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Rübezahl wird gründlich.

Es liegt ein Dörflein unweit Erfurt, Kerspleben geheißen. Da war um diese Stunde noch ein Fenster hell. Dahinter sah man ein hartes, gramgeschnittenes Denkergesicht im gelben Schein zweier Kerzen, die auf einem Leuchter brannten. Vor dem Fenster stand ein Wachtposten, der hatte die Hände über kreuz in die Ärmel geschoben um das Gewehr herum, das ihm an der linken Schulter lag. Ab und an schielte er nach dem tieferregten Leidensantlitz seines Kriegsherrn drinnen: Was tut der noch zu so später Stunde? Rechnet vermutlich, wie er sich aus der Falle da ziehe. Da kann er lange rechnen; es soll ja verflucht brenzlich stehen. Der Grenadier spuckte aus: Lausiger Kram seit Kolin! Ist nichts mehr los mit dem Fritz, hol's der Henker; und ernstlich erwog er, mal wieder auszureißen – war's zum dritten oder vierten Male? Früher hatte er schon dem Esterházy drüben gedient, bis es ihm da zu dumm geworden und er's mit den Preußen versucht hatte. Aber natürlich, ein Pechvogel wie er! Nur, damit der Wenzel fein immer auf die verkehrte Karte setze, geht's jetzt dem Preußenfritz zum Gotterbarmen schlecht, nur darum!

Waren es Feldherrnpläne, über denen der König wachte? Überschaute er zum tausendsten Mal verzweifelt in dieser Nachtstunde das verfluchte Schachbrett, sich zu bekennen: Kein Ausweg, kein Zug, der mich rettet!? Matt, unerbittlich matt! Was stand auf dem Blatte in seiner zitternden Hand? Er sprang auf und griff nach der Klingel. Ein Menschengesicht! Ich muß es wem sagen! Grauenhafte Einsamkeit! Narr – als ob ihr Bann je zu durchbrechen wär! Wilhelmine, die leidenschaftlich mitfühlende Schwester, wär sie bei mir! Die Liebsten und Treusten sind dahin wie meine Jugend. Und doch, des liebenden Wahns kommt das Herz nicht los, der Ruf des frierenden Ich nach dem Du will nicht erschweigen; da hilft nicht Weisheit, hilft nicht Erfahrung.

Der Diener kam. Er mußte den Vorleser holen, der nahebei in einer engen Kammer schlief, Abbé de Prade. Als sei der des Rufs gewärtig gewesen, trat er sofort in das Gemach. Des Königs Antlitz erhellte sich durch einen Ausdruck der Liebenswürdigkeit, er entschuldigte sich mit müdem Lächeln: nicht einmal die karge Nachtruhe gönne er den Seinen. »Kommen Sie, setzen Sie sich dorther, ich muß ihnen meine neuesten Verse zeigen. Vielleicht sind's die letzten, die ich in diesem Leben gemacht habe. Lesen Sie. Lesen Sie laut, ich will meine Worte hören.«

Er schritt in dem halbdunklen Raum, wo sein Schatten im wehenden Kerzenlicht unstet über die stockfleckige Wand schwankte und sich bei seiner Größe an der niederen Balkendecke den Kopf einstieß, hinter dem hochlehnigen Stuhle des Abbés unruhigen Ganges auf und nieder, die Arme über der Brust gekreuzt. Der Grenadier draußen hatte sich längst gelangweilt vom Fenster hinwegbegeben und starrte in den bewegten Wolkenhimmel, den wir schon über Schmiedeberg wie über der Wartburg gesehen haben, und dachte – erstens: Wann wird's endlich mal wieder Frieden geben und Urlaub von acht, neun Monaten, daß unsereiner mal wieder seiner nahrhaften Hantierung leben kann? und zweitens: wann kommt denn, Kruzitürken, die verdammte Ablösung? – Der Abbé aber las. Es war ein Briefgedicht, gerichtet an den Mann, zu dem es den König in den todernsten Tagen so seltsam zog, an den stillen Marquis d'Argens. Er las mit wachsender Erschütterung:

