös eingerichteten Hotelzimmer. Manuel, die Hände nachlässig in den Hosentaschen, ließ ihn an sich vorübergehn, erst hinter seinem Rücken die hohe, ungemein kräftige Gestalt von oben bis unten mit seinem bösen Blicke musternd, dann das Auge wieder gespannt auf seinen Herrn richtend.

»Wirf ihn!«

So wirkt der Befehl ›Faß an!‹ auf einen dressierten Hund. Wie ein solcher stürzte sich der Mulatte von hinten auf den Mann, umklammerte ihn, zwei lange Beine sausten durch die Luft, und wenn auch der weiche Teppich den schmetternden Krach dämpfte, so zitterte doch das ganze Haus, und hinter den Tapeten rieselte der Kalk von den Wänden. Der Gaucho lag mit dem Gesicht am Boden, auf seinem Rücken kniete der Mulatte, in jeder Hand hatte er schon einen Strick gehabt, als er ihn umschlang, und selbst wenn der Mann von dem schweren Falle nicht betäubt gewesen wäre, hätte er doch kein Glied mehr rühren können, so schnell hatte der schwarze Bootsmann ihm Hände und Füße mit Stricken umwickelt und die Knoten geschürzt.

Flederwisch stand daneben, er hatte noch die Klinke in der Hand, als ginge ihn das gar nichts an.

»Na na, so schlimm brauchtest du nicht gleich mit ihm umzugehn.«

»Er lebt noch, er spannt die Muskeln an,« versicherte Manuel, obgleich der Mann wie tot dalag. »Nein, das ist Manilahanf, den sprengt er nicht!«

»Kneble ihn lieber noch!«

»Der schreit nicht um Hilfe, das ist ein Gaucho. Was nützt das Schreien, wenn's einmal so weit ist? Ja, wenn's ein Frauenzimmer wäre, da könntet Ihr ein Konzert zu hören bekommen.«

»Trotzdem, kneble ihn!«

Der Mulatte setzte sich bequem auf den Rücken des Gebundnen und zog ein rotes Taschentuch hervor, es auseinanderfaltend und von beiden Seiten betrachtend.

»Schade, es ist noch ganz neu,« brummte er, schneuzte sich erst noch einmal tüchtig die Nase, und als er so weit war, drehte er den Gaucho mit einem plötzlichen Rucke herum.

»Ca ...«

Da hatte er das zusammengeballte Tuch im Munde, den er eben zum Sprechen öffnete.

»Caracho hat er sagen wollen,« grinste der Mulatte vergnügt, zog dem Manne die Tabakspfeife aus dem Gürtel und stopfte mit dieser nach. »Wenn sie sprechen, machen sie's einem allemal leicht. Wo ist sein Pferd? Ja, Kapitän, wo ist denn eigentlich Eure Frau?«

Mit einigen Worten und gleichmütig teilte ihm Flederwisch alles mit. Er hatte vor dem Schwarzen kein Geheimnis mehr oder richtiger: kein Gefühl mehr, welches mit dem der Scham einige Verwandtschaft besaß. Vielleicht wollte er auch den Eindruck studieren, den diese Offenbarung auf den treuen Diener machte.

Manuel, mitten in der Bewegung zur Statue erstarrend, machte denn auch ein Gesicht, wie er es seinem Herrn noch nie gezeigt hatte.

»Santos Fidolestiko – o heiliger Fiedelbogen!« brachte er endlich hervor. »Seht Ihr? Ich habe es Euch gesagt. Ich hätte sie nicht geheiratet, nicht für tausend Dollar. Na, Ihr nehmt die Sache ja verdammt kaltblütig. Laßt sie laufen! Ihr habt genug Gold, könnt Euch ein ganzes Dutzend solcher Weiber ...«

»Dummkopf! Wahre deine Zunge!« herrschte ihn aber jetzt Flederwisch wild an. »Das Toilettennecessaire und die Brennschere sollte ihr dieser Gaucho holen – ich will es ihr selbst hinbringen – auf der Estancia Cosala sind die beiden – und Schminken und die Puderquaste will ich auch mitnehmen, falls sie die Farbe verlieren sollte, wenn ich vor sie hintrete.«

»All right!« Manuel stand auf, während sich Flederwisch bückte und des Gauchos Hetzpeitsche aufhob. »Wo ist diese Estancia Cosala?«

»Zwei Pfeifen von hier, mehr konnte ich aus dem Gaucho nicht herausbringen. Weißt du's?«

