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Rübezahl erwacht. Was gibt's Neues?

»Hu – ja– ahahaha!« Alle guten Geister, das war einmal ein Gähnen, abgründig, urweltlich; das klang wie das Heulen des Höhlenbären oder sonst eines Urviehs, wie das Wiehern irgend 'nes Hünen- oder Geisterrosses, vom Schlage jenes Wetterhengstes etwa, den der wilde Wode im Sturmgewölk reitet. Dazu reckten und streckten sich ein Paar Arme lang in die blaue Finsternis hinein, Arme mit zwo Fäusten als Klöppeln daran – Fäusten ... Und die Sehnen knackten, und es krachte in den mächtigen Arm- und Schulterngelenken des Ungefügen, dazu gab's ein Geschnauf und Gestöhn und Gepruste, und zum Schluß dann ein wohlig Koboldlachen, davon ein erschrockener Widerhall durch die Felsennacht rollte, und eine Stimme, rauh und unhold, schrie ins blaudunkle Ungewisse hinein: »Potz Blaufeuer! Das war mal ein Schläfchen! Was hat's denn geschlagen auf der Weltenuhr?«

Dann war's still, irgendwo in fernen, finsteren Winkeln klang's wie Wispern und Tuscheln. Dann hub das gähnende Unwesen im Vordergrunde noch einmal an – wahrlich, hätt' sich dergleichen unterm lichten Himmel aufgetan, der liebe Mond hätt' sich in die dicksten Wolken verkrochen vor Angst! Und dann war's wieder still.

Der also eindrucksvoll erwachte Rübezahl verschränkte die Finger in Nacken, die gewaltigen Arme wie zween Henkel abgewickelt von dem wunderlichen, strobeligen Riesenhaupte, grunzte behaglich und genoß noch ein Weilchen die gedeihliche Wonne des Ausgeschlafenseins, seine Augen stunden offen und starrten gar vergnüglich in die blaue Nacht zu seinen Häupten. Wollt er gar noch einmal einschlafen?

Es war so still um ihn her, daß ein Menschenherz ob solcher abgrundtiefen Stille wohl des Todes erschrocken wäre, erdrückt in Entsetzen; das Ohr, das, wie der Sinn des Gesichtes und wie das Denkenmüssen in unserem Hirn, das Nichts nimmer erträgt, das müßte sich's wohl umdeuten, das große Unterweltschweigen, zu einem unendlichen, ganz gleichmäßigen Getön, einem Donnerhallen und Dröhnen, einem großen Rauschen wie aller Wasser, die aus der Erde strömen, zum tiefen, tiefen Sauseton gleich dem Atem der Ewigkeit. Den Bergriesen focht's nicht an, ihm war die schweigende, geheimnisvolle Dämmerwelt um ihn her gar wohl vertraut; vor seinem innern Schauen aber wechselten bunte Gesichte.

Sie mußten gar lustiger Art sein, plötzlich lachte er wieder auf: »Wie sie Reißaus nehmen, die Lumpenkerle! Husch, husch, ihr Galgenvögel, wollt ihr die Beine strecken! Wartet, ich komm euch übern Hals! Ja, schlagt nur ein Kreuz, scheinheilige Halunken ihr, mir tut's nicht weh; der droben weiß von euch. Von euch Kaiserlichen und Jesuiterlichen so wenig wie von euch Lutherischen drüben. Alles Lumpenpack, Raub- und Mordgesindel!«

Woran dachte er? Was waren's für lustige Erinnerungen, von denen er noch laut träumte? Versprengte Reiter vom Heerbann des Gallas und Piccolomini waren's, die er »gestern« mit halb mutwilligem, halb zornig-ernst gemeintem Spuk durch den Bergwald geschreckt hatte, sie rannten und stolperten durchs Gestrüpp, als sei der leibhaftige Torstenson hinter ihnen. Und dann gedachte er wieder des schwedischen Obristen, der tollköpfige Rübezahl, den er so schmählich mit seinen sechs Kutschpferden angeführt hatte: wie war er doch vor dem schwedischen Herrn gar preislich und protzig sechsspännig ausgefahren, der verkappte Kavalier mit den zween Bedienten hintenauf; wie war jenem das Wasser im Maul zusammengelaufen angesichts der herrlichen Gäule; denn auch sein Herz war geschwollener von Habsucht und Raubgelüst denn von der Liebe zur reinen Lehre; und so gedacht' er den böhmischen großen Herrn, den Schafskopf, mühlos zu prellen. Schon liebkosten seine gierigen Augen die prallen Gäule, vorab den herrlichen Schimmel an der Spitze des Zuges – prost die Mahlzeit, sechs Strohwische fand er am Morgen im Stall der Herberge drunten in Hirschberg, sechs Strohwische und einen schönen Gruß von Rübezahl! Laut lachte der Kobold, daß das Lager erkrachte und die Echos der Felswände rundumliefen.

Im finstern Hintergrunde hub jetzt das Wispern von neuem an, blinzelte ein Lichtlein auf, und noch eins und wieder eins; das kicherte und schäkerte und schwatzte – wie das traute Geschwätz im Schwalbennestchen klang's, zur Frühlingszeit, wenn die Alten die nackte Brut atzen: »Er ist wach, der Alte, hört ihr's? Er ist wach!« – »Nicht möglich, ist er doch noch mal aufgewacht?« – »Ja, du Gesindel, du mauskrabbeliges Kroppzeug, huschendes Hudelpack, er ist wach, der Alte, und wird euch Beine machen, ihr Ludersch, wenn ihr mir nicht im Trab mein Frühstück bringt und endlich den Lichtschacht aufstoßt, daß man sehen kann, ob droben die Sonne oder der Mond die Welt regiert. Und dann bringt mir –« er lachte wieder und gedachte des schwedischen Obristen, und gedachte, wie stattlich er selber sich bei der Gelegenheit in der reichgestickten Kavaliertracht ausgenommen – »hört ihr wohl, dasselbe Gelumpe bringt mir, das ich gestern angehabt; mich gelüstet's, mir wieder mal die Welt draußen anzugucken: die seidenen Strümpfe, die kurzen spanischen Stiefel mit den Spitzenmanschetten, den blauen, goldgestickten Ärmelrock, die weiten Hosen, die zierliche Halsbinde, die welsche Lockenperücke und den üppigen Federhut! Wolln uns mal wieder verpuppen.«

