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Rübezahl nimmt zum andern Male Handgeld, und bei Leuthen wiederfährt ihm was Menschliches.

Am Morgen dieses nämlichen Tages trat bei den grünen Husaren des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Seydlitz in der ersten Schwadron ein Rekrut ein, an dem der Wachtmeister seine strahlende Freude hatte. Es war der, über den der König Friedrich im Schlafe seinen wunderbaren Sieg gewonnen hatte! Nun kam er daher, unser Meister Rübezahl, wie aus einem Heiligtum, wo ihm so feierlich, so wohl und rein gewesen, wie nur je in seinem mondlichtdurchfluteten Felsgemache daheim. Das macht, er war in der Seele jenes seltsamen hohen Menschen zu Gast gewesen, deren Gewalt, nachdem er so lange ungebärdig sich ihrer erwehrt hatte, er endlich willig anerkannte, in der er endlich alles, was Mensch heißt, zu ehren begann. Darum bracht' er einen stillen Ernst mit und den Vorsatz: Nun will ich's einmal zu Ende erleben! Nichts sei ich, meint der maulfertige Pastor daheim? Hoho! ich will auch einmal dienen! Ob ich's nicht kann? Dienen dem reinen Willen dessen, der unter meinem Griffe mit nackter Seele gelegen, dienen wie ein gemeiner Reitersmann, und will mich jeglicher Macht, die mir innewohnt, begeben. Zu beschämend brannte in ihm des Schmiedeberger Pfarrers Wort! So ließ er, ob ihr's glaubt oder nicht, alle Flausen, alle Narrheit und Koboldtücke zuhaus, nicht mal das neckische Klappbrett auf seinem Schädel vermocht' es diesmal über ihn, sogar das Lachen im Gedenken an den Witz vom letzten Male verkniff er sich tapfer. Willig tauchte er unter in der Schwadron, in trüben und harten Tagen ein unverwüstlich lustiger Kamerad, für alle der Quickborn der Zuversicht und des Glaubens an ihren »Vater«, den großen König.

Eigentlich ist aus diesen Wochen gar nichts von ihm zu sagen, er fiel nicht auf und wollte nicht auffallen. Nur den Spaß, mit Dukaten zu schmeißen und am Marketenderkarren den Wirt zu spielen, konnt' er sich nicht versagen, hütete aber auch hierbei sich vor einem Zuviel, im Gedanken an die feine Nase der dicken Käthe. Oft kam ihn freilich ein Bangen an, so fern der lieben Heimat nur noch Menschennot und -arbeit zu teilen und, was das Tollste, täglich mehr Menschengedanken zu denken; immer mehr gewannen es die Sorgen der Kameraden über ihn, immer seltener besann er sich auf sein wohlberechtigtes: »Was geht's mich an?« – und so fragte er sich selber: Verdammt, mach' ich nicht lieber bald mal eine Probe, ob ich's noch kann, ob ich's noch bin, der Rübezahl? Ob nicht am Ende gar meine Kraft von mir gewichen? Wundern sollt' mich's nicht! Doch beharrlich verwehrte er sich's, sein selbst sich entäußernd. Hoho! trotzte er, Herr Pfarrer, soll ich wirklich weniger wert sein als ihr und nicht auch vermögen, Treue und Geduld zu üben, solange mir's Spaß macht? Und sich hinterm Ohr kratzend, wandte er sich selber ein: Droht mir doch ohnehin nicht mal euer Tod, unter dessen Schatten diese wackeren Burschen hier alle so würdig ihr Haupt tragen. Und er blieb Ruprecht der Rekrut von der ersten Schwadron, gebürtig aus Schmiedeberg im Schlesierland.

Als nach dem Husarenstreich des österreichischen Generals Hadik wider Berlin Seydlitz, mit der Vorhut des Fürsten Moritz der bedrohten Hauptstadt zu Hilfe eilend, bei Treuenbrietzen sein Scharmützel mit einem Trupp österreichischer Reiter hatte, war unser Rekrut fröhlich dabei, und der Fröhlichsten einer, als die ersehnten und erbangten grünen Husaren und Kürassiere am siebzehnten Oktober in Friedrichs Hauptstadt einzogen.