»Nein. Dann ist's aber nicht weit. Wir werden's erfahren. Was nun zuerst, Kapitän? Ich denke, Ihr lauft zum Pferdehändler und klopft ihn heraus, macht alles bereit; ich renne an Bord und hole die Jungens, von der Wache die besten Reiter und von den Urlaubern, die um 12 Uhr zurück sein müssen, die nüchternsten. Wir wollen diesen Pampasgauchos einmal Segelschiffmatrosen zu Pferde zeigen. Was? Der hier hat schon eine Probe davon bekommen, was einer leisten kann, wenn's darauf ankommt.«

Hastig, vor Freude zitternd, hatte der Mulatte die Worte herausgesprudelt, während Flederwisch die über zwei Meter lange Peitsche, aus Lederriemen zusammengeflochten, oben mit einem schweren Bleiknopf versehen, prüfend in der Hand wog und sie dann mit seinem Dolchmesser um die Hälfte kürzte.

»Ich gehe allein hin!«

»Allein? Nein, das geht nicht. So einfach dürft Ihr Euch die Sache denn doch nicht vorstellen. Von diesem Zambo bravo habe ich schon genug gehört, sogar schon in Kuba; der läßt sich ein Weib nicht so ohne weiteres wieder aus den Zähnen reißen, und wenn auch der eigne Mann kommt! Und die Gauchos, von denen genug auf der Estancia sein werden, schlafen gestiefelt und gespornt und den Revolver schußbereit in der Hand ...«

»Kein Wort weiter! Ich hole mir meine Frau allein zurück.«

»Ihr seid des ...«

»Schweig! Du bleibst hier, bis ich wiederkomme.«

Aber Manuel schwieg nicht, wenigstens ihn sollte er dann doch mitnehmen – nein, auch nicht. Der Mulatte flehte und bettelte – nicht etwa, daß er für seinen Herrn bange – er solle ihm doch den Spaß gönnen, er möchte so gern mit ›klar Schiff‹ machen – er wolle ihm draußen vor der Estancia nur das Pferd halten – Flederwisch aber war unerbittlich.

Er hatte den Poncho von der Stuhllehne genommen. Das Kleidungsstück, eigentlich nichts weiter als ein großes, viereckiges Tuch mit einem Loch zum Durchstecken des Kopfes, war noch ganz neu.

»Wie kamst du zu dem Poncho?« fragte der Kapitän mit gerunzelter Stirn.

Sofort duckte sich der Mulatte wie ein zurechtgewiesener Hund.

»Es regnete noch nicht, als ich von Bord ging, und ich brauchte sowieso einen Mantel ...«

»Du weißt, ich will es nicht haben. Ihr seid meine Leute und keine ponchotragenden Spaniolen. Ihr habt das anzuziehen, was ich euch gebe. Für diesmal aber sei dir verziehen, weil ich den Poncho gerade gut gebrauchen kann.«

»Na,« lachte Manuel plötzlich belustigt auf, »wenn Ihr jetzt noch an so etwas denkt, dann kann's wirklich nicht schlimm mit Euch stehn, dann kann ich Euch auch ruhig allein reiten lassen.«

»Es tut mir leid, dir die Freude versagen zu müssen,« erwiderte Flederwisch. »Aber es ist Politik dabei, verstehst du? Nein, du kannst es nicht verstehn. Ich will dir später erklären, um was es sich handelt. Kurz, ich muß unbedingt allein hin, wenn ich meine Frau von dem Zambo wieder hole. Wäre es ein andrer, ich würde sie ihm gern überlassen, dieses elende Weib, nur dieser Monsieur Pepe-Pepe, der Zambo bravo muß den Kapitän der Frithjof kennen lernen. Es ist eben Politik dabei.«

Flederwisch war zum Abreiten fertig. Unten stand das Pferd, welches er ja in Bewegung zu setzen wußte, erst aber hörte er noch des Mulatten kluge Ratschläge an. Manuel war selbst ein Südamerikaner.

Nach seiner Ansicht war es nicht gut, wenn Flederwisch das Pferd des Gauchos ritt. Allerdings fand dieses den Weg nach der Estancia allein, wenn er deren Lage nur ungefähr erfuhr, des Pferdes Kopf dorthin richtete und ihm dann die Zügel freigab. Außerdem war mit den wilden Hunden zu rechnen, die auf keiner Hazienda und Estancia fehlen und den Fremden anfallen, den Reiter dagegen, der auf einem Gauchopferde ihres Gehöftes saß, was sie schon von weitem rochen, unbekümmert passieren lassen würden. hinwieder konnte das Gauchopferd bei der Rückkehr Schwierigkeiten verursachen. Manuel kannte die hiesigen und die Verhältnisse der Pampas ganz genau. Mit einer Verfolgung hatte Flederwisch auf alle Fälle zu rechnen. Wer aber wußte, ob das Steppenroß, das freudig seinen Weideplätzen zueilte, sich durch eine fremde Hand auch wieder fortleiten ließ, und mochte Flederwisch ein noch so guter Reiter sein, vermochte er das Tier auch zu zwingen, so konnte doch immerhin ein Pfiff der Verfolger genügen, um es zum Stehn zu bringen, und wenn es einmal bockte, dann brachte auch der beste Reiter es nicht mehr vorwärts.

