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4. Ein Staatsauftrag

»Nun weißt du alles.«

Nobody sagte dies zu Lord Hannibal Roger, während sich dessen Jacht auf der Rückfahrt nach Tokio befand.

»Und was tust du jetzt?«

»Jetzt melde ich mich wieder als Baron Nogi zur Stelle. Natürlich nicht öffentlich. Baron Nogi ist ja tot, und ich bin als Betrüger entlarvt. Ich suche einfach meinen Vater auf, den alten Nogi, und von dem werde ich schon erfahren, an wen ich mich zu wenden habe, um weitere Instruktionen zu erhalten.«

»Wo willst du aber unterdessen gewesen sein?«

»Einfach auf der Flucht vor Verfolgern. Da erfinde ich schon irgend ein Märchen.«

»Da läufst du immer noch einmal Gefahr, als Pseudo-Baron entlarvt zu werden.«

»Sei ohne Sorge um mich! Ich habe die Feuerprobe bestanden – auch die Wasserprobe.«

»Und dann begibst du dich nach Petersburg?«

»Nein. Zunächst müßte ich mir einen Vollbart stehen lassen, und während dieser Zeit soll ich, soviel ich bis jetzt von dem gehört habe, was alles mit mir geplant ist, eine Reise als Kundschafter durch die Mandschurei machen, also wollen wir sagen, nach Petersburg den Landweg einschlagen. Diese Kundschaftstour durch die Mandschurei hängt natürlich eng mit jenem Kriegsplan zusammen, den ich erbeuten soll. Aber ich werde das nicht tun.«

»Was sonst?«

»Zunächst, wie ich dir schon gesagt habe, lasse ich mir wohl Ratschläge und Vorschläge erteilen, aber keine direkten Instruktionen, ich muß immer ganz freie Hand haben, und das ist mir ja auch schon zugesichert worden. Die Reise durch die Mandschurei freilich muß ich wohl machen, die trete ich auch an, dann aber ... werde ich verschwinden. Eines Tages wird man den Baron Nogi irgendwo als Leiche finden – oder doch seinen Tod bestätigen hören.«

Verständnislos blickte Lord Hannibal den Sprecher an.

»Höre ich recht? Nachdem du schon den echten Nogi hast aus der Welt verschwinden lassen, willst du nun auch als falscher Baron Nogi sterben? Nein, so ist es nicht – du bist ja eigentlich der echte Baron Nogi – oder eigentlich nicht – also du willst nun auch der falsche Pseudo-Baron Nogi ... mir wird ganz konfus im Kopfe.«

»Ja, die Sache wird immer komplizierter,« lachte Nobody. »Die Hauptsache ist die: ich lasse mich als Baron Kata Nogi durch die Mandschurei nach Petersburg schicken, werde aber mein Ziel nicht erreichen, sondern unterwegs verunglücken und dafür Sorge tragen, daß mein Tod denen, die mich geschickt haben, und in deren Auftrag ich sonst handle, bekannt wird.«

Der Lord staunte immer mehr.

»So willst du überhaupt gar nicht nach Petersburg?«

»Doch. Ich werde der Gräfin Urlewsky die Kur schneiden, werde den Kriegsplan erbeuten – aber nicht als Baron Nogi.«

»Als wer denn sonst?«

»Als irgend ein andrer Mensch, nur nicht als Baron Nogi.«

»Aber warum denn nur nicht?«

»Dazu habe ich meine besondern Gründe, die ich dir gleich offenbaren werde. Zunächst jedoch etwas andres, wobei du mir behilflich sein sollst! Kurzum, ich habe einen triftigen Grund, daß ich als Baron Nogi auf der Reise nach Petersburg tödlich verunglücke, um dann in Petersburg wieder als ein andrer auftreten zu können. Meinen Tod müßte auch Sayadamona erfahren. Das ließe sich nicht ändern. Aber das möchte ich dem armen Weibe nicht antun. Ich will die beiden wieder vereinen, den jungen Baron auch wieder mit seinen Kindern. Verstehst du?«

»Ganz und gar nicht.«

»Weil du ein Schwachkopf bist,« sagte Nobody, und die Freundschaft zwischen den beiden ging wohl schon so weit, daß er so sprechen durfte, und der englische Lord hatte gegen diesen ›Schwachkopf‹ auch gar nichts einzuwenden.

»Du weißt doch, was ich mit den sieben Japanern vorhabe,« fuhr Nobody fort.

»Das hast du mir ausführlich genug erzählt.«

»Nun wirst du die Güte haben, während ich mich meinen Vorgesetzten zur Disposition stelle, dich meiner Frau und der vierundzwanzig Kinder zu bemächtigen, die ganze Gesellschaft nach den Schwefelinseln zu bringen und sie gleichzeitig mit den sieben Japanern in den hohlen Berg zu sperren.«

Lord Roger sprang auf.

»Hölle und Teufel, sprichst du denn nur im Delirium?! Was hast du nun wieder vor? Was soll ich tun?«

»Dich meiner Frau und meiner vierundzwanzig Kinder bemächtigen,« wiederholte Nobody gleichmütig, »und sie mit dem echten Gatten und Vater wieder vereinen. Was ist weiter dabei? Du gibst ihnen einen Schlaftrunk ein, den ich dir präparieren werde, sie erwachen erst wieder in dem ummauertem Paradiese und werden die sieben Japaner vorfinden, die ich, wenn ich selbst nicht zugegen sein kann, gleichzeitig von Mr. Hawsken durch ein Stichwort aus ihrem hypnotischen Schlafe erwecken lasse, und dann ist die ganze Familie wieder hübsch zusammen – und hat außerdem noch sechs kräftige Männer als Gesellschafter, die der großen Familie in ihrer ummauerten Lage weiterhelfen können.«

»Ja, was um Gottes willen soll denn aber nun daraus werden?« rief der Lord. »Die erzählen sich doch nun alles!«

»Natürlich erzählen sie sich alles.«

»Und das stimmt doch alles nicht!«

»Was stimmt nicht?«

»Nun, zum Beispiel – der Baron Nogi erzählt doch jetzt seiner Frau, daß er gar nicht in Tokio gewesen ist, und Sayadamona versichert ihm, daß er sie und ihre beiden Kinder aus dem Wasser gerettet hat, wovon jenem gar nichts bewußt ist. Wo um Gottes willen soll denn das nur hinaus?!«

Nobody schnalzte verächtlich mit den Fingern.

»Mir ganz gleichgültig. Ende gut, alles gut!«

»Aber das nimmt kein gutes Ende! Die müssen ja auf der Stelle wahnsinnig werden!«

»Und ich versichere dir: sie werden nicht wahnsinnig – auf der Stelle nicht und später nicht! Bedenke doch nur: die aus ihrem langen, hypnotischen Schlafe erwachten Japaner haben ja überhaupt gar keine Ahnung vom ›Wo bin‹; – wenn sie sich noch auf etwas entsinnen können, so ist es das, daß der eiserne Dampfer, auf dem sie sich befanden, von einer hölzernen Dschonke in den Grund gerammt wurde, denn ich habe sie sofort, als sie aus dem Wasser gefischt wurden, in hypnotischen Schlaf versetzt.

»Nun sehen sie sich plötzlich in einem Paradiese, das von einer himmelhohen Mauer umschlossen ist, sehen ganz fremde Tiere und Bäume, sehen eine Frau und eine Menge Kinder, in denen der eine Japaner seine eignen erkennt – i, die denken ja, sie sind gestorben und befinden sich jetzt im Paradiese des Jenseits! Es sieht nur etwas anders aus, als ihnen die Buddha-Religion erzählt hat.«

»Und Sayadamona?«

»Die denkt ganz genau dasselbe. Die befindet sich ja jetzt schon in einem Traume. Nimm doch nur an, was die arme Frau in letzter Zeit alles durchgemacht hat! Erst kommt ihr Mann nicht wieder von der gefährlichen Segelpartie nach Hause, dann fällt sie ins Wasser, ihr Mann rettet sie, dann soll das gar nicht ihr Mann sein, dann ist er es doch wieder, dann ist er es immer wieder nicht, er bricht doch aus dem Gefängnis aus, dazwischen einmal seekrank ... i, die weiß ja schon jetzt nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, die wird glücklich sein, wenn sie erst im Himmel ist ...«

Nobody wurde plötzlich tiefsinnig. »Da möchte ich wahrhaftig dabeisein, wenn die alle zusammen erwachen,« murmelte er vor sich hin. »Wenn die Kinder jetzt verlangen, Papa Nogi soll mit ihnen im Himmel Schinkenklopfen spielen, was da Papa Nogi für ein Gesicht machen wird ...«

Aufblickend schnalzte Nobody wieder mit den Fingern.

»Gleichgültig, es wird gemacht! So dumm sind die Japaner nicht, daß sie nicht schnell genug merken, daß sie noch nicht im Nirwana sind, sondern noch auf der Erde; das Rätsel müssen sie ergründen, deshalb begehn sie auch keinen Selbstmord, das ist mir vorläufig die Hauptsache, und ferner, daß ich das nicht auf dem Gewissen habe, der unschuldigen Frau und den Kindern den Gatten und Vater geraubt zu haben. Ich bin eben ein Gemütsmensch.«

»Was nun Sayadamona und die Kinder anbetrifft,« fuhr Nobody nachdenklich fort,»so will ich bei denen noch eine besondere Vorsicht gebrauchen, um ihnen die letzte Zeit ihres irdischen Daseins wunderbar erscheinen zu lassen. Es wäre mir, als dem vermeintlichen Baron Nogi, ja ein leichtes, sie nach den Schwefelinseln zu locken, aber ich möchte gar nicht mehr mit ihnen in Berührung kommen, auch ihr Verschwinden aus dieser Welt muß sensationell sein. Und ich habe schon meinen Plan. Sayadamona wird nach wie vor, wenn das Wetter schön ist, ihre tägliche Spazierfahrt mit den Kindern auf der Bucht machen ...«

»Nachdem ihr das Unglück passiert ist?« fiel der Lord ein.

»Wenn du daran zweifelst, dann kennst du die Japaner schlecht. Diese Gondelpartien gehören überhaupt zur Anstandspflicht jeder vornehmen Japanerin, so wie es bei jedem gebildeten, bessersituierten Europäer Anstandspflicht ist, aller drei bis vier Wochen ein frisches Hemd anzuziehen ...«

»Oho!!« lachte Lord Hannibal.

»Unterbrich mich nicht immer, zügele deine Zunge, sonst binde ich sie dir fest!« warnte Nobody, der heute ausgezeichneter Laune zu sein schien. »Ja – von was sprachen wir gleich? – ach so, von den Fixsternen. Ja, mein lieber Hannibal, da bin ich nicht deiner Ansicht, daß unser Sonnensystem ...«

»Da mußt du doch erlauben, daß ich dich nochmals unterbreche,« lachte der andre wieder, »wir sprachen nicht von Fixsternen und Sonnensystemen, sondern von Sayadamona und ihren Kindern.«

»Ach so, richtig. Ja, ich kann sie und sämtliche Kinder wohl auch noch etwas weiter aufs Meer hinauslocken, das kann ich schon noch, vielleicht eine Vergnügungsfahrt nach einer Insel, und da plötzlich muß ein japanischer Pirat kommen, so ein Frauenseeräuber oder Seefrauenräuber, der kapert sie, packt sie, trichtert der ganzen Gesellschaft meinen Schlaftrunk ein – und wenn sie erwachen, denken sie, der Kerl hat sie abgemorkst, jetzt sind sie im Paradies – schrumm.«

»Hm,« brummte der Lord, »mir kommt die Sache etwas spanisch vor; aber du hast schon verrücktere Ideen gehabt, und dann, wenn du sie wirklich ausgeführt hattest, waren sie immer gut gewesen. – Da mußt du aber erst einen japanischen Frauenseeräuber oder Seefrauenräuber dazu finden.«

»Habe ich schon gefunden.«

»Aber keinen echten.«

»Einen ganz waschechten. Du kennst ihn sogar gut.«

»Ich soll ihn kennen?«

»Sogar sehr gut.«

»Wie heißt er denn?«

»Lord Hannibal Roger heißt er, und dort sitzt er,« sagte Nobody, in den Spiegel deutend, daß sich der Lord selber sah. »Na, nun tue mal bloß nicht so! Mit deiner zerknutschten Krawatte siehst du nicht viel anders aus, als ein Seebandit, und gewaschen scheinst du dich heute morgen auch noch nicht zu haben.«

»Und du scheinst heute morgen in recht vergnügter Stimmung zu sein.«

»Mein Gott, ich bin froh, daß mir gestern nacht nicht die große Dynamitbombe auf den Kopf gefallen ist. Soll man da nicht vergnügt sein? Also du wirst die Rolle dieses japanischen Seeräubers übernehmen, wirst deine Matrosen maskieren, und damit basta!«

Nobody setzte seinen Plan weiter auseinander, und Lord Hannibal griff sich während des Zuhörens mehrmals an seine zerknutschte Halsbinde.

»Du, das kann gefährlich werden,« meinte er dann.

»Wenn's nicht wäre, dann machte es ja gar keinen Spaß.«

»Ja, wenn ich aber dabei gefaßt werde?«

»Dann geschähe dir Tölpel ganz recht.«

»Dann macht man mich einen Kopf kürzer.«

»Und das geschähe dir ebenfalls ganz recht. Was machte das überhaupt? Du wirst immer wieder geboren.«

»Du, an diesen Zauber glaube ich nicht.«

»Du hast aber daran zu glauben!!« donnerte Nobody ihn an. »Wenn du in meinem Auftrage die Rolle eines japanischen Seeräubers spielst, dann bist du eben auch ein Japaner, dann bist du auch ein Buddhist, und als solcher hast du an eine Wiedergeburt zu glauben, das ist deine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, und deshalb hast du dir auch ganz ruhig den Kopf abhacken zu lassen, ohne hinterher noch eine Beschwerde anzubringen. Verstanden?!«

»Ich gehorche,« murmelte Lord Hannibal dumpf und sank wie gebrochen in seinen Stuhl zurück – aber nicht etwa, daß ihn Nobody hypnotisiert hätte.

So ging das zwischen den beiden Freunden noch eine Weile weiter, das war so ihre gewöhnliche Weise, wenn sie sich unterhielten. Denn bei Lord Hannibal Roger war es ja ganz selbstverständlich, daß er auf so etwas sofort einging.

Dann kam Nobody auf das ursprüngliche Thema zurück.

»Warum ich nicht als Baron Nogi nach Petersburg gehn will, und weshalb ich dann als Baron Nogi meinen Tod finden muß? Hierzu habe ich die verschiedensten Gründe. Ich will dir nur die drei handgreiflichsten anführen, die feinern würdest du doch nicht verstehn.

»Erstens: ich habe keine Lust, auf Schusters Rappen die ganze Mandschurei zu durchqueren, was die von mir verlangen werden, das kann ich später vielleicht einmal machen, wenn ich erst die Kopie des Kriegsplanes in der Tasche habe, aber jetzt halte ich solch eine Kundschaftsreise überhaupt zu verfrüht. Vielleicht können noch Jahrzehnte vergehn, ehe es zwischen Rußland und Japan zum unausbleiblichen Kriege kommt, und wer weiß, wie es dann in der Mandschurei aussieht. Dann schießen die Tungusen die jetzt noch ihre Fitschepfeile haben, vielleicht schon mit elektrischen Kanonen ...«

»Oder mit elektrischen Fitschepfeilen,« ergänzte der Lord.

»Zweitens: Als Baron Nogi, von dem hier bekannt ist, was er in Petersburg treibt und beabsichtigt, könnte mir auf die Finger gepaßt werden, und das behagt mir nicht. Und nun drittens ... das ist die Hauptsache!«

Nobody lehnte sich in dem Stuhle zurück, schlug die Beine übereinander, kreuzte die Arme und nahm eine sehr gravitätische Haltung an, warf sogar die Nase etwas in die Luft.