Nach harten und bangen Wochen ritt er endlich unter dem jüngsten und fähigsten der Generäle des Königs an jenem kalten Novembermorgen den herrlichen Reitersturm von Roßbach mit. Wie er dahinstob im Wetter der schnaubenden Rosse, der fliegenden Schabracken und klirrenden Schwerter, da streifte ihn wie ein Glück, das über alle Erlebensmöglichkeit ginge, das Gefühl der Todbedrohtheit, des Mitverfallenseins unter ein Sterbensgeschick, überschauerte auch ihn die nie gefühlte Wonne, dem Tode das Leben zu entreißen, des Menschenlebens heiligste Festeslust. So ahnungsvoll menschlich klangt's ihm darein in die wilde Geisterlust des Sturmesgrimms, in dem er dahinfuhr, nicht anders als im bösen Wetter daheim, verheerend, brüllend, Entsetzen vor sich herscheuchend, als wär er umprasselt von Steinschlag und berstendem Hochwald, und sein urweltlich Jauchzen riß alle Streiter mit sich, jeder fühlte: mit uns ist eine Macht von übermenschlicher Unwiderstehlichkeit.

Über Leipzig und Torgau ging's dann hinab mit dem »irrenden Ritter«, wie er sich selber nannte, nach Schlesien zu, der Heimat zu. Neue furchtbare Schläge trafen den König. Schweidnitz war gefallen, die unglückliche Schlacht Beverns bei Breslau kam dazu, Bevern selber fiel auf einsamem Erkundungsritt in Kroatenhände, und das Schlimmste von allem: Breslau mußte sich den Österreichern ergeben. Friedrichs Tatkraft war nicht zu brechen, der getreue Eichel staunte täglich mehr der Unüberwindlichkeit dieses Geistes und Willens.

Am zweiten Dezember waren die Truppen aus Thüringen alle nach den mühseligsten Gewaltmärschen auf grundlosen Wegen um ihren Heerfürsten geschart, verstärkt durch Kriegsgefangene von Schweidnitz, die dort auf die Roßbacher Kunde glücklich durchgebrannt waren, auch viele Fahnenflüchtige von der Breslauer Unglücksschlacht, die sich reuig wieder einfanden bei den alten Fahnen, sobald Er selber auf dem Plan erschienen war.

Was er nun hier in seiner Hand vereinigte, das war sein Ein und Alles, war der letzte Hort des Preußentums – der vertan, und alles war aus! Und doch mußte es drangesetzt werden, im hohen Spiel auf Leben und Tod; mit der verlorenen Schlacht von Breslau durfte der Feldzug nicht seine Endschaft haben: welch ein Friede war danach zu gewärtigen? Und welch ein neues Frühjahr erst? Ein fröhlich Halali aller Feinde über dem endgültig gedemütigten, verhaßten, verspotteten »Marquis de Brandenbourg«! Darum war Friedrich entschlossen zum Letzten, die Österreicher anzugreifen, »und wenn sie verschanzt auf dem Gipfel des Zobtenberges stünden«! – in dem klaren Bewußtsein, alles um alles zu wagen. Er hatte abgeschlossen mit der Welt und eine erhabene Ruhe und Helle übersonnte ihn und gab seinem Reden und Tun eine ergreifende verklärende Milde, seinem Wesen eine Erhöhtheit, Entrücktheit – nie empfanden die Seinen so seiner Größe gebietende Gewalt. Seinen Kriegern zeigte er sich oft und geflissentlich, in seinem abgeschabten blauen Waffenrock – »schmächtig wie ein Heuschreck«, dachte Ruprecht der Rekrut –, das hagere Antlitz bereits zu jenem ehernen Altersbilde ausgeprägt, das untilgbar im Gedächtnis der Menschheit lebt, in dem immer beherrschenderen Auge eine Welt von bemeisterter Not, geistüberwundenem Weh, jenen Tiefglanz, den nur ein Menschenauge hat, das ohne Blinzeln in die starrenden Augensterne der Notwendigkeit geschaut hat; so sahen ihn seine Getreuen bereits in unwandelbarer Gestalt wie mit bewundernden Nachweltblicken. Und wenn dies Königsauge die Reihen der Männer, die auf Tod und Leben sein waren, überflog, dann sprach's in Rübezahls Brust: Verdammt ja, ein Herr! Ein Seelengebieter, der die Willen von Hunderttausenden bindet! Und er darf sie sich zu eigen fordern, alle diese Seelen, für seine Sache, Gott gab ihm so unerhörte Vollmacht, weil Sein ewig schaffender Wille ihrer aller bedarf, weil ihm an diesem Einen alles, an den Tausenden nichts gelegen ist! Es ist nicht zuviel! Herr der Berge, sieh diesen Herrn dir an: Wer ist der Mächtigere? – Daß er so denken konnte, beweist, wie Menschlichkeit schon ihn übermochte. So gab er mählich den Widerstand auf und ließ sich tragen im Strome, der alle trug – und sieh, es tat ihm wohl!