Nein, Flederwisch mußte sich ein andres Pferd besorgen, aus jenem Stall, dem er hier schon oft Tiere entliehen hatte, und auch noch das des Gauchos mitnehmen. So zeigte ihm dieses ebenfalls den Weg, es bedurfte dazu keiner besonders feinfühligen Hand, auch so, nur in Begleitung des Gauchopferdes, würden die Hunde nicht einmal anschlagen. Oder er konnte vielleicht für alle Fälle auch einen wegekundigen Mann mitnehmen, den er, wenn er durchaus niemanden bei sich haben wollte, beizeiten wieder nach Hause schickte, dort unten an der letzten Straße stand ein Schuppen, den obdachlose Maultiertreiber immer als Stall und Nachtquartier benutzten, dort würde er schon jemanden finden.

Flederwisch sah die Vortrefflichkeit der Ratschläge ein; Manuel wußte eben alles. Unterdessen hatte der Kapitän einem der Koffer, welcher seine Landgarderobe enthielt, ein paar Sporen entnommen und sie an seinen Seestiefeln befestigt.

»Was soll aus diesem Kerl werden?«

»Du bleibst bei ihm, bis ich zurückkomme oder dich wissen lasse, daß du ihn freigeben kannst. Behandle ihn gut, nimm ihm den Knebel aus dem Mund, wenn er vernünftig ist.«

»All right,« lachte der Mulatte, »ich lege ihn drüben ins Bett und lasse ihn da liegen, die Mädchen werden ihn schon nicht übersehen, wenn sie morgen früh die Betten machen. Na, denn Glück zu, Kapitän! Aber seht Euch vor, mit dem Pepe-Pepe Zambo soll nicht zu spaßen sein. Seid Ihr gut bewaffnet?«

Flederwisch hatte das Zimmer verlassen, ohne eine Antwort gegeben zu haben. In der Loge saß der Portier, er mußte aus dem Bett geholt worden sein, weil sich in dem Hotel wieder der deutsche Kapitän befand, der ebenso freigebig mit Goldstücken wie mit Grobheiten war. Aengstlich blickte der Mann ihn an, dem er vorhin die Wahrheit verschwiegen hatte, doch Flederwisch ließ sich von ihm nur das Tor aufschließen.

Seine ganze Unterredung mit Manuel aber, die getroffenen und noch zu treffenden Vorsichtsmaßregeln wären nicht notwendig gewesen, denn Kapitän Flederwisch stand unter einem mächtigen Schutze, unter dem Nobodys, und dieser harrte bereits unten auf der Straße. Er hatte sich das zerlumpte Kostüm eines Straßenbettlers verschafft und sein Aeußeres derart verändert, daß es ganz unmöglich war, ihn nicht für einen solchen zu halten. Nobody hatte während der Unterredung Flederwischs mit der Mrs. Lewis Zeit gefunden, die Manieren dieser Bummler zu studieren, und als der Kapitän jetzt auf die Straße trat, faßte Nobody rasch das Pferd am Zügel, das noch immer steif wie ein Sägebock dastand. Das war eine bei den Sonnenbrüdern beliebte Art, sich ein Trinkgeld zu verschaffen. Freilich, es konnte auch einen Peitschenhieb eintragen.

Den Kapitän Flederwisch aber hätte Nobody unter keinen Umständen allein zur Abrechnung mit dem Frauenentführer und der treulosen Carmencita reiten lassen, nachdem er einmal unbemerkt Zeuge der Unterredung Flederwischs mit dem Gaucho geworden war.

»Ich habe es gehalten, Senor,« sagte der verkleidete Nobody, die Hand ausstreckend und sich gleichzeitig furchtsam zum Seitensprunge duckend.

Flederwisch musterte zunächst den Himmel. Es regnete nicht mehr, dort, von wo der Wind herkam, klärte es sich auf; nach des erfahrnen Seemanns Berechnung konnte bald der Vollmond frei werden. Das wäre Flederwisch freilich nicht lieb gewesen.

»Danke, mein Freund! Kennst du die Estancia Cosala?«

»Wie mich selbst! Wollen Sie hin, Senor? Ich finde den Weg mit verbundnen Augen, ich renne dem Pferde voraus, und wenn es mich überholt und Sie in einer Stunde nicht dort sind, sollen Sie mir keine zehn Milreis anstatt eines Viertelpiasters geben.«

»Du brauchst nicht zu laufen. Kannst du reiten?«

»Ja, warum soll ich denn nicht reiten können?« staunte Nobody, sich ganz als Eingeborner stellend. Als ob es Menschen auf der Erde gebe, die nicht reiten könnten!