»Sieh, Hannibal,« fuhr er dann fort, »es ist dir doch bekannt, daß ich unwiderstehlich bin.«

»Manchmal auch unausstehlich. Meinst du, daß dir kein Weib widerstehn kann?«

»Ja, das behaupte ich sogar.«

»Na, na, senke die Nase nur wieder etwas! Beweise von dieser deiner Unwiderstehlichkeit habe ich wenigstens noch nicht viel zu sehen bekommen.«

»Und ich gehe jede Wette mit ein, daß mir am dritten Tage, nachdem ich Petersburg betreten habe, diese Gräfin Anita Urlewsky zu Füßen liegt.«

»Das soll sie ja wohl so ziemlich bei jedem Abenteurer tun, wie du mir schon erzählt hast. Die Hauptsache aber ist, daß du von ihr die Kopie des Kriegsplanes bekommst.«

»Ich gehe jede Wette mit ein, daß ich am dritten Tage auch den Kriegsplan von ihr habe.«

»Gut, wetten,« sagte der Engländer sofort. »Ich glaube nicht, daß es so schnell geht. Was gilt die Wette?«

»Nein, lassen wir das! Ich bin meiner Sache zu sicher, und da zu wetten, ist nicht fair. Außerdem hat die Sache einen bösen Haken.«

»Welchen?«

»Ich habe schon eine Frau, und an dieser habe ich genug – übergenug!«

»Daran aber hättest du zuvor denken sollen, ehe du dich auf dieses Abenteuer einließt.«

»Und ich habe auch noch eine andre an meinem Halse hängen, du weißt, wen ich meine – Margarete. Dann bekäme ich noch eine dritte: Diese kapriziöse Gräfin Urlewsky verliebt sich in mich, dann werde ich die auch nicht wieder los. Außerdem mag ich das meiner Frau nicht antun, denn mit der Gräfin müßte ich doch kräftig poussieren, um ihr den Kriegsplan abzulocken. Trotzdem aber will ich sie auf meine Insel haben, denn nach allem, was ich von ihr gehört habe, gefällt mir diese Gräfin, die muß eine der Unsrigen werden.«

»Ja, wie läßt sich das aber alles miteinander vereinen?«

»Da muß einfach ein andrer von uns die Rolle des glühenden Liebhabers übernehmen, und ich stecke dahinter, daß alles klappt.«

»Das ginge!« rief der Lord. »Wen würdest du dazu vorschlagen? An wen denkst du?«

»Ich habe meinen Mann schon dazu bestimmt.«

»Wer ist es?«

»Dort sitzt er.« Nobody deutete wiederum in den Wandspiegel, daß Lord Roger sich selber sah.

»Alfred, ich bitte dich ...«

»Ja, Hannibal, das hilft dir alles nichts – mein Entschluß ist ganz bestimmt gefaßt, und du wirst ihn mir nicht zerstören: Du mußt die Gräfin Urlewsky heiraten! Basta!«

Noch faßte Lord Roger diesen befehlerischen Vorschlag nur als Scherz auf.

»Nun, auf eine kleine Liaison käme es mir nicht an. Es soll doch ein recht hübsches, ansehnliches Weib sein!«

»Liaison?« tat aber Nobody entrüstet. »Du hörst doch, daß sie auf unsre Insel soll! Dann kann sie mir auch ruhig den Kriegsplan ausliefern, dann gehört sie eben nicht mehr Rußland an, sondern sie gehört zu uns, und wir werden einst zu Japan halten. Und du sprichst von einer Liaison? Auf unsrer Insel? Du, da kämst du aber bei meiner Frau schön an!«

»Na, Alfred,« begann Hannibal jetzt zu lächeln, »du verlangst doch nicht etwa, daß ich die Gräfin Urlewsky heiraten soll?«

»Und warum denn nicht?«

»So eine Abenteurerin!«

»Und was bist denn du?!« wurde Nobody jetzt grob.

Da richtete sich der junge Lord stolz empor.

»Weißt du, wer ich bin?«

»Na, wer denn?«

»Ich bin ein englischer Lord und Peer!«

»Weiter nischt? Und weißt du, wer ich bin?«

»Ein hinausgeschmissener Prinz.«

»Jawohl, und das ist etwas ganz andres als ein englischer Lord, denn dafür, daß du's bist, kannst du gar nichts, in die Lordschaft bist du ohne Verdienste hineingeboren worden, mir aber hat es Mühe genug gekostet, ehe man mich aus meiner Herrlichkeit hinauswarf!«

Der Lord lachte. Es war überhaupt sehr die Frage, ob seine stolze Entrüstung vorhin ernst gewesen war. Dann aber schüttelte er den Kopf, an dessen Schläfen sich das Haar bedenklich lichtete.

»Nee, Alfred, nee – wenn ich durch den Niagarastrudel schwimmen soll, dir zuliebe will ich's tun – aber heiraten? – nee, Alfred, nee – ich habe meine Haare in Ehren verloren!«

»Hannibal, sei kein Frosch,« begann Nobody wieder. »Du mußt mich doch nun kennen. Wenn ich so etwas vorhabe, dann mache ich doch auch etwas ganz Besonderes daraus. Die leitenden Personen, welche mich zum bestimmten Zwecke nach Petersburg schicken, denken, ich soll mich der Gräfin als liebegirrender Schwerenöter nähern, als galanter Ritter ohne Furcht und Tadel und so weiter und so weiter, bis ich sie besiegt habe und mit ihr machen kann, was ich will. Aber das ist doch für mich nichts. Das kann jeder, der nur ein bißchen das Zeug in sich hat. So eine Liebesgeschichte mit endlichem Sieg kann man in jedem Romane lesen, aber ein Nobody wird das ganz anders anfangen. Das muß etwas Großartiges, etwas Sensationelles, Phänomenales, Pyramidales werden, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Abenteuer muß sich an Abenteuer reihen, daß ich dann später etwas für meine Zeitung zu erzählen habe – und darauf kommt es mir nämlich hauptsächlich an. Nun höre zu, was ich vorhabe!«

Nobody begann seine Pläne dem Freunde auseinanderzusetzen, und dieser lauschte wie ein Mäuschen, und immer mehr leuchteten die sonst so kalten Augen des phlegmatischen Lords auf, und wenn er manchmal den Sprecher unterbrach, so waren es Rufe der Begeisterung.

»Wahrhaftig, das ist endlich einmal etwas in diesem langweiligen Leben, das machen wir!!« rief er zuletzt enthusiastisch.

»Na, sagte ich es nicht, daß du ein Frosch bist? Du mußt nur erst einmal galvanisiert werden.«

Gleich darauf aber wurde der Lord wieder nachdenklich.

»Also nur als mein Diener willst du dabei auftreten?«

»Nur als der gehorsame Diener des verrückten Lord Roger.«

»Aber im Grunde genommen bist du doch der Hauptmacher und auch in Wirklichkeit immer die handelnde Person.«

»Natürlich, du hast nichts weiter zu tun, als mir nur zu befehlen, und was du mir zu befehlen hast, sage ich dir erst.«

»Gesetzt aber nun den Fall, diese Gräfin, von der du mir ein immer sympathischeres Bild entwirfst, tut es mir wirklich an, ich hätte wirklich starke Absichten auf sie ... nun bist aber doch du da, der eigentliche Herkules – da muß sich die Neigung der Gräfin doch ganz natürlich dir zuwenden. Wie willst du denn das nur verhindern?«

Nobody stand auf. »Warte eine Minute! Etwas Maskengarderobe habe ich ja auch hier an Bord. Ich will dir wenigstens ein ungefähres Bild davon geben, wie ich mich der Gräfin präsentieren werde.«

Er ging hinaus, kam, wie versprochen, schon nach einer Minute wieder herein, ein vollkommen andrer. Nobody hatte sich seinem Freunde gegenüber gezeigt, wie er in Wirklichkeit war, als ein ideal schöner Mann; von dem Japaner hatte er im Gegensatz zu seinem eigentlichen Aussehen nur noch das schwarze, kurz geschorene Haar behalten. Wie er nun wieder hereinkam, hatte er auf dem Kopfe eine mächtige Perücke, einen Wulst von schwarzen Haaren, die sich nach allen Richtungen sträubten, so eine Frisur zzziyyy à lazzz/iyyy Papua, auch zzziyyy à lazzz/iyyy Wahnsinn genannt. Das Gesicht wurde von einem schwarzen, struppigen Barte eingerahmt, welcher aber das Kinn frei ließ.

Und nun dieses Gesicht selbst!

Es war von einer abschreckenden Häßlichkeit. Der Verwandlungskünstler, der jede Gesichtsmuskel vollkommen in der Gewalt hatte und sie beliebig bewegen konnte, verstand es, sein Kinn weit vorzuschieben. Schon dadurch erhielt das Gesicht einen tierischen Ausdruck.

Nun aber kamen noch ein Paar kleine, bösartig funkelnde Augen hinzu, dann ein Paar wulstige Bratwurstlippen, welche von einem Ohr bis zum andern zu reichen schienen ... kurz, eine Physiognomie von abschreckendster Häßlichkeit, welche gar nicht zu beschreiben ist.

Lord Roger fand einen Ausdruck dafür.

Nachdem der phlegmatische Engländer den vor ihm Stehenden zur Genüge betrachtet hatte, ohne ein Wort zu verlieren, zog er bedächtig einen goldenen Klemmer aus der Westentasche, putzte bedächtig die Gläser, setzte ihn bedächtig auf, und dann endlich kam es bedächtig aus seinem Munde:

»Alfred, du siehst gerade aus wie 'n böser Affe!«

Der böse Affe öffnete die Bratwurstlippen, fletschte die Zähne, grunzte und wackelte mit den Ohren.

»Pfui Deibel!! Höre auf, mir graut vor dir!«

Das Zähnefletschen ward eingestellt.

»Glaubst du, Hannibal, daß ich unter dieser Maske das Wohlgefallen der schönen Gräfin erregen werde?«

Lord Roger setzte lange an, ehe er Worte fand. »Alfred, wenn du mit diesem Aussehen auch nur das Herz einer fettduftenden Hottentottin betören kannst, dann ... sollst du fernerhin Lord Roger sein – und ich dein Sklave!«

An Deck liefen Schritte hin und her.

»Mylord Kapitän!« erklang es oben.

Lord Roger eilte hinaus, zu sehen, was es gäbe.

Schattenhaft verwandelte sich das Gesicht des Zurückgebliebenen, es waren nur noch die Haare des Affenmenschen, und ein Lächeln umspielte die feingeschnittenen Lippen, als Nobody wie warnend den erhobenen Zeigefinger nach der Türe schüttelte, welche sich hinter Lord Roger geschlossen hatte.

»Hannibal, Hannibal,« sagte er leise, aber jedes Wort betonend, »wenn es eine Wette gälte, so hättest du verspielt. Du willst die Frauenherzen studiert haben, aber du kennst sie noch lange nicht! Und darauf eben kommt es mir an: ich will dir einmal beweisen, wie sehr du dich irrst in den Frauenherzen – ich böser Affe, wie du mich genannt hast, will es sein, der die schöne Gräfin zwingt – bis sie dem häßlichen Affen zu Füßen liegt und ihn um seine Liebe anfleht!«

 

Wir wollen nicht die Ereignisse in Tokio verfolgen, sondern nur erwähnen, daß die Aufregung groß war, als es bekannt wurde, wie ein fremder Abenteurer es versucht hatte, die Rolle des auf einer Segelfahrt verunglückten Barons Kata Nogi, des Lieblings des Volkes, zu spielen.

Leider war der falsche Baron, dem sein Betrug bald geglückt wäre, seiner Strafe durch Flucht aus dem Untersuchungsgefängnisse entgangen.

Es mußte übrigens ein verwegener Mann sein, dieser Abenteurer, er hatte seine Flucht unter den schwierigsten Umständen ausgeführt, und dabei trotz aller Sicherheitsmaßregeln mit der wunderbarsten Leichtigkeit.

Natürlich, es sollte ja auch kein andrer gewesen sein als jener Nobody, der amerikanische Detektiv.

So begann man sich jetzt sogar in Japan für Nobody zu interessieren – diesem durchaus nicht zum Schaden, nur mußte er sich später von diesem falschen Verdachte, der durch eine seltsame Verkettung von Zufällen entstanden war, in Wirklichkeit aber den Tatsachen entsprach, wieder zu reinigen wissen.

Noch größer war die Aufregung in Tokio, als sich mit Blitzesschnelle die Nachricht verbreitete, daß die Baronin Sayadamona Nogi nebst sämtlichen Kindern das Opfer einer Gondelpartie geworden sei.

Sie hatte mit ihren 24 Kindern, von zwei Knechten gerudert, eine ungewöhnlich weite Bootsfahrt angetreten. Eine entfernte Insel sollte das Ziel sein! Keiner der Bootsinsassen kehrte wieder zurück.

Am andern Tage fand man auf offner See eine japanische Gondel treiben, welche als die der Baronin erkannt wurde. Von den Insassen fehlte jede Spur.

Man durfte nicht ohne Grund annehmen, daß die Baronin ein freiwilliges Ende gesucht und gefunden hatte, sie mochte ihren Mann nicht überleben, und mit sich in den Tod hatte sie ihre vaterlosen Kinder genommen – und wenn das auch einer Japanerin unähnlich sah, besonders in bezug auf die Kinder, so hatte man doch in letzter Zeit an der bedauernswerten Frau Zeichen von Schwermut bemerkt, und ein krankhafter Geist bricht alle Schranken, die ihm Erziehung auferlegt hat.

Aber es waren doch auch zwei Ruderer dabeigewesen! Diese konnte die zarte Frau doch schwerlich mit in den beabsichtigten Tod genommen haben.

Nein, hier lag ein Unglücksfall vor, der noch der Aufklärung bedurfte – aber nie aufgeklärt wurde.

Auf den Verdacht, daß ein Frauen- oder Kinderraub vorliegen könnte, kam man gar nicht. Lord Hannibal Roger hatte seine Sache als japanischer Seeräuber also sehr gut gemacht.

 

Rasselnd, fauchend, stöhnend fuhr der Eilzug aus dem Osten in die Bahnhofshalle ein, und sofort entwickelte sich jenes aufgeregte und aufregende Durcheinander, das stets mit der Ankunft eines Fernzuges verbunden ist. Hier in St. Petersburg aber machte es sich doppelt bemerkbar.

Schrille Pfeifensignale übertönten die Rufe der Bahnbeamten, das Krachen der aufgerissenen Coupétüren und das Geschrei, mit denen Packträger und Lohnkutscher den Reisenden ihre Dienste anboten. Dazu kam, daß den Wagen des Zuges eine wahre Musterkollektion von Volkstypen des unermeßlichen Zarenreiches entstieg, daß man neben dem schmutzigen, schlitzäugigen Baschkiren, der einmal, vielleicht zum ersten Male, die heilige Newastadt betrat, die hochelegante, französische Kokotte gewahrte, neben dem ordengeschmückten General den einfachen Dorfschulzen mit dem im Nacken glattverschnittenen Haar.

Trotzdem also Neugierige genug andres zu schauen gefunden hätten, war doch alsbald zu bemerken, daß die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf zwei Menschen richtete, die ebenfalls dem Zuge entstiegen waren.

Es waren zwei Männer, und zwar erkannte jeder, der einmal ein illustriertes Witzblatt durchgeblättert hatte, in dem ersten den gebornen Engländer, nicht nur an der charakteristischen Reisekleidung, welche diese Nation zu tragen liebt, sondern auch an dem steifen, gemessenen Benehmen und an der unerschütterlichen Gleichgültigkeit, mit der er die gaffende Menge durchquerte. Das war der englische Lord, wie er im Buche steht.

Das leise Lächeln und das laute Gelächter aber, das sein Anblick hervorrief, erstarb, als man des Dieners ansichtig wurde, der mit der Reisetasche seines Herrn beladen, hinter diesem einherschritt.

War das überhaupt ein Mensch oder war es ein halb gezähmter Affe?

Wie ein solcher sah er wahrhaftig aus mit dem papuamäßig vom Kopfe abstehenden, buschigen Haar, dem krausenähnlichen Bart, der die wulstig aufgeworfenen Lippen des fürchterlich breiten Mundes freiließ, und vor allem mit den bösartig funkelnden Augen, die tückisch den Neugierigen ins Gesicht starrten.

War das ein Ungetüm! Gar mancher bekreuzigte sich heimlich, aber merkwürdig, trotz alles Grauens, das ihnen der Anblick dieses Tiermenschen einflößte, konnte keiner die Augen von ihm lassen. Gar manche schöne und vornehme Dame, schaute wie gebannt auf die abscheuliche Mißgeburt, von der ein geheimnisvoller Zauber auszugehn schien.

»Lord Hannibal Roger! Lord Hannibal Roger!« schrie da eine laute Stimme.

Ein uniformierter Telegraphenbeamter tauchte in dem Menschengewühl auf. In der Rechten hielt er ein zusammengefaltetes Papier hoch – eine Depesche.

Einen einzigen Blick warf der steife Engländer auf seinen häßlichen Diener. Im nächsten Moment tauchte neben dem erschrockenen Beamten ein zähnefletschendes Ungetüm auf und entriß ihm mit der plumpen Tatze das Telegramm.

Eine Sekunde später stand der Affenmensch schon wieder vor seinem Gebieter und überreichte ihm demütig das Papier.

Lord Hannibal Roger steckte es gleichmütig in die Tasche seines gelben Staubmantels – auch in St. Petersburg war es Sommer geworden – und stelzte gravitätisch davon.

Als der Telegraphenbeamte sich von seinem Schrecken erholt hatte, war das seltsame Paar bereits in dem Gewühl verschwunden. Nur hier und da tauchte noch einmal der graue Zylinder des Engländers auf. Unter dem Gelächter der Umstehenden kehrte der verblüffte Beamte in sein Bureau zurück.

»Zum Hotel zzziyyy Pierre le Grand!zzz/iyyy« rief vor dem Bahnhofsgebäude der häßliche Diener dem nächsten Lohnkutscher zu. Der Lord stieg ein. Der Affenmensch legte das Gepäck neben ihn, schwang sich auf den Rücksitz, und fort ging's durch die Straßen der Newastadt, bis der Wagen vor dem Gasthause oder vielmehr vor dem protzigen Palast hielt, der sich als Hotel bezeichnen ließ.