Am vierten Dezember, in nachtdunkler Morgenfrühe stürmten die grünen Husaren der preußischen Vorhut das Städtchen Neumarkt und erbeuteten die Feldbäckerei und mit ihr einen höchst willkommenen Riesenvorrat an Brot. In der Freude des gelungenen Handstreichs widerfuhr unserem Rekruten noch einmal etwas Rübezahlmäßiges, was den merkwürdigen Kameraden, den ohnehin seine übermenschliche Wildheit von Roßbach zu einem Gegenstand ehrfürchtiger Scheu gemacht hatte, unheilbar in den Geruch der Unheimlichkeit bringen konnte: berauscht von der duftigen Masse und Zahl der achtzigtausend Brote, führte er mit der lieben Gottesgabe einen tollen Spuk auf: Beim Verladen und Abzählen war's, als hätten alle die Brotlaibe Beine und koboldhaftes Leben bekommen, das strömte unerschöpflich, kugelte, purzelte, wirbelte durcheinander, hüllte alles in dicke Wolken von Mehlstaub, häufte und schichtete sich unsinnig zu Wällen und Mauern, stockte und staute sich im Hausgang, auf dem Hofe, in der Gasse, zwischen den Wagenrädern, daß vor solchem Schlaraffenzauber die Husaren sich ratlos in die Haare fuhren, und kein Mensch wußte, wo er zugreifen, wie das je zu einem Dinge von Vernunft und Übersicht sich entwirren sollte, und sich Zank und Schlägerei der Soldaten untereinander und ein gewaltiger Zulauf von Bürgern, Amtspersonen, Polizei, pfeifenden Gassenjungen, bellenden Hunden, zugreifenden Spitzbuben – kurz ein entsetzliches Durcheinander erhob, indes der Übeltäter spottlachend sich aus dem Staube gemacht hatte.

Das war noch einmal ein Spaß. Anders war ihm zu Sinne, als in stockdunkler Frühe am fünften Dezember das preußische Heer in vier Kolonnen, zwei zu Fuß zwischen zweien Reiterkolonnen, zum großen Entscheidungskampfe antrat. Feierliche Stille, in der selbst das tausendfältige Huftrappel seltsam gedämpft klang, ein schwaches Dämmerlicht keimte am östlichen Himmel empor. Da sangen die Todgewillten ihr schlicht soldatisch Morgengebet:

Gib, daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret,
Wozu mich mein Beruf in meinem Stande führet;
Gib, daß ich's tue bald, zu der Zeit, da ich soll;
Und wann ich's tu, so gib, daß es gerate wohl.

Droben auf der Höhe ritt der König neben seinen vorrückenden Heerscharen. Ein Adjutant fragte, ob die Soldaten schweigen sollten. Er schüttelte das Haupt: »Meint Er nicht, daß ich mit solchen Leuten siegen werde?«

Mit solchen Leuten! Wer auch so einer wäre! Ein heiliger Schauder überrann den fremden Reitersmann bei den Klängen des frommen Liedes. Ein wildes Weh und ein leidenschaftlich Wünschen riß durch seine Brust und machte ihn uneins mit sich selber, so wie er nie für möglich gehalten hätte, mit sich uneins zu werden. Er verstand auf einmal, was er immer verlacht hatte und verflucht hatte als einen schmählichen Abfall von der Geisterwürde: wenn je die närrische Kunde zu ihm geschehen war von einer allzu empfindsamen Muhme in der Wassertiefe, die sich krank gesehnt habe nach der Menschenwelt und alle Unseligkeit auf sich nehmen wollen, einer Seele teilhaftig zu werden! Sie hatte ihren Zauber, die Menschenseele, ihre Hoheit und Schönheit, jetzt verstund er sie: ihr Wissen war's um den Tod, der sie zum Wunder der Welt machte! Die Gewißheit eines Endes, das nimmer Ende sein kann, hinter dem das Gemüt eine höhere Gewißheit ahnte, suchte, forderte, mußte! Da er so den Menschen zu begreifen begann, begriff er auch den Helden ganz, der da von Dunkel umhüllt, das sein nachsichtig Auge durchdrang, auf der Höhe neben seinem schreitenden Heere ritt. Da konnt' er sich nimmer entbrechen, er gewann ihn lieb, und mit ihm die Art der Menschen, bei der solches Wunder möglich ist, ja, er beneidete sie um das Sterbenkönnen. So hub denn die wundervolle Schlacht von Leuthen an.