Jetzt ward aus dem Kichern ein hell-lustig Lachen! Irgendwo im finstern Schoße des weiten Höhlengemachs, wo es wie hüpfende Irrlichter huschte und wimmelte – es waren die Grubenlichter der Zwerge, die sich scharten – da tat sich in der Höhe ein Fensterlein auf und hernieder floß ein Strom von sanfter Helle – es war das Licht des Erdenmonds; und sieh, nun wurden die weit gewölbten Wände der Halle in dem blaugrünen Halblichte erkennbar.

Das war ein gar wundersamer Dom, das ratlose Auge hätte nicht zu unterscheiden vermocht: Ist das ein Raumgebild, hervorgegangen aus dem Geiste des Weltenschöpfers? Oder ist's ein Palast, eine Fürstenhalle für eine unterirdische Majestät, gestaltet nach den kühnen Meisterträumen eines übermenschlichen Künstlers, dessen beschwingte Einbildungskraft nicht an die Grenzen der Baustoffe gebunden ist, aus denen unter der Sonne droben sich Schlösser, Burgen und Gotteshäuser türmen? Und hinauf und hinab die wunderlich gereckten Pfeiler, die wie lebende Wesen, wie in Steigens Luft und Wonne sich hoben und wölbten, lief es und rann es wie ein Glitzern und Blinken, ein Glanzgeström von Kristallen, Topasen und Rubingefunkel, wie ein lebendig Aufleuchten und Verlöschen aller Feuer des Regenbogens. Eine fremde Wunderwelt war's, für die das Menschenauge kein Maß und Gleichnis mitgebracht hätte, kaum daß der fiebernde Traum uns einmal so außerweltliche Formen flüchtig und unfaßbar aufschimmern läßt.

An dem Fußende des Lagers aber, auf dem der ungeduldig werdende Rübezahl sich dehnte, das sich da unten wie eine Muschel perlmutterglänzend hoch emporwölbte, erschien jetzt ein zitterndes Lichtchen: obendarauf, auf dem Rande dieser Muschel, war mit einem leicht federnden Wupp ein winziges Wichtlein aufgesessen, das hub sein Grubenlämpchen hoch, also daß dem Langschläfer der Schein just in die blinzelnden Augen fiel, und nickte mit einem halb frechverschmitzten, halb dienstbeflissenen Kammerdienergesichtlein dem langen Schlingel von Gebieter zu: »Wünsche wohl geruht zu haben. Also das Kostüm aus den Tagen Ludwigs, den sie droben den Vierzehnten hießen, wünschet ihr? Ei, ei, das wird inzwischen wohl zu Zunder zerfallen sein: Ist lang aus der Mode gekommen

»Du albernes Ding, gestern hab ich den Schweden erst darin gefoppt!«

»Gestern? Ei, was ihr sagt? Zählt ihr nach menschlichem Heut und Gestern? Ja, ja, das kommt davon, wenn man sich immer unter dem Volk der Weibgeborenen herumtreibt, da verpuppt sich nicht allein der Leib ins Menschlich-Lächerliche, da schrumpfen auch die Gedanken ein, schnurren euch Zeit und Raummaße kümmerlich nach Zoll und Elle der Sterblichkeit zusammen, daß ihr euch nicht mehr auskennt zwischen Unten und Oben, Drinnen und Draußen, Zeitlich und Ewig, zwischen euch und der närrischen Menschenwelt da droben. Es straft sich halt alles: ihr solltet eben mehr auf euch halten – nichts für ungut. Wie ich euch sag', der polnische Edelmannsrock nebst Perücke ist seit »gestern« von anno dazumal. Ja, wenn etwa Euer Gnaden droben einen Mummenschanz oder Fastnachtball mitzumachen gedenken, so möchte das allenfalls eine ansehnliche Maske abgeben: ansonsten wird's jetzt ohne Zopf kaum noch für euch anständig sein, wenn ihr wirklich immer noch auf Schabernack versessen oder auf die Welthändel neugierig sein solltet – es soll freilich droben allerhand los sein, was des Zuschauens wert ist.«

Rübezahl sperrte das Maul auf und starrte den gelbschnäbligen Wicht eine Weile ungläubig an, wie ein Mondkalb. Der nickte höchst belustigt. Da klangen Töne hernieder aus der Erdennacht, Töne, daß sich der Verblüffte noch verblüffter im Bette aufsetzte; Glockentöne waren's. Mitternacht schlug's droben irgendwo. »Kerlchen, was ist das?«

»Ei, die Kirche auf der Höhe.«

»Die ist doch abgebrannt, bei der Rauferei jüngst, als sie den lutherischen Pfaffen totschlugen, als das ganze Dorf in Flammen aufging.«

»Jüngst? Was ihr jüngst nennt! So kommt doch zu euch endlich! Seitdem ist sie längst wieder aufgebaut, sind etliche Geschlechter ins Grab gestiegen, und kein Großvater weiß von der Mordnacht mehr nach seiner eigenen Augen Zeugnis zu erzählen, und die Sage hat die Schrecknisse von damals fein hergerichtet und verfälscht, daß es schier zum Lachen ist. Aber was meint ihr, was die Tannen gewachsen sind in den hundert Jahren?«