Neues Erstaunen, neues Lächeln beim Hotelpersonal, vom Direktor herunter bis zum Portier, dann neuer Schrecken beim Anblick des Dieners! Aber hier war der Name Lord Rogers bekannt. Eine ganze Reihe teurer Zimmer war auf seinen Namen von Tokio aus telegraphisch bereits bestellt, und so geleitete der Chef selbst ehrerbietig seinen schwerreichen Gast in die für ihn bestimmten Appartements. »Befehlen Euer Herrlichkeit –« dienerte dort der Direktor.

»Allein sein!« kam es kurz aus dem Munde des Lords. Der Affenmensch fletschte die Zähne, und unter vielen Verbeugungen zog sich der Hotelgewaltige zurück.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, griff Lord Hannibal in die Tasche, brachte das Telegramm hervor, hielt es seinem Diener hin.

»Hier, Alfred!«

Die Mißgeburt mit dem schönen Namen ließ rücksichtslos das Gepäck zu Boden fallen, nahm die Depesche, erbrach sie und überflog sie.

»zzziyyy That's a business!zzz/iyyy Das ist ein Geschäft!« sagte er. Gleichzeitig hatte er schon ein Kursbuch gezogen, blätterte darin, rechnete schweigend einige Sekunden.

»Das klappt! Entschuldige, Hannibal, daß ich dich für kurze Zeit allein lassen muß. Ich habe einen kleinen Weg zu besorgen.«

»Nanu!« rief Lord Roger erstaunt. »Wohin willst du denn?«

»Vorläufig nach Hamburg!« entgegnete Nobody.

»Vorläufig? Was dann?« fragte sein Freund.

Nobody zuckte die Schultern.

»Was weiß ich? Vielleicht nach Amerika, nach Kalifornien!«

»Nach Kali – for – nien?«

»Nach Kalifornien mang die Goldgräber!« erwiderte Nobody.

»Und die Urlewsky?«

»Reißt uns nicht aus!«

»Ja, mein Gott, was – was willst du denn in Hamburg? Was hast du denn so Dringendes dort zu tun?«

»O, nichts. Ich will nur einen guten alten Freund dort besuchen!«

Lord Roger machte ein unsagbar dummes Gesicht.

»Und da läßt du alles im Stich?« fragte er.

»Warum denn nicht, wenn's bezahlt wird? Doch Scherz beiseite!« fügte er hinzu. »Mr. World braucht mich. Er hat unbändige Sehnsucht nach mir. Bitte, überzeuge dich!«

Nobody reichte dem Lord die erbrochene Depesche.

Gespannt nahm derselbe sie entgegen, aber kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, da rief er:

»zzziyyy Damn't!zzz/iyyy Das soll der Teufel lesen!«

»Nee, du!« erwiderte der Detektiv trocken.

»Aber ich kann's nicht. Das ist ja chiffriert!«

»Na, meinst du vielleicht, daß Mr. World ein Millionengeschäft in klaren Worten abschließt, he?«

»Ein Millionengeschäft?« wiederholte Roger, und dann setzte er hinzu: »Ich bitte dich, Alfred, kläre mich auf. Ich verstehe von alledem noch gar nichts!«

Nobody, der auch jetzt noch die Rolle als Affenmensch weiterspielte, verzog den breiten Mund zu einem häßlichen Grinsen, das ein Lächeln vorstellen sollte, nahm das Telegramm wieder an sich.

Es enthielt folgende Hieroglyphen:

xjdspr tcmyv mkfcyq dpiuto ppvg itxwgzsnzt xhsivu cocfflbimdmd ihszk«

»Da steht ja ganz deutlich,« sagte er, »folgendes: ›Nobody sofort Hamburg Indian Bill Goldfelder suchen. Staatsauftrag World.‹ »Wenn du das nicht lesen kannst, dann laß dir dein Schulgeld wiedergeben, Hannibal!« Das System der überaus schwierigen Chiffreschrift, deren sich Detektiv Nobody in Depeschen bediente, und das wohl keiner unserer Leser feststellen kann, zzziyyy trotzdemzzz/iyyy die Lösung gegeben ist, werden wir später an geeigneter Stelle genau und jedem verständlich mitteilen.

Lord Roger starrte seinen Freund jedoch, ohne ein Wort zu sprechen, verwundert an. Endlich murmelte er, mehr vor sich hin als zu Nobody gewendet: »Goldfelder suchen? Indian Bill? Staatsauftrag? Mir wird ganz dumm dabei im Kopfe. Soll ich da etwa wieder mit?«

»Daß du dich's nicht unterstehst!« fuhr der Detektiv auf. »Du bleibst hier, bis ich zurück bin, und daß du nichts ausplaudern darfst, das brauche ich dir wohl nicht erst zu sagen.«

»Du sprachst von einem Geschäft,« sagte Lord Roger.

»Freilich! Oder meinst du etwa, ich suchte umsonst verschwundene Goldfelder? Nee, ein Milliönchen muß da schon herausspringen!«

»Von verschwundenen Goldfeldern steht doch aber nichts in der Depesche!«

»Ist auch gar nicht nötig!« grinste Nobody.

»Woher weißt du es denn?«

»Daher!« Noboby tippte mit einem Zeigefinger an seine Stirn.

»Aber Goldfelder, die einmal entdeckt sind, können doch gar nicht wieder verschwinden!« beharrte Se. Herrlichkeit.

»Woher weißt denn du das?« versetzte jetzt der Detektiv.

»Das ist doch ganz ausgeschlossen, daß jemand, der eine Goldmine entdeckt hat, dieselbe nicht wiederfindet!«

»Sooo? Wenn du so sprichst, kannst du allerdings von derartigen Vorkommnissen nichts wissen, und da mir noch genügend Zeit bleibt, so will ich dir einige besonders markante derartige Fälle erzählen, die verbürgt und amtlich bestätigt sind.«

Nobody, der inzwischen gleich Lord Roger Platz genommen hatte, lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück und sagte dann:

»Vor einigen Jahren erschien im Fort Hickson, in den Shawangunk-Bergen gelegen, ein Bursche, der alle Taschen voll roher Goldklumpen hatte. Er erzählte von einem Goldfelde, das er entdeckt habe, das aber so verborgen läge, daß niemand es finden könne, es sei denn durch einen wunderbaren Zufall. Man schenkte ihm natürlich keinen Glauben. Wie sollte solch ein Goldfeld den umherspionierenden Schatzgräbern verborgen bleiben können! Der Bursche machte sich noch besonders dadurch lächerlich, daß er mehrere Millionen Dollar von dem verlangte, dem er den Ort verriet. Ein Sergeant des Forts ließ sich verführen, mit dem Manne zu gehn. Ihm wurden die Augen verbunden, und fort gings. Drei Tage später kamen die beiden zurück und brachten einen Goldklumpen von hundertundsechs Pfund Gewicht mit, im Werte von zwanzigtausend Dollar. Der Sergeant konnte nicht genug von dem unermeßlichen Reichtume erzählen, den seine Augen zu schauen bekommen hatten. Ein reicher englischer Kaufmann erwarb den Goldklumpen und schickte ihn als Merkwürdigkeit nach London in das britische Museum, wo er noch jetzt zu sehen ist. Diese und die folgenden Angaben beruhen auf Tatsachen.

»Nun wurde eine Expedition ausgerüstet; dem Entdecker, Mac Dudley hieß er, sollte der fünfte Teil der Ausbeute zufallen. Doch noch im Hof des Forts wurde Dudley durch den Huf eines ausschlagenden Pferdes vor die Brust getroffen, so daß er augenblicklich tot war. Der Sergeant, ein Spanier, namens Cesare Losana, erbot sich als Führer. Er hoffte, das Goldfeld wiederfinden zu können. Aber er und seine Begleiter haben monatelang umsonst gesucht, das Goldfeld war und blieb verschwunden. Losana wurde darüber wahnsinnig und starb später im Irrenhaus zu Carson im Staate Nevada.

»Ferner: An einem Julimorgen erschien in Los Angeles ein Mister Smith mit einer Anzahl Maulesel, mit Quarz beladen, das pro Tonne fünfhundert bis achthundert Dollar Gold enthielt. Der Glückliche, von allen Seiten bestürmt, die Lage der neuentdeckten Mine anzugeben, erklärte sich schließlich dazu bereit, vermochte sie jedoch trotz der genauesten Merkmale nicht wieder aufzufinden. Ein Betrug seinerseits scheint ausgeschlossen zu sein, denn aus Verzweiflung über die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen fiel Smith in tiefste Melancholie und hat sich selbst erhängt.

»Ein dritter Fall: Im Cheyenne River sollte eines Tages Gold entdeckt worden sein. Niemand glaubte daran. Ein Dutzend Burschen aber, die sehr geheimnisvoll taten, bildeten eine Expedition und reisten ab. Lange Zeit hörte man nichts wieder von ihnen, bis man endlich ihre skalpierten Leichname fand; neben ihnen lagen schwere Massen von Quarz, die zur Hälfte Gold enthielten. Die Unglücklichen waren auf der Rückreise überfallen und niedergemacht worden. Von wo sie das Gold geholt haben, ist bis auf den heutigen Tag ein Rätsel geblieben. In jener Gegend hat man nie welches gefunden.

»Der letzte Fall ist der seltsamste, doch einen direkten Beweis von seiner Wahrheit kann ich leider nicht erbringen. Zwei Jahre nach dem letztgeschilderten Vorfall gelangten drei Goldgräber, Galt, Ulrich und Stamfort nach mehrwöchentlichem Marsche an den Yukon. Eines Tages sahen sie einen See, in dem sich eine kleine Insel erhob, deren Quarzgestein von Gold glitzerte. Sie schwammen nach der Insel, die sie mit reinen Goldnuggets wie übersät fanden. Innerhalb sechs Wochen wollen sie 10.000 Pfund reines Gold gesammelt haben. Dann wurden sie von Indianern überfallen, Stamfort getötet, Ulrich und Galt zur Flucht gezwungen.

»Was aus Ulrich wurde, ist unbekannt. Galt erschien in völlig erschöpftem Zustande, aber, wie die Zeugen ausdrücklich versichern, in geistesnormaler Beschaffenheit in Bonners Ferry, erzählte sein Abenteuer und wollte nach dem Winter eine Expedition nach diesem Eldorado führen. Er hat es nicht wiedergefunden und lebt noch jetzt im Irrenhause von San Franzisko, von einer Insel schwatzend und mit Kieselsteinen spielend, die er für Gold hält. Alle diese verbürgten Fälle ergeben, daß es sehr wohl möglich ist, eine Goldmine zu finden und wieder zu verlieren.«

Nobody schwieg und strich dabei wie spielend über seine Hände. Die groben, plumpen Tatzen des Affenmenschen verwandelten sich – die aristokratisch feine Hand des abgedankten Prinzen kam wieder zum Vorschein.

Lord Roger achtete nicht darauf. Ihn beschäftigten die abenteuerlich klingenden Geschichten, die er eben gehört hatte.

»Wenn mir das jemand anders erzählt hätte als du,« sagte er endlich, »würde ich ihn für einen Aufschneider mit ausgezeichneter Phantasie halten – aber so! Und hier handelt es sich um ein derartiges Goldfeld, das entdeckt wurde und nicht wiedergefunden werden konnte?«

»Keinesfalls!« antwortete der Detektiv gelassen.

»Um was denn?«

»Das gehört nicht hierher. Ich kann es mir zwar denken, aber dir nichts sagen.«

»Wer ist denn dieser Indian Bill?« fragte der Lord.

»Den kennst du nicht?«

»Nein, habe noch nie von ihm gehört.«

»Aber von Buffalo Bill?«

»Vom Oberst Cody – ja.«

»Nun, Indian Bill ist gleich dem Colonel ein Westmann. Vermutlich gibt er in Hamburg mit einer Truppe Vorstellungen.«

»Du bist schon mit ihm zusammengetroffen?«

»Ja,« entgegnete Nobody kurz.

Lord Roger merkte, daß sein Freund ihm über Indian Bill keine weitere Auskunft geben würde, daher lenkte er das Gespräch auf ein andres Gebiet und fragte: »Was bedeutet denn das Wort ›Staatsauftrag

»Daß Uncle Sam Geld braucht und ich es ihm verschaffen soll.«

Nobody erhob sich. Ohne nach seiner Uhr zu sehen, wußte er, daß es Zeit war, sich nach dem Bahnhof zu begeben.

Wenige Striche mit den Fingern genügten, um seine schlanken Hände wieder in die Affentatzen zu verwandeln. Er nahm den Hut vom Tische, setzte ihn auf die Papuaperücke und wendete sich der Tür zu.

»Euer Herrlichkeit möge sich die Zeit nicht lang werden lassen,« sagte er zu dem erstaunten Lord.

Dieser sprang auf.

»Alfred!« rief er. »Du willst wirklich fort?«

»Wie du siehst!«

»Nach Hamburg?«

»Nach Hamburg,« wiederholte Nobody, und wieder verzerrte sich sein breiter Mund zu einem Grinsen.

»Nach Kalifornien?«

»Nach Kalifornien!«

»Und ich? Was soll ich sagen, wenn man mich über deinen Verbleib fragt?« stöhnte der Lord.

»Du hast dein einziges Taschentuch zu Hause gelassen, und ich muß es dir holen,« lachte Nobody, und hinaus war er.

In einer Troika fuhr er zum Bahnhof, löste die Karte, stieg in den Zug und dampfte nach Westen, um ›ein Geschäft zu machen‹, um ein ›Milliönchen‹ zu verdienen und nebenbei einem raffinierten Verbrecher auf die Spur zu kommen.

 

Die alte Hansastadt Hamburg hatte seit einigen Tagen ihre große ›Anziehungskraft‹ – great attractionzzz/iyyy‹, wie der Amerikaner sagt.

Indian Bill, der verwegene Westmann, über den tausend abenteuerliche Geschichten im Volke umliefen, war mit einer zahlreichen Truppe von Indianern, Cowboys, Jägern, mit Pferden und Büffeln eingetroffen und hatte auf einem freien Platze in der Nähe des altbekannten Vergnügungsortes St. Pauli seine Zelte aufgeschlagen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war der eingezäunte Raum von Tausenden Neugieriger umlagert. Heute sollte die erste Vorstellung stattfinden, und in langen, schwarzen Massen strömten die Leute zu Fuß, zu Wagen und zu Pferde aus der Stadt, um derselben beizuwohnen.

Die Reiter waren besonders Sportsmen und Offiziere in Zivil und in Uniform. Sie interessierte das verwegene Reitervolk, das im Sattel aufgewachsen war, ja ganz besonders.

Der Platz war wie eine Rennbahn eingerichtet: ringsum der eingezäunte Raum für Fußgänger, in der Mitte der Sattelplatz für Reiter und Wagen, an einer Seite die Tribüne. Das bunteste Bild bot der Sattelplatz. Hier tummelten sich in besondern Hürden die halbwilden Mustangs, die freien Rosse der Prärie, dazwischen die halbnackten, phantastisch bemalten und federgeschmückten Rothäute, seltsam abstechend gegen die Herren in eleganten Sommeranzügen und gegen die Offiziere in Uniform.

In der Mitte wurde ein prachtvoller Rotschimmel, ein Hengst andalusischer Abstammung, mit dem mexikanischen Sattel belegt, daneben stand Indian Bill, umringt von Offizieren und Sportsleuten.

Der Colonel war eine auffallende Erscheinung, ein Mann, in dem jedes Weib ein Ideal von Männerschönheit erblickt hätte.

Wohl über sechs Fuß hoch und breitschultrig, besaß er doch einen schlanken Wuchs, der die Stärke der Eiche mit der Elastizität des Rohres vereinigte. Auf den breiten Schultern saß ein Kopf, wie er schöner nicht gedacht werden konnte. Der breite Rand des Hutes beschattete ein tiefbraunes Gesicht, lange kohlschwarze Locken quollen darunter hervor, bis auf den Rücken fallend, ebenso schwarz war auch der wohlgepflegte Bart, und die großen, blauen Augen blickten kühn und durchdringend. Aber merkwürdig, diesem Antlitz war ein tiefer, melancholischer Ernst eigen.

Indian Bill trug einen Anzug von schwarzem Samt, dessen Beinkleider unten fast unförmlich weit waren; statt des Kragens schlang sich ein Seidentuch lose um den muskulösen, ebenfalls tiefgebräunten Hals; die Zipfel ließen noch etwas das buntgestreifte Hemd sehen.

»Ich halte die Wette,« lächelte der Colonel, liebkosend den Hals des Rosses klopfend. »Wer von den Herren dieses Tier einmal um den Sattelplatz zu reiten vermag, dem gehört es.«

»Nicht möglich, Sie scherzen!« erklang es von allen Seiten.