Flederwisch erkundigte sich nach der Richtung, in welcher die Estancia läge, hieß den vermeintlichen Bettler unter Anzahlung einer kleinen Silbermünze hier warten und schwang sich in den spanischen Sattel mit geschlossenen Steigbügeln. Das Rezept wirkte, der Schmerz am Ohr und der Faustschlag auf den Kopf pflanzte sich durch die Nerven des Tieres bis in die steifen Beine fort, das Pampaspferd gehorchte dem Zügel und trottete unsichern Schrittes davon, nur wenig Geräusch verursachend. Seine unbeschlagenen Hufe waren das harte, jetzt auch noch schlüpfrige Pflaster nicht gewöhnt, draußen in der Steppe würde es anders ausgreifen können, dort wurde es erst das Gauchopferd, dort holte es mit Leichtigkeit seinen freien Bruder, den wohlgenährten, edlen, wilden Mustang ein, welcher dann ebenfalls durch den edlen Willen des Menschen seine Schönheit und sein Feuer verlor, zum knöchernen, unansehnlichen Gaul herabsank, dafür aber die höchste Schnelligkeit und Ausdauer annahm, daß er Tag und Nacht in Karriere jagte, noch zwischen den Beinen des Reiters den letzten Atemzug tuend, ehe er tot zu Boden stürzte.

Nach zwanzig Minuten kam Flederwisch zurück, jetzt auf einem großen, edlen Jagdpferde sitzend, das andre am Zügel leitend. Nobody kletterte hinauf. Bald hatten sie die Häuser hinter sich und jagten im Dunkel der Nacht über die von der Sonnenglut ausgedörrte und daher fast ebene Steppe, welche das Regenwasser gierig aufgesogen hatte. Schon morgen früh würde sich ein grüner Rasenteppich zeigen – so schnell wuchert hier die Vegetation, wenn es nicht an Wasser fehlt – der aber ebenso schnell wieder verschwand, zu Asche verkohlt.

Nur einmal stellte Flederwisch einige Fragen über die örtliche Beschaffenheit der Estancia und ihrer Gebäude an seinen Begleiter, dann saß er wieder schweigend im Sattel, und trotz der Windstille peitschte der Sturm die Enden des Ponchos, daß sie wie zwei riesige Fledermausflügel um seinen Körper schlugen.

Rinder brüllten, Pferde wieherten, Hunde bellten, Lichter tauchten auf. Flederwisch hielt, ließ sich von dem Bettler den Haupteingang bezeichnen, bezahlte ihn reichlich, schickte ihn zu Fuß zurück und nahm das ledige Pferd an dem Zügel. Er merkte nicht, daß Nobody sofort wieder umkehrte, nachdem er außer Seh- und Hörweite Flederwischs gekommen war.

Jetzt trat der Mond hinter den Wolken hervor und beleuchtete das vor Flederwisch liegende Gehöft mit den es umgebenden Weiden, die von ruhenden Herden bedeckt waren. Wie er schon von dem vermeintlichen Bettler gehört, war es keine einfache Estancia der Pampas, eine Ansiedlung von Gauchos, die in elenden Ranchos, Lehmhütten, wohnen. Von Zeit zu Zeit wurden hierher von den entfernteren Weideplätzen größere Herden getrieben, es war der Stapelplatz des Schlachtviehes für die nahe Stadt, soweit Pepe-Pepe an der Versorgung beteiligt war, deshalb waren hier größere Baulichkeiten notwendig, und in der Mitte der niedrigen Gebäude stand sogar eine ansehnliche, hübsche Villa, die Wohnung des Verwalters, oder vielleicht auch nur bestimmt, den reichen Haziendero für eine Nacht zu beherbergen, wenn er einmal diese Besitzung inspizierte.

Langsam ritt Flederwisch eine hochliegende, offne, künstlich gespeiste Wasserleitung entlang, an der sich saufende Rinder drängten, und hinter ihm her schlich sich, auf den Boden geduckt, Nobody. Die Tierstimmen waren verstummt, manchmal kam ein Hund, sog die Luft ein und kehrte wieder um. Kein Mensch war zu sehen, finster lagen die Gebäude da, nur einige Fenster im Parterre der Villa waren hell erleuchtet. Unangefochten erreichte Flederwisch die Tür eines Zaunes, der den vernachlässigten Garten umschloß, in dem sich die Villa erhob. Hier stieg er ab, band beide Pferde an, legte den ausgezogenen Poncho über das seine, betrat den Garten und ging seitwärts auf das nächste, erleuchtete Parterrefenster zu. Er konnte den Sims erreichen, zog sich daran hoch und blickte in eine Küche oder Vorratskammer, in der ein Neger mit Weinflaschen hantierte.

