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30. Nach dem Erwachen

Nur mechanisch verrichtete Phöbe ihre Wiederbelebungsbemühungen. Während sie den noch immer erstarrten Körper, der sich aber immer mehr belebte, knetete, rieb und bewegte, verweilten ihre Gedanken bei Lacoste und dem vergifteten Dolch.

So war Alfons de Lacoste, der Mann, den sie wirklich geliebt hatte, damals gar nicht tot gewesen. Er war erst im Wasser, unfähig sich zu rühren, ertrunken.

Ach, daß sie damals bei ihm gewesen wäre und das Geheimnis des Dolches gekannt hätte! Dann wäre er am Leben geblieben – dann hätte vielleicht auch noch für sie das Glück auf der Erde geblüht.

Der liebe Leser hat schon längst erkannt, daß Phöbe im Grunde genommen kein schlechtes Herz besaß. Sie war nur eine arme Verführte, im lasterhaften Pariser Leben groß geworden, und das Schicksal hatte sie unter Verbrecher geführt, sie mußte diesen gehorchen, ohne mit ihnen zu sympathisieren.

Was blieb ihr nun, da sie das Liebste verloren, noch übrig? Nur eins: Rache! Wer hatte Lacoste gemordet? Aleen? Nein, er hatte dies nur auf Westerlys Veranlassung getan. Und wer hatte den Erstarrten ins Wasser geworfen, wodurch er erst wirklich den Tod fand? Aleen? Erst recht nicht. Dies war auf Westerlys speziellen Befehl geschehen, ohne daß Aleen einen Vorteil davon gehabt.

Westerly war der Mörder! Ach, hätte sie den Verhaßten doch eines hundertfachen Todes sterben lassen können! Wie herrlich wäre es zum Beispiel, wenn der Dolchstich den Körper nur erstarren ließe, die vollkommenste Geistesklarheit aber erhalten bliebe, und sie könne ihn dann in einen Sarg legen, aber mit Luftlöchern. Das wäre ein furchtbarer Zustand für den Betreffenden, für Phöbe aber eine furchtbare und süße Rache.

Doch Reihenfels hatte ja gesagt, daß mit diesem Scheintode zugleich die Tätigkeit der Sinne, also des Gehirns, aufhöre, und dieser erfahrene Gelehrte kannte ganz sicher die Wirkung des Giftes.

Phöbe brauchte nicht lange, um diese hier geschilderten Gedanken zu verarbeiten. In einigen Momenten waren sie ihr durch den Kopf gejagt.

Da seufzte Bega, schlug die Augen auf und richtete sich ohne alle Anstrengung empor.

Sonderbar! Sie schaute sich nicht verwundert um, wie jemand, der aus langer Ohnmacht erwacht, auch pries sie nicht Gott, daß sie dem Scheintod, dessen sie sich vielleicht bewußt, entgangen war. Prüfend blickte sie auf Phöbe, und finster zog sich dabei ihre Stirn zusammen.

Selbst Phöbe erschrak darüber; Begas Benehmen war zu unnatürlich. Wenigstens mußte die aus langem Schlafe Erwachte doch ahnen, daß etwas Seltsames, Außergewöhnliches mit ihr passiert war. Aber nichts von alledem! »Arme Bega, weißt du, was mit dir vorgegangen ist? Daß dein Leben nur an einem Faden hing?« fragte Phöbe teilnahmsvoll und umschlang sie.

Wie in unsagbarem Widerwillen stieß das Mädchen sie zurück, sprang auf und durchmaß einige Male das Zimmer. Dann trat sie vor die erschrockene Phöbe, welche nicht anders glaubte, als Begas Verstand habe gelitten, hin und flüsterte ihr hastig zu: »Phöbe, du bist nicht schlecht, auch du bist nur ein Opfer gleich mir. Erfahre es denn, dir will ich es anvertrauen. ich habe alles gehört!«

Phöbe konnte den wahren Sachverhalt noch nicht verstehen.

»Was meinst du, Bega?« fragte sie verwundert.

»Fliehe, fliehe von hier, so schnell du kannst, ich gebe dir die Freiheit: denn alle, die hier sind, sind dem Verderben geweiht. Nur deinen Untergang will ich nicht, du bist unschuldig.«

»Ich verstehe dich nicht,« stammelte das Weib.