Indes zwanzig »Brummer« in den Sturm ihr Machtwort dreindonnerten, wurden südlich von Sagschütz zuerst die Württemberger von Wedells drei Grenadierbataillonen geworfen, die österreichische Reiterei des linken Flügels von den Gardedukorps und Gendarmen, zuletzt den Husaren Zietens; alles flutete gebrochen auf Lissa und Leuthen zurück. Dann kam das wilde Ringen wider den Kirchhof von Leuthen, dessen alte, dicke Steinmauern wie eine Festung von schweren Geschützen starrten. Friedrich selber leitete den Sturm. Ein heißer Kampf in den Straßen des Dorfs räumte hier endlich mit dem zähen Gegner auf. Nördlich von Leuthen aber brach der österreichische rechte Flügel vor den Reiterangriffen Lucchesis und Driesens zusammen, so gründlich, daß ganze Bataillone in kopfloser Flucht ihre Gewehre von sich warfen. Den Kehraus machte ein Bajonettkampf und ein letzter Anritt der schweren preußischen Reiterei.

»Gebt morgen mal auf den Satanskerl, den Ruprecht, acht, was der wieder für 'ne Wirtschaft machen wird! Der hat euch eine Furia im Leibe – rein zum Fürchten ist's! Möcht keiner der Weißröcke sein und dem in die Quere reiten.« So hatten sich schon in Parchwiß die Kameraden zugeflüstert. Und wahrlich, er schwelgte wieder, der Unbändige, ein entketteter Riese, in der Zerstörerwonne des Niederstürmens; doch nicht wie bei Roßbach brüllte er in gedankenloser Wut dem Orkan gleich in der Felsenklamm: hieb er rechts und links von seines Gaules Ohren, der unverwundbar schien wie er, eine blutige Gasse, bei jedem Schwertschwung jauchzte sein wildes Herz: Für Ihn! Für Ihn!

Und doch war er nicht unverwundbar, der hochbeinige Scheck, der den Rasenden trug – und auch ihm selber geschah ... ja, was geschah ihm? wir müssen's wohl füglich »was Menschliches« nennen, so wie er sich's heimlich halb und halb gewünscht hatte. Im letzten Reitervorstoß oder Nachstoß war es, da stieg das mächtige Tier mit gräßlichem Todesschrei steil empor und brach zusammen, den Reiter halb unter sich begrabend. Ein feindlicher Offizier, selber blutüberströmt und zu Tode wund, den er eben aus dem Sattel gehaun, erhub sich keuchend über ihm auf den Knieen: »Du Vieh! Du Satan!« und schoß ihm, schäumend vor Wut, die Pistole durch die Brust, dann schlug er ohnmächtig hintüber. Und die Jagd der Fliehenden und Verfolgenden ging über unseren Kürassier hinweg.

»Verflucht!« knurrte Rübezahl. »So hab ich's nun gerade nicht gemeint!« – und fühlte, wie es heiß aus seiner hochatmenden Brust in den Harnisch rann. Es tat ihm linde. Sein pfeifender Atem ward steter, stiller sein kochend Blut, das die Adern ihm spannte. Krächzend über seinem schweißkalten Haupte strichen Krähen zu Holze, die frühe Dämmerung hüllte ihn ein, dunkler und dunkler ward es um ihn, eisiger Frost hauchte aus dem blutgenäßten Grunde und legte sich klammernd um seinen Leib.

Kein seliger Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen:
Auf grüner Heid im freien Feld
Darf nicht hörn groß Wehklagen

– so ging's ihm durch den Sinn; gestern hatten's die Kameraden gesungen. Er schüttelte den Kopf. »Holla, was ist das mit mir? Ich glaube gar ...! Ja, was denn, Alter?« murmelte er, »steht's nicht bei dir, dem Spaß ein Ende zu machen, sobald dir's zu dumm wird?« Und er quälte sich vergeblich, sein rechtes Bein, das ihn wahnsinnig schmerzte, unter dem Leibe des verendenden Tieres zu befreien.