Da wurde auf dem Klavier eine spanische Melodie angeschlagen, brach gleich wieder ab, ein Lachen folgte, dann Gläserklirren.

Flederwisch zog sich auch an dem nächsten Fenster empor, warf aber nur einen einzigen Blick hinein und ließ sich wieder fallen. Er hatte genug gesehen, schon vorhin aus dem hellen Frauenlachen genug gehört.

»Nein, sie sollen nicht erst eine Geistererscheinung am Fenster haben,« murmelte er, »sie sollen mich gleich in Fleisch und Blut sehen, besonders er, auf ihn kommt ja alles an. Was kümmert mich das Weib!«

Dann, wie er die weitern Worte flüsterte, mit der Hand sich gegen die Mauer lehnend, war es sein alter, leichter und leichtfertiger Ton, und hätte Flederwisch den Mond für ein lebendiges Wesen gehalten, dann hätte dieses nichts Auffälliges bemerkt – so aber sah der Mond, wie es dem Manne da unten dabei schmerzlich um den Mund zuckte.

»Bei mir spielt sich doch alles sehr, sehr schnell ab, wie in der Puppenkomödie. Vierzehn Tage lang überglücklicher Ehemann, vierzehn Tage vor Sehnsucht unglücklicher Strohwitwer, vierzehn Tage vor Eifersucht rasender Hintergangener, und nun – nun heißt es eben: der Vorhang fällt, das Spiel ist aus, ihr guten Leute, geht nach Haus!«

Er wischte etwas von den Wangen, was ihm so warm darüberrann, und schritt dem Eingange des Hauses zu. Als er darin verschwand, tauchte an dem Fenster, durch das Flederwisch zuletzt geschaut hatte, der Kopf des zerlumpten Bettlers auf. In seiner Rechten funkelte der blanke Lauf eines Revolvers.

Pepe, der Zambo, saß in der Ecke des Diwans neben dem mit Champagnerflaschen besetzten Tisch. Er war nicht alt, nicht jung, es war ein nicht zu taxierender, bartloser Indianer mit Adlernase und schwarzem, straffem Haar, das ihm bis auf die Schultern hing, zugleich war er ja auch der Sohn einer Mulattin, es mochte ein recht hübsches, dunkles Terzeronengesicht sein, war aber über und über mit Narben bedeckt, dennoch dadurch nicht entstellt, und die jetzt gläsernen Augen mochten sonst wohl auch den durchdringenden Blick des Adlers besitzen. Pepe, der Zambo, konnte kein Alltagsmensch sein, auch nicht, wenn man von allen Aeußerlichkeiten absah, das lag schon in der Nase und im Auge, mochte dieses jetzt auch gläsern sein. Er trug ein Kostüm, das man für gewöhnlich ein mexikanisches nennt, das mit Fransen besetzte Beinkleid oben trikotartig eng und unten trichterförmig weit, die kurze, vorn offne Samtweste mit Goldstickereien und Goldknöpfen verschwenderisch verziert, daraus quollen die schneeweißen Hemdsärmel in Puffen hervor, und dazu kam auch noch alles, was zum mexikanischen Maskenballkostüm gehört, von den unvermeidlichen Silberpfundsporen an bis zudem ebenso unvermeidlichen Revolver und Dolch in der Serape. Nur daß dies ein echter sogenannter Mexikaner war und der Dolch eine wirkliche Klinge besaß, die man auch aus der Scheide ziehen konnte.

Dazu paßte das schöne Weib, das auf Pepes Schoß saß und den lilienweißen Arm um seinen braunen Hals schlang. Auch sie trug ein sogenanntes mexikanisches Kostüm, ein kurzes, buntgestreiftes Röckchen, zwischen dessen Saum und den zierlichen Knopfstiefelchen ein gut Teil von den schwarzen, durchbrochenen Seidenstrümpfchen zu sehen war, hinter denen es wiederum in verführerischem Weiß schimmerte, ein spitzenbesetztes, tiefausgeschnittenes Mieder, sonst allerdings keinen Schmuck.

Es war ein schönes Paar. Sie paßten zusammen, besonders durch die Gleichartigkeit ihres Kostüms.

Er hielt sie umschlungen und sie ihn, und mit der freien Hand füllte sie ein großes Glas mit Champagner.