» Hundert ...? Kerl!!«

»Wie ich euch sag': Hundert Jahr und etliche darüber.«

» Frühstück!« brüllte da der Bergalte. »Frühstück, bei allen Flammen im Eingeweide der Erde! Kannst du meinen Hunger ermessen? Hundert Jahre nichts im Leibe, das geht übern Spaß! Frühstück, ihr Geziefer, ihr dummdreistes, was gibt's da zu lachen? Seid wohl außer Rand und Band geraten, indes ich ein Jahrhundert verschlafen hab? Will euch kurz halten, will euch schurigeln!«

Und er stund auf den Beinen, hoch und übergewaltig, und reckte sich, daß die Rippen erkrachten. – »Au!« sagte er, »steif in allen Gelenken, und mein armes Gebäude ist mir wie verholzt, versteint.« Er klopfte wehmütig darauf, und richtig, es klang wie dürres Holz oder wie ein alter, ausgedörrter Handwerksburschenranzen, so klapperte das, zum Erbarmen war's. Und dem Meister Rübezahl schimmerte auch richtig eine Träne im Auge, so inniges Mitgefühl ergriff ihn mit seinem Bauche. »Kinder, Kinder, habt ihr's klappern hören? Das ist ja schrecklich! Das ist ja, als wär's gar nicht mein Bauch.«

Da stund aber bereits der Kleine vor seinen Füßen, hinter der Miene ergebensten Mitempfindens den heimlichen Ausdruck unbändigen Vergnügens, und hielt dem Gebieter eine funkelnde Kristallflasche dar, in der ein roter Schimmer glühte: es war ein Unterweltschnaps von besonderer Tugend, von den Zwerglein selber nach uralten Rezepten aus den köstlichsten Bergkräutern gebraut – hei, wenn die Menschen um den wüßten, wenn sie die Rezepte kennten und die Kräuterlein zu finden wüßten! Da gäb's kein Leibweh, Kopf- und Zahnweh mehr, kein Gebrest und Siechtum, nicht Arzt noch Apotheker – ich glaube, dann wäre wirklich Friede auf Erden und die Welt kein Jammertal mehr! Das Wunderelixier der ewigen Jugend ist's, aller Kraft und Erfüllung, aus den innersten, geheimsten Erdkräften gezogen. Doch nein, besser ist's, daß es an uns nicht verraten ward, der Geister Geheimnis, also daß höchstens ab und an einem Erwählten einmal ein Rüchlein davon ahnungsvoll um die Nase weht – wenn drüben in der andern Welt von ungefähr der Stöpsel gelüftet ward: Der Menschen Bestes schliefe ein in dummem Paradiesesglück!

Aber seht doch, seht! Hat der Unhold nicht die ganze Flasche vor den Kopf gesetzt und sie bis zur Nagelprobe zutalgegurgelt? Und nun macht er Ah! und Brr! und schüttelt sich – sicherlich fährt in diesem Augenblick droben der Küster und jedes Menschenbein sonst in der Nachbarschaft aus dem Bette, vermeinend, die Erde bebe und sein letztes Stündlein sei gekommen, oder des Preußenfritzen Kanonen gar donnerten fern und näher. Kein Menschenwort sagt es aus, dieses Ah! und Brr!: als hätte er allen Segen der Sonne, alles Lusterschauern des Frühlings in seinen ausgedörrten Bauch aufgenommen; und dann hebt er an, mit beiden Händen besagten Bauch liebevoll zu drücken und zu kneten, und, o Wonne, er wird zusehends wieder weich und geschmeidig. Dann aber bückt sich der tannenhohe Kerl tief zum Boden herab und hebt den Kleinen, dem vor Staunen und Grauen ob dieses Gewaltschlucks alles Lachen im Halse stecken geblieben, auf beiden Armen hoch und – laut schreit das Wichtlein auf, vor Angst, der Riese wollte es fressen, aber nein doch: er gibt ihm einen innigen, ach so innigen Kuß, daß der Winzige mit Händen und Füßen wider das Bartgestrüpp strampelt, als wäre er in eine Brombeerhecke geraten; dann setzt er ihn fein behutsam wieder auf den Boden. Und nun braucht er kein Frühstück mehr, scheint es.

Scheu blickt der Wicht dem Großen nach, der wonnegrunzend und lachend, mit langen Polterschritten auf und nieder, durch die Grottenwelt stürmt: mindestens schwitzen muß er doch jetzt, der Unkerl! so denkt der Kleine; hat er doch die ganze Kraft der Schöpfung in seinem Bauche; wer verträgt denn so etwas? Unsereins nippt davon einmal ein Unzchen, kaum tautröpfchengroß! Ach, du heilige Sonne, um ein Eichelnäpfchen davon hocken unser sechse herum wie sechs Prager Studenten um eine Bowle, und dann sind wir drei Tage bezecht und nach dem Katzenjammer auf zwei Jahre verjüngt, und dieser Unhold schluckt eine ganze große Flasche ungeplatzt, ungestraft! Es ist nicht auszudenken!

Nein, er denkt wirklich nicht daran, zu platzen, auseinanderzugehn oder auch nur etwas anderes als ein riesiges Behagen zu empfinden. In ihm klingt jetzt Eines nach, mahnt und wirbt nur Eines, ein Wort, das der Zwerg gesprochen; das reißt an seiner alten Seele wie am Herzen eines Verbannten ein Heimatlied: » Was meint ihr, was die Tannen gewachsen sind in den hundert Jahren!« so sagte der Wicht; das schafft ihm selige, sehnende Unruh – er muß hinaus, hinaus in den wehenden Wind, in die klare Mondnacht, in seinen geliebten rauschenden Hochwald!