»Sie können es nach der Vorstellung probieren. Ich will Ihnen erst zeigen, was Darling leisten kann.«

»Sie sprachen von einer Wette,« meinte ein Dragoneroffizier, ein Sportsman, »was sollen wir dagegen setzen?«

»Nichts als Ihre Ehre. Zwingen Sie Darling einmal um den Platz, trete ich ihn Ihnen ab. Im andern Falle bekennen Sie, ihn nicht reiten zu können.«

»Es gilt! Ich werde ihn bezwingen. Er soll einmal die Schenkel eines deutschen Offiziers zu spüren bekommen. Schonen werde ich ihn nicht, das versichre ich Ihnen.«

»Er wird Sie abwerfen.«

»Oho!«

Auf den Gesichtern der Umstehenden spiegelte sich ungläubiges Lächeln wider. Der Offizier war als der beste und tollkühnste Reiter bekannt, der nicht aus dem Sattel zu bringen war, wenn sich das Tier nicht wälzte, und der erst kürzlich die Rutschbahn in einem Steinbruch mit seinem Tier benutzt hatte, um einen Weg zu sparen.

Die Herren wetteten untereinander, die meisten hielten gegen Indian Bill.

Dieser achtete nicht mehr darauf. Er schwang sich, ohne den Steigbügel zu berühren, mit vollendeter Grazie in den Sattel seines edlen Rosses.

Die Vorstellung begann, arrangiert und beaufsichtigt von Indian Bill, der vorläufig noch nicht daran teilnahm.

Aus einer entfernt liegenden Hütte stürmten durch aufsteigende Raketen, geschwungene Tücher und Lärm erschreckt, eine Herde Büffel, hinter ihnen her gegen hundert berittene Indianer, mit Flinten, Lanzen, Pfeil und Bogen bewaffnet, in sausender Karriere, die Mustangs zu immer schnellerer Gangart antreibend. Die Indianer, mit befransten Lederhosen bekleidet, saßen auf den nackten Rücken der Rosse, nicht einmal der Steigbügel bedienten sie sich, und als Zügel benutzten sie einfache Halfter.

Ihre Haltung war durchweg eine schlechte, den Spott der des Reitens kundigen Zuschauer erweckend. Sie hingen förmlich auf den Rücken der Pferde und klammerten sich an deren Mähne fest.

Schnell hatten die Rothäute die Herde eingeholt, umzingelt, gellendes Geheul erfüllte die Luft, und nun begann ein Schauspiel, das jeden Spott verstummen ließ und auch den Mutigsten erbeben machte.

Unbekümmert um ihre eigne Person warfen sich die Reiter zwischen die höckrigen Ungetüme, Lanzen wurden geschwungen und stachen, Pfeile zischten, Gewehre krachten.

Ein Büffel nach dem andern stürzte, Pferde brachen zusammen und wälzten sich unter fürchterlichen Zuckungen am Boden. Im Nu aber waren die Reiter wieder auf den Beinen, warfen sich auf ein lebendiges Pferd, dessen Besitzer schon im Grase lag, oder sprangen vom stürzenden Roß auch gleich auf die Büffel, wie auf einer lebenden Brücke darüber hinwegeilend, dabei aber immer Pfeil auf Pfeil absendend oder die Lanze gebrauchend.

Nachdem die wilde Jagd einmal die Runde gemacht, war alles mit toten Büffeln, Pferden und Indianern bedeckt; einige der letztern schleppten sich fort, die Seite haltend, wo das mächtige Hörn eines Stieres sie getroffen hatte; reiterlose Pferde irrten umher, andre wälzten sich noch und gaben jene entsetzlichen Schmerzenslaute von sich, deren das Pferd fähig ist.

Nur wenige Zuschauer gab es, die in alledem das Spiel erkannten. Dies mußte ja blutige Wahrheit sein; Büffel, Pferde und Indianer lagen ja tot da oder waren dem Sterben nahe; eine blutende Rothaut schleppte sich mit vor Schmerz entstellten Zügen an der Barriere vorüber.

»Sind denn die wirklich tot?« flüsterte eine Dame mit stockendem Atem neben dem alles beobachtenden Indian Bill.

»Möglichst viel Büffel zu töten, ist ja eben der Zweck der Jagd, mein Fräulein,« lächelte dieser. »Auf den Verlust von Pferden kommt es nicht an; die Indianer fangen sich neue, wie Sie dann sehen werden, und einige Menschen müssen bei solchen Jagden immer das Leben lassen, das ist der Kampf ums Dasein.«

Da – auf ein unmerklich gegebenes Zeichen sprangen plötzlich alle die Totgeglaubten, Tiere und Menschen, gleichzeitig auf und trotteten wohlgemut nach ihren Stationen, die Tiere in die Hürden an die Krippen, die Indianer nach dem Sattelplatz, um mit tiefem Ernst die Friedenspfeife zu rauchen.

Nicht alles war freilich unblutig verlaufen. Einige der Westmänner zeigten blutende Risse, andre hinkten, aber das schien sie nicht im geringsten zu genieren.

Mit wunderbarer Gewandtheit hatten sie sich den tödlichen Huftritten der über sie hinwegstürmenden Pferde und Büffel zu entziehen gewußt.

Stürmischer Beifall und nicht enden wollende Bravorufe belohnten die kühnen Männer.

Der zweite Teil der Vorstellung zeigte das Einfangen, Bändigen und Zureiten wilder Pferde. Wieder raste die tolle Jagd um den Platz, diesmal hinter Mustangs her; auch die Cow-boys beteiligten sich jetzt daran; die Lassos wirbelten durch die Luft und legten sich mit unfehlbarer Sicherheit um den Hals des ausgewählten Pferdes, das Sattelpferd stand, ein Ruck, und der Gefangene wurde zu Boden geschleudert.

Im nächsten Augenblick waren des Mustangs Hufgelenke zusammengekoppelt; dabei hatte man ihm doch Zeit gelassen, daß er sich aufrichten konnte; er wurde gesattelt, die Trense ihm ins Maul gezwängt, und wenn die Koppeln durchschnitten wurden, saß der Reiter auf dem Rücken des Tieres.

Ein furchtbarer Kampf zwischen Roß und Mann begann. Doch alles Bocken und Bäumen des erstern war vergebens, der Reiter saß wie angegossen, Sporen und Peitsche gebrauchend. Das Pferd suchte zu beißen, allein stets traf die eiserne Faust des Bändigers es auf die Nüstern. Mit voller Wucht warf es sich rücklings zu Boden, im Nu stand auch der Reiter auf den Füßen, und sprang es auf, so saß er ihm wieder auf dem Rücken.

Zehnmal wälzte es sich, und zehnmal tauchte der tollkühne Pferdebändiger unbeschädigt aus der Staubwolke wieder auf.

Dann wollte das Roß entfliehen, in voller Flucht ging es dahin, immer mehr noch angetrieben. Jetzt mußte es den Kopf an dem Kugelfang zerschmettern; aber da riß der Cow-boy den breitrandigen Filzhut vom Kopf und verdeckte dem Tiere die Augen – ein gewaltiger Seitensprung, und das Hindernis war vermieden.

Nicht immer ging es so glatt vonstatten. Manchmal stürzte nicht das gefangene Tier, sondern durch den Ruck wurde der Reiter aus dem Sattel geschleudert; in mächtigem Bogen flog er durch die Luft, und doch kam er stets auf die Füße zu stehn.

Kein Akrobat konnte genauer die Umdrehung des Körpers berechnen, als ein solcher Cow-boy, und das mußte er auch, denn kam er zu Falle, so wurde er zu Tode geschleift.

Der Cow-boy aber stemmte die mit drei Zoll langen Sporen bewaffneten Hacken auf den Boden, legte sich weit hintenüber und ließ sich so weiterschleppen, daß er tiefe Furchen wie mit einem Pfluge in den Rasen zog, bis das Pferd erschöpft dastand.

Dann griff der Mann sich Hand über Hand nach ihm hin, saß ihm mit einem Sprung auf dem Rücken, nötigte ihm den spanischen Zaum, den er über der Schulter trug, ins Maul und ritt es auch ohne Sattel zu.

Der spanische Zaum ist ein Marterwerkzeug. Der Reiter ist imstande, damit dem Tiere die Kiefern zu zermalmen.

Anders versuchten es die Indianer, vielleicht noch unbarmherziger.

»Der Mann des Ostens,« heißt es in Amerika, »reitet sein Pferd, bis es zusammenbrechen will; im Westen wird es gemartert, bis es tatsächlich zusammenbricht; der Indianer aber peitscht das gestürzte Pferd wieder auf und läßt nicht eher nach, als bis es unter ihm verendet.«

Der Spott war den zuschauenden Offizieren vergangen. Derartiges konnten sie freilich nicht leisten.

Diejenigen, die gegen Indian Bill gewettet hatten, bangten für den Verlust ihrer Einsätze.

Freilich ritt der Colonel keinen eben erst gebändigten Mustang, sondern ein wohldressiertes, andalusisches Pferd. –

Dann wurden Kämpfe zwischen Indianern und Cow-boys vorgeführt. Ueberfälle von Auswandrern und Wagenzügen durch Indianer und ähnliches, wie es auch manchem Leser zu sehen gegönnt gewesen ist.

Hier zeigte sich wieder die außerordentliche Dressur der Pferde.

Wie sie sich kurz vorher noch als vollkommen ungebändigt erwiesen hatten, waren sie jetzt wieder die Gelehrigkeit selbst. Der auf sie gerichtete Schuß streckte sie nieder, sie wälzten sich, wieherten den Todesschrei und blieben still liegen, bis das Zeichen zum Schluß alles wieder ins Leben rief.

Noch verharrte Indian Bill auf dem Andalusier wie eine aus Erz gegossene Statue. Ein kaum merklicher Wink, ein Pfiff genügte, um alles zu ordnen und zu leiten, einer Ausschreitung Schranken zu setzen.

Dem Platze, wo Cow-boys und Indianer friedlich rauchend auf Sätteln beieinander saßen oder auf dem Boden umherlagen, schritt ein Mann zu.

Er trug einen leichten, hellen Sommeranzug und einen Strohhut. In der Rechten hielt er ein dünnes Spazierstöckchen. So glich der Fremde also ganz den geschniegelten Modeherrchen, die drüben noch den Vorführungen der Wild-Westtruppe zusahen.

Nur ins Gesicht durfte man dem Gigerl nicht blicken, denn das paßte nicht zu dem Anzug. Es war tiefgebräunt von Sonne und Luft; die Züge waren scharf, doch edel geschnitten, und die Augen blickten kühn und wagemutig. Einen Bart trug der Mann nicht. Der energisch gezeichnete Mund war frei, und seltsam stach der fast rotbraun gebrannte Nacken von dem blendend weißen Leinenkragen ab.

Musternd ließ der Mann seine Blicke über die Leute des Indian Bill schweifen, dann schien er den Gesuchten gefunden zu haben. Rasch näherte er sich demselben. Es war eine echte, verwetterte Trappergestalt, wie wir sie aus Coopers Indianererzählungen kennen. Er rauchte aus einer abgebrochnen Tonpfeife, einem ›Nasenwärmer‹, süßlich riechenden, amerikanischen Plattentabak.

Der hellgekleidete Fremde trat neben den Alten – ein Griff – er hatte die Pfeife aus dessen Munde genommen und in seinen geschoben, so stand er da – die Hände in den Hosentaschen, den Stock unter dem linken Arm.

»Hölle und Teufel!« fluchte der Trapper aufspringend.

Im nächsten Moment funkelte dem frechen Gigerl der Lauf eines ›Sixshooters‹, eines sechsschüssigen Revolvers entgegen, neben dem Bowiemesser die beliebteste Waffe der Westmänner.

»'Ne feine Sorte, Charly!« lachte der Fremde ihn an. »So, da hast du deinen Nasenwärmer wieder!«

Kaltblütig gab er dem Trapper die Pfeife zurück.

Dieser hatte die schußbereit erhobene Waffe sinken lassen.

Wie entgeistert starrte er den Sprecher an. Endlich kam es über seine Lippen:

»zzziyyy Bless my eyes!zzz/iyyy Wenn das nicht Cutting Knife ist, soll mich der Satan mit Haut und Haaren holen!«

»Das tut er schon, wenn's Zeit ist, alter Junge!« lachte der Fremde, den der Westmann ›Cutting Knife‹ genannt hatte, das ›schneidende Messer‹. »Brauchst übrigens nicht so zu schreien, daß alle es hören.«

»Du bist's also wirklich?« rief Charly freudestrahlend. »Wir glaubten alle, du seist tot!«

»So schnell geht's mit dem Sterben nicht!« lachte Cutting Knife.

»Bst! Nicht so laut!« warnte da der Trapper mit gedämpfter Stimme. »Wenn Indian Bill hört, daß du hier bist, würde er wohl ein ernstes Wörtchen mit dir reden!«

»Ich will aber eben zu ihm!«

»Wie? Hast du denn ganz vergessen, daß –«

»Daß er mir einst ans Leben wollte?« vollendete Cutting Knife gleichmütig.

Charly nickte stumm.

»Na, sorg' dich nur meinetwegen nicht! Ich werde auch mit Bill noch fertig. Kannst ja zusehen!«

Mit kurzem Gruße entfernte sich der seltsame Gigerl und begab sich direkt nach der Arena, wo mittlerweile ein anderes Schauspiel sich entwickelt hatte.

Mit mächtigem Satze war ein kohlschwarzer Hengst über die Barriere der Arena gesprengt und umkreiste in rasendem Laufe den weiten Platz.

Das edle Tier trug einen Damensattel, und in diesem saß Mercedes de Barrameda, die tollkühne Gefährtin Indian Bills, eine wunderbar schöne Mexikanerin. Das mit reichen, bunten Stickereien verzierte, nur bis an das Knie reichende Kleid aus gelbem Hirschleder schloß sich eng an die graziöse, herrlich gewachsene Gestalt; der im Mokassin steckende kleine Fuß war mit einem gefährlichen Sporn bewaffnet.

Mit der Büchse auf dem Rücken, den Revolver an der Seite, den geschwungenen Lasso in der Hand, mit den wie im Sturm flatternden, schwarzen Locken glich auch sie einem jener verwegenen Cow-boys, nur daß alles von ihr mit einer unbeschreiblichen Grazie ausgeführt wurde.

Mit ihrer kleinen und doch gestählten Faust wußte sie das unbändige Roß zu regieren. Donnernder Applaus begrüßte die verwegene Reiterin.

Doch das kühne Reiterstücklein war nur ein Vorspiel gewesen. Indian Bill setzte ihr nach; nun begannen Evolutionen, bei denen sich das Haar der Zuschauer vor Entsetzen sträubte.

Diesen beiden war nichts unmöglich. Es war ihnen gleichgültig, ob sie den Sattel verloren, sie standen auf dem nackten Rücken des Pferdes, wechselten mit katzenartiger Behendigkeit die Tiere, schossen nach den ihnen gegebenen Zielen, ohne je zu fehlen; sechs Nägel, nur leicht in ein Holz gesteckt, wurden durch ebensoviel Revolverschüsse auf dreißig Meter Entfernung vom jagenden Pferde herab bis an den Kopf ins Brett getrieben, und in der Handhabung des Lassos kamen ihnen weder Cow-boys noch Indianer gleich.

Sie bestimmten, um welchen Fuß des fliehenden Pferdes sich die Schleife schlingen würde, und die Berechnung versagte nie, stets war der betreffende Fuß gefangen, mitten im Lauf traf ihn der Lasso.

Wer von den beiden dem andern an Kraft und Gewandtheit im Reiten, Schießen und Lassowerfen über war, konnte man nicht beurteilen. Auch die Cow-boys und Indianer, welche doch nichts andres kennen als derartige Uebungen, staunten immer wieder über die beiden.

Wie überall, so erscholl auch auf dem Sattelplatze donnernder Zuruf, als endlich Indian Bill und Mercedes aus den Sätteln glitten.

Man umringte sie und machte ihnen Komplimente. Bill wurde nicht weniger stürmisch von den Damen bewundert, als Mercedes von den Herren.

Kühl wies sie jedoch deren Lobeserhebungen zurück.

»Wenn Sie wie ich von klein auf mit Pferden und Waffen umgegangen wären, würden Sie es mir gleichtun,« sagte sie. »Was ist das überhaupt hier auf ebnem Rasen, wo weder Felsen noch Ströme zu überwinden sind!«

»Aber auch die Cow-boys üben sich von Jugend auf in derartigen Ausführungen,« wandte jemand ein, »und ihre Leistungen verschwinden doch gegen die Ihrigen.«

»Das kommt einfach daher, weil ich einen bessern Lehrmeister gehabt habe.«

Die Vorstellung hatte stundenlang gewährt. Es war später Nachmittag, aber noch fern von Sonnenuntergang. Die Zuschauer auf den Fußwegen verliefen sich, die Herrschaften auf dem Sattelplatz blieben, auch viele der Inhaber der Tribüne begaben sich zu ihnen. In mehreren Zelten war für Erfrischungen gesorgt.

»Colonel, ich erinnere Sie an Ihre Wette,« wandte sich der Dragoneroffizier an diesen.