»Trink, Pepe, trink! Nein, du bekommst keinen Kuß, als bis du dieses Glas geleert hast. Wir wollen anstoßen, also noch einmal: Hoch lebe Seine Majestät Kaiser Pepe der Erste! Trink, Pepe!«

»Prost!« sagte der eintretende Flederwisch.

Was nun weiter folgte, geschah alles viel schneller, als es sich lesen läßt. Es kam auch zu keinem theatralischen Knalleffekt, kein Schuß fiel, kein Dolch wurde gezogen, alles spielte sich ganz harmlos ab in nur wenigen Sekunden. Flederwisch nahm eben nie ein Vorbild zu seinem Handeln; er ging immer seinen eignen Weg.

»Und hurre, hurre, hopp hopp hopp, ging's fort in sausendem Galopp – graut Liebchen auch vor Toten?« sagte er in seinem gewöhnlichen, spöttischen Tone, als er schnellen, elastischen Ganges durch das Zimmer schritt.

Carmencita sah die Gestalt in Flausrock und Seestiefeln, sie stieß einen kreischenden Schrei aus, da aber stand er schon dicht vor ihr und legte ihr die Hand auf die nackte Schulter.

»Ach so, du verstehst kein Deutsch. Komm, du sollst es lernen. Jawohl, ich bin's, kein Geist, ich bin Flederwisch, der Kapitän der Frithjof. Komm, Liebchen! So komm doch!«

Er faßte ihren Arm, noch ein entsetztes Kreischen, sie wollte sich an den Mann, auf dessen Schoße sie noch saß, klammern, da hatte er sie mit einem kleinen Ruck herabgezogen, sie taumelte einige Schritte, sträubte sich, dann saß sie plötzlich wie ein Kind auf seinem Arm.

»Hilfe – Pepe – rette mich!« erklang es noch einmal zeternd, und das Zimmer war leer.

Denn der Mann auf dem Sofa hatte für Flederwisch nicht existiert. Keines Blickes hatte er ihn gewürdigt.

Wie gelähmt saß der Zambo da, das grau gewordene Gesicht verzerrt, den Mund weit geöffnet, stier nach der Türe blickend, durch welche die Erscheinung verschwunden war. Dann bewegte er langsam wie ein Automat den Kopf, er ließ sein Auge durch das ganze Zimmer wandern. Und als er darauf aufsprang, daß er den Tisch mit den Flaschen umstürzte, und mit einem gellenden Geheul hinausrannte, nicht vor Geisterangst, denn seine Faust umklammerte den Revolver, da sprengte Flederwisch schon mit verhängten Zügeln aus der Estancia auf die Pampas hinaus, vor sich im Sattel das halbnackte Weib in den Poncho gewickelt.

Ihm nach auf dem Gauchopferde, das er doch zum Galopp zu zwingen verstand, Nobody, aber immer in genügendem Abstande, daß der Schützling den Schützer nicht sehen konnte.

Hinter ihnen wurde es lebendig. Erst ertönten einzelne Rufe und Schreie, einige Schüsse fielen – es konnten nur Signalschüsse sein – dann ein vereinigtes Wutgeheul, als ob die ganze Hölle entfesselt sei. Hier galt es schnell handeln, Flederwisch mußte einen genügenden Vorsprung bekommen, denn wurde er eingeholt, dann war er verloren, zumindest wurde ihm seine Beute entrissen. Mit der ihm eignen Entschlossenheit sprang Nobody vom Pferde, hinter demselben Deckung suchend. Da brauste schon ein Reitertrupp heran, an dessen Spitze, auf ungesatteltem Pferde, der trunkene Zambo. Jetzt hatten sie Nobody erreicht, schnell hintereinander krachten Schüsse, und in wirrem Knäuel wälzten sich Rosse und Reiter am Boden. Nobody war, wie wir wissen, ein vorzüglicher Schütze, er hatte die Menschen geschont und nur die Pferde getötet, aber sein Zweck war erreicht, Flederwisch war vor der Verfolgung gerettet. Die allgemeine Verwirrung benutzend, schwang Nobody sich wieder in den Sattel und jagte dem Freunde nach.

Bis zum um sechs Uhr anbrechenden Morgen waren es noch Stunden, als Flederwisch langsam durch die menschenleeren Straßen ritt.

»Paul, ich beschwöre dich ...« hatte Carmencita einmal begonnen.

»Schwöre nicht, sprich nicht!« war seine unterbrechende Antwort gewesen, und still und zitternd hatte sie von da an in seinem Arm gelegen.

Die Schiffsglocken im Hafen schlugen acht Glasen – vier Uhr – als Flederwisch vor dem Laufbrett der Frithjof hielt.

»Wache!«

Der wachegehende Matrose sprang an die Reling und erkannte im Scheine der Laterne den Kapitän.