»Begreifst du noch immer nicht?. Ich habe alles gehört, was Reihenfels gesagt hat; Timur Dhar, dieser Schurke, hat alles gestanden. Ich war bei Vernunft von dem Augenblicke an, da ich umfiel, bis jetzt. Mit mir ist ein ruchloses Spiel getrieben worden, ich werde mich rächen. Jetzt ist es aus. Ich weiß, wer ich bin – still, er kommt!«

Timur Dhar hatte in der Erwartung, ob er seine Schutzbefohlene als Lebende oder Leiche wiederfinden würde, ganz vergessen, seinen Schritt wie gewöhnlich zu dämpfen.

Sofort sank Bega auf das Lager und stützte den Kopf in beide Hände. Phöbe raffte sich zusammen und gab sich, alle ihre Energie aufbietend, das Aussehen, welches die Situation erheischte.

Sie war fest entschlossen, sich sowohl des Vertrauens, das ihr Bega gezeigt, würdig zu erweisen, als auch von einer etwaigen Unbedachtsamkeit Begas keinen Gebrauch zu machen.

Überhaupt hatte sie mit allen diesen Verhältnissen gebrochen.

Timur Dhar konnte seine Freude schlecht unterdrücken, als er seinen Liebling lebend fand, und Bega spielte ihre Rolle meisterhaft.

Sie sagte, daß sie sich nur entsinnen könne, wie sie einen leisen Schmerz im Nacken in dem Augenblick verspürt habe, als sie Phöbe zum einstweiligen Abschied die Hände reichen wollte. Weiter wisse sie nichts.

Ehe ihr Timur Dhar den Vorgang erzählte, warf er einen fragenden Blick nach Phöbe hinüber, und als diese eine fast unmerkbare, verneinende Bewegung mit dem Kopfe machte, begann er zu schildern, wie sich ein Überläufer gemeldet habe, der die Begum sprechen wolle, wie er, Timur, ihm nicht getraut habe, ihm nachgeschlichen sei und gerade dazukam, wie der Perser ihr den Dolch in den Nacken stoßen wollte. Er hätte nicht mehr verhindern können, daß die Spitze die Haut ritzte, und die furchtbare Wirkung des Giftes habe sich sofort geäußert.

»Wie aber wurde ich denn wieder zum Leben gebracht?« fragte Bega, welche tat, als wäre ihr dies nicht alles selbst bekannt.

»Ich wußte um die Eigenschaft dieses Dolches,« log Timur, »sowohl die tötende als auch die rettende, und so preise ich Brahma und Wischnu, den Erhalter, daß ich befähigt war, dich, o, Begum, dem Leben wiedergeben zu können.«

»Sagte der Perser nicht, er wollte mir Nachrichten über Reihenfels bringen?«

»Natürlich nur ein Vorwand, um in deine Nähe zu kommen. Die Engländer wissen, daß du – verzeihe deinem Diener, wenn er dein Herz martert – daß du zu Reihenfels in nahem Verhältnis standest, und gaben dem gedungenen Meuchelmörder den Rat, wie er dich persönlich sprechen konnte. Was für Nachrichten hätte er dir über einen Toten bringen können? Ach, der, den meine Herrin liebte, ist durch die Hinterlist seiner Freunde gefallen, auf die er so fest baute.«

»Zeige und erkläre mir nun diesen sonderbaren Dolch!«

Timur tat es. Prüfend betrachtete ihn Bega und blickte dann fragend Phöbe an.

»Sollte dies nicht derselbe Dolch ...«

»Er ist es, er ist es!« rief Phöbe und streckte die Hand nach der Waffe aus. »Durch dieselbe Waffe fiel auch Lacoste, ebenso meuchlings in den Nacken gestochen wie du.

Gewähre mir nur eine Bitte, Begum. Für alle meine Dienste, die ich Indien geleistet habe, und für welche ich eine Belohnung fordern darf, verlange ich nur diesen Dolch, nur ihn, ich bitte dich, Begum.«

Timur Dhar wollte die Übergabe verhindern, aber schon hatte Phöbe ihn aus der Hand Begas empfangen und verbarg ihn an dem Busen.

»Ich begebe mich in meine Gemächer,« sagte Bega, aufstehend, »und möchte heute nicht mehr gestört werden, gar nicht, was auch geschehen mag. Ich bin bis zum Tode erschöpft.«

Sie ging hinaus; Timur und Phöbe waren allein.

Ersterer tat sich keinen Zwang mehr an, seine Freude über der Begum Rettung zu unterdrücken; finster blickte Phöbe drein.