Sollt man's glauben? das tut in allem Ernste weh wie irgend ein x-beliebiges Stück Bein, wie's seit Adam vom Weibe kommt! »Verflucht noch mal,« stöhnte er, »das heißt das Spiel zu ernst nehmen, so war's wirklich nicht gemeint! Schließlich bin und bleib ich doch der Rübezahl sozusagen!« Und er lachte polternd, als könnt' er das Ungemach irdischer Leiblichkeit, in das er mutwillig hineingetölpelt war, hinweglachen, es klang aber schmählich bekniffen.

»He, Kamerad, lebst du noch?« ächzte da einer neben ihm. »Ist's die Möglichkeit? der Ruprecht! Hoho, hat dich's auch erwischt? Dachte, du wärst kugelfest. Bist auch so ein zerscherbt Geschirr wie ich hier, der ich selber nimmer weiß, was noch zu mir gehört? mir läuft das Leben aus zwanzig Löchern weg, dünkt mich. Hundekalt ist's dabei, hab mir mein letztes Lager vergnüglicher gedacht. Ah! Hin ist hin, was verschlägt's? Sah dich dreinfetzen, Bruder: verfluchter Kerl du, Hut ab, hast ein wacker Stück Arbeit getan heute und dem Fritze redlich geholfen. Junge, geschmissen haben wir's wiedermal, geschmissen! Das war mal wieder der alte Pfiff, ist halt ein andrer Kram, wenn Er selber dabei ist – pfui Deibel, die Breslauer Schweinerei unter dem Bevern! Viktoria! schrei mit, Kerl – Viktoria! Vivat Fridericus rex! Vivat ...« Röchelnd verstummte jäh der siegfrohe Mund. Aus der Ferne klang ein Singen, leise und lauter, immer lauter – »Nun danket alle Gott ...«

Rübezahl lag still, ganz still, und bedachte dies Sterben, und bedachte dies Singen und Danken. Dann gab's im Stockfinstern zwischen Männer- und Rosseleibern ein absonderlich Selbstgespräch.

Nun ja – das war also das Sterben. Es ist schon was. Freilich, es ist schon was. Jaja, die Menschen! Hut ab, Hut ab!« Er lachte: »Wenn man just einen aufhat! Indessen – dazu ist unsereiner doch nicht da! Was heißt das? kann ich nicht mehr ...? Blitz und Hagelschlag, ich weiß wirklich nicht, wie ich dran bin! Ob ich wirklich gar ... dummes Zeug! – Warum aber tut mir der verdammte Knochen so weh? will sich der Hergott droben einen Spaß mit dem Alten machen, zur Strafe für meinen Vorwitz? – Meister Tod, ist er hier beiwege? Mir ist, als hört' ich ihn im Finstern tappen; legt er einem um den andern die beinerne Pfote auf den seufzenden Mund und das ringende Herz? Ich bitt mir's aus, schau er ein bissel zu, wen er vor sich hat, daß er nicht an den Unrechten gerate! Daß wir uns nicht mißverstehn: ich hab es soweit einmal mitgemacht – nun ja, es hat sich schon gelohnt, er ist schon ein ganzer Kerl, dieser Preußenfritz; jetzo aber ist's gut, nun mach er keine Dummheiten, Gevatter: das Sterben ist halt nicht meines Amts – was soll denn daheim aus meinen Tannen werden

Aus meinen Tannen! Der Nachtwind kam daher. Er atmete ihn tief, tief in seine ausgedörrte Brust. Wo kam er her? Er trug den reinen, kalten Duft der einsamen Höhen auf seinen bereiften Schwingen. Ganz Schauen ward Rübezahl, Heimatschauen! Der Winternachternst der strengen Höhenwelt erhub sich vor ihm, um ihn. Breit schwoll sie heran in tiefem Orgelton, die Rauschewoge, die durch die Wipfel der Tannen wandelt; nun war es da, wie ein Donnerjubel zahlloser Heerscharen rund um den Führer geschart, Wipfelschütteln und Brausen ohn' Ende, ohn' Ende; dann schwoll es ab und rannte weiter wie eine stolze Kunde, die die ganze Welt hören soll, und verbrauste, verklang – bis eine neue Brandung heranrollte. Da lachte der Berggeist selig auf und – da stund er! Ja, ich kann's nicht anders sagen; noch einmal stund er da – neben dem, der da lag unter dem Pferde, das seine Hufe krampfig in die Höhe reckte, dalag, die Augen geschlossen, die Hände, die den Pallasch so schneidig geführt, über dem blutigen Küraß gefaltet, recht wie ein frommer Reitersmann, worm Feind erschlagen, auf grüner Heid, im freien Feld. »Uff!« machte Rübezahl und reckte sich in den Hüften, »das war mal ein Kostpröbchen von dem, was etwa die Menschen – hm – Angst nennen.« Und er bückte sich und pochte mit dem gekrümmten Zeigefinger dem toten Rekruten auf den Brustharnisch – »schnurrige Geschichte. Gehab dich wohl, Kamerad.« Und wieder schwoll der eisige Wind daher und nahm ein grobes, vergnügtes Lachen mit und einen großen Schatten, den das Dunkel auftrank.