»Alles wohl an Bord, Steuerbord hat Wache!« meldete er in singendem Tone.

»Wecke drei Mann der Wache!«

Im Hafen konnten sich die Matrosen der Wache bis auf einen in die Koje legen, aber nur völlig angekleidet.

Der Mann war kaum gegangen – oder vielmehr davongerannt, denn ein Gehn unter Kommando gibt es an Bord nicht – als die drei Matrosen schon vor dem Kapitän standen, wenn auch noch schlaftrunken.

Er stieg aus dem Sattel und hob das Weib herab. Den einen schickte er mit dem Pferde nach dem Stall, den zweiten ins Hotel zu Manuel, der dritte mußte ihm aus dem Kartenhaus Schlüssel Nummer sechs holen.

»Gib mir den Banknagel dort her,« sagte er, an Deck stehend, Carmencita am Arm haltend, zu dem dritten Matrosen, der ihm den Schlüssel gebracht, »nicht den hölzernen – den eisernen, den großen.«

In der Reling stecken die sogenannten Coffé- oder Banknägel, an denen die Brassen und das andre laufende Gut, die beweglichen Taue, befestigt werden. Das sind aber keine kleinen Nägel; der Banknagel, der Flederwisch gereicht wurde, glich vielmehr einer meterlangen, zolldicken Brechstange.

»Paul, was willst du tun?« kam es entsetzt von Carmencitas Lippen.

»Nichts, Liebchen, was du zu fürchten brauchtest. Ein Seemann muß eben an alles denken, auf See gibt's nichts mehr zu kaufen.«

Seine Hand nicht von ihrem Arme lassend, führte er sie in den Kajütengang, schloß eine Tür auf und schob das Weib in einen finstern Raum, zog draußen den Schlüssel ab und schloß innen wieder zu. Carmencita wußte nicht, wo sie sich befand. Er ließ sie los, sie hörte, wie er die Eisenstange an die Wand lehnte, Zeit verging, ein Streichholz flammte in seiner Hand auf, er zündete die Lampe an – aber noch immer achtete sie nicht auf ihre Umgebung, sie sah nur den Mann, an dessen Handgelenk die schwere Hetzpeitsche hing, sein düsteres Gesicht, das so schlecht zu dem sorglosen, spöttischen Tone paßte, den er noch immer anschlug, sie sah, wie er sorgsam das auf dem Boden glühende Streichholz austrat und dann die Bollaugen verschloß.

Diese, runde Fensterchen, sind mit sehr starken Glasscheiben versehen, außerdem können sie noch mit runden Eisenplatten zugeschraubt werden. Dies tat Flederwisch bei dem einen, und als er die Schraube nicht mehr mit den Händen drehen konnte, nahm er die Eisenstange zu Hilfe, steckte sie durch das Loch des Griffes, drehte und warf sich zuletzt mehrmals mit Wucht auf die Stange. Ebenso bedächtig verschloß er auch das zweite Bollauge. Es lag etwas Fürchterliches in dieser schweigenden Beschäftigung. Das Weib erbebte.

Dann sah er sich in dem Raume um, schloß die Türe auf, warf die Brechstange auf den Korridor und schloß wieder zu.

Auch Carmencita hatte jetzt ihrer Umgebung einen Blick geschenkt, und es gewährte ihr doch einige Beruhigung, als sie erkannte, daß sie sich nirgendwo anders befand als in dem für sie so luxuriös eingerichteten Schlafgemach.

»So,« sagte er, sich ihr wieder zuwendend, aber den Blick nach der Decke gerichtet, in der ebenfalls ein rundes Glasfenster eingelassen war, »hier wirst du bleiben, so lange wir im Hafen und im Dock liegen. Ein paar Wochen wirst du es schon aushalten können; edle Frauen haben schon manchmal andres erduldet. Das Deckauge werde ich öffnen lassen, daß es nicht an frischer Luft fehlt. Auch sonst soll es dir an nichts mangeln. Nun bloß noch eins, dann sind wir fertig.«

Er zog die Kuverts und Briefe aus der Tasche und hielt ihr die letztern vor die Augen.

»Was hast du meiner Schwester geschrieben? Antwort! Kein Wort weiter! Ich will nichts weiter hören!«

Sie sah ihn an, und sie gehorchte unter dem Banne seiner Augen. Einer Unwahrheit war sie jetzt nicht fähig, er wußte es.

»Daß du mit der ›Frithjof‹ untergegangen seist; – ich wollte es ihr nur schreiben, daß du tot wärest – ich tat es nicht – gab meine Absicht auf.«

»Gut! Und dieses Kuvert? Hast du dich bei Landschreiber über meine Vermögensverhältnisse erkundigt?«

»Ja,« hauchte sie zitternd.