Mein Freund, mit mir ist's aus, der Würfel fiel.
Zum Sterben müde steh ich schon am Ziel:
Genug der Wunden, die das Schicksal schlug,
Genug der Leidenslasten, die ich trug;
Mutter Natur hat wohl noch manche Tage
Mir zugedacht, Tage voll Not und Plage.
Sie meint's zu gut! – Ich aber mag nicht mehr!
Im Herzen Stille, schreit ich freudig zu
Mit festem Blick dem Ziel der großen Ruh,
Der Friedensfreistatt, wo ich sicher wär'.
Mich kostet's nicht ein Seufzen, nicht ein Beben,
Der Parze, die da spinnt mein leidig Leben,
Den Faden zwischen ihren Händen beiden,
Eh' meine Spindel leer ward, zu durchschneiden.
Atropos nickt. Hinab, der Ferge harrt:
In seinem Nachen sind sie alle gleich,
Der Fürst, der Hirte, keiner höhrer Art.
Auf tut sich mir des ewigen Friedens Reich.

Fahrt hin, fahrt hin, Truglorbeer, Heldenkränze!
Fürwahr, das heißt zu hohen Preis bezahlen,
Damit dein Name noch der Nachwelt glänze:
Vielleicht auf einen Augenblick bewundert,
Für vierzig Jahr der Mühsal und der Qualen,
Nährst du der Gegner und der Hasser hundert!
Wahnträume ihr der Größe, fahret hin!
Ihr Lichtgebilde, kaum erglüht,
Und schon verloschen und versprüht,
Ihr blendet nimmer mir den Sinn.
Den Werdenden im Lebensmorgenlicht
Hat euer falscher Glanz betört;
Da blühten Wünsche auf, töricht, vermessen –
Der Wahrheit Schüler hat sie längst vergessen,
Erkenntnisreife machte sie zunicht.
Zeno hat Wert und Unwert mich gelehrt,
Und längst hab ich's gelernt mich zu bescheiden,
Den Geistpokal der Eitelkeit zu meiden ...«

»O, Majestät!« klagte mit trübem Blick der Abbé. »Die Verse sind gut«, sprach hart der König. »Ach, nur zu gut.« – »Fahren Sie fort!« Der Abbé las weiter:

– – »Versiegt die Quelle, ausgeleert,
Die meines Staates Glück genährt!
Dahin die Palmen über mir,
Verwelkt all meine Lorbeerzier!
Soll ich erschöpft und ausgegeben
An Tränen, Seufzern, und zermürbt,
Die Jammertage überleben,
Da mir mein Vaterland verdirbt?
Du Dienst der Pflichten, der mir heilig war,
Nun wardst du überflüssig ganz und gar!
Bin ich denn noch des Staats Verteidiger?
Mein Arm sinkt nieder, müde und geschwächt,
Mein Ruhm, mein Name bleiben ungerächt,
Es triumphieren die Beleidiger.
In Zukunft wird kein Mensch mehr davon sagen,
Wie ich die Feinde einst aufs Haupt geschlagen.
All meine Helden sind dahin,
Hin jedes Siegestags Gewinn!
Von Übermacht und Überzahl
Erdrückt, erschlagen,
Verlor ich alles – ja sogar
Die Hoffnung, die mein Letztes war:
Ich dürfte noch dereinst einmal
In bessern Tagen
All uns're Tempel wieder sehn
Aus ihren Trümmern neu erstehn – –«

und las mit Bangen das ernste Bekenntnis zu der Seelenstärke der Brutus und. Cato, die sich selbst den Weg eröffnet aus einem Leben, das ihnen nicht mehr lebenswert war. Da brach ihm die Stimme und er legte das Gesicht auf den Arm über den traurigen Blättern. Der König zog sie unter dem Weinenden hervor und las zu Ende. Seine einschmeichelnde Stimme sprach die Verse und Reime mit so fein bewegtem Wohllaut, als gelte es nur, die Schönheit irgend eines dichterischen Glanzstückes im Zierstil der Zeit zur Wirkung zu bringen. Doch als er zum Ende kam, übermannte ihn die wehvolle Wahrheit, die für ihn unter der starren Hülle lebte, er sank in einen Stuhl und fand die Tränen, nach denen sich sein beklommenes Herz gesehnt hatte.