»Haben Sie wirklich noch Lust, Darling zu reiten?«

»Oho, Sie werden beleidigend! Ich gebe zu, keinen Mustang bändigen zu können, wohl aber einen eingerittenen Gaul zum Gehorsam zu zwingen. Er ist doch gut eingeritten?«

»Vollkommen. Darling ist ein Luxuspferd, hat nie die Freiheit gesehen, ist ja auch beschlagen.«

Der Andalusier war zuletzt bei den wildesten Manövern nicht verwendet worden, hatte sich also schon wieder verschnauft und erholt.

»Wie wollen Sie ihn gesattelt haben?«

»Englischer Sattel, Trense und Kantare, falls er daran gewöhnt ist.«

»So ist er zugeritten worden, ich reite ihn stets so, nur bei den Vorstellungen benutze ich den mexikanischen Sattel, weil der englische zu nüchtern aussieht. Und dann darf ich Sie wohl bitten, so lange Darling noch mein ist, keine Sporen zu gebrauchen!«

»Weder Sporen noch Peitsche, ich bringe ihn doch in jede gewünschte Gangart.«

Auf des Amerikaners Befehl ward der Andalusier gesattelt. Als der Cow-boy aus dem Stall heraustrat, ließ er ihn los, und lustig wiehernd trabte das edle Roß auf Indian Bill zu. Dieser ging hin und her, und das Pferd folgte ihm wie ein Lamm.

»Ich erkläre also nochmals,« nahm er dann das Wort, »wenn jemand der Herren oder Damen dieses Pferd in irgend einer Gangart von der Stelle bringt – sagen wir von hier bis nach dem dort stehenden, vielleicht fünfzig Meter entfernten Pfahl – so gehört das Pferd ihm oder ihr.«

»Sie behaupten also. Sie allein könnten das Tier reiten?«

»Auf der ganzen Welt allein ich und Senora Mercedes, nicht, weil ich es ihr besonders zugeritten habe, sondern weil sie es eben imstande ist. Sie ist mir ebenbürtig darin.«

Er wandte den Kopf nach Mercedes, welche ein leises Zischen hatte hören lassen.

»Ah so, ich habe an etwas nicht gedacht,« fuhr er fort, »es gibt noch jemanden auf der Welt, dem ich es zutraue, daß er Darling zu reiten vermag. Wir sind also unsrer drei.«

»Wer ist das?«

»Er kommt nicht in Betracht, denn er ist nicht hier.«

Es war ein großer Kreis gebildet worden, welcher noch den bezeichneten Pfahl einschloß.

Indian Bill sprang in den Sattel und ritt das Pferd schulgerecht in den verschiedensten Gangarten mehrmals im Kreise.

»Es ist kein Geheimnis dabei,« sagte er, absteigend. »Darling ist aber so empfindlich, daß er nur den Reiter trägt, an dessen Hand er den Meister erkennt. Ich habe ihn sehr verwöhnt. Senora, wollen Sie ihn reiten?«

Wie eine Feder schnellte Mercedes auf den Herrensattel, nach Damenart darauf Platz nehmend, und lenkte das prächtige Roß durch Zungenschlag und Zügel in gleicher Weise wie Bill mehrmals um den Platz.

»So, Herr Leutnant, nun kommen Sie daran!«

Der Aufgeforderte hatte schon die Sporen abgeschnallt und die Reitgerte weggeworfen. Wie er sich aufschwang und mit einem Griff die Zügel ordnete, erkannte man den vollendeten Reiter.

Atemlos harrte die Menge. Viele bedauerten bereits Indian Bill, daß er das schöne Tier verlieren würde.

Da – durch den schlanken und doch überaus kräftigen Körper des Rosses ging ein leises Zittern, das Gesicht des Leutnants färbte sich plötzlich dunkelrot – das Pferd hatte dem leisen Zügelruck und dem Druck des Schenkels nicht gehorcht.

Jetzt wandte er mehr Kraft an, man sah, wie er die Schenkel zusammenpreßte.

Darling bäumte sich, schlug aus, doch der Reiter saß fest, konnte es aber ebensowenig von der Stelle bringen. Plötzlich krümmte sich das Pferd wie ein Aal zusammen, streckte sich blitzartig aus – und der Leutnant saß mit einem unbeschreiblich verdutzten Gesicht im Grase.

»Himmeldonnerwetter, so etwas ist mir doch noch nicht passiert!« platzte er endlich unter dem schallenden Gelächter der Umstehenden heraus.

»Hat noch jemand Lust, sein Glück zu versuchen?« fragte Indian Bill.

Ein zweiter Offizier flog beim ersten Bocken aus dem Sattel, ein andrer kam überhaupt nicht zum Sitzen, er fiel gleich wieder auf der andern Seite herab, obgleich er vorher das Pferd beruhigt hatte.

»Das wäre doch der Teufel,« ließ sich ein baumlanger Mann mit Reitgamaschen vernehmen, durch sein ganzes Aussehen den Landwirt verratend, »wenn ich den Racker nicht zum Gehn brächte! Erlauben Sie?«

»Bitte, versuchen Sie es!«

»Aber das sage ich Ihnen, ich quetsche dem Vieh die Luft ab oder zerbreche ihm die Rippen!«

»Immerzu, wenn Sie es vermögen!« lächelte der Colonel.

Die Beine des neuen Reiters waren so lang, daß sich die Stiefelhacken unter dem Bauche fast berührten.

Der Mann entwickelte eine ungeheure Kraft, das Pferd keuchte, es war, als wenn sein Leib zusammengeschnürt würde, und doch brachte es den Reiter mit einer ganz neuen, blitzschnellen Bewegung aus dem Sattel, ohne sich gewälzt zu haben.

Es wurden Cow-boys und Indianer gerufen.

Sie weigerten sich anfangs, weil sie Darling doch nicht vom Fleck brächten; sie wüßten es schon, sagten sie und mußten erst durch Geldgeschenke gewonnen werden, aufzusteigen.

Da sie den glatten Sattel nicht gewöhnt waren, rutschten sie hin und her, aber abzuwerfen waren sie doch nicht. Ebensowenig aber gelang es ihnen, das Pferd auch nur einen Schritt vorwärtszubringen, obgleich man ihnen ansah, wie sie alle ihre Kraft und Kunstfertigkeit gebrauchten.

»Es ist eben ein Geheimnis dabei!« rief der Dragoner.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf, daß dies nicht der Fall ist,« sagte Indian Bill ernst. »Existiert noch ein Reiter, der uns drei Erwähnten gleicht, so wird Darling ihm gehorchen. Auch die Sporen können seinen Trotz nicht brechen. Er würde lieber sich verbluten und zusammenbrechen, als nur einen Schritt tun, wenn er die kundige Hand nicht fühlt. Es ist wohl genug, Herr Leutnant?«

»Ich bekenne hiermit, daß ich dieses Pferd nicht zu reiten vermag,« kam der Offizier seinem Versprechen nach.

»Führt Darling in den Stall!«

»Halt, Herr Colonel!« ließ sich da eine Stimme hören. »Ich möchte Darling reiten!«

Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, wendete Indian Bill sich dem Sprecher zu.

Unsägliches Erstaunen prägte sich einen Moment in den dunklen Augen des Obersten aus, dann aber flackerten sie fast drohend auf.

»Cutting Knife!« kam es leise, niemandem sonst vernehmbar, über die Lippen Bills.

»Still!« gab der andre ebenso leise zurück. »Persönliches können wir später verhandeln – ich nenne mich jetzt Nobody.«

»Nobody, der Detektiv von Worlds Magazine?« rief Indian Bill, von neuem staunend.

»Nun, Herr Oberst, ist es mir erlaubt, das Pferd zu reiten?« fragte Nobody laut.

»Bitte, versuchen Sie Ihr Heil!« erwiderte der Gefragte, aber dann setzte er nochmals flüsternd hinzu: »Wozu das? Ich weiß ja, daß Sie Darling reiten können! Und dann – haben Sie Mercedes nicht gesehen?«

»Gerade ihretwegen will ich das Pferd reiten!« entgegnete Nobody ruhig, schritt zu dem Andalusier, streichelte ihm den schlanken Hals und schickte sich an, in den Sattel zu klettern.

Anders war der Vorgang nicht zu bezeichnen, denn der Unbekannte verfuhr mit einem außergewöhnlichen Phlegma.

Nachdem er sich die Steigbügel und das andre Sattelzeug nachdenklich betrachtet hatte, hob er langsam das Bein, setzte den Fuß in den Bügel, legte die Hand auf den Sattel und zog sich so bedächtig hoch.

Oben angelangt, brauchte er lange Zeit, ehe er richtig saß und die Zügel geordnet hatte. Dann blieb er ruhig und bewegungslos sitzen.

»Na, wie ein Reiter sieht der auch nicht aus!« ließen sich spöttische Stimmen im Publikum vernehmen.

Nobody rührte sich noch immer nicht, auch das Pferd stand wie eine Statue da, nur die Ohren spitzend. Anscheinend hatte ihm der Reiter noch nicht seine Absicht zu erkennen gegeben, daß er sich von diesem Platz entfernen wollte, sonst hätte er wohl schon unten gelegen.

»Los, Herr,« rief einer der Zuschauer, »zeigen Sie, mit welchem Phlegma ein Gentleman aus dem Sattel fällt, ohne an Grazie einzubüßen.«

Da griff Nobody langsam an den Hut, zog ihn, grüßte nach beiden Seiten und – ritt davon.

Indian Bill war natürlich keineswegs durch diesen Erfolg überrascht.

Seit er in dem Fremden den berühmtesten aller Westmänner, den gefürchteten Cutting Knife erkannt, hatte er ja gewußt, daß derselbe Darling bezwingen würde.

Tausenderlei Gedanken kreuzten sich in dem Kopfe des Colonels.

Der Mann dort, der eben mit elegantem Schwung aus dem Sattel sprang, war, wie er selbst gesagt hatte, Nobody, der weltbekannte Detektiv von Worlds Magazine – sollte er damals die Rolle des Cutting Knife auch nur angenommen haben, um irgend einem Verbrecher auf die Spur zu kommen, irgend ein düsteres Geheimnis zu entschleiern?

Unwillkürlich schaute Indian Bill zu der schönen Mexikanerin hinüber – doch das Gesicht derselben war vollkommen unbewegt, nur die Flügel der feinen Nase zitterten und verrieten eine heimliche, aber desto stärkere Erregung.

Begeisterter Beifall hatte den trefflichen Reiter für sein Kunststück belohnt, mit hundert Fragen stürmten Neugierige auf ihn ein – er antwortete keinem. Er warf nur einen flüchtigen Blick nach der Stelle hinüber, von wo aus Indianer und Cow-boys den Vorgang beobachtet hatten, und unmerklich nickte er Charly zu.

Indian Bill trat auf Nobody zu, Darling am Zügel führend.

»Nehmen Sie das Tier! Es gehört Ihnen!« sagte er mit zitternder Stimme.

Höflich verbeugte sich der glückliche Gewinner des edlen Rosses und führte es fort.

Wehmütig schaute Indian Bill ihm nach, doch plötzlich erweiterten sich seine Augen. »Bei Gott!« murmelte er. »Der Mann wagt viel.«

Nobody oder Cutting Knife, unter welchem Namen er den Westleuten bekannt geworden, war, schritt geradeswegs auf den Platz zu, wo Mercedes de Barrameda stand.

Hochaufgerichtet erwartete ihn die Mexikanerin.

»Gestatten Sie, schöne Senorita, daß ich Ihnen Darling als Zeichen meiner Bewunderung verehre!« sagte er laut, und leise, nur ihr verständlich, setzte er hinzu:

»Ich komme morgen zu Ihnen!«

Mercedes schien diese Worte nur wie aus weiter Ferne gehört zu haben. In ihrem bronzefarbenen Antlitz zuckte keine Muskel, kein Lächeln umspielte ihren purpurroten Mund, kein rascherer Atemzug schien ihren Busen zu bewegen. Kalt, fast verächtlich erwiderte sie endlich:

»Ich nehme die Gabe an!«

Sie ergriff die Zügel Darlings, verneigte sich leicht vor Nobody und wendete sich dann von ihm ab.

»Verflucht!« brummte der Detektiv. »Das hätte mir Freund World auch mit telegraphieren können, daß ich dieses Weib hier treffen würde. Bah, auch sie muß sich fügen!«

Eben wollte Nobody sich entfernen, da warf er noch einen Blick auf die schwarzlockige Mexikanerin.

Mercedes hatte Darling nur ein Stück abseits geführt und war dort stehn geblieben. Mit der linken Hand hielt sie die Zügel, die rechte fuhr unter das lederne Jagdhemd; als sie wieder zum Vorschein kam, umklammerte sie einen kleinen Revolver. Dicht über das eine Auge des Pferdes hielt sie die Waffe – ein Blitz – ein Knall –

Der Arm der heißblütigen Mexikanerin wurde hochgeschlagen, ihr die Waffe mit einem Griffe aus der Hand gewunden.

Nobody hatte die Absicht des Weibes erkannt und vereitelt.

Lächelnd ließ er den Revolver in die Tasche gleiten.

»Ich nehme ihn als Gegengeschenk für das Pferd!«

Eine neue Verbeugung, dann war der Detektiv in der Menge der neugierig herzudrängenden Zuschauer verschwunden, die wissen wollten, wer den Schuß abgefeuert und wem er gegolten habe.

 

Indian Bill hatte am Uhlenhorst eine möblierte Villa gemietet, die er mit Mercedes de Barrameda bewohnte. Doch es muß gleich hier bemerkt werden, daß er keineswegs in einem nähern Verhältnis zu der schönen Mexikanerin stand. Sie war seiner Truppe nicht beigetreten, um Geld zu verdienen, ebensowenig wie der Colonel selbst aus diesem Grunde nach Europa und speziell nach Deutschland gekommen war. Die beiden hatten sich eine Aufgabe gestellt, die sie unbedingt lösen wollten, mochten sich ihnen auch noch so große Schwierigkeiten entgegenstellen. Diese Aufgabe aber hing eng zusammen mit der Person unsers Nobody. – –

Der Eingang zu der Villa Indian Bills war ebenso wie die Arena draußen in St. Pauli den ganzen Tag über von einer Menge Neugieriger umlagert; in dem Hause selbst aber ging es zu wie in einem Bienenkorb.

Wilde Gestalten eilten sporenklirrend die Treppen hinauf und herab. Dazwischen bewegten sich würdevoll die in Decken gehüllten roten Söhne der Prärien und Urwälder. Auf dem Hofe stampfte und wieherte es. Vorsichtig schritten die unbeschlagenen Mustangs über das ungewohnte Steinpflaster, und zahlreiche Sportsleute gingen ein und aus.

Vor dem Zimmer Indian Bills stand ein Neger in bunter Livree. Er hatte die Aufgabe, unwillkommenen Besuchern den Zutritt zu seinem Herrn zu verwehren, und tat das mit der ganzen Frechheit und Unverfrorenheit seiner Rasse.

Jetzt stieg ein Herr die Treppe empor – Nobody – genau so gekleidet, genau so aussehend wie tags zuvor der Westmann Cutting Knife in modernem Straßenanzug.

Ehrerbietig grüßte der Schwarze, öffnete ohne weiteres die Tür zum Vorzimmer.

»Der Colonel erwartet Sie!«

Nobody trat ein. Der Raum war zum großen Teil angefüllt mit allerlei Gepäckstücken. Ein Tisch in der Mitte war beladen mit ganzen Stößen von Briefen, vorwiegend solchen von zarter Damenhand.

Das scharfe Auge des Detektivs sah dies auf den ersten Blick.

»Diese Weiber!« murmelte er lächelnd, dann trat er in den nächsten Raum.

Indian Bill saß am Schreibtisch, stand aber auf, als er die Schritte hörte.

Einen Moment schauten sich die beiden Männer schweigend an.

Der Colonel ergriff zuerst das Wort. »Ich erwartete Sie, Mister – «

»Nobody,« ergänzte der Detektiv.

»Gut! Es soll gelten!« erwiderte Indian Bill mit fester Stimme. »Nehmen wir Platz!«

»Halt!« sagte Nobody. »Zuerst etwas andres. Ist Ihre Rechnung mit Cutting Knife beglichen?«

Die Augen Bills blitzten auf. »Nein!« entgegnete er fast schroff.

»Sie werden ihn also zum Kampfe auf Tod und Leben herausfordern, wenn Sie ihm jemals begegnen?«

»So ist es. Ich habe es mir geschworen!«

»Gut! Das wollte ich wissen,« versetzte Nobody mit einem Gleichmut, als wenn er nicht eben dieser Cutting Knife wäre, dem Indian Bill unversöhnliche Feindschaft geschworen hatte.

»Gehn wir jetzt zum geschäftlichen Teil über! Sie wissen, weswegen ich hier bin, Colonel. Bitte, geben Sie mir die nötigen Erklärungen!«

»zzziyyy Well!zzz/iyyy Hören Sie!« versetzte Indian Bill. »Ich will Ihnen die Geschichte erzählen!