Er ist nämlich, jedes Kind weiß das, ein gar derber, siedesackgrober Gesell, der Herr der schlesischen Berge; die Menschenkinder grausam zu ärgern, das wird ihm eben nicht schwer; von Herzweh weiß er nicht viel zu sagen, von zarten Gefühlen wird er nicht geplagt – aber seine Tannen, die liebt er über die Maßen zärtlich, jede einzelne in seinem Herrscherbereich; und so jedes Wässerlein und jedes Getier, und er weiß genau, wo ein jedes Geheck zu finden, kennt jedes Vogels Genist, und behütet alles liebevoll, was da in seinen Bergen geboren wird, von den Welpen des wilden Raubzeugs an bis zum Rehkitzlein, und vom Eichhorn, bis zum Nestchen voll nackter Feldmäuse – alles ist seinem Herzen teuer. Die Menschen nimmt er nicht so ernst, die betrachtet er etwa wie der Mensch selber in der Schöpfung das Ungeziefer betrachtet und hält sie für höchst überflüssig. Gewiß, wenn sie fein bescheiden und demütig sind, wenn sie Unrecht leiden, dann mag's wohl einmal geschehen, daß er sich eines armen Teufels erbarmt, doch ist's dann auch mehr gnädige Herrenlaune und Kurzweil; im ganzen hält er nicht viel von der vorlauten Brut, und je länger er ihr Treiben mit angeschaut, je mehr hat er sie verachten gelernt.

Wie er so der Menschen gedenkt und seiner letzten Erlebnisse mit jener unguten Gesellschaft, siehe, da eilt er längst, die Wildschur um die Schultern geworfen, den ungeheuren knorrigen Stab immer vier Ellen weit voransetzend, mit Gewaltschritten durch die mondhelle Welt draußen, über Berge und Täler, Schluchten und Grate. Weder die welsche Perücke trägt er, noch den preußischen Zopf, das zeitlose Bild eines urwüchsigen Geistes, stürmt er durch die Wilde; so sah ihn noch kein Menschenauge – und wäre hier ja in der pfadlosen Öde ein verlaufenes Menschenkind zu seinem Unglück beiwege, es sähe nichts als einen ungeheuren Wolkenschatten, der vor der Windsbraut rennt! Er aber freut sich am Rauschen der Wasser, am Heulen verfangener Windstöße in schrundigen Felsengen, an der Eule, die auf weichen, stummen Schwingen mit dunklem Ruf seinem struppigen, sturmgezausten Haupte vorüberweht. Ja, die Menschen!

Mählich verstummt sein Jauchzen, sein Liebesruf, den er in seligem Kraftgefühl in die stimmenlaute Nacht hinaussendet, mählich verstummt er, mählich sinkt ihm im Schreiten, das immer stockender wird, das bärtige Kinn auf die Brust –: die Menschen! Eins ums andere wird ihm auf einmal wieder lebendig von damals, aus allen Winken seines schlafüberschütteten Bewußtseins quellen Erinnerungen – o scheußliche, greuliche! Daß ihm nach dem Erwachen vorhin jene lächerlichen Begebenheiten just zuerst eingefallen sind, je nun, das liegt so in seiner Koboldart, seinem Sinne, der immer auf Lächerliches, Tolles gestellt ist und ständig auf der Lauer liegt, wo sich eine Fopperei bieten will, wo's was zu lachen und zu höhnen gibt. Wenn's doch mit dem Lächerlichen getan wäre! Nein, ganz anderes hatte er mit angesehen, damals, ehe er in seinen hundertjährigen Schlaf gesunken war – er nannt' es bei sich noch immer: »gestern«, und hatte ein gutes Recht, es so zu nennen! – Wütend, zornigen Atem durch die Nase stoßend, hub er den riesigen Knüppel in der haarigen Faust hoch über die Schulter wie einen gewaltigen Stampfer und Malmer an. – »Verfluchtes Gesindel!« knurrte er und stieß ihn machtvoll auf das Gestein – »Unwesen ihr, verruchte! Euergleichen bescheint ja Sonne und Mond nicht mehr, kein Tier der Schöpfung, und wär's der nächtlich schleichende Wolf, das nicht unschuldig wär' gegen euch!« Ah – weiß Gott, jetzo wird ihm auch mit einem Male bewußt, was es mit seinem seltsamen hundertjährigen Schlaf für ein besonderes Bewenden gehabt!