Nun ist's genug. Wer tief im Kerker schmachtet,
Verargst du's ihm, wenn er zum Lichte trachtet?
Zu lang des rohen Schicksals Beute schon,
Hat sich sein hoher Sinn emporgerafft,
Der Wachsamkeit der Schergen lacht er Hohn
Und bricht die Haft!
So ich – das Wie, es soll mich wenig grämen!
Die Bande, die unsel'gen, die so fein
Und doch so zäh die freie Seele mein
An diesen leidigen Leib hier, diesen Schemen,
Zernagt von Kummer, allzu lange ketten –
Ich breche sie, zur Freiheit mich zu retten!
D'Argens, leb wohl! Betracht es und gesteh:
Dies Bild ist wahr, und recht ist's, daß ich geh'.
Doch denke nicht, daß aus dem großen Nichts
Des Grabes ich mich eitel sehn',
Im Schimmer des Verklärungslichts
Neu zu ersteh'n.
Nur eine Bitte sei dem Freund vergönnt,
Das fleht mein Lied:
Solang dir noch des Himmels Leuchte brennt,
Wann längst ich schied,
Von jedes neuen Lenzes Blütensegen
Sollst einen vollen Strauß in Treue du
Von Myrten und von Rosen niederlegen
Da, wo ich ruh'.

»Sagen Sie, Abbé, ist das Gedicht nicht gelungen? Wollen Sie mir's glauben, das ist mein Lebensretter: mein Gift oder das Gedicht! Was soll ich tun? Ich möchte mich berauschen, meinen Harm zu übertäuben, doch trinken mag ich nicht. Dem Himmel Dank, daß ich Verse machen kann: das entspannt, befreit, lenkt ab. Je härter mir Unglück und Sorge am Ärmel hangen, um so gewissenhafter und beflissener feile ich an meinen Versen herum. Mögen sie schlecht genug ausfallen, mir ist die Entlastung, die sie mir schaffen, eine Wohltat, ohne die ich dies Leben kaum ertragen könnte. Sehn Sie, lieber Abbé, nun ist mir leichter. Gehn Sie schlafen und haben Sie Dank. Ich will mich auch niederlegen, meine Nachtruhe ist ohnehin knapp bemessen. Ach, einmal wieder tief schlafen, versinken im schwarzen Nichts, nichts wissen von mir und der Welt – ausschlafen, lieber Freund, ausschlafen! Und morgens aufwachen gesund und tatenfroh! Aber was mir die verdammten gekrönten Frauenzimmer, das Lumpengesindel der Fürsten und die Niedertracht aller Welt allenfalls noch an Lebenskraft übriglassen, das stiehlt mir dies leidige baufällige Leibsgerümpel. Ja, ja, ich bin ein alter Mann geworden, vor der Zeit. Genug für heute, lieber Abbé, gute Nacht.«