»Es sind jetzt sieben Jahre her,« begann er, »als ich mit einem alten Trapper, meinem langjährigen Freunde und Begleiter bei allen Abenteuern, im Sakramentotale jagte. Dieses ist sehr lang, sehr lang, ich kann die Gegend, wo wir uns befanden, nicht beschreiben, sondern nur sagen, daß es zwischen der Sierra Nevada und dem Coast Range, einem Nebengebirge der erstern war.

»Am Rio Joaquin, einem großen Nebenflusse des Sakramento, waren kurz zuvor reiche Goldfelder entdeckt worden, und so kam es, daß wir die Wildnis belebter fanden, als es sonst in dieser Gegend der Fall war. Einmal, als wir am Lagerfeuer saßen, äußerte ich mich darüber, wie seltsam es doch mit dem Goldfinden sei. Einer sucht Gold, er hält sich für einen unfehlbaren Entdecker des edlen Metalles, und er findet doch nichts, während er vielleicht über der reichsten Goldmine steht. Ein andrer, der an alles andre denkt, nur nicht an Gold, will sich eine Pfeife anbrennen, nimmt einen Stein, um Feuer zu schlagen, es springt kein Funke, dafür aber bemerkt er, daß der Stein an dem Stahl einen goldenen Strich erzeugt hat, es ist Goldquarz, und der Mann hat eine Goldmine entdeckt.

»Wir Jäger kommen doch oft genug dahin, wo noch keines andern Menschen Fuß gewesen ist, ich kenne auch die Verhältnisse, unter denen Gold zulässig ist, aber ich habe mich noch nie zum Nachgraben veranlaßt gefühlt.

»So sprach ich, und mein Freund lächelte dazu.

»›Da bin ich schon glücklicher gewesen als du‹ meinte er. ›Ich weiß eine Goldmine hier im Sakramentotale, wo mehr herauszuholen ist als alles, was man bisher in Kalifornien gefunden hat.‹

»Ich war ungläubig, der Trapper blieb bei seiner Behauptung.

»›Und warum beutest du sie denn dann nicht aus?‹ fragte ich.

»›Was soll ich mit dem Golde?‹ entgegnete er gleichgültig. ›Ich alter Mann, ich bedarf seiner nicht mehr.‹

»Da hatte er wohl recht, er konnte doch kein neues Leben mehr anfangen, der Wald und die Freiheit, ein ungebundenes Leben waren ihm alles.

»Ich selber machte mir zwar nicht besonders viel daraus, ich beschwor den Alten nicht, mir die geheime Mine zu zeigen, aber immerhin, Gold ist das wertvollste Metall der Erde, es ist direkter Besitz; je mehr ein Land davon hat, desto reicher ist es, und ich liebe mein Vaterland genug, um ihm einen Ort anzuzeigen, wo es sich bereichern kann, ganz abgesehen von den Prozenten, die dem Entdecker zufallen.

»Aber der Alte ließ sich nicht herbei, mir den Platz zu verraten. Gerade dort stände ein herrlicher Wald, sein Lieblingsrevier; wüßten die habgierigen Menschen, was sich darunter befände, würden die Bäume gar schnell fallen, und der Wald sei ihm mehr wert als alles Gold.

»Ich wollte Gewißheit haben, stellte mich ungläubig, reizte den Alten durch Widerspruch, es sei wohl nur Schwefelkies gewesen, was er für Gold gehalten, bis er endlich einwilligte, mir den Ort zu zeigen.

»Das Versprechen, niemandem weiter das Geheimnis zu verraten, nahm er mir gar nicht erst ab. Er erklärte von vornherein, daß ich den Platz nicht wiederfände, denn ich müßte mich die letzte Strecke von ihm mit verbundenen Augen führen lassen, zudem, noch des Nachts.

»Wir marschierten zwei Tage lang, bis wir eines Abends wieder ein Lagerfeuer anbrannten.

»Diese Stelle kann ich wiederfinden. Ihnen will ich nur angeben, daß es zwischen dem Rio Joaquin und dem Rio Eldorado war, am Fuße der Sierra Nevada, wo die Gegend wild zerklüftet ist.

»Als die Nacht anbrach, verband mir der Alte die Augen und führte mich fort. Ich merkte wohl, daß er mich absichtlich irreleitete, indem er unnötigerweise viele Kreise beschrieb. Schon nach einer Stunde dieser sehr beschwerlichen Wanderung nahm er mir die Binde wieder ab.

»Die Gegend, wo ich mich jetzt befand, war mir völlig fremd. Es war ein Engpaß, der sich in unzähligen andern verlief; ich hörte überall Wasserfälle herabstürzen, und über uns tobte ein Gewitter; die Blitze zeigten mir die Landschaft manchmal in unheimlicher Beleuchtung.

»Wieder nach einer Stunde Wanderung in diesem Labyrinth von Pässen verband mir der Trapper abermals die Augen, noch eine Viertelstunde auf einem halsbrecherischen Wege über Stock und Stein, dann ging es jäh bergab, immer tiefer und tiefer, bis der Trapper mich stillstehn hieß.

»Er riß mir schnell die Binde von den Augen.

»Ich mußte dieselben schließen, nicht vor dem Scheine der Fackel, welche der Alte hochhielt, sondern vor dem Glanze der Goldadern, welche dicht nebeneinander durch die Steinwände liefen.

»Es glänzte und gleißte in einer Pracht, die ich nicht beschreiben kann. Die Decke über mir enthielt ebenfalls mehr Gold als Quarz, und zu meinen Füßen lagen faustgroße Klumpen puren Goldes.

»Ich befand mich in einer Höhle; wie tief unter der Erde sie lag, weiß ich nicht. Hier trat eben die Goldader zutage, schon hier allein zeigte sie einen Durchschnitt von wenigstens dreißig Quadratmetern, und wer wußte, wie hoch sie noch nach oben hinaufreichte, in welcher Mächtigkeit sie sich noch erstreckte.

»Ich war vor Staunen außer mir. Wahrhaftig, da lernte ich kennen, welch furchtbare Macht das Gold besitzt. Es machte mich blind; ich taumelte wie ein Trunkener. Sie lachen vielleicht, aber ich behaupte, daß das Gold nicht nur Macht als Geld, sondern eine unbekannte Macht als edles Metall besitzt, und die Wünschelrute der Schatzgräber ist keine Fabel; in der dazu geeigneten Hand schlägt sie an, ich habe es selbst gesehen.

»Der Alte gestattete mir, mit dem Tomahawk von dem edlen Gestein abzuschlagen und von den losen Stücken so viel aufzuheben, wie ich wollte, damit ich später nicht an eine bloße Sinnestäuschung glaube.

»Hierauf verband er mir die Augen und führte mich ebenso wieder zurück, wie er mich hergebracht hatte.

»›Nun kannst du die Höhle suchen, das erlaube ich dir,‹ sagte er am Lagerfeuer, ›aber du wirst sie wohl nicht finden. Bei meinem Tode will ich dir die Lage angeben, nicht eher, denn den Wald sollen meine alten Augen nicht mehr unter den Aexten der Goldgräber fallen sehen.‹

»Ich blieb in der Gegend und suchte viele, viele Wochen lang. Vergebens, ich fand die Höhle nicht wieder! Wie das kommt, daß es mir, dem Waldläufer, der sonst jeden Ort wiederfindet, den er einmal gesehen, nicht gelang, das ist mir unbegreiflich. Es kommt mir vor, als wäre der Eingang zur Höhle verzaubert.

»In San Franzisko wurde mir das Gold sofort zum Börsenpreise abgekauft. Ich schwieg nicht, meine Erzählung erzeugte ungeheures Aufsehen, die goldhaltigen Quarzstücke waren ja auch ein Beweis; ich verband mich mit den besten Goldsuchern und noch einigen Trappern und begab mich abermals nach jener Gegend. Wir suchten einen Monat lang und fanden die Höhle nicht wieder. Daraufhin stellte mir die Regierung Geologen zur Verfügung, und diese sagten sogar aus, daß in jenem Gebirgsteile überhaupt gar kein Gold vorkommen könnte.

»Was wir alles getan haben, kann ich Ihnen hier nicht erzählen. Ich kam in eine üble Lage, der größte Teil der Leute zweifelte an der Glaubwürdigkeit meiner Aussagen, ja, man traute mir sogar zu, ich wollte das Geheimnis für mich behalten, um es auszubeuten, hätte es nur in der ersten Aufregung verraten und so weiter. Daß ich, der beste, in der Wildnis aufgewachsene Fährtensucher, die Höhle nicht wieder auffinden konnte, schadete meiner Ehre sehr, und ich konnte den Verdacht der Veruntreuung nicht von mir abwälzen, denn auch jener Trapper blieb verschwunden.

»Ein Jahr darauf befand ich mich wieder in San Francisco. Durch einen Streik von Fabrikarbeitern kam es zu Straßenkämpfen, ich, als Offizier der Regierung, mußte mich daran beteiligen und lernte bei einem solchen Kampfe einen Mann kennen, der sich sowohl durch Mut und Umsicht, als auch durch Menschlichkeit auszeichnete. Sein Name war Jean Matelas, und ich fühlte mich um so mehr zu ihm hingezogen, als er mir ganz auffallend ähnelte.

»Wir wurden Freunde, er erzählte mir sein Schicksal. Er sei ein Südfranzose, Schauspieler, erst seit einiger Zeit in Amerika, und es ginge ihm sehr schlecht.

»Ich unterstützte ihn auf jede Weise, teilte meine Wohnung mit ihm und ahnte nicht, was für eine Schlange ich an meinem Busen nährte.

»Eines Abends erhielt ich einen Brief von einem mir bekannten Farmer. In seiner Behausung sei ein alter Trapper gestorben, er hätte mir auf seinem Totenbette beiliegende Zeichnung vermacht, ich wisse schon, was sie bedeute, er, der Farmer, könne aus dem Ding nicht klug werden.

»Es war eine Landkarte, die Lage der Höhle angebend. Die Zeichnung sah freilich allem andern mehr ähnlich als einer Landkarte, sie war nach indianischer Weise angefertigt, für mich aber war sie vollkommen deutlich, das heißt, wenn ich mich an Ort und Stelle befand, wo wir einst am Lagerfeuer gesessen, und die Stellung des Mondes zu einer gewissen Zeit zu Hilfe nahm.

»In meiner Freude erklärte ich dieses Geheimnis Jean Matelas, der gerade zugegen war, als ich den Brief öffnete. Ich schätzte ihn als einen wirklichen Freund, hätte ihm alles, alles anvertraut.

»Ich besaß zwei Revolver, die ich mir selbst gefertigt hatte. Beide hatten hohle Kolben; ein besondrer Mechanismus öffnete dieselben. In einem dieser hohlen Revolver verbarg ich einstweilen die Zeichnung und ging nach dem Telegraphenamt, um meiner vorgesetzten Behörde in Washington zu depeschieren, daß ich jetzt imstande sei, die verschwundene Mine wiederzufinden.

»Um der Wahrheit ganz die Ehre zu geben, bemerke ich, daß Matelas nicht mehr im Zimmer war, als ich das Papier in dem Kolben verbarg.«

»Er hat trotzdem Gelegenheit gefunden, Sie dabei zu beobachten,« unterbrach Nobody hier den Erzähler.

»Vermutlich,« entgegnete dieser.

»Nein, tatsächlich, denn sonst hätte er Ihnen den Plan nicht zu stehlen vermocht.«

»Woher wissen Sie, daß er dies tat?«

»Bah, das zu erraten, ist doch nicht schwer!«

»Aber er hatte keinen Anlaß, den Diebstahl zu begehn, denn –«

»Sie hatten ihn aufgefordert, Sie nach dem Tale des Sakramento zu begleiten,« vollendete Nobody lächelnd. »Sie entfernten sich dann für kurze Zeit, und als Sie zurückkehrten, war mit dem betreffenden Revolver auch Ihr Freund Jean Matelas verschwunden.«

Indian Bill war ein echter Westmann, geübt im Auffinden kaum bemerkbarer Spuren und im Kombinieren, jetzt, aber staunte er doch über den Scharfsinn des Detektivs.

»Sie benachrichtigten die Polizei und machten sich selber an die Verfolgung des Diebes,« fuhr Nobody fort, »hatten jedoch keinen Erfolg und wurden von der Regierung mit neuem Mißtrauen beobachtet. Sie hatten dem ersten Fehler, daß Sie einem vermeintlichen Freunde Ihr Geheimnis verrieten, den zweiten hinzugefügt, daß Sie die Behörden in Washington voreilig von der neuen Wendung der Dinge in Kenntnis setzten. Was taten Sie weiter? Sie ließen vermutlich die Gegend, wo die Goldminen sich befinden mußten, unausgesetzt von Ihren Leuten beobachten.«

»Das stimmt!« bestätigte Indian Bill.

»Ich dachte es mir. Der angebliche Jean Matelas war natürlich viel zu schlau, Ihnen ins Garn zu laufen,« sagte Nobody lächelnd.

»Das Ereignis spielte sich vor fünf Jahren ab, nicht wahr?« fragte er dann.

»Woher wissen Sie das?« fragte der Colonel in neuem Erstaunen.

»Aus den Zeitungen!«

»Ah, Sie haben sich bereits über den Fall orientiert?«

Nobody beantwortete diese Frage nicht. Indian Bill hatte sich wohl dieselbe nicht richtig überlegt, sonst hätte er sie schwerlich gestellt.

»Sie haben inzwischen eine Spur des Diebes gefunden. Dieselbe führt nach Deutschland – hierher nach Hamburg – Sie wollen den Gauner noch heute nacht verhaften,« fuhr Nobody in aller Gemütsruhe fort, als handle es sich um etwas Selbstverständliches.

Der Colonel sprang auf.

»Sir, ich stehe vor einem Rätsel!«

»Der Mann, den Sie im Verdacht haben, ist hier sehr angesehen, ein Großkaufmann.«

»Sie wissen alles,« stieß Indian Bill hervor, aber der Ton, in dem er es sagte, klang durchaus nicht freudig: was in dem Colonel vorging, verriet die Frage, die er sofort an Nobody richtete: »Herr, wollen Sie mir etwa die Beute entreißen? Der Mann gehört mir, ich will ihm nicht umsonst fünf Jahre lang nachgespürt haben!«

»Wie mir!« schaltete der Detektiv ein.

Indian Bill warf ihm einen raschen Blick zu, doch auf dem ehernen Gesicht seines Besuchers war keine Spur von Spott zu bemerken.

»Herr, Sie sind Westmann gewesen, sind es noch, ich brauche Sie nicht an das oberste Gesetz zu erinnern, das bei uns gilt: Auge um Auge –«

Nobody unterbrach ihn:

»Beruhigen Sie sich, Colonel. Meine Arbeit beginnt erst dann, wenn Ihnen Jean Matelas wieder entschlüpft ist!«

»Er entgeht mir nicht, es ist unmöglich!«

»Dann wäre er ein armseliger Gauner, dessentwegen ich keinen Finger krumm machen würde,« versetzte Nobody gelassen. »Oder meinen Sie etwa, daß er nicht wüßte, weswegen Sie hierhergekommen sind, daß er auf Ihren Besuch nicht vorbereitet ist?«

»Er kann nicht ahnen, daß ich ihn als Jean Matelas erkannt habe!« rief Indian Bill doch etwas betroffen.

Nobody lachte ungeniert auf, griff in die Tasche, brachte ein Papier hervor und hielt es jenem vor die Augen.

»Was ist das?«

»Eine Schiffskarte nach New-York,« antwortete der Colonel unwillkürlich.

»So! Und nun leben Sie wohl, Sir! Wie ich den Dieb drüben fasse, das werden Sie ja in ›Worlds Magazine‹ lesen. Ich empfehle Ihnen ein Abonnement.«

Sprach's und ließ den verdutzten Indian Bill stehn, stieg in die nächste Etage und stand einige Minuten später an der Tür der Wohnung, welche Mercedes de Barrameda innehatte. Nach derselben zu fragen, hatte Nobody natürlich nicht nötig. Er öffnete sich selbst und trat ein.

In diesen Zimmern herrschte freilich große Unordnung. Das eine war mit Garderobestücken und Kostümen fast vollgepropft, männliche und weibliche voneinander getrennt, das andre enthielt so viel Sättel, Zaumzeuge, Reitpeitschen und andre zum Reitsport dienende Gegenstände, daß Nobody sich förmlich zwischen ihnen durchwinden mußte.

Auf seinem Gesicht trat der spöttische Zug stärker denn je hervor, zugleich aber lag auch etwas wie von eiserner Entschlossenheit darin.

Die Tür zum letzten Zimmer war nur angelehnt. Er klopfte mehrmals vergebens, endlich wurde von innen geöffnet.

Die schöne Mexikanerin stand ihm gegenüber – ihre Arme streckten sich ihm entgegen – so blieb sie regungslos, wie versteinert.

Dann lief ein Zucken durch ihren Körper.