Und durch die Wälder, die zum Kamme des Gebirges emporrauschten, ging ein wildes Jauchzen: Er ist wieder daheim, der Alte!

Das war um die Stunde, da zu Lissa im Schlosse der Fritz zu den erstaunten österreichischen Herren sprach: »Bon soir, messieurs« – wofern die hübsche Geschichte nämlich kein Märchen ist und in unsere wahrhaftige Geschichte hineingehört!

*

»Maul halten! Maul halten!« polterte der Hausherr in den Berg hinein, bevor das vergrämte Zwerglein, der Klaus, nur ein erstes Wörtlein stammeln konnte, und heischte gebieterisch einen Schnaps bewußter, wundertätiger Art und Tugend, den Schnaps des ewigen Lebens – es sei doch noch welcher vorhanden? Nun, dann holla, zum Donnerwetter! Er habe auf seinen Fahrten so manches erlebt, aber immer sei's den andern an die Nieren gegangen; doch heute – hm, darauf gehöre wirklich ein herzhafter Schluck! »Kinder, Kinder! Wenn ich nun im Ernst gestorben wär?«

Da lachten die Wichtlein und wollten sich ausschütten, und er lachte mit. Dann zog er mit einem Ruck seine tausend Grinsefalten glatt und kämmte sich von unten her mit den fünf knotigen Fingern durch den zottigen Bart und machte »hm« – was er jetzt öfter macht – »hm«, was wißt denn ihr, was es alles gibt! Morgen, auf mein Wort, da wird der Ruprecht droben, und das bin beinah' ich, mit anderen seinesgleichen in eine große Grube gesenkt, dann spricht der Pastor ein Gebetlein, sie schießen über das Erdloch, und aus ist das Lied – wie singen die Kerle?

Mit Trommelklang
Und Pfeifengesang
Wird man begraben,
Davon man tut haben
Unsterblichen Ruhm.

Hm – wißt ihr, wie der unsterbliche Ruhm aussieht? Guckt, der Urlauber, wenn er Spannriemen und Stiefel zwischen den Knieen hat, auf einmal läßt er den Schusterhammer sinken, nimmt einen Schluck aus dem Bierkrug, schaut gedankenvoll in den Schaum, schaut sein Weib an und sagt: »Und dann, Mariechen, hatt' ich da einen Kameraden, der war ganz verrückt, hat mit den Goldfüchsen geschmissen wie'n Teufelsbündner, aber wenn's ans Dreinhaun ging, Wetter noch mal! Ist bei Leuthen geblieben. Gott hab ihn selig. Gib mir noch mal den Bierkrug her, Mariechen. Vivat Fridericus! – Recht hat er, der Schuster, der Kamerad aus der ersten Schwadron. Was wißt ihr Kroppzeug!« Und er erhub den funkelnden Kristall, in dem der Urweltschnaps wie ein Rubin glühte, und rief, daß es durch die Wölbungen der Unterweltgrotte rollte wie Donner: »Vivat Fridericus rex!«

Droben begruben sie den Ruprecht. Drunten schüttelten die Zwerge noch lange die weißen Häuptlein. Durch neuen Jammer und neuen Sieg ging der grausame Krieg weiter, und der große König schritt weiter hinan seine steile Heldenbahn zur Unsterblichkeit. Unserm Rübezahl, die Wahrheit zu sagen, ist der Menschen Wesen und Tun, seit er's zu kennen meint, noch fremder worden; er hat sie ehren und scheuen gelernt, ist aber darüber ein Grübler und Spintisierer worden. Doch die Zwerglein sind mit ihm zufrieden wie lange nicht; er ist fein häuslich und sittsam und tut mit Feuereifer seinen Dienst. Droben bei den Menschen hört man wenig noch von ihm.


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