Wild war es »gestern« – damals vor hundert Jahren – hergegangen im unglücklichen Schlesierland. Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges! War das ganze heilige Deutsche Reich zur großen Herberge ohne Herbergsvater, zum großen Markte ohne Recht und billige Zahlung, zum Kirmes-, Rauf- und Tanzboden für alle Völker Europas geworden. Keiner, der dem Raube, der rohen, höhnenden Gewalt, der Schmach und Entehrung wehren mochte. Zuletzt stunden die abgestumpften, aller Ehr und Scham beraubten Deutschen schon auf Du und Du mit den Horden, die in den Sprachen aus aller Herren Ländern um die fremden Werbezelte herschrieen, lachten und fluchten, gingen sie in die Schule bei dem seelenlosen Gesindel, und lernte jeder sehn, wo er bleibe; nicht genug, daß sie mit blödem Achselzucken dem Treiben der welschen, nordischen und slawischen Henker zusahen, nicht genug, daß sie jenen als Henkersknechte willige Dienste taten – schließlich wüteten sie selber nicht anders als das landfremde Heervolk wider die eigenen Nachbarn; ist doch einmal kein Stückchen Eigentums mehr sicher in der Welt, holt doch alles der Teufel im großen Kehraus – heute mir, morgen dir! Warum dann nicht lieber selber zupacken, selber rauben, schänden, stehlen, genießen, foltern, erpressen? Warum allein nur der Bestohlene, Beraubte, Geschändete, der dreimal Dumme sein? Gott ist ja tot und hat der Menschen längst vergessen, übersatt an Ekel steckt er hinter den Wolken, nicht einmal eine Sintflut sind sie ihm wert; mögen sie in brudermörderischer Wut sich doch selber vernichten, sich selber auffressen! Rübezahl stieß einen Felsblock mit zornigem Fußtritt über den Abhang, polternd wetterte er zu Tal, und rauh lachte der Berggeist hinterdrein. Um des Evangeliums willen, um jenes beleidigten Gottes und des reinen Glaubens willen waren damals die Schweden ins deutsche Land geströmt – O Menschen, Menschen! Verruchter als die Kaiserlichen hatten sie's getrieben, als die viehischen Banden eines Gallas und Piccolomini! Er hatte sie gesehen, die schrecklichen Scharen Banérs, die im Schlesierlande alles wüst entvölkert, als schwarzen Brandschutt hinter sich ließen; wenn ihre hellen Hörner erklangen, so flüchtete, was laufen konnte, in die Wälder, in die Sümpfe. Und diesen blonden Mördern gesellte sich ein anderer Würger, die Seuche; hält sie doch gar zu gern die Nachlese, wo das Mordschwert des Krieges ihr vorgemäht hat; Menschenelend, Hunger, Verkommenheit und Obdachlosigkeit, Schmutz, Unflat und Verwesung – das ist das Lustgefild der Pest, da ersteht sie wie aus dem Boden gewachsen, aus den Moderdünsten erzeugt, da schürzt sie grinsend ihre Lumpen zum schaurigen Todestanze, der das letzte winselnde Leben erbarmungslos zertritt. Dazu der Hunger, der wahnsinnige, hohläugig fahndende Hunger! Da geschah denn das Letzte, das Namenlose – der Berggeist hatte es erlebt – die Menschen machten Jagd aufeinander wie auf Wildpret und Schlachtvieh, wer sich vor den Mordbanden Piccolominis verkrochen hatte, ward von Landsleuten aus seinem Versteck gezerrt, von Landsleuten abgeschlachtet und dann –

Ein Hagelschlag von donnernden Felstrümmern war damals wiederholt auf die Häupter entmenschter, tollgewordener Bauern niedergegangen, und keiner wußte zu sagen, welche rätselhafte Naturgewalt die ungeheuren Lasten da oben in Bewegung gesetzt hatte, die Menschen ungewarnt, bei heiterem Himmel zu Tode zu schmettern; war übrigens auch kein langes Kopfzerbrechen darum gewesen: Totschlagen und Totgeschlagenwerden war ja ohnehin an der Tagesordnung; so oder so – was lag daran! Und doch, so verwegen und verwildert damals die Herzen waren, so gefeit wider jedes Entsetzen, wider Tod und Hölle, sie hätten sich's doch überlegt, noch den Bannkreis des Gebirges zu betreten, hätten sie den Herrn der Berge einmal in seinem Grimme sehen können! Haß und Vernichtung hatte er dem Menschengeschlechte an seinem Teile zugeschworen.

Somit dachten sie auch nichts Besonderes dabei, als es mit einem Male wieder still ward von den Steinschlägen und den Unfällen im Gebirge – still war und still blieb: Rübezahl schlief im Bergesinnern! Er selber vermeinte, aus eitel Wut und Ingrimm habe er sich ins Dunkel geborgen, und das Bärenfell über die Ohren gezogen aus eigenem Entschlusse, um nichts mehr zu sehen und zu hören von dem eklen Unwesen da draußen – aber nein, es war eine höhere Macht, die ihn mit seiner mordlichen Wut, ohne daß er selber dessen inne geworden, beiseite geschafft und ihm weislich ein hundertjährlich Ruhen und Vergessen verhängt hatte!

Eine höhere Macht – höhere Weisheit! Denn immerdar lebt über den Wolken ein Wissen und ein Erbarmen, das im Menschen, so tief er in Wildheit und Tierheit versinken mag, nichts sieht als das leidgeschlagene Geschöpf, in seiner Schande und Verworfenheit nur Jammer und Not, in seiner Verzerrung und Entartung nur den Fluch des Erdendaseins; eine Geduld, die da weiß: was dem Menschen als gottverwandtes Teil mitgegeben ward in sein Dasein, das ist unsterblich, unverlierbar, unveräußerlich, immer wieder aufzufinden, immer wieder auszugraben unter des Lebens Graus und Wüstheit. Um einer einzigen Mutter willen, die inmitten aller Schrecken entfesselter Selbstsucht sich ihren letzten Bissen vom Munde abdarbt, ihres Kindes Leben zu fristen, vermag die ewige Nachsicht einer ganzen in Sünden verheillosten Welt lächelnd zu verzeihen! Sie zählt nicht, sie schreibt das Liebesopfer einer Seele immer noch der Menschheit zugut. Sie weiß es auch abzuwarten, still Schritt vor Schritt aufwärts zu lenken, also daß nach Zeiten, da die Völker aus Rand und Band schienen, sich das Menschliche, sich Gesittung und Güte aus dem Drunter und Drüber wieder heraushebt, wie weiland die Gipfel festen Bodens aus der versiegenden Einflut; weiß auch zuletzt die rechten Männer zu erwecken, die den Adel des Menschentums rein und stark in sich darstellen, Ordner und Weiser zum Besseren, an deren Bilde sich die Menschheit wieder zurechtfinden mag, zur Erkenntnis dessen, was einzig not ist. Und – was gilt's? auch er, der grimme, der rauhe Herr der Berge, der Menschenverächter, der inzwischen so viel des Trost- und Hoffnungsvollen, des Aufwärtsweisenden verschlafen hat, wie jenen ersten deutschen Mann in undeutschester Zeit, Friedrich Wilhelm, den die Welt den Großen Kurfürsten genannt hat – auch er soll es noch lernen, zu neuem Schauen erwacht, den Menschen in einem reinen Heldenbilde zu ehren! Ward ihm doch die große Unruhe der neuen Zeit just in sein stilles, schönes Reich getragen, widerhallte doch das Schlesierland und seine Bergwelt von neuen Kriegsstürmen. Nein, es war wohl an der Zeit gewesen, daß er einmal aufwachte, der Hausherr, Umschau zu halten, wie es denn nach hundert Jahren seinem einst so schwer heimgesuchten Lande erginge und was es Neues gäbe in der Welt.