»Alfred!« stöhnte sie auf. »Du kommst zu mir?!«

Nobody verharrte in düsterm Schweigen, aber aus seinen Augen schimmerte sekundenlang etwas wie Mitleid.

Mercedes erblaßte. Ihr Antlitz ward bleich, und ein tiefer Atemzug hob ihren Busen.

»Was willst du bei mir?« fragte sie endlich.

»Ich möchte damit warten, bis du ruhig geworden bist,« entgegnete Nobody, der ja die Maske des Cutting Knife mit der direkten Absicht gewählt hatte, von Indian Bill und Mercedes erkannt zu werden – gerade ihm sollte ersterer es verdanken, daß er den gestohlenen Plan der Goldminen wiedererhielt.

»Ich bin ruhig,« antwortete die Mexikanerin.

»Das ist mir lieb. Dann werden wir um so schneller zu Ende kommen!«

Er richtete sich hoch auf, schaute sie durchbohrend an und fragte ernst:

»Warum verfolgst du mich?«

»Du gehörst mir, denn ich liebe dich.«

»Und wenn ich nicht will?«

»Du mußt, du bist mein!«

»Armes Weib!«

»Du bedauerst mich?« fuhr Mercedes auf. Ihre Augen flammten ihn drohend an.

»Ich bedaure jeden Menschen, der hoffnungslos liebt,« erwiderte Nobody, »aber,« setzte er sofort hinzu, »ich verachte jeden, der dies einsieht, einsehen muß und doch die Hoffnung nicht aufgeben will!«

Die Mexikanerin erbleichte von neuem.

»Du liebst mich nicht?« fragte sie. »Nicht mehr?«

»Ich habe dich nie geliebt!«

»Du lügst!« wollte Mercedes ihm zurufen, aber sie sprach die Worte nicht aus – die Augen Nobodys hielten sie im Bann.

»Das heißt, du liebst eine andre!«

»Ich tue es!«

»Wer ist es, der zwischen mir und dir steht?«

»Das erfährst du nicht.«

»Ich werde es erfahren und dieses Hindernis zu beseitigen wissen.«

Diese Worte waren in einem solchen Tone gesprochen, daß Nobody einen Schritt zurücktrat.

»Mercedes, du bist wahnsinnig!«

»Ich bin bei klarer Vernunft.«

Er richtete sich hoch auf.

»Da du so kurz und bündig bist,« sagte er kalt, »muß ich es jetzt auch sein. Du hast mich umsonst gesucht, ich liebe eine andre. Ich bin verheiratet. Das ist mein letztes Wort.«

Mit blitzenden Augen trat sie auf ihn zu. Ihre Blicke loderten.

»Und mit diesem letzten Worte sprachst du dein und deiner Geliebten Todesurteil!« kam es zischend von ihren Lippen. »Das ist eine tödliche Beleidigung! Alfred, hüte dich vor mir! Kann ich dich nicht besitzen, sollst du auch keiner andern gehören!«

»Soll das eine Herausforderung sein?« lächelte er spöttisch.

»Ja, auf Leben und Tod!«

»Also die zweite an einem Tage!«

Er wendete sich der Tür zu.

»Du gehst wirklich?« keuchte es hinter ihm.

Nobody antwortete nicht.

In das wie eine Bildsäule dastehende Mädchen kam plötzlich Leben, eine blitzschnelle Handbewegung, der man nicht mit den Augen folgen konnte, und von ihr aus zuckte durch die Luft eine blaue Flamme zu Nobody hin.

»So lebe wohl!«

Doch auch er machte eine blitzschnelle Handbewegung und – hatte ein Stilett am Griff gefangen, das sonst sicher nicht sein Herz verfehlt hätte.

Ohne ein Wort zu sagen, schleuderte er Mercedes die Waffe vor die Füße, verbeugte sich kalt und verließ das Gemach.

 

Nobody hatte die Pläne des Indian Bill vollkommen durchschaut. Es wäre ihm daher ein leichtes gewesen, dieselben zu durchkreuzen und den zu verhaften, den der Colonel als Dieb der Zeichnung ausfindig gemacht hatte.

Doch das lag nicht in Nobodys Art, daß er sozusagen einen Weg betrat, den ein andrer bereits vor ihm gegangen war. Nur das Neue, das Romantisch-Abenteuerliche reizte ihn, dabei mußte es selbstverständlich einen realistischen Hintergrund haben, das Verbrechen oder das Geheimnis, was zu erforschen war.

Der vorliegenden Aufgabe aber brachte Nobody ein um so größeres Interesse entgegen, als dieselbe ihm keineswegs einen leichten Sieg über den Gegner versprach, sondern vielmehr einen aufregenden Kampf, eine Verfolgung über Ozeane und durch Länder, bis endlich die Ueberrumplung des Gauners erfolgen konnte, der in so überaus raffinierter Weise eine Doppelexistenz führte.

Indian Bill seinerseits hätte kein echter Westmann sein müssen, hätte er den Ruhm und die Genugtuung, den Dieb aufgespürt und gefangen zu haben, einem andern überlassen wollen. Am wenigsten sollte Cutting Knife oder Nobody, wie er sich jetzt nannte, ihm zuvorkommen.

Mit aller Vorsicht und Gewandtheit, die der Colonel sich im steten Kampfe mit feindlichen Rothäuten erworben hatte, schlich er sich nachts nach der Hürde an der Rückseite der Arena, wo sein Lieblingspferd Sunbeam, der Sonnenstrahl, stand. Ein kaum hörbarer Ruf aus Bills Munde genügte, das edle Tier zu ihm zu locken. Eine Minute später war es gesattelt und gezäumt, dann ein kurzer Befehl – es setzte über die hölzerne Umzäunung und jagte in langgestrecktem Galopp quer über die Niederung dem Flusse zu.

Indian Bill hatte sich genau orientiert. Er wußte, daß die Villa des Mannes, den er gefangennehmen wollte, einen parkähnlichen Garten besaß, der bis an den Strom reichte. Darum lenkte er Sunbeam dem Ufer desselben zu und machte etwas oberhalb der Besitzung Halt.

Die Nacht war mondlos und sehr dunkel, aber die Falkenaugen des Westmannes durchdrangen die Finsternis – nur die Elbe, die hier allerdings sehr breit war, trennte Bill noch von seinem Ziele.

Da drüben in dem reizend gelegenen, architektonisch schönen Hause wohnte der, der sich einst in San Francisco für Jean Matelas, einen Schauspieler aus Südfrankreich ausgegeben und das Vertrauen des Obersten erschlichen hatte, um dann bei erster Gelegenheit den Diebstahl des Planes über die Lage der Goldminen auszuführen.

Jetzt nannte sich der Elende Fred Overkamp und betrieb einen ausgedehnten Großhandel mit Kaffee, galt in Hamburg nicht nur für reich, sondern auch für einen tadellosen Ehrenmann.

Nobody selbst hatte festgestellt, daß kein Mensch, am wenigsten die Hamburger Polizei es für möglich gehalten hätte, daß dieser angesehene Herr ein Betrüger, ein Abenteurer, ein Hochstapler sein könnte. Ohne klare Beweise – und diese fehlten Indian Bill – war seine Verhaftung vollkommen ausgeschlossen.

Ein Westmann freilich pfeift auf die Polizei, er hilft sich selbst, und der Colonel kümmerte sich verteufelt wenig darum, daß in Europa andre Anschauungen in dieser Hinsicht herrschten als in Amerika.

 

Die Gegend, wo Indian Bill mit seinem Pferde hielt, war ganz einsam. Das Ufer fiel sanft ab, und das einzige vernehmbare Geräusch war das leise Rauschen und Gurgeln, mit dem der Strom seine gewaltigen Wassermassen dem nahen Meere zuführte.

Der Reiter klopfte leicht den Hals des Pferdes und raunte ihm halblaute Schmeichelworte zu. Dann lenkte er es in den Strom.

Als die Fluten die Sohlen seiner hohen Stiefel netzen wollten, machte er sich aus den Steigbügeln frei, eine Bewegung, und er stand aufrecht im Sattel.

Das Pferd begann zu schwimmen. Sicher wie auf festem Boden hielt sich Indian Bill auf dem schwankenden Rücken, das Tier am Zügel lenkend und es mit Worten anfeuernd. Nur bis an die Knöchel umspülte ihn das Wasser.

Mitten im Strome wurde das Tier von der Strömung ergriffen und fortgerissen, jedoch fort und fort feuerte der kühne Reiter es an, und das Pferd, ein vortrefflicher Schwimmer, bot alle seine Kräfte auf, der Strömung Herr zu werden.

»Schäme dich, Sunbeam!« zürnte sein Herr. »Du hast doch schon Ströme durchschwommen, in welchen der größte Stein fortgerissen wird, ohne auf den Grund zu kommen, und läßt dich von diesem Bach überwältigen!? Schwimme, Sunbeam, strenge dich an, greife aus! Ich bin es, den du hinüberträgst!«

Das Tier pustete und schnob mit weit vorgestrecktem Halse, die Nüstern fast im Wasser, und nach einigen Minuten hatte es die Strömung hinter sich und steuerte, überhäuft von Lob und Schmeichelworten, wieder dem Ziele zu, das sein auf ihm stehender Reiter angab.

Wer dieses Kunststück gesehen hätte, würde seinen Augen nicht getraut oder gemeint haben, ein Geist schritte über den Strom. Er würde sich bekreuzigt haben und davongeflohen sein.

Das Pferd erreichte, zitternd vor Anstrengung, das Ufer.

Indian Bill sprang ab, vollkommen trocken, streichelte das Tier lobend und führte es am Zügel weiter. Sie erreichten die Hinterpforte des Parkes. Der Colonel öffnete und trat sofort Abseits von der zum Hause führenden Allee unter die Bäume, wo eine undurchdringliche Finsternis herrschte.

Hier redete er dem Pferde noch einmal freundlich zu und ließ es dann allein, ohne es festzubinden oder auch nur die Zügel über einen Zweig zu hängen.

Dann schritt er allein weiter durch den Park, und die Lichter, welche ihm bald zwischen den Zweigen entgegenblitzten, waren die erleuchteten Fenster der Villa Overkamp.

Indian Bill umschlich die Mauer, die den Hof umgab.

An einer Stelle blieb er stehn, löste von den Hüften einen langen, ledernen Riemen, einen Lasso, wickelte die Schlinge um den Kopf und ließ sie fahren.

Sie flog über die Mauer, ein Ruck, und sie saß fest.

Es war kein Zufall gewesen, daß sich die Schlinge an einem Aste eines im Hofe stehenden Baumes verfangen hatte. Der Colonel hatte diesen Ast trotz der tiefsten Nacht gesehen und nach ihm die Schlinge geschleudert.

Er besann sich keinen Augenblick, duckte sich zusammen, schnellte empor, griff hoch, stemmte die Füße gegen die Mauer, griff weiter, schwebte über spitzen Glasscherben, mit denen die Brüstung bestreut war, und stand schneller drüben im Hofe, als sich dies erzählen läßt.

Da ließ sich ein drohendes Knurren vernehmen. Indian Bill wußte, daß das Haus durch einen Hund bewacht wurde, und hatte sich darauf gefaßt gemacht, von diesem angegriffen zu werden.

Blitzschnell zog er ein Messer, nahm die Klinge zwischen die Zähne und erwartete so den Angreifer. Eine riesige Dogge sprang auf ihn zu, um ihn an der Kehle zu packen. Doch es gelang ihr nicht. Noch ehe die furchtbaren Zähne ihn berührten, hatte Indian Bill die gewaltigen Pranken des Tieres mit beiden Händen gefaßt und hielt es von sich fern.

So standen sie sich gegenüber, Auge in Auge. Nicht lange dauerte es, da stieß der Hund ein klägliches Winseln aus, mehr hervorgerufen durch den glühenden Blick des Menschen, als durch die Kraft der Faust, welche die Pranken zu zermalmen drohte, und besiegt sank er zu den Füßen des Mannes nieder.

»Es hätte mir leid getan, das schöne Tier zu töten,« murmelte Bill, das Messer zwischen den Zähnen hervornehmend, wo es handbereit gewesen war, sich mit tödlichem Stoß ins Herz des Hundes zu graben.

Ohne sich um das Tier noch zu kümmern, das ihn jetzt als seinen Herrn betrachtete, erstieg der Colonel mit der größten Leichtigkeit den starken Baum, löste die Schlinge vom Ast, wickelte sich den Lasso wieder um die Hüfte, sprang herab, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen. Er blieb erst eine Minute lauschend stehn, musterte die Hinterfront des Hauses und begab sich dann nach der Seite, wo er die Fenster erleuchtet gesehen hatte.

Es waren drei in der ersten Etage.

»Es sind noch Personen wach,« dachte Indian Bill, »und zwar befinden sie sich in diesem Zimmer, wenn es nicht zwei sind. Die Diener schlafen unten, also kann es nur die Herrschaft sein. Ich werde mich überzeugen, ob er da ist, und finde ich ihn, dann wehe ihm!«

Er warf einen Blick hinauf und hatte seinen Plan gefaßt. Die Mauer war nur scheinbar glatt; wenn man sie genauer betrachtete, so fand man, daß zwischen den Fenstern der ersten Etage und denen des Parterres eine hervortretende Verzierung hinlief. Ein andrer Mensch als Indian Bill hätte freilich nicht daran gedacht, daß es möglich sei, mittels solcher unbedeutender Stützpunkte die Wand zu erklettern.

Der Colonel aber schwang sich zuerst auf den Sims des Parterrefensters, konnte so den hervortretenden Stein ergreifen, welcher das Fenster nach oben deckte, schnellte empor, sein Knie kam auf diesen Stein zu liegen, und ehe er rückwärts überfiel, hatte er mit zwei Fingern eine der Verzierungen erfaßt. Hielt sie nicht, so stürzte er zurück, aber der Steinschmuck brach nicht, und ebensowenig lösten sich Bills eiserne Finger von ihm ab. Langsam, Zoll für Zoll, zog er sich so hoch, bis er auch das zweite Knie auf den Sims legen konnte, preßte sich an die Mauer, erfaßte mit beiden Händen die hervortretenden Blumen der steinernen Verzierung, stellte erst einen Fuß auf den Sims, dann den zweiten, und als er jetzt die Sohle des obern Fensters fassen konnte, war das Unternehmen geglückt.

Das Fenster war nicht verhangen, er konnte in den dahinterliegenden Raum hineinsehen. Vorsichtig tat er es, das Auge eben an die Scheibe bringend.

Ein leiser Ruf der Enttäuschung entschlüpfte seinen Lippen. Er hatte andres zu sehen gehofft. Dieses große Zimmer besaß drei Fenster, es war also das einzige, in welchem sich ein Mensch noch wach befinden konnte.

Von dem Licht der Hängelampe hell beleuchtet, saß eine junge Frau auf dem Sofa und las in einem Buche.

Sie war jung und von hübschen, zarten Zügen, sah aber sehr blaß aus, was durch die schwarze Kleidung noch mehr hervortrat.

Sonst war niemand im Zimmer, wie sich Bill mit einem Blick überzeugte.

Doch bald kam er zu der Ansicht, daß noch jemand erscheinen würde.

Was hätte die einsame, junge Frau wach halten sollen? Die Lektüre des Buches war sicher nicht so interessant, sie die Mitternachtsstunde vergessen zu machen, denn oft blickte sie ungeduldig auf und nach der Wanduhr, und dann glaubte der Beobachter stets, von ihren halbgeöffneten Lippen einen leisen Seufzer der Sehnsucht zu vernehmen.

Offenbar erwartete sie jemanden, und wer konnte das anders sein, als einer, der öfter hier ein- und ausging, wenn nicht der Besitzer selbst?

Indian Bill kannte die junge Frau nicht. Er war überhaupt höchlichst erstaunt, eine solche, dem ganzen Aeußern nach eine Dame, hier vorzufinden. Daß Villa Overkamp eine solche beherberge, war in der ganzen Stadt keinem Menschen bekannt; der Colonel hatte sorgfältige Erkundigungen darüber eingezogen. Als er zum Fenster emporkletterte, hatte er geglaubt, den Besitzer der Villa in dem erleuchteten Zimmer zu sehen.

Die Frau schlug das Buch zu und lehnte sich müde zurück. Dann wendete sie sich halb um und drückte auf einen an der Wand befindlichen Knopf.

»Sie klingelt einem Diener,« dachte Indian Bill, »also ist doch noch jemand im Hause wach, und er muß sich in einem Gemach aufhalten, dessen Fenster nur nach einem innen gelegenen Hofe gehn oder das gar keine Fenster besitzt, es sei denn, er habe sich im Dunkeln aufgehalten.«

Ein alter Mann trat ein. »Sie wünschen, Frau Matelas?«

Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre Indian Bill herabgestürzt.

Die Wirkung, die die Nennung dieses Namens auf ihn ausübte, war zu mächtig.

Schnell beherrschte er sich, mit angehaltnem Atem lauschte er, ohne seinen Kopf am Fenster sehen zu lassen.

»Bitte, bringe mir ein Glas Wasser!«

Der Alte ging und kam bald mit dem Gewünschten zurück.