Es war ein Traum seltenster Art, in dem Friedrich ruhte, nachdem er mit Sorgen über die Lage seines schlesischen Heeres eingeschlafen war, wo zu allem Unglück der Herzog von Bevern mit Winterfeldt seinen unentbehrlichsten Mann verloren hatte, und nachdem er berechnet hatte, wann er wohl auf einen Brief seiner Bayreuther Schwester, als Antwort auf die »Generalbeichte« vor etwa einer Woche, frühestens hoffen dürfe. Erst sah er sich in seinem Lager bei Erfurt, geängstigt und umdrängt von Hunderten von erregten Gesichtern, die schreiend Rechenschaft forderten: Wohin? Wielange noch? und dann wußte er sich hier in seinem Quartier zu Kerspleben, hier in seinem Zimmer, und nebenan schliefen der Diener, der Sekretär und der Abbé. Und er wußte sich ruhend auf seinem Bette, wohlig ruhend wie lange nicht, als fühle er seinen Körper gar nicht mehr; sogar den schweren Schritt des Postens meinte er noch im Schlaf zu hören und das Sausen des Herbstwindes in den hohen Pappeln. So liegend hielt er im Dunkeln Zwiesprache mit Einem, dessen Antlitz er nicht sah, der neben ihm an seinem Bette saß. Und es war ihm, als leuchte ihm der mit einem blendenden Lichte in jede Falte seines Gemütes hinein, unerbittlich, und war da kein Schlupfwinkel, kein Schatteneckchen mehr, darin sich ein Gedanke hätte verkriechen können, ein Hintergedanke, der etwa jene Helle hätte scheuen müssen. So lag er ganz still, tiefatmend, in zufriedenem Geschehenlassen, und lächelte sogar beglückt, als holte er zu einem seiner anmutigen Scherze aus: Hätt' ich doch selber nie gedacht, daß ich solch ein gutes Gewissen habe! Ja, diese unerhörte Klarheit war ihm selber wie ein inneres Baden, ein Hinwegläutern alles menschlich Kleinen, aller Erdenschlacke, eine große Weihe und Erlösung. Es gibt so ein herrlich Träumen, da empfindet der Mensch seinen Leib als feineren Stoffes, ätherleicht, also daß ihn der selige Mutwille anwandelt: ob ich wohl fliegen kann? Versuchen wir's einmal! Und sieh, er wagt es, und den Staunenden trägt die Luft, höher hebt's ihn, weiter wölbt sich atmend die ruhende Brust des Lüfteschwimmers, tiefer sinkt die Welt, die Dächer unter ihm, die Wipfel der Bäume und der Flußlauf; dann erwacht er wohl, lustübermannt von einem Schluchzen vor Wonne. So dieser Traum des Königs. Aber wer nur der Frager ist, der Geheimnisumhüllte?

»Was leidest du?

»Was fürchtest du?

»Was begehrst und hoffst du?« so fragte der Richter des Traumes, der dunkle, und die Königseele mußte Rede stehen, wie vor Gott, wie vor sich selber.

Und sieh – Verantwortung war all seines inneren Lebens Sinn und Seele! Verantwortung war's, die da litt, die da bangte, die da strebte und hoffte. Nichts sonst, nichts. Kein Ich sprach mehr darein in diesem Zustand der Erhöhung, der Selbstprüfung, kein Glück- und Machtbegehren, nur der Wille zu seiner Bestimmung und Sendung, die Treue zu seinem Königswerke, seinem Volke und Lande, seiner Königspflicht. Ja, ganz wehrlos wider die Wahrheit des Geheimsten in seiner Brust, des Geheimsten, das auch bei diesem Verstandesstolzen Frommsein hieß, sprach er ganz wie ein Glaubender: »So wahr mir Gott helfe.«

Wenn Friedrich gewußt hätte, daß sein Träumen zugleich ein Ringen sei, daß er im Schlafe einen Sieg, einen wundersamen, nicht unrühmlichen Sieg gewonnen hatte – von dem freilich die Geschichte seiner Siege nichts zu vermelden weiß!

Er erwachte im ersten frostigen Morgengrauen, schaute staunend um sich und wußte nicht, wie ihm geschehen; heute erwachte er ja ganz so wie er sich's schmerzlich gewünscht hatte, einmal zu erwachen: Auch der leidige Andere, sein geplagter Leib, gab einmal Frieden. Sein Herz aber war voller Trost und Licht und Erkühnen. Unwillkürlich schaute er nach seinem Stuhle am Bett, als müsse dem noch was anzusehen sein – und dann schaute er hinaus auf seines Lebens Mühsal und Dornenbahn: was ihn unübersteiglich gedeucht, lag da wie ein Weg, der eben gegangen werden muß – wofür war er der Friedrich? Leuchtete doch hinter dem ein Ziel, das der Mühe lohnte. So war er stark in seltsamer Lebensgewißheit, dem Glutgefühl der Unverwüstlichkeit, Unentbehrlichkeit.