Heute, in dieser sturmbewegten Frühlingsnacht, wußte er noch nichts davon. So hatte er diese nächtliche Bergwelt schon oft gesehen in heimatlicher Luft, gerade so wie heute: Die selig-bange Unruhe am Himmel droben, wo wilde Wolkengestalten durch die Mondhelle jagten, gedehnt und gereckt von den Winden der Höhe, mit dunklen Riesenarmen weit voraus ins Lichte langend, geblähte Mäntel nachschleppend, deren dräuendes Wetterschwarz zu gleißenden Lichträndern aufgehellt war, die schnell im rastlosen Vorüberziehen wieder verglommen. Und drunten hier rundum die dunklen Wälder alle, höhenauf und -ab! Hei, wie die rauschten und brausten, stöhnten und rangen im gewaltigen Wehen der Lenznacht, wie er das kannte und liebte! Gelehnt an seinen ragenden Stab stund er regungslos hoch auf kahler Klippe und sah in den herrlichen Aufruhr vor seinen Füßen. Vor den ewigen Stimmen hier war freilich der Gedanke an die schnöde Menschenwelt gar schnell wieder verweht, zerflattert wie am nächtigen Himmel ein losgerissenes Wolkenflöckchen, das mitzureisen gedachte hinter dem dunkelgeballten Heereszug der Wolkengeschwader – da hatte der Sturm es zerzaust, der Mond es aufgetrunken.

Aber sieh, auf einmal hub er sein abenteuerlich Haupt, das mit seinem fliegenden Schopf und Barte wie ein verwittert Felsgebild im Sturme stund, aufhorchend hub er's, witternd und schnobernd wie der Bär oder der Berghirsch streckte er die großmächtige Nase in die Luft: »Holla! Ist was nicht geheuer dahier in der Runde! Ist kein reiner Kram in Berg und Tale, kein sauberes Fürsichsein! Es riecht nach Menschen im Winde! Ei, erschlag' sie der Donner, die Brut! schleppt das mir wieder einmal seinen Unrat in meine duftige Einsamkeit?«

Und mit stürmenden Zornesschritten, denen das Steingeröll nachprasselte, rannte und sprang er zu Tal und schnaubend wieder berghinan, und wieder niederwärts, Meilen schwanden hinter seinen Feuerschritten, seinem weit ausgreifenden klirrenden Bergstock. –

Und sieh, da brannte im Windschutz einer hohen Felswand ein rotes Feuer, unweit stunden angepflöckt gesattelte Rosse, Männer saßen lachend, prahlend und zechend um die Glut. Verwegene schwarzbärtige Kerle waren's und muteten im flackernden roten Scheine an wie Zigeuner, doch Mützen, blitzende Schnüre und Litzenwerk, Säbel und Karabiner kündeten Krieger an. Es waren ungarische Reiter und kroatisch Raubgesindel, Leute des Feldmarschall-Leutnants Nádasdy und des Obersten Patachich. Sie ließen sich's wohl sein bei vollen Flaschen und brieten und kochten und würfelten und schwatzten, und was sie tranken und brieten und kochten, war alles gestohlen, und was sie verspielten und gewannen, nicht minder, und wovon sie sich erzählten und Rühmens machten, waren Beuteritte und Spitzbübereien. Sie gehörten zu der Wolke leichter Reitertruppen, die im Frühjahr 1745 den Anmarsch des österreichischen Heeres gegen Schlesien so ärgerlich verschleierten, daß der König von Preußen lange Tage quälendster Unruhe verleben mußte in der Ungewißheit, an welcher Stelle wohl endlich die feindlichen Heeressäulen das Gebirge überschreiten würden. Fürwahr, es war für Friedrichs stolzes, derzeit noch gar stürmisches Blut eine harte Geduldprobe, in Untätigkeit abwarten zu müssen, wo es etwa dem Gegner belieben möchte, in sein Schlesierland einzufallen; heute hieß es, Glatz sei des Feindes nächstes Ziel, morgen Schweidnitz, dann wieder die Lausitz, jede neue Meldung widersprach der vorigen, der Truppen und ihrer Führer bemächtigte sich ein peinigendes Unbehagen, alle Qual der Unsicherheit. Aber der königliche Feldherr machte schneller als sonst wohl Menschenkinder seinen Lehrgang durch und hatte nach kurzer Schule schon die schwere Kunst der Selbstbeherrschung, der weise abwartenden Geduld gelernt. Er ließ sich zu keinem Vorstoß verleiten, und sollte er noch Wochen und Wochen harren; er mußte den Feind da haben, wo ein großer Schlag, von beiden Seiten mit gesammelter Kraft geführt, über Sein oder Nichtsein entscheide. Und so trug er, wie es auch in ihm tobte und zitterte, gelassenen Mut zur Schau und bezwang sich, der Stunde nicht vorzugreifen, die allein die Entscheidung zur Reife bringen konnte, ob sein Stern, der eben der überraschten Welt zu leuchten begonnen, für immer in Nacht versinken, und es mit Preußens großer Zukunft, wie sie in seiner Königsseele lebte, für immer vorbei sein sollte.

Dies weise Abwarten aber, das schon einen Sieg seiner Heldenseele bedeutete, der ihn größerer Zukunftssiege wert machte – fragt die lachenden Kerle hier um das Feuer, fragt den Herrn Nádasdy, die österreichischen Führer alle, wie sie es auffaßten! Ein bubenhafter Übermut lebte in all den prächtigen Truppen, die nördlich von Königgrätz gegen Schlesien androhten: Friedrich weicht einem Waffengange aus, da habt ihr's! Unangefochten werden wir durch das Tor des Gebirges in die Ebene hinaustreten, der verzagte Preußenkönig wird schleunigst nach Norden ausrücken, denn er muß seine alten Provinzen decken; mit einem Schlage ist Schlesien wieder erobert – es lebe unsere große Königin Maria Theresia!