Sie trank einen Schluck und setzte das Glas hin.

»Er bleibt so lange fort,« sagte sie niedergeschlagen.

»Der Zug kommt erst kurz nach Mitternacht an, gnädige Frau, und wenn sich Herr Matelas auch noch so beeilen würde, er könnte doch noch nicht hiersein.«

Die junge Frau schien etwas getröstet.

»Ist drüben gedeckt?«

»Alles in Ordnung, gnädige Frau. Wollen Sie etwas genießen?«

»O nein, er muß ja jeden Augenblick kommen, und sicher wird er Hunger haben. Bleibe jetzt bei mir, Daniel, ich bin so einsam.«

»Wie Sie wünschen!« Der Alte setzte sich, fühlte sich aber, wie man ihm ansah, gar nicht recht behaglich.

»Es ist schrecklich für eine Frau,« begann seine Herrin nach einer Pause, »wenn der Mann immer so reisen muß.«

»Ja, freilich, gnädige Frau, aber wenn es das Geschäft so mit sich bringt, da ist nichts dagegen zu machen. Ich glaube, Herr Matelas wird nach seiner Rückkunft länger hierbleiben.«

»Ich will es hoffen. Ach, ich bin so schrecklich vereinsamt, seit meine Kinder –«

Tränen erstickten ihre Stimme, sie führte das Taschentuch vor die Augen.

Auch der Diener sprach nicht mehr. Stumm saß er da und betrachtete mitleidig die junge, schöne, blasse Frau.

Da klingelte es.

Noch schneller als der Alte sprang sie auf; jetzt strahlte ihr Antlitz vor Glück.

»Er kommt!« jubelte sie.

Der Diener eilte hinaus, während sie, die Hand auf die wogende Brust gedrückt, regungslos in der Mitte der Stube stand, als müsse sie sich auf den kommenden freudigen Moment vorbereiten.

Ein Mann trat eilig herein, warf hastig Mantel und Hut ab und umschlang die Frau.

Wieder war der Lauscher starr vor Staunen.

Er hörte nicht die Koseworte, die bei diesem Wiedersehen gesprochen wurden, er betrachtete nur den Mann.

Das war er, der Gesuchte! Bill hatte sich nicht getäuscht.

Eine Hand des Mannes lag auf dem Rücken des Weibes, an dieser konnte der Colonel sogar die Narbe sehen, wie eine solche auch Matelas an derselben Stelle hatte, und zwar ganz ebenso aussehend.

Der Mann, in dem der Lauscher den Dieb des Planes erkannt zu haben glaubte, führte die junge Frau ins Nebenzimmer, aus dem ein Lichtschein hervordrang.

Der Diener hatte die Lampe angezündet.

Schnell duckte sich Bill, der sich schon emporgerichtet hatte und das Fensterkreuz untersuchte, wieder zusammen, denn Matelas war nochmals zurückgekommen, wobei er die Tür hinter sich zugemacht hatte.

»Einen Augenblick, ich will es mir nur etwas bequemer machen,« hatte er in das andre Zimmer gerufen.

Er wollte den Rock ausziehen, zögerte aber noch.

»Das ist ja erstickend heiß hier,« murmelte er, trat an das Fenster, unter dem sich der Lauscher befand, und öffnete die Flügel.

In diesem Augenblick legten sich zwei Hände auf seine Schultern, Indian Bill benutzte diese als Stütze und schwang sich leicht ins Zimmer.

Tödlich erschrocken war Matelas gegen einen Schrank getaumelt.

»Colonel – Sie – Sie?« stammelte er.

»Es ist gut, daß Sie mich erkennen,« entgegnete Bill leise, und der Revolver, der in seiner Hand blitzte, berührte fast die Stirn des Erschrocknen. »Keinen Widerstand, keinen Lärm – mich dauert die junge Frau.«

»Indian Bill,« murmelte der Mann wie geistesabwesend.

»Wie ist Ihr Name?«

»Ich – ich –«

Jetzt war es mit seiner Unentschlossenheit vorbei.

»Wer zum Teufel sind Sie?« stieß er hervor, aber immer noch leise, an die Frau drüben denkend. »Sie brechen hier ein? Wollen Sie rauben?«

»Ruhig! Setzen wir uns im guten auseinander!«

»Dabei soll man ruhig bleiben?«

»Sie sind Monsieur Matelas!«

»Was geht das Sie an?«

»Nehmen Sie Vernunft an, oder ich nehme keine Rücksicht mehr auf die Dame nebenan – noch hört sie uns nicht. Sie sind Monsieur Matelas?«

»Sie bedrohen mich mit der Waffe, ich muß antworten – ja denn, ich bin der, den Sie nannten.«

»Jean Matelas?«

»Und, nicht wahr, Sie entsinnen sich meiner auch noch?«

»Nein. Wer sind Sie denn? Was fällt Ihnen ein?«

»Daß Sie meinen Namen recht gut kennen, haben Sie schon vorhin bewiesen.«

»Nun ja, ich weiß, daß Sie Indian Bill, der Anführer der Indianertruppe sind, habe Ihren Vorstellungen schon selbst beigewohnt, aber was zum Teufel soll das heißen, daß Sie mich in meinem eignen Hause auf diese Weise besuchen und zur Rede setzen?«

»Wenden Sie nicht die Augen, es gibt keinen Weg zur Flucht. Eine Bewegung, und Sie sind eine Leiche!«

»Oho! Was habe ich Ihnen denn eigentlich getan?«

»Sie fragen noch? Mich wundert schon, daß Sie den Mut hatten, meinen Vorstellungen beizuwohnen.«

»Ich habe keinen Grund, Sie zu fürchten.«

»Sie stellen sich vergebens unschuldig, Monsieur Matelas, ich erkenne Sie doch wieder, trotzdem Sie jetzt anders aussehen. Sie sind Franzose?«

»Ja!«

»Wir stehn auf deutschem Boden. Monsieur Jean Matelas, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Sie sind mein Gefangener.«

Gleichzeitig hatte Indian Bill, den Gegner nicht aus den Augen lassend und mit dem Revolver bedrohend, ein großes Kupferschild mit der linken Hand unter dem ledernen Hemd, das er trug, hervorgerissen.

Der andre verlor seine Fassung nicht wieder.

»Ich denke, Sie sind Kunstreiter, Indianeragent oder sonst etwas, aber doch kein amerikanischer Detektiv,« lächelte er.

»Sie sehen, daß ich bevollmächtigt bin, Monsieur Jean Matelas zu verhaften.«

Dieser heftete seinen Blick auf die gravierten Worte des Kupferschildes. Es war in der Tat ein dauernder Haftbefehl, ausgestellt in Washington für den Colonel auf Jean Matelas. Ein kaum merkliches Zucken ging über die Züge des Bedrohten; Bill hatte es aber doch gesehen.

»Keinen Widerstand, Sie sind mein Gefangener!«

Drüben ließ sich die Stimme der Frau vernehmen.

»Kommst du nicht bald, Jean?«

»Nur noch ein paar Augenblicke,« entgegnete er, dann wandte er sich wieder an Bill. »Herr Colonel, Sie sind vollkommen im Irrtum. Ich heiße zwar Matelas, bin aber nie in Amerika gewesen, habe nie mit amerikanischen Gesetzen etwas zu tun gehabt.«

»Wie? Sie wagen es, mir ins Gesicht zu leugnen?«

»Ich kenne Sie nicht anders als den in Deutschland reisenden Schausteller aus Amerika, mein Herr.«

»Schade, daß Ihr Leugnen Ihnen nichts hilft, Sie bleiben mein Gefangener.«

»Darf ich wenigstens erfahren, warum Sie mich verhaften?«

»Sie wissen es selbst, wegen Diebstahls! Es dürfte Ihnen allerdings unbekannt gewesen sein, daß es kein Privateigentum war, welches Sie entwendeten, sondern Eigentum der nordamerikanischen Republik!«

»Was Sie nicht sagen! Staatseigentum soll ich gestohlen haben? Vielleicht eine Briefmarke?« höhnte Matelas. »Herr Colonel, ich glaube, Sie sind nicht recht bei Sinnen. Ich bin ja mit Ihnen noch gar nicht zusammengetroffen.«

»Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen in einen Wortwechsel einzulassen!« entgegnete Indian Bill kurz. »Ich habe die Vollmacht, Sie zu verhaften, ich tu's hiermit. Nehmen Sie Abschied von jener Dame, wenn Sie es nicht vorziehen, sich lautlos zu entfernen. Frei gebe ich Sie keinen Augenblick mehr. Ich bin nicht umsonst jahrelang durch die ganze Welt gereist, um den Räuber meines Schatzes und meiner Ehre wiederzufinden.«

Die Frau hatte bereits wieder einmal nach Jean gerufen.

Jetzt öffnete sie die Tür, ihr ängstliches Gesicht blickte durch die Spalte, und als sie den fremden Mann mit erhobenem Revolver vor Jean stehn sah, verwandelte es sich in ein entsetztes.

Indian Bill hatte den Kopf einmal bei ihrem Eintritt zur Seite gewendet, und diesen Augenblick benutzte sein Gegner.

»Fahre zur Hölle, Wahnsinniger! Du oder ich!« In diesem Augenblick hatte er sich gebückt, um einem Schuß zu entgehn, auf den Colonel gestürzt.

Dieser ließ den Revolver fallen und packte seinen Gegner, denn lebendig wollte er ihn haben.

Ein kurzer, aber furchtbarer Ringkampf entstand, begleitet von den gellenden Hilfeschreien der Frau.

Der Westmann, an solche Kämpfe gewöhnt, hatte ein schwereres Spiel, als er geglaubt hatte. Matelas vermochte es wenigstens, ihm lange Widerstand zu leisten. Aber entwickelte er auch eine Kraft und Gewandtheit, mit der er jeden andern Gegner besiegt hätte, Indian Bill war ihm doch überlegen.

Der Verbrecher hatte jedoch eine List im Auge; er suchte den Colonel in eine Ecke zu drängen. Es gelang. Matelas griff mit dem freien Arm hinter sich, packte einen schweren, eichenen Stuhl, stieß Bill mit aller Kraft noch einmal von sich und ließ den Stuhl durch die Luft sausen.

Allein derselbe traf nicht den Kopf des Gegners, sondern fand vorher einen Widerstand. Ein Krachen und Splittern folgte, das Licht erlosch.

Der Stuhl hatte die brennende Hängelampe zerschmettert.

Die beiden Feinde rangen in der Dunkelheit weiter, stürzten, wälzten sich am Boden und merkten nicht, wie es in der Stube plötzlich wieder hell wurde, hörten auch nicht die Verzweiflungsrufe der Frau und der herbeistürmenden Diener.

Niemand konnte die Kämpfenden trennen, am Boden rollte nur ein Knäuel von verschlungenen Gliedmaßen, man hörte nur krampfhaftes Aechzen und Stöhnen. Doch nach einigen Minuten sprang Indian Bill auf, am Boden lag der mit dem Lasso gefesselte Matelas.

Der Colonel stand wie erstarrt da.

An der Wand leckten die Flammen empor, die Tür brannte.

Jetzt erst hörte er die entsetzten Rufe.

»Feuer! Feuer!« erscholl es durch das ganze Haus.

Bill sprang durch Flammen und Rauch, die Tür brach unter der Wucht seines Anpralles zusammen, er stürzte hinaus – die Treppe brannte ebenfalls schon.

Das brennende Petroleum hatte sich gerade auf die Türschwelle ergossen, war weitergeflossen und hatte alles Brennbare in der Umgebung entzündet.

Einige Minuten hatten genügt, den Brand große Dimensionen annehmen zu lassen. Der Colonel eilte zurück und stieß einen Fluch aus – der Gefangene lag nicht mehr da, nur der zerschnittene Lasso.

Bill rannte durch die Zimmerflucht, sah niemanden, kehrte um, hörte Hilferufe, eilte der Richtung zu, woher er sie vernahm, sie verstummten, dann stolperte er über einen Körper, hob ihn auf und sah die blonde Frau in seinen Armen liegen. Wieder flammte es mit furchtbarer Helligkeit auf, die Vorhänge und alle schnell brennbaren Stoffe hatten Feuer gefangen und brannten lichterloh.

Ohne sich lange zu besinnen, schwang sich Indian Bill, das vor Schreck bewußtlose Weib in den Armen, aufs Fensterbrett und sprang hinab.

Als wäre er nur von einem Stuhle aufgestanden, so eilte er elastischen Fußes weiter, durch den vom Feuer erleuchteten Park, und gelangte, ohne von den schon eindringenden Leuten angehalten zu werden, ins Freie.

»Ein Mann, der mir so lange widersteht, läßt sich nicht zum zweiten Male fangen, wenn er einmal entwischt ist. Dieses Weib ist seine Frau, sie soll mir Rechenschaft über ihn geben,« murmelte der Colonel. »Verdammt, daß dieser Nobody recht behalten hat!« Er erreichte den Platz, wo sein Pferd versteckt stand, ein Pfiff, und wiehernd kam es herbei.

Ohne die noch immer Bewußtlose aus den Armen zu lassen, schwang Bill sich in den Sattel und sprengte davon.

 

Am Pier lag ein kleiner Fährdampfer, wie er zur Beförderung von Personen nach den großen Passagierschiffen benutzt wird. Der Besitzer des Bootes saß auf der obersten Stufe der steinernen Treppe, scheinbar in einen Zustand zwischen Wachen und Träumen versunken.

Nur von Zeit zu Zeit richtete er sich empor und spuckte dann den Saft des Priemtabaks in hohem Bogen ins Wasser.

Daß der Mann dabei mit Anstrengung in die Nacht hineinhorchte, das hätte ihm kein Mensch angesehen, wenn einer in der Nähe gewesen wäre.

»Dammi,« brummte der Einsame, sich des Hamburger Platt bedienend, »dat's nu Tid!« und nach einer Pause setzte er hochdeutsch hinzu: »Er müßte bereits dasein, aber vermutlich hat Indian Bill fest zugegriffen, daß der Mann etwas lange braucht, um freizukommen. Die Abfahrtszeit wird er auf keinen Fall verpassen – er hätte schwerlich sonst seinen Platz im voraus belegt.

»Ah – da ist er!«

Sofort sank der Eigentümer des Fährbootes in sich zusammen, als wenn er schliefe. Er hörte die näherkommenden Schritte nicht – erst als sich eine Hand, die durch eine Narbe etwas entstellt ward, auf seine Schulter legte, fuhr er auf.

»Dammi!« fluchte er schlaftrunken.

»Ich bin's Jochen!« sagte der feingekleidete Herr, der einen eleganten Schiffskoffer bei sich führte. »Es ist etwas spät geworden, wir müssen uns beeilen, wollen wir noch zur Zeit kommen!«

An der Stimme erkannte der Schiffer den Sprecher, den er phlegmatisch grüßte.

»Wir haben noch eine Viertelstunde, Herr Overkamp!« sagte er dann.

Der Herr stieg die Treppe zum Boot hinunter, ohne zu antworten. Jochen folgte ihm, stellte sich ans Steuer, schaltete die Maschine ein, die Schraube begann ihre Umdrehungen, und das Schifflein schoß hinein in die Nacht, wand sich zwischen den schwarzen Kolossen der Überseedampfer geschickt hindurch und legte endlich neben einem derselben bei.

Ein kurzer Anruf, ein Fallreep senkte sich hernieder. Overkamp bezahlte den Schiffer, grüßte und verschwand an Bord.

Gemächlich drehte Jochen das Steuer, fuhr nach dem Pier zurück, machte das Boot fest, schritt über den Platz in ein enges Gäßchen und verschwand in einem niedrigen Hause.

Merkwürdig! Der Mann, der in dem qualmerfüllten Zimmer saß, glich dem Eintretenden aufs Haar.

»So, Jochen, da hast du dein Geld!« sagte dieser und warf den Betrag, den Overkamp ihm gezahlt hatte, auf den Tisch.

»Er ist fort?« fragte der andre.

»Ja.«

»Herr, ich verstehe Euch nicht! Warum habt Ihr Euch seiner nicht versichert? Ihr werdet ihn drüben schwerlich wiederfinden.«

Der andre erwiderte nichts. Er hatte sich abgewendet und hantierte an seinem Gesicht herum. Nach einer Weile drehte er sich wieder der Lampe zu. Jetzt war die weiße Schifferkrause, der Seemannsbart verschwunden, desgleichen die buschigen Brauen, die Krähenfüße an den Augen, die Falten in der Stirn.

Ein jugendlich schönes, edelgeschnittenes Antlitz schaute unter der gestrickten Mütze hervor.

Das war Nobody, wie ihn seine Frau kannte.

»Keine Sorge, Jochen!« sagte er. »Ich tue nichts ohne Grund! Jetzt zzziyyy Good bye!zzz/iyyy«

Er winkte grüßend mit der feinen Hand und ging.

Der Schiffer strich das Geld vom Tische.

»Den möchte ich ja nicht auf meinen Fersen haben,« sagte er. »Aber immerhin – eine Kieljagd ist eine lange Jagd!«


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