»Und die Antwort lautete?«

»Ich müßte mich einige Wochen gedulden.«

»Gut!« Er wollte sich der Türe zuwenden und hatte keine weitern Fragen.

»Paul,« begann sie von neuem, und er blieb stehn, »ich beschwöre dich – ich schwöre dir – ich glaubte fest an deinen Tod – aber es ist doch nicht so, wie du denkst – du darfst mich nicht gefangen halten – zwischen mir und Pepe ist nichts vorgefallen ...«

Ein verächtliches Zischen unterbrach sie. Er stand vor ihr, die Arme über der Brust verschränkt.

»Denkst du, ich durchschaue nicht die ganze Komödie, die du gespielt hast?« sagte er höhnisch. »Ich habe heute schon schwerere Rätsel gelöst als dieses. Es wollte mir gleich nicht in den Kopf, daß du, die du Heirat in Gegenwart meiner Verwandten oder hunderttausend Piaster Bürgschaft von mir verlangtest, dich sofort dem Zambo an den Hals geworfen hättest, auch wenn er dich zur Kaiserin der Vereinigten Staaten von Südamerika zu machen versprach, und auch wenn dich jene Hexe, die du deine Tante nanntest, nicht mehr leitete. Du hattest ja schon genug von ihr gelernt. O, ich durchschaue alles und kann diesen Zambo recht genau taxieren. Du wolltest ihn reizen und reizen, bis er ganz sinnlos war und du mehr aus seinen Händen empfangen konntest als nur das leere Versprechen einer unsichtbaren Kaiserkrone – Heirat und Viehherden sind dir doch lieber, na, eine Krone nähmest du vielleicht ja auch mit – und damit du ihn so lange im Zaume hieltest, daß er nicht zu früh von dir abfiele, schenktest du ihm immer fleißig ein. Gewöhnlich sind's die besten und genialsten Menschen, die sich so übertölpeln lassen. Wenn sie am Ziele sein könnten, liegen sie betrunken da. – O, Carmencita, denkst du etwa, ich bin eifersüchtig?«

»Hüte dich, Paul!« fuhr sie zischend auf. »Pepe wird mich nicht vergessen und dich zu finden wissen.«

»Das ist's ja gerade, was ich will,« entgegnete Flederwisch mit unerschütterlicher Ruhe. »Nicht etwa, daß ich dich hier gefangen halte, weil mir an dir gelegen ist oder weil ich mich rächen will, nein, auf diesen Zambo habe ich es abgesehen. Hoffentlich begreift er die ihm widerfahrene Schmach und betritt gegen mich mit der zähen Rachsucht eines Indianers den Kriegspfad, damit ich ihm noch besser zeigen kann, was für ein Unterschied zwischen einem südamerikanischen Viehhirten und dem Kapitän der Frithjof ist.«

Schnell hatte sie ihre Worte bereut. Er war ruhig, es ließ sich mit ihm sprechen, er hatte sie geliebt – warum ihn reizen, wenn sie einen Vorteil gewinnen konnte, solange noch Zeit dazu war?

»Paul,« begann sie wieder in flehendem Tone, ihm die gefalteten Hände entgegenstreckend, »sei nicht so hart gegen mich – ich bin eine Farbige, du hast es selbst oft als Entschuldigungsgrund für mich angeführt, wenn ich dich einmal kränkte – ich habe dich geliebt – ich liebe dich noch jetzt – es war nur ein leichtfertiges Abenteuer, in das ich mich einließ – ich bin dir immer treu gewesen, nur dich habe ich geliebt, noch keinen andern – und wenn du mir nicht mehr glauben willst, so schwöre ich es dir beim Namen deiner Schwester, welche du so innig ...«

Erschrocken brach sie ab. Es war nur eine erkünstelte Ruhe gewesen. Flederwisch konnte sich nicht mehr beherrschen, das, was er im Innern fühlte, brach plötzlich hervor, der Name seiner Schwester hatte wie ein Stichwort gewirkt, plötzlich sah Carmencita sein Gesicht sich verzerren, ihn an allen Gliedern zittern.

»Schlange!« brachte er mit klappernden Zähnen hervor, es klang ächzend und gleichzeitig wie weinend, fast zu jedem Worte brauchte er einen Atemzug. »Schlange! Willst du mich wieder umwinden? Schon – einen – hast du gestochen. Was – du – schwörst beim Namen meiner Schwester? Schon – ein braver Mann mußte deinetwegen – da!«

Die Peitsche sauste pfeifend durch die Luft; aus Carmencitas Augen schoß ein Feuerstrom; sie fühlte einen furchtbar brennenden Schmerz im Gesicht und stürzte bewußtlos nieder.


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