»Ich habe von der Begum die Erlaubnis,« begann sie dann, »Delhi verlassen zu dürfen und frei meinem eigenen Willen folgen zu können. Ich hoffe, Timur Dhar, du wirst meinem Wunsche nicht entgegen sein, sondern ihn unterstützen.«

»Wozu?« fragte der Gaukler.

»Timur, verstelle dich nicht! Ich habe oft bewundert, wie schnell und sicher du Menschen durchschaust, und was du nicht in ihrem Herzen liest, das spionierst du aus. Sicher kennst du auch den Beweggrund, der mich aus Delhi treibt.«

Timur war gegen Schmeichelei nicht unempfänglich. »Ja, ich weiß es,« gestand er, »dich zieht es nach Bombay.«

»Warum gerade dorthin?«

»Weil du dort Westerly treffen wirst. Genug, Phöbe, ich kenne dein Schicksal und weiß, warum du alle Ursache hast, Westerly zu hassen. Fürchtest du, ich würde ihn deiner Rache nicht überlassen? Bis vor einer Stunde hätte ich es auch nicht getan, jetzt aber, jetzt, da ich weiß, daß der Mordanschlag auf der Begum Leben von ihm ausgeht, übergebe ich ihn dir zur Bestrafung.«

»Ja, jetzt überlasse ich ihn dir,« fuhr er mit vor Haß funkelnden Augen fort, »er war schon lange meiner Rache verfallen, und ich wartete nur auf den Moment, da ich ihn am empfindlichsten für seine wiederholte Verräterei strafen könnte. Nicht mit Unrecht nennst du mich einen Menschenkenner. So weiß ich denn auch, daß der Haß eines Weibes gegen den, der ihm den Geliebten geraubt hat, tausendmal leidenschaftlicher ist als der eines Mannes.

Ein Mann, und wäre er noch so raffiniert, könnte seine Rache nicht so furchtbar befriedigen, wie ein Weib. Deshalb übergebe ich Westerly dir zur Bestrafung. Du wirst dein möglichstes tun.«

»Das werde ich,« entgegnete Phöbe mit bebender Stimme, »und dazu gebrauche ich den Dolch.«

»Ich will dich nicht erst ermahnen, den Dolch nicht einfach zum Töten anzuwenden. Ihr Weiber versteht es ja, jemanden eines hundertfachen Todes sterben zu lassen. Dennoch will ich dir Ratschläge geben, wie du ihn martern kannst.«

»Sie nützen mir nichts. Ich weiß selbst, wie ich sein Herz treffen kann.«

»So? Weißt du auch, was Westerly wie Feuer auf seinem christlichen Gewissen brennt?«

»Der Mord an seinem Bruder.«

»Ah, du hast es schon erfahren! Ja, das ist es! Ich kenne die christliche Religion; er fühlt sich als Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat, und das Zeichen, das Jehova dem Brudermörder aufdrückte, trägt er ebenfalls auf der Stirn. Vergebens sucht er es durch fleischfarbenes Pflaster und Schminke zu verbergen, es kommt doch immer wieder zum Vorschein; und ich habe ihn beobachtet, mit welchem Entsetzen er sich manchmal im Spiegel betrachtet, wie er zittert, stöhnt und ächzt. Eure Religion spricht im Gegensatz zu unserer von Todsünden, die sich nicht abbüßen lassen, und Westerly fühlt, daß er eine solche begangen hat. Vergebens sucht er sich durch Genüsse zu betäuben, es gelingt ihm nicht, um so weniger, als er – eine noch furchtbarere Sünde gegen seine Religion begangen hat.« »Eine noch größere?« fragte Phöbe verwundert. »Es gibt keine größere als den Brudermord.«

»Setze dich dorthin, ich will dir alles mitteilen und dir die Mittel geben, wie du sein Gewissen bis zur Verzweiflung quälen kannst. Wie ein Wurm wird er sich im Staube winden –«

Unterdessen saß Bega, in Brüten versunken, in ihrem Gemach und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen.

Manchmal sprang sie auf, ging einige Male heftig auf und ab und fiel dann wieder in Brüten.

Wurde ihr Antlitz sichtbar, so hatte es jedesmal den Ausdruck gewechselt. Bald drückte es namenlosen Haß aus, bald erstarrte es in Traurigkeit, und dann war es wieder vor Freude wie verklärt. Was für Gedanken mochten ihr durchs Hirn jagen? Zorn und Haß beherrschten sie, wenn sie an die Vergangenheit dachte; denn jetzt wußte sie, was für ein frevelhaftes Spiel mit ihr getrieben worden war; eine unsagbare Traurigkeit überkam sie, dachte sie an den Schmerz, den Reihenfels, der noch Lebende, ihretwegen erduldete. In freudigen Farben malte sie sich die Zukunft aus, die sie sich jetzt mit fester Hand und unbeugsamem Willen schaffen wollte, und der Weg zu dieser Zukunft ging über den, der sie so grenzenlos getäuscht hatte – über Timur Dhar.