So lustig malte sich das Bild der Lage in den leichtsinnigen Feuerköpfen der Österreicher, so im Kopfe des Prinzen Karl Alexander von Lothringen, des Schwagers der Königin, so im Kopfe des Chevaliers de Saxe, der Feldmarschalleutnants Nádasdy und Wallis und wie sie alle hießen; so im Kopfe jedes gemeinen Reiters. »Es lebe unsere Königin Maria Theresia!« jubelten die schnauzbärtigen Gesellen hier um das Feuer beim Umtrunke, und Wein und Branntwein schmeckten noch einmal so gut, weil sie gestohlen waren.

Dem neugierigen Geiste, der sich so unversehens den neuesten Welthändeln gegenüber sah, war das Ganze nichts anderes als ein Bild von »gestern« – unverändert: Es ist alles hübsch beim alten geblieben! Ich hätte ruhig noch weiter schlafen können. Die Menschen plagen, raufen und schinden sich wie gestern. Andre Namen, andre kriegerische Tracht, eine neue Verrücktheit, wie sie die Haare sich um die dummen Gesichter herrichten, das ist alles. Ein wenig zahmer freilich schaut dies Kriegsvolk drein als jenes, das ich zuletzt in diesen Bergen gesehen. Und wer ist der verzagte Tropf, jener Preußenkönig, dem sie den Garaus machen wollen? Daß die Preußen einen König haben, davon hab ich übrigens mein Lebtag noch nichts vernommen!

Die österreichischen Herren ahnten ja nicht, wie nahe ihnen der gefürchtete Berggeist stund, vermochte er doch ganz nach Belieben wie ein Stück seiner Umwelt auszusehen, ein Baumstamm, ein Felsblock oder sonst ein unverdächtiges Gebilde der Schöpfung.

Jetzt horchte der Unsichtbare, dem das Allerneueste schon wieder langweilig werden wollte, noch einmal auf: Da war ein bärtiger Husarenwachtmeister, der wußte von dem verachteten Brandenburger in anderm Tone zu sprechen: »Ich sag euch, Brüder, das Ding hier will mir gar nicht recht gefallen! Der ist betrogen, der den Fritz für ängstlich hält – schlauer ist er als wir alle zusammen, das ist die Sache. Wenn er uns hier die Übergänge übers Gebirg nicht verlegt, so wird er wissen, warum; wer machtvoll ausholen will, der tritt einen guten Schritt zurück: Er wird seine Streitkräfte zusammenziehen, gebt fein acht, und uns mit allem Ungestüm über den Hals kommen, wenn wir drüben hinaustreten ...«

In Lachen und Hallo ging die Stimme des alten Kriegsmannes unter, der alleweile den Besserwisser machen wollte! Hoho, der Prinz Karl sei auch kein Depp, und der Nádasdy schon gar nicht! »Reißaus nimmt er, zwischen uns und Breslau will er sich stellen, seine alten Provinzen will er decken!« Der junge gelbschnäblige Kornett wußt' es am allergewissesten, wie wenig von diesem Gernegroß, dem längst die Puste ausgegangen, diesem Herrn von Brandenburg, noch zu befahren sei – also, daß ihm der alte graubärtige Wachtmeister grob genug über den Schnabel fuhr: »Du Manderl! Du Milchkindl!« schrie er und stampfte den Säbel zwischen den Knieen auf den Felsboden, und dem Lauscher Rübezahl lachte das Herz im Leibe – »ist der Dessauer etwa ein Pappenstiel, he? Und der schneidige Oberst von Winterfeld, he? Und haben sich nicht unsere Streifkorps, wenn sie fein die Oder nauf und durch Glatzer Land durchbrechen wollten durch die vermaledeiten preußischen Ketten, alleweil den Schädel blutig gerannt? Und wie war's bei Ratibor? Wo der Winterfeld und der Nassau unsere Panduren und Husaren in den überschwemmten Oderwiesen das Zähneklappern gelehrt haben in der verfluchten Februarkälte! Heiliges Kreuz, ich seh sie noch hocken, die armen Teufel, auf den Hügeln droben, auf den Dämmen; ja, auf den Bäumen hingen sie und konnten nicht mehr, die ganze geschlagene Winternacht – so hat's bei der Sintflut ausgeschaut! Und wären ihrer noch mehr ersoffen als am Tag zuvor, da die Oderbrücken im Treibeis zusammengebrochen, hätten ihnen nicht die Preußen selber mit Bohlen, Stangen und Kähnen aus den Patschen geholfen. He, und der Lehwaldt bei Habelschwerdt? War das nix? Ich sag euch, der Fritz, der hat's in sich, der bläst ihnen seinen Odem ein und macht euch aus Lumpenpack brave Soldaten!«

Da hatt' er's aber versehen, der Alte, hallo! Die Köpfe erhitzten sich, Wein und Branntwein redeten feurig mit drein; hier war billiger Ruhm zu gewinnen, hier am lustig flackernden Feuer, schmählich überstimmt ward die alte Kriegsgurgel; freilich, mehr Ansehn gibt die Stimme prahlender Zuversicht denn das Warnen der Besonnenheit, und so verstummte der Alte schließlich wie beschämt vor den Großmäulern, als ob nicht die grimmige Narbe, die ihm die braune Stirn bis in die linke schwarze Augenbraue teilte, von seiner wohlbewährten Beherztheit gezeugt hätte, die freilich anderswo offenbar worden als bei Schmausen und Zechen: in freier Reiterschlacht, wo die nackten Klingen flogen!