Der Diener, der erschrocken seinen Herrn so früh schon auf den Füßen sah und ihn wieder erkrankt wähnte, warf ihm den Schlafrock um, entzündete die Kerzen und schürte in dem großen braunen Ofen das Feuer. Friedrich saß schon wieder am Tische, schob sein Lied der Verzweiflung zusammen, und aus seiner übervollen Brust ergossen sich in dieser starken Morgenstunde in unaufhaltsamem Strome heldischer Begeisterung die ersten Strophen der schönen Ode an seinen Bruder Heinrich:

Wie zu kühnem Wolkenfluge
Jovis Adler sich erhebt
Bis in immer höherm Zuge
Schwingenbreitend er entschwebt,
Sich zu ringen, sich zu schwingen
In des Raums Unendlichkeiten,
Die sich bis zur Sonne weiten,
Bis zu Götternäh' zu dringen;

Also, ganz des Gottes voll,
Der mich sturmeswild begeistert,
Schwing ich auf mich, selig-toll;
Nichts Gemeines mehr mich meistert!
Bleib da unten, Staub der Erde!
Aufwärts zu der Götter Sitzen,
Die die Wetter wiederblitzen
Auf die bange Menschenherde!

Kein unheilig Menschenlallen
Ist heut meines Mundes Laut:
Phöbus Geist hat mich befallen,
Mir sein Seherwort vertraut;
Ewiges Geheimnis – heute
Will er's gnädig mir enthüllen,
Daß ich der Geschicke Willen,
Ihr Gesetz euch künd' und deute.

Meine Preußen, seht, ihr seid es,
Die des Gottes Kunde meint,
Die ihr jedes Völkerleides
Grausam überbürdet scheint!
Schwergeprüfte, laßt euch sagen:
Ohne blutige Schicksalsstöße
Reifte noch kein Staat zur Größe!
Stolz empor denn, ohne Zagen
.

Wohl, in diesen Jammertagen
Bebt in Kriegsnot uns're Erde,
Unsern Staat erfaßt Verzagen,
Daß er bald zerschmettert werde;

Ganz Europa steht zusammen
In wutlechzender Verschwörung,
Ringsum Mordgraus und Zerstörung,
Haus und Scheunen stehn in Flammen,

Wohl, noch schnellt uns jene Hyder
Ihrer Flammenhäupter Graus
Neu entgegen immer wieder
Legionen speit sie aus.
Immer trächtig, Heere heckt sie,
Will den fürchterlichen Streichen
Eures Siegerarms nicht weichen,
Immer neue Häupter reckt sie.

Wie nach unserm Fall sie dürsten!
Gras müßt über unsern Mauern
Wachsen, ging's nach jenen Fürsten,
Und wir selbst in Trübsal kauern.
Nieder, meine edlen Kämpfer,
Mit den frechen Siegstrophän,
Und zermalmt der Nattern Blähn:
Ihrer Hoffart einen Dämpfer!

Hohe Seelen, sie entfalten
Erst im Drange der Gefahr
Ihrer Mannheit Trutzgewalten,
Geisteswehrkraft wunderbar;
Dann erst wird ihr Mut geboren!
Wer, von Todesnot umwittert,
Im Geheul des Sturmes zittert,
Nur der Feigling ist verloren!

Starrem Trotze gibt die Welt
Endlich doch die Wege frei!
Ist's verzweifelt denn bestellt,
So verzweifle, aber sei
Wie ein Held! 's muß alles enden,
Äußerstes lebt niemals lang;
Oft dem Leidensborn entsprang
Schon ersehntestes Vollenden!

*

So von tiefer Nacht umfangen
Seh ich dich, mein Vaterland,
Deine Tränenblicke hangen
Schwer an deinem Leidgewand;
Starr vom eig'nen Wehgeschicke,
Auf die Lorbeerzier von einst
Sinkst du nieder, ach, und weinst
Und verfluchst des Zufalls Tücke.

Wohl mit dir bewein' ich innig
All das unerhörte Weh,
Wohl mit dir erschüttert bin ich,
Wie ich dich erliegen seh.
Unter grimm'gem Wetterschlage,
Doch wie Frühlichtlächeln sacht,
Keimt mir durch die Schreckensnacht
Ahnung deiner schönren Tage! – –


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