Eine Art von Wut befiel sie fast, dachte sie an diesen Mann, der stets vorgegeben hatte, ihr Freund zu sein. Was für ein gewissenloser Schurke war dieser Mann! Er selbst hatte gestanden, daß er sie als Kind geraubt; er hatte ihre Eltern unglücklich gemacht und sie selbst; er hatte sie ihrer Heimat entrissen und sie zum Werkzeug seiner Absichten erzogen.

Ha, wie haßte sie diesen Mann; wie wollte sie vor ihn hintreten, ihn anklagen und sich an ihm rächen! Aber wie? Wieder begann sie zu grübeln.

Ein leichtes Geräusch ließ sie aufblicken. Vor ihr stand Phöbe.

»Ich weiß, an was du denkst, arme Bega,« begann ihre einstige Pflegemutter. »Lebhaft kann ich mir vorstellen, was in dir vorgeht. Ach, Bega, kannst du mir verzeihen, was ich an dir Schweres gesündigt habe?«

»Ich verzeihe dir,« antwortete die Gefragte dumpf und ergriff ihre Hand, ohne sie anzusehen, »bist doch auch du nichts weiter als ein Opfer von Betrügern. Ich weiß, du hast es nie böse mit mir gemeint, andere desto mehr. Lebe wohl, Phöbe, verfolge du deinen Weg, wie ich den meinen!«

»So möchte ich dir noch eine Warnung mit auf den Weg geben, ehe wir scheiden.«

»Und das wäre?«

»Handle nicht voreilig.«

»Ich überlege reiflich. Du störtest mich darin.«

»Ach, Bega, ich glaube, du bist nicht imstande, die ganzen Verhältnisse zu überblicken!«

»Doch, doch! Ich kenne sie gut genug. Was habe ich übrigens weiter zu tun? Ich weiß, wer ich bin, und damit genug. Offen gebe ich die Rolle auf, die mir nur aufgezwungen worden ist. Ich fordere Timur auf, mir Rechenschaft abzulegen, mir Reihenfels auszuliefern, ich gebe den Engländern die Erklärung, und ungehindert und mich bedauernd werden sie mich in Frieden ziehen lassen.«

»Darin eben irrst du. Glaubst du nicht, Bega, daß Timur Dhar alles aufbieten wird, deinen Übertritt zu verhindern?«

»Er soll es wagen!« fuhr Bega auf.

»Er wird alles wagen, wenn es gilt, sein Ansehen zu behaupten und seine Pläne durchzusetzen.« »So mag er es. Ich will ihm zeigen, daß ich ihm in jeder Hinsicht gewachsen bin!«

»Bega, vergiß nicht, daß Timur Dhar ein äußerst schlauer Mann ist, ein wie schlauer, wissen wir gar nicht. Unerschöpflich sind seine Listen; scheitert die eine, so hat er hundert andere vorrätig.«

»Nicht mit List, offen will ich ihn und seine Schurkerei bekämpfen. Er wird mich ziehen lassen.«

»Vielleicht tut er dies auch, weil er sich dir gegenüber doch etwas fürchten dürfte.«

»Nun, und?«

»Liebe Bega – verzeihe mir, wenn ich dich so nenne.«

»Nicht anders,« fiel Bega hastig ein. »Ich will das Wort Begum nicht mehr hören; es klingt wie Hohn, und es ist auch nichts weiter als grausamer Hohn!«

»Also, liebe Bega, du unterschätzt Timur vollkommen. Es ist sehr leicht möglich, daß er dich unbehindert von dem Schauplatze deiner Tätigkeit abtreten läßt; aber das glaube mir, nimmermehr wird er zugeben, daß du das Resultat deines Erkennens, sein auf Aberglauben und List beruhendes Spiel Indiern oder Engländern mitteilen kannst.«

»Ich verstehe wohl, was du damit meinst; aber wie sollte er mich daran hindern?«

»Ich weiß nicht, zu welchen Mitteln Timur Dhar greifen wird. Eins davon ist zum Beispiel die Verleumdung.«

Nachdenklich blickte Bega vor sich hin und schüttelte den Kopf.