Nun glaubt ihr gar nicht, was der alte verschlagene Rübezahl, der Lauscher, für ein unmenschlich feines Ohr hatte, eine untrügliche Witterung für die Wahrheit – wir Menschen, an allen Enden eingesponnen in Trug und Irrtum, vermögen uns solche zuverlässige Spürnasigkeit gar nicht vorzustellen, jedenfalls, wer sie besäße, wäre dadurch schon der Herr der Welt; ja, ja, die Geister haben halt doch allerlei vor uns voraus! Im Handumdrehen war also dem alten Spitzbuben der ganze Sachverhalt klar, war ihm klar, wer, hier recht und wer unrecht hatte, wer in eitler Selbsttäuschung befangen war, und wer die Dinge sah, wie sie waren; war ihm auch klar, daß es mit jenem Preußenkönige sein besonderes Bewenden haben müsse, ja, er begann sogar an dem Manne, über den man so merkwürdig verschiedener Meinung sein konnte, ein wenig Anteil zu nehmen; jedenfalls schien der Preuße Witz zu haben, und für solche Leute hatte der alte Fopper jederzeit was übrig.

Fürs erste betätigte er seinen Anteil an dem Streitfall dadurch, daß er dem flaumbärtigen Kornettlein, das in seinem Eifer wie ein junges Hähnchen sich überkrähte, den dicken Baumstumpf, darauf er thronte, urplötzlich unterm Leibe wegrollte, so daß der Held hintenüber schlug und ihm der rote Wein, den er just zum Munde führte, ins Gesicht platschte. Alles schaute sich verdutzt an, als auf einmal zwei bespornte Stiefelabsätze an derselben Stelle in die Luft ragten, wo soeben noch ein weinerhitztes Bubengesicht verwegen in die Welt geguckt hatte; wie war das nur zugegangen? Teufel, so ein schwerer Holzstumpf kommt doch nicht von ungefähr ins Rollen! Doch da war der unsichtbare Kobold bereits in die angepflöckten Pferde geraten, sie schlugen aus, stiegen wiehernd hoch und wollten sich losreißen, gleich als wenn ein Wolf irgendwo seine spitzen Ohren aus dem Busch streckte und seine Lichter durch die Nacht funkelten. Die erschrockenen Soldaten fuhren empor, bekreuzten sich, riefen Maria, Joseph und alle Heiligen an wider den Satansspuck. – »Da habt ihr den preußischen Ketzer!« schrie einer. »»Alle guten Geister loben den Herrn! Er hat den Teufel zum Alliierten! Wie wird's uns ergehn?«

Rübezahl aber fuhr wie ein Windstoß in die flackernde Glut, daß schwarzer Rauch den Reitern unversehens ins Gesicht schlug, sie husten und prusten machte und wild an der Felswand emporwirbelte, warf den köstlichen Wein um, zerschlug die Flaschen, schleuderte Hammelkeulen und Hühnergebein in das Feuer, daß die liebe Gottesgabe nur so bruzzelte, und lachte wie ein Besessener zu dem Unfug.

In die allgemeine Angstverwirrung aber platzte jetzt wie auf Bestellung aus der Dunkelheit eine abenteuerliche Gestalt hinein: Es war ein rechter Haderlump, die Beine mit ausgefranzten Binden umwickelt, schwarzes, strobliges Haar hing ihm tief in die niedere, dumm-freche Stirn hinein, kleine boshafte Rattenaugen blitzten von einem zum andern. War's ein Zigeuner? Ein bettelnder Strolch? Was Gutes jedenfalls nicht, und etwas Gutes war es auch nicht, was er eben atemlos mit Lachen und Fauchen, fuchtelnden Armen und funkelnden Augen hier vorbrachte. Nein, wirklich, etwas Redliches und Ehrenhaftes schien es kaum zu sein, es sah verdammt nach Tücke und Spitzbüberei aus: »Der König von Preußen – bei den Cistercienservätern« – so stammelte, krächzte und lachte er in die Schar der verdutzten Reiter hinein, also daß diesmal der scharfsichtige Rübezahl wirklich Mühe hätte, aus seinem mißtönenden Geschrei und dem wilden, jubelnden Hallo, das sich sogleich im Kreise erhub, gescheit zu werden. Wie ein Blitz schlug die große Kunde ein, vergessen war das Entsetzen über den Spuck sowie der Jammer über all den schmählich verschütteten Wein und Schnaps, und johlend sprangen die Kerle zu ihren Pferden, wie der Teufel saßen sie auf, und heidi ging's davon.

Ein überzähliger Gaul, ein Beutepferd, ward dem Strolch zugewiesen, von kräftigen Fäusten war der ruppige Kerl in den Sattel gehoben und geschwenkt, und schon umklammerten die kurzen, lumpenumwickelten Beine nicht eben ritterlich den Bauch des Braunen, dem dieser Reiter arg gegen seine Rossesehre zu gehen schien, so bockte und bäumte er. – Im nächsten Augenblick schwelte das verlassene Feuer, trübglostend nur schwarze Rauchschwaden an dem Steingewände empor, umgeben von zerschlagenen Flaschen, abgenagten Knochen und sonstigem Abhub der jäh abgebrochenen Lustigkeit, und Hufschlag verhallte in der Dunkelheit, die sich bereits morgendlich zu lichten begann.

Was aber keiner der wilden Reiter wahrnahm und ahnte: der Strolch, der sie alle so unversehens in den Sattel gejagt hatte, lag irgendwo in der Tiefe am Fuß eines Abhangs, allwo er sich verblüfft sein Hinterteil rieb und seine Knochen sammelte; der Braune aber, der wiehernd, wie das Roß des Windreiters, des wilden Jägers, den erstaunten Husaren voranbrauste, trug – einen andern.


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