»Es dünkt mir unmöglich, mich verleumden zu können. Durch meine Erklärung muß sein Lügengewebe zusammenbrechen. Vergiß nicht, daß ich auch unter den Engländern, wenn nicht Freunde, so doch Bewunderer habe, die mich achten. Den Indiern mag er wohl bald das Vertrauen zu mir rauben; aber auch darauf würde ich es schließlich ankommen lassen.«

»Tue es nicht!« rief Phöbe fast flehend. »Mir ist, als könne ich in die Zukunft sehen; ich sehe dich desselben Schicksals sterben wie den Gründer unserer christlichen Religion. Dem Manne, der sich nicht scheute, sein Leben hinzugeben, um die Welt zu erlösen, rief sein eigenes Volk zu: ›Kreuziget, kreuziget ihn!‹ Die Römer, damals seine naturgemäßen Feinde, wollten ihn vor seinem eigenen Volke schützen, aber die Juden forderten von ihnen das Blut dessen, der ihr Retter war. Römische Söldlinge waren es, die ihm die Knochen zerschlugen.

Und wo steht jetzt der Stuhl dessen, der im Namen Christi spricht? In Rom. Sieh, Bega, dies ist das Los aller derer, die sich in den Lauf des Schicksals nicht fügen, und Timur hat durch seinen Verstand wohl die Macht, es so zu lenken, daß du sowohl von den Indiern, wie von den Engländern gehaßt und verfolgt wirst.«

»So laß dem Schicksal seinen Lauf. Ich will kämpfen, wenn es auch mein Untergang ist.

Du warnst mich nur, vermagst mir aber keinen Rat zu geben. Was soll das?«

»Einen Rat weiß ich doch. Ich glaube fast, Timur Dhar hat dich lieb, du bist ihm ans Herz gewachsen. Bitte ihn, dich freizulassen, vielleicht gibt er nach.«

»Ihn bitten?« rief Bega mit höhnischer, schneidender Stimme. »Ihn, der mein ganzes Leben zerstört hat, alle meine Hoffnungen zu vernichten suchte? Nein, lieber will ich mit ihm kämpfen und untergehen!«

Die beiden, die lange Zeit zusammen gelebt und sich immer gut verstanden hatten, nahmen Abschied. Es war Bega unmöglich, dem Weibe zu zürnen, das sich ihr als Tante ausgegeben hatte und ihr wirklich eine sorgende Mutter gewesen war. Sie dachte nicht mehr an die Täuschungen, die Phöbe ihr einst bereitet.

»So lebe wohl,« sagte sie, »vielleicht sehen wir uns wieder – und sind dann glücklich!«

»Mögen das Glück und die Liebe dir noch blühen,« entgegnete Phöbe, »für mich haben sie geblüht – es ist vorbei. Ich kenne nur noch eine Pflicht.«

Nachdem Phöbe Bega verlassen, blieb diese noch lange in Gedanken versunken sitzen.

Aber wie sie auch grübelte, sie vermochte keinen Plan zu finden, wie sie die Fesseln von sich abstreifen könnte. Ein Trost war es ihr, Reihenfels in Gefangenschaft sicher zu wissen, zugleich sehnte sie sich jedoch danach, ihn wiederzusehen, mit ihm zu sprechen und ihn an ihr Herz zu drücken.

Wie sollte sie die Banden sprengen? Ach, Timur Dhar besaß Argusaugen und würde sicher jeden Versuch, mit den Engländern heimlich zu verkehren, unmöglich machen.

Draußen donnerten die Kanonen, Granaten schlugen in die Stadt ein, und nach gar manchem Schuß erschollen Jammer und Wehklagen.

Da erblickte Bega durch das hochgelegene Fenster eine seltsame Gestalt auf der Straße.

Sie war in eine Uniform gekleidet, die einst einem General gehört haben mochte, jetzt aber sah sie recht zerlumpt aus. Der Mann trug einen Dreimaster, an dem nur noch einige spärliche Roßhaare flatterten, an der Seite einen Schleppsäbel, hohe Stiefel und riesig lange Sporen.

Plötzlich brach Bega in ein helles Lachen aus. Sie hatte diesen Mann schon längst vergessen – es war August, Reihenfels' Diener, der General der Amazonengarde, die sich noch immer in Delhi umhertrieb.

Zugleich aber durchbrach ihr trübes Gemüt ein sonniger Lichtstrahl. Dieser Mann mußte ihr helfen.

 

Ende des III. Bandes


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